Regeln in Unternehmen

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Kapitel 2
Regeln in Unternehmen
2.1
Überblick
Aus einer historischen Perspektive betrachtet, nimmt das Schaffen und Einsetzen von Regeln
bei der Erfüllung (komplexer) Aufgaben einen bedeutenden Stellenwert ein. Dieser Auffassung
waren auch schon die Menschen der Antike. Aus einigen Überlieferungen geht hervor, dass bereits
damals Regeln für die Bewältigung verschiedener Aufgaben eingesetzt wurden ([Geo72], S. 4ff.;
[Sut95], S. 16):
Überlieferung 2.1 (Cheopspyramide)
Eine der ältesten Überlieferungen stammt aus Ägypten zur Zeit des Pyramidenbaus. Es wird
vermutet, dass bei der Errichtung der Cheopspyramide mehr als 100’000 Menschen über einen
Zeitraum von 20 Jahren beschäftigt waren. Für die Baumeister bestanden damals wesentliche
Probleme in der Koordination der zu erfüllenden Arbeiten und in der Verwaltung der zahlreichen Arbeitskräfte. Eine Überlieferung aus dem Jahr 2’700 v. Chr. schildert, dass zur Lösung
dieser Probleme eine Vielzahl von Regeln geschaffen wurde, die auf Papyrusrollen schriftlich
festgehalten wurden.
Überlieferung 2.2 (Chinesisches Reich)
Eine weitere Überlieferung kommt aus China zur Zeit der Chou-Dynastie. Damals erstreckte sich
das chinesische Reich so weit, dass in seiner Verwaltung ein erhebliches Problem bestand. Etwa
um 1’100 v. Chr. wurde ein Handbuch veröffentlicht, das an alle öffentlichen Ämter ausgegeben
wurde. In diesem Buch sind Regeln in Form von Anweisungen beschrieben, die die Art und
Weise der Reichsverwaltung festlegen.
Auch in der heutigen Zeit kann in den Unternehmen nicht auf die Verwendung von Regeln
bei der Aufgabenerfüllung verzichtet werden. Ein Grund wird darin gesehen, dass die zu bearbeitenden Aufgaben sehr komplex sind und von Menschen sowie Maschinen arbeitsteilig erfüllt
werden ([Gro82], S. 1). Zudem werden die Schaffung und Einführung von Regeln als ein wichtiges
Führungsinstrument erachtet, mit dem sich das Erreichen der vom Unternehmen angestrebten
Ziele vorteilhaft beeinflussen lässt.
In der betriebswirtschaftlichen Organisationstheorie stellen die Schaffung und Einführung von
Regeln zwei der wichtigsten Themenschwerpunkte dar. In dieser Theorie werden Unternehmen
als sozio-technische Systeme betrachtet, die gewisse wirtschaftliche Ziele verfolgen, wie beispielsweise die Erzeugung von Gütern und/oder Dienstleistungen. Um die in einem Unternehmen angestrebten Ziele zu erreichen, werden aus diesen bestimmte Aufgaben abgeleitet, die von Men-
14
KAPITEL 2. REGELN IN UNTERNEHMEN
schen und Maschinen arbeitsteilig zu erfüllen sind. Die Erfüllung dieser Aufgaben vollzieht sich
nach bestimmten Regeln, die in der Organisationstheorie als organisatorische Regeln bezeichnet
werden. Sie werden in Anlehnung an Grochla wie folgt definiert ([Gro82], S. 1):
Definition 2.1 (Organisatorische Regeln (OR))
Organisatorische Regeln legen auf Dauer das Zusammenwirken der personellen und maschinellen Aktionsträger für die Erfüllung unternehmerischer Aufgaben fest. In ihrer Gesamtheit
lassen sich diese Regeln in personenbezogene Verhaltensregeln und maschinenbezogene Funktionsregeln gliedern.
Organisatorische Regeln können nach Definition 2.1 als eine Präzisierung der zu erfüllenden Aufgaben aufgefasst werden, die angeben, in welcher Form und in welchem Umfang die Verhaltensbzw. Funktionsweisen der personellen und maschinellen Aktionsträger beeinflusst werden sollen
(müssen) ([Gro78], S. 22; [Sut95], S. 5). In Unternehmen bilden diese Regeln ein formales künstliches System, das als Organisation oder Organisationsstruktur bezeichnet wird ([Gro82], S. 1).
Die Organisationen stellen somit den formalen Rahmen dar, innerhalb dessen sich die vielfältigen Aufgaben vollziehen. Um eine effiziente Aufgabenerfüllung sicherstellen zu können, müssen
die Organisationsstrukturen entwickelt und optimal gestaltet sein. Nur dann kann gewährleistet werden, dass die Regeln ihre Wirkungen im Hinblick auf die Aktionsträger entfalten und
zur Erreichung der unternehmerischen Ziele beitragen. Da sich i. allg. die Organisationen nicht
von selbst ergeben, sind gewisse organisatorische Handlungen notwendig, die unter dem Begriff
organisatorische Gestaltung subsumiert werden ([Gro82], S. 2):
Definition 2.2 (Organisatorische Gestaltung)
Die organisatorische Gestaltung umfasst alle Aktivitäten, mit denen die Schaffung und Einführung von organisatorischen Regeln als Ziel verfolgt wird. Die organisatorische Gestaltung
stellt das Mittel dar, mit dem sich eine Organisation schaffen lässt.
Die organisatorische Gestaltung wird als eine äusserst komplexe Aufgabe angesehen, die vor
allem von den Managern1 der Unternehmen erfüllt werden sollte. Für ihre Bewältigung wird ein
achtstufiges Vorgehensmodell2 vorgeschlagen, mit dem die logische Ordnung der zu erfüllenden
Aufgaben als Ziel verfolgt wird. Drei dieser Stufen sind die Problemerkennung, die Generierung
von Gestaltungsalternativen sowie die Kontrolle und Weiterentwicklung der eingeführten Organisation. Um eine umfassende und realitätsnahe Behandlung eines organisatorischen Problems
sicherzustellen, gilt es, bei der Entwicklung einer Lösung gleichzeitig mehrere Problemdimensionen und zahlreiche Gestaltungsbedingungen zu berücksichtigen:
• Problemdimensionen
Bei der organisatorischen Gestaltung sind drei Problemdimensionen3 zu beachten ([Gro82],
S. 8ff.). Im einzelnen handelt es sich dabei um den Objektbereich, die Mehrstufigkeit und
die sachlich-logische, politische Dimension. In der ersten Dimension, dem Objektbereich,
stellt die Gestaltung der Organisation eine der Hauptaufgaben dar. Für die Schaffung einer
nutzbringenden Organisationsstruktur wird es als wichtig erachtet, dass die organisatorischen Regeln nach aufbau- und ablauforganisatorischen Gesichtspunkten gestaltet werden
([Gro82], S. 24f.):
1
vgl. Abschnitt 2.2.3.1.
vgl. Abschnitt 2.2.3.4.
3
vgl. Abschnitt 2.2.3.2.
2
2.1. ÜBERBLICK
15
Definition 2.3 (Aufbauorganisation)
Die Aufbauorganisation gliedert das Unternehmen in Aktionseinheiten, wie beispielsweise Teilbereiche, Abteilungen und Stellen, weist diesen Aufgaben zu, die aus der Gesamtaufgabe abgeleitet sind, und ist für ihre Koordination verantwortlich. Dazu werden
Leitungs-, Informations- und Kommunikationsbeziehungen zwischen den Aktionseinheiten erzeugt. Zusätzlich umfasst die Aufbauorganisation die temporäre Zusammenfassung mehrerer Stellen zu Kollegien.
Definition 2.4 (Ablauforganisation)
Die Ablauforganisation beinhaltet die raumzeitliche Strukturierung der zur Aufgabenerfüllung erforderlichen Arbeits- und Bewegungsvorgänge. Im einzelnen werden dazu
Arbeitsgänge gebildet, die den Arbeitsträgern übertragen werden und die in zeitlicher
Hinsicht aufeinander abgestimmt sind. Zudem ist die Ablauforganisation verantwortlich
für die Ausstattung der Arbeitsplätze und ihre zweckmässige Anordnung.
• Gestaltungsbedingungen
Bei einer organisatorischen Gestaltung sind auch die Gestaltungsbedingungen zu identifizieren, die einen mehr oder weniger starken Einfluss auf die Aufgabenerfüllung ausüben.
Diese Bedingungen bilden in ihrer Gesamtheit einen nicht beeinflussbaren Rahmen, der
die möglichen und zulässigen Problemlösungen beschreibt. Dies bedeutet allerdings nicht,
dass alle Bedingungen in einem absoluten Sinne unveränderbar sind. Für den Zeitraum
der Lösungsentwicklung stellen sie jedoch feste Vorgaben dar.
Auf einer ersten Stufe lassen sich die Bedingungen in unternehmensinterne und unternehmensexterne Gestaltungsbedingungen4 gliedern. Beispiele dafür sind die Arten der zu
erfüllenden Aufgaben, die Unternehmensgrösse sowie ökonomische, rechtliche und technologische Umwelteinflüsse.
Änderungen in den Gestaltungsbedingungen können dazu führen, dass die in den Unternehmen geschaffenen und eingeführten Organisationen ihre Wirkungen verlieren und daher
neu ausgerichtet (reorganisiert) werden müssen. So ist es z.B. möglich, dass ein Unternehmen infolge einer härteren Konkurrenz höhere Ansprüche an die Wirtschaftlichkeit der
Aufgabenerfüllung stellt und eine organisatorische Gestaltung durchführt. Dabei könnte
als Ziel die Rationalisierung oder Automation bestimmter Aufgaben verfolgt werden.
In der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts hat sowohl in der Theorie als auch in der Praxis
ein revolutionäres organisatorisches Umdenken stattgefunden. Dabei wird die Gestaltung einer
Organisation nur nach aufbau- und ablauforganisatorischen Gesichtspunkten als nicht mehr
ausreichend angesehen:
”The reality that organizations have to confront, however, is that the old ways of doing
business – the division of labor around which companies have been organized since
Adam Smith first articulated the principle – simply don’t work anymore. ... Adam
Smith’s world and its way of doing business are yesterday’s paradigm.” ([HC93],
S. 17).
Gründe dafür werden vor allem in der Verfügbarkeit und Nutzung von Informationstechnologien
(IT), in den sich ständig neu ergebenden Umweltveränderungen und in der Intensivierung des
4
vgl. Abschnitt 2.2.3.3.
16
KAPITEL 2. REGELN IN UNTERNEHMEN
Wettbewerbs gesehen. So weisen Hammer und Champy darauf hin, dass der heute zwischen den
Unternehmen existierende Wettbewerb von drei Faktoren bestimmt wird ([HC93], S. 17ff.):
1. Veränderungen im Kundenverhalten
Seit den frühen 80er Jahren haben sich die Beziehungen zwischen den Unternehmen, die
Güter und/oder Dienstleistungen anbieten, und den Kunden, die diese konsumieren, grundlegend gewandelt. Früher bestand in Unternehmen die Fiktion, dass die Kunden die gleichen oder doch zumindest sehr ähnliche Bedürfnisse haben. Es herrschte die Vision, dass
mit dem Angebot eines standardisierten Gutes und/oder Dienstleistung die Wünsche der
meisten Kunden zufrieden gestellt werden können. Diese Vision bestätigte sich auch, was
darauf zurückgeführt wird, dass die Kunden damals nur sehr beschränkte Möglichkeiten
hatten, zwischen denen sie wählen konnten. Heute hat sich das Verhalten der Kunden
gewandelt, da moderne Informationstechnologien verfügbar sind und genutzt werden:
”Sellers no longer have the upper hand; customers do. Customers now tell suppliers what they want, when they want it, how they want it, and what they will
pay.” ([HC93], S. 18).
Die Kunden erwarten, dass die Unternehmen Güter und/oder Dienstleistungen anbieten,
die ihre individuellen Bedürfnisse befriedigen:
”Individual customers – whether consumers or industrial firms – demand that
they be treated individually. They expect products that are configured to their
needs, delivery schedules that match their manufacturing plans or work hours,
and payment terms that are convenient for them.” ([HC93], S. 18).
Aufgrund dieser Entwicklungen haben sich die Märkte in eine Vielzahl von kleinen Marktsegmenten aufgespalten, die sich durch grundverschiedene Merkmale auszeichnen. Die Unternehmen sehen sich daher gezwungen, ihre Güter und/oder Dienstleistungen kundenorientiert zu gestalten, wenn sie wettbewerbsfähig bleiben wollen.
2. Intensität des Wettbewerbs
Neben dem Kundenverhalten hat sich auch der Wettbewerb zwischen den Unternehmen
gewandelt und stark intensiviert:
”Adequate is no longer good enough. If a company can’t stand shoulder to shoulder with the world’s best in a competitive category, it soon has no place to stand at
all. ... Now, not only does more competition exist, it’s of many different kinds.”
([HC93], S. 21).
Gründe dafür werden in dem veränderten Kundenverhalten und in der Nutzung von Informationstechnologien gesehen:
• Kundenverhalten
Nischenkonkurrenten befriedigen durch das Anbieten von Gütern und/oder Dienstleistungen sehr spezielle Kundenbedürfnisse. Dadurch haben sich die Charakteristika der
Marktsegmente stark geändert. So verkaufen sich bspw. ähnliche Güter in verwandten
Märkten auf der Basis grundverschiedener Kriterien: In einem Segment werden die
Güter mit dem günstigsten Preis gekauft; in einem anderen Segment stellt die Qualität
den Kaufgrund dar, und in einem dritten Markt entscheiden die Kunden anhand der
Leistungen, die ein Unternehmen vor, während und/oder nach einem Kauf anbietet.
2.1. ÜBERBLICK
17
• Informationstechnologien
Der Einsatz von Informationstechnologien eröffnet den Unternehmen eine Vielzahl
von Möglichkeiten, mit denen sich Wettbewerbsvorteile gegenüber den Konkurrenten
erreichen lassen. Diese Technologien können z.B. für eine computergestützte Aufgabenerfüllung (z.B. ’Computer Integrated Manufacturing’ (CIM) und ’Computer Aided
Design’ (CAD)) eingesetzt werden.
3. Kontinuität der Veränderungen
Durch die Globalisierung der Wirtschaftlichkeit sehen sich die Unternehmen einer steigenden Anzahl von Konkurrenten gegenüber, die innovative Güter und/oder Dienstleistungen
anbieten. Ein Grund für diese Entwicklung ist in den sich ständig (neu) einstellenden
Veränderungen der Informationstechnologien zu sehen. Da diese Technologien permanent
weiter entwickelt werden und neue Funktionalitäten aufweisen, eröffnen sich für die Unternehmen immer mehr Einsatzmöglichkeiten. Dies hat u.a. dazu geführt, dass sich nicht nur
die Produktlebenszyklen, sondern auch die Entwicklungs- und Einführungszeiten für (neue)
Güter und/oder Dienstleistungen stark verkürzt haben:
”Today, companies must move fast, or they won’t be moving at all.” ([HC93],
S. 23).
Die Unternehmen müssen somit gerade in der heutigen Zeit ihre Wettbewerbsfähigkeit unter
Beweis stellen. Damit sie ihren Konkurrenten nicht unterliegen, wird es als besonders notwendig und wichtig erachtet, dass die Unternehmen ihre bestehenden Organisationen radikal neu
ausrichten:
”It is no longer necessary or desirable for companies to organize their work around
Adam Smith’s division of labor. Task-oriented jobs in today’s world of customers,
competition, and change are obsolete. Instead, companies must organize work around
process.” ([HC93], S. 27f.).
Die Grundlage dieser neuen organisatorischen Orientierung stellen dabei nicht mehr die einzelnen Aufgaben, sondern die im Unternehmen identifizierten Geschäftsprozesse dar. Hammer und
Champy definieren einen Geschäftsprozess wie folgt:
Definition 2.5 (Geschäftsprozess (GP), Business Process)
”A business process is a collection of activities that takes one or more kinds of input and
creates an output that is of value to the customer.” ([HC93], S. 35).
Nach Definition 2.5 können Geschäftsprozesse als Wertschöpfungsketten aufgefasst werden, die
gewisse Bedürfnisse befriedigen und daher für die Kunden einen bestimmten Wert darstellen
([RS91]). Um eine effiziente Erfüllung dieser Prozesse zu gewährleisten, müssen die dabei zu
erfüllenden Aufgaben in ihrer Gesamtheit betrachtet und optimal gestaltet werden. Da sich die
Geschäftsprozesse aus einer Vielzahl von einzelnen Aufgaben zusammensetzen, die i. allg. von
verschiedenen Stellen und Abteilungen erfüllt werden, verlaufen sie orthogonal zu den traditionell
funktional ausgerichteten Unternehmen (vgl. Abb. 2.1). Zur Verdeutlichung wird das folgende
Beispiel betrachtet:
Beispiel 2.1 (Orthogonalität der Geschäftsprozesse)
In vielen Unternehmen stellt die Produktentwicklung einen der wichtigsten Geschäftsprozesse
dar. Um ein neues Produkt auf einem Markt erfolgreich lancieren zu können, ist eine Vielzahl von
18
KAPITEL 2. REGELN IN UNTERNEHMEN
Research
and
Development
Marketing
Manufacturing
New Product Development
Competitor Analysis
Market Research
New Product
Prototype
Abbildung 2.1: Orthogonalität der Geschäftsprozesse ([JEJ95]).
Aufgaben zu erfüllen. Diese Aufgaben werden dabei von Stellen bearbeitet, die unterschiedlichen
Abteilungen angehören. So werden z.B. in der Forschungs- und Entwicklungsabteilung (F&E) ein
Konzept und gegebenenfalls ein Prototyp erarbeitet. Für eine Überprüfung, ob sich das (neue)
Produkt auf dem Markt absetzen lässt, führt die Marketingabteilung entsprechende Analysen
durch. Befürworten die Untersuchungsergebnisse die Fertigung, so muss die Art der Herstellung
evaluiert werden. Diese Evaluation wird von der Fertigungsabteilung übernommen, in der auch
später das marktfähige Produkt hergestellt wird.
Für die Reorganisation der Unternehmen werden zahlreiche Vorgehensmodelle vorgeschlagen.
Ein Beispiel dafür ist das Modell von Venkatraman, das auf dem Einsatz von Informationstechnologien basiert und fünf Stufen umfasst ([Ven91]). Abbildung 2.2 veranschaulicht, dass mit der
dritten Stufe, dem Business Process Redesign, der revolutionäre Teil der Reorganisation beginnt.
Dabei wird mit steigendem Transformationsgrad ein potentiell grösserer Nutzen erwartet.
In den letzten Jahren wird in der Literatur das Business Process Redesign für die Gestaltung
von Geschäftsprozessen vermehrt diskutiert ([Dav93]; [HC93]; [MB93]; [JEJ95]). Zentrale Begriffe, die oft synonym dafür verwendet werden, sind Reengineering und Business Reengineering.
Mit der Veröffentlichung des Buches ”Reengineering the Corporation: A Manifesto for Business Revolution” von Hammer und Champy ist der Begriff Reengineering zu einem bedeutenden
Schlagwort der 90er Jahre geworden ([HC93]). Die beiden Autoren verstehen darunter:
Definition 2.6 (Reengineering, Business Process Redesign (BPR))
”Reengineering is the fundamental rethinking and radical redesign of business processes to
achieve dramatic improvements in critical, contemporary measures of performance, such as
cost, quality, service, and speed.” ([HC93], S. 32).
2.1. ÜBERBLICK
19
Degree of Business Transformation
High
5th Level
Business Scope Redefinition
4th Level
Business Network Redesign
3rd Level
Business Process Redesign
Revolutionary Levels
2nd Level
Evolutionary Levels
Internal Integration
1st Level
Localized Exploitation
Low
Low
Range of Potential Benefits
High
Abbildung 2.2: Fünf Stufen der Reorganisation von Unternehmen ([Ven91]).
Mit dem Business Process Redesign werden hauptsächlich zwei Ziele verfolgt. Ein Ziel besteht
darin, die Flexibilität der Unternehmen zu steigern, indem z.B. Kontrollen verringert und Entscheidungen delegiert werden. Das andere Ziel liegt in der Verbesserung der Reaktionsfähigkeit,
da auf wichtige Veränderungen (z.B. der Umwelt) so schnell wie möglich zu reagieren ist:
”Companies created to thrive on mass production, stability, and growth can’t be fixed
to succeed in a world where customers, competition, and change demand flexibility
and quick response.” ([HC93], S. 24).
Um diese Zielsetzungen zu erreichen, müssen die Geschäftsprozesse und Organisationen reorganisiert werden. Zudem sind die Prozesse auf ihre effiziente Erfüllung hin zu überprüfen. Beispiele
dafür sind Analysen und Simulationen mit Blick auf Kosten, Zeit und Qualität. Ferner sollten
die Prozesse auch auf Redundanzen, (bestehende) Engpässe, Ineffizienzen und Schnittstellen, wie
z.B. zu anderen Geschäftsprozessen, untersucht werden.
Für die Durchführung solcher Analysen ist es notwendig, die Prozesse formal zu spezifizieren und
zu modellieren. Davenport schlägt dazu eine auf drei Ebenen basierende Methode vor ([Dav93],
S. 139):
• Prozessebene
Die oberste Ebene ist die Prozessebene. Auf dieser Stufe werden die Geschäftsprozesse in
ihrer Gesamtheit spezifiziert, indem bspw. Eingaben, Ausgaben, Schnittstellen, Ablauflogiken und Analysekriterien angegeben werden.
20
KAPITEL 2. REGELN IN UNTERNEHMEN
• Subprozessebene
Auf der zweiten Ebene, der Subprozessebene, werden die Teilprozesse der Geschäftsprozesse spezifiziert. Dazu werden u.a. die zu erfüllenden Aktivitäten, die dafür erforderlichen
Informationen und die Aktionsträger beschrieben.
• Aktivitätenebene
Die dritte Ebene ist die Aktivitätenebene, auf der die einzelnen Aufgaben detailliert zu
spezifizieren sind. Dazu werden u.a. die zur Verarbeitung notwendigen Informationen,
Entscheidungszeitpunkte und Aktionsträger angegeben.
Mit diesem Modell können Geschäftsprozesse auf verschiedene Kriterien hin analysiert werden.
Für eine Simulation eignet sich diese Darstellung jedoch nicht, da die Prozesse nicht detailliert genug beschrieben sind. In der Literatur werden dafür zahlreiche andere Methoden, wie
z.B. synaptische Modelle, State-Transition-Diagramme und Flowcharts, vorgeschlagen und diskutiert ([MB93], S. 97ff.). Um entscheiden zu können, ob eine Methode für die Simulation von
Geschäftsprozessen geeignet ist, haben Carr und Johansson eine Liste erarbeitet, aus der ersichtlich ist, welche Daten benötigt werden und daher in der Methode spezifizierbar sein sollten
([CJ95], S. 150). Einige Beispiele dafür sind Prozessablaufdaten, wie Aktivitäten, Ressourcendaten, wie Personen und Maschinen, Eingabedaten, wie Quantitäten, und Ereignisdaten, wie
Sitzungstermine und Meilensteine.
Neben der Verwendung von Methoden zur Reorganisation von Geschäftsprozessen wird in der
Literatur auch der Einsatz von Informationstechnologien diskutiert. So weist z.B. Davenport besonders daraufhin, dass sich mit diesen Technologien Geschäftsprozessinnovationen ermöglichen
und fördern lassen. Davenport versteht darunter:
Definition 2.7 (Geschäftsprozessinnovation, Process Innovation)
”The term process innovation encompasses the envisioning of new work strategies, the actual
process design activity, and the implementation of the change in all its complex technological,
human, and organizational dimensions.” ([Dav93], S. 2).
Die Verwendung von Informationstechnologien kann nach Davenport zu verschiedenen Arten der
Prozessinnovation führen, die sich in ihrer Gesamtheit in neun Kategorien gliedern lassen (vgl.
Tab. 2.1). Eine der wichtigeren Innovationsarten sieht er in der Automation von Geschäftsprozessen:
”This opportunity, long understood in manufacturing, is the province of robotics,
cell controllors, and so forth. In service environments, where processes are frequently
defined by document flows, automational opportunities increasingly rely on imaging
systems that remove paper from the process, frequently accompanied by ’work flow’
software that defines paths images follow through a process.” ([Dav93], S. 51).
Für eine computergestützte Erfüllung von Geschäftsprozessen werden heute in den Unternehmen neben Kommunikationssystemen vor allem Informationssysteme eingesetzt. Diese Systeme
erlauben es, Informationen elektronisch zu erfassen, zu bearbeiten und nach unterschiedlichen
Gesichtspunkten auszuwerten:
2.1. ÜBERBLICK
21
Automational
Eliminating human labor from a process
Informational
Capturing process information for purposes of understanding
Sequential
Changing process sequence, or enabling parallelism
Tracking
Closely monitoring process status and objects
Analytical
Improving analysis of information and decision making
Geographical
Coordinating processes across distances
Integrative
Coordinating between tasks and processes
Intellectual
Capturing and distributing intellectual assets
Disintermediating
Eliminating intermediaries from a process
Tabelle 2.1: Einflüsse der IT auf die Prozessinnovation ([Dav93]).
Definition 2.8 (Informationssysteme (IS), Information Systems)
”Ein Informationssystem eines Unternehmens enthält die zur Kontrolle und Steuerung dieses
Unternehmens notwendigen Informationen sowie die dazugehörigen Verarbeitungsprozesse.”
([SS83], S. 13).
Informationssysteme bestehen aus Datenbanksystemen, in denen die erfassten Daten gespeichert
und verwaltet werden, und Anwendungsprogrammen, die verschiedene Sichten auf die Daten
beschreiben:
Definition 2.9 (Datenbanksysteme (DBS), Data Base Systems)
Datenbanksysteme werden für die Beschreibung, Speicherung und Wiedergewinnung von umfangreichen Datenmengen eingesetzt. Diese Systeme umfassen eine Datenbasis, in der die
Daten abgelegt sind, und das Datenbankmanagementsystem, mit denen die Daten entsprechend den vorgegebenen Beschreibungen gespeichert, wiedergefunden oder andere Datenoperationen durchgeführt werden.
Definition 2.10 (Anwendungsprogramme (AP), Applications)
In den Anwendungsprogrammen werden die Verarbeitungsprozesse spezifiziert. Dazu wird
festgelegt, wie die vom Datenbanksystem angeforderten Daten verarbeitet, verknüpft und ausgewertet werden.
Für die Gewährleistung der Datenunabhängigkeit basieren Informationssysteme auf dem 1975
von der ANSI entwickelten 3-Schema-Konzept ([ANS75]). Nach diesem Konzept werden die Daten auf drei Ebenen beschrieben (vgl. Abb. 2.3). Jede Ebene beinhaltet eine andere Datensicht.
Zur Formalisierung dienen Schemata:
• Externe Ebene
Auf der externen Ebene wird die Datenbank aus Sicht der Anwendungsprogramme beschrieben. Dazu werden die Daten in der Art und Weise spezifiziert, in der sie von den
Programmen erwartet werden.
22
KAPITEL 2. REGELN IN UNTERNEHMEN
Ben. / AP
...
Ben. / AP
Externes Modell /
Externes Schema
Ben. / AP
...
Ben. / AP
...
Ben. / AP
Externes Modell /
Externes Schema
Transformationsregeln
DBMS
...
Transformationsregeln
Konzeptionelles Modell /
Konzeptionelles Schema
Transformationsregeln
Internes Modell /
Internes Schema
BS
Speicher
...
Legende:
Ben.
AP
DBMS
BS
Benutzer
Anwendungsprogramm
Datenbankmanagementsystem
Betriebssystem
Befehlsweitergabe
Daten- und Kontrollübergabe
Ausführung einer Verarbeitung
Abbildung 2.3: 3-Schema-Konzept für Datenbanksysteme ([SS83]).
2.1. ÜBERBLICK
23
• Konzeptionelle Ebene
Auf der konzeptionellen Ebene werden die Gesamtstruktur der Daten, ihre Eigenschaften
und ihre Beziehungen formal beschrieben. Dabei werden weder Aspekte der physikalisch
implementierungsabhängigen Datenorganisation noch Anforderungen und Datenbedarf der
Anwendungsprogramme berücksichtigt.
• Interne Ebene
Auf der internen Ebene wird die physische Organisation der Daten spezifiziert.
Im Zusammenhang mit der Geschäftsprozessautomation auf der Basis von Informationssystemen
wird in der theoretischen und besonders in der praxisorientierten Literatur auf die Verwendung
von Geschäftsregeln hingewiesen ([MNP+ 91]; [SK93]; [PL94]; [Ros94]; [App95]; [JSK98]). Diese
Regeln werden dabei als wesentliche Bestandteile der Informationssysteme angesehen ([App84];
[App88]; [HK95]; [Mal97]). Da dieser Begriff oft verwendet wird, herrscht unter den Autoren
kein einheitliches Begriffsverständnis. So werden z.B. Geschäftsregeln häufig mit semantischen
Integritätsbedingungen gleichgesetzt:
”A business rule expresses specific constraints on the creation, updating, and removal
for persistent data in an information system.” ([Hal97]).
In anderen Veröffentlichungen werden Geschäftsregeln als formale Aussagen verstanden, die das
zulässige Verhalten der Aktionsträger bei der Aufgabenerfüllung festlegen:
”A rule is any logical expression describing allowable behavior in the business enterprise.” ([BBG+ 90]).
”Business rules are explicit statements stipulating a condition that must exist in a
business environment to be consistent with business policy.” ([App84]).
Auch in der Praxis wird dieser Begriff oft verwendet. So definiert z.B. die USoft, die sich mit
der Automation von Geschäftsregeln beschäftigt:
”Business rules are statements that govern the business. From the point of view
of an information system, business rules state what information is allowed, how to
deduce information, and how the system should behave in certain situations. The
business rules also define how the organization should work with the system, and
how the system should help in this work. Together with data model, the business
rules constitute the core knowledge of the business.” ([Mal97], S. 34).
In dieser Arbeit werden Geschäftsregeln als Richtlinien und Restriktionen aufgefasst, die sich sowohl auf Zustände als auch auf Prozesse einer Organisation beziehen. Damit wird das Verständnis von Herbst geteilt, der Geschäftsregeln wie folgt definiert:
Definition 2.11 (Geschäftsregeln (GR), Business Rules)
”Business rules are statements about how business is done, i.e., about guidelines and restrictions with respect to states and processes in an organization.” ([Her97], S. 2).
24
KAPITEL 2. REGELN IN UNTERNEHMEN
Aus Definition 2.11 lässt sich folgern, dass Geschäftsregeln und organisatorische Regeln das gleiche Ziel verfolgen: Die optimale Gestaltung bzw. Modellierung und effiziente Erfüllung der in den
Unternehmen existierenden Geschäftsprozesse. In diesem Sinne können Geschäftsregeln mit organisatorischen Regeln gleichgesetzt werden. Jedoch ist zu bemerken, dass mit organisatorischen
Regeln die Prozesserfüllung eher aus einer betriebswirtschaftlichen Perspektive betrachtet wird.
Geschäftsregeln zeichnen sich mehr durch eine datenverarbeitungs (DV)-technische Sichtweise
aus.
Für die Implementierung in Informationssystemen sind die Geschäftsregeln sowohl inhaltlich
als auch semantisch korrekt darzustellen. Dazu werden i. allg. Event-Condition-Action (ECA)Regeln ([CBB+ 89], S. 7) verwendet, die aus der Datenbanktheorie stammen. Eine ECA-Regel
besteht aus drei Komponenten:
• Ereignis (Event)
In der Ereigniskomponente wird spezifiziert, wodurch die Regel ausgelöst wird.
• Bedingung (Condition)
In der Bedingungskomponente wird angegeben, was nach der Regelauslösung zu überprüfen
ist.
• Aktion (Action)
In der Aktionskomponente wird spezifiziert, wie reagiert werden muss, wenn die Regel
ausgelöst und die Bedingung erfüllt ist.
Mit einer solchen formalen Beschreibung werden die Geschäftsregeln durch Situations-AktionsRegeln repräsentiert. Dabei werden Situationen, die von besonderem Interesse sind und auf die
zu reagieren ist, durch Ereignisse und Bedingungen beschrieben. Die Reaktionen werden in
den Aktionskomponenten der Regeln spezifiziert. ECA-Regeln können somit als ein Instrument
aufgefasst werden, mit dem sich ein reaktives bzw. situationsbezogenes Verhalten darstellen lässt.
Zur Veranschaulichung wird ein Beispiel betrachtet:
Beispiel 2.2 (ECA-Regel)
In vielen Unternehmen werden Informationssysteme für die Lagerverwaltung eingesetzt. Um
Probleme zu vermeiden, müssen die Artikel in genügender Anzahl verfügbar sein. Dazu wird
häufig eine Geschäftsregel verwendet, mit der die Neubestellung initiiert wird:
Wenn der Bestand eines Artikels unter einen bestimmten Schwellenwert sinkt, dann
ist für diesen eine Neubestellung auszulösen.
Diese Geschäftsregel kann als ECA-Regel wie folgt dargestellt werden:
E:
C:
A:
ON Artikelbestand manipuliert
IF (Bestand < Schwellenwert)
DO Löse Neubestellung aus.
Das Beispiel 2.2 verdeutlicht, dass bei der Geschäftsprozessautomation die betroffenen Geschäftsregeln unbedingt berücksichtigt werden müssen, wenn eine realitätsnahe Lösung angestrebt wird.
Da die Implementierung eines Informationssystems zumeist eine sehr komplexe Aufgabe darstellt, sollte sie im Rahmen einer strukturierten System-Entwicklung durchgeführt werden. Dazu
2.1. ÜBERBLICK
25
werden in der Literatur mehrere Vorgehensmodelle vorgeschlagen ([Bal92]; [Sch95b]). Diese Modelle bestehen aus mehreren Phasen, mit denen die verschiedenen Stadien einer Software von der
Entstehung bis zum Ende repräsentiert werden. Abbildung 2.4 zeigt ein Vorgehensmodell, das
sechs Phasen umfasst: Analyse, Entwurf, Implementierung, Funktionsüberprüfung, Leistungsüberprüfung und Installation, Abnahme. Da die Qualität einer Software besonders durch die ersten
beiden Phasen bestimmt ist, werden diese im Kontext der Prozessautomation genauer betrachtet:
1. Analyse
Die Analyse beinhaltet die fachliche Spezifikation der für ein Informationssystem relevanten Elemente, wie die abzudeckenden Geschäftsobjekte, Geschäftsprozesse und Geschäftsregeln sowie die zwischen ihnen bestehenden Zusammenhänge. Das Resultat besteht in einem
konzeptionellen Modell, welches das zu entwickelnde Gesamtsystem darstellt.
Wird die Automation eines Geschäftsprozesses als möglich erachtet, sind die Realweltausschnitte des Prozesses genauestens zu analysieren. Dazu müssen u.a. die Ablauflogiken
und die benötigten Daten spezifiziert werden. Zudem sind alle Geschäftsregeln zu ermitteln und zu beschreiben, die einen Einfluss auf die Prozesse ausüben ([KS97]). Dabei stellt
die Klassifikation der Regeln eine nützliche Hilfe dar.
Das konzeptionelle Modell eines Informationssystems repräsentiert die Realweltausschnitte
und setzt sich aus einem Datenmodell und einem oder mehreren Prozessmodell(en) zusammen. Für eine realistische Darstellung der Realwelten sind Methoden zu verwenden, mit
denen sich nicht nur die Daten und die Ablauflogiken, sondern auch die Geschäftsregeln
und ihre Wirkungen exakt modellieren lassen:
(a) Datenmodelle
Für die Entwicklung konzeptioneller Datenmodelle werden in der Literatur mehrere Methoden vorgeschlagen. Eine der wichtigsten ist das Entity Relationship Model
(ERM) ([Che76]; [BCN92]), bei dem die Struktur der Realweltausschnitte mit Hilfe von Entitätstypen, Beziehungstypen und Attributen modelliert wird. Für die Darstellung von Geschäftsregeln, die z.B. die Datenintegrität sicherstellen, unterstützt
diese Methode jedoch keine Konstrukte. Zur Behebung dieses Nachteils wurde das
ER-Modell erweitert. Zwei Beispiele dafür sind das Entity Relationship-Rules Model
(ER-RM) ([TNCK91]), das über ein zusätzliches Konstrukt für die Regelmodellierung
verfügt, und das Behavior Integrated Entity Relationship Model (BIER) ([EKTW87];
[KS89]) bei dem ER-Modelle und Petri-Netze kombiniert werden. In BIER werden
die Konstrukte der Petri-Netze für die Darstellung von Regeln verwendet. Aus Untersuchungen geht hervor, dass auch diese Methoden für die Regelmodellierung wenig
geeignet sind ([HKMS94]).
(b) Prozessmodelle
In Prozessmodellen werden die Ablauflogiken spezifiziert. Hierfür wird ebenfalls eine Vielzahl von Methoden vorgeschlagen. Beispiele dafür sind Datenflussdiagramme
(DFD) ([You89]; [ECS91]), Petri-Netze (PN) ([Mes90]; [GD93]; [Gat95]), der MeriseAnsatz ([QC91]; [Tar92]) und das Entity Life History Model von SSADM ([Ash88];
[DCC92]). Obgleich sich mit diesen Methoden Prozessmodelle erstellen lassen, so sind
sie doch für die Modellierung von Geschäftsregeln entweder gar nicht oder nur bedingt
geeignet ([HKMS94]).
Für die Modellierung von Geschäftsregeln werden somit Methoden benötigt, mit denen sich
die Regeln sowohl inhaltlich als auch semantisch korrekt darstellen lassen. Zudem müssen
26
KAPITEL 2. REGELN IN UNTERNEHMEN
Problem
Analysephase
Funktionsüberprüfungsphase
Anforderungsdefinition
Leistungsüberprüfungsphase
Entwurfsphase
Modifizierte
Software
Installations- und
Abnahmephase
Spezifikation
Implementierungsphase
Anforderungsgerechte Software
Wartung
Dokumentierte
Software
"Verschrottung"
Abbildung 2.4: Phasenmodell der System-Entwicklung.
in diesen Methoden die Wirkungen der Geschäftsregeln auf Daten und Prozesse modellierbar sein. Zwei Ansätze, die diese Anforderungen weitestgehend erfüllen, sind ereignisgesteuerte Prozessketten (EPK)5 ([HKS93]; [Kel94]; [Sch94], S. 49ff.) und das Business Rule
Oriented Conceptual Modeling (BROCOM)6 ([Her97]). Mit diesen Methoden lassen sich
Prozessmodelle erstellen, in denen die Ablauflogiken ereignisgesteuert auf der Grundlage
von Event-Action (EA)-Regeln und Event-Condition-Action-Action (ECAA)-Regeln modelliert werden. Für eine Darstellung der Wirkungen auf Daten können die Prozessmodelle
mit Datenmodellen, wie z.B. ER-Diagrammen, verknüpft werden.
2. Entwurf
Die Entwurfsphase umfasst die technische Spezifikation der von einem Informationssystem
zu unterstützenden Funktionen, Prozesse, Datenstrukturen und Regeln. Diese Entwurfsmodelle werden aus den entsprechenden fachlichen Konstrukten abgeleitet.
In dieser Phase werden die in der Analyse erstellten Modelle auf der Basis der einzusetzenden Technologien umgesetzt. Der Entwurf eines Informationssystems umfasst im
wesentlichen zwei Teile. Zum einem muss das Datenmodell in das Datenschema eines Datenbanksystems übertragen werden. Zum anderen sind die Prozessmodelle in Form von
Anwendungsprogrammen zu implementieren:
(a) Datenbanksysteme
Die Mehrzahl der heute kommerziell verfügbaren Datenbanksysteme basiert entweder auf einem relationalen oder einem objektorientierten Datenmodell. In relationalen
Datenbanksystemen werden die Daten und ihre Beziehungen in Form von Tabellen
(Relationen) organisiert. In objektorientierten Systemen werden die Daten als Ob5
6
vgl. Abschnitt 2.3.2.1.
vgl. Abschnitt 2.3.2.2.
2.1. ÜBERBLICK
27
jekte bezeichnet und in Klassen verwaltet. Andere Modelle, die heute in der Datenbanktheorie eine untergeordnete Stellung einnehmen, sind das hierarchische und das
netzwerkorientierte Datenmodell. Auf eine genauere Betrachtung dieser Datenbanksysteme wird daher verzichtet.
Konventionelle Datenbanksysteme eignen sich für die Implementierung von Geschäftsregeln nicht, da sie passiv sind. In diesen Systemen werden Daten dann manipuliert
und selektiert, wenn die dazu notwendigen Befehle von den Benutzern oder Anwendungsprogrammen spezifiziert und an das Datenbankmanagementsystem zur Verarbeitung übergeben werden. Neuere Trends in der Datenbankforschung beschäftigen sich damit, konventionelle Systeme in aktive Datenbanksysteme zu überführen.
Aktive Datenbanksysteme sind charakterisiert durch ein reaktives Verhalten, da sie
selbständig die definierten Situationen erkennen und darauf mit der Ausführung von
Aktionen reagieren. Diese Systeme wurden um Funktionalitäten erweitert, mit denen
Geschäftsregeln in Form von ECA-Regeln spezifiziert und ausgeführt werden können.
Die Entwicklungen der Forschung haben sich auch auf kommerzielle relationale Datenbanksysteme ausgewirkt. Heute unterstützen nahezu alle Systeme einen TriggerMechanismus, mit dem ein situationsbezogenes Verhalten implementierbar ist. Die
Geschäftsregeln werden durch Datenbanktrigger repräsentiert, die auf der ECA-Struktur basieren. Ausgelöst werden diese Trigger durch Ereignisse, die im Zusammenhang
mit der Ausführung der Datenmanipulationsbefehle insert, update und delete eintreten. Diese Ereignisse werden Datenmanipulations-Ereignisse genannt.
Kommerziell verfügbare objektorientierte Datenbanksysteme unterstützen keine Trigger-Mechanismen. Jedoch gibt es auch hier Möglichkeiten der Regelimplementierung
([Kot92]). Bei der Definition der Klassen werden u.a. die Operationen spezifiziert, mit
denen sich Objekte manipulieren und selektieren lassen. Diese Operationen werden
als Methoden bezeichnet und durch das Empfangen von Nachrichten (messages) ausgelöst. Für die Implementierung von Geschäftsregeln können entweder existierende
Methoden verwendet bzw. neue Methoden definiert werden.
(b) Anwendungsprogramme
Anwendungsprogramme werden auf der Grundlage von Programmiersprachen erstellt.
Dazu werden vor allem Sprachen der dritten Generation, wie z.B. C und Pascal,
oder Sprachen der vierten Generation, wie Uniface, Oracle*Forms und PowerBuilder, verwendet. Auf der Applikationsebene können Geschäftsregeln auf zwei Arten
implementiert werden7 . Eine Möglichkeit besteht darin, die Programme um Regeln
zu erweitern. Die andere Alternative ist die Implementierung von speziellen Programmen, in denen Regeln realisiert sind.
Diese Ausführungen zeigen, dass Geschäftsregeln bei der Geschäftsprozessautomation einen hohen Stellenwert einnehmen und daher besonders berücksichtigt werden müssen. Dazu sind u.a.
die betroffenen Regeln zu ermitteln, sorgfältig zu analysieren, konzeptionell exakt zu beschreiben
und, wenn es ihre Inhalte zulassen, auf eine geeignete Art und Weise in Informationssystemen
zu implementieren.
In den nachfolgenden Abschnitten wird auf diese Aspekte genauer eingegangen. Dazu werden
zuerst die organisatorischen Regeln, ihre Schaffung und Einführung in Unternehmen aus einer
organisationstheoretischen Perspektive betrachtet. Im Anschluss daran werden Geschäftsregeln
erläutert, wobei auf Klassifikationsansätze, Methoden der Modellierung und Alternativen der
Implementierung in Informationssystemen eingegangen wird.
7
vgl. Abschnitt 2.3.3.1.
28
KAPITEL 2. REGELN IN UNTERNEHMEN
2.2
Organisatorische Regeln
In ihrer Gesamtheit bilden die organisatorischen Regeln eines Unternehmens ein formales und
künstliches Gebilde, das in der betriebswirtschaftlichen Literatur als (formale) Organisation bezeichnet wird ([Gro82], S. 1). Die Schaffung und Einführung dieser Regeln wird als eine entscheidende Aktivität angesehen, die i. allg. von Mitgliedern der Geschäftsleitung, Abteilungsleitern,
speziellen Organisationsfachleuten oder externen Beratern ausgeübt bzw. unterstützt wird. Daneben existiert in den Unternehmen aber auch eine Vielzahl von Regeln, die nicht von den dazu
legimitierten Stellen erzeugt und eingeführt werden. Die Gesamtheit dieser organisatorischen
Regeln wird als informale Organisation bezeichnet ([Gro78], S. 13ff.).
Die Organisationen repräsentieren den Rahmen, innerhalb dessen die Geschäftsprozesse ablaufen. Um ihre effiziente Erfüllung zu gewährleisten, wird die Gesamtaufgabe des Unternehmens
in Teilaufgaben zerlegt und den geschaffenen Aktionseinheiten (Stellen, Abteilungen) zugeordnet ([Gro82], S. 2). Für die Koordination des Zusammenwirkens der Aktionseinheiten werden
vielfältige und zahlreiche organisatorische Regeln eingesetzt. Diese Regeln stellen somit ein wichtiges Instrument dar, zur Handhabung komplexer Aufgaben in Unternehmen ([Gro82], S. 25).
Neben dieser Koordinationsaufgabe werden organisatorische Regeln auch für andere Aufgabenzwecke eingesetzt:
• Führungsinstrument
Als Führungsinstrument umfassen organisatorische Regeln alle die für die Realisierung
gewählter Handlungsalternativen notwendigen institutionellen, funktionellen und instrumentalen Begebenheiten. Diese Regeln dienen zur Willenskundgebung der Geschäftsleitung sowie zur Willensübertragung und Willensannahme der ihr unterstellten Mitarbeiter
([Rü93], S. 18).
• Ordnungsinstrument
Als Ordnungsinstrument kommt den organisatorischen Regeln die Strukturierung des Unternehmens zu. Diese Regeln werden auch als ordnungsgenerierende Maschinen ([Per89],
S. 6) bezeichnet, die, als Mittel zum Zweck, primär der Leistungssicherung dienen. Zudem
schaffen sie die notwendigen Voraussetzungen, um die Leistungspotentiale des Unternehmens im Sinne der verfolgten Strategien wirksam zu entfalten ([Gro82], S. 92; [Sut95],
S. 6).
• Motivations- bzw. Demotivationsfunktion
Jede organisatorische Regel weist in Abhängigkeit der Situation eine Motivations- oder
Demotivationsfunktion auf. Wird z.B. eine Regel als Orientierungshilfe für die berufliche Tätigkeit eingesetzt, dann kann sie motivationsfördernd wirken. Im Unterschied dazu
haben Regeln, die als Machtinstrument verwendet werden, eher eine demotivierende Wirkung, da sie die Entfaltungsmöglichkeiten der Mitarbeiter einengen ([Gro78], S. 16).
Weitere Beispiele für Aufgabenzwecke der organisatorischen Regeln sind Zielsetzungs-, Umsetzungs-, Unterstützungs- und Informationsfunktionen ([Rü93], S. 21f.).
Um die Wirkungen der organisatorischen Regeln entsprechend entfalten zu können, müssen
geeignete Formen der Realisierung gewählt werden. Drei Beispiele dafür sind:
• Graphische Hilfsmittel
Mit graphischen Hilfsmitteln lassen sich relativ einfache Sachverhalte im Überblick darstellen. Beispiele dafür sind Organigramme, Ablaufdarstellungen und Funktionsdiagramme.
2.2. ORGANISATORISCHE REGELN
29
• Verbale Darstellungen
Verbale Darstellungen organisatorischer Regeln werden hauptsächlich für die Beschreibung
differenzierter Sachverhalte verwendet. Beispiele dafür sind Statuten, Reglemente, Stellenbeschreibungen, Arbeitsverträge, Vorschriften, Bestimmungen, Richtlinien sowie Arbeitsund Dienstanleitungen.
• Formale Spezifikationen
Diese Spezifikationen sind im Vergleich zu den anderen beiden Realisierungsformen am
präzisesten. Jedoch sind sie schwer kommunizierbar. Beispiele dafür sind formale Logiken
und Spezifikationssprachen.
Da die Zahl der im Unternehmen existierenden Regeln immens gross sein kann, wird es als sinnvoll und hilfreich erachtet, die organisatorischen Regeln schriftlich zu fixieren, zu strukturieren
und durch identifizierende Kriterien eindeutig zu klassifizieren. Für eine optimale Gestaltung
und Wirkungsentfaltung der Regeln ist aber ihre möglichst lückenlose Kenntnis eine wichtige Voraussetzung. Dabei bietet die Einordnung organisatorischer Regeln nach ihrer Herkunft
(Quellen) eine hilfreiche Unterstützung.
2.2.1
Quellen
Organisatorische Regeln können verschiedener Herkunft (Quelle) sein. So gibt es bspw. Regeln,
die vom Unternehmen selbst geschaffen und eingeführt werden, um die Koordination der arbeitsteiligen Geschäftsprozesse sicherzustellen. Daneben existiert aber auch eine Vielzahl von
Regeln, die den Unternehmen extern vorgegeben sind und auch berücksichtigt werden müssen.
Ein Beispiel dafür sind Regeln, die in Gesetzen verankert sind.
Aufgrund dieser verschiedenen Herkunftsarten erscheint es sinnvoll, die Gesamtheit der organisatorischen Regeln auf einer ersten Stufe in unternehmensinterne und unternehmensexterne
Quellen zu gliedern ([Sut95], S. 14ff.) (vgl. Abb. 2.5):
1. Unternehmensinterne Quellen
In dieser Klasse sind organisatorische Regeln zusammengefasst, die vom Unternehmen
selbst geschaffen werden. Diese Regeln können zwar vom Unternehmen beliebig verändert
werden, jedoch ist zu beachten, dass die erzielbaren Wirkungen von den Situationen
abhängen, in denen sie eingesetzt werden. Im Hinblick auf den Anlassgrund lassen sie
sich in zwei weitere Klassen gliedern:
(a) Neuorganisation (Primärquellen)
Bei der Neuorganisation wird ein Unternehmen neu gegründet, eine Abteilung oder
Stelle neu geschaffen ([Gro82], S. 24). Die hierzu erzeugten und eingeführten organisatorischen Regeln werden daher Primärquellen zugeordnet, da sie sich nicht direkt
aus Regeln anderer Quellen ableiten lassen. Da diese Regeln nicht immer von den
dazu legimitierten Stellen geschaffen werden, ist eine weitere Gliederung sinnvoll:
• Selbstorganisation
Diese Klasse beinhaltet die organisatorischen Regeln, die von den neu geschaffenen Stellen oder Abteilungen selbst erzeugt und eingeführt werden.
• Fremdorganisation
In dieser Klasse sind die organisatorischen Regeln zusammengefasst, die von den
dazu legimitierten Stellen geschaffen werden.
30
KAPITEL 2. REGELN IN UNTERNEHMEN
Quellen
organisatorischer Regeln
Unternehmensinterne
Quellen
Neuorganisation
Selbstorganisation
Unternehmensexterne
Quellen
Reorganisation
Fremdorganisation
Selbstorganisation
Fremdorganisation
Naturgegebene Fakten
Normen
Ethische
Normen
Kulturelle
Normen
Rechtliche
Normen
Abbildung 2.5: Quellen organisatorischer Regeln.
(b) Reorganisation (Sekundärquellen)
Bei einer Reorganisation wird der Tatbestand erkannt, dass die Organisationen aufgrund geänderter Zielsetzungen, Situationen und/oder Bedingungen ihre Wirkungen
verlieren. So werden z.B. Verfahrensrichtlinien revidiert, Kompetenzen erweitert oder
eingeschränkt und bisher getrennte Stellen zusammengefasst. Um dennoch eine effiziente Erfüllung der Gesamtaufgabe des Unternehmens und/oder der Aufgaben einzelner Teilbereiche, Abteilungen oder Stellen zu gewährleisten, sind die Regeln zu
aktualisieren ([Gro82], S. 24). Da diese neuen Regeln auf bereits bestehende organisatorische Regeln zurückgeführt werden können, lassen sie sich Sekundärquellen
zuordnen. Auf einer nächsten Stufe können diese organisatorischen Regeln in Selbstund Fremdorganisation gegliedert werden, weil sie nicht nur von den dazu legimitierten Stellen eingeführt werden.
2. Unternehmensexterne Quellen
Die Klasse der unternehmensexternen Quellen beinhaltet die organisatorischen Regeln, die
dem Unternehmen exogen vorgegeben sind. Diese Regeln können entweder gar nicht oder
nur beschränkt beeinflusst werden. In ihrer Gesamtheit lassen sie sich auf einer nächsten
Ebene in naturgegebene Fakten und Normen unterteilen:
(a) Naturgegebene Fakten
Naturgegebene Fakten sind organisatorische Regeln, die unwiderruflichen Tatsachen
entsprechen und ohne Zeitbeschränkung gültig sind. Ein Beispiel für eine solche Regel
ist:
Das Geschlecht eines jeden Menschen ist entweder weiblich oder männlich.
(b) Normen
Normen können sich im Laufe der Zeit verändern und regionale Unterschiede aufweisen, da sie durch die Wertvorstellungen der Gesellschaft geprägt sind. Aus Sicht
der Unternehmen sind Normen kaum steuerbar, weshalb sie auch als unveränderbar
angesehen werden ([Rü93], S. 26f.; [HK95]).
2.2. ORGANISATORISCHE REGELN
31
Normen lassen sich in ethische, kulturelle und rechtliche Normen gliedern. Kulturelle
und ethische Normen äussern sich hauptsächlich im Rahmen der in den letzten Jahren
an Bedeutung gewonnen kulturellen und ethischen Grundsätze. Rechtliche Normen
konkretisieren sich in der Rechtsprechung und Rechtswirklichkeit. Für die Unternehmen sind diese Normen verbindlich und müssen daher strikt eingehalten werden. Ein
Beispiel für eine solche Regel ist:
Jeder neu eingestellte Mitarbeiter muss mindestens 14 Jahre alt sein (Verbot
der Kinderarbeit).
2.2.2
Formalisierung und Dokumentation
Um die Übersichtlichkeit der in einem Unternehmen existierenden organisatorischen Regeln zu
erhöhen, ist ihre Formalisierung und Dokumentation hilfreich.
2.2.2.1
Formalisierung
In der organisationstheoretischen Literatur wird der Begriff Formalisierung unterschiedlich verwendet:
• So versteht z.B. Schmidt unter diesem Begriff die schriftliche Fixierung organisatorischer
Regeln, die u.a. in Organisationshandbüchern beschrieben sind ([Sch85], S. 38).
• Grochla bezeichnet mit Formalisierung die Festlegung von Geschäftsprozessen, die durch
ihre Programmierung und Dokumentation erfolgt. Dadurch wird jedem einzelnen Aktionsträger mehr oder weniger genau der Handlungsspielraum vorgeschrieben, den er bei der
Erfüllung seiner Aufgaben einzuhalten hat ([Gro82], S. 174ff.).
Die von Schmidt formulierte Definition kann als ein Teilaspekt des Begriffsverständnisses von
Grochla aufgefasst werden, da bei der Festlegung von Geschäftsprozessen auch organisatorische
Regeln berücksichtigt und schriftlich formuliert werden.
Aus einer historischen Perspektive betrachtet existierten in den früheren Jahrhunderten kaum
schriftlich formulierte Regeln. Bis in die späten 60er Jahre des 19. Jahrhunderts galten mündliche Instruktionen als die beste Form der organisatorischen Anweisung. Gegen Ende dieses Jahrhunderts wurden die Betriebsvorgänge aufgrund der beginnenden Industrialisierung zunehmend
reglementiert und arbeitsteilig organisiert. An die Stelle von persönlichen Beziehungen traten
allgemeine, schriftlich formulierte Verfahrensregeln. Diese wurden u.a. in Form von Dienstreglementen, Pflichtenheften und Betriebsordnungen verankert. So wurden z.B. in Grossunternehmen Arbeitskarten und Formulare eingeführt ([Hei93], S. 162). Um die Kontrolle zu verbessern
und die Informationsflüsse übersichtlicher zu gestalten, wurde bereits 1878 in einem betriebsorganisatorischen Handbuch der Vorschlag unterbreitet, Aufträge, Konstruktionsangaben und
Magazinbestellungen numerisch zu kennzeichnen und diese Nummern in Formulare einzutragen
([Koc69]).
In der heutigen Zeit stellt die Formalisierung organisatorischer Regeln in gewissen Situationen ein
notwendiges Mittel dar, um die Koordination der organisatorischen Einzelaktivitäten bewältigen
zu können. Zudem herrscht vielfach die Überzeugung, dass mündliche Regeln oft (zu) spontan
ausgesprochen werden. Ein Vorteil bei der schriftlichen Fixierung wird darin gesehen, dass die
Mitarbeiter zum Nachdenken aufgefordert werden, ob diese Regeln wirklich notwendig und wenn
ja, ob sie auch in der beschriebenen Form sinnvoll sind ([Kor69]).
32
KAPITEL 2. REGELN IN UNTERNEHMEN
2.2.2.2
Dokumentation
Für die Dokumentation organisatorischer Regeln werden in Unternehmen oft Organisationshandbücher verwendet. Da die Regeln in diesen Handbüchern schriftlich verankert sind, tragen
sie zu ihrer Verbreitung bei und fördern ihre Anwendung. Neben den Regeln beinhalten diese Bücher auch Unternehmensziele, Organisationsprinzipien, Führungsprinzipien, Abläufe sowie
unternehmensinterne und -externe Veröffentlichungen ([Sch89], S. 336f.; [Sut95], S. 18ff.).
Organisationshandbücher können sehr umfangreich sein. Daher wird eine übersichtliche Gliederung und klare Strukturierung sowie die Verwendung einer einheitlichen Terminologie als
wichtig angesehen ([Gro82], S. 179). Zudem ist die Auswahl eines zweckmässigen Erfassungs-,
Wartungs- und Vervielfältigungsverfahrens von hoher Bedeutung ([Sch89], S. 338). Aus diesem
Grund sollte das Handbuch von einer zentralen Stelle im Unternehmen, wie bspw. der Organisationsabteilung, herausgegeben werden.
In grossen Unternehmen können mehrere Organisationshandbücher existieren. Umfangreiche
Handbücher weisen i. allg. eine Gliederung in vier Teile auf ([Gro82], S. 179; [Sch85], S. 337):
1. Allgemeines
In diesem ersten Abschnitt wird zumeist eine Übersicht über die Besetzung und Aufgabenverteilung in der Unternehmensspitze gegeben. Zudem werden die Unternehmensziele, die
Unternehmenspolitik sowie generelle Organisationsprinzipien aufgeführt. Oft wird auch
eine allgemeine Führungsanweisung zur Dokumentation des hausinternen Führungsstils
wiedergegeben.
2. Aufbauorganisation
In diesem Teil wird die Aufbauorganisation des Unternehmens beschrieben. I. allg. wird
dazu das Organigramm des Unternehmens verwendet, das gegebenenfalls von Angaben
über Stellen-, Besetzungs- und Kostenpläne ergänzt wird.
3. Ablauforganisation
Die Ablauforganisation des Unternehmens wird mit Hilfe von Arbeitsanweisungen (Ablaufbeschreibungen) und Verfahrensregelungen dargestellt. Beispiele dafür sind Spesenund Kassenordnungen, Regelungen der Aus- und Weiterbildung, Postordnungen sowie die
Benutzung von Firmenwagen. Bei Bedarf können auch Entscheidungstabellen in das Organisationshandbuch einbezogen werden.
4. Anhang
Der Anhang eines Organisationshandbuches beinhaltet eine Zusammenfassung aller Aufzeichnungen, welche die vorangehenden Ausführungen ergänzen. Üblicherweise umfasst
dieser Teil das Nummern- und Begriffssystem, verschiedene Verzeichnisse (Schlüssel-, Abkürzungs-, Formular-, Organisations- und Kostenstellenverzeichnis), Verkaufs- und Lieferbedingungen sowie einen Lage- und Wegeplan.
Durch die Führung und die laufende Aktualisierung eines Organisationshandbuches ergeben sich
mehrere Vorteile:
• Das Handbuch dient als Nachschlagewerk zur schnellen und gezielten Informationsbeschaffung über organisatorische Regeln. Zudem kann das Verständnis der Mitarbeiter für die
Belange der übergeordneten Gesamtorganisation gefördert und Widersprüche sowie Überschneidungen innerhalb des organisatorischen und informationsorientierten Ablaufgefüges
können reduziert werden ([NLB78], S. 34).
2.2. ORGANISATORISCHE REGELN
33
• Das Organisationshandbuch kann als Führungsinstrument eingesetzt werden, indem es die
Mitarbeiter und Manager über Ziele und Aufgaben des Unternehmens und ihrer Teilbereiche informiert. Zudem lässt sich das Handbuch als Kontrollinstrument verwenden, da
es Überprüfungen nach einheitlichen und optimalen Kriterien erlaubt. Es erleichtert auch
die Koordination der Geschäftsprozesse ([Gro82], S. 178ff.).
• Den Mitarbeitern dient das Handbuch als Orientierungs- und Kontrollinstrument, da sie
ihre Handlungen und Entscheidungen überprüfen können. Neu eingestellten Mitarbeitern
und Ersatzkräften wird durch das Handbuch die Einarbeitung erleichtert ([MN80]; [Gro82],
S. 178).
• Das Handbuch fördert die fortlaufende Weiterentwicklung der Gesamtorganisation, da die
Regeln und Vorschriften systematisch zusammengefasst sind und organisatorische Teillösungen besser aufeinander abgestimmt werden können. Eine laufende Aktualisierung
führt dazu, dass die Organisationshandbücher immer auf dem neuesten Stand sind und
organisatorische Änderungen sich schnell verbreiten. Ferner kann der Moment der Formalisierung von Regeln ein neues organisatorisches Bewusstsein suggerieren ([MN80]).
Diesen Vorteilen stehen aber auch einige Nachteile gegenüber:
• Kritische Stimmen der Praxis behaupten, dass die Führung eines Organisationshandbuches
die Flexibilität eines Unternehmens einschränke.
Dieses Argument kann dadurch entkräftet werden, dass das Handbuch selbst keine Regeln schafft, sondern nur Sachverhalte dokumentiert, die zwar vorher geregelt, aber noch
nicht systematisiert waren. Infolgedessen wird die Flexibilität nicht durch das Handbuch
eingeschränkt, sondern durch die Formalisierung starrer Regeln ([Gro82], S. 179).
• Kritisiert werden auch die erhöhten Personalkosten, die für die fortlaufende Bearbeitung
und Aktualisierung des Handbuches benötigt werden.
Personalkosten fallen nicht nur bei der Führung und Aktualisierung der Organisationshandbücher an sondern generell für die Anfertigung beliebiger Dokumentationen. Dieses Argument wird zusätzlich dadurch entkräftet, dass die geschaffenen organisatorischen
Regeln nur den unbedingt notwendigen Rahmen bilden, der durch eigenverantwortliches
Handeln ausgefüllt wird ([Sut95], S. 22).
2.2.3
Organisatorischer Gestaltungsprozess
Organisationen bilden die Rahmen, in denen die Geschäftsprozesse ablaufen. Ein solches System
ergibt sich aber nicht von selbst, sondern stellt vielmehr das Resultat einer organisatorischen
Gestaltung dar, die alle Aktivitäten umfasst, mit denen die Schaffung und Einführung organisatorischer Regeln als Ziel verfolgt wird ([Gro82], S. 2). Die organisatorische Gestaltung ist somit
das Mittel, mit dem sich Organisationsstrukturen bilden lassen.
2.2.3.1
Führungsaufgabe
In der klassischen Managementlehre wurde bereits früh erkannt, dass die Tätigkeit des Organisierens eine der Funktionen ist, die vom Top-Management übernommen werden muss ([Gro82],
S. 4). Diese Sichtweise ist dahingehend zu erweitern, dass jeder Manager im Rahmen seines
34
KAPITEL 2. REGELN IN UNTERNEHMEN
Verantwortungsbereiches als ein organisatorischer Gestalter agieren muss. Die organisatorische
Gestaltung stellt eine arbeitsteilige Aufgabe dar, die vom oberen, mittleren und unteren Management zu erfüllen ist ([Gro82], S. 4f.):
• Das obere Manangement ist verantwortlich für die Behandlung von organisatorischen Problemen, die das Unternehmen in der Gesamtheit betreffen. Beispiele dafür sind die Neubildung oder Neuordnung wichtiger Teilbereiche und die Anpassung von Abläufen wesentlicher Planungs-, Entscheidungs- und Kontrollprozesse.
• Das mittlere Management beschäftigt sich mit abteilungsspezifischen, aufbau- und ablauforganisatorischen Problemen. Die Schaffung neuer Stellen, die Neuordnung bestehender
Stellen und die Einführung neuer Verfahren können hier als Beispiele angeführt werden.
• Das untere Management setzt sich mit der Lösung ablauforganisatorischer Probleme auseinander. Beispiele dafür sind Veränderungen in den Arbeitsgruppen und innerhalb einzelner Stellen.
In der Praxis wird der Bedeutung, die organisatorische Gestaltung als eine Führungsaufgabe zu
betrachten, wenig Beachtung geschenkt. So zeigt sich, dass das Organisieren unsystematisch und
auf der Grundlage von ad-hoc-Handlungen erfolgt. Zudem werden Entscheidungen über bedeutende organisatorische Veränderungen ohne klare Problemdefinition, ohne eingehenden Vergleich
zu Alternativen sowie ohne klar definierte Beurteilungskriterien und Lösungsanforderungen getroffen ([Gro82], S. 5).
Für die Unternehmen stellt die organisatorische Gestaltung eine äusserst komplexe Aufgabe
dar. Gründe dafür sind darin zu sehen, dass sich durch eine hohe Innovationsrate immer kürzer
werdene Produktlebenszyklen ergeben, und dass sich durch die zunehmende Konkurrenz die
Bedingungen ständig ändern, um in einem Markt erfolgreich zu sein. Zudem verändern sich
die Anforderungen und Erwartungen der Mitarbeiter und Manager an das Unternehmen. Mit
der Verfügbarkeit von Informationstechnologien ergeben sich zusätzliche Möglichkeiten, um z.B.
Geschäftsprozesse in den Bereichen der Informationsverarbeitung oder der Fertigung vollständig
oder doch zumindest teilweise zu automatisieren. Daher müssen diese sich ständig neu einstellenden Anforderungen, die einen wesentlichen Einfluss auf die Organisationen ausüben, bei einer
organisatorischen Gestaltung berücksichtigt werden.
Um die Entwicklung einer kreativen organisatorischen Lösung zu erhöhen, ist eine systematische
Analyse des Gegenstandsbereiches und der Probleme der organisatorischen Gestaltung sowie die
Herausarbeitung der für das Organisieren bedeutenden Ziele, Massnahmen und Bedingungen
wichtig ([Gro82], S. 7). Zudem müssen mehrere Problemdimensionen berücksichtigt werden,
wenn eine umfassende und realistische Behandlung angestrebt wird.
2.2.3.2
Problemdimensionen
Bei der organisatorischen Gestaltung müssen mehrere Problematiken gleichzeitig betrachtet werden. Nach Grochla lassen sich diese Probleme in drei Dimensionen gliedern ([Gro82], S. 8ff.), die
er als Objektbereich, Mehrstufigkeit und sachlich-logische, politische Dimension bezeichnet (vgl.
Abb. 2.6):
2.2. ORGANISATORISCHE REGELN
35
Mehrstufigkeit
Sachlich-logische,
politische Dimension
detailliertspezielle
Ebene
globalprinzipielle
Ebene
Detailstruktur
Rahmenstruktur
Gestaltungstaktik
Gestaltungsstrategie
politische
Dimension
sachlich-logische
Dimension
Objektbereich
Organisationsstruktur
Gestaltungsprozess
Abbildung 2.6: Organisatorische Gestaltung als mehrdimensionales Problem ([Gro82]).
1. Objektbereich
Der Objektbereich stellt die erste Dimension dar. Die Hauptprobleme werden hier in der
Gestaltung der Organisationsstruktur und der Gestaltung des organisatorischen Gestaltungsprozesses gesehen:
• Gestaltung der Organisationsstruktur
Bei der Gestaltung der Organisationsstruktur wird als Ziel die Entwicklung eines Systems von personenbezogenen Verhaltensregeln und maschinenbezogenen Funktionsregeln verfolgt, mit dem sich eine effiziente Erfüllung der Geschäftsprozesse dauerhaft
sicherstellen lässt. Für die Schaffung einer geeigneten Organisationsstruktur sind die
Aufbauorganisation8 und Ablauforganisation9 zu gestalten.
Für die Gestaltung der Organisationsstruktur sind je nach Umfang des Problems
unterschiedlich komplexe Gestaltungsprozesse erforderlich. Dabei ist es ohne Bedeutung, ob es sich um ein umfassendes Problem, wie die Reorganisation, oder nur um
ein begrenztes Problem, wie die Zusammenfassung einzelner Stellen, handelt.
• Gestaltung des organisatorischen Gestaltungsprozesses
Die Gestaltung des organisatorischen Gestaltungsprozesses bildet das zweite Problemfeld, das sich aus der Aufgabe zur Gestaltung der Organisationsstruktur ableitet.
Daher wird hier auch von einer derivativen Aufgabe gesprochen ([Gro82], S. 8). Der
Gestaltungsprozess bedarf selbst einer systematischen Gestaltung, in der im wesentlichen die Arbeitsteilung und die Koordination des Prozesses festgelegt wird. Zusätzlich
müssen die Träger bestimmt werden, die Gestaltungsaufgaben übernehmen ([Gro82],
8
9
vgl. Def. 2.3 in Abschnitt 2.1.
vgl. Def. 2.4 in Abschnitt 2.1.
36
KAPITEL 2. REGELN IN UNTERNEHMEN
S. 27). Das Ergebnis ist eine Organisation auf Zeit, innerhalb der sich der organisatorische Gestaltungsprozess vollzieht. Bei der Entwicklung dieser Organisation sind
eine Reihe von Bedingungen zu beachten. Beispiele dafür sind die Dringlichkeit des
Gestaltungsproblems, verfügbares Know-how, rechtliche Vorschriften sowie prozessund ergebnisbezogene Zielsetzungen.
Bei der Gestaltung des Gestaltungsprozesses bestehen grundsätzlich ähnliche aufbauund ablauforganisatorische Probleme wie bei der Gestaltung der Organisationsstruktur ([Gro82], S. 27). Im einzelnen ergeben sich aber besondere Ansatzpunkte der Prozessgestaltung. So kann u.a. die zeitliche Abfolge der Behandlung von Teilproblemen
und die Mitwirkung bestimmter Unternehmensmitglieder in einzelnen Phasen unterschiedlich festgelegt sein. Dadurch wird nicht nur die Qualität der zu schaffenden
organisatorischen Regeln beeinflusst, sondern es ergeben sich auch weitere organisatorisch bedeutsame Konsequenzen. Ein Beispiel dafür sind die Beziehungen zwischen
der Organisationsabteilung und den Fachabteilungen, welche die Art der Verknüpfung
von Fach- und Methodenwissen und damit die Qualität der Problemlösung beeinflussen. Diese Beziehungen können auch Auswirkungen auf die Akzeptanz der erzeugten
Regeln sowie auf die Kommunikation und Kooperation zwischen den Mitarbeitern
der Organisationsabteilung und der Fachabteilungen haben.
Die Ausführungen verdeutlichen, dass diese beiden Gestaltungsaufgaben eng miteinander
verbunden sind. Um eine systematische Lösung des strukturellen Problems und damit ein
qualitativ hochwertiges Gestaltungsergebnis zu erreichen, ist ein zweckmässig organisierter
Gestaltungsprozess eine wichtige Voraussetzung.
2. Mehrstufigkeit
Die organisatorische Gestaltung erfordert eine Vorgehensweise, bei der die ständigen Anpassungen der Organisationsstruktur an die Unternehmensentwicklung berücksichtigt werden. So sind bspw. einzelne Geschäftsprozesse immer wieder neu zu gestalten. Häufig
müssen auch Anpassungen der Struktur einzelner Teilbereiche, Abteilungen und Stellen
vorgenommen werden.
Die Mehrstufigkeit der organisatorischen Gestaltung wird daher als die zweite Dimension
angesehen. Mehrstufiges Vorgehen bedeutet in diesem Kontext die Unterscheidung und
Betrachtung verschiedener Detaillierungsstufen sowohl für die Gestaltung der Organisationsstruktur als auch für die Gestaltung des organisatorischen Gestaltungsprozesses. Es
wird zwischen zwei Stufen unterschieden ([Gro82], S. 9ff.):
(a) Global-prinzipielle Ebene
Auf dieser Ebene werden bei der Gestaltung der Organisationsstruktur Grundsatzentscheidungen über die wesentlichen Merkmale der angestrebten Aufbau- und Ablauforganisation getroffen. Dabei werden für die Organisationsstruktur Rahmenvorgaben
festgelegt, die eine tendenziell langfristige Geltungsdauer besitzen.
Für die prozessuale Gestaltungsaufgabe werden auf dieser Ebene Grundsatzentscheidungen über die Träger und den Ablauf der organisatorischen Gestaltungsaufgabe
gefällt. Dies erscheint vorteilhaft, da solche Prozesse in verschiedenen Organisationsprojekten immer wieder ihre Anwendung finden und daher zumindest grundsätzlich
einer generellen organisatorischen Regelung zugänglich sind.
Alle diese Entscheidungen legen die Gestaltungsstrategie fest, die eine allgemein gültige Leitlinie für die Abwicklung organisatorischer Gestaltungsprojekte im Unternehmen darstellt. Diese Strategie eröffnet Handlungsspielräume für projektspezifische
Gestaltungsprozesse und grenzt diese zugleich ab.
2.2. ORGANISATORISCHE REGELN
37
(b) Detailliert-spezielle Ebene
Auf der detailliert-speziellen Ebene werden bei der Gestaltung der Organisationsstruktur die Einzelheiten der Aufbau- und Ablauforganisation festgelegt. Dabei sind
die durch die vorgegebene Rahmenstruktur eröffneten und abgegrenzten Handlungsspielräume mit dem Ziel auszufüllen, ein funktionsfähiges System organisatorischer
Regeln zu schaffen und einzuführen.
Bei der prozessualen Gestaltungsaufgabe wird auf dieser Ebene die Gestaltungstaktik festgelegt, mit der die zuvor bestimmten Handlungsspielräume ausgefüllt werden.
Diese sind von Projekt zu Projekt dispositiv festzulegen. So werden hier beispielsweise Termine für die Abwicklung einzelner Aktivitäten innerhalb eines abgegrenzten
Projektes determiniert, Aktionsträger mit der Durchführung bestimmter Aufgaben
beauftragt und u.U. auch bestimmte Instrumente zur Steuerung und Kontrolle vorgegeben.
3. Sachlich-logische, politische Dimension
Die organisatorische Gestaltung stellt grundsätzlich einen rational, sachlich-logischen Prozess dar, der aber von Konflikten, Machtkämpfen und Beeinflussungsaktivitäten der am
Prozess beteiligten Personen überlagert wird. Diese Aktivitäten können als politisch bezeichnet werden, da sie das Ziel verfolgen, bestimmte organisatorische Veränderungen entweder zu fördern oder zu verhindern. Diese politischen Aktivitäten sind u.a. darin begründet, dass Veränderungen der Organisationsstruktur im Unternehmen zu Veränderungen der Machtstruktur und/oder zu Statusgewinnen oder -verlusten einzelner Stelleninhaber führen. Daher muss die organisatorische Gestaltung stets als ein sachlich-logischer und
zugleich als ein politischer Problemlösungsprozess angesehen werden.
Die Organisationspraxis zeigt, dass es oft wesentlich schwieriger ist, sachlich richtige organisatorische Lösungen den betroffenen Personen zu ’verkaufen’, als diese Lösungen zu
entwickeln ([Gro82], S. 11). So kann es vorkommen, dass aufgrund unüberwindbarer Widerstände einflussreicher Personen notwendige organisatorische Anpassungen im Unternehmen unterbleiben oder aufgeschoben werden. Auch können Lösungskonzepte in einer Weise
abgewandelt werden, dass sie kaum noch den ursprünglichen Intentionen entsprechen.
Daher muss von den am Gestaltungsprozess beteiligten Personen ein politisches Verhalten
verlangt werden. Dies wird dadurch gestützt, dass die organisatorische Gestaltung nicht
die Aufgabe einer einzelnen, sondern mehrerer Personen ist, die nur einen begrenzten
Ausschnitt des Gesamtproblems sehen und darüber hinaus diesen mit ihren oft erheblich
voneinander abweichenden Interessen, Zielen und Wertvorstellungen betrachten. Daher
gilt es, die politische Komponente der organisatorischen Gestaltung nicht nur bei der
Entwicklung von Gestaltungsstrategien zu berücksichtigen, sondern sie muss auch in die
Überlegungen zur Gestaltung der Rahmen- und Detailstruktur einfliessen. Es stellt sich
also nicht nur die Frage, ob ein entwickeltes Lösungskonzept sachlich richtig ist und zu den
unternehmerischen Zielsetzungen beiträgt, sondern auch, ob sich dieses Konzept, politisch
gesehen, durchsetzen lässt.
Neben der Festlegung der Gestaltungsziele bedarf es der Identifizierung der relevanten Gestaltungsbedingungen, die bei der Problemlösung zu beachten sind.
2.2.3.3
Gestaltungsbedingungen
Bei der organisatorischen Gestaltung müssen verschiedene Gestaltungsbedingungen berücksichtigt werden, die kurzfristig als nicht beeinflussbare Faktoren aufzufassen sind. Langfristig gesehen
38
KAPITEL 2. REGELN IN UNTERNEHMEN
sind einige der Gestaltungsbedingungen durch das Unternehmen veränderbar. Dabei handelt es
sich insbesondere um solche Bedingungen, die das Unternehmen selbst aufgestellt hat. In ihrer Gesamtheit beschreiben die Gestaltungsbedingungen den Raum zulässiger organisatorischer
Lösungen. Für die Beschreibung der Situationen, unter denen organisatorische Regeln geschaffen und eingeführt werden, umfassen die Bedingungen gewisse Parameter. Dabei üben diese
Parameter einen direkten Einfluss auf die Wirkungen der Regeln aus. Falls sich die Parameter
ändern, ist zu prüfen, ob die betroffenen Regeln aktualisiert werden sollen.
Aus Sicht der Unternehmen lassen sich die zu berücksichtigenden Bedingungen in unternehmensinterne und unternehmensexterne Gestaltungsbedingungen gliedern ([Gro82], S. 116ff.):
1. Unternehmensinterne Gestaltungsbedingungen
Diese Klasse beinhaltet die Gestaltungsbedingungen, welche die unternehmensspezifischen
Umstände beschreiben, unter denen organisiert wird. Sie beeinflussen die Erfüllung der
Geschäftsprozesse in unterschiedlicher Weise. Zu den wichtigsten Einflussfaktoren werden
die Art der zu erfüllenden Aufgabe, der Entwicklungsstand eines Unternehmens, die Unternehmensgrösse, die Management- und Mitarbeitereinstellungen sowie die Fähigkeiten und
Motivationen des Managements und der Mitarbeiter gezählt (vgl. Abb. 2.7):
(a) Art der zu erfüllenden Aufgabe
Eine der wichtigsten internen Gestaltungsbedingungen ist die Art der zu erfüllenden
Aufgabe. Darunter werden mehrere Variablen subsumiert, von denen hier vier näher
betrachtet werden ([Sch85], S. 40ff.):
• Wiederholungshäufigkeit
Für eine organisatorische Wiederholung ist keine ständige Durchführung identischer Aktivitäten notwendig. Es reicht bereits aus, wenn die im einzelnen zu
erfüllenden Aktivitäten gewissse Ähnlichkeiten, Übereinstimmungen und Gemeinsamkeiten aufweisen ([Kos76], S. 31). Allgemein kann gesagt werden:
Eine grosse Wiederholungshäufigkeit erhöht tendenziell die Regeldichte.
• Konstanz
Die Konstanz bzw. Wandelbarkeit einer Aufgabe wird hauptsächlich durch die
sie umgebende Umwelt bestimmt. Ist die Umwelt relativ stabil, erhöht sich die
Wahrscheinlichkeit, dass bestimmte Aufgaben immer in der gleichen Form und
mit denselben gestellten Anforderungen auftreten. Es kann festgehalten werden:
Je konstanter eine Aufgabe ist, desto besser eignet sie sich für die Festlegung aufgabenspezifischer Regelungen.
• Komplexität
Die Komplexität einer Aufgabe kann anhand der Zahl der zu verknüpfenden
Elementaraufgaben gemessen werden. Je mehr Verknüpfungen innerhalb der relevanten Umgebung existieren, desto komplexer ist die zu erfüllende Aufgabe.
Organisatorische Regeln werden in diesem Zusammenhang vor allem für die Koordination eingesetzt.
• Determiniertheit
Die Determiniertheit sagt aus, in welchem Ausmass eine Aufgabe bekannt ist:
Je determinierter eine Aufgabe ist, desto eher kann sie verbindlich geregelt, im Extremfall sogar automatisiert werden.
(b) Entwicklungsstand eines Unternehmens
Der Entwicklungsstand eines Unternehmens beeinflusst den Formalisierungs- und
Organisationsgrad des Regelwerkes. Bei einem neu gegründeten Unternehmen sind
2.2. ORGANISATORISCHE REGELN
39
Ökonomische Umwelt
Entwicklungsstand
Unternehmensgrösse
Aufgabenart
Einstellungen
Technologische
Umwelt
Rechtliche
Umwelt
Fähigkeiten
Organisatorische
Regeln
Motivation
Unternehmen
Sozio-kulturelle Umwelt
Umwelt
Abbildung 2.7: Unternehmensinterne Gestaltungsbedingungen.
bspw. die zu erfüllenden Aufgaben noch nicht klar definiert, die verschiedenen Tätigkeitsfelder noch nicht eindeutig voneinander abgegrenzt und die Kommunikationswege
noch nicht fest geregelt. Der Grad der Formalisierung und der Organisation ist bei
einem solchen Unternehmen relativ niedrig. Durch organisatorisches Lernen werden
die internen Koordinations- und Kommunikationsprobleme im Laufe der Zeit erkannt,
die Tätigkeitsfelder eindeutig festgelegt und bestimmte Aufgaben zur Routine. Tendenziell kann also davon ausgegangen werden:
Mit zunehmendem Alter des Unternehmens erhöht sich der Formalisierungsund Organisationsgrad.
Diese Aussage stimmt jedoch nur für die relativ frühe Entwicklungsphase eines Unternehmens. In den späteren Jahren überwiegen andere Einflüsse wie bspw. die Unternehmensgrösse ([Gro82], S. 121ff.).
(c) Unternehmensgrösse
In empirischen Studien wird die Unternehmensgrösse anhand der Zahl der Mitarbeiter, des Umsatzes, des Anlagevermögens oder der Bilanzsumme gemessen. In zahlreichen Untersuchungen wurde der Zusammenhang zwischen der Unternehmensgrösse
und den Ausprägungen der Organisation analysiert ([Gro82], S. 122). Dabei wurde
festgestellt, dass die Unternehmensgrösse einen Einfluss auf die Gestaltung der Rahmenstruktur ausübt. Dieser Zusammenhang ist dadurch zu begründen, dass häufig
40
KAPITEL 2. REGELN IN UNTERNEHMEN
eine positive Korrelation zwischen der Grösse und der Komplexität der zu erfüllenden Aufgabe existiert. Nach Frese lassen sich grundsätzlich zwei Ergebnisse festhalten
([KK77]; [Fre80]; [Gro82], S. 122):
• Grössere Unternehmen sind tendenziell stärker spezialisiert und weisen einen hohen Programmierungsgrad der Geschäftsprozesse auf.
• Mit zunehmender Grösse des Unternehmens werden mehr Entscheidungen dezentral getroffen.
Es kann also festgehalten werden:
Es besteht eine positive Korrelation zwischen der Unternehmensgrösse und
der Anzahl schriftlich fixierter Regeln ([BS71]; [Sut95], S. 10).
(d) Management- und Mitarbeitereinstellungen
Weitere Einflussfaktoren, die bei der organisatorischen Gestaltung nicht zu vernachlässigen sind, stellen die Einstellungen des Managements und der Mitarbeiter dar
([Gro82], S. 123ff.):
• Managementeinstellungen
Die Einstellungen des Managements beinhalten die grundsätzlichen Werte und
Normen bezüglich Organisation, Mitarbeiter und Führungsstil. Im Management
ist ein bestimmtes Menschenbild über die Mitarbeiter verankert, das Annahmen
über Eigenschaften, Motive, Einstellungen und Erwartungen der Mitarbeiter umfasst. In Abhängigkeit dieses Menschenbildes können die organisatorischen Regeln
unterschiedlich ausfallen:
– Dominiert ein rational-ökonomisches Menschenbild, dann dienen die organisatorischen Regeln vor allem der intensiven Kontrolle der Mitarbeiter.
– Dominiert das Bild des sozialen Mitarbeiters, dann liegt das Interesse in der
Entwicklung von Regeln, die das Bedürfnis der Mitarbeiter nach Anerkennung und Gruppenzusammenarbeit befriedigen.
– Dominiert das Bild des nach Selbstverwirklichung strebenden Mitarbeiters,
dann liegt das Interesse in der Entwicklung von Regeln, die den Mitarbeitern
Freiräume gewähren, die zur Entfaltung ihrer Potentiale beitragen.
– Dominiert das Bild des komplexen Menschen, dann liegt das Interesse darin,
alle zuvor genannten Gesichtspunkte bei der Entwicklung organisatorischer
Regeln zu berücksichtigen. Da es aber keine optimale Organisation gibt, muss
von Fall zu Fall entschieden werden, welche Regeln den jeweiligen Erwartungen und Zielen der Mitarbeiter entsprechen.
• Mitarbeitereinstellungen
Die Einstellungen der Mitarbeiter beinhalten die Werte und Normen im Hinblick
auf ihre Tätigkeiten im Unternehmen. Diese Einstellungen stellen im wesentlichen
organisatorische Wünsche dar. Beispiele dafür sind:
– Weitgehende Partizipation an innerbetrieblichen Entscheidungsprozessen
– Vergrösserte Autonomie und Selbstverantwortung
– Möglichst vielseitige Tätigkeiten in umfassenden Aufgabengebieten
– Verstärkte Zusammenarbeit in Gruppen
– Direkte Informationen über die Unternehmensziele und -strategien, über die
Stellung des Unternehmens am Markt sowie über geplante Massnahmen.
(e) Fähigkeiten und Motivationen des Managements und der Mitarbeiter
Für die Gestaltung organisatorischer Regeln sind zudem die Fähigkeiten und Motivationen des Managements und der Mitarbeiter besonders zu beachten:
2.2. ORGANISATORISCHE REGELN
41
• Fähigkeiten
Bei der organisatorischen Gestaltung ist grundsätzlich darauf zu achten, dass die
durch Ausbildung und Erfahrung gewonnenen Fähigkeiten sowie die Leistungspotentiale der Manager und Mitarbeiter mit den Anforderungen der Aufgabenstellungen weitestgehend übereinstimmen. Zu vermeiden sind ([Gro82], S. 126):
– Überforderungen
Überforderungen fördern das Auftreten von Stresserscheinungen, die sich in
mangelhafter Aufgabenerfüllung, wie bspw. in Qualitätseinbussen, in erhöhtem Krankenstand und zunehmender Fluktuation niederschlagen können.
– Unterforderungen
Unterforderungen führen i. allg. zur Unzufriedenheit und stellen darüber hinaus eine Verschwendung von Ressourcen dar.
Zur Vermeidung dieser Probleme ist eine sorgfältig durchzuführende Analyse des
Fähigkeitspotentials der Manager und Mitarbeiter erforderlich, bei der das Wissen, Können und Verhalten untersucht werden. Die Auswirkungen des vorhandenen Fähigkeitspotentials können die Gestaltung unterschiedlich beeinflussen:
– Verfügt ein Unternehmen über eine grosse Zahl hochqualifizierter Manager
und Mitarbeiter, so erleichtert dies die Dezentralisation von Entscheidungen,
die Vergrösserung von Leitungsspannen sowie die Einführung personenorientierter Koordinationsinstrumente und ergebnisorientierter Kontrollen.
– Stehen dagegen weniger qualifizierte Mitarbeiter und Manager zur Verfügung,
so ist es eher erforderlich, Entscheidungen in der Unternehmensspitze zu
zentralisieren, eindeutige Regelungen der Weisungsbeziehungen zu schaffen,
Geschäftsprozesse so weit wie möglich zu programmieren und weitgehend
verfahrensorientierte Kontrollen durchzuführen.
• Motivationen
Auch der Leistungswille und die Motivation der Manager und Mitarbeiter sind
wichtige Einflussfaktoren, die bei der Gestaltung organisatorischer Regeln zu
berücksichtigen sind. Dazu ist eine Analyse durchzuführen, in der die Bedürfnisse, Werte und Persönlichkeitseigenschaften der Manager und Mitarbeiter untersucht werden. Die dabei ermittelten Ergebnisse müssen in die organisatorischen
Gestaltungsprozesse einfliessen:
– Dominieren unter den Mitarbeitern bspw. die Bedürfnisse nach sozialen Kontakten, so hat dies zur Konsequenz, dass von der Schaffung streng hierarchisch
gegliederter Strukturen mit stark formalisierten Geschäftsprozessen abgesehen werden sollte.
– Stehen Bedürfnisse nach Selbstverwirklichung im Vordergrund, so sollte die
Unternehmensführung durch eine verstärkte Entscheidungsdezentralisation
und durch Schaffung von Partizipationsmöglichkeiten dafür Sorge tragen,
dass den Erwartungen der Mitarbeiter entsprochen werden kann.
Die Anwendung organisatorischer Regeln kann je nach Ausgangslage zu unterschiedlichen
Resultaten führen. Die möglichen Wirkungen organisatorischer Regeln sollten daher nie
isoliert, sondern immer im Zusammenhang mit dem relevanten Umfeld beurteilt werden.
2. Unternehmensexterne Gestaltungsbedingungen
Die unternehmensexternen Gestaltungsbedingungen ergeben sich durch die Tatsache, dass
sich ein Unternehmen in einer Umwelt befindet. Unter diesen Bedingungen sind daher die
aktuellen oder potentiellen Handlungen direkter und/oder indirekter Interaktionspartner
des Unternehmens zu verstehen.
42
KAPITEL 2. REGELN IN UNTERNEHMEN
Für die Gestaltung ist die Umweltentwicklung von besonderer Bedeutung. Für viele Unternehmen ist diese Entwicklung durch eine hohe Dynamik, grosse Komplexität, geringe
Transparenz und wenige Möglichkeiten der eigenen Einflussnahme gekennzeichnet ([Gro82],
S. 116f.). Es gehört daher zu den Aufgaben des Unternehmens, diese Beziehungen zu beobachten, Entwicklungen zu beurteilen und Veränderungen in den zu fällenden Entscheidungen zu berücksichtigen. Die Gesamtheit dieser Einflussfaktoren lässt sich in vier Klassen
gliedern ([Gro82], S. 117ff.; [Sut95], S. 11ff.): Ökonomische Umwelt, rechtliche Umwelt,
sozio-kulturelle Umwelt und technologische Gestaltungsbedingungen (vgl. Abb. 2.8):
(a) Ökonomische Umwelt
Diese Umwelt beschreibt ein weites Spektrum ökonomischer Faktoren, die direkt oder
indirekt auf die Gestaltung organisatorischer Regeln Einfluss nehmen:
• Indirekte Einflussfaktoren
Einen indirekten Einfluss üben u.a. die Wirtschaftsordnung, Absatzmarktpolitik
und die Stellung des Unternehmens auf Absatz- und Beschaffungsmärkten aus.
Da dies wesentliche Faktoren bei der Entwicklung der Unternehmensstrategie
sind, fliessen sie indirekt in die Gestaltung ein.
• Direkte Einflussfaktoren
Einen direkten Einfluss auf die Gestaltung üben die Marktverhältnisse und die Beziehungen zu anderen Unternehmen aus, da die Unternehmen über ihre Beschaffungs- und Absatzmärkte in ständigen Austauschbeziehungen stehen. Diese Beziehungen gilt es organisatorisch zu gestalten, wobei die bestehenden Marktverhältnisse zu berücksichtigen sind. Dabei muss unterschieden werden, ob der
Markt eher stationär oder eher dynamisch ist ([Gro82], S. 117f.):
– Stationärer Markt
Ein stationärer Markt ist durch eine geringe Konkurrenzintensität und eine
geringe Veränderungsrate der Marktteilnehmer und Produkte gekennzeichnet. Ein solcher Markt ist überschaubar und es besteht nur geringe Unsicherheit im Hinblick auf zukünftige Entwicklungen.
– Dynamischer Markt
Dagegen ist ein dynamischer Markt durch eine hohe Konkurrenzintensität
und laufende Veränderungen der Marktteilnehmer und Produkte charakterisiert. Dieser Markt ist kaum überblickbar und es besteht eine hohe Unsicherheit im Hinblick auf zukünftige Entwicklungen.
Weitere Einflussfaktoren, die an dieser Stelle nur erwähnt werden, sind die Branche, in der das Unternehmen tätig ist, sowie die bestehenden Abhängigkeiten zu
Kapitalgebern.
Diese Ausführungen lassen den Schluss zu:
Die Gestaltung organisatorischer Regeln ist von ökonomischen Entwicklungen geprägt.
(b) Rechtliche Umwelt
Einen direkten Einfluss auf die Gestaltung übt die rechtliche Umwelt aus. Beispiele
für solche Einflussfaktoren sind gesetzliche Bestimmungen und Gerichtsurteile. Da
einschneidende Gesetzesänderungen einer langen Vorbereitungszeit durch die gesetzesgebenden Organe bedürfen, ist eine Prognose der Entwicklungen im rechtlichen
Umfeld relativ langfristig möglich.
(c) Sozio-kulturelle Umwelt
Bei der organisatorischen Gestaltung ist auch der Einfluss der sozio-kulturellen Umwelt zu berücksichtigen ([Gro82], S. 120f.). Den für die Gestaltung relevanten Aspekt
2.2. ORGANISATORISCHE REGELN
43
Ökonomische Umwelt
Entwicklungsstand
Unternehmensgrösse
Aufgabenart
Einstellungen
Technologische
Umwelt
Rechtliche
Umwelt
Fähigkeiten
Organisatorische
Regeln
Motivation
Unternehmen
Sozio-kulturelle Umwelt
Umwelt
Abbildung 2.8: Unternehmensexterne Gestaltungsbedingungen.
stellen die gesellschaftlichen Normen- und Wertesysteme dar, die u.a. durch die Religion, den vorherrschenden Zeitgeist, die Sprache und die Medien stark geprägt sind.
Das Werte- und Normensystem beeinflusst die Einstellungen der Manager und Mitarbeiter zum Unternehmen, zur Arbeit und in ihrem Verhalten gegenüber organisatorischen Regelungen. Mögliche Folgen können etwa Forderungen nach mehr Autonomie
und Selbstverantwortung, nach mehr Partizipation und Teamarbeit sein. Aus diesem
Grund sollten solche Strömungen bereits bei der Gestaltung organisatorischer Regeln
berücksichtigt werden. Die dazu notwendigen Informationen erhält das Management
durch Mitarbeiter-, Beurteilungs- und Förderungsgespräche.
(d) Technologische Gestaltungsbedingungen
Diese Bedingungen resultieren aus dem erhöhten Einsatz an finanziellen Mitteln, dem
erhöhten Risiko von Forschung und Entwicklung und aus der Beschleunigung des
technologischen Wandels. Die Bedeutung dieser Gestaltungsbedingungen zeigt sich
u.a. in den sich laufend verkürzenden Innovations- und Produktlebenszyklen. Zeit
und Raum unternehmerischen Handels verdichten sich zunehmend. Entscheidungen
müssen schneller getroffen, Strategien und Projekte effektiver realisiert werden. Diese
zeitliche und räumliche Komprimierung verlangt nach organisatorischen Regeln, die
trotz eingeschränkter Informationen zu möglichst fehlerfreien Entscheiden führen.
44
KAPITEL 2. REGELN IN UNTERNEHMEN
Die Konsequenzen der unternehmensexternen Gestaltungsbedingungen im Hinblick auf die
Strukturierung organisatorischer Regeln lassen sich wie folgt zusammenfassen ([Tho67],
S. 72; [Sut95], S. 13f.):
• Eine homogene, stabile Umwelt führt zu einer einfachen funktionalen Abteilungsgliederung, standardisierten Vorschriften und generellen Regeln10 .
• Eine heterogene, stabile Umwelt hat eine Vielfalt funktionaler Untergliederungen mit
individuellen Anpassungsregeln zur Folge.
• Eine homogene, dynamische Umwelt verlangt nach regionaler Dezentralisation mit
individuellen Planungsverfahren.
• Eine heterogene, dynamische Umwelt führt zu einer funktionalen, stark dezentralisierten Organisationsstruktur mit dezentralen Informations- und Planungsstellen.
2.2.3.4
Phasenschema
Für die Bewältigung einer organisatorischen Gestaltung wird in Analogie zu Entscheidungsprozessen ([Wit68]; [MRT76]) ein Phasenschema vorgeschlagen, das acht Schritte umfasst ([Gro82],
S. 44ff.). Diese Phasen stellen eine logische Ordnung der zu erfüllenden Aufgaben dar, die aber
nicht in einer strengen zeitlichen Reihenfolge zu bearbeiten sind. Im einzelnen werden folgende
Schritte unterschieden:
1. Problemerkennung
Die Existenz organisatorischer Probleme muss aktiv erkannt werden. Oft weisen nur einige
wenige Indikatoren, die zunächst nur in einen indirekten Zusammenhang mit dem Bestehen eines organisatorischen Mangels gebracht werden können, darauf hin. Daher wird der
frühzeitigen Problemerkennung eine hohe Bedeutung zugewiesen.
Grundsätzlich kann von der Existenz organisatorischer Probleme gesprochen werden, wenn
die bestehenden Regeln nicht oder nicht in genügendem Masse in der Lage sind, die zur
effizienten Aufgabenerfüllung notwendige Ordnungsfunktion zu leisten. Typische Mängel
stellen bspw. Doppelarbeiten und unklare Zuständigkeiten dar. Solche Probleme lassen sich
u.a. mit Hilfe von Schwachstellen- und Prüffragenkatalogen identifizieren. Ein weiterer
Ursprung wird in der Änderung der Unternehmensziele, der unternehmensinternen und externen Gestaltungsbedingungen sowie im Bekanntwerden neuer Gestaltungsalternativen
gesehen.
2. Initiierung und Förderung der Gestaltung
Das Bestehen eines organisatorischen Problems muss nicht notwendigerweise zu der Initiierung eines organisatorischen Gestaltungsprozesses führen. Vielmehr ist zu prüfen, welche
Chancen und Risiken mit der Durchführung einer organisatorischen Gestaltung verbunden
sind. Eine Reorganisation hat immer Kosten zur Folge und durch die Änderung gewisser
Regeln können Folgeprobleme entstehen, die es ratsam erscheinen lassen, die bestehenden
organisatorischen Regeln als das ’geringere Übel’ beizubehalten.
Ist ein Gestaltungsprozess initiiert, so bedeutet das nicht, dass dieser auch erfolgreich
beendet wird. Hierzu sind entsprechende Förderungsaktivitäten durchzuführen. Ziel dieser
Aktivitäten ist es, der stets latent vorhandenen Möglichkeit eines Abbruchs oder eines
’Versandens’ entgegenzuwirken. Die Verwendung von Projektmanagement-Techniken, wie
Balkendiagramme und Netzpläne, mit denen die Zusammenhänge der zeitlichen Abfolge der
10
vgl. Abschnitt 2.2.4.3.
2.2. ORGANISATORISCHE REGELN
45
durchzuführenden Aktivitäten festgelegt werden kann, erscheint in diesem Zusammenhang
wichtig ([Gro82], S. 342ff.).
3. Aufnahme und Analyse des Problemfeldes
In dieser Phase werden Vorarbeiten für die Lösung des Problems durchgeführt. Die grundlegende Aufgabenstellung besteht darin, den zumeist nur in groben Zügen vorhandenen
Überblick über das zu lösende Problem zu verfeinern. Da diese Phase einen hohen Arbeitsund Zeitaufwand erfordern kann, sollte sorgfältig unter den vielfältigen Verfahren und
Techniken, mit denen das Problemfeld untersucht wird, gewählt werden. Beispiele dafür
sind Befragungen und Dokumentanalysen ([Gro82], S. 358ff.).
4. Problemdiagnose und Vorgabe von Gestaltungszielen
Gegenstand der Problemdiagnose ist die Ermittlung der Ursachen von erkannten Schwachstellen und Mängeln. Werden diese Ursachen nicht genau herausgearbeitet, so kann dies zu
einer bereits im Ansatz verfehlten Lösung organisatorischer Probleme führen. Für die in
diesem Zusammenhang durchzuführenden Aufgaben können verschiedene Techniken, wie
bspw. die progressive Abstraktion, die Relevanzbaumanalyse, die Gemeinkostenwertanalyse
und das Analyse-Synthese-Konzept verwendet werden ([Gro82], S. 374ff.).
Für die weitere Durchführung eines organisatorischen Gestaltungsprozesses ist die Vorgabe
von Zielen wichtig. Dies stellt eine zentrale Problematik dar und beinhaltet die Festlegung
von Sach- und Formalzielen ([Gro82], S. 60):
• Sachziele
Sachziele der organisatorischen Gestaltung kennzeichnen die Art der durchzuführenden Gestaltungsaufgaben.
• Formalziele
Formalziele beziehen sich auf die Qualität der zu entwickelnden Lösungen und das
Ende eines Gestaltungsprozesses. Zudem erlauben diese Ziele eine Bewertung unterschiedlicher Gestaltungsalternativen.
5. Generierung von Gestaltungsalternativen
Zur Erreichung der festgelegten Ziele bieten sich i. allg. mehrere Lösungsmöglichkeiten
an. In dieser Phase werden die Lösungsalternativen entworfen und inhaltlich konkretisiert. Bei umfangreichen Gestaltungsproblemen wird diese Phase mehrmals durchlaufen.
Der Weg der zu realisierenden Alternative führt dabei über zahlreiche Zwischenentscheide, in denen über entwickelte Lösungen und/oder Grobkonzepte entschieden wird. Wird
ein Grobkonzept verabschiedet, schliesst sich die Erarbeitung von detaillierten Lösungen
an. Die Generierung von Alternativen erfordert einen kreativen Prozess, der durch eine
Reihe von Techniken unterstützt werden kann. Beispiele dafür sind die morphologische
Analyse, das Brainstorming, die Synektik und die Collective-Notebook Technik ([Gro82],
S. 389ff.).
6. Bewertung und Auswahl von Gestaltungsalternativen
In dieser Phase werden die generierten organisatorischen Alternativen den Zielvorstellungen gegenübergestellt, die im Hinblick auf ihre Realisierung zu überprüfen sind. Dabei
sollte versucht werden, dass durch einen Vergleich der Alternativen auf der Basis der
zu erwartenden Wirkungen auf die angestrebten Gestaltungsziele, diejenige Alternative
gewählt wird, welche die höchste Zielwirksamkeit verspricht und so die Grundlage für die
abschliessende Auswahlentscheidung liefert. Als Hilfsmittel können systematische Bewertungsverfahren wie bspw. die Kostenvergleichsrechnung, die Kosten-Nutzen-Analyse und
46
KAPITEL 2. REGELN IN UNTERNEHMEN
die Nutzwert-Analyse verwendet werden ([Gro82], S. 396ff.). Dadurch wird der Bewertungsund Auswahlprozess transparent und nachvollziehbar.
7. Einführung und Durchsetzung der gewählten Alternative
Die bisher erläuterten Phasen führen zu einem gedanklichen Konzept des neuen Systems
organisatorischer Regeln. In diesem Schritt wird das Konzept realisiert, indem Aktivitäten
für die Einführung und die Durchsetzung der verabschiedeten Lösungsalternative ausgeführt werden. Zudem sind Schulungs-, Informierungs- und Motivierungsaktivitäten
durchzuführen, um bspw. Wissensbarrieren zu vermeiden und die Bereitschaft, die neuen
Regeln anzunehmen, zu fördern. Zur Unterstützung dieser Aktivitäten steht eine Vielzahl von Techniken zur Verfügung. Beispiele dafür sind Präsentationen, Organigramme,
Funktionendiagramme, Kommunikationsschaubilder, Stellenbeschreibungen und Entscheidungstabellen ([Gro82], S. 410ff.).
8. Kontrolle und Weiterentwicklung der eingeführten Organisation
Die Aufgabe dieser letzten Phase besteht darin, die eingeführten organisatorischen Regeln
nach einer bestimmten Zeit auf ihre Wirkungen hin zu beurteilen und den Erfolg des Gestaltungsergebnisses festzustellen. Werden dabei partielle Mängel festgestellt, schliesst sich
an diese Phase eine sofortige systematische Weiterentwicklung der organisatorischen Regeln an. Falls gravierendere Mängel erkannt werden, wird die Kontrolle zur Grundlage einer
erneuten Reorganisation. Die Kontrolle bildet in dieser Hinsicht eine Voraussetzung für eine systematische Problemerkennung. Auch für die Kontrolle stehen verschiedene Techniken
der Problemerkennung und der Problemdiagnose zur Verfügung. Für die Weiterentwicklung müssen die zukünftig an die Organisation gestellten Anforderungen prognostiziert
werden. Dazu können Techniken, wie bspw. das Scenario-Writing und die Cross-ImpactAnalyse, verwendet werden ([Gro82], S. 418ff.).
2.2.4
Klassifikationsansätze
In einem Unternehmen existiert i. allg. eine Vielzahl von organisatorischen Regeln, wodurch leicht
der Überblick verloren gehen kann. Um die Verwaltung, Administration und Weiterentwicklung
der Regeln zu fördern, wird eine Klassifikation auf der Grundlage eindeutiger Kriterien als
sinnvoll und hilfreich erachtet.
Bei der Entwicklung einer Klassifikation muss eine klare Systematik definiert werden. Diese
Systematik beinhaltet die exakte, eindeutige und vollständige Formulierung von Kriterien, die
orthogonal zueinander stehen. Mit der Schaffung solcher Kriterien lässt sich eine jede organisatorische Regel eindeutig einer Klasse zuordnen. Auch wird das Wiederauffinden von Regeln
erleichtert, da die Kriterien zur Suche verwendet werden können. Klassifikationen weisen zudem
den Vorteil auf, dass Analysen, wie z.B. Untersuchungen auf Widersprüche und Redundanzen,
durchgeführt werden können. Für eine Gliederung organisatorischer Regeln werden in der Literatur mehrere Klassifikationsansätze ([Gut62]; [Sie68]; [Tho91]) vorgeschlagen, von denen hier
vier genauer betrachtet werden.
2.2.4.1
Aufbau- und ablauforganisatorische Regeln
In diesem Klassifikationsansatz werden die organisatorischen Regeln nach aufbau- und ablauforganisatorischen Gesichtspunkten gegliedert:
2.2. ORGANISATORISCHE REGELN
47
• Aufbauorganisatorische Regeln
Bei den aufbauorganisatorischen Regeln steht die Aufgabe als Zielsetzung im Vordergrund. Den Gegenstandsbereich dieser Regeln bilden daher die statischen Beziehungszusammenhänge zwischen Personen, Sachmitteln, Aufgaben, Stellen und Abteilungen. Beispiele dafür sind die Schaffung von Stellen und die Festlegung von Kommunikationswegen
im Stellengefüge. Aufbauorganisatorische Regeln kommen u.a. in Organigrammen, Stellenbeschreibungen, Funktionsdiagrammen und Organisationshandbüchern zum Ausdruck
([Tho88]).
• Ablauforganisatorische Regeln
Bei den ablauforganisatorischen Regeln stehen die Geschäftsprozesse zur Zielerreichung
im Mittelpunkt. Den Wirkungsbereich dieser Regeln bilden somit die dynamischen Beziehungszusammenhänge, die zwischen Personen, Aufgaben, Stellen und Abteilungen existieren. Die zeitlichen und räumlichen Aspekte beinhalten die Bestimmung von Arbeitsgängen,
ihre Zusammenfassung zu Arbeitsgangfolgen, die Abstimmung der Leistung, die Regelung
des zeitlich erforderlichen Aufwandes für den Aktionsträger sowie die Ermittlung der optimalen Durchlaufwege und -zeiten ([Kos80]). Die ablauforganisatorischen Regeln spiegeln
sich u.a. in Richtlinien, Arbeitsanweisungen, Ablaufkarten, Balkendiagrammen und Netzplänen wieder.
Um die Schaffung organisatorischer Regeln sowohl für die Aufbau- als auch für die Ablauforganisation zu fördern, werden zwei Arbeitsschritte vorgeschlagen ([Tho91], S. 576ff.): die Analyse
und die Synthese (vgl. Abb. 2.9). Dabei stehen bei beiden Organisationen die Verrichtung und
das Objekt im Mittelpunkt. Bei der Ablauforganisation werden zudem Raum- und Zeitaspekte
der auszuführenden Aufgaben berücksichtigt ([Bü86], S. 10f.):
1. Analyse
Bei der Aufbauorganisation beinhaltet der erste Schritt die Aufgabenanalyse ([Gai92],
Sp. 4). Dazu wird die Gesamtaufgabe in Elementaraufgaben gegliedert, die sich nicht
weiter zerlegen lassen.
Der erste Schritt der Ablauforganisation beschäftigt sich mit der Arbeitsanalyse ([Gai92],
Sp. 4). Die Grundlage dazu bilden die in der Aufgabenanalyse ermittelten Elementaraufgaben, die in einzelne Arbeitsteile bzw. Tätigkeiten zerlegt werden.
2. Synthese
Bei der Aufbauorganisation umfasst der zweite Schritt die Aufgabensynthese ([Gai92],
Sp. 4). Dabei werden die analytisch abgeleiteten Elementaraufgaben zu zweckmässigen
Teilaufgaben zusammengefasst und auf Stellen übertragen. Zudem werden die Stellen zu
Abteilungen und die Abteilungen schliesslich zur Gesamtstruktur des Unternehmens subsumiert.
Der zweite Schritt der Ablauforganisation beinhaltet die Arbeitssynthese ([Gai92], Sp. 4),
bei der die Arbeitsteile bzw. Tätigkeiten unter Berücksichtigung personaler, temporaler
und lokaler Aspekte zu Arbeitsgängen zusammengestellt werden. Dabei steht bei der personalen Arbeitssynthese das Leistungsvermögen der Aktionsträger im Mittelpunkt. Bei der
temporalen Arbeitssynthese liegt das Augenmerk auf der zeitlichen Festlegung und Abstimmung der Arbeitsgänge. Die lokale Arbeitssynthese beschäftigt sich mit der zweckmässigen
Anordnung und Ausstattung der Arbeitsplätze.
Je nach Art des Gestaltungsproblems kann der Regelungsbedarf unterschiedlich stark ausgeprägt
sein. Für die Regelungsintensität ist auf der einen Seite die Beschaffenheit der Aufgabenziele
48
KAPITEL 2. REGELN IN UNTERNEHMEN
Gesamtstruktur des Unternehmens
Aufgabenanalyse
Teilaufgaben / Elementaraufgaben
Aufgabensynthese
Arbeitsanalyse
Arbeitsteile /
Tätigkeiten
Stelle
Stellenzusammenfassung
Arbeitsverteilung
(personale Synthese)
Arbeitsvereinigung
(temporale Synthese)
Abteilung
Raumgestaltung
(lokale Synthese)
Abteilungszusammenfassung
Gesamtstruktur des
Unternehmens
Arbeitsgänge
Schaffung ablauforganisatorischer Regeln
Schaffung aufbauorganisatorischer Regeln
Organigramme
Stellenbeschreibungen
Funktionendiagramme
Richtlinien
Arbeitsanweisungen
Netzpläne
Organisationshandbuch
Abbildung 2.9: Schaffung organisatorischer Regeln ([Sut95]).
2.2. ORGANISATORISCHE REGELN
49
und auf der anderen Seite die Aufgabenstruktur, d.h. die Gleichartigkeit der Aufgabenstellung
sowie die Häufigkeit ihrer Wiederholungen, von Bedeutung. Nach Nordsieck sind fünf Stufen des
Regelungsbedarfs bei der Ablauforganisation zu unterscheiden ([Nor55]; [Sut95], S. 39f.):
• Freier Verlauf
Die Abfolge der Aktivitäten wird nicht durch organisatorische Regeln eingeschränkt.
• Inhaltlich gebundener Verlauf
Organisatorische Regeln legen die Aktivitäten der Leistungserstellung und der dazu benötigten Hilfsmittel fest.
• Abfolge gebundener Verlauf
Die Regeln legen die Abfolge der Aktivitäten an dem zu bearbeitenden Objekt fest.
• Zeitlich gebundener Verlauf
Für die zu erfüllenden Aktivitäten werden die Bearbeitungszeiten festgelegt. Zudem werden
die Durchlaufzeiten aufeinander abgestimmt.
• Taktmässig gebundener Verlauf
Auf dieser Stufe werden die Sequenzen aufeinander folgender und gleichartiger Aktivitäten
zeitlich und inhaltlich strukturiert.
Durch die Standardisierung und Routinierung ablauforganisatorischer Regeln wird dazu beigetragen, dass Bearbeitungssequenzen vereinfacht und vereinheitlicht werden können. Jedoch ist
zu beachten, dass der schematische Ablauf von Vorgängen Probleme zur Folge haben kann, die
aus der Starrheit und der Bürokratisierung des Arbeitsflusses resultieren ([Sut95], S. 40).
2.2.4.2
Formale und informale Regeln
In der organisationstheoretischen Literatur wird mit Formalisierung11 u.a. die schriftliche Formulierung organisatorischer Regeln bezeichnet. Diese Regeln spiegeln sich bspw. in Richtlinien,
Stellenbeschreibungen und in Organisationshandbüchern wieder. Dieser Aspekt der Formalisierung ist vom Begriff formale organisatorische Regeln abzugrenzen, da diese Regeln schriftlich
fixiert sein können, aber nicht müssen. In diesem Ansatz werden die organisatorischen Regeln
in formale und informale Regeln gegliedert ([Sut95], S. 40ff.):
1. Formale Regeln
Aus betriebswirtschaftlicher Sicht stellen die formalen organisatorischen Regeln rational
gestaltete, exakt und explizit formulierte Regeln dar, welche die Unternehmensleitung für
gültig erklärt hat. Die formalen Regeln bezeichnen personenunabhängige Vorschriften, die
zur Erreichung der unternehmerischen Zielsetzungen beitragen sollen. In diesem Sinne
können formale Regeln als ein Versuch betrachtet werden, die Struktur der Beziehungen
innerhalb eines sozio-technischen Systems mit Hilfe von Standardisierungen und Reglementierungen sichtbar und transparent zu gestalten.
Für die Mitarbeiter stellen die formalen Regeln Informationen zur zielgerichteten Aufgabenerfüllung und Verhaltensbestimmung dar. Sie führen zu einer Organisation, die aufgrund der formalen Struktur sowohl von bestimmten Personen als auch bis zu einem gewissen Grad von den positiven wie auch negativen Emotionen unabhängig ist.
11
vgl. Abschnitt 2.2.2.1.
50
KAPITEL 2. REGELN IN UNTERNEHMEN
Auf einer nächsten Stufe lassen sich diese Regeln nach der Form der Informationsgebung
und nach dem Grad der Detailliertheit unterteilen ([Bü81]). In Hinsicht auf die Informationsgebung können die formalen Regeln als direkte und indirekte Regeln klassifiziert
werden:
• Direkte Regeln
Mit direkten Regeln wird eine persönliche, fallweise Koordination mit Hilfe von Aufsichten und Anweisungen festgelegt.
• Indirekte Regeln
Mit indirekten Regeln wird eine Koordination auf der Basis von schriftlich fixierten,
unpersönlichen Regeln festgelegt.
In Bezug auf den Detailliertheitsgrad lassen sich die Regeln in explizite und implizite Regeln
gliedern ([Bü81]):
• Explizite Regeln
Explizite Regeln schreiben dem Regelempfänger für alle möglichen Situationen vor,
wie er sich zu verhalten hat.
• Implizite Regeln
Implizite Regeln schreiben dem Entscheidungsträger nicht für alle möglichen Eventualitäten genau vor, wie er sich zu verhalten hat. Ihm wird ein Ziel vorgegeben, an
dem er sich zu orientieren hat.
2. Informale Regeln
Informale Regeln wirken oft wie implizite ungeschriebene Gesetze, die das Verhalten der
Mitarbeiter erheblich beeinflussen können. Im Unterschied zu den formalen Regeln werden
die informalen organisatorischen Regeln u.a. von den persönlichen Zielen und Verhaltensweisen der Mitarbeiter geprägt.
Formale Regeln können somit als ein zielorientiertes, rationales und wünschenswertes Regelgefüge aufgefasst werden, während sich die informalen Regeln als Störquellen mit Folgen interpretieren lassen.
2.2.4.3
Generelle und fallweise Regeln
Der zentrale Gedanke dieses Klassifikationsansatzes besteht darin, dass die zu erfüllenden Geschäftsprozesse in gleicher oder ähnlicher Weise mehr oder weniger regelmässig wiederkehren.
Auf der Grundlage dieser Überlegung lassen sich die organisatorischen Regeln in generelle und
fallweise Regeln gliedern ([Gut62]):
• Generelle Regeln
Generelle Regeln beziehen sich auf die betrieblichen Vorgänge, die durch eine relativ grosse
Gleichartigkeit, Einfachheit und Periodizität gekennzeichnet sind. Mit Hilfe von einmalig
exakt formulierten Weisungen können der Umfang, die Reihenfolge und die Geschwindigkeit
der Aufgabenerfüllungen eines Mitarbeiters ermittelt werden.
• Fallweise Regeln
Fallweise Regeln beziehen sich auf die betrieblichen Vorgänge, die eher selten durchgeführt
werden und daher individuell geregelt werden müssen. Mit der Schaffung von fallweisen
2.2. ORGANISATORISCHE REGELN
51
Regelungen können die Gegebenheiten einer bestehenden Situation besser berücksichtigt
werden und in die Aufgabenerfüllung einfliessen. Jedoch ist darauf hinzuweisen, dass jeder
dieser so geregelten Vorgänge bei einer wiederholten Verarbeitung neu und eventuell anders
beurteilt wird. Dies erschwert die Entwicklung einer ’klaren Linie’ für die Verarbeitung
solcher betrieblichen Vorgänge.
Unter bestimmten Voraussetzungen lassen sich die fallweisen Regeln durch generelle Regeln ersetzen. Dieser Sachverhalt wird als das Substitutionsgesetz der Organisation bezeichnet, mit dem
das Ziel der organisatorischen Rationalisierung verfolgt wird ([Gut62], S. 145). Eine solche Rationalisierung hat zur Folge, dass die Stellen, welche die fallweisen Regelungen schaffen, entlastet
werden. Zudem kann die Arbeitsleistung gesteigert werden, da sich der mit der schematisch zu
erledigenden Arbeit verbundene Übungs- und Lerneffekt erhöht ([Har59], S. 148ff.). Ein Indiz
für die Anwendung dieses Gesetzes wird in der Entwicklung der betrieblichen Steuerungs- und
Lenkungsprozesse gesehen, wenn diese immer mehr an Individualität verlieren ([Gut62], S. 147).
Die Wirkungen organisatorischer Regeln kann dann als optimal angesehen werden, wenn der Umfang der generellen Regelungen mit demjenigen übereinstimmt, der sich aus der Gleichförmigkeit
der zu organisierenden Tatbestände ergibt. Daher existiert für jede organisatorische Aufgabe ein
optimales Verhältnis aus fallweisen und generellen Regeln ([Gut62], S. 147).
Neben der Substitution der fallweisen Regeln durch generelle Regeln gibt es auch Möglichkeiten,
generelle Regeln durch andere generelle Regeln zu ersetzen (vgl. Abb. 2.10). Dazu wird zwischen
zwei Grundformen unterschieden ([Sut95], S. 50):
• Direkte Substitution
Die eine Möglichkeit besteht darin, dass generelle Regeln direkt durch andere generelle
Regeln ersetzt werden, die bspw. durch eine höhere Effizienz gekennzeichnet sind.
• Indirekte Substitution
Die zweite Alternative sieht vor, dass generelle Regeln zuerst durch fallweise Regeln substituiert werden, die dann zu einem späteren Zeitpunkt durch (andere) generelle Regeln
ersetzt werden.
Die direkte Substitution ist für eine Vielzahl von betrieblichen Reorganisationsprozessen charakteristisch. Bei der indirekten Substitution handelt es sich um einen Übergangstyp. Die Schaffung
solcher Regeln kann bspw. dann sinnvoll sein, wenn es gewisse Ausnahmesituationen erfordern,
dass ein Mitarbeiter vorübergehend Sonderbefugnisse erhält, um damit fallweise in das Betriebsgeschehen eingreifen zu können ([Kre75], S. 61ff.).
2.2.4.4
Vollkommen generelle und vollkommen fallweise Regeln
In dieser Klassifikation werden die organisatorischen Regeln in vollkommen generelle und vollkommen fallweise Regeln gegliedert ([Sie68]). Dieser Ansatz kann als eine Erweiterung der in
Abschnitt 2.2.4.3 erläuterten Klassifikation gewertet werden:
• Vollkommen generelle Regeln
Vollkommen generelle Regeln sind vergleichbar mit Anweisungen, die in Informationssystemen spezifiziert werden. Sie lassen sich mit Hilfe von Informationstechnologien automatisieren. Um aber Regeln als konkrete Anweisungen in Form von Anwendungsprogrammen erstellen zu können, ist ihre vollständige formale Beschreibung notwendig. In
52
KAPITEL 2. REGELN IN UNTERNEHMEN
Substitution
organisatorischer Regeln
Substitution fallweiser
durch generelle Regeln
Substitution genereller
durch generelle Regeln
Direkte Substitution
Indirekte Substitution
Direkte Substitution
Indirekte Substitution
Fallweise
Regel
Fallweise
Regel
Generelle
Regel
Generelle
Regel
Fallweise
Regel
Improvisation
Generelle
Regel
Geregelter
Ablauf
Generelle
Regel
Generelle
Regel
Abbildung 2.10: Generelle und fallweise Regeln ([Sut95]).
diesem Zusammenhang wird unter einem Anwendungsprogramm eine bis ins letzte Detail
festgelegte Verhaltensregel verstanden, bei der sämtliche Entscheidungen auf Ja-/NeinAlternativen zurückgeführt werden können. Vollkommen generelle Regeln stellen daher
eine Verarbeitungs- bzw. Denkvorschrift dar, die auf einer klaren Trennung zwischen Eingabedaten und den Programmen basiert. Mit Hilfe der Eingabedaten lassen sich die konkreten Situationen beschreiben, die zu einer Verarbeitung durch die Programme führen.
Eine solche Regelung kann lange Zeit latent vorhanden sein, ohne dass eine Aktivität
hervorgerufen wird.
Beispiel 2.3 (Vollkommen generelle Regel)
Ein Beispiel für eine vollkommen generelle Regel ist:
Fällt der Bestand eines Artikels unter einen gewissen Schwellenwert, dann ist
eine Neubestellung dieses Artikels auszulösen.
Solange der Artikelbestand grösser als der Schwellenwert ist, wird diese Regel nicht verarbeitet. Fällt der Bestand aber unter den Grenzwert, dann kann dies zu Problemen führen,
die sich durch eine Neubestellung vermeiden lassen.
• Vollkommen fallweise Regeln
Die vollkommen fallweisen Regeln berücksichtigen den individuellen Gestaltungsprozess
des Menschen. Es handelt sich dabei um ad-hoc-Regelungen, die keiner rational-formalen
Entscheidungsvorschrift folgen. In diesem Sinne entsprechen die vollkommen fallweisen
Regeln den in Abschnitt 2.2.4.3 erläuterten fallweisen Regeln.
2.3. GESCHÄFTSREGELN
53
Neben der Automation weisen vollkommen generelle Regeln weitere Vorteile auf ([Sut95], S. 52):
• Personale und temporale Wissensakkumulation
Unter der personalen Wissensakkumulation wird die Formulierung einer Regel verstanden,
an der nahezu beliebig viele Menschen simultan beteiligt sein können. Mit der zeitlichen
Wissensakkumulation wird auf eine Möglichkeit hingewiesen, dass generelle Regeln langfristig existieren und über mehrere Generationen hinweg verbessert werden.
Bedingt durch diese Wissensakkumulationen können vollkommen generelle Regeln mehr
Wissen und Erfahrung beinhalten, wozu ein einzelner Mensch nicht in der Lage ist. Dies
scheint in der heutigen Zeit auch notwendig zu sein. So kann z.B. die Koordination der
Verrichtungen und Arbeitsplätze in Unternehmen ab einer gewissen Betriebsgrösse einen
Umfang erreichen, der von einem einzigen Mitarbeiter nicht mehr überblickbar ist. Zudem
ist davon auszugehen, dass mit der steigenden Grösse eines Unternehmens auch das Prinzip
der Arbeitsteilung vermehrt zur Anwendung kommt. Dies führt zu einem erhöhten Bedarf
an vollkommen generellen Regeln.
• Objektivierung der Verwaltungsarbeit
Als ein weiterer Vorteil wird die Objektivierung der Verwaltungsarbeit gewertet, die sich
aus der formalen Beschreibung der vollkommen generellen Regeln ergibt. Die interindividuelle Übertragbarkeit der Regeln bewirkt, dass bspw. neu eingestellte Mitarbeiter nur eine
verhältnismässig kurze Einarbeitungsphase benötigen, da der Lernvorgang genau festgelegt und überprüfbar ist. Ein solcher Arbeitsplatz kann daher jederzeit kurzfristig ohne
gravierende Störungen des Betriebsablaufs neu besetzt werden. Der betriebliche Informationsverarbeitungsprozess ist mitarbeiterunabhängig und die Konstanz der Organisation
ist langfristig sichergestellt.
Neben diesen Vorteilen muss aber auch auf einen wesentlichen Nachteil hingewiesen werden. Die
Grenzen der vollkommen generellen Regeln liegen vor allem in der Komplexität des Sachproblems. Alle Hardware- und Softwareleistungen nützen nichts, wenn der Mensch als Empfänger
einer solchen Regel überfordert ist. Die Vorschriften müssen sich daher auf einem Niveau befinden, das von den entsprechenden informationsverarbeitenden Einheiten bewältigt werden kann.
Nur so lässt sich eine Befolgung der vollkommen generellen Regeln sicherstellen.
2.3
Geschäftsregeln
In den letzten Jahrzehnten hat sich der Wettbewerb zwischen den Unternehmen stark gewandelt
und kontinuierlich intensiviert. Diese Entwicklung hat zu der Erkenntnis geführt, dass die Unternehmen ihre Organisationen prozessorientiert ausrichten müssen, wenn sie ihren Konkurrenten
nicht unterlegen sein wollen ([HC93], S. 27f.). Der zentrale Gedanke dieser neuen Orientierung
besteht in der Identifikation und optimalen Gestaltung von Geschäftsprozessen. Zur Erfüllung
werden heute in den Unternehmen Informationssysteme eingesetzt, die einen so hohen Stellenwert einnehmen, dass eine adäquate Aufgabenverrichtung ohne ihre Verwendung als nicht
mehr möglich angesehen wird. In diesem Zusammenhang wird nicht mehr von organisatorischen
Regeln, sondern von Geschäftsregeln gesprochen. Diese Regeln stellen einen wesentlichen Bestandteil von Informationssystemen dar ([App88]; [HK95]) und werden hier als Aussagen über
die Art und Weise der Geschäftsabwicklung verstanden12 . Sie beschreiben Richtlinien und Restriktionen, die sich sowohl auf Zustände als auch auf Prozesse einer Organisation beziehen
([Her97], S. 2).
12
vgl. Def. 2.11 in Abschnitt 2.1.
54
KAPITEL 2. REGELN IN UNTERNEHMEN
Um Informationssysteme für eine Geschäftsprozessautomation einsetzen zu können, sollten sie
im Rahmen einer strukturierten System-Entwicklung erstellt werden. Dabei wird eine regelbasierte Entwicklung als ein neues Paradigma angesehen ([Mor83]). Da die Softwarequalität vor
allem durch die ersten beiden Phasen (Analyse und Entwurf) bestimmt wird, sind für eine realitätsnahe Lösung des Problems die betroffenen Geschäftsregeln in jeder dieser Phasen besonders
zu berücksichtigen:
• Analyse
In der Analyse müssen u.a. die Unternehmensbereiche, in denen ein Informationssystem
eingesetzt werden soll, auf Geschäftsregeln untersucht werden, die einen Einfluss auf die
Geschäftsprozesse ausüben. Für eine Identifikation dieser Regeln wird ihre Klassifikation
als hilfreich erachtet, da die Regeln sich nicht nur eindeutig gliedern lassen, sondern auch
die System-Entwicklung unterstützen können13 .
Für die Erstellung des konzeptionellen Modells eines Informationssystems müssen die Ablauflogiken der Geschäftsprozesse in Prozessmodellen und die dazu benötigten Daten in
einem Datenmodell formal dargestellt werden. Zudem sind die involvierten Geschäftsregeln zu beschreiben. Da sich die Regeln sowohl auf die Zustände einer Datenbank als auch
auf die Ablauflogiken beziehen können, ist eine Vielzahl der vorgeschlagenen Methoden14 ,
wie das Entity Relationship Model (ERM), das Behavior Integrated Entity Relationship
Model (BIER), Datenflussdiagramme und der Merise-Ansatz, nicht geeignet. Ein Grund
besteht darin, dass diese Methoden keine geeigneten Konstrukte für die Regelmodellierung
unterstützen ([HKMS94]). In neueren Ansätzen, wie z.B. den (erweiterten) ereignisgesteuerten Prozessketten ((e)EPK)15 und dem Business Rule Oriented Conceptual Modeling
(BROCOM)16 steht die Darstellung von Geschäftsregeln im Zentrum. In diesen Modellen
werden die Prozesse durch Regeln repräsentiert, die auf der ECA-Struktur basieren.
• Entwurf
In dieser Phase wird das entwickelte Modell realisiert. Für die Implementierung von Geschäftsregeln stehen mehrere Möglichkeiten zur Auswahl. So können z.B. die Regeln auf
der Applikationsebene durch die Erweiterung der Anwendungsprogramme implementiert
werden. Eine andere Alternative besteht darin, die Regeln auf der Datenbankebene zu
realisieren. Dazu müssen aber die Datenbanksysteme die Spezifikation eines reaktiven Verhaltens unterstützen. Zusammenfassend ist festzuhalten, dass für jeden Geschäftsregeltyp
die am besten geeignete Form der Implementierung bestimmt werden muss.
In den folgenden Abschnitten dieses Kapitels werden nun für Geschäftsregeln mehrere Ansätze
der Klassifikation, Methoden der Modellierung und Alternativen der Implementierung genauer
betrachtet.
2.3.1
Klassifikationsansätze
Für eine Verwaltung und Administration von Geschäftsregeln wird ihre Klassifikation als sinnvoll
angesehen. Zudem unterstützt die Gliederung der Regeln die System-Entwicklung besonders in
den Phasen der Analyse, des Entwurfs, der Implementierung und der Wartung ([HK95]):
13
vgl.
vgl.
15
vgl.
16
vgl.
14
Abschnitt
Abschnitt
Abschnitt
Abschnitt
2.3.1.
2.1.
2.3.2.1.
2.3.2.2.
2.3. GESCHÄFTSREGELN
55
• Geschäftsregeln können nach betriebswirtschaftlich-organisatorischen und systemtechnischen Kriterien ausgewertet und verwaltet werden (Analyse, Wartung).
• Geschäftsregeln lassen sich auf ihre Übereinstimmmung mit der Realwelt untersuchen (Analyse, Wartung).
• Geschäftsregeln können auf ihre Widerspruchsfreiheit gegenüber anderen Regeln analysiert
werden (Analyse, Wartung).
• Jeder Geschäftsregelklasse können Implementierungsalternativen zugeordnet werden (Entwurf, Implementierung).
Geschäftsregeln können auf einer ersten Stufe in Automationsregeln und Integritätsregeln gegliedert werden ([Her97], S. 66). Dabei beziehen sich Automationsregeln auf die Ablauflogiken der
Geschäftsprozesse:
Definition 2.12 (Automationsregeln (AR), Automation Rules)
”Automation rules describe the logic of a task execution.” ([Her97], S. 66).
Integritätsregeln stellen die Datenintegrität sicher. Dabei ist es ohne Bedeutung, ob die Daten
in Informationssystemen gespeichert sind oder in der Umwelt der Systeme vorkommen:
Definition 2.13 (Integritätsregeln (IR), Integrity Rules)
”Integrity rules describe allowed states and state transitions of data that is stored in a database or exists in the real world.” ([Her97], S. 66).
In der Datenbankliteratur wird mit dem Begriff Integrität das Problem bezeichnet, ob der jeweilige Realweltausschnitt angemessen, d.h. entsprechend der realen Semantik, in einer Datenbank
modelliert ist ([Lip89], S. 1). In diesem Sinne lässt sich Integrität als logische Korrektheit oder
auch als semantische Integrität auffassen. Dieses Verständnis impliziert, dass in einer Datenbank
ausschliesslich zulässige Zustände gespeichert sind, die existierende Situationen der Realwelt repräsentieren. Dabei bezeichnen die Attribute sinnvolle Spektren, die von Tatsachen der Realwelt
bis hin zu organisatorischen, rechtlichen oder politischen Regeln reichen.
Zur Sicherstellung der Integrität in Datenbanksystemen werden Integritätsbedingungen verwendet, die durch die Manipulation der Daten ausgelöst werden. Integritätsbedingungen lassen sich
somit als ein Mechanismus auffassen, mit dem die Eingabe und Manipulation unzulässiger Daten
verhindert wird:
Definition 2.14 (Integritätsbedingungen (IB), Integrity Constraints)
”Die Integritätsbedingungen beschreiben für einzelne Datenelemente, welche Werte erlaubt
sein sollen, welche konkreten Beziehungen zwischen Objekten möglich sein sollen, welche
Veränderungen zulässig sein sollen usw..” ([SS83], S. 288).
Für eine Klassifikation von Geschäftsregeln und Integritätsbedingungen werden in der Literatur
zahlreiche Ansätze diskutiert ([HK95]; [Her97]). Dabei ist jede Klassifikation durch eine andere
Sichtweise gekennzeichnet. Einige dieser Ansätze werden nun näher erläutert.
56
KAPITEL 2. REGELN IN UNTERNEHMEN
2.3.1.1
Ansätze für Geschäftsregeln
Geschäftsregeln lassen sich nach unterschiedlichen Kriterien gliedern. Einige Beispiele für Klassifikationsansätze sind Quellen von Geschäftsregeln, Bezug zu organisatorischen Bereichen, Bezug
zu Verwendungsbereichen, Bezug zu Informationssystemen und deren Umwelten und Bezug zu
Objekttypen, Objekten und Attributen. Diese Ansätze werden nun genauer betrachtet:
1. Quellen von Geschäftsregeln
Für die Erstellung eines Anforderungskataloges an ein Informationssystem müssen die in
den betroffenen Unternehmensbereichen existierenden Geschäftsregeln ermittelt und formal spezifiziert werden. Dazu sind zahlreiche Quellen zu berücksichtigen, wie z.B. Gesetze,
Organigramme, Kennzahlen- und Lohnsysteme. Die Zuordnung der Regeln zu bestimmten
Quellen ist besonders für ihre Erfassung und Systematisierung bedeutsam ([HK95]):
• Für eine Suche nach Geschäftsregeln können die potentiellen Quellen verwendet werden. Dadurch lässt sich die Suche selbst gezielt und effizient durchführen.
• Eine Klassifikation der Geschäftsregeln nach Quellen ermöglicht es, dass in der Analyse- und Wartungsphase überprüft werden kann, welche der Regeln berücksichtigt
wurden und welche nicht.
• Können die Quellen nach ihrer Verbindlichkeit hierarchisiert werden, lässt sich eine
Strategie zur Auflösung von Regelkonflikten entwickeln.
In Analogie zu den Quellen organisatorischer Regeln17 erscheint es sinnvoll, dass auch
Geschäftsregeln nach ihrer Herkunft gegliedert werden. Dabei wird ebenfalls auf einer
ersten Stufe zwischen unternehmensinternen und unternehmensexternen Quellen unterschieden (vgl. Abb. 2.11). Eine Erläuterung dieses Ansatzes ist in [HK95] angegeben.
2. Bezug zu organisatorischen Bereichen
Informationssysteme können nicht nur für einen, sondern für mehrere Unternehmensbereiche konzipiert sein. Daher sind bei der System-Entwicklung diese Bereiche besonders auf
zu berücksichtigende Geschäftsregeln zu untersuchen. Für Analytiker und Endbenutzer
stellen sich dabei einige wesentliche Probleme ([HK95]):
• Vollständigkeit
Für eine Analyse müssen alle Unternehmensbereiche bestimmt werden, in denen das
zu entwickelnde Informationssystem eingesetzt werden soll.
• Regelinterdependenzen
Für die Mitarbeiter der Fachabteilungen und die Analytiker ist es wichtig zu erkennen,
welche Geschäftsregeln mehrere Unternehmensbereiche betreffen. Für diese Regeln
sind die Schnittstellen zwischen den einzelnen Bereichen und die daraus resultierenden
Interdependenzen exakt zu spezifizieren.
• Regelinkonsistenzen
Eine Geschäftsregel kann in mehreren Bereichen eingesetzt sein, wobei sie auf Widersprüche hin zu untersuchen ist.
Der zentrale Gedanke dieses Klassifikationsansatzes besteht darin, dass die Geschäftsregeln
nach ihrer Zugehörigkeit zu Unternehmensbereichen gegliedert werden (vgl. Abb. 2.12). Es
wird zwischen zwei Regelklassen unterschieden ([HK95]):
17
vgl. Abschnitt 2.2.1.
2.3. GESCHÄFTSREGELN
57
Quellen
der Geschäftsregeln
Unternehmensinterne
Quellen
Unternehmensexterne
Quellen
Primärquelle
Abgeleitete
Quelle
....
....
Naturgegebene Fakten
Normen
Ethische
Normen
Kulturelle
Normen
Rechtliche
Normen
Abbildung 2.11: Quellen von Geschäftsregeln.
(a) Intra-Unternehmensbereichs-Geschäftsregeln
Diese Klasse beinhaltet alle Geschäftsregeln, die sich (vollständig) auf genau einen
Unternehmensbereich beziehen. Es müssen daher keine Schnittstellen zu anderen Bereichen berücksichtigt werden. Für eine bessere Transparenz sind jedoch die bestehenden Regelinterdependenzen zu bestimmen:
Ruft ein Kunde, der über einen entsprechenden Vertrag verfügt, bei der HotLine an, wird ihm direkt eine telefonische Auskunft erteilt.
(b) Inter-Unternehmensbereichs-Geschäftsregeln
Diese Klasse umfasst Geschäftsregeln, die sich auf mehrere Unternehmensbereiche
beziehen. Durch eine Analyse lassen sich Bereichsüberschneidungen entdecken und
die bestehenden Schnittstellen beschreiben. Zudem werden (bereichsübergreifende)
Regelinterdependenzen transparent:
Sobald der Schwellenwert von Artikeln unterschritten wird, muss das Lager
den Einkauf informieren, damit eine Neubestellung geprüft wird.
Eine solche Klassifikation kann die Planung von Informationssystemen in mehrerer Hinsicht
fördern. Es lassen sich z.B. die Systemgrenzen so festlegen, dass möglichst viele Geschäftsregeln automatisiert werden. Ein anderes Planungsziel kann darin bestehen, die Regeln so
auf die Informationssysteme aufzuteilen, dass die Anzahl der Systemschnittstellen minimiert wird.
Eine weitere Bedeutung dieser Klassifikation liegt in der Komplexität begründet, mit der
die Verifizierung und Manipulation von Geschäftsregeln verbunden ist. So sind beispielsweise bei Intra-Unternehmensbereichs-Geschäftsregeln nur Mitarbeiter eines einzigen Unternehmensbereiches für eine Regelüberprüfung oder -manipulation zu befragen. Sobald
eine Geschäftsregel mehrere Bereiche umfasst, müssen Aussagen von Mitarbeitern mehrerer Bereiche berücksichtigt werden ([HK95]).
3. Bezug zu Verwendungsbereichen
Geschäftsregeln können in Informationssystemen für verschiedene Aufgaben eingesetzt
werden. Für die Bestimmung einer geeigneten Implementierung sind die Aufgabenbereiche
58
KAPITEL 2. REGELN IN UNTERNEHMEN
Unternehmensbereich (n)
Unternehmensbereich (n+1)
Intra-BereichsGeschäftsregeln
Intra-BereichsGeschäftsregeln
Inter-BereichsGeschäftsregeln
Abbildung 2.12: Klassifikation von Geschäftsregeln nach organisatorischen
Bereichen.
der Regeln auf den Grad der Zentralisierung zu untersuchen. Die Ergebnisse dieser Analysen können zur Gliederung der Geschäftsregeln verwendet werden (vgl. Abb. 2.13). Dabei
wird zwischen drei Regelklassen unterschieden ([HK95]):
(a) Inter-Informationssystem-Geschäftsregeln
Diese Klasse beinhaltet Geschäftsregeln, die sich auf mehrere Informationssysteme
beziehen. Damit sich diese Regeln in den Unternehmensbereichen, in denen die Systeme eingesetzt werden sollen, verwenden lassen, sind sie auf der Basis eines zentralen
Mechanismus zu implementieren.
(b) Intra-Informationssystem-Geschäftsregeln
Diese Klasse besteht aus Geschäftsregeln, deren Gültigkeitsbereich auf ein Informationssystem beschränkt ist. Damit die Regeln in den Anwendungsprogrammen verwendet werden können, sind sie an einer zentralen Stelle (z.B. im Datenbanksystem)
zu realisieren.
(c) Applikationsregeln
Diese Klasse umfasst Geschäftsregeln, die in einer einzigen Applikation eingesetzt
werden. Für alle anderen Programme haben sie keine Bedeutung und müssen somit
auch nicht zugreifbar sein. Diese Regeln können daher dezentral in den jeweiligen
Anwendungsprogrammen implementiert werden.
Im Zusammenhang mit diesem Klassifikationsansatz ist zu erwähnen, dass bei der Zuordnung nicht nur die gegenwärtigen, sondern auch zukünftige Implementierungsalternativen
der Regeln zu berücksichtigen sind. So besteht bspw. die Möglichkeit, dass eine Geschäftsregel heute als Applikationsregel klassifiziert ist und daher dezentral im Programmcode
implementiert wird. Zu einem späteren Zeitpunkt wird aber erkannt, dass diese Regel ihre
Gültigkeit auch in anderen Programmen des gleichen Systems oder sogar in mehreren Informationssystemen hat. Da die Regel in einem Anwendungsprogramm ’verankert’ ist, wird
die Wiederverwendbarkeit der Geschäftsregel verhindert. Dies impliziert, dass die Regel erneut implementiert werden muss, wodurch Inkonsistenzen auftreten können. Zusammen-
2.3. GESCHÄFTSREGELN
Applikation (1)
59
Applikation (n)
Applikation (1)
...
Applikationsregeln
Applikation (r)
...
Applikationsregeln
Applikationsregeln
Applikationsregeln
...
Datenbankmanagementsystem
Datenbankmanagementsystem
Datenbank (1)
...
Datenbank (m)
Datenbank (1)
Datenbank (s)
Intra-Informationssystem-Geschäftsregeln
Intra-Informationssystem-Geschäftsregeln
IS (1)
...
IS (p)
Inter-Informationssystem-Geschäftsregeln
Abbildung 2.13: Klassifikation von Geschäftsregeln nach Verwendungsbereichen.
fassend ist festzuhalten, dass der Zentralisierungsgrad der Regeln aus einer langfristigen
Perspektive heraus bestimmt werden sollte ([HK95]).
4. Bezug zu Informationssystemen und deren Umwelten
Bei der Entwicklung von Informationssystemen stellt sich die Frage: Welche Geschäftsregeln können automatisiert werden und welche Regeln sind manuell zu erfüllen? Um auf
diese Frage eine Antwort zu finden, müssen die Regeln auf ihren Automationsgrad untersucht werden. Dazu ist es hilfreich, wenn die Geschäftsregeln als ECA-Regeln18 beschrieben werden und jede Komponente auf ihre Automation (I) oder manuelle Erfüllung (U)
analysiert wird (vgl. Abb. 2.14). Diese Untersuchungsergebnisse lassen sich für eine Klassifikation verwenden. Dabei wird zwischen acht Regelklassen unterschieden. Die Zuordnung
der Regeln ist aber nicht immer eindeutig entscheidbar. So besteht z.B. die Möglichkeit,
dass eine Aktionskomponente sowohl automatisiert als auch manuell erfüllt werden kann
([HK95]):
(a) Klasse 1: III
Diese Klasse beinhaltet Geschäftsregeln, die sich vollständig in einem Informationssystem automatisieren lassen. Eine Interaktion durch einen Benutzer ist nicht notwendig:
ON
IF
DO
18
vgl. Abschnitt 2.1.
’Lösche Kunden’
(Kunde hat Aufträge)
Lösche Aufträge.
60
KAPITEL 2. REGELN IN UNTERNEHMEN
Geschäftsprozess
ECADarstellung
Teilprozess 1
Bezug zu IS
und Umwelt
E-C-A
E-C-A
E-C-A
E-C-...
E-C-A
Teilprozess 2
Teilprozess 3
Teilprozess 4
...-...-A
E-C-A
E-C-A
...-C-A
E-C-A
E-C-A
E-C-A
E-C-A
E-C-A
E-C-A
E-C-A
E-C-A
E-...-...
E-...-A
E-C-A
E-C-A
E-C-A
E-C-A
E-C-A
E-C-A
E-C-A
E-C-A
Umwelt
E-...-...
...-C-A
E-C-A
E-C-A
E-C-A
...-C-...
E-C-A
Informationssystem
Abbildung 2.14: Klassifikation von Geschäftsregeln nach ihrem Bezug zu
Informationssystemen und deren Umwelten.
(b) Klasse 2: IIU
Diese Klasse umfasst Geschäftsregeln, die eine automatisierbare Ereignis- und Bedingungskomponente besitzen. Die Verarbeitung der Aktionskomponenten muss aber
manuell sichergestellt werden. Somit wird durch diese Regeln eine Schnittstelle zwischen dem Informationssystem und der Umwelt definiert:
ON
IF
DO
’Manipuliere Artikelbestand’
(Artikelbestand < ’100’)
Neubestellung prüfen.
(c) Klasse 3: IUI
Die Geschäftsregeln dieser Klasse sind gekennzeichnet durch eine automatisierbare
Ereignis- und Aktionskomponente. Die Auswertung der Bedingungskomponenten ist
manuell zu erfüllen. Diese Regeln beschreiben somit zwei Schnittstellen zwischen einem Informationssystem und dessen Umwelt:
2.3. GESCHÄFTSREGELN
ON
IF
DO
61
’Erfasse Kunde’
(Kreditwürdigkeit = ’hoch’)
Manipuliere Kreditlimit zu ’unbeschränkt’.
(d) Klasse 4: IUU
Die Klasse IUU umfasst Geschäftsregeln, von denen einzig die Ereignisse im Informationssystem erkennbar sind. Die Bedingungsauswertung und Aktionsverarbeitung
erfolgt in der Umwelt:
ON
IF
DO
’30 Tage’ NACH ’Offerte verschickt’
(Kunde hat nicht reagiert)
Kunde kontaktieren.
(e) Klasse 5: UII
Durch diese Geschäftsregeln wird eine Schnittstelle zwischen dem Informationssystem
und der Umwelt definiert. Die Ereignisse müssen dabei durch Benutzer erkannt und
dem Informationssystem signalisiert werden. Die Bedingungs- und Aktionskomponenten lassen sich automatisieren:
ON
IF
DO
’Kunde will aus Kundendatei gelöscht werden’
(Kunde existiert)
Lösche Kunden und alle seine Aufträge.
(f) Klasse 6: UIU
In dieser Klasse sind Geschäftsregeln zusammengefasst, durch die zwei Schnittstellen
zwischen dem Informationssystem und dessen Umwelt definiert werden. Diese Schnittstellen resultieren daraus, dass die Benutzer die auslösenden Ereignisse erkennen und
die Aktionen erfüllen. Die Auswertung der Bedingungen kann im Informationssystem
durchgeführt werden:
ON
IF
DO
’Kunde bestellt Artikel’
(Artikel verfügbar)
Kommissioniere und versende Artikel.
(g) Klasse 7: UUI
Die Klasse UUI beinhaltet Geschäftsregeln, von denen die Ereignisse und Bedingungen in der Umwelt erkannt und ausgewertet werden müssen. Die Aktionskomponenten
lassen sich im System verarbeiten. Diese Regelklasse beschreibt somit eine Schnittstelle zwischen Informationssystem und dessen Umwelt:
ON
IF
DO
’Neue Ware eingetroffen’
(Lieferung stimmt mit Bestellung überein)
Lagereingang erfassen.
(h) Klasse 8: UUU
In Analogie zu der Klasse III umfasst diese Klasse Geschäftsregeln, die vollständig
manuell zu erfüllen sind. Diese Regeln beinhalten keine Schnittstellen:
ON
IF
DO
’Kunde reklamiert Ware’
(Garantiefrist ist abgelaufen)
Informiere Kunden über Garantieverlust.
Diese Klassifikation verdeutlicht, dass sich Geschäftsregeln nur dann (teilweise) automatisieren lassen, wenn sie über mindestens eine Komponente verfügen, die im Informationssystem verarbeitet werden kann. Bei der System-Entwicklung sind daher sieben der acht
Regelklassen von Bedeutung und in der Analyse und den nachfolgenden Phasen zu berücksichtigen. Ferner können sich Hinweise darüber ergeben, welche Arten der Implementierung
möglich und geeignet sind ([HK95]).
62
KAPITEL 2. REGELN IN UNTERNEHMEN
Daneben kann diese Klassifikation auch einen Einfluss auf die organisatorischen Gestaltungsprozesse haben. So lässt sich bspw. überprüfen, ob Geschäftsregeln, die bisher in
der Umwelt erfüllt wurden, zukünftig automatisiert werden können. Dazu sind der IstZustand, die möglichen Alternativen und das Soll-Konzept für jede Geschäftsregel zu ermitteln ([HK95]):
• Ist-Zustand
Der Ist-Zustand einer Geschäftsregel beschreibt die aktuelle Art der Realisierung.
• Alternativen
Für jede Komponente einer Geschäftsregel ist zu untersuchen, ob diese aufgrund ihres Inhalts und der eingesetzten Informationstechnologien automatisiert werden kann
oder nicht. Aus dieser Analyse ergibt sich das Spektrum der möglichen Implementierungsarten.
• Soll-Konzept
Im Soll-Konzept wird für jede Regelkomponente beschrieben, welche Form der Realisierung angestrebt wird. Dabei ist der potentiell erreichbare Zustand zu beachten.
Bei der Festlegung der Soll-Konzepte sind mehrere Faktoren zu berücksichtigen. Einige
Beispiele dafür sind die verfügbaren Technologien, die Einschränkung der Flexibilität, die
Anzahl der Schnittstellen zwischen Informationssystem und dessen Umwelt sowie die Konsistenz der Regelerfüllungen ([HK95]).
5. Bezug zu Objekttypen, Objekten und Attributen
Durch die Spezifikation von Geschäftsregeln in einer ECA-Struktur lassen sich Anforderungen von Daten und Vorgaben an Geschäftsprozesse in einer einheitlichen Form beschreiben.
Dadurch wird die klare Trennung zwischen Daten-, Funktions- und Ablaufbeschreibung aufgehoben ([HK95]). Diese Kombination von statischen und dynamischen Gesichtspunkten
ist möglich, weil sich durch die Spezifikation von Geschäftsregeln sowohl Objekttypen referenzieren als auch Geschäftsprozesse bilden lassen.
Um zu verdeutlichen, welche Beziehungen zwischen Geschäftsregeln und Datenelementen
bestehen, ist es hilfreich, die Regeln auf Objekttypen, Objekte und Attribute zu untersuchen
und zu klassifizieren. Eine solche Gliederung umfasst sechs Regelklassen (vgl. Abb. 2.15):
”Eine Geschäftsregel kann 1 oder x Objekttypen, 1 oder y Objekte und 1 oder z
Attribute referenzieren.” ([HK95]).
In diesem Gliederungsansatz werden die Geschäftsregeln als Ganzes betrachtet. Durch
eine Analyse der einzelnen Regelkomponenten (Ereignis, Bedingung, Aktion) lässt sich
zusätzlich ein Einblick gewinnen, auf welche Objekttypen, Objekte und Attribute lesend
und/oder schreibend zugegriffen wird.
Ein weiterer Nutzen dieser Klassifikation besteht darin, dass sich Ansatzpunkte für die
Realisierung von Geschäftsregeln ableiten lassen. So sind bspw. alle Regeln, die ausschliesslich Objekttypen der Realwelt referenzieren, manuell zu erfüllen. Im Unterschied dazu
können Regeln, die auf Objekttypen eines Informationssystems zugreifen, automatisiert
werden. Geschäftsregeln, in denen Objekttypen der Umwelt und der Informationssysteme
referenziert werden, sind zu vermeiden, da Schnittstellen berücksichtigt werden müssen.
Zudem erhöht sich die Komplexität der Regelverarbeitungen ([HK95]).
2.3. GESCHÄFTSREGELN
63
Geschäftsregeln
1 Objekttyp
x Objekttypen
y Objekte
y Objekte
1 Objekt
1 Attribut
z Attribute
1 Attribut
z Attribute
1 Attribut
z Attribute
Typ I
Typ II
Typ III
Typ IV
Typ V
Typ VI
Abbildung 2.15: Klassifikation von Geschäftsregeln nach ihrem Bezug zu
Objekttypen, Objekten und Attributen.
2.3.1.2
Ansätze für Integritätsbedingungen
Integritätsbedingungen stellen eine spezielle Art der Geschäftsregeln dar, die in Datenbanksystemen für die Datenintegrität eingesetzt werden. Für ihre Gliederung werden in der Literatur
zahlreiche Klassifikationsansätze vorgeschlagen (für einen Überblick vgl. [HK94]; [Her97], S.
65ff.), von denen nun einige genauer betrachtet werden:
1. Anzahl involvierter Datenbankzustände
In vielen Klassifikationsansätzen werden die Integritätsbedingungen nach der Anzahl der
Datenbankzustände gegliedert, die für ihre Auswertung benötigt werden. So unterscheidet
z.B. Lipeck zwischen statischen, transitionalen und dynamischen Integritätsbedingungen
([Lip89], S. 4f.) (vgl. Abb. 2.16):
(a) Statische Integritätsbedingungen
Mit statischen Integritätsbedingungen wird die Menge der potentiell möglichen Datenbankzustände auf die Menge der zulässigen Zustände eingeschränkt. Die Auswertung
der Bedingungen erfolgt dabei anhand des gerade aktuellen Datenbankzustandes:
ON
IF
DO
’Einfügen Mitarbeiter’
(Geburtstag >= heutiges Datum)
Fehlermeldung; Abbruch.
(b) Transitionale Integritätsbedingungen
Transitionale Integritätsbedingungen überprüfen, ob der Übergang von einem in einen
anderen Datenbankzustand zulässig ist. Für eine Auswertung dieser Bedingungen
werden daher zwei Zustände benötigt:
64
KAPITEL 2. REGELN IN UNTERNEHMEN
Integritätsbedingungen
Statische
Integritätsbedingungen
Transitionale
Integritätsbedingungen
Dynamische
Integritätsbedingungen
Abbildung 2.16: Klassifikation von Integritätsbedingungen nach der Anzahl
involvierter Datenbankzustände.
ON
IF
DO
’Manipuliere Zivilstand’
(:OLD.Zivilstand = ’geschieden’ AND
:NEW.Zivilstand = ’verwitwet’)
Fehlermeldung; Abbruch.
In diesem Beispiel wird mit :OLD der alte und mit :NEW der neue Wert des Attributes
Zivilstand referenziert.
(c) Dynamische Integritätsbedingungen
Dynamische Integritätsbedingungen basieren auf einer Menge von mehr als zwei Datenbankzuständen. Sie definieren die zulässigen Zustandsübergänge.
2. Auslösungszeitpunkte
Der Auslösezeitpunkt einer Integritätsbedingung muss nicht immer mit dem Zeitpunkt
übereinstimmen, zu dem die Bedingung ausgewertet wird. So ist es bspw. bei Transaktionen sinnvoll, dass dynamische Integritätsbedingungen erst am Ende überprüft werden. In
ihrer Gesamtheit lassen sich die Integritätsbedingungen nach drei Auslösungszeitpunkten
gliedern ([EC75]; [HM75]; [Laf82]; [WSK83]; [SW85]; [Reu87]; [Dat93]; [EW93]) (vgl. Abb.
2.17):
(a) Unmittelbar / Sofort
Diese Integritätsbedingungen werden unmittelbar nach ihrer Auslösung ausgewertet.
Ein Beispiel dafür sind Schlüssel-Integritätsbedingungen, mit denen die Eindeutigkeit
der Datensätze sichergestellt wird.
(b) Verzögert
Integritätsbedingungen, die den Zeitpunkt verzögert aufweisen, werden am Ende eines
Befehls oder einer Transaktion verarbeitet. Im Kontext von Transaktionen werden
diese Bedingungen nach dem letzten Befehl und vor dem Festschreiben der Daten
(commit) ausgewertet.
(c) Benutzerinitiiert
Der dritte Auslösungszeitpunkt ist benutzerinitiiert. Die Auswertung dieser Integritätsbedingungen wird durch die Benutzer ausgelöst. Ein Beispiel hierfür ist der
Import einer (riesigen) Datenmenge in ein Datenbanksystem. Bevor die Benutzer auf
diese Daten zugreifen dürfen, muss die Datenintegrität sichergestellt sein. Dazu kann
die Überprüfung gewisser Integritätsbedingungen benutzerinitiiert ausgelöst werden.
2.3. GESCHÄFTSREGELN
65
Auslösungszeitpunkte
unmittelbar
verzögert
benutzerinitiiert
Abbildung 2.17: Klassifikation von Integritätsbedingungen nach
Auslösungszeitpunkten.
3. Bezug zum Datenmodell
In einem weiteren Klassifikationsansatz werden Integritätsbedingungen nach ihrem Bezug
zum Datenmodell gegliedert (vgl. Abb. 2.18). Zwischen drei Typen wird unterschieden
([Reb83]; [SK86]; [EN94], S. 641):
(a) Inhärente Integritätsbedingungen
Die inhärenten Integritätsbedingungen ergeben sich aus den grundsätzlichen Annahmen des Datenmodelles. Daher sind diese Bedingungen nicht explizit im Datenmodell
spezifiziert. Zwei Beispiele dafür sind:
In einem Objekttypen gibt es keine zwei gleichen Objekte.
In einer Beziehung kommen nur Objekte vor, die zu einem der Objekttypen
gehören, zwischen denen diese Beziehung definiert ist.
(b) Implizite Integritätsbedingungen
Implizite Integritätsbedingungen lassen sich aus den Konstruktionselementen des Datenmodelles ableiten. Beispiele dafür sind Datentypen, Primärschlüssel und die Kardinalitäten der Beziehungstypen.
(c) Explizite Integritätsbedingungen
Explizite Integritätsbedingungen sind zusätzliche Bedingungen, die sich aus dem Kontext einer Anwendung ergeben. Ein Beispiel dafür sind transitionale Integritätsbedingungen, mit denen die Zulässigkeit der Zustandsübergänge sichergestellt wird.
4. Arten der (Re-)Aktionen
Mit Integritätsbedingungen wird in Datenbanksystemen die Datenintegrität sichergestellt.
Falls diese Integrität verletzt wird, müssen die Bedingungen auf eine gewisse Art und Weise
reagieren. Es wird zwischen zwei Reaktionsarten unterschieden ([HM75]; [Reb83], S. 53;
[Gä91], S. 38):
(a) Zurückweisung
Mit dieser Reaktionsart werden die Befehle und Transaktionen, die zu einer Verletzung führen, abgebrochen. Zudem wird (i. allg.) eine Fehlermeldung ausgegeben und
alle bereits durchgeführten Datenmanipulationen werden zurückgesetzt, so dass der
Datenbankzustand wieder hergestellt wird, der vor der Verarbeitung des Befehls oder
der Transaktion existierte. Diese Art der Reaktion kann somit als eine passive Aktion
([HK94]) bezeichnet werden:
ON
IF
DO
’Lösche Kunden’
(Kunde hat Aufträge)
Fehlermeldung; Abbruch.
66
KAPITEL 2. REGELN IN UNTERNEHMEN
Integritätsbedingungen
Inhärente
Integritätsbedingungen
Implizite
Integritätsbedingungen
Explizite
Integritätsbedingungen
Abbildung 2.18: Klassifikation von Integritätsbedingungen nach ihrem
Bezug zum Datenmodell.
(b) Korrektur
In gewissen Situationen kann die Verletzung der Datenintegrität durch die Ausführung vordefinierter Aktionen korrigiert werden. Hierfür wird der nicht zulässige Datenbankzustand in einen erlaubten Zustand überführt. Die Aktionsart stellt somit
eine aktive Reaktion ([HK94]) dar:
ON ’Lösche Kunden’
IF (Kunde hat Aufträge)
DO Lösche Aufträge.
Im SQL-92 Standard für relationale Datenbanksysteme kann bei der Definition von
referentiellen Integritätsbedingungen ([Dat81]) zwischen vier Arten der Reaktion gewählt werden ([MS93], S. 221): set null, set default, no action und cascade. Dabei
entspricht die Aktionsart no action der zuvor erläuterten Zurückweisung (vgl. Abb.
2.19).
5. Bezug zum Datenbankschema
In einem weiteren Klassifikationsansatz werden Integritätsbedingungen nach ihrem Bezug
zum Lebenszyklus eines Objektes gegliedert. Dazu wird zwischen konstitutiven und regulativen Bedingungen unterschieden ([Wed83]; [Lei90], S. 30) (vgl. Abb. 2.20):
(a) Konstitutive Integritätsbedingungen
Konstitutive Integritätsbedingungen beziehen sich auf den Anfang eines Lebenszyklus
und werden durch die Erzeugung neuer Objekte ausgelöst und überprüft. Objekte,
die eine solche Bedingung verletzen, müssen korrigiert werden, da sie sonst nicht existieren können. Konstitutive Integritätsbedingungen sind daher mit statischen Integritätsbedingungen vergleichbar, da sie auf der Basis genau eines Datenbankzustandes
ausgewertet werden:
ON ’Einfügen Mitarbeiter’
IF (Geburtsdatum > Heutiges Datum - 14)
DO Fehlermeldung; Abbruch.
(b) Regulative Integritätsbedingungen
Diese Klasse beinhaltet Integritätsbedingungen, mit denen die korrekte Verwendung
der Objekte sichergestellt wird. Die Auswertung einer solchen Bedingung führt i. allg.
zu der Auslösung konstitutiver Integritätsbedingungen, da mit diesen Bedingungen
die Zulässigkeit der Objekte überprüft wird:
ON ’Manipuliere Mitarbeiter’
IF (:OLD.Salär > :NEW.Salär)
DO Fehlermeldung; Abbruch.
2.3. GESCHÄFTSREGELN
67
(Re-)Aktionen
Zurückweisung
Korrektur
No Action
Set Null
Set Default
Aktionen in SQL-92
Cascade
Abbildung 2.19: Klassifikation von Integritätsbedingungen nach ihren
(Re-)Aktionsarten.
6. Bezug zu Objekttypen, Objekten und Attributen
In Analogie zu Geschäftsregeln lassen sich auch die Integritätsbedingungen nach ihrem
Bezug zu Objekttypen, Objekten und Attributen klassifizieren. So wird z.B. im Zusammenhang mit relationalen Datenmodellen vorgeschlagen, die Integritätsbedingungen in
datensatz-, relations- und multi-relationsorientierte Bedingungen zu gliedern ([BA84]). In
einem anderen, dazu sehr ähnlichen, Ansatz werden die Bedingungen auf der Grundlage
von Domänen, Objekten und Beziehungen, die zwischen Objekten bestehen, klassifiziert
([HM75]; [Cod90], S. 246).
In dem hier erläuterten Ansatz werden die Integritätsbedingungen auf einer ersten Stufe
in Intra-Relations- und Inter-Relations-Integritätsbedingungen gegliedert ([HK95]; [Her97],
S. 68f.). Auf einer zweiten Stufe lassen sich insgesamt acht Regelklassen unterscheiden
(vgl. Abb. 2.21). Für eine Erläuterung dieser Klassen wird ein relationales Datenmodell
angenommen ([Dat93]):
(a) Intra-Relations-Integritätsbedingungen
Diese Klasse beinhaltet Integritätsbedingungen, die sich auf genau eine Tabelle beziehen:
• Typ I
Typ I umfasst Integritätsbedingungen, die genau ein Attribut eines Datensatzes
referenzieren. Ein Beispiel dafür sind Not Null Integritätsbedingungen.
• Typ II
Typ II beinhaltet Integritätsbedingungen, die sich auf mehrere Attribute eines Datensatzes beziehen. Ein Beispiel dafür ist eine Bedingung, die überprüft:
beginn datum < end datum.
68
KAPITEL 2. REGELN IN UNTERNEHMEN
Integritätsbedingungen
Konstitutive
Integritätsbedingungen
Regulative
Integritätsbedingungen
Abbildung 2.20: Klassifikation von Integritätsbedingungen nach ihrem
Bezug zum Datenbankschema.
• Typ III
Typ III umfasst Integritätsbedingungen, die genau ein Attribut referenzieren.
Für ihre Auswertung werden jedoch mehrere Datensätze benötigt. SchlüsselIntegritätsbedingungen, die auf einem Attribut basieren, sind hierfür ein Beispiel.
• Typ IV
Typ IV beinhaltet Integritätsbedingungen, die sich auf Attribute mehrerer Datensätze beziehen. Ein Beispiel dafür sind Integritätsbedingungen, welche die
Schlüsseleigenschaft auf der Grundlage von zwei Attributen überprüfen.
(b) Inter-Relations-Integritätsbedingungen
In dieser Klasse sind die Integritätsbedingungen zusammengefasst, in denen mehrere
Relationen referenziert werden:
• Typ V
Typ V beinhaltet Integritätsbedingungen, in denen von mehreren Relationen genau ein Attribut eines Datensatzes referenziert wird. Beispiele dafür sind referentielle Integritätsbedingungen, die auf einem Attribut basieren.
• Typ VI
Typ VI umfasst Integritätsbedingungen, die sich auf mehrere Attribute eines
Datensatzes jeder involvierten Relation beziehen. Referentielle Integritätsbedingungen, die auf mindestens zwei Attributen basieren, sind ein Beispiel hierfür.
• Typ VII
Typ VII beinhaltet Integritätsbedingungen, in denen ein Attribut mehrerer Datensätze einer jeden Relation referenziert werden. Ein Beispiel dafür ist eine Integritätsbedingung, mit der eine 1:4 Beziehung sichergestellt wird.
• Typ VIII
Typ VIII umfasst Integritätsbedingungen, in denen von jeder betroffenen Relation mehrere Attribute mehrerer Datensätze referenziert werden. Ein Beispiel
dafür ist eine Integritätsbedingung, in der aggregierte Daten, wie eine kumulierte
Auftragssumme und ein Kreditlimit, miteinander verglichen werden.
Die erläuterten Klassifikationsansätze für Geschäftsregeln und Integritätsbedingungen sind
durch unterschiedliche Sichten gekennzeichnet. Um einen umfassenden Überblick zu erhalten,
ist es daher ratsam, die Regeln in einem Klassifikationssystem zu verwalten, in dem mehrere Ansätze kombiniert sind. Dabei ist jedoch zu beachten, dass alle Kriterien, nach denen die
Regeln gegliedert werden, orthogonal zueinander stehen und eindeutig formuliert sein müssen,
damit Zuordnungsprobleme vermieden werden.
2.3. GESCHÄFTSREGELN
69
Integritätsbedingungen
1 Relation
1 Datensatz
x Relationen
y Datensätze
1 Attribut
z Attribute
1 Attribut
z Attribute
Typ I
Typ II
Typ III
Typ IV
1 Datensatz
1 Attribut
Typ V
y Datensätze
z Attribute
1 Attribut
z Attribute
Typ VI
Typ VII
Typ VIII
Abbildung 2.21: Klassifikation von Integritätsbedingungen nach ihrem
Bezug zu Objekttypen, Objekten und Attributen.
2.3.2
Regelorientierte Modellierungsmethoden
Für eine computergestützte Erfüllung sind die Geschäftsprozesse und die Realweltausschnitte,
in denen sie ablaufen, konzeptionell zu modellieren. Dabei sind insbesondere auch die Geschäftsregeln zu berücksichtigen, die einen Einfluss auf die Prozesse ausüben. Um eine realitätsnahe
und umfassende Darstellung der Geschäftsregeln zu erreichen, müssen Methoden verwendet werden, mit denen sich die zu beschreibenden Sachverhalte exakt und vollständig darstellen lassen.
Bei der Methodenauswahl sind zudem in bezug auf die Modellierung von Geschäftsregeln einige
wichtige Aspekte zu beachten:
• Geschäftsregeln können Anforderungen an Daten und Vorgaben für Prozesse beinhalten.
Da durch diese Regeln sowohl statische als auch dynamische Aspekte kombiniert werden,
müssen diese Beziehungen, die zwischen Prozessmodellen und Datenmodellen bestehen,
darstellbar sein. Dies impliziert, dass sich diese Modelle miteinander verknüpfen lassen
müssen.
• Geschäftsregeln sind charakterisiert durch ein situationsbezogenes Verhalten. Für die konzeptionelle Modellierung ist es daher wichtig, dass Situationen und Reaktionen in Datenund Prozessmodellen dargestellt werden können.
• Zwischen Geschäftsregeln können Interdependenzen bestehen, da z.B. durch die Verarbeitung einer Regel andere Regeln ausgelöst werden. Diese Beziehungen müssen sich sowohl
in Prozessmodellen als auch in Datenmodellen beschreiben lassen.
In der Literatur werden für die Erstellung von Prozess- und Datenmodellen zahlreiche Methoden
disktuiert. Für die Regelmodellierung sind viele dieser Methoden19 jedoch nicht oder nur sehr
19
vgl. Abschnitt 2.1.
70
KAPITEL 2. REGELN IN UNTERNEHMEN
beschränkt geeignet ([HKMS94]). Dies kann damit begründet werden, dass diese Ansätze keine
adäquaten Konstruktionselemente unterstützen, mit denen sich die Geschäftsregeln inhaltlich
und semantisch korrekt beschreiben lassen. So können z.B. Regeln, die auf Zeit-Ereignissen
(z.B. 1999-01-01,12:00h) basieren, oftmals nicht modelliert werden.
Für die Modellierung des situationsbezogenen Verhaltens von Geschäftsregeln werden in der Literatur aber auch andere Methoden vorgeschlagen. Zwei Beispiele hierfür sind ereignisgesteuerte
Prozessketten (EPK) und die BROCOM-Methode, die im folgenden genauer betrachtet werden.
2.3.2.1
Ereignisgesteuerte Prozessketten
Für die formale Beschreibung von Geschäftsprozessen wird in ARIS (Architektur integrierter Informationssysteme) die Methode der ereignisgesteuerten Prozessketten (EPK) verwendet
([HKS93]; [Kel94]; [Sch94], S. 49ff.). Der zentrale Gedanke dieser Methode besteht darin, dass Ereignisse unternehmerische Funktionen auslösen und deren Ergebnis darstellen. Durch eine solche
ereignisgesteuerte Modellierung wird die Funktionssicht mit der Datensicht verbunden ([Sch94],
S. 49). Für die Erstellung von EPK-Diagrammen stehen insgesamt drei Konstruktionselemente
zur Verfügung:
1. Ereignisse
Ereignisse bezeichnen bestimmte Zeitpunkte, die in ARIS als Daten aufgefasst werden.
Graphisch werden Ereignisse als Sechsecke repräsentiert.
2. Funktionen
Im Unterschied zu Ereignissen stellen Funktionen ein zeitverbrauchendes Geschehen dar,
die in EPK-Diagrammen als abgerundete Rechtecke dargestellt werden.
3. Boolesche Operatoren
Boolesche Operatoren beschreiben die Verknüpfung von Ereignissen. Dabei wird zwischen
der Verknüpfung von Eingängen und Ausgängen unterschieden, die auf logischen AND,
OR und XOR Beziehungen basieren. Graphisch werden diese Konnektoren durch (geteilte)
Kreise dargestellt, die über gerichtete Kanten mit Ereignissen und Funktionen verbunden
sind. Der obere Teil eines Kreises repräsentiert dabei die Eingangs- und der untere Teil
die Ausgangsverknüpfung.
Bei der Erstellung von EPK-Diagrammen sind einige Konstruktionsregeln zu beachten. So ist es
bspw. nicht zulässig, dass zwei Ereignisse oder zwei Funktionen direkt miteinander verbunden
werden:
• Ein Ereignis kann mit einer oder mehreren Funktion(en) verknüpft sein. Im zweiten Fall
sind Konnektoren zu verwenden.
• Der Abschluss einer Funktion führt zu einem Ereignis. Stellt ein Ereignis das Ergebnis
mehrerer Funktionen dar, sind Konnektoren zu verwenden.
• Hat ein Konnektor nur einen Eingang, dann wird auf die Angabe des Booleschen Operators
für die Eingangsverknüpfung verzichtet. Analoges gilt für den Ausgang eines Konnektors.
• Hat ein Konnektor genau einen Eingang und genau einen Ausgang, dann entfällt die Angabe des Konnektors. In diesem Fall wird entweder das Ereignis mit der Funktion oder die
Funktion mit dem Ereignis direkt über eine gerichtete Kante verbunden.
2.3. GESCHÄFTSREGELN
71
Um zu verdeutlichen, wie Geschäftsprozesse in EPK-Diagrammen dargestellt werden, wird als
Beispiel eine vereinfachte Auftragsabwicklung betrachtet.
Beispiel 2.4 (Auftragsabwicklung)
Die Auftragsabwicklung stellt in einem Versandhaus für Bekleidungsartikel einen wichtigen
Geschäftsprozess dar. Dieser Prozess umfasst eine Vielzahl von Einzelaufgaben, die von unterschiedlichen Stellen und Abteilungen erfüllt werden. So müssen z.B. Bestellungen erfasst, Artikel
kommissioniert, Rechnungen versendet und Zahlungen überprüft werden. In der Gesamtheit lassen sich diese Aufgaben zu sechs Teilprozessen zusammenfassen (vgl. Abb. 2.22):
• Auftragsannahme
Der Geschäftsprozess der Auftragsabwicklung wird durch den Eingang einer Kundenbestellung ausgelöst. In der Auftragsannahme wird überprüft, ob der Kunde schon bekannt
ist oder als ein neuer Kunde behandelt werden muss. Zudem ist die Bestellung zu erfassen.
• Auftragsvorbereitung
In der Auftragsvorbereitung werden Vorbereitungen getroffen, damit die Bestellung bearbeitet werden kann. So wird z.B. kontrolliert, ob die bestellten Artikel am Lager verfügbar
sind oder nicht.
• Auftragsbearbeitung
Im Teilprozess der Auftragsbearbeitung wird die Bestellung ausgeführt. Dazu werden die
Artikel kommissioniert, die Artikelbestände aktualisiert und Lieferscheine erstellt. Bevor
die Waren den Kunden gesendet werden können, müssen die kommissionierten Artikel
anhand der Lieferscheine überprüft werden.
• Auftragsfakturierung
In diesem Teilprozess werden Rechnungen erstellt und den Kunden zugesendet.
• Rechnungsverfolgung
Die Rechnungsverfolgung hat die Aufgabe, die fristgerechte Bezahlung der Rechnungen zu
überwachen. Für Kunden, die ihre Zahlungsfristen verletzt haben, werden Mahnbescheide
erstellt und versendet.
• Zahlungsüberprüfung
In der Zahlungsüberprüfung werden die Zahlungen der Kunden auf ihre Richtigkeit kontrolliert. So wird z.B. in dem Fall, dass ein zu geringer Betrag überwiesen wurde, eine neue
Rechnung über den Restbetrag erstellt und dem Kunden zugesendet.
Um eine effiziente Erfüllung dieses Geschäftsprozesses gewährleisten zu können, wurde eine Vielzahl von Geschäftsregeln geschaffen und eingeführt. So wurden z.B. für die Auftragsbearbeitung
acht Regeln erzeugt, die die zu erfüllenden Aufgaben und ihre Ausführungsreihenfolge wie folgt
beschrieben:
• GR 1: Ausführungsreihenfolge
Die Kommissionierung der Artikel, Erzeugung der Lieferscheine und Aktualisierung der
Bestände werden parallel ausgeführt. Erst nach der Bearbeitung dieser Aufgaben, werden
die Artikel kontrolliert und an den Kunden versendet.
• GR 2: Informierung des Abteilungsleiters
Sobald ein Auftrag vorbereitet ist, erhält der Abteilungsleiter des Lagers eine entsprechende Mitteilung. Zudem ist ein Formular über die Artikel zu erstellen, die aus dem Lager
geholt werden müssen.
72
KAPITEL 2. REGELN IN UNTERNEHMEN
Auftragsabwicklung
Auftragsannahme
Auftragsvorbereitung
Auftragsbearbeitung
Auftragsfakturierung
Rechnungsverfolgung
Zahlungsüberprüfung
Abbildung 2.22: Teilprozesse der Auftragsabwicklung.
• GR 3: Artikel kommissionieren
Die von den Kunden bestellten Artikel werden von den Mitarbeitern des Lagers kommissioniert. Dazu erhalten sie ein Formular, aus dem ersichtlich ist, welche Artikel aus dem
Lager zu holen sind.
• GR 4: Artikelbestände aktualisieren
Für jeden Artikel, der aus dem Lager entnommen wird, muss der Artikelbestand aktualisiert werden. Sollte ein Bestand den Schwellenwert 100 unterschreiten, ist eine Neubestellung auszulösen. Für diese Aufgaben ist der Abteilungsleiter des Lagers verantwortlich.
• GR 5: Lieferscheine erzeugen
Für jede Bestellung muss ein Lieferschein erzeugt und (elektronisch) erfasst werden. Dazu
werden die Daten der Kunden und der Bestellungen benötigt. Diese Aufgabe wird von den
Mitarbeitern des Lagers erfüllt.
• GR 6: Artikel kontrollieren und verpacken
Die kommissionierten Artikel sind anhand des erstellten Lieferscheines zu überprüfen. Danach werden die Artikel verpackt. Diese Arbeiten werden von den Lagermitarbeitern durchgeführt.
• GR 7: Artikel versenden
Den Kunden werden die bestellten Artikel samt Lieferschein zugesendet. Dazu werden ihre
Adressen benötigt. Für den Versand werden die Pakete von Mitarbeitern des Lagers zur
Post gebracht.
• GR 8: Auftragsbearbeitung beendet
Dem Abteilungsleiter des Lagers ist das Ende der Auftragsbearbeitung mitzuteilen.
Für eine Modellierung der Auftragsbearbeitung kann die Methode der ereignisgesteuerten Prozessketten verwendet werden (vgl. Abb. 2.23). Dazu müssen die elementaren Funktionen beschrieben und Ereignisse bestimmt werden. Zusätzlich sind Konnektoren zu verwenden, um die
parallele Verarbeitung darstellen zu können.
Aus Abbildung 2.23 ist zu ersehen, dass die Auftragsbearbeitung erst dann gestartet werden
darf, wenn das Ereignis Auftrag vorbereitet eintritt. Dieses Ereignis symbolisiert dabei die
Situation, in der die Teilprozesse der Auftragsannahme und Auftragsvorbereitung beendet sind.
Mit Hilfe des oberen Konnektors, (bei dem der Ausgang durch den Booleschen Operator AND
2.3. GESCHÄFTSREGELN
73
Auftrag
vorbereitet
Abteilungsleiter
informieren
Abteilungsleiter
informiert
AND
Artikelbestände
aktualisieren
Artikel
zusammenstellen
Lieferschein
erzeugen
Bestände
aktualisiert
Artikel
zusammengestellt
Lieferschein
erzeugt
Artikelbestände
kontrollieren
Artikel kontrollieren und verpacken
XOR
Neubestellung
ausgelöst
AND
Neubestellung
nicht ausgelöst
Artikel kontrolliert
und verpackt
Artikel
versenden
Artikel
versendet
Abteilungsleiter
informieren
Auftrag
bearbeitet
Abbildung 2.23: EPK-Diagramm der Auftragsbearbeitung.
74
KAPITEL 2. REGELN IN UNTERNEHMEN
verknüpft ist), wird die parallele Verarbeitung eingeleitet. Da für die Kontrolle der Artikel die
kommissionierten Artikel und der erstellte Lieferschein benötigt werden, müssen beide Aufgaben erfüllt und abgeschlossen sein. Im EPK-Diagramm wird diese Abhängigkeit durch einen
Konnektor dargestellt, bei dem die Eingänge mit dem AND Operator verknüpft sind. Die Auftragsbearbeitung endet mit der Warenversendung und der Informierung des Abteilungsleiters.
Diese Situation wird durch das Ereignis Auftrag bearbeitet repräsentiert.
Beispiel 2.4 verdeutlicht, dass sich mit der Methode der ereignisgesteuerten Prozessketten sowohl
Geschäftsprozesse als auch Geschäftsregeln formal beschreiben lassen. Diese Möglichkeit ergibt
sich daraus, dass die unterstützten Konstruktionselemente für die Modellierung von unternehmerischen Funktionen und Geschäftsregeln verwendet werden. Daher lassen sich nicht nur die
Ablauflogiken der Prozesse, sondern auch die Regelinterdependenzen beschreiben. Ein weiterer
Vorteil dieser Methode besteht darin, dass Geschäftsprozesse und Geschäftsregeln auf verschiedenen Detailliertheitsebenen dargestellt werden können. Dazu sind die Ereignisse und Funktionen
zu konkretisieren. Zudem können ECA-Regeln aus EPK-Diagrammen abgeleitet werden.
Neben diesen Vorteilen gilt es aber auch einige Nachteile dieser Methode zu nennen:
• Wenn Geschäftsregeln auf Basis einer ECA-Struktur beschrieben werden, lassen sich die
Bedingungen nicht explizit darstellen. In EPK-Diagrammen müssen die Regelbedingungen
zusammen mit den Aktionen durch Funktionen beschrieben werden. Daher sind in diesen
Diagrammen Geschäftsregeln, die sich einzig in ihren Bedingungen unterscheiden, durch
genau ein Ereignis und eine (mehrdeutige) Funktion modelliert. Eine solche Darstellung
beeinträchtigt nicht nur die Transparenz eines Modelles, sondern kann auch zu Zuordnungsund Auswertungsproblemen führen.
• In EPK-Diagrammen können nur bestimmte Typen komplexer Ereignisse detailliert dargestellt werden. Ereignisse, wie Verzögerungs-Ereignisse (z.B. 30 Minuten nach Auftrag
erfasst) und Intervall-Ereignisse (z.B. Kunde ruft an zwischen (Auftrag eingegangen und Auftrag bearbeitet)), lassen sich nur sprachlich beschreiben und durch ein
Ereignis darstellen. Eine detaillierte Modellierung ist nicht möglich, da die dazu notwendigen Operatoren nicht unterstützt werden.
• In EPK-Diagrammen lassen sich die Beziehungen zu Elementen der Datenmodelle und
Organisationsmodelle nicht darstellen. Deshalb können Regelwirkungen auf Daten und
Stellen, die für die Aufgabenerfüllung verantwortlich sind, nicht modelliert werden.
Zur Behebung des zuletzt genannten Nachteils wurde diese Methode um zusätzliche Konstruktionselemente erweitert. Zwei Konstrukte, die in der Methode der erweiterten ereignisgesteuerten
Prozessketten (eEPK) zur Verfügung stehen, sind:
• Organisationseinheiten
Organisationseinheiten beschreiben Stellen oder Abteilungen. Mit ihrer Zuordnung zu den
Funktionen eines Prozesses wird die Zuständigkeit festgelegt. Zudem wird die für die Aufgabenerfüllung erforderliche Entscheidungskompetenz an die Organisationseinheit übertragen. Graphisch werden Organisationseinheiten durch Ovale dargestellt, die an der linken
Seite eine senkrechte Linie aufweisen.
• Zustände
Mit Zuständen werden Objekte der Umwelt beschrieben, die für die Bearbeitung einer unternehmerischen Funktion benötigt werden. Während einer Prozessbearbeitung können
2.3. GESCHÄFTSREGELN
75
diese Zustände geändert werden. In eEPK-Diagrammen werden diese Elemente durch
Rechtecke repräsentiert, die an der linken und rechten Seite je zwei senkrechte Linien
enthalten.
Durch die Verwendung dieser beiden Konstruktionselemente können die Realweltausschnitte, in
denen die Geschäftsprozesse ablaufen, detaillierter dargestellt werden. Zudem lassen sich auch
die Wirkungen der Geschäftsregeln auf Datenobjekte und Organisationseinheiten beschreiben
(vgl. Abb. 2.24).
2.3.2.2
BROCOM
Die BROCOM-Methode stellt einen weiteren Ansatz dar, mit dem sich Geschäftsprozesse und
Geschäftsregeln konzeptionell darstellen lassen ([HK96]; [Her97]). Im Unterschied zu der EPKMethode steht hier nicht die Modellierung von Geschäftsprozessen, sondern die realitätsgetreue
Darstellung von Geschäftsregeln im Vordergrund. Dazu werden die Geschäftsregeln als eventcondition-action-action (ECAA)-Regeln repräsentiert, die ECA-Regeln um eine Aktionskomponente erweitern. Diese neue Komponente ist vergleichbar mit dem else-Teil eines if-then-else
Konstruktes, die genau dann verarbeitet wird, wenn das Ereignis der Regel eintritt und die Bedingung verletzt ist.
Zur Modellierung von Geschäftsprozessen werden in BROCOM ebenfalls ECAA-Regeln verwendet. Dabei werden die Ablauflogiken durch die Inhalte der Aktionskomponenten beschrieben
und die Verarbeitungsreihenfolgen werden durch Verknüpfungen zwischen den Aktions- und
Ereigniskomponenten realisiert. Somit wird in Analogie zu der EPK-Methode auch hier eine ereignisgesteuerte Modellierung verfolgt. Ein wesentlicher Unterschied besteht jedoch darin, dass
sich in BROCOM die Bedingungen der Geschäftsregeln explizit darstellen lassen.
Für die Spezifikation von regelbasierten Geschäftsprozessen wurden ein Vorgehensmodell und
ein Meta-Modell entwickelt:
• Vorgehensmodell
Die formale Beschreibung von Geschäftsprozessen kann zu einer sehr grossen Menge von
Geschäftsregeln führen. Um diese Komplexität zu verringern, werden in BROCOM zwei
Ansätze verfolgt ([Her97], S. 134ff.):
1. Geschäftsprozesse werden nach der Top-Down Methode modelliert, mit der eine Hierarchie von übergeordneten und untergeordneten Prozessen geschaffen wird. Dabei
wird das Verhalten der Teilprozesse voneinander getrennt spezifiziert.
2. Geschäftsregeln werden dahingehend unterschieden, ob sie mindestens einem Prozess
zugeordnet oder für alle Prozesse gültig sind. Die zuerst genannte Regelmenge wird bei
der Spezifikation der Prozesse erzeugt und besteht vor allem aus Automationsregeln20 .
Die zuletzt genannte Regelmenge beinhaltet hauptsächlich Integritätsregeln21 , die sich
auf das Datenmodell beziehen.
Aus diesen beiden Ansätzen lassen sich einige Schritte des Vorgehensmodells ableiten.
Insgesamt umfasst das Modell fünf Schritte (vgl. Abb. 2.25):
20
21
vgl. Abschnitt 2.3.1.
vgl. Abschnitt 2.3.1.
76
KAPITEL 2. REGELN IN UNTERNEHMEN
Auftrag
vorbereitet
Auftragsvorbereitung
Abteilungsleiter
informieren
Auftrag
Kunde
Abteilungsleiter
informiert
Lager
Lager
AND
Auftrag
Auftrag
Artikelbestände
aktualisieren
Artikel
zusammenstellen
Lieferschein
erzeugen
Artikel
Kunde
Bestände
aktualisiert
Artikel
zusammengestellt
Lieferschein
erzeugt
Lager
Artikelbestände
kontrollieren
AND
Artikel
Artikel kontrollieren und verpacken
XOR
Neubestellung
ausgelöst
Neubestellung
nicht ausgelöst
Lager
Artikel kontrolliert
und verpackt
Artikel
versenden
Lager
Artikel
versendet
Abteilungsleiter
informieren
Lager
Auftrag
bearbeitet
Abbildung 2.24: eEPK-Diagramm der Auftragsbearbeitung.
2.3. GESCHÄFTSREGELN
77
Modeling Steps
Specification of the
process structure
Specification of the
processes by using
business rules
Repository
Specification of the
conceptual data model
Specification of integrity
constraints by using
business rules
Validation
Business rules,
processes,
data model,
processors,
facts on the
organization
Meta-Model
Systems design,
implementation, ...
Abbildung 2.25: Vorgehensmodell der BROCOM-Methode ([Her97]).
1. Prozessstruktur
Der erste Schritt beinhaltet die Festlegung der Prozessstruktur. Dadurch werden die
Prozessinterdependenzen transparent. Zudem können die Prozesse in Teilprozesse aufgespalten werden, wodurch sich ihre Verwaltung und Wiederverwendbarkeit erhöht.
2. Prozessdynamik
Im zweiten Schritt werden die Prozesse und Teilprozesse auf der Grundlage von
Geschäftsregeln spezifiziert. Durch eine schrittweise Verfeinerung der ECAA-Regeln
lassen sich die Prozesse und Prozessstrukturen sukzessiv detaillieren.
3. Konzeptionelles Datenmodell
Im dritten Schritt wird das Datenmodell entwickelt. Dazu werden aus den modellierten Prozessen die Datenobjekte abgeleitet, die im Datenmodell strukturiert werden
sollten.
4. Integritätsbedingungen
Im vierten Schritt wird das Datenmodell analysiert. Dabei werden statische und dynamische Integritätsbedingungen definiert, die auf der Basis von ECAA-Regeln spezifiziert werden.
78
KAPITEL 2. REGELN IN UNTERNEHMEN
5. Validierung
Im fünften Schritt werden die Prozessmodelle und das Datenmodell von Analytikern
und Mitarbeitern auf ihre Korrektheit überprüft.
Durch die Verwendung von ECAA-Regeln lassen sich in BROCOM die gleichen Konstruktionselemente für die Verfeinerung von Geschäftsprozessen einsetzen.
• Meta-Modell
Für eine strukturierte Speicherung der Meta-Daten, die für die konzeptionelle Darstellung
von Geschäftsregeln benötigt werden, wurde ein Meta-Modell entwickelt ([Her95]; [Her97],
S. 109ff.; [HM97]). Dieses Modell umfasst sechs Komponenten (vgl. Abb. 2.26):
1. Komponente ’Business Rule’
In dieser Komponente sind die Geschäftsregeln in der Form von ECAA-Regeln dargestellt. Hierfür werden u.a. die Entitätstypen Business Rule, Events, Conditions und
Actions verwendet.
2. Komponente ’Processes’
In diesem Teil des Meta-Modelles werden die Geschäfts- und Teilprozesse beschrieben. Dazu umfasst diese Komponente den Entitätstypen Process, der u.a. mit der
Komponente Business Rule verknüpft ist.
3. Komponente ’Data Model’
In dieser Komponente werden die Datenobjekte erfasst, die für die Verarbeitung von
Geschäftsregeln benötigt werden. Das Modell beinhaltet dazu die Entitätstypen Entity Type, Attribute und Relationship Type.
4. Komponente ’Origins’
Die Quellen der Geschäftsregeln werden in dieser Komponente gespeichert, die u.a.
für eine Analyse verwendet werden können.
5. Komponente ’Processor’
In der Komponente ’Processor’ werden die verarbeitenden Einheiten erfasst, die für
die Ausführung der ECAA-Regeln verantwortlich sind. Dabei wird zwischen Mitarbeitern, Maschinen und Software-Komponenten unterschieden.
6. Komponente ’Organizational Unit’
Diese Komponente repräsentiert die organisatorische Struktur des Unternehmens und
die notwendigen Verantwortlichkeiten zur Prozessverarbeitung.
Das Meta-Modell wurde auf der Basis des kommerziell verfügbaren Repository-Systems Rochade
realisiert. Dieser Prototyp heisst BURRO, was ein Akronym für Business Rule Repository ist,
und erlaubt über eine Benutzerschnittstelle, die im Repository gespeicherten Daten aus verschiedenen Sichten zu betrachten und graphisch darzustellen. Beispiele für solche Sichten sind die
Prozesssicht, die Datensicht und die Datenverwendungssicht, mit der die Beziehungen zwischen
Prozessen und Daten veranschaulicht werden. Zur Veranschaulichung, wie sich Geschäftsregeln
in BROCOM spezifizieren und graphisch darstellen lassen, wird hier der Teilprozess der Auftragsbearbeitung aus Beispiel 2.4 noch einmal aufgegriffen.
Beispiel 2.5 (Darstellung der Auftragsbearbeitung in BROCOM)
In BROCOM müssen die Geschäftsregeln in Form von ECAA-Regeln spezifiziert werden, die z.B.
aus EPK-Diagrammen abgeleitet werden können. Um zu verdeutlichen, wie sich Geschäftsregeln
auf der Basis von ECAA-Regeln repräsentieren lassen, werden die in Beispiel 2.4 beschriebenen
Regeln noch einmal angegeben:
2.3. GESCHÄFTSREGELN
79
is_raised_by
consists_of
(0,n)
(0,n)
Processes
(0,n)
(1,n)
(0,1)
refines
is_specified_by
(0,n)
Origins
(0,n)
Business Rule
(1,1)
encompasses
(0,1)
(0,n)
(0,n)
is_part_of
(1,1)
(0,1)
(1,2)
(0,n)
(0,n)
Events
(0,n)
consists_of
Conditions
(1,n)
(0,n)
Actions
consists_of
(0,n)
(0,n)
(0,n)
(0,n)
refers_to
(0,n)
refers_to
(0,n)
(1,n)
refers_to
(0,n)
Data Model
is_evaluated_by
(1,n)
Processor
is_raised_by
(1,n)
is_performed_by
(1,n)
(0,n)
belongs_of
(1,1)
is_owned_by
(1,n)
(0,n)
Organizational
Unit
consists_of
(0,n)
(0,n)
is_performed_by
Abbildung 2.26: Meta-Modell der BROCOM-Methode ([Her97]).
(0,n)
(0,n)
80
KAPITEL 2. REGELN IN UNTERNEHMEN
• GR 1: Ausführungsreihenfolge
Die Kommissionierung der Artikel, Erzeugung der Lieferscheine und Aktualisierung der
Bestände werden parallel ausgeführt. Erst nach der Bearbeitung dieser Aufgaben, werden
die Artikel kontrolliert und an den Kunden versendet.
Diese Geschäftsregel wird nicht explizit durch eine ECAA-Regel dargestellt. Die Verarbeitungsreihenfolge der einzelnen Aufgaben ergibt sich aus den Interdependenzen, die
zwischen den Aktions- und Ereigniskomponenten der anderen Regeln existieren, die im
folgenden erläutert werden.
• GR 2: Informierung des Abteilungsleiters
Sobald ein Auftrag vorbereitet ist, erhält der Abteilungsleiter des Lagers eine entsprechende Mitteilung. Zudem ist ein Formular über die Artikel zu erstellen, die aus dem Lager
geholt werden müssen.
GR-2:
E:
C:
A:
A:
Abteilungsleiter informieren
ON
’Auftrag vorbereitet’
IF
<leer>
DO
Abteilungsleiter informieren;
raise ’Abteilungsleiter informiert’
ELSE <leer>.
• GR 3: Artikel kommissionieren
Die von den Kunden bestellten Artikel werden von den Mitarbeitern des Lagers kommissioniert. Dazu erhalten sie ein Formular, aus dem ersichtlich ist, welche Artikel aus dem
Lager zu holen sind.
GR-3:
E:
C:
A:
A:
kommissionieren
’Abteilungsleiter informiert’
<leer>
Artikel zusammenstellen;
raise ’Artikel zusammengestellt’
ELSE <leer>.
Artikel
ON
IF
DO
• GR 4: Artikelbestände aktualisieren
Für jeden Artikel, der aus dem Lager entnommen wird, muss der Artikelbestand aktualisiert werden. Sollte ein Bestand den Schwellenwert 100 unterschreiten, ist eine Neubestellung auszulösen. Für diese Aufgaben ist der Abteilungsleiter des Lagers verantwortlich.
Diese Geschäftsregel kann auf der Basis von zwei ECAA-Regeln beschrieben werden:
GR-4a:
E:
C:
A:
A:
GR-4b:
E:
C:
A:
A:
Bestände aktualisieren
ON
’Abteilungsleiter informiert’
IF
<leer>
DO
Artikelbestände aktualisieren;
raise ’Bestände aktualisiert’
ELSE <leer>.
Bestände überprüfen
ON
’Bestände aktualisiert’
IF
(Bestände < 100)
DO
Neubestellung auslösen;
raise ’Neubestellung ausgelöst’
ELSE <leer>.
2.3. GESCHÄFTSREGELN
81
• GR 5: Lieferscheine erzeugen
Für jede Bestellung muss ein Lieferschein erzeugt und (elektronisch) erfasst werden. Dazu
werden die Daten der Kunden und der Bestellungen benötigt. Diese Aufgabe wird von den
Mitarbeitern des Lagers erfüllt.
GR-5:
E:
C:
A:
A:
Lieferschein erzeugen
ON
’Abteilungsleiter informiert’
IF
(Kunden- und Bestelldaten verfügbar)
DO
Lieferschein erzeugen und erfassen;
raise ’Lieferschein erzeugt’
ELSE <leer>.
• GR 6: Artikel kontrollieren und verpacken
Die kommissionierten Artikel sind anhand des erstellten Lieferscheines zu überprüfen. Danach werden die Artikel verpackt. Diese Arbeiten werden von den Lagermitarbeitern durchgeführt.
GR-6:
E:
C:
A:
A:
Artikel kontrollieren
ON
’Lieferschein erzeugt’ AND
’Artikel zusammengestellt’
IF
<leer>
DO
Artikel kontrollieren und verpacken;
raise ’Artikel kontrolliert und verpackt’
ELSE <leer>.
• GR 7: Artikel versenden
Den Kunden werden die bestellten Artikel samt Lieferschein zugesendet. Dazu werden ihre
Adressen benötigt. Für den Versand werden die Pakete von Mitarbeitern des Lagers zur
Post gebracht.
GR-7:
E:
C:
A:
A:
versenden
’Artikel kontrolliert und verpackt’
<leer>
Artikel versenden;
raise ’Auftrag versendet’
ELSE <leer>.
Artikel
ON
IF
DO
• GR 8: Auftragsbearbeitung beendet
Dem Abteilungsleiter des Lagers ist das Ende der Auftragsbearbeitung mitzuteilen.
GR-8:
E:
C:
A:
A:
Bestellung versenden
ON
’Artikel versendet’
IF
<leer>
DO
Abteilungsleiter informieren;
raise ’Auftrag bearbeitet’
ELSE <leer>.
In BURRO können für die graphische Darstellung von Prozesssichten ECAA (ECA2 )-Netze
verwendet werden, die eine Art von höheren Petri-Netzen darstellen. Diese Netze basieren neben
Plätzen und Transitionen auf zwei weiteren Konstruktionselementen (vgl. Abb. 2.27), die zur
Darstellung der Bedingungs- und Aktionskomponenten verwendet werden. Ereignisse sind in
diesen Netzen durch Plätze repäsentiert.
82
KAPITEL 2. REGELN IN UNTERNEHMEN
ECAA Struktur
ECA Struktur
EA Struktur
Ereignis
Bedingung
1
0
DannAktion
1
0
SonstAktion
Ereignis
Abbildung 2.27: ECA2 -Netze für ECAA-, ECA- und EA-Regeln ([Her97]).
ECA2 -Netze weisen im Unterschied zu EPK-Diagrammen eine höhere Komplexität (vgl. Abb.
2.28) auf, die vor allem darin begründet ist, dass die Bedingungskomponenten der ECAA-Regeln
explizit darstellbar sind. Dadurch wird das Prozessverhalten transparent und nachvollziehbar.
Neben dieser Prozesssicht lassen sich in BURRO die ECAA-Regeln auch aus einer Datenverwendungssicht betrachten (vgl. Abb. 2.29). In dieser Sicht werden die Prozessmodelle mit dem
Datenmodell (z.B. einem ER-Diagramm) verbunden. Dabei zeigt diese Sicht, welche Datenobjekte für die Verarbeitung der ECAA-Regeln benötigt werden. Die Datenverwendungssicht ist
vergleichbar mit eEPK-Modellen, in denen die Organisationseinheiten nicht dargestellt sind.
2.3.3
Alternativen der Implementierung
Die Implementierung eines Informationssystems beinhaltet die informationstechnikbezogene
Umsetzung des entwickelten konzeptionellen Modelles. Dazu werden die Prozessmodelle durch
Anwendungsprogramme realisiert und das Datenmodell wird in das Schema eines konkreten
Datenbanksystems übertragen. Um eine vollständige und realitätsgetreue Umsetzung sicherzustellen, müssen auch die in den Modellen beschriebenen Geschäftsregeln, die als ECA-Regeln
repräsentiert sind, implementiert werden. Ihre Realisierung beinhaltet daher die Implementierung von Situationen (Ereignissen und Bedingungen), die überwacht und bei ihrem Eintreten
erkannt werden müssen. Zudem sind die Reaktionen (Aktionen) zu programmieren, die in Folge
des Erkennens der Situationen auszuführen sind. Daher erscheint es sinnvoll, dass die Regeln,
die sich primär auf die Datenbankebene beziehen, im Datenbanksystem und die Regeln, die
sich in erster Linie der Applikationsebene zuordnen lassen, in Anwendungsprogrammen realisiert
werden.
Für die computergestützte Erfüllung der Geschäftsregeln stellen sich auf beiden Ebenen mehrere
Alternativen zur Auswahl. Um entscheiden zu können, ob und welche dieser Implementierungsarten geeignet sind, werden sie im folgenden genauer erläutert.
2.3.3.1
Applikationsebene
Anwendungsprogramme werden auf der Grundlage von Programmiersprachen erstellt, die sich
in ihrer Gesamtheit in fünf Generationen gliedern lassen ([Dis88], S. 2):
2.3. GESCHÄFTSREGELN
83
’Auftrag vorbereitet’
Abteilungsleiter
informieren
’Abteilungsleiter
informiert’
Artikelbestände
aktualisieren
Artikel
zusammenstellen
’Bestände
aktualisiert’
’Artikel
zusammengestellt’
Kunden- und Bestellungsdaten vorhanden
1
Lieferschein
erzeugen
’Lieferschein
erzeugt’
Artikelbestände < 100
1
0
Neubestellung
auslösen
’Neubestellung
ausgelöst’
’Lieferschein erzeugt’ AND
’Artikel zusammengestellt’
Artikel kontrollieren
und verpacken
’Artikel kontrolliert
und verpackt’
Artikel versenden
’Artikel versendet’
Abteilungsleiter
informieren
’Auftrag bearbeitet’
Abbildung 2.28: ECA2 -Netz für die Auftragsbearbeitung.
0
84
KAPITEL 2. REGELN IN UNTERNEHMEN
’Auftrag vorbereitet’
Abteilungsleiter
informieren
’Abteilungsleiter
informiert’
Artikelbestände
aktualisieren
Artikel
zusammenstellen
’Bestände
aktualisiert’
’Artikel
zusammengestellt’
Kunden- und Bestellungsdaten vorhanden
1
Lieferschein
erzeugen
’Lieferschein
erzeugt’
Artikelbestände < 100
1
0
Neubestellung
auslösen
’Lieferschein erzeugt’ AND
’Artikel zusammengestellt’
’Neubestellung
ausgelöst’
Artikel kontrollieren
und verpacken
’Artikel kontrolliert
und verpackt’
Kunde
(1,1)
Artikel versenden
hat
(1,n)
Auftrag
(1,1)
gibt es
’Artikel versendet’
(1,1)
enthält
(1,n)
Abteilungsleiter
informieren
Artikel
’Auftrag bearbeitet’
(1,1)
Lieferschein
Abbildung 2.29: ECA2 -Netz und ER-Diagramm für die Auftragsbearbeitung.
0
2.3. GESCHÄFTSREGELN
85
• 1. Generation (1GL)
Die Klasse der 1. Generation besteht aus Maschinensprachen, deren Programmierung auf
der Grundlage von Binärcodes erfolgt.
• 2. Generation (2GL)
Die 2. Generation der Programmiersprachen beinhaltet maschinenorientierte Sprachen,
die auch als Assembler-Sprachen bekannt sind. Die Programme werden auf der Basis von
symbolischen (mnemonischen) Befehlen erstellt.
• 3. Generation (3GL)
Die Sprachen der 3. Generation werden als höhere Programmiersprachen bezeichnet, deren
Programme aus einer Sequenz von Anweisungen bestehen, die durch Schleifen und Verzweigungen strukturiert sind. Ein wichtiges Konzept dieser Sprachen stellen die Variablen
dar, in denen die Werte für die Verarbeitung gespeichert sind. Beispiele sind C, Pascal und
Modula-2.
• 4. Generation (4GL)
Die Klasse der 4. Generation beinhaltet Programmiersprachen, die als deskriptische Sprachen bekannt sind. Die Programme basieren auf Befehlen, mit denen nicht die Verarbeitungsvorschriften festgelegt, sondern die Eigenschaften bestimmter Daten beschrieben
werden. Beispiele dafür sind Oracle*Forms, PowerBuilder und Uniface.
• 5. Generation (5GL)
Die 5. Generation der Programmiersprachen ist charakterisiert durch Sprachen, mit denen wissensbasierte Systeme, wie Expertensysteme ([Goo85]; [Sil87]; [Ern88]), entwickelt
werden können. Wissensbasierte Systeme stellen Systeme dar, in denen das Wissen über
ein spezielles Gebiet in Form von Fakten und Regeln gespeichert ist. Beispiele für solche
Sprachen sind PROLOG und OPS5 ([BFKM85]). Auf Expertensysteme wird im Zusammenhang mit aktiven Datenbanksystemen eingegangen22 .
Für die Implementierung von Anwendungsprogrammen werden heute vor allem Sprachen der 3.
und 4. Generation verwendet. Dies impliziert, dass die Geschäftsregeln mit Hilfe der Konstruktionselemente einer Sprache beschrieben und in die Programme integriert werden müssen. Die
regelauslösenden Situationen sind daher in diesen Programmen zu überwachen und zu erkennen.
Dabei muss auf einige wichtige Gesichtspunkte hingewiesen werden:
• Situationen können nur in den Anwendungsprogrammen erkannt werden, in denen sie
implementiert sind.
• Situationen können nur dann erkannt werden, wenn die entsprechenden Anwendungsprogramme ausgeführt werden.
Geschäftsregeln können in Programmen, die in Sprachen der 3. Generation erstellt sind, auf zwei
Arten implementiert werden:
1. Erweiterung der Anwendungsprogramme
Bei dieser Alternative wird der Quellcode der Regeln in die Anwendungsprogramme integriert, in denen auf das Eintreten der spezifizierten Situationen reagiert werden muss.
Die Situationen werden durch die Bedingungskomponenten repräsentiert, die mit Hilfe von
22
vgl. Abschnitte 3.2 und 3.9.2.3.
86
KAPITEL 2. REGELN IN UNTERNEHMEN
if-then-else Konstrukten realisiert sind. Die auszuführenden Aktionen sind im then-Teil
programmiert (vgl. Abb. 2.30).
Diese Implementierungsalternative ist für Geschäftsregeln geeignet, die durch Situationen
der Applikationsebene ausgelöst und nur von einem Programm verwendet werden. Mit
einer solchen Realisierung sind aber einige Nachteile verbunden:
• Die Änderung einer Geschäftsregel erfordert, dass das Programm aktualisiert und neu
übersetzt werden muss.
• Falls eine so implementierte Geschäftsregel auch in anderen Anwendungsprogrammen
benötigt wird, muss sie in diesen Programmen ebenfalls neu implementiert werden.
Dies kann zu Inkonsistenzen führen, da durch die Änderung einer Regel auch alle
anderen Regelkopien angepasst werden müssen. Zudem verhindert die ’feste Programmierung’ der Geschäftsregeln ihre Wiederverwendbarkeit.
• Sind in einem Anwendungsprogramm viele Situationen berücksichtigt, kann dies die
Lesbarkeit und Verständlichkeit der Programme verschlechtern.
Um die Wiederverwendung zu ermöglichen, können Module erstellt werden, in denen die
Bedingungskomponenten und Aktionskomponenten der ECA-Regeln in Form von Prozeduren zusammengefasst sind. Die Erkennung der regelauslösenden Situationen verbleibt
in den Anwendungsprogrammen, da ihr Eintreten sonst nicht bemerkt wird. Wenn eine
bestimmte Situation eintritt, wird die Verarbeitung der zugehörigen Regeln durch einen
Prozeduraufruf initiiert (vgl. Abb. 2.31). Um die Modularisierung zu erhöhen, können die
Bedingungs- und Aktionskomponenten in separaten Prozeduren implementiert werden.
2. Spezielle Anwendungsprogramme
Eine zweite Möglichkeit besteht darin, die Geschäftsregeln in Form spezieller Anwendungsprogramme zu implementieren. Diese Art der Realisierung ist geeignet für Regeln, die
durch Ereignisse der Datenbankebene ausgelöst werden, die aber auf der Applikationsebene zu verarbeiten sind. Damit diese Situationen erkannt werden, muss in periodischen
Abständen die Datenbank abgefragt werden. Tritt ein bestimmtes Ereignis ein, wird die
Verarbeitung der Regel(n) initiiert, indem z.B. eine Prozedur aufgerufen wird. Diese Art
der Implementierung wird auch als polling ([WC96], S. 3) bezeichnet.
Bei der Erstellung dieser Programme muss festgelegt werden, in welchen Abständen die
Überprüfungen durchgeführt werden sollen:
• Wenn eine hohe Frequenz (z.B. jede Sekunde) gewählt wird, dann wird die Datenbank
häufig bis sehr oft kontrolliert. Da für jede dieser Kontrollen gewisse Anfragen vom
Datenbankmanagementsystem zu verarbeiten sind, kann dies zu einer Verschlechterung der Performance und des Antwortverhaltens führen. Zudem ist zu vermuten,
dass auf die meisten Anfragen nicht reagiert werden muss.
• Ist eine geringe Frequenz (z.B. alle 7 Tage) festgelegt, wird die Datenbank selten
überprüft. Dabei besteht die Gefahr, dass Situationen entweder verspätet oder gar
nicht erkannt werden. Dies hat zur Folge, dass sich eine sofortige Reaktion auf die
eintretende Situation nicht garantieren lässt.
Beide Implementierungsalternativen beinhalten wesentliche Nachteile, so dass von diesen Möglichkeiten der Geschäftsregelrealisierung Abstand genommen werden sollte. Neben den bereits
zuvor erläuterten Nachteilen ist zu erwähnen, dass sich auf diese Weise nur wenige Arten der
Geschäftsregeln implementieren lassen. Regeln, die durch Datenmanipulations-Ereignisse oder
Zeit-Ereignisse ausgelöst werden, können entweder nicht adäquat oder gar nicht realisiert werden.
2.3. GESCHÄFTSREGELN
87
Anwendungsprogramm
...
IF
(Bedingung_i)
THEN Aktion_i
END_IF
...
Geschäftsregel (i)
...
IF
(Bedingung_j)
THEN Aktion_j
END_IF
...
Geschäftsregel (j)
Abbildung 2.30: Erweiterung eines Anwendungsprogramms.
Regelmodul
Anwendungsprogramm
...
PROCEDURE Regel_i
Begin
...
IF
(Bedingung_i)
THEN Aktion_i
CALL Regel_i
...
END_IF
Aufruf Geschäftsregel (i)
End
...
Geschäftsregel (i)
...
PROCEDURE Regel_j
Begin
...
IF
(Bedingung_j)
THEN Aktion_j
CALL Regel_j
END_IF
...
Aufruf Geschäftsregel (j)
End
...
Geschäftsregel (j)
Abbildung 2.31: Modulare Implementierung von Geschäftsregeln.
88
KAPITEL 2. REGELN IN UNTERNEHMEN
Die Implementierung von Geschäftsregeln mit Programmiersprachen der 4. Generation führt im
wesentlichen zu den gleichen Problemen, obgleich die Bedeutung und Verwendungsmöglichkeiten
von Ereignissen in modernen 4-GL Sprachen erkannt und berücksichtigt wurde. Die Ereignisse
eignen sich aber für die Implementierung von Geschäftsregeln nur wenig. So werden z.B. Ereignisse unterstützt, die durch das Klicken auf Elemente einer graphischen Benutzeroberfläche
ausgelöst werden. Solche Ereignisse können für Geschäftsregeln von Bedeutung sein, sind aber
vor allem davon abhängig, wie die Oberflächen konzipiert und realisiert sind. Daher wird diese Implementierungsalternative nicht weiter betrachtet. In Sprachen der 4. Generation werden
auch Ereignisse unterstützt, die durch Datenmanipulationsbefehle ausgelöst werden. Damit ergibt sich für Geschäftsregeln, die auf datenbezogenen Ereignissen basieren, eine bessere Art der
Implementierung als mit dem polling Ansatz. Regeln, die auf Zeit-Ereignissen basieren, lassen
sich aber in diesen Sprachen nicht oder nur bedingt realisieren ([Her97], S. 37).
2.3.3.2
Datenbankebene
Die Geschäftsregelimplementierung auf Datenbankebene erfordert, dass die Regeln in einem
Datenbanksystem spezifiziert werden können. Für eine Verarbeitung sind somit Konzepte und
Mechanismen notwendig, mit denen sich Situationen spezifizieren und überwachen sowie Reaktionen ausführen lassen.
Konventionelle Datenbanksysteme sind dafür ungeeignet, da sie passiv sind. In diesen Systemen
werden Daten nur dann manipuliert oder selektiert, wenn die dazu erforderlichen Befehle von
Benutzern oder Anwendungsprogrammen spezifiziert und an das Datenbankmanagementsystem
zur Verarbeitung übergeben werden. Der Einsatz solcher Systeme in Informationssystemen impliziert, dass alle Regeln mit Ausnahme von Integritätsbedingungen auf der Applikationsebene
zu implementieren sind.
Im Forschungsbereich Datenbanksysteme wird seit mehreren Jahrzehnten an einer Lösung dieses
Problems gearbeitet. Dabei ist u.a. untersucht worden, ob und wie sich passive Datenbanksysteme erweitern lassen, damit sie für Anwendungen mit einem situationsbezogenen Verhalten
eingesetzt werden können. Zwei Entwicklungen, die es in diesem Zusammenhang zu nennen gilt,
sind deduktive und aktive Datenbanksysteme:
• Deduktive Datenbanksysteme
Deduktive Datenbanksysteme sind Systeme, in denen relationale Datenbanksysteme mit
der logischen Programmierung verknüpft sind ([GMN84]; [Gal88]; [HD93]; [RH94]). Die
ursprüngliche Problemstellung, die zu der Entwicklung dieser Systeme führte, bestand in
der Frage: Wie können aus gespeicherten Fakten andere Fakten abgeleitet werden? Die
Antwort darauf stellen Ableitungsregeln oder deduktive Regeln dar ([WF90]; [HW93]).
In deduktiven Datenbanksystemen werden die Fakten in Form von Daten und (deduktiven) Regeln gespeichert. Für die Ableitung von nicht gespeicherten Fakten werden diese
Regeln ausgelöst und verarbeitet. Sie können daher als eine allgemeine Art von Sichten
aufgefasst werden, die im Kontext relationaler Systeme bekannt sind. Im Unterschied dazu
beschreiben ECA-Regeln, welche (Folge-)Aktionen aufgrund eingetretener Ereignisse auszuführen sind. Es handelt sich somit um zwei orthogonale Konzepte, die aber durchaus
gemeinsam in einem System realisiert werden können. So wurde z.B. die Integration aktiver
und deduktiver Mechanismen untersucht ([dMS88]; [DUHK92]). Zudem wurde daran gearbeitet, ECA-Regeln für die Implementierung deduktiver Regeln zu verwenden ([CW91];
[Wid93]). Die Idee besteht darin, für jede deduktive Regel eine Menge von ECA-Regeln
zu generieren. Zur Verdeutlichung wird folgendes Beispiel betrachtet ([DG96], S. 40f.)
2.3. GESCHÄFTSREGELN
89
Beispiel 2.6 (Deduktive und ECA-Regeln)
In einem deduktiven Datenbanksystem sei die folgende deduktive Regel definiert:
p(X) ← q(X,Y), s(Y)
Diese Regel hat die Semantik: p(X) wird von q(X,Y) und s(Y) abgeleitet. Um diese Regel in aktiven Datenbanksystemen implementieren zu können, sind zwei ECA-Regeln zu
definieren:
ON
IF
DO
query(p(X))
(true)
query(q(X,Y))
ON
IF
DO
answer(q(X,Y))
(true)
query(s(Y))
Auf diese Weise wird jedesmal, wenn eine Anfrage p(X) erfolgt, eine Anfrage nach q(X,Y)
generiert. Liefert diese Anfrage ein wahres Ergebnis, erfolgt eine Anfrage s(Y).
Mit deduktiven Regeln lässt sich aber nur ein eingeschränktes reaktives Verhalten realisieren. Eine Vielzahl von Situationen, die z.B. auf Zeit-Ereignissen basieren, kann nicht
spezifiziert werden. Aus diesem Grund sind diese Systeme für die Implementierung von
Geschäftsregeln nicht geeignet.
• Aktive Datenbanksysteme
Aktive Datenbanksysteme erweitern passive Systeme um Funktionalitäten, mit denen sich
ein reaktives bzw. situationsbezogenes Verhalten realisieren lässt. Diese Datenbanksysteme
sind dadurch charakterisiert, dass sie selbständig Situationen erkennen und darauf mit der
Ausführung von Aktionen reagieren können. Für die Spezifikation und Ausführung eines
solchen Verhaltens werden ECA-Regeln unterstützt, die basierend auf einer Regelsprache
definiert werden. Mit diesen Sprachen ist das Spektrum reaktiven Verhaltens festgelegt,
das in aktiven Datenbanksystemen implementiert werden kann. Für die Regelverarbeitung beinhalten sie ein spezielles Ausführungsmodell, das Ereignisse erkennt, Bedingungen
auswertet und Aktionen verarbeitet.
In den letzten Jahren wurde im Rahmen von Projekten eine Vielzahl von Prototypen
entwickelt. Dabei wurden sowohl relationale als auch objektorientierte Datenbanksysteme
um aktive Komponenten erweitert. Einige Beispiele dafür sind:
– Postgres ([SR86]; [SHP88]; [SHP89])
– Starburst ([HCL+ 90]; [WCL91]; [Wid92b]; [Wid96a]; [Wid96b])
– Ode ([GJ91]; [GJ96]; [LGA96])
– Samos ([Gat95]).
Diese Forschungsentwicklungen haben sich auch auf kommerzielle Systeme ausgewirkt.
Heute unterstützt nahezu jedes relationale Datenbanksystem, wie z.B. DB2 ([Luf96];
[Luf97]), Ingres ([Ing91a]; [Ing91b]), Oracle ([Ora92a]; [Ora92b]) und Sybase ([Syb94a];
[Syb94b]), einen Trigger-Mechanismus. Dabei wird das reaktive Verhalten auf der Basis
von Datenbanktriggern spezifiziert und realisiert. Ein Beispiel für einen in Ingres definierten
Trigger ist:
90
KAPITEL 2. REGELN IN UNTERNEHMEN
CREATE RULE emp_delete
AFTER DELETE ON EMPLOYEE
EXECUTE PROCEDURE
manager_emp_track (ename = OLD.name, mname = OLD.manager)
CREATE PROCEDURE manager_emp_track
(ename VARCHAR (39), mname VARCHAR (30))
AS
BEGIN
UPDATE manager
SET employee = employee -1
WHERE name = :mname;
INSERT INTO mgrlog VALUES (:mname, :ename);
END;
Jedoch muss darauf hingewiesen werden, dass sich im Vergleich zu den Funktionalitäten der
Prototypen mit diesen Systemen meist nur ein sehr eingeschränktes Verhalten spezifizieren
lässt. Dies hat dazu geführt, dass in der Praxis zumeist auf den Einsatz der TriggerMechanismen kommerzieller Datenbanksysteme verzichtet wird ([KS95]).
Aktive Datenbanksysteme scheinen für die Implementierung von Geschäftsregeln besonders gut
geeignet zu sein. Um diesen Eindruck zu überprüfen, wird im folgenden Kapitel 3 eine Einführung
in die Theorie aktiver Datenbanksysteme und einen Überblick über entwickelte Systeme gegeben.
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