Ruhe bewahren: Viel Trubel um das schwarze Gold

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DIE WELT DER FINANZEN
Auf den ersten Blick steht der Erdölmarkt schlecht da, ein zweiter Blick bietet Differenzierungen.
RUHE BEWAHREN
VIEL TRUBEL UM DAS SCHWARZE GOLD
von John James Bayer und Christian Meier
Am Erdölmarkt herrscht eine nervöse Stimmung. Öl sprudelt in rauen Mengen, obschon die Nachfrage
seit der globalen Finanzkrise und der anschliessend schwächelnden Konjunktur massiv gesunken ist.
Die Folge: Ein markanter Einbruch der Ölpreise. Ist jetzt die Zeit, in Öl zu investieren?
I
n den 70er-Jahren machte die Denkfabrik
«Club of Rome» auf sich aufmerksam,
eine gemeinnützige Organisation, die sich
für eine nachhaltige Zukunft der Menschheit einsetzt. Sie warnte davor, dass in 30
bis 40 Jahren die Erdöl- und Erdgasvorräte
erschöpft sein werden. Denn Öl und Gas
als n
­ atürliche Ressourcen sind endlich.
Heute wissen wir, dass die weltweiten
Erdgas­vorkommen so gross sind, dass sie
bei ­gleichbleibendem Konsum für weitere
rund 300 Jahre reichen. Die Aussagen, welche vor 40 Jahren gemacht worden sind,
sind nicht gänzlich falsch; man muss sie
jedoch relativieren. Die Energiebranche hat
in den vergangenen Dekaden Fortschritte
gemacht, die man sich damals nie zu erträumen gewagt hätte, sei dies im Bereich der
Fördertechnologien wie auch der finan­
ziellen Möglichkeiten.
In der Tat ist die Gewinnung und die Verarbeitung von Erdöl ein Riesengeschäft. In
der Regel geht es um Milliardenprojekte,
denn das Fördern von Erdöl ist sehr kapitalintensiv. Vielfach müssen grosse Investitionen getätigt werden, damit sich ein Projekt
überhaupt lohnt. Zu den wichtigsten Erdölproduzenten gehören Saudi-Arabien, der
Iran und der Irak, welche im Zusammenschluss mit Ländern wie Venezuela oder
Nigeria die dominierende OPEC bilden.
Seite 60 // kmuRUNDSCHAU
Wichtige Fördergebiete sind aber auch
Russland, Nordamerika und die Nordsee.
Die Stimmung am Markt hat sich in den
­vergangenen zwei Jahren grundlegend verändert. Aufgrund der stark gesunkenen
Energiepreise seit Mitte 2014 und der derzeit
hohen Volatilität haben Öl- und Gasmultis
ihre Investitionen drastisch gesenkt. Die
Folge sind Massenentlassungen vor allem
bei den sogenannten Ölfelddienstleistern,
OFS (Oil Field Services), welche vorne an
der Wertschöpfungskette stehen. Die erschwerten Bedingungen am Erdölmarkt
belasten allerdings alle Unternehmen entlang der Produktionskette, von der RohölFörderung bis hin zur Verteilung der Endprodukte. Deshalb kämpfen Ölmultis wie
auch Zulieferer mit Umsatzeinbussen.
VOM ÖLVORKOMMEN IM
ERDBODEN BIS HIN ZUM KEROSIN
In der Erdölindustrie wird zwischen drei
Aktivitäten unterschieden: Rohöl fördern
(upstream), Rohöl transportieren mittels
Zügen, Tankern oder Pipelines (midstream),
und Rohöl weiterverarbeiten sowie weiterverkaufen (downstream).
Letzteres wird von Raffinerien vorgenommen, die sogenannten Cracker, bei denen
die Kunst der Chemie beigezogen wird,
um das Rohöl zu destillieren und in seine
verschiedenen Verwendungsformen aufzuteilen. Unternehmen, die alle drei Bereiche abdecken, nennt man integrierte
­Gesellschaften (Oil Integrated). Dazu gehören die Erdölgiganten, deren Namen einem
von den Tankstellen entgegenleuchten.
Der Upstream-Bereich wurde unlängst
durch Fracking und Horizontal-Drilling
revolutioniert, berühmt geworden durch
die enorme Ausweitung der Schiefergasund Ölproduktion in den USA. Doch auch
Erdölbohrungen in ultratiefen Gewässern
an der Küste Brasiliens haben Aufsehen
­erregt. Normalerweise ist die Ausbeutung
einer Ölquelle auf dem Festland (on-shore)
kostengünstiger als das Bohren nach
Rohöl in grossen Gewässern (off-shore)
wie zum Beispiel im Golf von Mexiko. Entscheidend ist jedoch die Qualität des aus
dem Bohrloch tretenden Rohöls.
Daher haben sich kleinere und mittelgrosse Unternehmen auf die Exploration
und Prospektion spezialisiert. Sie unterstützen Ölfelddienstleister darin, Expertisen
zur geologischen Beschaffenheit eines
mutmasslichen Ölfeldes zu erstellen.
Für Raffineriebetriebe im Downstream-­
Bereich ist die Konsistenz des Rohöls ein
DIE WELT DER FINANZEN
Kostenfaktor. Je höher die Güte des Ausgangsstoffs, desto kostengünstiger und
margenträchtiger die Herstellung der Endprodukte, vom Schmiermittel bis hin zum
teuren Kerosin.
Zu den hochwertigsten Erdölkategorien
zählen der amerikanische WTI (West Texas
Intermediate), dessen Umschlagplatz die
Stadt Cushing ist, und die Nordsee-Ölsorte
Brent, welche vor nicht allzu langer Zeit als
weltweite Referenzgrösse für den Erdölpreis festgelegt wurde. Da der Schwefelgehalt dieser beiden Sorten sehr niedrig ist,
was vorteilhaft ist, wird ihnen die Bezeichnung süss (sweet crude) vergeben. Ihr
­gehandeltes Volumen an den Warenter­
minbörsen ist mit Abstand am grössten.
Hingegen ist das saudische Erdöl eher
schwefelhaltig und wird deshalb sauer (sour
crude) genannt. Venezolanisches Rohöl ist
teilweise eine Stufe minderwertiger, da sehr
zähflüssig und bitumenartig, was eine aufwendigere, sprich teurere, Verarbeitung
nach sich zieht. Anspruchsvoller ist auch
die Verarbeitung von Tiefsee-Öl aus der
Küstenregion Brasiliens, das vorab von Verunreinigungen (salz- und kalkhaltige Substanzen) b
­ efreit werden muss.
DIE ROLLE DER SCHWEIZ
Obwohl in der Schweiz Öl- und Gasboh­
rungen durchgeführt wurden, konnten keine
wirtschaftlich nutzbaren Vorkommnisse
­entdeckt werden. Das einzig kommerziell
verwertbare Erdgasvorkommen in Finsterwald im Entlebuch versiegte vor mehr als
20 Jahren. Die Schweiz ist somit komplett
auf Importe, vornehmlich via EU, angewiesen. Insgesamt sind es zwölf Millionen Tonnen pro Jahr, was einer Deckung des Energiebedarfs von 60 Prozent entspricht.
Gleichwohl: Die Schweiz mischt ebenfalls
im globalen Öl- und Gasgeschäft mit – ein
Markt mit einem jährlichen Gesamtinvesti­
tionsvolumen von rund USD 800 Milliarden.
Neben den vor allem in Genf und Zug ansässigen Rohstoffhandelsfirmen wie Vitol
SA und Cargill International SA zählen
einige alteingesessene, börsenkotierte
­Industrieunternehmen zu den bedeutenden Zulieferern des Energiesektors.
An erster Stelle steht ohne Zweifel der
Schweizer Industriepionier Sulzer AG. Das
1834 gegründete Unternehmen begann
schon früh mit der Produktion von Pumpen,
welche nach unzähligen Umstrukturierungen und Firmenverkäufen die heutige
Kernkompetenz der Gruppe bilden. Hochleistungspumpen werden in praktisch allen
Segmenten der Öl- & Gas-Branche eingesetzt: unter anderem bei der Förderung, beim Transport (Pipelines) und in
der ­Petrochemie.
Die Burckhardt Compression Holding AG –
ein 1844 in Basel gegründetes Unternehmen
und eine ehemalige Tochtergesellschaft der
Sulzer Gruppe – ist weltweit einer der
Markt- und Technologieführer im Bereich
Kolbenkompressoren. Die kundenspezifisch
ausgelegten Kompressorsysteme werden
vor allem in der Gasverdichtung eingesetzt
und durch ein vollumfängliches Service­
angebot instand gehalten. Trotz des herausfordernden Umfeldes bleibt das Unternehmen seiner Philosophie treu: «Wir sind
entschlossen, zum KolbenkompressorenSystemhersteller und Service-Dienstleister
erster Wahl zu werden.» Das Unternehmen
ist solide fi­ nanziert, und das Management
strebt keine teuren Akquisitionen an. Mit
ruhiger Hand und Geduld wurde das
Service­geschäft ausgebaut und die globale
Präsenz gestärkt.
Interessant ist auch die Unternehmensgeschichte von einem bedeutenden Anbieter
von Getriebe- und Antriebslösungen für
die Öl- & Gas-Exploration beziehungsweise Bohrinseln. Die 1906 g
­ egründete
Werkzeugmaschinenfabrik Oerlikon hat
sich in den letzten 110 Jahren als «IndustrieChamäleon» zur OC Oerlikon Corporation
AG gewandelt. Das Unternehmen wird wie
die Sulzer Gruppe durch den russischen
Milliardär Viktor Vekselberg über die Renova Group kontrolliert.
Schliesslich ist auch die aus dem Zusammenschluss der Schweizer Brown Boveri
Gruppe mit der schwedischen ASEA hervorgegangene ABB Ltd im Energiebereich
tätig. Der Unternehmensbereich «Prozess­
automation» stellt Produkte für die Instrumentierung, Automatisierung und Optimierung industrieller Prozesse her. Zu den
Abnehmerbranchen zählen auch die Ölund Gasindustrie.
Der aktuell sich erholende Erdölpreis ist
willkommen und trägt zur Belebung in der
Erdöl-Zuliefersparte der oben erwähnten
Gesellschaften bei. Auch ABB, welche ein
starkes Standbein in der Maschinenindustrie und Automation hat, profitiert vom
Aufwind der Erdölnotizen, da vermehrt
Aufträge zu erwarten sind.
TIPP FÜR DEN ANLEGER
Mit Blick auf eine allfällig bevorstehende
längere Erholung der Erdölpreise profi­
tieren Ölfelddienstleister besonders stark.
Hier zählen der Branchenprimus Schlumberger Ltd und Baker Hughes Inc, beides
amerikanische Unternehmen, zu den Favoriten.
Investoren, die breiter am Erdölmarkt
partizipieren wollen, müssen definitiv Ausschau nach anderen Firmen halten. Am
besten beraten ist man mit einer Investition in grosse integrierte Ölmultis wie
­Royal Dutch Shell Plc oder Total SA in
Europa sowie Chevron Corp in den USA.
Denn dank ihrer Downstream-Aktivitäten
können sie die Verluste im Upstream-­
Geschäft wettmachen oder gar überkompensieren.
In der Schweiz erscheinen Dividenden­
renditen von um die drei Prozent und mehr
im gegenwärtigen Tiefzinsumfeld äusserst attraktiv. Dies trifft zurzeit auf alle
Schweizer Unternehmen zu, welche im
Beitrag erwähnt wurden. Allerdings sind
bei diesen Unternehmen die Hebel bei einer
Erholung der Ölpreise kleiner als bei den
oben genannten Favoriten. Selbstredend
ist dies auch der Fall, sollten die Ölpreise
wieder nach unten tendieren.
CHRISTIAN MEIER
ist stellvertretender Anlagechef der
Banque CIC (Suisse).
[email protected]
JOHN JAMES BAYER
ist Portfoliomanager, Analyst und Rohstoffspezialist der Banque CIC (Suisse).
[email protected]
www.cic.ch
Ausgabe 2/2016 // Seite 61
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