Lauterkeitsrecht in - Peace Palace Library

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Lauterkeitsrecht in
Europa
© sellier. european law publishers
www.sellier.de
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Lauterkeitsrecht in
Europa
Eine Sammlung von Länderberichten zum
Recht gegen unlauteren Wettbewerb
herausgegeben von
Martin Schmidt-Kessel
Silvan Schubmehl
© sellier. european law publishers
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ISBN (print) 978-3-86653-100-0
ISBN (eBook) 978-3-86653-938-9
Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Natio­
nal­biblio­grafie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über http://dnb.d-nb.de
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© 2011 by sellier. european law publishers GmbH, München.
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Herstellung: Karina Hack, München. Satz: fidus Pub­likations-Service, Nördlingen. Druck und
Bindung: Friedrich Pustet KG, Regensburg. Gedruckt auf säure­freiem, alterungsbeständigem
Papier. Printed in Germany.
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Vorwort
Die europäische Marktordnung ist eine freiheitliche. Die auf die klassischen bürgerlichen Freiheiten zurückreichenden Grundfreiheiten sind Ausgangspunkt des europäischen Binnenmarktes und wesentlicher Teil seiner materiellen Verfassung. Das zentrale Ordnungsinstrument dieses Marktes ist zunächst einmal kein rechtliches, sondern
die ökonomische Realität des Wettbewerbs der Marktteilnehmer. Weder die Union
noch die Mitgliedsstaaten akzeptieren jedoch eine ausschließliche Herrschaft des
Wettbewerbs noch verkennen sie, daß der Wettbewerb von Voraussetzungen abhängig
ist, die er selbst nicht gewährleisten kann.
Zur ergänzenden Steuerung bedienen sich die Gesetzgeber verschiedenster Instrumente, zu denen auch die Bekämpfung unlauteren oder – international gängiger –
unfairen Wettbewerbsverhaltens zählt. Herkömmlich haben dabei die Rechtsordnungen Europas sowohl hinsichtlich der Regelungsziele als auch hinsichtlich der technischen Ausgestaltung ganz unterschiedliche Grundansätze gewählt. Auch wenn die
Europäische Union insbesondere über die Grundfreiheiten, die Richtlinie 2005/29 /
EG vom 11. Mai 2005 über unlautere Geschäftspraktiken im binnenmarktinternen
Geschäftsverkehr zwischen Unternehmen und Verbrauchern sowie die Richtlinie
2006/114 /EG vom 12. Dezember 2006 über irreführende und vergleichende Werbung
in erheblichem Maße Einfluß auf das Lauterkeitsrecht ihrer Mitgliedstaaten genommen hat, sind diese Divergenzen beileibe nicht verschwunden. Erst recht gilt dies für
die – im vorliegenden Band durch Japan und die Schweiz repräsentierten – Rechtsordnungen drittstaatlicher Handelspartner.
Divergent sind bereits die Regelungszwecke der nationalen (und gemeinschaftsrechtlichen) Regime: Auch wenn Wettbewerberschutz, Verbraucherschutz sowie der
Schutz sonstiger Marktteilnehmer in irgendeiner Weise praktisch überall aufscheinen,
sind die ihnen zugedachte Rolle und damit ihr Gewicht doch sehr unterschiedlich. Das
gilt erst recht für das Ausmaß ihrer positiven Umsetzung im jeweiligen Regelungsgefüge. Für die Mitgliedstaaten der Europäischen Union verschärft sich diese Situation
noch dadurch, daß der Unionsgesetzgeber horizontal ansetzend den lauterkeitsrechtlichen Verbraucherschutz einer Vollharmonisierung zugeführt hat, ohne sich der damit
notwendig verbundenen Folgen für den Wettbewerber- und Marktteilnehmerschutz
im übrigen hinreichend zu vergewissern. Mag man auch die – jüngst etwa von Oliver
Lepsius nachdrücklich formulierte – Skepsis gegenüber dem System als Weg der Ausgestaltung positiven Rechts in der Mehrebenenrechtsordnung nicht teilen, so macht
dieses Vorgehen des Gemeinschaftsgesetzgebers doch deutlich, welch hohe Anforderungen an die Kohärenz seines Handelns gerade dann gestellt werden, wenn er vollharmonisierend tätig wird.
Solche grundsätzlichen Divergenzen im Ausgangspunkt lassen auch die tatsächlich
erfüllten und erfüllbaren Funktionen der verschiedenen Regime, deren Beschreibung
für eine rechtsvergleichende Betrachtung essentiell ist, nicht unberührt: Je stärker der
verbraucherschützende Regelungszweck betont wird, desto mehr geht es um die Rev
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Vorwort
gulierung der Absatzmodalitäten auf der letzten Wettbewerbsstufe; Lauterkeitsrecht
wird zum Recht der Vertriebsmethoden für Verbraucherprodukte. Stehen hingegen
der Wettbewerberschutz sowie der Schutz sonstiger Marktteilnehmer stärker im Vordergrund, transportiert das Recht des fairen Wettbewerbs regelmäßig externe Wertungen und dient deren Durchsetzung im Wege eines private enforcement. Nicht allein zu
Zwecken des Verbraucherschutzes fungiert das Lauterkeitsrecht zudem als (Teil-)Regulierung des Werbemarktes, indem es für die Marktteilnehmer große Teile der rechtlichen Qualitätsstandards vorgibt.
Es sind freilich nicht allein die Divergenzen zwischen den verschiedenen Rechtsordnungen, welche die Beschäftigung mit den verschiedenen (Un-)Lauterkeitsrechten Europas (und seiner Partner) auch in einer Sammlung von Länderberichten wichtig erscheinen lassen: Die verschiedenen Ausprägungen eines sekundärrechtlichen
Herkunftslandsprinzips führen – unabhängig von der jeweils umstrittenen Qualifikation der betreffenden Normen als Kollisions- oder Sachrecht – zu einer Beachtlichkeit
ausländischen Rechts und vielfach auch ausländischen Lauterkeitsrechts im Staat des
Marktortes und modifizieren damit die kollisionsrechtliche Grundentscheidung zumindest funktional. Wer sich mit der Frage lauteren Verhaltens im Ausland ansässiger
Marktteilnehmer befaßt, wird sich daher regelmäßig über das Lauterkeitsrecht deren
Herkunftsstaats kundig machen müssen.
Die Lauterkeitsrechte europäischer Staaten einer Untersuchung zu unterziehen, ist
daher von ebenso aktueller wie praktischer Notwendigkeit. Um den Besonderheiten
der nationalen Lauterkeitsrechte gerecht zu werden und zugleich eine direkte Gegenüberstellung nationaler Lösungsansätze für vergleichbare Problemstellungen zu ermöglichen, war den Beiträgen ein weites, mitunter vom eigenen abweichendes Verständnis des Lauterkeitsrechtsbegriffs zugrunde zu legen. Ausdruck findet dies nicht zuletzt
in der Gliederung der Beiträge, deren Anpassung an die nationalen Bedürfnisse sich im
Einzelfall freilich nicht vermeiden ließ.
Die Beiträge des vorliegenden Bandes befinden sich – so nicht ausdrücklich abweichend gekennzeichnet – dank der unermüdlichen Aktualisierungsbereitschaft vieler
Autoren auf dem Stand vom Sommer 2010. Für die großartige Unterstützung bei der –
nicht immer ganz einfachen – Entstehung dieses Bandes haben die Herausgeber zunächst dem Verlag sellier. european law publishers zu danken, der ganz spontan zur
Betreuung dieses Projekts bereit war und es stets mit großer Ruhe verfolgt hat. Zudem
hat eine ganze Reihe von Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern des European Legal Studies Institute uns hervorragend bei der Betreuung der Manuskripte unterstützt, namentlich stud.iur. Marc Barmscheid, stud.iur. Sabrina Behrens, ref.iur. Christoph Bielak, stud.rer.pol. Ann-Kathrin Mainz, stud.iur. Jan Meyer, stud.iur. Jasmin Piekatz,
stud.iur. Dini de Vries sowie stud.iur. Kim Weisser. Auch ihnen möchten wir von
Herzen für die erwiesene Unterstützung danken.
Osnabrück im September 2010
vi
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Martin Schmidt-Kessel
Silvan Schubmehl
Inhaltsverzeichnis
Lauterkeitsrecht in Europa: Acquis communautaire
Christoph Busch
I.
Historische Entwicklung
II.
Rechtliche Grundlagen
1.
a)
b)
2.
a)
b)
c)
III.
Struktur der Generalklausel
Voraussetzungen der Unlauterkeit
Verletzung der beruflichen Sorgfaltspflichten
Wesentliche Beeinflussung der Verbraucher
Verbraucherleitbild
Konkretisierung der Generalklausel durch den EuGH
Schutz gegen das Ausnutzen fremder Leistungen
1. Hervorrufen von Verwechslungsgefahr
2. Rufausbeutung
3. Sklavische Nachahmung
V.
6
7
7
9
11
11
12
15
Die unionsrechtliche Generalklausel
1.
2.
a)
b)
3.
4.
IV.
Primärrecht
Europäische Grundfreiheiten
Europäische Grundrechte
Sekundärrecht
Richtlinie 2006/114/EG über irreführende und vergleichende Werbung
Richtlinie 2005/29/EG über unlautere Geschäftspraktiken
Medien- und produktspezifische Regelungen
1
Schutz gegen Rufschädigung
1. Äußerungen im Rahmen von vergleichender Werbung
2. Sonstige rufschädigende Äußerungen
17
19
19
20
21
22
22
24
25
26
27
28
29
VI. Behinderung von Mitbewerbern und Rechtsbruch
1.
a)
b)
2.
a)
b)
Behinderung
Primärrecht
Sekundärrecht
Rechtsbruch
Primärrecht
Sekundärrecht
30
30
31
32
32
33
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Lauterkeitsrecht in Europa: acquis communautaire
Inhaltsverzeichnis
VII. Schutz gegen Irreführung
1. Überblick
a) Aufspaltung des Irreführungsschutzes durch die UGP-RL
b) Sektorspezifische Irreführungsverbote
c) Irreführung und Kennzeichenschutz
2. B2C-Verkehr
a) Irreführende Handlungen
aa) Falsche Angaben und zur Täuschung geeignete Angaben
bb) Begründung einer Verwechslungsgefahr
cc) Nichteinhaltung von Verhaltenskodizes
b) Irreführende Unterlassungen
aa) Vorenthalten wesentlicher Informationen
bb) Beschränkungen des Kommunikationsmediums
cc) Basisinformationen im Falle einer Aufforderung zum Kauf
dd) Verletzung sonstiger unionsrechtlicher Informationsanforderungen
c) Black List
3. B2B-Verkehr
a) Begriff der Werbung
b) Bezugspunkte der Irreführung und Unternehmerleitbild
34
35
35
36
36
37
37
37
38
39
39
39
40
41
42
42
43
43
44
VIII. Vergleichende Werbung
1. Schutzzweck und Harmonisierungsgrad der RL 2006/114/EG
2. Begriff der vergleichenden Werbung
a) Werbung
b) Mitbewerberbezug
3. Zulässigkeit vergleichender Werbung
a) Gewährleistung von Markttransparenz
aa) Irreführungsverbot
bb) Substituierbarkeit der verglichenen Produkte
cc) Objektivität des Vergleichs
dd) Verbot des Hervorrufens von Verwechslungsgefahr
b) Schutz des identifizierten Mitbewerbers
aa) Verbot der Rufbeeinträchtigung
bb) Verbot der Rufausnutzung
cc) Schutz von Waren mit Ursprungsbezeichnung
dd) Verbot der Imitationswerbung
44
45
46
46
47
48
48
49
49
50
50
51
51
52
53
53
IX.
Richtlinie über unlautere Geschäftspraktiken
Begriff der aggressiven Geschäftspraxis
Beurteilungskriterien
Black List
Sektorspezifische Regelungen
B2C-Verkehr
B2B-Verkehr
54
55
55
58
59
61
61
63
Die Durchsetzung lauterkeitsrechtlicher Regeln
63
Aggressive Geschäftspraktiken
1.
a)
b)
c)
2.
a)
b)
X.
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Inhaltsverzeichnis
Länderbericht Deutschland
Länderbericht Deutschland
Matthias Rabbe/Silvan Schubmehl
I.
Historische Entwicklung
II.
Rechtliche Grundlagen
1.
a)
b)
c)
aa)
bb)
cc)
d)
2.
a)
b)
c)
III.
Das UWG
Gesetzesaufbau
Schutzzweck
Anwendungsbereich
Sachlicher Anwendungsbereich
Personeller Anwendungsbereich
Territorialer Anwendungsbereich
Rechtsdurchsetzung
Stellung des UWG in der Rechtsordnung
Verhältnis des UWG zu den Sonderschutzrechten
Verhältnis des UWG zum Kartellrecht
Verhältnis des UWG zum Bürgerlichen Recht
Die Generalklausel
1. Der Tatbestand des § 3 III UWG
2. Der Tatbestand des § 3 II UWG
3. Der Tatbestand des § 3 I UWG
IV.
Schutz gegen das Ausnutzen fremder Leistungen
1.
a)
b)
c)
d)
e)
f)
2.
a)
b)
3.
V.
Lauterkeitsrechtlicher Nachahmungsschutz
Herkunftstäuschung
Rufausbeutung und Rufschädigung
Unredliche Erlangung von Kenntnissen und Unterlagen
Behinderung
Dauer
Rechtsfolgen
Unternehmensgeheimnisse
Strafrechtliche Folgen
Zivilrechtliche Folgen
„Right of Publicity“
Schutz gegen Rufschädigung
1. Anschwärzen
2. Herabsetzung von Mitbewerbern
67
74
74
75
76
76
77
78
80
80
80
83
84
87
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89
90
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92
94
95
97
97
98
98
98
101
101
103
107
108
110
VI. Behinderung, unberechtigte Schutzrechtsverwarnung und Rechtsbruch 110
1. Behinderung
111
a) Individuelle Mitbewerberbehinderung
111
aa) Boykott
112
bb) Preisunterbietung
112
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Länderbericht Deutschland
cc)
b)
2.
3.
Inhaltsverzeichnis
Mitarbeiterabwerbung
Allgemeine Marktbehinderung
Unberechtigte Schutzrechtsverwarnung
Rechtsbruch
113
113
114
118
VII. Vergleichende Werbung
1. Entwicklungsgeschichte und gemeinschaftsrechtlicher Einfluss
2. Der Begriff der vergleichenden Werbung, § 6 I UWG
3. Unlauterkeit vergleichender Werbung, § 6 II UWG
121
122
123
VIII. Schutz gegen Irreführung
1. Geschichtliche Entwicklung und Schutzzweck
2. Das System des Irreführungsschutzes in der deutschen Rechtsordnung
a) Spezialgesetzliche Irreführungsverbote
b) Irreführungsverbot und Markenrecht
c) Lauterkeitsrechtliche Irreführungsverbote
3. Das Verbot irreführender geschäftlicher Handlungen im UWG
a) Das allgemeine Verbot irreführender Geschäftspraktiken, §§ 3, 5 UWG
b) Per se verbotene irreführende Geschäftspraktiken
c) Irreführung durch Unterlassen, § 5a UWG
d) Sonstige Fälle unlauterer Irreführung
aa) § 4 Nr. 3 UWG
bb) § 4 Nr. 4 UWG
cc) § 4 Nr. 5 UWG
125
126
127
127
128
129
129
129
134
134
135
135
136
137
IX.
Aggressive Geschäftspraktiken
137
1. Der Schutz vor aggressiven Geschäftspraktiken in der
deutschen Rechtsordnung
2. Unlautere aggressive Geschäftspraktiken nach dem UWG
a) Unzumutbare Belästigungen nach § 7 UWG
aa) Allgemeines
bb) Der Grundtatbestand des § 7 I UWG
cc) Geschriebene Fallgruppen unzumutbarer Belästigung, § 7 II UWG
dd) Ungeschriebene Fallgruppen unzumutbarer Belästigung
b) Per se verbotene aggressive Geschäftspraktiken
c) Sonstige Fälle unlauterer aggressiver Geschäftspraktiken
aa) § 4 Nr. 1 UWG
bb) § 4 Nr. 2 UWG
cc) § 4 Nr. 6 UWG
138
139
139
139
140
141
142
144
145
145
148
149
X.
Die Durchsetzung lauterkeitsrechtlicher Ansprüche
1.
2.
a)
b)
c)
Grundsätze der Rechtsdurchsetzung im deutschen Lauterkeitsrecht
Zivilrechtliche Rechtsfolgen unlauterer geschäftlicher Handlungen
Der Unterlassungsanspruch
Der Beseitigungsanspruch
Der Schadensersatzanspruch
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150
151
151
154
154
Inhaltsverzeichnis
d)
e)
f)
3.
4.
5.
Länderbericht England
Der Gewinnabschöpfungsanspruch
Auskunftsansprüche
Zur Verjährung der lauterkeitsrechtlichen Ansprüche
Zur gerichtlichen Geltendmachung lauterkeitsrechtlicher Ansprüche
Zur außergerichtlichen Geltendmachung lauterkeitsrechtlicher Ansprüche
Strafrechtliche und verwaltungsrechtliche Sanktionierung unlauterer
Geschäftspraktiken
156
157
158
158
160
161
Länderbericht England
Sandra Mller
I.
Rechtliche Grundlagen
1.
a)
aa)
bb)
cc)
dd)
ee)
ff)
Die Regelungsschichten im Überblick
Mitbewerberschutz über economic torts
Passing off
Malicious falsehood
Defamation
Breach of confidence
Breach of statutory duty
Inducement of breach of contract und interference with business
by unlawful means
b) Straf- und verwaltungsrechtliche Vorschriften
c) Werbeselbstkontrolle anhand von Verhaltenskodizes
2. Ablehnung eines unfair competition-Tatbestands durch die
englische Rechtsprechung
II.
163
164
164
172
174
175
176
178
180
183
184
Die wichtigsten Sachprobleme
1.
a)
b)
c)
d)
e)
f)
2.
a)
b)
c)
d)
3.
a)
b)
c)
Unzulässige Einflussnahme auf Abnehmer
Irreführende Werbung
Verkaufsförderung (sales promotions)
Getarnte Werbung
Gefühlsbetonte Werbung
Direktmarketing
Aggressive Geschäftspraktiken
Vergleichende Werbung
Grundsätzlicher Ausschluss von der Markenrechtsverletzung
Vergleichende Werbung und economic torts
Strafrechtliche Regelungen in den BPRs und den CPRs
Werbevergleiche in den Advertising Codes
Ausnutzen fremder Leistungen, insbesondere: Nachahmungsschutz
Nachahmungsschutz über passing off
Geheimnisschutz über breach of confidence
Nachahmungsschutz durch copyright
188
188
190
191
191
192
194
194
195
195
197
198
198
199
201
203
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Länderbericht Estland
4.
a)
b)
c)
5.
III.
Inhaltsverzeichnis
Behinderungswettbewerb
Anschwärzung und Herabsetzung
Unberechtigte Schutzrechtsverwarnung
Sonstige Formen des Behinderungswettbewerbs
Rechtsbruch
206
206
206
207
208
Rechtsdurchsetzungsinstrumente
1. Zivilrechtliche Sanktionen
2. Straf- und verwaltungsrechtliche Sanktionen
3. Sanktionen im Rahmen der Werbeselbstkontrolle
209
213
214
Länderbericht Estland
Martin Kerdi
I.
Historische Entwicklung
II.
Rechtliche Grundlagen
1. Gesetzliche Regelungen
2. Geschützter Personenkreis
3. Sanktionsmöglichkeiten
III.
Schutz gegen das Ausnutzen fremder Leistung
1.
2.
a)
b)
Durch Irrtum
In anderer Weise
Schutz berühmter Marken
Wettbewerbsbehinderung durch Kennzeichenverwendung, Benutzung
und Registrierung bekannter ausländischer Marken
c) Sklavische Nachahmung
d) Betriebsgeheimnisse
e) Publicity Rights
IV.
V.
217
218
219
221
222
222
223
225
226
227
Schutz gegen Rufschädigung
1. Verleumdung
a) Unrichtige Tatsachenbehauptungen
b) Rufschädigung durch herabsetzende Werturteile (Verleumdung im
engeren Sinne)
2. Unberechtigte Schutzrechtsverwarnung
3. Vergleichende Werbung
230
231
231
Sonstige Eingriffe (Boykott)
232
VI. Schutz gegen Irreführung
1. Herkunftsangaben, andere Eigenschaften der Sachen
2. Preisverschleierung
VII. Probleme der Rechtsdurchsetzung
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228
228
233
234
234
235
Inhaltsverzeichnis
Länderbericht Frankreich
Länderbericht Frankreich
Dr. Agns Lucas-Schloetter
I.
Einführung
237
II.
Historische Entwicklung
239
III.
Rechtliche Grundlagen
1.
2.
3.
4.
IV.
243
243
247
248
Schutz gegen das Ausnutzen fremder Leistungen
1.
a)
b)
c)
2.
a)
b)
c)
3.
a)
b)
V.
Gesetzliche Vorschriften
Anwendungsbereich der Klage wegen unlauteren Wettbewerbs
Geschützter Personenkreis: die Aktivlegitimation
Sanktionsmöglichkeiten
Hervorrufen einer Verwechslungsgefahr
Schutz der Unternehmenskennzeichen
Anlehnung an andere Merkmale der Mitbewerber
Nachahmung fremder Leistungen
Wettbewerblicher Leistungsschutz ohne Verwechslungsgefahr
Schutz berühmter Marken
Schutz gegen Rufausbeutung und Investitionsschutz: parasitisme
Verhältnis zum Recht des geistigen Eigentums
Unternehmensgeheimnisse
Strafrechtlicher Schutz
Zivilrechtlicher Schutz
249
249
254
256
258
258
260
264
265
266
267
Schutz gegen Rufschädigung
1. Anschwärzung
2. Unberechtigte Schutzrechtsverwarnung/Urteilsveröffentlichung
3. Vergleichende Werbung
VI. Schutz gegen individuelle Behinderung
1.
2.
3.
4.
Abwerbung von Arbeitnehmern
Konkurrenztätigkeit des früheren Arbeitnehmers
Verletzung von Vertriebsbindungssystemen
Störung der geschäftlichen Tätigkeit des Mitbewerbers
VII. Schutz gegen Irreführung
1. Von der irreführenden Werbung zu den irreführenden Geschäftspraktiken
(Art. L. 121-1 C. cons.)
a) Geschichtliche Entwicklung
b) Der frühere Tatbestand der irreführenden Werbung
(Art. L. 121-1 ff. a.F. C. cons)
aa) Das Vorliegen einer Werbung
bb) Falsche oder zur Irreführung geeignete Angaben
cc) Das Verbraucherleitbild
269
273
274
278
279
281
282
285
287
287
288
288
290
291
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Länderbericht Frankreich
Inhaltsverzeichnis
dd) Die Bezugspunkte der Werbeangabe
ee) Rechtsfolgen der irreführenden Werbung
c) Der neue Tatbestand der irreführenden Geschäftspraktiken
(Art. L. 121-1 ff. n.F. C. cons.)
aa) Umsetzung der UGP-Richtlinie
bb) Irreführende Handlungen
cc) Irreführende Unterlassungen
dd) Rechtsfolgen irreführender Geschäftspraktiken
2. Der Schutz gegen Irreführung über die geographische Herkunft
a) Begriffsbestimmungen und gesetzliche Vorschriften
b) Geschichtliche Entwicklung
c) Der Schutz von Ursprungsbezeichnungen
d) Der Schutz von Herkunftsangaben
3. Sonstige Fälle unlauterer Irreführung
a) Warenbetrug
b) Verkaufsförderungsmaßnahmen
aa) Rabatte
bb) Zugaben
cc) Besondere Verkaufsveranstaltungen
dd) Preisausschreiben und Gewinnspielen mit Werbecharakter
VIII. Schutz gegen sonstige unlautere Geschäftspraktiken
1. Verkauf unter Einstandspreis und zu missbräuchlich niedrigen Preisen
2. Unlautere Werbe- und Verkaufsmethoden
a) Lockvogelangebote
b) Koppelungsgeschäfte
c) Schneeballsysteme
3. Aggressive Geschäftspraktiken
a) Beeinträchtigung der Entscheidungsfreiheit/Belästigung
b) Das Verbot aggressiver Geschäftspraktiken
IX.
292
294
296
296
297
297
298
298
298
301
302
303
304
304
305
305
306
307
308
309
311
311
311
312
312
312
312
Die Durchsetzung wettbewerbsrechtlicher Ansprüche
1.
a)
b)
c)
d)
2.
a)
b)
c)
Rechtsfolgen unlauteren Wettbewerbs
Schadensersatz in Geld (dommages-intérêts)
Gerichtliche Gebote und Verbote
Urteilsveröffentlichung
Strafrechtliche Sanktionen
Die Geltendmachung wettbewerbsrechtlicher Ansprüche
Gerichtliche Zuständigkeit
Einstweilige Verfügung
Die Geltendmachung zivilrechtlicher Ansprüche im Falle
strafbarer Handlungen: die action civile
d) Das Klagerecht der Verbraucherverbände
e) Die Rolle der Verwaltungsbehörden
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313
313
314
314
315
316
316
317
318
318
321
Inhaltsverzeichnis
Länderbericht Griechenland
Länderbericht Griechenland
Afroditi Gouga
323
I.
Historische Entwicklung
325
II.
Rechtliche Grundlagen
1.
2.
3.
4.
5.
6.
III.
Ausnutzung durch Irrtum
Ausnutzung in anderer Weise
Schutz berühmter Marken
Betriebsgeheimnisse
Sklavische Nachahmung
Benutzung und Registrierung bekannter ausländischer Marken
Publicity Rights
333
336
336
338
340
340
341
Schutz gegen Rufschädigung
1. Verleumdung
2. Unberechtigte Schutzrechtsverwarnung
3. Vergleichende Werbung
V.
325
328
329
330
331
331
Schutz gegen das Ausnutzen fremder Leistung
1.
2.
a)
b)
c)
d)
e)
IV.
Überblick
Das Recht gegen den unlauteren Wettbewerb
Das Kartellrecht
Sondergesetze
Geschützter Personenkreis
Sanktionen
341
343
343
Sonstige Eingriffe
1.
2.
3.
4.
Boykott
Normenverstoß
Unlauterer Kundenfang
Unlautere Abwerbung von Arbeitskräften
345
347
348
348
VI. Schutz gegen Irreführung
349
VII. Probleme der Rechtsdurchsetzung
352
VIII. Ausblick
354
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Länderbericht Italien
Inhaltsverzeichnis
Länderbericht Italien
Eva-Marina Bastian
355
I.
Historische Entwicklung
356
II.
Rechtliche Grundlagen des italienischen Wettbewerbsrechts
1.
a)
b)
c)
d)
2.
3.
a)
b)
c)
III.
V.
361
361
364
366
369
371
372
372
374
376
Schutz gegen das Ausnutzen fremder Leistung
1.
a)
b)
c)
2.
a)
b)
c)
d)
e)
f)
g)
IV.
Gesetzliche Regelungen
Recht gegen den unlauteren Wettbewerb, Art. 2598 ff. C.c.
Irreführende und unzulässige vergleichende Werbung
Sondergesetzliche Regelungen (Auswahl)
Kodex der Werbeselbstkontrolle
Geschützter Personenkreis
Sanktionen
Sanktionen aufgrund Art. 2599 und Art. 2600 C.c.
Sanktionen aufgrund des Gesetzbuchs für das gewerbliche Eigentum
Sanktionen aufgrund Art. 8 VO Nr. 145/2007 bzw. Art. 27 CdC
Ausnutzung durch Hervorrufen von Verwechslungsgefahr
Verwendung verwechslungsfähiger Kennzeichen
Sklavische Nachahmung
Generalklausel des Hervorrufens von Verwechslungsgefahr
Ausnutzung in anderer Weise
Schutz bekannter Marken
Sonderschutz bekannter Zeichen
Betriebsgeheimnisse
Benutzung und Registrierung bekannter ausländischer Marken
Publicity Rights
Anmaßung von Vorzügen
Parasitärer Wettbewerb
377
378
380
381
382
382
383
384
385
386
388
389
Schutz gegen Rufschädigung
1. Verleumdung
2. Unberechtigte Schutzrechtsverwarnung
3. Vergleichende Werbung
390
392
392
Sonstige Eingriffe
394
VI. Schutz gegen Irreführung
397
VII. Probleme der Rechtsdurchsetzung
1. Klagebefugnis
2. Gerichtliche Zuständigkeit
3. Die Abstimmung mit der Selbstkontrolle
399
401
403
xvi
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Inhaltsverzeichnis
Länderbericht Japan
Länderbericht Japan
Christopher Heath
405
I.
Historische Entwicklung
406
II.
Rechtliche Grundlagen
1. Gesetzliche Vorschriften
2. Geschützter Personenkreis
3. Sanktionsmöglichkeiten
III.
Schutz gegen das Ausnutzen fremder Leistung
1.
2.
a)
b)
c)
IV.
V.
408
410
412
Durch Irrtum
Ausnutzung fremder Leistung in anderer Weise
Schutz berühmter Marken
Sklavische Nachahmung
Publicity Rights
412
416
416
419
421
Schutz gegen Rufschädigung
1. Verleumdung
2. Unberechtigte Schutzrechtsverwarnung
3. Vergleichende Werbung
421
422
423
Sonstige Eingriffe
423
VI. Schutz gegen Irreführung
1. Herkunftstäuschungen
2. Andere Eigenschaften der Sache
3. Preisverschleierung
425
426
427
VII. Probleme der Rechtsdurchsetzung
1. Zivilgerichte
a) Beweiserhebung
b) Nichtöffentliche Verfahren
c) Ansprüche auf Unterlassung
d) Ansprüche auf Schadensersatz
e) Ansprüche auf Entschuldigung
2. Administrative Maßnahmen
3. Strafrechtliche Maßnahmen
427
428
428
429
429
430
430
430
VIII. Ausblick und Reformbestrebungen
431
xvii
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Länderbericht Österreich
Inhaltsverzeichnis
Länderbericht Österreich
Astrid Paiser/Julia Kusznier/Christof Pçchhacker
I.
Historische Entwicklung
II.
Rechtliche Grundlagen
1. Gesetzliche Bestimmungen
a) UWG
b) Kartellrecht
c) NVG
2. Geschützter Personenkreis
3. Sanktionsmöglichkeiten
a) Zivilrecht
aa) Unterlassung
bb) Beseitigung
cc) Widerruf
dd) Urteilsveröffentlichung
ee) Schadenersatz
ff) Rechnungslegung § 1039 ABGB analog
gg) Auskunftsanspruch
hh) Unternehmerhaftung
ii) Einstweilige Verfügung
jj) Verjährung zivilrechtlicher Ansprüche
b) Strafrecht
aa) Wissentliche Irreführung
bb) Bestechung
cc) Geheimnisverletzung
dd) Missbrauch anvertrauter Vorlagen
c) Verwaltungsrecht
aa) Verbot des Abschlusses von Verträgen nach dem Schneeballsystem und
glückspielartiger Formen des Vertriebs
bb) Verbot des Hinweises auf eine Konkursmasse beim Verkauf von Waren
cc) Anmaßung von Auszeichnungen und Vorrechten § 31 UWG
dd) Vorschriften über Kennzeichnung
ee) Ankündigung von Ausverkäufen
III.
433
434
434
435
436
436
438
438
438
441
441
442
444
445
446
446
448
449
449
449
450
450
450
451
451
451
451
452
452
Schutz gegen das Ausnützen fremder Leistung
1.
a)
b)
c)
d)
2.
a)
b)
Durch Irrtum – Kennzeichenmissbrauch
Kennzeichen
Befugnis zum Gebrauch
Kennzeichenmäßiger Gebrauch
Verwechslungsgefahr
In anderer Weise
Schutz bekannter Marken
Benutzung und Registrierung bekannter ausländischer Marken
xviii
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453
453
456
458
459
463
463
464
Inhaltsverzeichnis
c)
d)
aa)
bb)
cc)
dd)
ee)
e)
aa)
bb)
cc)
IV.
Betriebsgeheimnisse
Sklavische Nachahmung
Allgemeines
Erschleichen fremder Arbeitsergebnisse
Vermeidbare Herkunftstäuschung
Unmittelbare Leistungsübernahme
Rufausbeutung
Publicity Rights
Allgemein
Namensrecht § 43 ABGB
Bildnisschutz § 78 UrhG
465
467
467
468
468
471
472
473
473
473
475
Schutz gegen Rufschädigung
1.
a)
b)
2.
3.
4.
a)
b)
c)
d)
5.
V.
Länderbericht Österreich
Verleumdung
Persönliche Werbung (§ 1 UWG)
Vergleichende Werbung
Herabsetzung eines Unternehmens
Unberechtigte Schutzrechtsverwarnung
Vergleichende Werbung
Allgemeines
Pauschalabwertung
Aggressive Tendenz
Preisvergleich
§ 1330 ABGB
478
478
479
479
483
485
485
487
488
489
490
Sonstige Eingriffe
1.
a)
b)
c)
2.
a)
b)
c)
d)
3.
4.
5.
Behinderung
Absatzbehinderung
Boykott
Behinderung durch Markenerwerb und Domain-Grabbing
Sonstige Werbemaßnahmen
Nachahmen der Werbung
Persönliche Werbung
Anlehnende Werbung
Werbebehinderung
Vertragsbruch
Gesetzesverstoß
Eindringen in fremden Kundenkreis
492
492
493
493
495
495
495
496
497
497
499
501
VI. Schutz gegen Irreführung
1.
a)
b)
2.
a)
Herkunft
Geografische Herkunft
Betriebliche Herkunft
Andere Eigenschaften der Sache
Beschaffenheit von Waren oder Dienstleistungen
502
502
504
505
505
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Länderbericht Portugal
b)
c)
d)
e)
f)
g)
h)
i)
3.
a)
b)
Inhaltsverzeichnis
Herstellungsart
Hinweise auf Patent-, Muster- oder Markenschutz
Anlass oder Zweck des Verkaufs
Menge der Vorräte
Bedeutung (Auflage, Reichweite etc.) von Medien
Erzeugungs- oder Betriebsstätte
Persönliche Befugnisse
Sonstige geschäftliche Verhältnisse
Preisverschleierung
§ 2 UWG
Zugabenrecht (§ 9a UWG)
506
506
508
508
509
511
513
514
516
516
518
VII. Probleme der Rechtsdurchsetzung
1. Zuständigkeit
2. Internationales Privatrecht
3. Vollzug von einstweiligen Verfügungen
526
527
527
VIII. Ausblick
528
Länderbericht Portugal
Antnio Pinto Monteiro/Manuel Nogueira Serens/
Pedro Maia/Benjamin Herzog
I.
Zur Darstellung
II.
Historische Entwicklung
531
Heutige Rechtslage
545
546
554
559
559
562
566
567
567
570
570
570
572
574
578
578
578
III.
1.
2.
3.
a)
b)
c)
d)
e)
f)
4.
a)
b)
5.
6.
a)
b)
Rechtsquellen
Anwendungsbereich
Schutz gegen Ausbeutungshandlungen
Verwechselungshandlungen
Geschäftsgeheimnisse
Sklavische Nachahmung und parasitärer Wettbewerb
Unerlaubte Bezugnahmen
Berühmte Marken
Offensichtlich bekannte Marke
Schutz gegen Angriffshandlungen
Verleumdung oder Diffamierung
Vergleichende Werbung
Schutz gegen irreführende Handlungen
Sanktionen, Verfahren und Zuständigkeit
Ordnungswidrigkeiten
Zivilrechtliche Sanktionen und Verfahrensarten
xx
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Inhaltsverzeichnis
Länderbericht Schweiz
c) Zivilrechtliche Sanktionen aufgrund der Spezialvorschriften des CdP
d) Zuständigkeiten
579
581
IV.
Zusammenfassung – verbleibende Defizite
581
V.
Die Umsetzung der RL 2005/29/EG
582
Länderbericht Schweiz
Carl Baudenbacher
I.
585
Historische Entwicklung, Online-Zugang zum Schweizer UWG
1. Vom aUWG 1943 zum UWG 1986
2. Änderungen seit Inkrafttreten des UWG 1986
3. Online-Zugang zum Schweizer UWG
II.
Gesetzessystematik, Gesetzeszweck, Auslegung
1.
2.
3.
a)
b)
c)
d)
III.
IV.
Gesetzessystematik
Gesetzeszweck
Auslegung des UWG
Auslegungsmethode
Funktionale Betrachtungsweise
Geschäftsmoral
Völker- und europarechtskonforme Auslegung
588
589
589
589
590
591
591
Stellung des UWG in der Gesamtrechtsordnung
1. UWG und KG
2. UWG und Zivilrecht
3. UWG und Immaterialgüterrecht
593
593
594
Anwendungsbereich
1.
a)
b)
c)
2.
3.
V.
586
586
588
Sachlicher Anwendungsbereich
Kein Wettbewerbsverhältnis erforderlich
Wettbewerbshandlung
Kasuistik
Persönlicher Anwendungsbereich
Räumlicher Anwendungsbereich
595
595
595
596
596
596
Generalklausel und Spezialtatbestände
1.
2.
a)
b)
c)
d)
Funktion der Generalklausel
Einzelne Tatbestandsmerkmale
Allgemeines
Treu und Glauben
Täuschendes oder in anderer Weise unlauteres Verhalten
Eignung zur Wettbewerbsbeeinflussung
597
598
598
598
599
599
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Länderbericht Schweiz
3.
a)
b)
c)
Inhaltsverzeichnis
Verhältnis zu den Spezialtatbeständen
Grundsatz
Subsidiärer Rückgriff auf die Generalklausel
Strafrechtliche Bedeutung
600
600
600
601
VI. Fallgruppen, die in Konkretisierung der Generalklausel entwickelt wurden
1.
a)
b)
c)
d)
e)
f)
g)
2.
3.
4.
a)
b)
c)
d)
Unlautere Kundenbeeinflussung
Täuschung/Irreführung
Ausübung von Druck – Nötigung, Belästigung
Wertreklame
Aleatorische Reize
Suggestivwerbung
Massenwerbung
Sonstige Formen der Werbung
Behinderung
Ausbeutung
Rechtsbruch
Rechtsverstoß und Wettbewerbshandlung
Verletzung von Arbeitsbedingungen
Kasuistik
Bruch vertraglicher Vereinbarungen
601
602
602
602
603
603
604
604
604
606
607
607
607
608
608
VII. Herabsetzung
1. Allgemeines
2. Tatbestand des Herabsetzens (Anschwärzen)
a) Unrichtige Äußerungen
b) Irreführung
c) Unnötige Verletzung
3. Kasuistik
609
609
609
610
610
611
VIII. Schaffung von Verwechslungsgefahr
1. Zweck und Anwendungsbereich
2. Geschützte Kennzeichen
a) Name
b) Firmenname
c) Marken
d) Enseigne, sonstige Geschäftsbezeichnungen und sonstige Kennzeichen
3. Verwechslungsgefahr
4. Kasuistik
611
612
612
613
613
614
614
615
IX.
Vergleichende Werbung
1. Grundsätzliche Zulässigkeit vergleichender Werbung
2. Arten unlauterer vergleichender Werbung
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615
616
Inhaltsverzeichnis
X.
Andere in Art. 3 UWG geregelte unlautere Werbe- und
Verkaufsmethoden
1.
2.
3.
4.
5.
6.
7.
XI.
Länderbericht Schweiz
Selbstredend unrichtige und irreführende Angaben
Titel und Berufsbezeichnungen
Lockvogelangebot
Zugaben
Aggressive Verkaufsmethoden
Verschleierung
Vorschriften betreffend Konsumentenverträge
617
617
618
618
619
619
620
Verleitung zu Vertragsverletzung oder -auflösung
1. Gemeinsame Voraussetzungen der Tatbestände in Art. 4
2. Verleitung zur Vertragsverletzung
3. Bestechung und Verleitung zu Geheimnisverrat; Vertragsauflösung
620
621
621
XII. Verwertung fremder Leistung
1. Allgemeines
2. Direkte Vorlagenausbeutung
3. Indirekte Vorlagenausbeutung
4. Übernahme eines marktreifen Arbeitsergebnisses
622
622
623
623
XIII. Geheimnisverrat, Nichteinhalten von Arbeitsbedingungen, AGB
1. Geheimnisverrat
2. Nichteinhalten von Arbeitsbedingungen
3. Verwendung missbräuchlicher Geschäftsbedingungen
624
624
625
XIV. Zivilrechtliche Sanktionen
1. Allgemeines
2. Unterlassungsanspruch
3. Beseitigungsanspruch
4. Feststellungsklage
5. Mitteilung an Dritte und Urteilsveröffentlichung
6. Schadenersatz
7. Gewinnherausgabe
8. Genugtuung
9. Verjährung
626
626
626
627
627
627
627
628
628
XV. Strafrechtliche Sanktionen
628
XVI. Verwaltungsrechtliche Bestimmungen
629
XVII. Prozessrechtliche Bestimmungen
1. Gerichtsstand
2. Schlichtungs- oder rasches Prozessverfahren und Beweislastumkehr
3. Vorsorgliche Maßnahmen
629
629
630
XVIII. Ausblick
630
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Länderbericht Spanien
Inhaltsverzeichnis
Länderbericht Spanien
Prof. Dr. Rafael Garca Prez
I.
Historische Entwicklung
1. Erste gesetzliche Regelungen
2. Das Statut der Werbung und das allgemeine Werbegesetz
3. Das Markengesetz von 1988 und das Gesetz über unlauteren Wettbewerb
von 1991
4. Zusammenfassung und Ergebnis
II.
634
635
Rechtliche Grundlagen
1.
2.
a)
b)
c)
d)
e)
Einführung
Das Gesetz über unlauteren Wettbewerb (UWG)
Schutzzweck
Anwendungsbereich
Generalklausel
Spezifische Tatbestände
Die Beziehung zwischen der Generalklausel und den
spezifischen Tatbeständen
f) Sanktionen
3. Das Allgemeine Werbegesetz vom 11.11.1988
4. Neufassung des Verbraucherschutzgesetzes und andere ergänzende
Gesetze vom 16.11.2007
5. Gesetz zur Ordnung des Einzelhandels vom 15.1.1996
6. Gesetz zum Schutz des Wettbewerbs vom 3.7.2007
7. Gesetz über Dienste der Informationsgesellschaft und den
elektronischen Geschäftsverkehr vom 11.7.2002
8. Strafrecht
9. Selbstkontrolle
10. Rechtsprechung
III.
633
633
Schutz gegen das Ausnutzen fremder Leistung
1.
a)
b)
c)
d)
2.
a)
b)
c)
3.
a)
b)
c)
d)
Schaffung einer Verwechslungsgefahr
Wortlaut des Art. 6 UWG
Elemente des Tatbestandes
Würdigung durch die Gerichte
Fälle
Rufausbeutung
Wortlaut des Art. 12 UWG
Elemente des Tatbestandes
Fälle
Nachahmung
Wortlaut des Art. 11 UWG
Nachahmung
Gegenstand der Nachahmung
Nachahmungsfreiheit und ihre Grenzen
xxiv
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635
636
636
637
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640
640
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643
644
645
645
645
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649
650
650
651
651
651
652
652
Inhaltsverzeichnis
e)
f)
g)
h)
i)
j)
4.
Länderbericht Ungarn
Nachahmung und gewerblicher Rechtschutz
Auslegungskriterien
Unlautere Nachahmung bei Hervorrufen einer Verwechslungsgefahr
Ungerechtfertigte Ausnutzung des fremden Rufs
Ungerechtfertigte Ausnutzung der fremden Mühe
Systematische Nachahmung
Betriebsgeheimnisse
IV.
Schutz gegen Rufschädigung
V.
Sonstige Eingriffe
1.
2.
3.
4.
5.
Verleitung zum Vertragsbruch
Verlassen des Unternehmens/Kundenfang
Verkauf unter Selbstkosten oder Einstandpreis
Rechtsbruch
Diskriminierung und Ausbeutung einer wirtschaftlichen Abhängigkeit
VI. Schutz gegen Irreführung
1. Herkunft
2. Andere Eigenschaften der Sache
3. Preisverschleierung
652
653
653
654
654
655
656
657
658
661
662
663
665
666
668
669
669
VII. Vergleichende Werbung
670
VIII. Aggressive Geschäftspraktiken und belästigende Werbung
674
IX.
Probleme der Rechtsdurchsetzung
675
X.
Ausblick – Reformbestrebungen
676
Länderbericht Ungarn
Alexander Vida
679
I.
Historische Entwicklung
680
II.
Gesetzeszweck
III.
1. Präambel
2. Schutzzweck
3. Wettbewerbsrecht und Verfassung
682
683
683
Stellung des UWG in der Gesamtrechtsordnung
1. Verhältnis zum BGB
2. Verhältnis zum Markengesetz
3. Verhältnis zum Patentrecht
684
685
685
xxv
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Länderbericht Ungarn
IV.
Rechtliche Grundlagen
1.
2.
3.
4.
5.
6.
7.
8.
V.
Inhaltsverzeichnis
Unlauterkeit
Gefährdung
Wiederholtes Verhalten
Wirtschaftlich unbedeutender Fehler
Internationale Abkommen
Geltungsbereich des UWG
Persönlicher Anwendungsbereich
Räumlicher Anwendungsbereich
Generalklausel
1.
2.
3.
4.
5.
a)
b)
aa)
bb)
cc)
dd)
c)
Entstehung
Subsidiarität
Wahrheitsgrundsatz
Nachweisbarkeit
Fallgruppen der Generalklausel
Verwechslungsfähigkeit von Firmennamen
Rechtsbruch
Mangel der Genehmigung zum Inverkehrbringen
Verletzung des Tabakwerbeverbotes
Verletzung des Arzneimittelwerbeverbotes
Verletzung von sonstigen Rechtsnormen
Vergleichende Werbung
VI. Rufschädigung
1.
2.
3.
4.
5.
6.
7.
Normzweck und Norminhalt
Behauptung unwahrer Tatsachen
Behauptung wahrer Tatsachen im falschen Licht
Anschwärzung
Rufschutz auf Grund des BGB
Rufschutz und Irreführung der Verbraucher
Schadenersatz wegen Rufschädigung
VII. Geheimnisschutz
1. Begriff
2. Erlangung des Geschäftsgeheimnisses
3. Verwendung des erlangten Geschäftsgeheimnisses
4. Unberechtigte Mitteilung des Geschäftsgeheimnisses
5. An die Öffentlichkeit-Bringen des Geschäftsgeheimnisses
6. Geheimnisschutz und gewerblicher Rechtschutz
7. Arbeitsrechtlicher Geheimnisschutz
8. Geheimnisschutz auf Grund des BGB
9. Strafrechtlicher Geheimnisschutz
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686
686
686
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698
698
698
699
699
700
Inhaltsverzeichnis
Länderbericht Ungarn
VIII. Boykott
1. Normzweck und Norminhalt
2. Absichtlichkeit der Behinderung. Erfolg
3. Schutzobjekt
IX.
Nachahmung
1.
2.
3.
4.
5.
6.
7.
8.
9.
10.
11.
X.
Norminhalt
Nachahmungsfreiheit
Nachahmung der Ware
Nachahmung der Verpackung
Nachahmung von Form und Kennzeichen
Nachahmung von Kennzeichen
Beweis der Nachahmung
Beweis durch Meinungsumfrage
Verhältnis zum Markenschutz
Schadenersatz wegen Nachahmung
Strafrechtlicher Schutz gegen Nachahmung
702
703
703
704
704
704
705
705
706
706
707
Offerten, Ausschreibungen, Zwangsversteigerungen, Börsengeschäfte
1. Regelungszweck
2. Subsidiarität
3. Offerten, öffentliche Ausschreibungen
XI.
701
701
702
708
708
708
Verbot der Verbrauchertäuschung
1.
2.
3.
4.
a)
b)
5.
6.
7.
8.
Schutzziel
Schutzobjekt
Die kleine Generalklausel
Aktive Täuschung (§ 8 Abs. 2 Buchst. a. UWG)
Preis
Sonstige wesentliche Eigenschaften
Täuschung durch Verschweigen
Zur Täuschung geeignete Auskunft
Anschein eines besonders vorteilhaften Kaufs
Irreführungsverbot
709
710
710
710
710
711
712
713
714
715
XII. Verfahren, Zuständigkeit
1. Traditionelle Unlauterkeitssachen
2. Verbotene Reklame, Verbrauchertäuschung
a) Verfahren vor dem Wettbewerbsamt
b) Verfahren vor dem Verbraucherinspektorat
715
716
716
716
717
XIII. Korrelation zwischen Verbraucherrecht und Lauterkeitsrecht
717
xxvii
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Lauterkeitsrecht in Europa: IPR
Inhaltsverzeichnis
Lauterkeitsrecht in Europa: IPR
Christiana Fountoulakis
I.
Einleitung
1. Einheitliche gemeinschaftsrechtliche Rechtsgrundlage
2. Entstehungsgeschichte
II.
Geltungsbereich des Art. 6 Rom II-VO
1.
2.
a)
b)
3.
a)
b)
III.
719
724
Zeitlicher Geltungsbereich
Räumlicher Geltungsbereich
Staatliche Gerichte
Schiedsgerichte
Sachlicher Geltungsbereich
„Zivil- und Handelssachen“
„Außervertragliches Schuldverhältnis“
726
726
726
727
728
728
730
Art. 6 Abs. 1 Rom II-VO
1. Tatbestandsvoraussetzungen
a) Unlauteres Wettbewerbsverhalten
aa) Wettbewerbsverhalten
(1) Art. 2 lit. d) der Richtlinie über unlautere Geschäftspraktiken
als Richtschnur
(2) Abgrenzung zu Vorbereitungshandlungen
bb) Unlauterkeit
cc) Irrelevanz der materiellrechtlichen Qualifikation
b) Beeinträchtigung oder Wahrscheinlichkeit der Beeinträchtigung
2. Anknüpfung
a) Marktortprinzip
aa) Theorie der Marktbezogenheit
bb) Staatlich definierter Markt
b) Fallgruppen
aa) Abnehmerbezogene Sachverhalte
(1) Allgemeines
(2) Absatzbezogenes Verhalten
(3) Werbebezogenes Verhalten
bb) Konkurrentenbezogene Sachverhalte
cc) Marktstörung
3. Kollisionsrechtliche Rechtsfolgen
a) Ausschluss des Rechts am gemeinsamen Heimatort oder
der engeren Verbindung
b) Ausschluss der Rechtswahl
c) Ausschluss des Rechts am Ort des Eintritts indirekter Rechtsfolgen
d) Wesentlichkeitsschwelle (Spürbarkeitsregel)
e) Verweis auf Sachrecht; Verweis auch auf Recht eines Drittstaates
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731
731
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733
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744
744
748
750
750
750
751
751
752
756
Inhaltsverzeichnis
IV.
Art. 6 Abs. 2 Rom II-VO
1.
2.
3.
a)
b)
c)
d)
e)
V.
Lauterkeitsrecht in Europa: IPR
Überblick
Tatbestandsvoraussetzungen
Kollisionsrechtliche Rechtsfolgen
Recht am Erfolgsort, Art. 4 Abs. 1
Recht am Ort des gemeinsamen gewöhnlichen Aufenthalts, Art. 4 Abs. 2
Recht am Ort der offensichtlich engeren Verbindung, Art. 4 Abs. 3
Möglichkeit der Rechtswahl, Art. 14
Prüfungsschema
Verletzung wettbewerbsneutraler Vorschriften
757
757
760
760
761
762
763
764
764
VI. Sanktionsmöglichkeiten; Aktiv- und Passivlegitimation
765
VII. Eingriffsnormen, Ordre Public
765
VIII. Herkunftslandprinzip für elektronische Diensteanbieter
1. Definition; Anwendungsbereich
2. Wirkung
766
767
IX.
769
Internationale Zuständigkeit
xxix
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Abkürzungsverzeichnis
a.A.
a.a.O.
A.C.
a.E.
a.F.
AB
ASA
andere Auffassung
am angegebenen Ort
Appeal Cases (in The Law Reports)
am Ende
alte Fassung
Alkotmánybíróság (Verfassungsgericht)
Allgemeines Bürgerliches Gesetzbuch
Amtsblatt der Europäischen Union
Absatz
Acordo
Allgemeines Deutsches Handelsgesetzbuch
Actas de Derecho Industrial y Derecho de Autor (Protokoll
zum Gewerbe- und Urheberrecht)
Vertrag über die Arbeitsweise der Europäischen Union
Zeitschrift für Medien- und Kommunikationsrecht
Amtsgericht
Allgemeine Geschäftsbedingungen
Gesetz über die Allgemeinen Geschäftsbedingungen
Annali italiani del diritto d’autore, della cultura a dello
spettacolo
Association Internationale pour la Protection de la Propriété
Industrielle
Actualités Juridiques
Aktuelle juristische Praxis
All England Law Reports
The American Journal of Comparative Law
Gesetz über den Verkehr mit Arzneimitteln
Anhang
Anmerkung
Annales de la propriété industrielle, artistique et littéraire
Corte di Appello
Archeio Nomologias (Rechtsprechungsarchiv)
Areios Pagos (griechischer Kassationsgerichtshof)
Armenopoulos
Artikel (Einzahl)/Artikel (Mehrzahl)
amtliche Sammlung
Advertising Standards Authority
BA
Bácsmb
Beschwerdeabteilung des Patentamts
Bács-Kiskunmegyei Bíróság (LG des Komitat Bács-Kisku)
ABGB
Abl. EG/ ABL.
Abs.
Ac.
ADHGB
ADI
AEUV
AfP
AG
AGB
AGBG
AIDA
AIPPI
AJ
AJP
All E.R.
Am. J. Comp. L
AMG
Anh
Anm.
Ann. prop. ind.
App.
ArchNom
Areopag
Arm.
Art./Artt.
AS
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BB
Abkürzungsverzeichnis
BB
BBl.
BCAP
BCAP-Code
Bd.
Begr. RegE
BetrVG
BezG
Bf
Bfv
BGB
BGBl.
BGE
BGer
BGH
BGHZ
BH
BK
BlgNR
BMJ
BPRs
Bsp.
BT-Drs.
Bull civ.
BV
bzgl.
bzw.
C. civ.
C. com.
C. cons.
C. trav.
C.c.
C.L.R.
C.p.c.
C.p.i.
CA
CAP
CAP-Code
Cass.
Cass. civ.
Cass. com.
Betriebs-Berater
Bundesblatt
Broadcast Committee of Advertising Practice
Code of Broadcast Advertising Code
Band
Begründung des Regierungsentwurfs
Betriebsverfassungsgesetz
Bezirksgericht
büntető fellebbvitel (Berufung in Strafsachen)
büntető felülvizsgálat (Revision in Strafsachen)
Bürgerliches Gesetzbuch
Bundesgesetzblatt
Bundesgerichtsentscheide
Schweizerisches Bundesgericht
Bundesgerichtshof
Entscheidungen des Bundesgerichtshofs in Zivilsachen
Bírósági Határozatok (Sammlung von
Gerichtsentscheidungen/Oberstes Gericht)
Basler Kommentar zum Schweizerischen Privatrecht
Beilage(n) zu den stenographischen Protokollen des
Nationalrates
Boletim do Ministério da Justiça
Business Protection from Misleading Marketing Regulations
2008
Beispiel
Bundestagsdrucksache
Bulletin des arrêts de la Cour de cassation (chambres civiles)
Bundesverfassung der Schweizerischen Eidgenossenschaft
bezüglich
beziehungsweise
Code civil
Code de commerce
Code de la consommation
Code du travail
Codice civile
California Law Review
Codice di procedura civile
Codice dei diritti di proprietà industriale
Cour d’appel
Committee of Advertising Practice
British Code of Advertising, Sales Promotion and Direct
Marketing
Corte di Cassazione
Cour de cassation, chambre civile
Cour de cassation, chambre commerciale
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Abkürzungsverzeichnis
Cass. crim.
Cass. soc.
CCC
CCE
CdC
CdP
CEACCU
CEN
Ch.
CHF
chr.
ChrID
CMLRev/ CMLR
CPC
CPI
CPI
CPP
CPRs
CR
CTPS
D.
d.h.
DDR
De G. & Sm.
DEE
ders.
DES
DesignG
DiMME
DioikEf
DioikProt
Dir. ind.
DIS
DMA
doct.
DRiZ
DSA
dt.
DVBl.
DVBl.
Cour de cassation, chambre criminelle
Cour de cassation, chambre sociale
Contrats – Concurrence – Consommation
Communication – Commerce Electronique
Codice del Consumo
Código da Publicidade
Confederación Española de organizaciones de amas de casa
consumidores y usuarios (Dachverband spanischer
Verbraucherschutzorganisationen)
Europäisches Normungskomitee
Chancery
Schweizer Franken
chronique
Chronika Idiotikou Dikaiou (Chronik zum Privatrecht)
Common Market Law Review
Code de procédure civile
Code de la propriété intellectuelle
Código da Propriedade Industrial
Code de procédure pénale
Consumer Protection from Unfair Trading Regulations 2008
Computer und Recht
Corporate Telephone Preference Service
Dalloz
das heißt
Deutsche Demokratische Republik
De Gex, MacNaghten & Gordon’s Chancery Reports
Dikaio Epixiriseon kai Etairion (Zeitschrift für Unternehmensund Gesellschaftsrecht)
derselbe
Dioikitiki Epitropi Simaton (Griechisches Markenamt)
Designgesetz
Dikaio Meson Enimerosis & Epikoinonias (Recht für Medien
zur Information & Kommunikation)
Dioikitiko Efeteio (Verwaltungsgerichtshof)
Dioikitiko Protodikeio (Verwaltungsgericht)
Il diritto industriale
Deutsche Institution für Schiedsgerichtsbarkeit
Direct Marketing Authority
doctrine
Deutsche Richterzeitung
Direct Selling Association
deutsch /er /e/es
Deutsches Verwaltungsblatt
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E&B
E&B
E.I.P.R.
E.M.L.R.
e.V.
EB
Abkürzungsverzeichnis
EVÜ
EWCA Civ.
EWG
EWHC
EWR
Ellis & Blackburn’s Queen’s Bench Reports
European Intellectual Property Review
Entertainment and Media Law Reports
eingetragener Verein
Erläuternde Bemerkungen
European Business Law Review
Electronic Commerce
European Court of Human Rights
Fachzeitschrift für Wirtschaftsrecht
EDV und Recht
Epitheorisis Emporikou Dikeou (Zeitschrift für Handelsrecht)
Efeteio (Berufungsgericht)
European Free Trade Association
Europäische Gemeinschaft
Europäischer Gerichtshof für Menschenrechte
EG-Vertrag
Einführung
Einleitung
Elliniki Dikaiosyni (Griechische Justiz)
Email Preference Service
Europäische Menschenrechtskonvention
Entertainment Law Review
Exekutionsordnung
Episkopisi Emporikou Dikaiou (Handelsrechtsrundschau)
European Review of Contract Law
und andere
et cetera
Gerichtshof der Europäischen Union
Europäische Gerichtsstands- und Vollstreckungsverordnung
Europäisches Gerichtsstands- und
Vollstreckungsübereinkommen
The European Legal Forum
Europarecht
Zeitschrift für Europarecht
Europäische Zeitschrift für Wirtschaftsrecht
Europäisches Schuldvertragsübereinkommen
England and Wales Court of Appeal, Civil Division
Europäische Wirtschaftsgemeinschaft
England and Wales High Court
Europäischer Wirtschaftsraum
f./ff.
F.C.R.
F.S.R.
Fasc.
Fn.
folgende
Federal Court Reports (Australia)
Fleet Street Reports
fascicule
Fußnote
EBLR
EC
ECHR
ecolex
EDVuR
EEmpD
Ef
EFTA
EG
EGMR
EGV
Einf.
Einl.
EllDni
E-MPS
EMRK
Ent. L.R.
EO
EpiskED
ERCL
et al.
etc.
EuGH
EuGVO
EuGVÜ
EuLF
EuR
EuZ
EuZW
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Abkürzungsverzeichnis
Foro it.
FPS
FS
FTC
HWG
Il foro italiano
Fax Preference Service
Festschrift
Federal Trade Commission
GA
Generalanwalt
Giurisprudenza annotata di diritto industriale
Gaz. Pal.
Gazette du Palais
Gazz. Uff.
Gazzetta Ufficiale
GD
Generaldirektion
gem.
gemäß
GenG
Genossenschaftsgesetz
GeschmacksmusterG Geschmacksmustergesetz
GestG
Gerichtsstandsgesetz
GewO
Gewerbeordnung
Gf
gazdasági fellebvitel (Berufung in Wirtschaftssachen)
Gfv
gazdasági felülvizsgálat (Revision in Wirtschaftssachen)
GG
Grundgesetz
ggf.
gegebenenfalls
Giur. it.
Giurisprudenza italiana
Giust. civ.
Giustizia civile
GmbH
Gesellschaft mit beschränkter Haftung
GmbHG
Gesetz betreffend die Gesellschaften mit beschränkter Haftung
GPR
Zeitschrift für Gemeinschaftsprivatrecht
GrCH
Charta der Grundrechte der Europäischen Union
GRUR
Gewerblicher Rechtsschutz und Urheberrecht
GRUR Int
Gewerblicher Rechtsschutz und Urheberrecht –
Internationaler Teil
GRUR-Prax
Gewerblicher Rechtsschutz und Urheberrecht – Praxis im
Immaterialgüter- und Wettbewerbsrecht
GRUR-RR
Gewerblicher Rechtsschutz und Urheberrecht –
Rechtsprechungsreport
GVG
Gerichtsverfassungsgesetz
GWB
Gesetz gegen Wettbewerbsbeschränkungen
GADI
h.A.
h.M.
Hajdúmb
Hauptstger.
HAVE
Hdb.
HG / Hger
HGB
HRegV
Hrsg.
HWG
herrschende Auffassung
herrschende Meinung
Hajdú Megyei Bíróság (LG des Komitat Hajdú)
Hauptstadtgericht
Haftung und Versicherung
Handbuch
Handelsgericht
Handelsgesetzbuch
Handelsregisterverordnung
Herausgeber
Gesetz über die Werbung auf dem Gebiet des Heilwesens
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i.d.F./idF
i.d.F./idF
i.d.R.
i.d.S.
i.S.d./iSd
i.S.v./iSv
i.V.m./iVm
i.w.S.
ICC Bull.
IIC
IIF
inf. rap.
insbes.
IntUnlWettbR
IntWettbR
IntWirtschR
IPR
IPRax
IPRG
IPRspr
IZVR
J.B.L.
J.Cons.Pol.
J.I.B.L.R.
JBl
J-Cl.
JCP
JCP ed. E
JDI
JGS
JO
JPNIC
JR
jur.
JuS
JZ
K&R
K.B.
Kap.
Kf
KG
KIG
Abkürzungsverzeichnis
in der Fassung
in der Regel
in diesem Sinne
im Sinne des
im Sinne von
in Verbindung mit
im weiteren Sinne
ICC International Court of Arbitration Bulletin
International Review of Intellectual Property
and Competition Law
Internationales Immaterialgüterrechtsforum
informations rapides
insbesondere
Internationaler Unlauterer Wettbewerb
Internationales Wettbewerbsrecht
Internationales Wirtschaftsrecht
Internationales Privatrecht
Praxis des Internationalen Privat- und Verfahrensrecht
Bundesgesetz über das Internationale Privatrecht
Die deutsche Rechtsprechung auf dem Gebiete des
Internationalen Privatrechts
Internationales Zivilverfahrensrecht
Journal of Business Law
Journal of Consumer Policy
Journal of International Banking Law and Regulation
Juristische Blätter
JurisClasseur
JurisClasseur Périodique (Semaine Juridique)
JurisClasseur Périodique édition Entreprise
Journal du droit international
Justizgesetzsammlung Österreichs
Journal officiel
Japan Network Information Center
Juristische Rundschau
jurisprudence
Juristische Schulung
JuristenZeitung
Kommunikation und Recht
King’s Bench
Kapitel
közigazgatási fellebbvitel (Berufung in Verwaltungssachen)
Kartellgesetz
Bundesgesetz über die Information der Konsumentinnen und
Konsumenten
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Abkürzungsverzeichnis
KOM
krit.
KUG
L.Q.R.
L.R.
LB
LFGB
LG
LGZ
LIDC
lit.
LMCLQ
LotterienG
Ltd.
LugÜ
m.E.
m.w.N./m.w.
Nachw./mwN
MarkenG
MarkenR
MDStV
METI
Mfv
MITI
MMR
MonProt
MPS
MR
MSchG
MünchKomm
N./Nr.
n.F.
NA
NJW
NJWE-WettbR
NJW-RR
NJW-RR
Kommission
kritisch
Kunsturhebergesetz
Law Quarterly Review
Law Reports
Hat. Hivatalos gyűjt.
(Amtliche Sammlung der Entscheidungen)
Lebensmittel-, Bedarfsgegenstände-, und Futtermittelgesetz
Landgericht
Landesgericht für Zivilrechtssachen
Ligue Internationale du droit de la Concurrence
littera
Lloyd’s Maritime and Commercial Law Quarterly
Lotteriegesetz
Limited
Übereinkommen über die gerichtliche Zuständigkeit
und die Vollstreckung gerichtlicher Entscheidungen in Zivilund Handelssachen.
meines Erachtens
mit weiteren Nachweisen
Markengesetz
Zeitschrift für deutsches, europäisches und internationales
Kennzeichenrecht
Staatsvertrag über Mediendienste
Ministry of Economy, Trade and Industry (Ministerium für
Wirtschaft, Handel und Industrie)
munkaügyi felülvizsgálat (Revision in Arbeitssachen)
Ministry of International Trade and Industy (Ministerium für
internationalen Handel und Industrie)
Multimedia und Recht
Monomeles Protodikeio (Landgericht, Verfahren vor dem
Einzelrichter)
Mailing Preference Service
Medien und Recht
Markenschutzgesetz
Münchener Kommentar
Nummer
neue Fassung
Nichtigkeitsabteilung des Patentamts
Neue Juristische Wochenschrift
NJW Entscheidungsdienst Wettbewerbsrecht
Neue Juristische Wochenschrift Rechtsprechungs-Report
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NoB
NoB
NStZ
NVG
NVwZ
Nw. J. of Tech. &
Intell. Property
Abkürzungsverzeichnis
Nomiko Vima (Juristische Tribüne)
Neue Zeitschrift für Strafrecht
Nahversorgungsgesetz
Neue Zeitschrift für Verwaltungsrecht
Northwestern Journal of Technology & Intellectual Property
NZZ
Neue Zürcher Zeitung
ÖBl
Österreichische Blätter für gewerblichen
Rechtsschutz und Urheberrecht
ÖBl Leitsätze
Office of Communications
Office of Fair Trading
Obergericht
Oberster Gerichtshof
Entscheidungen des österreichischen Obersten
Gerichtshofes in Zivilsachen
Österreichische Juristenzeitung
Oberlandesgericht
Organización Mundial de Comercio
(Welthandelsorganisation)
Oberster Patent- und Markensenat
Obligationenrecht
österreichisch /er /e/es
ÖBl-LS
OfCom
OFT
OG
OGH
OGH SZ
ÖJZ
OLG
OMC
OPM
OR
österr.
PA
PatG / PatentG
PBl
PVÜ
Petites Affiches
Patentgesetz
Patentblatt
Verordnung über die Bekanntgabe von Preisen
Peak Nisi Prius Cases
Privacy and Electronic Communications (EC Directive)
Regulations
polgári fellebbvitel (Berufung in Zivilsachen)
polg. Felülvizsgálat (Revision in Zivilsachen)
Propriétés Intellectuelles
Propriété Industrielle – Bulletin Documentaire
Polymeles Protodikeio (Kammer des Landgerichts)
Prämiengesetz
Propriété Industrielle
Pariser Verbandsübereinkunft
Q.B.
Q.B.D.
Queen’s Bench
Queen’s Bench Division
R.I.C.
R.P.C.
Revue Internationale de la Concurrence
Reports of Patent, Design and Trade Mark Cases
PBV
Peak NPC
PECR
Pf
Pfv
PI
PIBD
PolProt
PrämienG
prop. ind.
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Abkürzungsverzeichnis
RabelsZ
RDPI
RdW
réf.
Reg./Regs.
RegE
Rép. com.
Rev. crit.
RFDUL
RG
RGBl.
RGZ
RIDA
RIDC
RIPIA
Riv. dir. comm.
Riv. dir. ind.
RIW
RJDA
RKGE
RL
RLDA
Rn.
ROA
Rs.
Rsp/Rspr.
RStGB
RStV
RTD. civ.
RTD. com.
S.
s.
SAG
SchiedsvZ
SchRG
SemJur
sic!
SIWR
Slg.
SMI
sog./sog
sog./sog
Rabels Zeitschrift für ausländisches und
internationales Privatrecht
Revue de Droit de la Propriété Industrielle
Österreichisches Recht der Wirtschaft
référé
Regulation/Regulations
Regierungsentwurf
Répertoire commercial
Revue Critique de Legislation et de Jurisprudence
Revista da Faculdade de Direito da Universidade de Lisboa
Reichsgericht
Reichsgesetzblatt
Entscheidungen des Reichsgerichts in Zivilsachen
Revue Internationale du Droit d’Auteur
Revue Internationale de droit comparé
Revue Internationale de la Propriété Industrielle et Artistique
Rivista di diritto commerciale
Rivista di diritto industriale
Recht der Internationalen Wirtschaft
Revue de Jurisprudence de Droit des Affaires
Eidg. Rekurskommission für geistiges Eigentum
Richtlinie
Revue Lamy Droit des Affaires
Randnummer
Revista da Ordem dos Advogados
Rechtssache
Rechtsprechung
Reichsstrafgesetzbuch
Rundfunkstaatsvertrag
Revue Trimestrielle de Droit civil
Revue Trimestrielle de Droit commercial et de droit
économique
Satz/Seite
siehe
Schweizerische Aktiengesellschaft, Zeitschrift für
Handels- und Wirtschaftsrecht
Zeitschrift für Schiedsverfahren
Schuldrechtsgesetz
Semaine juridique
Zeitschrift für Immaterialgüter-, Informations- und
Wettbewerbsrecht
Schweizerisches Immaterialgüter- und Wettbewerbsrecht
Sammlung des Bundesrechts
Schweizerische Mitteilungen über Immaterialgüterrecht
sogenannte/r /s
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somm.
somm.
SR
StE
StGB
STJ
str.
StRsp
T.L.R.
TDG
Tex. Int’l L. J.
TGI
TPS
Trib.
Trib. com.
Trib. corr.
TRIPS
TSS
Tul. L. Rev
TUR
Tz
u.a./ua
U.K.
U.S.
u.U.
UGP-RL
UKlaG
UmweltHG
UNCITRAL
UrheberrechtsG
Urt. v.
usw.
UWG
v.
v.a.
VAG
Vasmb.
VerbrSchG
VersR
vgl.
Vj.
Abkürzungsverzeichnis
sommaire
Sammlung des Bundesrechts
Simvoulio tis Epikratias (Oberster Verwaltungsgerichtshof)
Strafgesetzbuch
Supremo Tribunal de Justiça
streitig
ständige Rechtsprechung
Texas Law Review
Teledienstgesetz
Texas International Law Journal
Tribunal de grande instance
Telephone Prepherence Service
Tribunale
Tribunal de commerce
Tribunal correctionnel
Agreement on Trade-Related Aspects of
Intellectual Property Rights
Local Authority Trading Standard Services
Tulane Law Review
Testo unico della radiotelevisione
Textziffer
unter anderem
United Kingdom
United States Supreme Court Decisions
unter Umständen
Richtlinie über unlautere Geschäftspraktiken
Gesetz über Unterlassungsklagen bei Verbraucherrechts- und
anderen Verstößen
Umwelthaftungsgesetz
United Nations Commission on International Trade Law
Urheberrechtsgesetz
Urteil vom
und so weiter
Gesetz gegen den unlauteren Wettbewerb
vom/von
vor allem
Versicherungsaufsichtsgesetz
Vasmegyei Bíróság (LG des Komitat Vas)
Verbraucherschutzgesetz
Versicherungsrecht
vergleiche
versenyjog (Geschäfsnummer des
Wettbewerbsrates am Wettbewerbsamt)
xl
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Abkürzungsverzeichnis
ZZP Int
VO
VuR
Verordnung
Verbraucher und Recht
W.L.R.
WBl
WRP
WZG
Weekly Law Reports
Wirtschaftsrechtliche Blätter – Zeitschrift für österreichisches
und europäisches Wirtschaftsrecht
Werbungsgesetz
Wettbewerbsgesetz
World Intellectual Property Organization
Westlaw
Wettbewerb in Recht und Praxis
Warenzeichengesetz
Yb PIL
Yearbook of Private International Law
Z
z.B./zB
Ziffer
zum Beispiel
Zeitschrift des Bernischen Juristenvereins
Zeitschrift für Europäisches Privatrecht
Zeitschrift für Europarecht, Internationales
Privatrecht und Rechtsvergleichung
Zeitschrift für Rechtsvergleichung
Zivilgesetzbuch
Zeitschrift für das gesamte Handels- und Wirtschaftsrecht
Ziffer
zitiert
Zeitschrift für japanisches Recht
Zivilprozessgesetz
Zivilprozessordnung
Zeitschrift für vergleichende Rechtswissenschaft
Zeitschrift für Zivilprozess International
WerbG
WettbG
WIPO
WL
ZBJV
ZEuP
ZfRV
ZfRvgl
ZGB
ZHR
Ziff.
zit.
ZJapanR
ZPG
ZPO
ZvglRWiss
ZZP Int
xli
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Lauterkeitsrecht in Europa:
Acquis communautaire
Christoph Busch*
Das europäische Lauterkeitsrecht präsentiert sich – anders als manche nationale Lauterkeitsregime – nicht als umfassendes und kohärentes Regelungssystem.1 Abschließende europäische Vorgaben existieren bisher nur für einzelne Bereiche. Die Fragmente des lauterkeitsrechtlichen acquis communautaire fügen sich dabei nicht harmonisch zusammen, sondern sind
gekennzeichnet durch Überschneidungen und Brüche. 2 Dementsprechend unterscheidet sich
die folgende knappe Skizze des europäischen Lauterkeitsrechts von den nachfolgenden Länderberichten. Zum einen ist die Schilderung notwendig lückenhaft, da einige der in den Länderberichten erörterten Regelungsfelder bislang noch nicht Gegenstand europäischer Rechtsangleichung waren. Zum anderen unterscheidet sich die Perspektive der Darstellung. Es geht
hier in erster Linie darum, in groben Umrissen eine Landkarte des europäischen Lauterkeitsrechts zu zeichnen und aufzuzeigen, in welchen Bereichen europäische Vorgaben existieren,
die auf die nationalen Lauterkeitsregime einwirken. Ziel der Darstellung ist es, eine erste Orientierungshilfe zu liefern bei der Frage, auf welchen Feldern europäische Wertungen etwa im
Rahmen der richtlinienkonformen Auslegung zu berücksichtigen sind. Zugleich geht es darum, sichtbar zu machen, in welchen Bereichen die Mitgliedstaaten weiterhin über eigene Gestaltungsspielräume verfügen. Um den vergleichenden Blick zwischen Unionsrecht und mitgliedstaatlichem Recht zu erleichtern, orientiert sich die Darstellung dabei weitgehend an der
Struktur der Länderberichte.
I. Historische Entwicklung
Literatur: Beater, Europäisches Recht gegen unlauteren Wettbewerb – Ansatzpunkte, Grundlagen, Entwicklung, Erforderlichkeit, ZEuP 2003, 11; Collins, Harmonisation by Example: European
Laws against Unfair Commercial Practices, Modern Law Rev 2010, 89; Dethloff, Europäisierung
des Wettbewerbsrechts, Tübingen 2001; Franck, Europäisches Absatzrecht, Berlin 2006; Glöckner,
Europäisches Lauterkeitsrecht, München 2006; Griss, Schnittstellen zwischen Kartell- und Lauterkeitsrecht, wbl 2010, 1; Henning-Bodewig, Das Europäische Wettbewerbsrecht: Eine Zwischenbilanz, GRUR Int. 2002, 389; Hilty/Henning-Bodewig, Law Against Unfair Competition. Towards
a New Paradigm in Europe?, 2007; dies., Lauterkeitsrecht und Acquis Communautaire, Berlin 2009;
Keirsbilck, Towards a Single Regulatory Framework on Unfair Commercial Practices?, EBLR 2009,
*
1
2
Der Verfasser dankt Frau Martina Winter für hilfreiche Recherchen und Hinweise.
Glöckner, in: Schulze/Zuleeg/Kadelbach, Europarecht, 2. Aufl. 2010, § 17 Rn. 1.
So zuletzt Henning-Bodewig, GRUR 2010, 549, 554; siehe auch die Beiträge in Hilty/HenningBodewig (Hg.), Lauterkeitsrecht und Acquis Communautaire, Berlin 2009.
1
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Lauterkeitsrecht in Europa: Acquis communautaire
507; Leistner, Bestand und Entwicklungsperspektiven des Europäischen Lauterkeitsrechts, ZEuP
2009, 56; Ohly, Bausteine eines europäischen Lauterkeitsrechts, WRP 2008, 177; Stuyck/Terryn/
van Dyck, Confidence through Fairness? The New Directive on Unfair Business-to-Consumer Commercial Practices in the Internal Market, CMLRev 2006, 107.
Bereits der Vertrag zur Gründung der europäischen Wirtschaftsgemeinschaft aus dem
Jahr 1957 benannte „die Errichtung eines Systems, das den Wettbewerb innerhalb des
Gemeinsamen Marktes vor Verfälschungen schützt“ als eines der Ziele europäischer
Politik.3 Dem Schutz des Wettbewerbs dienen dabei zum einen das Kartellrecht, das
eine Marktstrukturkontrolle gewährleistet, und zum anderen das Lauterkeitsrecht, das
als Marktverhaltensrecht das Verhalten der einzelnen Marktakteure regelt.4 Während
das Kartellrecht und – jedenfalls in Teilen – auch das Recht des geistigen Eigentums
Gegenstand weitreichender europäischer Harmonisierungsvorhaben waren, kann davon im Bereich des Lauterkeitsrechts bislang nicht die Rede sein.
Nachdem der ambitionierte Versuch einer umfassenden Harmonisierung des Lauterkeitsrechts an den unüberbrückbaren Gegensätzen zwischen den nationalen Lauterkeitsrechten in den 1960/70er Jahren gescheitert war,5 beschränkte sich der Einfluss
des Unionsrechts für längere Zeit im Wesentlichen auf die Richtlinie über irreführende und vergleichende Werbung (RL 84/450 / EWG).6 Der praktische Einfluss dieser
Richtlinie auf die mitgliedstaatlichen Rechtsordnungen war allerdings gering, da
durch sie zunächst lediglich ein Mindeststandard für den Schutz gegen irreführende
Werbung festgelegt wurde.7
Das Scheitern der ursprünglich geplanten Gesamtharmonisierung führte zugleich
dazu, dass sich der Schwerpunkt der europäischen Rechtsangleichung von der legislativen zur judikativen Harmonisierung verlagerte. Die Funktion des Motors der Integration auf dem Gebiet des Lauterkeitsrechts übernahm dabei der EuGH, der die mitgliedstaatlichen Lauterkeitsregime durch seine Rechtsprechung zur Waren- und
Dienstleistungsfreiheit unter Harmonisierungsdruck setzte. 8 Dieser Ansatz lässt sich
als Negativharmonisierung charakterisieren, da die vom EuGH ausgehenden Libera-
3
4
5
6
7
8
Art. 3 lit. f) EWGV, später Art. 3 lit. g) EGV. Im AEUV wird dieses Ziel nicht mehr ausdrücklich genannt. Die Formulierung findet sich nunmehr in Protokoll Nr. 27 zum AEUV, ABl.EG
2008 L C 115/309.
Beater, Unlauterer Wettbewerb, München 2002, § 24 Rn. 1; Emmerich, Unlauterer Wettbewerb, 8. Aufl. 2009, § 5 Rn. 20 f.; Piper/Ohly/Sosnitza, UWG, 5. Aufl. 2010, Einf D, Rn. 71.
Zur Entwicklung des europäischen Lauterkeitsrechts siehe Glöckner, Europäisches Lauterkeitsrecht, S. 15 ff.; Henning-Bodewig, GRUR Int. 2002, 389 ff.
Richtlinie 84/450 / EWG des Rates über irreführende und vergleichende Werbung vom 10.9.
1984, ABl.EG 1984 L 250/17.
Kritisch dazu Ohly, GRUR 2003, 641, 646, der darin einen „Geburtsfehler“ der RL 84/450/
EWG sieht.
Siehe hierzu Köhler/Bornkamm, 28. Aufl. 2010, UWG Einl. Rn. 3.14-3.36 sowie die detaillierte Rechtsprechungsübersicht bei Heermann, in: MünchKommUWG, EG B, Rn. 1 ff. und
Glöckner, MünchKommUWG, EG C, Rn. 1 ff.
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I. Historische Entwicklung
lisierungsimpulse zwar punktuell zum Abbau von Binnenmarkthindernissen beigetragen haben, jedoch nicht den Aufbau eines umfassenden europäischen Lauterkeitsregimes ersetzen konnten. Der Einfluss der Grundfreiheiten auf das Lauterkeitsrecht erwies sich außerdem als begrenzt, da nach der Keck-Doktrin des EuGH die Anwendung
nationaler Bestimmungen, die bestimmte Verkaufsmodalitäten beschränken oder
verbieten, nicht geeignet ist, den Handel zwischen den Mitgliedstaaten zu beschränken.9 Weite Teile des mitgliedstaatlichen Lauterkeitsrechts sind damit dem Zugriff der
Grundfreiheiten entzogen.10 Mit der seit geraumer Zeit wieder fortschreitenden legislativen Harmonisierung im Bereich des Lauterkeitsrechts wird der Einfluss der Grundfreiheiten auf das Lauterkeitsrecht weiter zurückgedrängt,11 da das einschlägige (primärrechtskonforme) Sekundärrecht den Grundfreiheiten vorgeht. Nur in den Bereichen, für die das Sekundärrecht keine abschließenden Regelungen trifft, können die
Grundfreiheiten ihre unmittelbare Wirkung entfalten.12
Einen weiteren Baustein zur Schaffung eines europäischen Lauterkeitsrechts bildete die Richtlinie über vergleichende Werbung (RL 97/55/EG),13 durch welche im
Jahr 1997 die RL 84/450 / EWG reformiert und in ihrem Anwendungsbereich erweitert
wurde.14 Die novellierte Richtlinie regelte fortan auch – insoweit im Wege der vollständigen Harmonisierung15 – die Zulässigkeitsvoraussetzungen der vergleichenden
Werbung. Während bei der legislativen Rechtsangleichung im Kernbereich des Lauterkeitsrechts somit nur geringe Fortschritte zu verzeichnen waren, setzte sich die Entwicklung unterdessen an der Schnittstelle zwischen Lauterkeits- und Verbrauchervertragsrecht fort. So enthalten eine Reihe der zwischen 1990 und 2000 erlassenen
Richtlinien mit verbrauchervertragsrechtlichem Schwerpunkt auch einzelne als lauterkeitsrechtlich zu qualifizierende Regelungen.16 Von einem zwischenzeitlich verfolgten kollisionsrechtlichen Ansatz, der das sog. Herkunftslandprinzip zur Schaffung
9
10
11
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13
14
15
16
EuGH, 24.11.1993, Rs. C-267/91, C-268/91, Slg. I-6097 – Keck.
Köhler/Bornkamm, 28. Aufl. 2010, UWG, Einleitung, Rn. 3.23.
Ebenso Piper /Ohly/Sosnitza, UWG, 5. Aufl. 2010, Einf C, Rn. 7.
EuGH, 11.7.1974, Rs. 8/74, Slg. 1974, 873 – Dassonville; EuGH 13.12.2001, C-324/99, Slg. I9897, Rz. 32 – DaimlerChrysler; siehe auch EuGH, 23.4.2009, Rs. C-261/07, C-299/07,
GRUR 2009, 599, Rz. 67 – VTB /Total Belgium und Galatea/Sanoma. Zum Verhältnis von
Grundfreiheiten und Sekundärrecht siehe Ehlers, in: ders. (Hrsg.), Europäische Grundrechte
und Grundfreiheiten, 3. Aufl. 2009, § 7 Rn. 7 ff.
Richtlinie 97/55/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 6.10.1997 zur Änderung der Richtlinie 84/450 / EWG über irreführende Werbung zwecks Einbeziehung der vergleichenden Werbung, ABl.EG 1997 L 290/18.
Richtlinie 97/55/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 6.10.1997 zur Änderung der Richtlinie 84/450 / EWG über irreführende Werbung zwecks Einbeziehung der vergleichenden Werbung, ABl.EG 1997 L 290/18.
Vgl. EuGH, 8.4.2003, Rs. C-44/01, Slg. I-3095 – Pippig Augenoptik; dazu Glöckner/HenningBodewig, WRP 2005, 1311 ff.
Vgl. Art. 3 RL 90/314 / EWG, Art. 3 Abs. 3 RL 1994/47/EG, Art. 9 RL 1997/7/EG, Art. 6 RL
1999/44 /EG.
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Lauterkeitsrecht in Europa: Acquis communautaire
eines europäischen Lauterkeitsrechts nutzbar machen wollte, wurde angesichts politischer Widerstände wieder Abstand genommen.17
Neue Dynamik gewann der Prozess der legislativen Harmonisierung erst durch das
im Oktober 2001 veröffentlichte Grünbuch zum Verbraucherschutz in der Europäischen Union,18 in dem die EU-Kommission (GD Verbraucherschutz) die Absicht verkündete, einen einheitlichen Rechtsrahmen für ein europäisches Lauterkeitsrecht zu
schaffen. Der von der Kommission angestoßene Konsultationsprozess mündete 2005 in
die Richtlinie über unlautere Geschäftspraktiken (RL 2005/29 /EG, UGP-RL).19
Ein konkurrierender Vorschlag für eine Verordnung über Verkaufsförderung im Binnenmarkt, den die EU-Kommission (GD Binnenmarkt) ebenfalls im Oktober 2001
(und in geänderter Fassung erneut im Oktober 2002) vorgelegt hatte,20 wurde nach
Erlass der UGP-RL nicht weiterverfolgt.21
Mit der im Juni 2005 in Kraft getretenen UGP-RL hat die die Europäisierung des
Lauterkeitsrechts eine neue Stufe erreicht. Anders als die RL 84/450 / EWG, die in
vielfacher Hinsicht einen Minimalkonsens darstellte, zielt die UGP-RL auf eine Vollharmonisierung und damit die Schaffung eines einheitlichen Rechtsrahmens für das
europäische Lauterkeitsrecht. Trotzdem hat die UGP-RL – insbesondere in der deutschen und österreichischen Literatur – sehr viel Kritik erfahren und wird teilweise
sogar als Rückschritt gegenüber der RL 84/450 / EWG angesehen.22
Wesentlicher Kritikpunkt ist die Beschränkung der UGP-RL auf den lauterkeitsrechtlichen Verbraucherschutz und die damit einhergehende Aufspaltung des europäischen Lauterkeitsrechts („Dualismus der Lauterkeitsordnungen“).23 Während
die RL 84/450 / EWG noch von einer Schutzzwecktrias ausging und die Interessen
der Verbraucher, der Mitbewerber und der Allgemeinheit gleichermaßen berücksichtigte, beschränkt sich die UGP-RL auf den Schutz der wirtschaftlichen Interessen der
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18
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23
Vgl. Art. 3 RL 2001/31/EG. Eine entsprechende „Binnenmarktklausel“ enthielt auch der
ursprüngliche Entwurf der UGP-RL. Lediglich als Torso ohne kollisionsrechtliche Wirkung
hat diese Vorschrift Eingang in die Endfassung der UGP-RL gefunden, dazu unter II.2.a) bb).
Grünbuch zum Verbraucherschutz in der Europäischen Union vom 2.10.2001, KOM (2001)
531 endg.
Richtlinie 2005/29 /EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 11.5.2005 über
unlautere Geschäftspraktiken von Unternehmen gegenüber Verbrauchern im Binnenmarkt,
ABl.EG 2005 L 149/22, berichtigt durch ABl.EG 2009 L 253/18. Zur Entstehungsgeschichte
der Richtlinie siehe insbesondere die Mitteilung der Kommission „Folgemaßnahmen zum
Grünbuch über Verbraucherschutz in der EU“ vom 11.6.2002, KOM (2002) 289 endg. sowie
den Richtlinienvorschlag der Kommission, KOM (2003) 356 endg.; dazu Keßler/Micklitz, BB
2003, 2073 ff.; Schulte-Nölke/Busch, ZEuP 2004, 99 ff.
Geänderter Vorschlag für eine Verordnung des Europäischen Parlaments und des Rates über
Verkaufsförderung im Binnenmarkt vom 25.10.2002, KOM (2002) 585 endg.
Vgl. KOM (2005) 462, S. 10.
Siehe etwa die Kritik von Henning-Bodewig, GRUR Int. 2002, 389, 396; Köhler/Lettl, WRP
2003, 1019, 1033 und Griss, wbl 2010, 1, 3.
Fezer, WRP 2010, 677, 680.
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Verbraucher und erfasst nur Geschäftspraktiken zwischen Unternehmen und Verbrauchern (B2C-Verkehr). Im Gegenzug wurde der Schutzzweck der RL 84/450 / EWG, die
inzwischen durch die RL 2006/114 /EG24 kodifiziert wurde, im Bereich der irreführenden Werbung – nicht jedoch im Bereich der vergleichenden Werbung – auf den Mitbewerberschutz beschränkt. 25 Zur Fragmentierung des lauterkeitsrechtlichen acquis
communautaire tragen ferner eine Reihe medien- und produktspezifische Sekundärrechtsakte bei.26
Während der materielle Teil des europäischen Lauterkeitsrechts (jedenfalls im
B2C-Bereich) inzwischen ein bisher ungekanntes Maß an Harmonisierung erfahren
hat, besteht im Bereich der grenzüberschreitenden Rechtsdurchsetzung nach wie
vor ein erhebliches Defizit. 27 Hier existieren mit der VO (EG) Nr. 2006/2004 über
die Zusammenarbeit im Verbraucherschutz28, und der Richtlinie über Unterlassungsklagen (RL 2009/22 /EG)29, durch welche die zuvor mehrfach geänderte RL 1998/27/
EG30 kodifiziert wurde, bislang nur rudimentäre Regelungen.
Derzeit ist es noch zu früh, um ein abschließendes Urteil über den durch die UGPRL erreichten Harmonisierungseffekt zu fällen.31 Erste Analysen der Umsetzungsgesetze deuten darauf hin, dass lediglich punktuell ein Gewinn an Rechtssicherheit erzielt wurde (insbesondere durch die Per-se-Verbote der sog. „black list“).32 Ob die Einführung einer verbraucherschützenden Generalklausel (Artikel 5 Abs. 1 UGP-RL) angesichts der unterschiedlichen Lauterkeitstraditionen ein geeignetes Mittel zur
24
25
26
27
28
29
30
31
32
Richtlinie 2006/114 /EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 12. Dezember
2006 über irreführende und vergleichende Werbung (kodifizierte Fassung), ABl.EG 2006
L 376/21.
Siehe Art. 14 UGP-RL.
Dazu näher unter II.2.c).
Dazu Micklitz, in: Weatherill/Bernitz, The Regulation of Unfair Commercial Practices under
EC Directive 2005/29 /EC, Oxford 2007, S. 235 ff. unter der pointierten Überschrift „Transborder Law Enforcement – Does it exist?“; siehe auch Leistner, ZEuP 2009, 56, 77 ff.
Verordnung (EG) Nr. 2006/2004 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 27.10.
2004 über die Zusammenarbeit zwischen den für die Durchsetzung der Verbraucherschutzgesetze zuständigen nationalen Behörden (Verordnung über die Zusammenarbeit im Verbraucherschutz), ABl.EG 2004 L 364/1.
Richtlinie 2009/22 /EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 23.4.2009 über
Unterlassungsklagen zum Schutz der Verbraucherinteressen (kodifizierte Fassung), ABl.EG
2009 L 110/30.
Richtlinie 98/27/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 19.5.1998 über Unterlassungsklagen zum Schutz der Verbraucherinteressen, ABl.EG 1998 L 166/51.
Für eine erste (kritische) Einschätzung siehe Henning-Bodewig, GRUR Int. 2010, 549, 559 ff.;
siehe ferner Schulte-Nölke/Busch, Transposition and Enforcement of the Directive on unfair
commercial practices (2005/29 /EC) and the Directive concerning misleading and comparative advertising (2006/114 /EC), P / A/ IMCO /NT/2008-16, November 2008, im Internet
veröffentlicht: http://www.europarl.europa.eu/activities/committees/studies/download.do?
file=23131.
So auch Henning-Bodewig, GRUR Int. 2010, 549, 560.
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Lauterkeitsrecht in Europa: Acquis communautaire
Harmonisierung darstellt, wird erst eine genauere rechtsvergleichende Analyse der
mitgliedstaatlichen Rechtsprechung zeigen. Eine wichtige Informationsquelle wird
dabei die von der EU-Kommission geplante Rechtsprechungs-Datenbank zur UGPRL bilden.33
II. Rechtliche Grundlagen
Literatur: Anagnostaras, The Unfair Commercial Practices Directive in Context: From Legal Disparity to Legal Complexity?, CMLRev 2010, 147; Brömmelmeyer, Der Binnenmarkt als Leitstern der
Richtlinie über unlautere Geschäftspraktiken, GRUR 2007, 195; Busch, Welche Folgen hat die Umsetzung der Lauterkeitsrichtlinie für das Vertragsrecht?, GPR 2008, 158; C. Calliess, Europäische
Gesetzgebung und nationale Grundrechte, JZ 2009, 113; Collins, The Unfair Commercial Practices
Directive, ERCL 2005, 417; De Groote/De Vulder, European Framework for Unfair Commercial
Practices: Analysis of Directive 2005/29, J.B.L. 2007, 16; Glöckner/Henning-Bodewig, EG-Richtlinie
über unlautere Geschäftspraktiken: Was wird aus dem „neuen“ UWG?, WRP 2005, 1311; Fassbender, Der grundrechtliche Schutz der Werbefreiheit in Deutschland und Europa, GRUR Int. 2006,
965; Henning-Bodewig, EU-Richtlinie zum unlauteren Wettbewerb, GRUR Int. 2005, 629; dies.,
Unfair competition law: European Union and member states, Den Haag 2006; Jung, Die Health
Claims Verordnung – Neue Grenzen gesundheitsbezogener Werbung für Lebensmittel, WRP 2007,
389; Köhler, Irreführungs-Richtlinie und deutsches Wettbewerbsrecht, GRUR Int.1994, 396; Keßler/
Micklitz, Der Richtlinienvorschlag über unlautere Praktiken im binnenmarktinternen Geschäftsverkehr, BB 2003, 2073; Krzeminska-Vamvaka, Freedom of Commercial Speech in Europe, Hamburg
2008; Leistner, Bestand und Entwicklungsperspektiven des Europäischen Lauterkeitsrechts, ZEuP
2009, 56; Leistner/Pothmann, E-Mail-Direktmarketing im neuen europäischen Recht und in der
UWG-Reform, WRP 2003, 815; Micklitz, Transborder Law Enforcement – Does it Exist?, in: Weatherill/Bernitz, The Regulation of Unfair Commercial Practices under EC Directive 2005/29, Oxford
2006, S. 235-253; Micklitz/Schirmbacher, Distanzkommunikation im europäischen Lauterkeitsrecht, WRP 2006, 148; Ohly, Das Herkunftslandprinzip im Bereich vollständig angeglichenen Lauterkeitsrechts, WRP 2006, 1401; Oliver/Enchelmaier, Free Movement of Goods: Recent Developments in the Case Law, CMLRev 2007, 649; Schillig, Konkretisierungskompetenz und Konkretisierungsmethoden im europäischen Privatrecht, Berlin 2009; Szczekalla, Grenzenlose Grundrechte,
NVwZ 2006, 1019; Stuyck/Terryn/van Dyck, Confidence through fairness? The new directive on
unfair business-to-consumer commercial practices in the Internal Market, CMLR 2006, 107;
Weatherill, After Keck: Some thoughts on how to clarify the clarification, CMLRev 1996, 885;
Wunderle, Verbraucherschutz im europäischen Lauterkeitsrecht, Tübingen 2010; Ziegenhorn, Kontrolle von mitgliedstaatlichen Gesetzen „im Anwendungsbereich des Unionsrechts“ am Maßstab
der Unionsgrundrechte, NVwZ 2010, 803.
33
Vgl. Ziff. 20 der Entschließung des Europäischen Parlaments vom 13.1.2009 zu der Umsetzung, Anwendung und Durchsetzung der Richtlinie 2005/29 /EG, P6_TA(2009)0008,
ABl.EG 2010 C 46 E/26.
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II. Rechtliche Grundlagen
1. Primärrecht
a) Europäische Grundfreiheiten
Angesichts der zunächst nur sehr fragmentarischen Harmonisierung des Lauterkeitsrechts durch einzelne Sekundärrechtsakte haben die im europäischen Primärrecht verankerten Grundfreiheiten, die einen wesentlichen Teil des wirtschaftsverfassungsrechtlichen Rahmens des Binnenmarktes bilden, eine zentrale Rolle für die Entwicklung des europäischen Lauterkeitsrechts gespielt.34 Mitgliedstaatliche Verbote unlauterer Geschäftspraktiken können den freien Waren- und Dienstleistungsverkehr
innerhalb des europäischen Binnenmarktes beeinträchtigen und dementsprechend
mit der Waren- und Dienstleistungsfreiheit (Artikel 34, 56 AEUV) in Konflikt geraten. Da eine umfassende Erläuterung zur Dogmatik der Grundfreiheiten den Rahmen
dieses Beitrags sprengen würde, beschränkt sich die Darstellung im Folgenden auf einige Grundzüge und skizziert lediglich holzschnittartig einige wichtige Stationen der
Rechtsprechung. 35
Ausgangspunkt für den Zugriff der Grundfreiheiten auf das nationale Lauterkeitsrecht ist die Dassonville-Entscheidung aus dem Jahr 1974.36 Darin stellt der EuGH
klar, dass jede Handelsregelung der Mitgliedstaaten, die geeignet ist, den innergemeinschaftlichen Handel unmittelbar oder mittelbar, tatsächlich oder potentiell zu behindern, als eine Maßnahme mit gleicher Wirkung wie eine mengenmäßige Beschränkung anzusehen ist und dementsprechend Artikel 34 AEUV beeinträchtigen kann
(sog. Dassonville-Formel). Dieses weite Verständnis des Zugriffsbereichs der Warenverkehrsfreiheit wurde 1979 bestätigt durch die Entscheidung im Fall Cassis de Dijon. 37 Zugleich erweiterte der EuGH in dieser Entscheidung – gewissermaßen als Gegenwicht zu Dassonville38 – die Rechtfertigungsgründe, auf die eine Einschränkung der
Warenverkehrsfreiheit gestützt werden kann. Zu den „zwingenden Erfordernissen“, die
als Rechtfertigungsgrund dienen können zählen dabei unter anderem die Lauterkeit
des Handelsverkehrs und der Verbraucherschutz. 39
Auf der durch Dassonville und Cassis de Dijon gelegten Grundlage wurden in der
Folgezeit vor dem EuGH eine Reihe nationaler Werbebeschränkungen auf den Prüfstand gestellt.40 Die Beispiele reichen von einem niederländischen Zugabeverbot41
34
35
36
37
38
39
40
41
Siehe Köhler/Bornkamm, 28. Aufl. 2010, UWG, Einleitung, Rn. 3.14-3.36 sowie Glöckner,
Europäisches Lauterkeitsrecht, München 2006, S. 81 ff.
Siehe dazu die detaillierte Rechtsprechungsübersicht bei Heermann, in: MünchKommUWG,
EG B, Rn. 1 ff. und Glöckner, MünchKommUWG, EG C, Rn. 1 ff.; siehe ferner Oliver/Enchelmaier, CMLRev 2007, 649 ff.
EuGH, 11.7.1974, Rs. 8/74, Slg. 837 – Dassonville.
EuGH, 20.02.1979, Rs. 120/78, Slg. 649 – Cassis de Dijon.
Glöckner, Europäisches Lauterkeitsrecht, München 2006, S. 87.
EuGH, 20.02.1979, Rs. 120/78, Slg. 649, Rn. 8 – Cassis de Dijon.
Siehe den detaillierten Rechtsprechungsüberblick bei Kingreen, in: Calliess/Ruffert, EUV/
EGV, 3. Aufl. 2007, Art. 28-30 EGV, Rn. 163 ff.
EuGH, 15.12.1982, Rs. 286/81, Slg. 4575 – Oosthoek’s Uitgeversmaatschappij.
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Lauterkeitsrecht in Europa: Acquis communautaire
über ein französisches Verbot der Haustürwerbung für pädagogisches Material42, einer
luxemburgischen Beschränkung für Sonderangebote43 und einem spanischen Werbeverbot für bestimmte alkoholische Getränke44 bis hin zum deutschen Verbot der Werbung mit blickfangmäßigen Preisgegenüberstellungen. 45 Ein Wendepunkt folgte im
Jahr 1993 mit dem Fall Keck und Mithouard. In der Entscheidung, die das französische Verbot des Verkaufs unter Einstandspreis betraf, schränkte der EuGH die Dassonville-Formel ein und stellte klar, dass die Anwendung nationaler Bestimmungen, die
bestimmte Verkaufsmodalitäten beschränken, nicht geeignet ist, den Handel zwischen den Mitgliedstaaten zu beschränken, sofern die Bestimmung importierte und
inländische Waren gleichermaßen berührt. 46 Durch diese sog. Keck-Formel wurde
der Zugriff der Grundfreiheiten auf das mitgliedstaatliche Lauterkeitsrecht eingeschränkt. Völlig entzogen waren und sind die nationalen Lauterkeitsrechtsordnungen
der primärrechtlichen Kontrolle jedoch nicht. Schon bald nach der Keck-Entscheidung hat der EuGH deutlich gemacht, dass nationale Regelungen über die Bezeichnung, Etikettierung und Verpackung von Waren nach wie vor der Kontrolle am Maßstab der Warenverkehrsfreiheit unterliegen.47 In der Praxis bereitet die vom EuGH
vorgenommene formale Abgrenzung zwischen vertriebs- und produktbezogenen Regelungen jedoch erhebliche Probleme und ist daher zu Recht auf Kritik gestoßen.48
Aus der knappen Skizze der Rechtsprechungsentwicklung ergibt sich für die Frage
nach Vereinbarkeit einer mitgliedstaatlicher Lauterkeitsregel mit der Warenverkehrsfreiheit grob vereinfacht folgendes Prüfungsschema:49
(1) Ein Verstoß gegen die Warenverkehrsfreiheit kommt nur in Betracht, wenn der
Anwendungsbereich („Schutzbereich“) von Artikel 34 AEUV eröffnet ist. Dabei ist zu
beachten, dass ein Rückgriff auf die Grundfreiheiten nur möglich ist, sofern der betreffende Bereich nicht durch das Sekundärrecht abschließend harmonisiert ist.50
(2) Ist der Anwendungsbereich der Warenverkehrsfreiheit eröffnet, so stellt sich
nächsten Schritt die Frage, ob eine Beeinträchtigung der Grundfreiheit vorliegt. Hier
ist insbesondere die oben erwähnte Keck-Doktrin des EuGH zu beachten.51 Danach
ist die Anwendung nationaler Bestimmungen, die bestimmte Verkaufsmodalitäten be-
42
43
44
45
46
47
48
49
50
51
EuGH, 16.5.1989, Rs. 382/87, Slg. 1235 – Buet.
EuGH, 7.3.1990, Rs. C-362/88, Slg. I-667 – GB INNO-BM.
EuGH, 25.7.1991, Rs. C-1/90, C-176/90, Slg. I-4151 – Aragonesa de la publicidad exterior.
EuGH, 18.5.1993, Rs. C-126/91, Slg. I-2361 – Yves Rocher.
EuGH, 24.11.1993, Rs. C-267/91, C-268/91, Slg. I-6097, Rn. 16 – Keck.
EuGH, 2.2.1994, Rs. C-315/92, Slg. I-317 – Clinique; EuGH, 6.7.1995, Rs. C-470/93, Slg.
I-1923 – Mars.
Kritisch etwa Glöckner, Europäisches Lauterkeitsrecht, München 2006, S. 91 f. m.w.N.
Vgl. Epiney, in: Ehlers (Hg.), Europäische Grundrechte und Grundfreiheiten, 3. Aufl. 2009,
§ 8 Rn. 1 ff. und Pache, a.a.O., § 11 Rn. 1 ff.; siehe auch Piper /Ohly/Sosnitza, UWG, 5. Aufl.
2010, Einf C, Rn. 10.
EuGH, 11.7.1974, Rs. 8/74, Slg. 1974, 873 – Dassonville; 13.12.2001, C-324/99, Slg. I-9897,
Tz. 32 – DaimlerChrysler; vgl. Ehlers, in: ders. (Hrsg.), Europäische Grundrechte und Grundfreiheiten, 3. Aufl. 2009, § 7 Rn. 7 ff.
EuGH, 24.11.1993, Rs. C-267/91, C-268/91, Slg. I-6097 – Keck.
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II. Rechtliche Grundlagen
schränken oder verbieten, nicht geeignet, den Handel zwischen den Mitgliedstaaten
zu beschränken.
(3) Eine Rechtfertigung der nationalen Lauterkeitsregel kann sich sowohl aus den
expliziten Schranken (Artikel 36 AEUV) als auch aus den immanenten Schranken der
Grundfreiheit ergeben, insbesondere den in der Cassis de Dijon-Entscheidung anerkannten zwingenden Erfordernissen. Als Maßstab für die Beurteilung von Handelsbeschränkungen, die seitens der Mitgliedstaaten mit dem Schutz der Verbraucher begründet wurden, hat der EuGH das Leitbild des verständigen Durchschnittsverbrauchers, der angemessen gut unterricht und angemessen aufmerksam und kritisch ist,
entwickelt.52 Unter Berufung auf dieses Leitbild hat der EuGH in der Vergangenheit
die Rechtfertigung allzu restriktiver Irreführungsverbote verneint.53
Für die Dienstleistungsfreiheit gilt das zur Dassonville-Formel und zur Cassis de Dijon-Rechtsprechung Gesagte im Wesentlichen entsprechend.54 Die Keck-Doktrin hat
der EuGH demgegenüber bislang nicht ausdrücklich auf die Dienstleistungsfreiheit
übertragen. Dies wäre angesichts der sachlichen Unterschiede zwischen Waren und
Dienstleistungen auch kaum sachgerecht.55 Zu beachten ist ferner, dass die Dienstleistungsfreiheit in zweifacher Hinsicht durch mitgliedstaatliche Verbote unlauterer Geschäftspraktiken beeinträchtigt werden kann. Zum einen fällt die Erbringung grenzüberschreitender Dienstleistungen (z.B. Wertpapierhandel56, Sportwetten57) in den
Schutzbereich von Artikel 56 AEUV. Zum anderen stellt die Werbung selbst eine
Dienstleistung dar.58 Zu den Gründen des Allgemeininteresses, die – ebenso wie im
Rahmen der Warenverkehrsfreiheit – eine Beschränkung des freien Dienstleistungsverkehrs rechtfertigen können, gehören u.a. die Lauterkeit des Wettbewerbs und der
Verbraucherschutz.59
b) Europäische Grundrechte
Während mit der wachsenden Zahl an Sekundärrechtsakten die Bedeutung der
Grundfreiheiten für die Entwicklung des Europäischen Lauterkeitsrechts abnimmt,
dürfte die Bedeutung der europäischen Grundrechte, insbesondere der EU-Grund52
53
54
55
56
57
58
59
EuGH, 16.7.1998, Rs. C-210/96, Slg. I-4657 – Gut Springenheide; EuGH, 2.2.1994, Rs. C-315/
92, Slg. I-317 – Clinique; EuGH, 13.01.2000, Rs. C-220/98 – Lifting Creme.
EuGH, 2.2.1994, Rs. C-315/92, Slg. I-317 – Clinique; EuGH, 6.7.1995, Rs. C-470/93, Slg. I1923 – Mars.
Siehe die ausführliche Rechtsprechungsübersicht bei Glöckner, MünchKommUWG, EG C,
Rn. 1 ff.
Piper /Ohly/Sosnitza, UWG, 5. Aufl. 2010, Einf. C, Rn. 23; Sack GRUR 1998, 871, 874; Pache,
in: Ehlers (Hg.), Europäische Grundrechte und Grundfreiheiten, 3. Aufl. 2009, § 11
Rn. 63 m.w.N.
EuGH, 10.5.1995, Rs. C-384/93, Slg. I-1141 – Alpine Investments.
EuGH, 6.11.2003, Rs. C-243/01, Slg. I-13031 – Gambelli; EuGH, 8.7.2010, Rs. C-447/08 u.a.
– Sjöberg.
EuGH, 9.7.1997, Rs. C-34/95, Slg. I-3843 – De Agostini.
Vgl. Piper /Ohly/Sosnitza, UWG, 5. Aufl. 2010, Einf. C, Rn. 25.
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Lauterkeitsrecht in Europa: Acquis communautaire
rechtecharta (GRCh), deutlich zunehmen.60 An die Vorgaben der GRCh sind die Mitgliedstaaten „bei der Durchführung des Rechts der Union“ gebunden.61 Die Reichweite dieser europäischen Grundrechtsbindung ist umstritten.62 Eine Bindungswirkung
entfaltet die GRCh jedenfalls in den Bereichen des Lauterkeitsrechts, in denen das
Richtlinienrecht den Mitgliedstaaten keinerlei Umsetzungsspielraum lässt und das
mitgliedstaatliche Recht daher zwingende unionsrechtliche Vorgaben lediglich nachzeichnet.63
Innerhalb dieser unionsrechtlich determinierten Bereiche des nationalen Lauterkeitsrechts sind die mitgliedstaatlichen Gerichte bei der Auslegung und Anwendung
der Rechtsvorschriften nicht nur an die jeweiligen nationalen Grundrechte gebunden,
sondern auch an die Vorgaben der GRCh, die seit dem Inkrafttreten des Vertrags von
Lissabon über den Rang von Primärrecht verfügt.64 Diese europäischen Grundrechte
haben Teil am Anwendungsvorrang des Unionsrechts und gehen daher den nationalen Grundrechten grundsätzlich vor.65 Innerhalb des Unionsrechts sind – wegen des
Vorrangs des Primärrechts vor dem Sekundärrecht – die Vorgaben der GRCh bereits
bei der Auslegung der einschlägigen Richtlinienbestimmungen zu berücksichtigen.66
Eine besondere Rolle dürfte den europäischen Grundrechten bei der Konkretisierung
der Generalklausel in Artikel 5 Abs. 1 UGP-RL zukommen.67
Damit verengt sich zugleich der Spielraum für eine Korrektur von Lauterkeitsgeboten unter Rückgriff auf nationale Grundrechte. So haben etwa deutsche Gerichte in
der Vergangenheit einige als allzu restriktiv empfundene Regeln des Heilmittelwerberechts im Wege der verfassungskonformen Auslegung korrigiert. Dieser Weg ist angesichts der Vollharmonisierung weiter Teile des Heilmittelwerberechts durch den Gemeinschaftskodex für Humanarzneimittel (RL 2001/83/EG)68 nunmehr versperrt.69
Als Korrektiv können hier künftig allein die europäischen Grundrechte dienen, die
als Prüfungsmaßstab an die Stelle des nationalen Grundrechtskatalogs treten.
Die Unterschiede, die sich dadurch ergeben, dürften allerdings weniger materieller
als prozessualer Art sein,70 da mit der Änderung des grundrechtlichen Referenzsystems
auch eine Änderung der Auslegungskompetenz einhergeht: Das letzte Wort über die
60
61
62
63
64
65
66
67
68
69
70
Zur Bedeutung der EMRK für das Lauterkeitsrecht siehe Faßbender, GRUR Int. 2006, 965,
972 ff. Siehe auch Busch/Schulte-Nölke, EU Compendium Fundamental Rights and Private
Law, München 2011.
Art. 51 Abs. 1 S. 1 GRCh.
Siehe dazu Calliess, JZ 2009, 113 ff.
Ziegenhorn, NVwZ 2010, 803, 806 f.
Vgl. Art. 6 Abs. 1 EUV n.F.
Szczekalla, NVwZ 2006, 1019, 1021; zu den Grenzen dieses Anwendungsvorrangs siehe
Calliess, JZ 2009, 113 ff.
Siehe bereits Köhler, GRUR 2005, 273.
Dazu ausführlich Schillig, Konkretisierungskompetenz und Konkretisierungsmethoden im
europäischen Privatrecht, Berlin 2009, S. 312 ff.
Richtlinie 2001/83/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 6.11.2001 zur
Schaffung eines Gemeinschaftskodexes für Humanarzneimittel, ABl.EG 2001 L 311/67.
Siehe OLG Hamburg, GRUR-RR 2010, 74 – Läusemittel.
Näher dazu Busch, DRiZ 2010, 63 ff.
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II. Rechtliche Grundlagen
Vereinbarkeit der (unionsrechtlich determinierten) Lauterkeitsgebote mit der GRCh
hat der EuGH und nicht das jeweilige nationale Verfassungsgericht. Welche prozessualen Konsequenzen dies für den Fall eines Konflikts zwischen nationalem Lauterkeitsrecht und europäischen Grundrechten haben kann, hat der EuGH jüngst – in
anderem Zusammenhang – im Fall Kücükdeveci aufgezeigt. Danach obliegt es dem
nationalen Gericht, die lauterkeitsrechtliche Norm erforderlichenfalls unangewendet
zu lassen und den EuGH im Wege der Vorabentscheidung um Auslegung der einschlägigen Bestimmung aus der GRCh zu ersuchen.71
2. Sekundärrecht
a) Richtlinie 2006/114 /EG über irreführende und vergleichende Werbung
Die Richtlinie über irreführende und vergleichende Werbung (RL 2006/114 /EG)72 ist
an die Stelle der zuvor mehrfach geänderten RL 1984/450 / EWG73 getreten. Zweck der
RL 2006/114 /EG ist nach ihrem Artikel 1 der Schutz der Gewerbetreibenden vor irreführender Werbung und deren unlauteren Auswirkungen sowie die Festlegung der
Bedingungen für zulässige vergleichende Werbung. Während die Richtlinie im Bereich der vergleichenden Werbung Verbraucher und Mitbewerber gleichermaßen
schützt, beschränkt sie sich im Bereich der irreführenden Werbung auf den Mitbewerberschutz. Den Kern der Richtlinie bilden Artikel 3, der Kriterien für die Beurteilung
einer Werbung als irreführend formuliert,74 und Artikel 4, der festlegt, unter welchen
Voraussetzungen eine vergleichende Werbung zulässig ist.75 Artikel 5 enthält Anforderungen an den Schutz gegen solche Werbung.
Hinsichtlich des Harmonisierungsniveaus der RL 2006/114 /EG ist zu differenzieren: In Bezug auf irreführende Werbung beschränkt sich die Richtlinie auf Teilharmonisierung der mitgliedstaatlichen Rechtsvorschriften durch die Bestimmung von
objektiven Mindestkriterien, anhand deren sich feststellen lässt, ob eine Werbung irreführend ist, und durch die Festsetzung von Mindestanforderungen für den Schutz
gegen derartige Werbung (Artikel 8 Abs. 1 Unterabs. 1).76 Dementsprechend steht
es den Mitgliedstaaten frei, Vorschriften zu erlassen, die einen weitergehenden Schutz
von Gewerbetreibenden vor irreführender Werbung vorsehen.77 Für den Bereich der
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73
74
75
76
77
EuGH, 19.1.2010, Rs. C-555/07, NJW 2010, 427 – Kücükdeveci.
Richtlinie 2006/114 /EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 12. Dezember
2006 über irreführende und vergleichende Werbung (kodifizierte Fassung), ABl.EG 2006
L 376/21.
Richtlinie 84/450 / EWG des Rates über irreführende und vergleichende Werbung vom 10.9.
1984, ABl.EG 1984 L 250/17.
Dazu näher unter VII.3.
Dazu näher unter VIII.
Siehe auch EuGH, 13.12.1990, Rs. C-239/89, Slg. I-4827, Rz. 22 – Pall/Dahlhausen; EuGH,
2.2.1994, Rs. C-315/92, Slg. I-317, Rz. 10 – Clinique, jeweils zu RL 1984/450/ EWG.
Solche Vorschriften der Mitgliedstaaten müssen sich allerdings an den Maßstäben des Primärrechts, insbesondere Artikel 34 AEUV, messen lassen. Dazu näher oben unter II.1.a).
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Lauterkeitsrecht in Europa: Acquis communautaire
vergleichenden Werbung bezweckt die Richtlinie dagegen eine Vollharmonisierung
(Artikel 8 Abs. 1 Unterabs. 2).78 Hier ist den Mitgliedstaaten daher die Anwendung
strengerer nationaler Vorschriften verwehrt.
Bei der Auswahl der Sanktionsinstrumente gewährt die Richtlinie den Mitgliedstaaten einen weiten Gestaltungsspielraum (Artikel 5 bis 7). Artikel 5 Abs. 1 S. 1 verlangt lediglich, dass die Mitgliedstaaten „geeignete und wirksame Mittel“ zur Bekämpfung der irreführenden Werbung bereitstellen und die Einhaltung der Bestimmungen über vergleichende Werbung „gewährleisten“. Das Nebeneinander von zivilrechtlichen, verwaltungsrechtlichen oder strafrechtlichen Sanktionssystemen
innerhalb der EU bleibt somit weitgehend unangetastet. Als Mindeststandard sieht
die Richtlinie allerdings einen verschuldens- und schadensunabhängigen Unterlassungsanspruch (Artikel 5 Abs. 3) sowie die Veröffentlichung rechtskräftiger Gerichts- oder Verwaltungsentscheidungen vor (Artikel 5 Abs. 4) vor. Auch bei der Ausgestaltung des Sanktionsverfahrens (Artikel 5 Abs. 2 und 5) und bei der Verteilung
der Beweislast (Artikel 7) trifft die Richtlinie nur fragmentarische Regelungen.
b) Richtlinie 2005/29 /EG über unlautere Geschäftspraktiken
Die Richtlinie über unlautere Geschäftspraktiken (RL 2005/29 /EG, UGP-RL)79 zielt
gemäß ihrem Artikel 1 auf eine vollständige Harmonisierung der Regelungen über
unlautere Geschäftspraktiken, die die wirtschaftlichen Interessen der Verbraucher beeinträchtigen. Dadurch soll ein Beitrag zum reibungslosen Funktionieren des Binnenmarktes und zum Erreichen eines hohen Verbraucherschutzniveaus geleistet werden.
Anwendungsbereich und Schutzzweck der UGP-RL sind in doppelter Weise eingeschränkt: Zum einen beschränkt sich die Richtlinie auf den sog. B2C-Verkehr, d.h.
auf Geschäftspraktiken von Unternehmern gegenüber Verbrauchern. 80 Zum anderen
zielt die UGP-RL nur auf den Schutz der wirtschaftlichen Interessen der Verbraucher,
nicht auch auf den Schutz anderer Verbraucherinteressen (z.B. Schutz der Privatsphäre). Die UGP-RL schützt den Verbraucher somit nur in seiner Eigenschaft als (Binnen-)Marktteilnehmer. Die wirtschaftlichen Interessen rechtmäßig handelnder Mitbewerber werden lediglich mittelbar geschützt.81 Der durch die UGP-RL vermittelte
78
79
80
81
Vgl. Erwägungsgrund Nr. 11 Richtlinie 2006/114 /EG und EuGH, 8.4.2003, Rs. C-44/01,
Slg. I-3095, Rz. 43 f. – Pippig Augenoptik.
Richtlinie 2005/29 /EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 11.5.2005 über
unlautere Geschäftspraktiken von Unternehmen gegenüber Verbrauchern im Binnenmarkt,
ABl.EG 2005 L 149/22, berichtigt durch ABl.EG 2009 L 253/18. Eine wichtige Auslegungshilfe bietet das Commission Staff Working Document vom 3.12.2009: „Guidance on the
Implementation/Application of Directive 2005/29 /EC on Unfair Commercial Practices“,
SEC (2009) 1666; kritisch dazu Blank/Tenkhoff, GRUR-Prax 2010, 95.
Kritisch zu dieser Verengung von Anwendungsbereich und Schutzzweck der UGP-RL Glöckner, WRP 2004, 936, 938; Götting/Nordemann/Götting, Einleitung, UWG, 1. Aufl. 2010,
Rn. 113.
Vgl. Erwägungsgründe Nr. 6 S. 1 und Nr. 8 S. 2 UGP-RL.
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Mitbewerberschutz ist lediglich ein „objektiver Reflex“ des lauterkeitsrechtlichen Verbraucherschutzes. 82
Während der Anwendungsbereich der Richtlinie sich in personeller Hinsicht auf
den B2C-Verkehr beschränkt,83 wird der sachliche Anwendungsbereich durch den in
Artikel 2 lit. d) UGP-RL definierten Begriff der Geschäftspraktiken bestimmt.84 Dieser Terminus ist weiter gefasst als die Begriffe „Werbung“85 und „kommerziellen Kommunikation“86 und erfasst in zeitlicher Hinsicht alle geschäftsbezogenen Handlungen
und Unterlassungen vor, während und nach Vertragsschluss. Da in der deutschen
Sprachfassung von Artikel 2 lit. d) UGP-RL von „Absatzförderung“ die Rede ist, wird
teilweise vertreten, dass Praktiken, die der Bezugsförderung dienen, nicht von der
UGP-RL erfasst sind. 87 Eine solche Interpretation, durch die eine erhebliche Schutzlücke aufgerissen würde, ist jedoch nicht zwingend. Die weite Definition des Begriffs
„Produkt“ in Artikel 2 lit. c) UGP-RL, die auch Dienstleistungen umfasst, erlaubt es,
auch die Werbung für den Ankauf von Waren unter den Begriff der „Absatzförderung“
zu subsumieren. Wirbt etwa ein Kfz-Händler gegenüber Verbrauchern für den Ankauf
von Gebrauchtwagen, so lässt sich dieser „Ankaufservice“ ohne Weiteres als „Produkt“
im Sinne von Artikel 2 lit. c) UGP-RL auffassen, dessen Absatz der Händler durch
seine Werbung fördert.88
Eine wichtige Ausnahme vom Anwendungsbereich der Richtlinie formuliert Erwägungsgrund Nr. 7 UGP-RL (sog. Kulturklausel). 89 Danach bezieht sich die Richtlinie nicht auf gesetzliche Anforderungen in Fragen der guten Sitten und des Anstands
(taste and decency, bon goût et bienséance).90 Die auf diesem Feld bestehenden ganz beträchtlichen Unterschiede zwischen den Mitgliedstaaten sollen durch die UGP-RL
nicht eingeebnet werden. Den Mitgliedstaaten steht es daher frei, auch künftig solche
Geschäftspraktiken verbieten, die etwa aus kulturellen Gründen unerwünscht sind,
auch wenn diese Praktiken die Wahlfreiheit des Verbrauchers nicht beeinträchtigen,
sondern „nur“ die Privatsphäre oder das Pietätsgefühl der Verbraucher verletzen (z.B.
„Scheibenwischerwerbung“91 oder Werbung auf Friedhöfen92).
Im Verhältnis zu anderen Rechtsakten der Europäischen Union ist die UGP-RL
gemäß Artikel 3 Abs. 4 subsidiär, d.h. sie ist nur insoweit anwendbar, als keine spezi82
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92
So treffend Fezer, WRP 2010, 677, 680.
Vgl. die Definitionen der Begriffe „Verbraucher“ und „Gewerbetreibender“ in Art. 2 lit. a), b)
UGP-RL.
Vgl. Art. 2 lit. d) UGP-RL.
Art. 2 lit. a) RL 2006/114 /EG.
Art. 2 lit. f) RL 2000/31/EG.
So etwa Köhler/Bornkamm, 28. Aufl. 2010, § 2 UWG, Rn. 38.
Näher dazu Busch, in: Gebauer/Wiedmann, Zivilrecht unter europäischem Einfluss, 2. Aufl.
2010, Kap. 25, Rn. 17.
Weitere Ausnahmen vom Anwendungsbereich enthält Art. 3 UGP-RL.
Erwägungsgrund Nr. 7 S. 3 UGP-RL.
Näher zur wettbewerbsrechtlichen Beurteilung der „Scheibenwischerwerbung“ Wasse, WRP
2010, 161.
Vgl. dazu OLG München WRP 2008, 380, 382 – Friedhofswerbung; OLG München GRUR-RR
2003, 117 – Grabaushubcontainer.
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fischen Vorschriften des Unionsrechts vorliegen, die bestimmte Aspekte unlauterer
Geschäftspraktiken regeln (z.B. besondere Informationsanforderungen). 93
Die Struktur der UGP-RL ist gekennzeichnet durch ein dreistufiges System der
Lauterkeitsgebote. Die erste Stufe bildet eine Generalklausel in Artikel 5 Abs. 1 UGPRL.94 Diese Vorschrift formuliert in schlichten Worten ein generelles Verbot unlauterer Geschäftspraktiken. Auf der zweiten Stufe wird die Generalklausel ergänzt durch
einige detailliertere Regelungen in den Art. 6 bis 9 UGP-RL, die zwei besonders wichtige Fallgruppen, irreführende und aggressive Praktiken, betreffen. Diese beiden Kategorien werden auf der dritten Stufe ihrerseits weiter konkretisiert durch eine kurze
„Schwarze Liste“ in Anhang I der Richtlinie. Anhang II enthält eine nicht abschließende Liste unionsrechtlicher Informationsgebote, die als „wesentliche Informationen“ i.S.v. Artikel 5 Abs. 5 UGP-RL gelten.
Nach der sog. Binnenmarktklausel (Artikel 4 UGP-RL) dürfen Mitgliedstaaten
den freien Dienstleistungs- und Warenverkehr nicht aus Gründen einschränken, die
mit dem durch die Richtlinie angeglichenen Bereich zusammenhängen. Diese angesichts ihrer wechselvollen Entstehungsgeschichte95 etwas schillernde Vorschrift ist
nicht Ausdruck eines kollisionsrechtlichen Herkunftslandprinzips. 96 Es handelt sich
vielmehr um einen deklaratorischen Verweis auf die primärrechtlichen Regeln der
Dienstleistungs- und Warenverkehrsfreiheit. 97
Bei der Auswahl der Sanktionen für Lauterkeitsverstöße gewährt die UGP-RL den
Mitgliedstaaten einen weiten Gestaltungsspielraum (Artikel 11 bis 13) und formuliert
lediglich einige Mindeststandards (Artikel 11 Abs. 2 UGP-RL). 98 Die Schaffung von
lauterkeitsrechtlichen Individualansprüchen für Verbraucher verlangt die UGP-RL
nicht.99
Die Konsequenzen der Vollharmonisierung für die mitgliedstaatlichen Rechtsordnungen hat der EuGH inzwischen in seinen ersten Entscheidungen zur UGP-RL
deutlich gemacht. Im Fall VTB-VAB wurde ein belgisches Verbot von Kopplungsgeschäften als mit der UGP-RL unvereinbar angesehen.100 Der EuGH bemängelte dabei
93
94
95
96
97
98
99
100
Vgl. Erwägungsgrund Nr. 10; siehe auch Erwägungsgrund Nr. 14 sowie Nr. 26, 28 und 29
Anhang I UGP-RL.
Zur Frage nach der Kompetenz des EuGH zur Konkretisierung der Generalklausel siehe Leible,
in: MünchKommUWG, EG A, Rn. 252 und Busch, in: Gebauer/Wiedmann, Zivilrecht unter
europäischem Einfluss, 2. Aufl. 2010, Kap. 25, Rn. 30 f.
Zur Entstehungsgeschichte der Binnenmarktklausel siehe Glöckner/Henning-Bodewig, WRP
2005, 1311, 1326 f.; Brömmelmeyer, GRUR 2007, 295, 299 ff.
Seichter, WRP 2005, 1087, 1089; Ohly, WRP 2006, 1401, 1409; Brömmelmeyer, GRUR 2007,
295, 300; Köhler/Bornkamm, 28. Aufl. 2010, UWG Einl. Rn. 3.63.
Näher dazu Busch, in: Gebauer/Wiedmann, Zivilrecht unter europäischem Einfluss, 2. Aufl.
2010, Kap. 25, Rn. 38 ff.; siehe auch Gamerith, WRP 2005, 395, 412.
Dazu näher Alexander, GRUR Int. 2005, 809 ff.
Alexander, GRUR Int. 2005, 809, 813; Abbamonte, in: Weatherill/Bernitz, The Regulation of
Unfair Commercial Practices under EC Directive 2005/29 /EC, Oxford 2007, S. 16; anders
dagegen Fezer, WRP 2006, 781, 789 m.w.N.
EuGH, 23.4.2009, Rs. C-261/07, C-299/07, GRUR 2009, 599, Rz. 67 – VTB /Total Belgium
und Galatea/Sanoma.
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II. Rechtliche Grundlagen
insbesondere, dass durch die belgische Vorschrift Kopplungsangebote generell und präventiv verboten werden, ohne dass ihre Unlauterkeit anhand der Kriterien der Artikel
5 bis 9 UGP-RL geprüft wird. Ein solches Verbot, durch das ohne Berücksichtigung des
konkreten Einzelfalles eine Geschäftspraxis als „unlauter“ qualifiziert wird, sieht die
Richtlinie nur in den von der „Schwarzen Liste“ (Anhang I UGP-RL) erfassten Fällen
vor. Eine Erweiterung dieser Liste um weitere nationale Per-se-Verbote ist den Mitgliedstaaten dagegen verwehrt. Diesen Grundsatz hat der EuGH jüngst im Fall Plus
Warenhandelsgesellschaft bekräftigt. Gegenstand dieser Entscheidung war das deutsche Verbot der Kopplung von Absatz und Gewinnspiel (§ 4 Nr. 6 UWG). Auch in
diesem Fall hat der EuGH beanstandet, dass das mitgliedstaatliche Recht ohne die –
außerhalb der Black List – erforderliche Einzelfallprüfung verbietet.101 Diesen Grundsatz hat der EuGH jüngst im Fall Telekomunikacja Polska bestätigt.102
Jüngst geklärt wurde die Frage, ob die Sperrwirkung der UGP-RL auch „Mehrzweckvorschriften“ erfasst, die nicht allein dem Verbraucherschutz, sonder zugleich
anderen rechtspolitischen Zielen dienen. Im Fall Mediaprint, der das österreichische
Zugabenverbot (§ 9a öUWG) betraf, hat sich der EuGH für eine weite Auslegung des
Anwendungsbereichs der UGP-RL ausgesprochen.103 Von der Richtlinie erfasst wurde
daher im konkreten Fall auch eine Vorschrift, die der Aufrechterhaltung der Medienvielfalt und dem Schutz schwächerer Mitbewerber dient. Sollte der EuGH diese
Rechtsprechungslinie weiter verfolgen, so steht zu erwarten, dass die Auswirkungen
der Vollharmonisierung des lauterkeitsrechtlichen Verbraucherschutzes auf benachbarte Regelungsfelder deutlich zunehmen.104
c) Medien- und produktspezifische Regelungen
Die RL 2006/114 /EG und die UGP-RL werden ergänzt durch eine Reihe medien- und
produktspezifische Rechtsakte. Durch die E-Commerce-Richtlinie (RL 2000/31/
EG)105 wird ein einheitlicher Rechtsrahmen für den elektronischen Geschäftsverkehr
geschaffen. Von lauterkeitsrechtlicher Relevanz sind vor allem die Regelungen über
„kommerzielle Kommunikation“ (Artikel 2 lit. f). Kernstück der Richtlinie ist das
Herkunftslandprinzip, demzufolge der Mitgliedstaat, in dem der Werbende seine Niederlassung hat, die Einhaltung der Richtlinienvorgaben zu überwachen hat (Artikel 3
101
102
103
104
105
EuGH, 14.1.2010, Rs. C-304/08, NJW 2010, 1867, Rn. 49 – Plus Warenhandelsgesellschaft;
dazu Scherer, NJW 2010, 1849; Sosnitza, LMK 2010, 298886.
EuGH, 11.3.2010, Rs. 522/08, EuZW 2010, 305, Rn. 31 – Telekomunikacja Polska.
EuGH, 9.11.2010, Rs. C-540/08, GRUR 2011, 76 – Mediaprint. Siehe auch bereits die Schlussanträge der GA Trstenjak vom 24.3.2010, BeckRS 2010, 90389 sowie das Commission Staff
Working Document vom 3.12.2009: „Guidance on the Implementation/Application of Directive 2005/29 /EC on Unfair Commercial Practices“, SEC (2009) 1666, S. 15.
Zu derartigen Spill-over-Effekten an der Schnittstelle zwischen Lauterkeits- und Vertragsrecht
Busch, GPR 2008, 158 ff.
Richtlinie 2000/31/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 8.6.2000 über
bestimmte rechtliche Aspekte der Dienste der Informationsgesellschaft, insbesondere des
elektronischen Geschäftsverkehrs, im Binnenmarkt, ABl.EG 2000 L 178/1.
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Lauterkeitsrecht in Europa: Acquis communautaire
Abs. 1). Das Zielland darf dagege die Tätigkeit des Werbenden nicht aus Gründen
einschränken, die den von der Richtlinie koordinierten Bereich betreffen (Artikel 3
Abs. 2).106 Hinzu treten Informationspflichten (Artikel 5, 6)107 sowie Regeln für unerbetene E-Mail-Werbung (Artikel 7).108
Die Richtlinie über audiovisuelle Mediendienste (89/552 / EWG),109 zuletzt geändert durch die Richtlinie 2007/65/EG110, regelt unter anderem Fernsehwerbung, Teleshopping und Sponsoring und das sog. Product Placement.111 Der Regelungsansatz dieser Richtlinie beruht ebenfalls auf dem Herkunftslandprinzip (Artikel 2, 3). Dementsprechend gelten innerhalb des von der Richtlinie koordinierten Bereichs (Artikel
10 ff.) lediglich die lauterkeitsrechtlichen Anforderungen des Sendestaates, während
der Empfangsstaat den freien Empfang nicht aus Gründen beschränken darf, die den
koordinierten Bereich betreffen. Da die Richtlinie jedoch keine abschließende Regelung enthält,112 steht es den Empfangsstaaten frei, den Empfang aus anderen Gründen
zu beschränken.
Die Datenschutzrichtlinie für elektronische Kommunikation (2002/58 /EG)113
dient dem Schutz natürlicher Personen vor unerbetenen elektronischen Nachrichten.114 Die Richtlinie formuliert Anforderungen für Telefonwerbung sowie Direktwerbung mittels automatischer Anrufmaschinen, Faxgeräten und elektronischer Post (Artikel 13).115 Anders als die meisten Sekundärrechtsakte auf dem Gebiet des Lauterkeitsrechts, die unterschiedliche Regeln für den B2C- und B2B-Bereich aufstellen, legt
die Richtlinie 2002/58/EG ein anderes Differenzierungskriterium zugrunde: Sie unterscheidet zwischen natürlichen und juristischen Personen als Werbeempfängern.
Produktspezifische Lauterkeitsregeln116 enthalten unter anderem die HealthClaims-Verordnung (VO 1924/2006 )117, die Bedingungen für die Zulässigkeit ge-
106
107
108
109
110
111
112
113
114
115
Näher dazu Köhler/Bornkamm, 28. Aufl. 2010, UWG Einl. Rn. 3.47 m.w.N.
Siehe dazu Micklitz/Schirmbacher, WRP 2006, 148, 152 ff.
Letztere sind jedoch inzwischen durch Art. 13 der Richtlinie 2002/58 /EG überholt.
Richtlinie 89/552 / EWG des Rates vom 3.10.1989 zur Koordinierung bestimmter Rechts- und
Verwaltungsvorschriften der Mitgliedstaaten über die Ausübung der Fernsehtätigkeit,
ABl.EG 1989 L 298/23.
Richtlinie 2007/65/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 11.12.2007 zur
Änderung der Richtlinie 89/552 / EWG des Rates zur Koordinierung bestimmter Rechtsund Verwaltungsvorschriften der Mitgliedstaaten über die Ausübung der Fernsehtätigkeit,
ABl.EG 2007 L 332/27.
Dazu Köhler/Bornkamm, 28. Aufl. 2010, UWG Einl. Rn. 3.51; Piper /Ohly/Sosnitza, 5. Aufl.
2010, Einf C Rn. 31.
Vgl. EuGH, 9.7.1997, Rs. C-34/95, Slg. I-3843 – de Agostini.
Richtlinie 2002/58/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 12.7.2002 über die
Verarbeitung personenbezogener Daten und den Schutz der Privatsphäre in der elektronischen Kommunikation, ABl.EG 2002 L 201/37.
Siehe dazu Micklitz/Schirmbacher, WRP 2006, 148, 154 ff.; Leistner/Pohlmann, WRP 2003,
815, 824 f.
Dazu näher unter IX.2.
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III. Die unionsrechtliche Generalklausel
sundheits- und nährwertbezogener Angaben festlegt, die Tabakwerberichtlinie (RL
2003/33/EG)118, sowie der Gemeinschaftskodex für Humanarzneimittel (RL 2001/
83/EG).119 Da das Unionsrecht seinen funktionalen und politikfeldbezogenen Ansatz
entsprechend den dogmatischen Unterscheidungen zwischen Vertrag- und Lauterkeitsrecht geringere Bedeutung beimisst als die mitgliedstaatlichen Rechtsordnungen,120 finden sich auch lauterkeitsrechtliche Regeln auch in einer Reihe von Richtlinien mit verbrauchervertragsrechtlichem Schwerpunkt.121
III. Die unionsrechtliche Generalklausel
Literatur: Abbamonte, The Unfair Commercial Practices Directive and its General Prohibition,
in: Weatherill/Bernitz, The Regulation of Unfair Commercial Practices under EC Directive 2005/
29 /EC, Oxford 2007, S.11 ff.; Busch, Towards a European Legal Framework of Commercial Fairness
Rules? The EU Commission’s Proposal for a Directive on Unfair Commercial Practices, EuLF 2004,
91; Collins (Hrsg.), The Forthcoming EC Directive on Unfair Commercial Practices, Den Haag 2004;
ders., The Unfair Commercial Practices Directive, ERCL 2005, 417; De Cristofaro, Il divieto di pratiche commerciali sleali, in: ders., Le „pratiche commerciali sleali“ tra imprese e consumatori, Turin
2007, S.109-145; Incardona/Poncibo, The average consumer, the unfair commercial practices directive, and the cognitive revolution, J.Cons.Pol. 2007, 21; Micklitz, The General Clause on Unfair
Practices, in: Howells/Micklitz/Wilhelmsson, European Fair Trading Law, Aldershot 2006, S. 83122; Niemöller, Das Verbraucherleitbild in der deutschen und europäischen Rechtsprechung, München 1999; Sack, Das Verbraucherleitbild und das Unternehmerleitbild im europäischen und deutschen Wettbewerbsrecht, WRP 1998, 264; Schillig, Konkretisierungskompetenz und Konkretisierungsmethoden im europäischen Privatrecht, Berlin 2009.
1. Struktur der Generalklausel
Während das europäische Lauterkeitsrecht im B2B-Bereich nach wie vor einen eher
fragmentarischen Charakter hat, verfügt das verbraucherschützende Lauterkeitsrecht
116
117
118
119
120
121
Einen knappen Überblick über die zahlreichen produktspezifischen Irreführungsverbote des
verwaltungsrechtlichen acquis communautaire bietet Glöckner, in: Harte-Bavendamm/Henning-Bodewig, UWG, 2. Aufl. 2009, Einl. B, Rn. 12 f.
Verordnung (EG) Nr. 1924/2006 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 20.12.
2006 über nährwert- und gesundheitsbezogene Angaben über Lebensmittel.
Richtlinie 2003/33/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 26.5.2003 zur Angleichung der Rechts- und Verwaltungsvorschriften der Mitgliedstaaten über Werbung und
Sponsoring zugunsten von Tabakerzeugnissen, ABl.EG 2003 L 152/16.
Richtlinie 2001/83/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 6.11.2001 zur
Schaffung eines Gemeinschaftskodexes für Humanarzneimittel, ABl.EG 2001 L 311/67.
Dazu näher Busch, Informationspflichten im Wettbewerbs- und Vertragsrecht, Tübingen
2008, S. 25 ff., 32 ff.
Vgl. Art. 3 RL 90/314 / EWG, Art. 3 Abs. 3 RL 1994/47/EG, Art. 9 RL 1997/7/EG, Art. 6 RL
1999/44 /EG.
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Lauterkeitsrecht in Europa: Acquis communautaire
seit Inkrafttreten der UGP-RL über eine Generalklausel nach kontinentaleuropäischem Vorbild,122 die für den B2C-Bereich die Zentralnorm des lauterkeitsrechtlichen
acquis communautaire bildet.
In den fünf Absätzen von Artikel 5 UGP-RL spiegelt sich die Architektur der
UGP-RL wider, die durch ein dreistufiges System der Lauterkeitsgebote geprägt ist.123
Auf der ersten Stufe steht Artikel 5 Abs. 1 UGP-RL (sog. „große Generalklausel“124)
der in schlichten Worten ein generelles Verbot unlauterer Geschäftspraktiken formuliert, das in Artikel 5 Abs. 2 und 3 konkretisiert wird.125 Artikel 5 Abs. 4 verweist auf
die zweite Stufe des Lauterkeitsregimes, die in den Artikel 6 bis 9 näher ausgestaltet ist.
Dort finden sich detaillierte Regelungen für zwei besonders wichtige Fallgruppen, irreführende und aggressive Geschäftspraktiken. Diese beiden Kategorien werden ihrerseits auf der dritten Stufe weiter konkretisiert durch eine sog. Schwarze Liste in Anhang I UGP-RL, auf den Artikel 5 Abs. 5 verweist.
Keine klare Antwort bietet die UGP-RL auf die Frage nach dem Konkurrenzverhältnis zwischen den drei Stufen des Lauterkeitsregimes. Einen Anhaltspunkt zur Beantwortung dieser Frage bietet Erwägungsgrund Nr. 13 S. 4 UGP-RL. Danach dienen
die Artikel 6 bis 9 dazu, die Generalklausel durch „Regeln über die bei weitem am
meisten verbreiteten Arten von Geschäftspraktiken zu konkretisieren“. Dies spricht
dafür, dass Artikel 5 Abs. 1 UGP-RL lediglich eine Auffangfunktion zukommt. Eine
solche Einschränkung der Generalklausel verhindert zugleich, dass die Wertungen der
Artikel 6 bis 9 UGP-RL durch einen vorschnellen Rückgriff auf Artikel 5 Abs. 1 unterlaufen werden. Eine Stütze findet diese Auslegung in den Erläuterungen der Kommission zum Richtlinienentwurf. Dort wird mit Blick auf die Generalklausel die plastische
Metapher eines „Sicherheitsnetzes“ verwendet.126
Dies bedeutet jedoch nicht, dass die Generalklausel nur bei Extrem- und Evidenzfällen zum Einsatz kommt, um Lücken zu schließen.127 Eine solche Verengung des Anwendungsbereichs von Artikel 5 Abs. 1 UGP-RL würde verkennen, dass die Generalklausel in erster Linie den Zweck hat, die Flexibilität und Entwicklungsfähigkeit des
unionsrechtlichen Lauterkeitsregimes zu sichern und daher insoweit gerade nicht
durch die Fallgruppen der Artikel 6 bis 9 eingeschränkt wird.128 Weniger Spielraum
besteht dagegen bei den in Anhang I der Richtlinie aufgeführten Tatbeständen der
122
123
124
125
126
127
Siehe den rechtsvergleichenden Überblick bei Schulze/Janssen, EuLF 2004, 77-85 sowie
Micklitz/Keßler, Marketing Practices Regulation and Consumer Protection in the EC Member States, Baden-Baden 2002.
Busch, EuLF 2004, 91, 94; zustimmend Micklitz, in: Howells/Micklitz/Wilhelmsson, European Fair Trading Law, 2006, S. 84.
Götting/Nordemann/Götting, UWG, 1. Aufl. 2010, Einleitung, Rn. 114; Micklitz, in: Dauses,
Handbuch des EU-Wirtschaftsrechts, 27. Aufl. 2010, Teil H.V.5, Rn. 514.
Zur Kompetenz des EuGH zur Konkretisierung der Generalklausel siehe Busch, in: Gebauer/
Wiedmann, Zivilrecht unter europäischem Einfluss, 2. Aufl. 2010, Kap. 25 Rn. 30 f.
KOM (2003) 356 endg., S. 16, Rz. 58; ebenso Abbamonte, in: Weatherill/Bernitz, The Regulation of Unfair Commercial Practices under EC Directive 2005/29 /EC, Oxford
2007, S. 20.
So aber offenbar Steinbeck, GRUR 2008, 848, 853; siehe auch bereits Schünemann, WRP 2004,
925, 927.
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III. Die unionsrechtliche Generalklausel
Schwarzen Liste. Zweck der Per-se-Verbote ist es gerade, zu größerer Rechtssicherheit
beizutragen.129 Dieses Ziel würde unterlaufen, wenn die Mitgliedstaaten gestützt auf
die Generalklausel weitere Per-se-Verbote erlassen könnten.130
2. Voraussetzungen der Unlauterkeit
Für die lauterkeitsrechtliche Beurteilung einer Geschäftspraxis formuliert Artikel 5
Abs. 2 UGP-RL zwei kumulative Kriterien. Eine Geschäftspraxis ist danach als unlauter zu qualifizieren, wenn sie den Erfordernissen der beruflichen Sorgfaltspflicht (Artikel 5 Abs. 2 lit. a UGP-RL) widerspricht und geeignet ist, im konkreten Fall das wirtschaftliche Verhalten des Durchschnittsverbrauchers wesentlich zu beeinflussen (Artikel 5 Abs. 2 lit. b UGP-RL).
a) Verletzung der beruflichen Sorgfaltspflichten
Während das Kriterium der wesentlichen Beeinflussung in erster Linie eine Relevanzschwelle markiert, dient das Merkmal der beruflichen Sorgfalt (professional diligence,
diligence professionelle) dazu, den Begriff der Lauterkeit inhaltlich zu umschreiben. Die
Definition des Begriffs „berufliche Sorgfalt“ in Artikel 2 lit. h) UGP-RL stellt klar, dass
für die Qualifizierung einer Geschäftspraxis als unlauter weder eine moralische Verwerflichkeit noch eine bloße Unüblichkeit der Praxis maßgeblich ist.131 Die Erläuterung der Kommission zum Richtlinienentwurf hebt hervor, dass das Merkmal der beruflichen Sorgfalt im Wesentlichen dem Begriff des „ordnungsgemäßen Geschäftsgebarens“ entspreche, den man in den Rechtssystemen der meisten Mitgliedstaaten finden könne.132 Gleichwohl dürfte es sich hierbei nicht um einen Verweis auf einen –
tatsächlichen oder vermeintlichen – acquis commun im Recht der Mitgliedstaaten handeln, sondern um einen autonom auszulegenden Begriff des acquis communautaire.
Aus dieser Perspektive betrachtet, lässt sich Artikel 2 lit. h) UGP-RL als Ausdruck
eines unionsrechtlichen Unternehmerleitbildes verstehen, das als Spiegelbild dem
von der Rechtsprechung des EuGH geprägten Verbraucherleitbild gegenübertritt.133
128
129
130
131
132
133
Vgl. KOM (2003) 356 endg., S. 16, Rz. 58; ebenso Abbamonte, a.a.O., S. 21, der als Beispiel die
Umleitung von Internetverbindung durch Dialer-Programme („modem hijacking“) anführt;
siehe auch KOM (2003) 356, Rn. 50.
Erwägungsgrund Nr. 17 S. 1 UGP-RL.
Vgl. Rn. 82 ff. der Schlussanträge von GA Trstenjak vom 21.10.2008, Rs. C-261/07 und C299/07, VTB-VAB; dazu Micklitz, VuR 2009, 110 und Raymond, Contrats-Concurrence-Consommation 2009, 39 f.
Köhler/Bornkamm, 28. Aufl. 2010, § 3 UWG, Rn. 36.
KOM (2003) 356 endg., S. 14, Rz. 53. Nach Abbamonte, in: Weatherill/Bernitz, The Regulation of Unfair Commercial Practices under EC Directive 2005/29/EC, Oxford 2007, S. 22
soll das Konzept der „beruflichen Sorgfalt“ im Wesentlichen dem Konzept der „duty of care“
des Common Law entsprechen.
Zum Konzept eines Unternehmerleitbildes vgl. Sack, WRP 1998, 264, 269.
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Lauterkeitsrecht in Europa: Acquis communautaire
Der Begriff der „beruflichen Sorgfalt“ ist damit letztlich eine normative Chiffre, die für
eine Interessenabwägung zwischen den beteiligten Marktteilnehmern steht. Dies
zeigt die hohe Dichte wertausfüllungsbedürftiger Begriffe in Artikel 2 lit. h) UGP-RL
(„billigerweise“, „anständig“, „Treu und Glauben“). Hier versucht der europäische Gesetzgeber offensichtlich einen Brückenschlag zwischen den unterschiedlichen mitgliedstaatlichen Rechtstraditionen.
Die Erwähnung der „Marktgepflogenheiten“ in Artikel 2 lit. h) UGP-RL sollte
nicht darüber hinwegtäuschen, dass es sich bei dem Merkmal der beruflichen Sorgfalt
nicht um einen empirischen, sondern um einen normativen Maßstab handelt.134 Dies
unterstreicht die Bezugnahme auf die „anständigen“ Marktgepflogenheiten, die ganz
offensichtlich an die Tradition von Artikel 10bis der Pariser Verbandsübereinkunft zum
Schutz des gewerblichen Eigentums (PVÜ) anknüpft.135 Auch der Verweis auf den „allgemeinen Grundsatz von Treu und Glauben“ in Artikel 2 lit. h) UGP-RL macht dies
deutlich.
Eine Orientierungshilfe bei der branchenbezogenen Konkretisierung der beruflichen Sorgfaltspflichten können insbesondere europäische Verhaltenskodizes (z.B.
der European Deontological Code des Architects‘ Council of Europe) und einschlägige europäische Dienstleistungsnormen (z.B. EN 15017:2006 für Bestattungsdienstleistungen) bieten. Ein Rückgriff auf nationale Verhaltenskodizes und Dienstleistungsnormen würde dagegen das von der UGP-RL angestrebte Ziel einer vollständigen Harmonisierung gefährden.136
b) Wesentliche Beeinflussung der Verbraucher
Zusätzlich zu einem Verstoß gegen die berufliche Sorgfaltspflicht setzt Artikel 5 Abs. 2
lit. b) UGP-RL voraus, dass die Geschäftspraktik geeignet ist, das wirtschaftliche
Verhalten des Verbrauchers wesentlich zu beeinflussen (sog. consumer detriment test).137
Der Begriff der „wesentlichen Beeinflussung des wirtschaftlichen Verhaltens des
Verbrauchers“ wird in Artikel 2 lit. e) UGP-RL definiert und bezeichnet „die Anwendung einer Geschäftspraxis, um die Fähigkeit des Verbrauchers, eine informierte
Entscheidung zu treffen, spürbar zu beeinträchtigen und damit den Verbraucher zu
134
135
136
137
Vgl. Micklitz, in: Dauses, Handbuch des EU-Wirtschaftsrechts, 27. Aufl. 2010, Teil H.V.5,
Rn. 521.
Henning-Bodewig, GRUR Int. 2005, 629, 631; De Cristofaro, in: ders., Le „pratiche commerciali sleali“ tra imprese e consumatori, Turin 2007, S. 123. Nach Artikel 10bis Abs. 2 PVÜ
bezeichnet der Begriff des unlauteren Wettbewerbs „jede Wettbewerbshandlung, die den
anständigen Gepflogenheiten in Gewerbe oder Handel zuwiderläuft“.
Dazu näher Busch, NJW 2010, 3061 ff. Zum Ziel der Vollharmonisierung siehe EuGH, 23.4.
2009, Rs. C-261/07 und C-299/07 – VTB-VAB /Total Belgium, GRUR 2009, 852 (Rz. 52); vgl.
auch Streinz, in: Schlachter/Ohler, Europäische Dienstleistungsrichtlinie, 2008, Art. 26
Rn. 26.
Vgl. KOM (2002) 289, S. 15; siehe auch Collins, in: ders., The Forthcoming EC Directive on
Unfair Commercial Practices, Den Haag 2004, S. 9.
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III. Die unionsrechtliche Generalklausel
einer geschäftlichen Entscheidung zu veranlassen, die er andernfalls nicht getroffen
hätte“.
Der wenig geglückten Wortlaut von Artikel 2 lit. e) UGP-RL („um … zu“) könnte
zu dem Fehlschluss verleiten, dass es für die lauterkeitsrechtliche Beurteilung einer
Geschäftspraxis darauf ankommt, ob die Beeinträchtigung der Entscheidungsfreiheit
bezweckt ist.138 Eine solche subjektive Auslegung dieser Vorschrift stünde jedoch im
Widerspruch zu Artikel 5 Abs. 2 lit. b) UGP-RL, der allein objektiv darauf abstellt,
ob die Geschäftspraxis das wirtschaftliche Verhalten des Verbrauchers „beeinflusst
oder dazu geeignet ist“. Artikel 5 Abs. 2 lit. b) ist daher als Bagatellklausel zu verstehen,139 die eine objektiv zu bestimmende Erheblichkeitsschwelle markiert, bei deren
Überschreitung ein Verstoß gegen die berufliche Sorgfaltspflicht unter den Verbotstatbestand des Artikels 5 Abs. 1 fällt („geschäftliche Relevanz“140).
3. Verbraucherleitbild
Für die Beurteilung, ob eine Geschäftspraktik als unlauter anzusehen ist, kommt es
nach Artikel 5 Abs. 2 lit. b) UGP-RL grundsätzlich auf die Perspektive des „Durchschnittsverbrauchers“ an.141 Eine ausdrückliche Definition des maßgeblichen Verbraucherleitbildes, wie sie der ursprüngliche Kommissionsentwurf 142 noch vorsah, enthält
die UGP-RL nicht. Erwägungsgrund Nr. 18 stellt allerdings klar, dass es – anknüpfend
an die Rechtsprechung des EuGH143 – grundsätzlich auf die Perspektive eines Verbrauchers ankommt, der „angemessen gut unterrichtet und angemessen aufmerksam und
kritisch“ ist.144 Diese Typisierung des Verbraucherhorizonts führt notwendig in einigen
Fällen zu einem Über- oder Untermaß an Verbraucherschutz.145 Dies gilt etwa dann,
wenn eine Werbung an eine besonders fachkundige Verbrauchergruppe gerichtet ist
(z.B. Werbung für Jagdausrüstung in einer Fachzeitschrift für Jäger) oder zu erwarten
ist, dass gerade besonders schutzbedürftige Verbraucher von der Werbung angesprochen werden (z.B. Werbung für Seniorenwohnheime).146
138
139
140
141
142
143
144
145
146
So auch Micklitz, in: MünchKommUWG, EG E, Rn. 141; a.A. Gamerith, WRP 2005, 395, 417;
Köhler/Lettl, WRP 2003, 1019, 1037; Veelken, WRP 2004, 1, 9; Apostolopoulos, WRP 2004,
841, 846.
Abbamonte, in: Weatherill/Bernitz, The Regulation of Unfair Commercial Practices under
EC Directive 2005/29 /EC, Oxford 2007, S. 23.
Köhler, WRP 2009, 109, 113; ähnlich Steinbeck, WRP 2006, 632: „Relevanz für die Verbraucherentscheidung“.
Zur Entwicklung des europäischen Verbraucherleitbildes ausführlich Niemöller, Das Verbraucherleitbild in der deutschen und europäischen Rechtsprechung, München 1999.
Vgl. Artikel 2 lit. b) des Kommissionsentwurfs, KOM (2003) 356 endg.
EuGH, 16.7.1998, Rs. C-210/96, Slg. I-4657 – Gut Springenheide; EuGH, 2.2.1994, Rs. C-315/
92, Slg. I-317 – Clinique; EuGH, 13.01.2000, Rs. C-220/98 – Lifting Creme.
Zu den einzelnen Elementen dieses Leitbildes siehe Busch, Informationspflichten im Wettbewerbs- und Vertragsrecht, Tübingen 2008, S. 91 ff.
Siehe die kritische Analyse bei Incardona/Poncibo, J.Cons.Pol. 2007, 21 ff.
Vgl. EuGH, 16.5.1989, Rs. 382/87, Slg. 1235 – Buet.
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Lauterkeitsrecht in Europa: Acquis communautaire
Der abgestuften Schutzbedürftigkeit unterschiedlicher Verbrauchergruppen trägt
die UGP-RL durch die Formulierung eines gestaffelten Verbraucherleitbildes Rechnung. Das Leitbild des „allgemeinen“ Durchschnittsverbrauchers ist demnach nur
dann maßgeblich, wenn sich die Geschäftspraktik an die Allgemeinheit der Verbraucher richtet. Zielt die Geschäftspraktik dagegen auf eine bestimmte Verbrauchergruppe, so kommt es nach Artikel 5 Abs. 2 lit. b) UGP-RL auf die Perspektive eines durchschnittlichen Mitglieds dieser Gruppe an.147 Eine Variation erfährt das Verbraucherleitbild nach Artikel 5 Abs. 3 UGP-RL auch dann, wenn für den Gewerbetreibenden
vernünftigerweise vorhersehbar ist, dass die Geschäftspraktiken das wirtschaftliche
Verhalten nur einer eindeutig identifizierbaren Gruppe besonders schutzbedürftiger
Verbraucher beeinflussen. In diesen Fällen kommt es auf die Sichtweise eines durchschnittlichen Mitglieds dieser Verbrauchergruppe an. Die UGP-RL stellt zugleich klar,
dass die Anpassung des Verbraucherleitbildes zugunsten besonders leichtgläubiger Verbraucherkreise nicht unbegrenzt möglich ist.148 Nach Artikel 5 Abs. 3 S. 2 UGP-RL
bleibt die übliche und – wie die UGP-RL betont: rechtmäßige – Praxis, übertriebene
Behauptungen oder nicht wörtlich zu nehmende Behauptungen aufzustellen, von
Art. 5 Abs. 3 S. 1 UGP-RL unberührt.
4. Konkretisierung der Generalklausel durch den EuGH
Nur kurz angerissen werden kann hier die Frage nach der Kompetenz des EuGH zur
Konkretisierung der Generalklausel.149 Viel spricht dafür, Artikel 5 UGP-RL als Delegationsnorm zu verstehen, durch die der (europäischen) Judikative die Aufgabe übertragen wird, den Inhalt der Norm durch wertende Anwendung einzelfallbezogen zu
bestimmen. Die einheitliche unionsrechtliche Generalklausel, die an die Stelle der
unterschiedlichen nationalen Generalklauseln tritt, soll dazu beitragen, ein hohes
Maß an Konvergenz zu erzielen und so Rechtssicherheit für Verbraucher und Unternehmer gewährleisten. Diese Ziele lassen sich nur erreichen, wenn die Kompetenz zur
Konkretisierung der Generalklausel dem EuGH zusteht.150
IV. Schutz gegen das Ausnutzen fremder Leistungen
Literatur: Blankenburg, Neues zur vergleichenden Werbung, zur Verwechslungsgefahr und zur
markenmäßigen Benutzung?, WRP 2008, 1294; Burrell/Gangjee, Trade Marks and Freedom of
147
148
149
150
Zur Ermittlung des maßgeblichen Verkehrsverständnisses näher Micklitz, in: Dauses, Teil
H.V.5, Rn. 529.
Dies betont Collins, ERCL 2005, 417, 437 f.
Dazu näher Leible, in: MünchKommUWG, EG A, Rn. 249 ff und Busch, in: Gebauer/Wiedmann, Zivilrecht unter Europäischem Einfluss, 2. Aufl. 2010, Rn. 30 f.; siehe ferner Schillig,
Konkretisierungskompetenz und Konkretisierungsmethoden im europäischen Privatrecht,
Berlin 2009.
So im Ergebnis auch Leible, in: MünchKommUWG, EG A, Rn. 252; ähnlich Glöckner/Henning-Bodewig, WRP 2005, 1311, 1322 f.; siehe ferner Schillig, a.a.O., S. 254 f.
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IV. Schutz gegen das Ausnutzen fremder Leistungen
Expression – A Call for Caution, IIC 2010, 544; Köhler, Was ist „vergleichende Werbung“?, GRUR
2005, 273; ders., Das Verhältnis des Wettbewerbsrechts zum Recht des geistigen Eigentums, Zur
Notwendigkeit einer Neubestimmung auf Grund der Richtlinie über unlautere Geschäftspraktiken,
GRUR 2007, 548; ders., Der Schutz vor Produktnachahmung im Markenrecht, Geschmacksmusterrecht und neuen Lauterkeitsrecht, GRUR 2009, 445; Kur, Ansätze zur Harmonisierung des Lauterkeitsrechts im Bereich des wettbewerblichen Leistungsschutzes, GRUR Int. 1998, 771; dies., Nachahmungsschutz und Freiheit des Warenverkehrs – der wettbewerbsrechtliche Leistungsschutz aus
der Perspektive des Gemeinschaftsrechts, in: FS Ullmann, 2006, S. 717-736; Ohly, Vergleichende
Werbung für Zubehör und Warensortimente, GRUR 2007, 3; ders., Designschutz im Spannungsfeld
von Geschmacksmuster-, Kennzeichen- und Lauterkeitsrecht, GRUR 2007, 731; ders., Mehr oder
weniger Leistungsschutz?, in: Hilty/Henning-Bodewig (Hg.), Lauterkeitsrecht und Acquis Communautaire, Berlin 2009; ders., The Freedom of Imitation and Its Limits – A European Perspective, IIC
2010, 506; Schröer, Der unmittelbare Leistungsschutz, Tübingen 2010.
In wenigen Bereichen tritt der fragmentarische Charakter des lauterkeitsrechtlichen
acquis communautaire so klar zutage wie an den Schnittstellen zwischen Lauterkeitsrecht und dem Recht des geistigen Eigentums. Ein Schutz vor der Ausnutzung fremder
Leistungen, etwa durch Produktnachahmungen, wird in erster Linie durch das Recht
des geistigen Eigentums gewährt. Hier ist die Harmonisierung auf unionsrechtlicher
Ebene bereits weit fortgeschritten.151 Unter welchen Voraussetzungen daneben auch
ein lauterkeitsrechtlicher Schutz vor Produktnachahmungen zu gewähren ist, wird in
den Mitgliedstaaten unterschiedlich beurteilt. Hier bestehen daher nach wie vor erhebliche Unterschiede zwischen den einzelnen Rechtsordnungen.152
Der europäische Gesetzgeber hat sich für ein Nebeneinander von immaterialgüterrechtlichem Individualschutz und lauterkeitsrechtlichem Wettbewerbsschutz
entschieden.153 Dies macht zum einen Erwägungsgrund Nr. 9 S. 2 UGP-RL deutlich.
Danach berührt die Richtlinie nicht die unionsrechtlichen und nationalen Vorschriften im Bereich des Schutzes des Geistigen Eigentums. Umgekehrt betont Erwägungsgrund Nr. 7 der Markenrechtsrichtlinie (RL 2008/95/EG, vormals 89/104 / EWG),154
dass auf Marken andere Rechtsvorschriften der Mitgliedstaaten als die des Markenrechts, wie insbesondere die Vorschriften gegen den unlauteren Wettbewerb und des
151
152
153
154
Glöckner, in: Harte-Bavendamm/Henning-Bodewig, UWG, 2. Aufl. 2009, Einl. B Rn. 6,
spricht in diesem Zusammenhang von einer „Verlagerung der Harmonisierungsbemühungen
ins Materialgüterrecht“; ähnlich Kur, GRUR Int. 1998, 771, 773.
Piper /Ohly/Sosnitza, 5. Aufl. 2010, § 4 Nr. 9 UWG, Rn. 7; siehe ferner die rechtsvergleichende Übersicht bei Ohly, IIC 2010, 506 ff.
Köhler, GRUR 2009, 445, 446; Glöckner, in: Harte-Bavendamm/Henning-Bodewig, UWG,
2. Aufl. 2009, Einl. B, Rn. 49; Köhler /Bornkamm, 28. Aufl. 2010, § 5 UWG, Rn. 4.210; siehe
ferner Henning-Bodewig, Unfair Competition Law: European Union and Member States, Den
Haag 2006, S. 4 f.
Richtlinie 2008/95/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 22.10.2008 zur
Angleichung der Rechtsvorschriften der Mitgliedstaaten über die Marken (kodifizierte Fassung), ABl.EG L 299/25.
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Lauterkeitsrecht in Europa: Acquis communautaire
Verbraucherschutzrechts, Anwendung finden können.155 Auch die Vorschriften des
Geschmacksmusterrechts lassen mitgliedstaatliche Regelungen über unlauteren
Wettbewerb unberührt (vgl. Art. 96 Abs. 1 VO EG Nr. 6/2002).156 Der europäische
Gesetzgeber gibt den Mitgliedstaaten bei der Ausgestaltung des lauterkeitsrechtlichen
Nachahmungsschutzes weitgehend freie Hand und macht in diesem Bereich nur punktuelle Vorgaben. Allerdings sind bei der Anwendung der nationalen Lauterkeitsregeln
die Regeln des europäischen Immaterialgüterrechts zu berücksichtigen, um zu verhindern, dass diese Wertungen unterlaufen werden.
Eine umfassende Erörterung des im Detail sehr umstrittenen Verhältnisses von
Lauterkeitsrecht und Immaterialgüterrecht würden den hier zur Verfügung stehenden
Rahmen sprengen. Die folgenden Darstellung beschränkt sich daher darauf, am Beispiel von drei ausgewählten Fallgruppen (Hervorrufen von Verwechslungsgefahr, Rufausbeutung und sklavischer Nachahmung) die Vorgaben des acquis communautaire für
den lauterkeitsrechtlichen Nachahmungsschutz skizzieren.157
1. Hervorrufen von Verwechslungsgefahr
Das Nebeneinander von Lauterkeitsrecht und Kennzeichenrecht tritt besonders deutlich hervor beim Schutz gegen Irreführungen über die betriebliche Herkunft. Kennzeichenrecht und Lauterkeitsrecht verfolgen dabei allerdings unterschiedliche Rechtsschutzziele. Während das Kennzeichenrecht die Interessen des Originalherstellers
schützt,158 dienen die korrespondierenden lauterkeitsrechtlichen Regeln dem Schutz
der Marktteilnehmer vor Irreführung.
Die UGP-RL enthält mehrere Regelungen, die sich gegen das Hervorrufen von
Irreführungs- bzw. Verwechslungsgefahr richten.159 So gehören zu den verbotenen irreführenden Handlungen gemäß Artikel 6 Abs. 1 lit. a) UGP-RL u.a. solche Geschäftspraktiken, die eine Irreführungsgefahr in Bezug auf die „kommerzielle Herkunft“ eines Produkts hervorrufen. Artikel 6 Abs. 2 lit. a) UGP-RL erfasst Fälle der
Produktvermarktung, die eine Verwechslungsgefahr begründen. Eine absichtliche
Herkunftstäuschung gilt gemäß Nr. 13 Anhang I UGP-RL unter allen Umständen
als unlauter. Ergänzt werden die Regeln der UGP-RL durch Artikel 4 lit. h) RL 2006/
114 /EG, der das Hervorrufen von Verwechslungsgefahr im Rahmen einer vergleichenden Werbung verbietet.
Die UGP-RL bezweckt eine vollständige Angleichung des verbraucherschützenden
Lauterkeitsrechts. Auch die RL 2006/114 /EG zielt, soweit sie vergleichende Werbung
betrifft, auf Vollharmonisierung. Die Mitgliedstaaten dürfen daher im Anwendungs155
156
157
158
159
Siehe auch Art. 5 Abs. 5 RL 2008/95/EG (vormals 89/104 / EWG); dazu EuGH, 21.11.2002,
Rs. C-23/01, Slg. I-10913, Rn. 30 f. – Robelco/Robeco.
Hierzu näher Ohly, GRUR 2007, 731, 739 ff.
Für eine detaillierte Analyse dieser Fallgruppen sowie rechtsvergleichende Hinweise siehe
Ohly, in: Hilty/Henning-Bodewig, S. 181 ff. sowie ders., IIC 2010, 506 ff.
Vgl. Art. 5 Abs. 2 RL 2008/95/EG und Art. 9 Abs. 1 lit. b) VO EG Nr. 40/94.
Art. 6 UGP-RL verwendete beide Begriffe offenbar synonym, vgl. Piper /Ohly/Sosnitza,
5. Aufl. 2010, § 4 Nr. 9 UWG, Rn. 10.
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IV. Schutz gegen das Ausnutzen fremder Leistungen
bereich der genannten Regelungen weder strengere noch mildere Vorschriften aufrechterhalten oder erlassen. Daraus folgt zugleich, dass es den Mitgliedstaaten verwehrt ist, dem Kennzeichenschutz Vorrang vor den lauterkeitsrechtlichen Vorschriften zum Schutz vor Verwechslungsgefahr einzuräumen, wie dies auf Grundlage der sog.
Vorrangthese160 in der Vergangenheit etwa in Deutschland der Fall war.161
2. Rufausbeutung
Schutz vor Rufausbeutung bietet in erster Linie das europäische Recht des geistigen
Eigentums. Artikel 5 Abs. 2 Markenrechtsrichtlinie (2008/95/EG) gestattet den Mitgliedstaaten, bekannten Marken einen solchen Schutz zu gewähren. Von dieser Option hat die weit überwiegende Mehrzahl der Mitgliedstaaten Gebrauch gemacht.162 Einen entsprechenden Bekanntheitsschutz sieht Artikel 9 Abs. 1 lit. c) VO EG Nr. 40/94
für Gemeinschaftsmarken vor.163
Auf die Frage, ob darüber hinaus ein lauterkeitsrechtlicher Schutz vor Rufausbeutung zu gewähren ist, geben die mitgliedstaatlichen Rechtsordnungen unterschiedliche Antworten. Das Unionsrecht macht lediglich Vorgaben für den Bereich der vergleichenden Werbung. Nach Artikel 4 lit. f) RL 2006/114 /EG ist ein Werbevergleich nur zulässig, wenn er den Ruf einer Marke, eines Handelsnamens oder anderer
Unterscheidungszeichen eines Mitbewerbers oder der Ursprungsbezeichnung von
Konkurrenzerzeugnissen nicht in unlauterer Weise ausnutzt. Von einer Rufausnutzung
ist die Rede, wenn die Verwendung des Kennzeichens bei den Verkehrskreisen, an die
sich die Werbung richtet, eine Assoziation zwischen dem Werbenden und dem Mitbewerber in der Weise hervorruft, dass diese Kreise den Ruf der Erzeugnisse des Mitbewerbers auf die Erzeugnisse des Werbenden übertragen.164 Das Hervorrufen eines
solchen Imagetransfers ist dabei abhängig von den Umständen des Einzelfalls, insbesondere von der Präsentation der vergleichenden Werbung sowie den angesprochenen
Verkehrskreisen.165
Der Wortlaut von Artikel 4 lit. f) RL 2006/114 /EG macht allerdings deutlich, dass
die Vorschrift nicht jede Rufausnutzung, sondern nur eine unlautere Ausnutzung des
Rufs eines Kennzeichens verbietet.166 Diese Einschränkung entspricht dem Zweck der
Werberichtlinie 2006/114 /EG, die vergleichende Werbung im Interesse der Verbrau160
161
162
163
164
165
166
Zur Kritik an der Vorrangthese Dreyer, in: Harte-Bavendamm/Henning-Bodewig, 2. Aufl.
2009, § 5 Abs. 2 UWG, Rn. 2 ff. m.w.N.
Köhler, GRUR 2007, 548, 550 („Gleichrangprinzip“); differenzierend Köhler /Bornkamm,
28. Aufl. 2010, § 5 UWG, Rn. 4.213.
Ohly, in: Hilty/Henning-Bodewig, S. 187. Zum Anwendungsbereich dieser Vorschrift siehe
EuGH, 9.1.2003, Rs. C-292/00, Slg. I-389 – Davidoff/Gofkid; EuGH, 23.10.2003, Rs. C-408/
01, Slg. I-12537 – Adidas/Fitnessworld.
Vgl. Fezer, Markenrecht, 4. Aufl. 2009, Einl. F Rn. 23.
EuGH, 25.10.2001, Rs. C-112/99, Slg. I-7945, Rn. 57 – Toshiba/Katun; EuGH, 23.2.2006,
Rs. C-59/05, Slg. I-2149 – Siemens / VIPA.
EuGH, 25.10.2001, Rs. C-112/99, Slg. I-7945, Rn. 58 – Toshiba/Katun.
Dies betont auch Ohly, in: Hilty/Henning-Bodewig, S. 187.
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cher und des Wettbewerbs zu fördern.167 Aus Sicht des europäischen Gesetzgebers ist
die vergleichende Werbung „ein zulässiges Mittel zur Unterrichtung der Verbraucher
über ihre Vorteile“.168 Hierfür kann es erforderlich sein, die Rechte aus der Marke in
gewissem Umfang einzuschränken.169 Dient ein Werbevergleich der Verbraucherinformation und erhöht er damit die Markttransparenz, so ist er als zulässig anzusehen,
sofern er nicht unverhältnismäßig in die Interessen des betroffenen Mitbewerbers eingreift.170
In der Entscheidung L’Oréal/Bellure hat der EuGH jüngst klargestellt, dass der
Begriff des unlauteren Ausnutzens i.S.v. Artikel 3a Abs. 1 lit. g) RL 84/450 / EWG171
im Einklang mit Artikel 5 Abs. 2 Markenrechtsrichtlinie (RL 2008/95/EG) auszulegen ist.172 Eine Assoziation zwischen dem Werbenden und dem Mitbewerber setzt daher das Bestehen einer Verwechslungsgefahr nicht voraus.173 Dementsprechend kann
die Unzulässigkeit einer Werbung auch nach Art. 4 lit. h) RL 2006/114 /EG nicht dadurch verhindert werden, dass der Hersteller der Produktnachahmung seine Marke
deutlich sichtbar auf der Produktnachahmung anbringt.174
3. Sklavische Nachahmung
Der lauterkeitsrechtliche Schutz vor sklavischen Nachahmungen (sog. „unmittelbarer
Leistungsschutz“) ist bisher nicht Gegenstand der europäischen Rechtsangleichung.175 Die in diesem Bereich nach wie vor erheblichen Unterschiede zwischen
den mitgliedstaatlichen Rechtsordnungen können sich als Binnenmarkthindernisse
erweisen. Entsprechende nationale Verbotstatbestände unterliegen daher als produktbezogene Regeln der Kontrolle am Maßstab der Grundfreiheiten. In der Vergangenheit hat der EuGH derartige Regelungen jedoch eher großzügig beurteilt. So wurde
etwa ein niederländisches Verbot sklavischer, Verwechslungen hervorrufende Nachahmungen als zulässig angesehen mit der Begründung, es gehe nicht über das über den
Rahmen der zwingenden Erfordernisse des Verbraucherschutzes und der Lauterkeit des
Handelsverkehrs im Sinne der Cassis-Formel176 hinaus.177
167
168
169
170
171
172
173
174
175
Vgl. Erwägungsgrund Nr. 6 2006/114 /EG.
Vgl. Erwägungsgrund Nr. 8 RL 2006/114 /EG; siehe auch EuGH, 12.6.2008 – Rs. C-533/06,
Slg. I-4231, Rn. 38 – O2 und O2 (UK)/H3G; dazu Blankenburg, WRP 2008, 1294. Die
Informationsfunktion der vergleichenden Werbung betont auch EuGH, 23.2.2006, Rs. C59/05, Slg. I-2149, Rn. 26 – Siemens / VIPA.
EuGH, 12.6.2008 – Rs. C-533/06, Slg. I-4231, Rn. 38 – O2 und O2 (UK)/H3G, Rn. 39 (unter
Verweis auf Erwägungsgründe Nr. 13 bis 15 RL 97/55/EG); Köhler/Bornkamm, 28. Aufl.
2010, § 6 UWG Rn. 34.
Ohly, GRUR 2007, 3, 9; ähnlich Glöckner, in: Harte-Bavendamm/Henning-Bodewig, UWG,
2. Aufl. 2009, Einl. B, Rn. 27.
Siehe jetzt Art. 4 lit. f) RL 2006/114 /EG.
EuGH, 18.6.2009, Rs. C-487/07, Slg. I-5185, Rn. 77 – L’Oréal/Bellure.
EuGH, a.a.O., Rn. 50, 77 – L’Oréal/Bellure.
So aber Scherer, WRP 2009, 1446, 1452.
Dazu näher Schröer, Der unmittelbare Leistungsschutz, Tübingen 2010, S. 158 ff.
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V. Schutz gegen Rufschädigung
Sekundärrechtliche Regelungen zum Schutz vor sklavischer Nachahmung finden
sich dagegen im europäischen Recht des geistigen Eigentums.178 Beispiele sind etwa
der Schutz bekannter Marken (Artikel 5 Abs. 2 RL 2008/95/EG) und nicht eingetragener Geschmacksmuster (Artikel 11 Abs. 1 i.V.m. 19 Abs. 2 VO EG Nr. 6/2002)179
sowie der Schutz von Computerprogrammen (RL 91/250 / EWG)180 und Datenbanken
(RL 96/9/EG).181
Der immaterialgüterrechtliche Schutz wird auf lauterkeitsrechtlicher Seite ergänzt
durch Artikel 4 lit. g) RL 2006/114 /EG. Danach sind Werbevergleiche nur dann
zulässig, wenn sie nicht eine Ware oder eine Dienstleistung als Imitation oder Nachahmung einer Ware oder Dienstleistung mit geschützter Marke oder geschütztem Handelsnamen darstellen. Durch diese Vorschrift werden die Mitgliedstaaten nicht nur
verpflichtet, Werbung, die den Vorgaben von Artikel 4 lit. g) genügt, zu erlauben, sondern zugleich, Werbung, die gegen diese Anforderungen verstößt zu verbieten.182 Wie
weit dieses Verbot reicht, hat der EuGH jüngst in der Entscheidung L’Oréal/Bellure
deutlich gemacht. Eine unzulässige Imitationswerbung liegt danach bereits dann vor,
wenn sich der Eindruck der Imitation implizit aus dem werbenden Hinweis darauf ergibt, dass ein bestimmtes Produktmerkmal (im konkreten Fall der Duft eines Parfums)
nachgeahmt wurde.183
V. Schutz gegen Rufschädigung
Literatur: Busch, Europäischer Grundrechtsschutz im Privatrecht nach Lissabon: Die EU-Grundrechtecharta als neuer Prüfungsmaßstab für Umsetzungsgesetze, DRiZ 2010, 63; Glöckner, The
Scope of Application of the UCP Directive, IIC 2010, 570; Köhler, Was ist „vergleichende Werbung“?, GRUR 2005, 273; ders., Die Unlauterkeitstatbestände des § 4 UWG und ihre Auslegung
im Lichte der Richtlinie über unlautere Geschäftspraktiken, GRUR 2008, 841, Krzeminska-Vamvaka, Freedom of Commercial Speech in Europe, Hamburg 2008; Nordmann, Neuere Entwicklungen
176
177
178
179
180
181
182
183
Dazu unter II.1.a).
EuGH, 2.3.1982, Rs. 6/81, Slg. 707 – Multi Cable Transit. Piper /Ohly/Sosnitza, 5. Aufl. 2010,
§ 4 Nr. 9 UWG, Rn. 8 äußert Zweifel, ob diese Beurteilung angesichts der vorangeschrittenen
Harmonisierung im Recht des geistigen Eigentums noch ohne Einschränkung fortgelten
kann.
Ohly, IIC 2010, 506, 521.
Verordnung (EG) Nr. 6/2002 des Rates vom 12. Dezember 2001 über das Gemeinschaftsgeschmacksmuster, ABl.EG L 3/1.
Richtlinie 91/250 / EWG des Rates vom 14.5.1991 über den Rechtsschutz von Computerprogrammen, ABl.EG L 122/42.
Richtlinie 96/9 /EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 11.3.1996 über den
rechtlichen Schutz von Datenbanken, ABl.EG L 77/20.
Ohly, in: Hilty/Henning-Bodewig, S. 190, sieht hierin einen mögliche Verletzung der durch
Art. 10 EMRK geschützten Meinungsfreiheit („commercial speech“); dazu auch Burrell/
Gangjee, IIC 2010, 544; siehe auch bereits Köhler, GRUR 2005, 273, 275 ff.
EuGH, 18.6.2009, Rs. C-487/07, Slg. I-05185 – L’Oréal/Bellure.
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im Recht der vergleichenden Werbung, GRUR Int. 2002, 297; Sack, Vergleichende Werbung ohne
Vergleich?, WRP 2008, 170.
Der Schutz von Gewerbetreibenden gegen rufschädigendes Verhalten von Mitbewerbern liegt weitgehend in der Verantwortung der Mitgliedstaaten. Das europäische Lauterkeitsrecht trifft hier nur punktuelle Regelungen. Das europäische Markenrecht
schließt den ergänzenden lauterkeitsrechtlichen Schutz von Kennzeichen vor Herabsetzung und Verunglimpfung durch das nationale Recht nicht aus (vgl. Artikel 5
Abs. 5 RL 2008/95/EG).184
1. Äußerungen im Rahmen von vergleichender Werbung
Klare Vorgaben gelten für den Bereich der vergleichenden Werbung, der durch die RL
2006/114 /EG vollständig harmonisiert wird. Artikel 4 lit. d) der Richtlinie verlangt,
dass ein Werbevergleich weder die Marken, die Handelsnamen oder andere Unterscheidungszeichen noch die Waren, die Dienstleistungen, die Tätigkeiten oder die
Verhältnisse eines Mitbewerbers herabsetzt oder verunglimpft. Ist eine vergleichende
Werbung nach dieser Vorschrift zulässig, so darf sie nicht unter Rückgriff auf strengere
nationale Regeln zum Schutz vor Rufschädigung (z.B. § 4 Nr. 7 UWG) verboten werden.185
Bei der Auslegung von Artikel 4 lit. d) RL 2006/114 /EG ist zu berücksichtigen,
dass das europäische Sekundärrecht durch die Wertungen des Primärrechts überlagert
wird. Zu beachten ist insbesondere, dass auch kritische Werbeaussagen durch das unionsrechtliche Grundrecht auf Meinungsfreiheit geschützt werden („freedom of commercial speech“).186 Prüfungsmaßstab ist insoweit Artikel 11 GRCh, der wiederum gemäß Artikel 52 Abs. 3 GRCh im Einklang mit Artikel 10 Abs. 1 EMRK auszulegen
ist.187 Ein Rückgriff auf mitgliedstaatliche Grundrechte (etwa Artikel 5 Abs. 1 GG)
ist angesichts des Vorrangs der unionsrechtlichen Regeln ausgeschlossen.188
Artikel 11 GRCh ist auch zu berücksichtigen bei der Frage nach dem sachlichen
Anwendungsbereich von Artikel 4 lit. d) RL 2006/114 /EG. Die Reichweite des Herabsetzungsverbotes und damit der Umfang des unionsrechtlich determinierten Bereichs hängen entscheidend davon ab, wie man den in Artikel 2 lit. c) RL 2006/114 /
EG definierten Begriff der „vergleichenden Werbung“ versteht. Der Wortlaut der Vor184
185
186
187
188
Dazu EuGH GRUR 2003, 143, 145, Rn. 30 – Robelco/Robeco; siehe ferner Köhler/Bornkamm,
28. Aufl. 2010, § 4 UWG, Rn. 7.9.
Piper /Ohly/Sosnitza, 5. Aufl. 2010, § 4 Nr. 7 UWG Rn. 6.
Dazu umfassend Krzeminska-Vamvaka, Freedom of Commercial Speech in Europe, Hamburg
2008.
Zum Schutz von Wirtschaftswerbung durch Art. 10 EMRK siehe EuGH, 25.03.2004, C-71/
02, Slg. I-3025, Rn. 51 – Karner; siehe ferner EuGH, 29.1.2008, Rs. C-275/06, Slg. I-271,
Rn. 68 – Promusicae zur Bedeutung der EU-Grundrechte im Rahmen der richtlinienkonformen Auslegung. Dazu auch Busch, DRiZ 2010, 63 ff.
Ähnlich Köhler/Bornkamm, 28. Aufl. 2010, § 6 UWG, Rn. 173, der allerdings nicht auf die
GRCh abstellt, sondern direkt auf Art. 10 EMRK.
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schrift verlangt keinen Vergleich, sondern lediglich die Identifizierung eines Mitbewerbers oder seiner Produkte. Damit wäre auch eine „vergleichende Werbung ohne
Vergleich“ erfasst, beispielsweise die reine Kritik an einem Mitbewerber („Konkurrent
X vernichtet den Regenwald, unterstützt Kinderarbeit etc.“).189 Eine so weite Ausdehnung der sich aus Artikel 4 lit. d) ergebenden Werbebeschränkungen wäre jedoch
kaum mit der von Artikel 11 GRCh geschützten Meinungsfreiheit vereinbar. Viel
spricht daher dafür, dass Artikel 2 lit. c) RL 2006/114 /EG restriktiv auszulegen und
um ein ungeschriebenes Tatbestandsmerkmal des Vergleichs zu ergänzen ist.190 Eine
endgültige Klärung dieser Frage durch den EuGH steht noch aus.
2. Sonstige rufschädigende Äußerungen
Erfolgt eine rufschädigende Äußerung außerhalb der vergleichenden Werbung und
richtet sie sich an Verbraucher, so sind die Vorgaben der UGP-RL zu beachten. Der
sachliche Anwendungsbereich der UGP-RL, der durch den denkbar weiten Begriff der
„Geschäftspraktiken“ bestimmt wird, ist hier in jedem Fall eröffnet.191 Zwar enthält
die UGP-RL, die primär auf Verbraucherschutz ausgerichtet ist und nur mittelbar dem
Mitbewerberschutz dient, kein eigenständiges Verbot der Rufschädigung. Eine unwahre rufschädigende Äußerung über einen Mitbewerber ist jedoch geeignet, den Verbraucher zu täuschen und sein wirtschaftliches Verhalten zu beeinflussen.
Die unwahre Behauptung, ein Mitbewerber produziere seine Waren mithilfe von
Kinderarbeit könnte daher als irreführende Geschäftspraktik i.S.d. Artikels 6 Abs. 1
UGP-RL zu qualifizieren sein. Es dürfte jedoch schwer fallen, eine solche Äußerung
unter einen der abschließend aufgezählte Katalogtatbestände aus Artikel 6 Abs. 1
UGP-RL zu subsumieren, da diese auf Angaben des Werbenden über seine eigenen
geschäftlichen Verhältnisse zugeschnitten sind.192 Aussagen über fremde geschäftliche
Verhältnisse werden vom Irreführungsverbot der UGP-RL nicht erfasst. Um diese
Selbstbeschränkung der UGP-RL nicht zu unterlaufen, scheidet in hier angesprochenen Fällen auch ein Rückgriff auf die Generalklausel aus. Dies gilt a fortiori für rufschädigende Äußerungen, die inhaltlich zutreffend sind und demgemäß keine Irreführungsgefahr begründen.193 Zwar mag auch hier der Anwendungsbereich der UGP-RL
eröffnet sein. Derartige Äußerungen tangieren jedoch nicht die Interessen der Verbraucher und sind daher vom Schutzzweck der UGP-RL nicht erfasst. Unter welchen
Voraussetzungen derartige Äußerungen lauterkeitsrechtlich sanktioniert werden, liegt
daher in der Hand der Mitgliedstaaten.
189
190
191
192
193
Vgl. Piper /Ohly/Sosnitza, 5. Aufl. 2010, § 6 UWG, Rn. 34.
So bereits Köhler, GRUR 2005, 273, 280; Nordmann, GRUR Int. 2002, 297, 298; siehe auch
Piper /Ohly/Sosnitza, 5. Aufl. 2010, § 6 UWG, Rn. 35, der dieses Ergebnis aus der Rechtsprechung des EuGH ableitet.
Kritisch zum weiten Anwendungsbereich der UGP-RL Glöckner, IIC 2010, 570, 575 ff.
Ebenso Köhler, GRUR 2008, 841, 845.
So auch Micklitz, in: Dauses, Teil H.V.5, Rn. 530; anders offenbar Glöckner, IIC 2010, 570, 583.
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VI. Behinderung von Mitbewerbern und Rechtsbruch
Literatur: Alexander, Privatrechtliche Durchsetzung des Verbots von Verkäufen unter Einstandspreis, WRP 2010, 727; Busch, Welche Folgen hat die Umsetzung der Lauterkeitsrichtlinie für das
Vertragsrecht?, GPR 2008, 158; Doepner, Unlauterer Wettbewerb durch Rechtsbruch – Quo vadis?,
GRUR 2003, 825; Glöckner, Europäisches Lauterkeitsrecht, München 2006; ders., The Scope of
Application of the UCP-Directive, IIC 2010, 570; Köhler, Zur Konkurrenz lauterkeitsrechtlicher
und kartellrechtlicher Normen, WRP 2005, 645; ders., Zur Umsetzung der Richtlinie über unlautere
Geschäftspraktiken, GRUR 2005, 793; ders., Die Unlauterkeitstatbestände des § 4 UWG und ihre
Auslegung im Lichte der Richtlinie über unlautere Geschäftspraktiken, GRUR 2008, 841; ders.,
Unzulässige geschäftliche Handlungen bei Abschluss und Durchführung eines Vertrags, WRP 2009,
898; Scherer, Verleiten zum Vertragsbruch – Neukonzeption aufgrund § 4 Nr 10 UWG und der
RL-UGP, WRP 2009, 518; Schulte-Nölke/Twigg-Flesner/Ebers (Hg.), EC Consumer Law Compendium, München 2008; Seichter, Der Umsetzungsbedarf der Richtlinie über unlautere Geschäftspraktiken, WRP 2005, 1087.
1. Behinderung
Die Fallgruppe der Mitbewerberbehinderung ist auf Unionsebene bislang nicht umfassend geregelt.194 Dementsprechend verfügen die Mitgliedstaaten in diesem Bereich
über einen weiten Gestaltungsspielraum. Gleichwohl ist dieser Spielraum nicht unbegrenzt. Schranken der mitgliedstaatlichen Gestaltungsfreiheit ergeben sich sowohl
aus dem Primärrecht als auch aus dem Sekundärrecht.
a) Primärrecht
Angesichts der nur sehr fragmentarischen Vorgaben auf der Ebene des Sekundärrechts,195 kommt den Grundfreiheiten (Artikel 34, 56 AEUV) bei der Kontrolle nationaler Behinderungsverbote eine größere Bedeutung zu als bei anderen, stärker
sekundärrechtlich überlagerten Fallgruppen. Die Kontrolldichte ist dabei allerdings
relativ gering. Grund hierfür ist die sog. Keck-Doktrin des EuGH nach der die Anwendung nationaler Bestimmungen, die bestimmte Verkaufsmodalitäten beschränken, nicht geeignet sind, den Handel zwischen den Mitgliedstaaten zu beschränken,
sofern die Bestimmung importierte und inländische Waren gleichermaßen berührt.196
Gestützt auf diese Formel hat der EuGH im Fall Keck ein französisches Behinderungsverbot – das Verbot des Verkaufs zum Verlustpreis – als unionsrechtlich unbedenklich
angesehen.197
Ergänzt werden die Grundfreiheiten auf der Ebene des Primärrechts durch das europäische Wettbewerbsrecht, insbesondere das Verbot des Missbrauchs einer markt194
195
196
Piper /Ohly/Sosnitza, 5. Aufl. 2010, § 4 Nr. 10 UWG Rn. 5.
Dazu sogleich unter VI.1.b).
Näher zur Keck-Doktrin siehe Glöckner, Europäisches Lauterkeitsrecht, München 2006,
S. 89 ff.
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VI. Behinderung von Mitbewerbern und Rechtsbruch
beherrschenden Stellung (Artikel 102 AEUV). Danach sind einem marktbeherrschenden Unternehmen unter anderem unterschiedliche Formen des Behinderungsmissbrauchs untersagt, z.B. ein Niedrigpreiswettbewerb, der das Ziel verfolgt, einen
Wettbewerber aus dem Markt zu drängen (predatory pricing).198 Ein Boykott durch Unternehmen fällt unter das Kartellverbot aus Artikel 101 Abs. 1 AEUV. Je nach Marktmacht der Boykottierenden kann daneben auch Artikel 102 AEUV einschlägig sein.
Ein Boykott durch Verbraucher wird dagegen nicht von Artikel 101 Abs. 1 AEUV nicht
erfasst, da sich diese Vorschrift ausschließlich an Unternehmen wendet.199
b) Sekundärrecht
Explizite sekundärrechtliche Regelungen enthält der acquis communautaire nur für einige wenige Fallgruppen, die dem Bereich der Mitbewerberbehinderung zugerechnet
werden können. Ein Beispiel ist Artikel 4 lit. d) RL 2006/114 /EG, der herabsetzende
vergleichende Werbung verbietet. 200 Unionsrechtliche Behinderungsverbote im weitesten Sinne enthalten auch jene Vorschriften des Telekommunikations- und Energierechts, die eine Erleichterung des Anbieterwechsel bezwecken und so gleichermaßen
Verbraucher- und Mitbewerberinteressen schützen. Hierzu zählen Artikel 3 Abs. 7 der
Elektrizitätsrichtlinie201, Artikel 3 Abs. 3 der Erdgasrichtlinie202 (RL 2009/73/EG),
sowie Artikel 30 der Universaldienstrichtlinie203, der u.a. die einfache und kostengünstige Übertragbarkeit der Rufnummer bei einem Wechsel des Telefonanbieters
vorsieht.
Weniger eindeutig zu beurteilen ist, welche Auswirkungen die UGP-RL auf nationale Behinderungsverbote hat. Da die Richtlinie primär dem Verbraucherschutz dient
197
198
199
200
201
202
203
EuGH, 24.11.1993, Rs. C-267/91, C-268/91, Slg. I-6097, Rn. 16 – Keck. Zur kartell- und
lauterkeitsrechtlichen Beurteilung des Verkaufs unter Einstandspreis siehe auch Alexander,
WRP 2010, 727 ff.
Vgl. EuGH, 3.7.1991, Rs. C-62/86, Slg. I-3359 – Akzo; EuGH, 14.11.1996, Rs. C-333/94, Slg.
I-5951 – Tetra Pak II. Zu dieser Fallgruppe näher Lübbig, in: Loewenheim/Meessen/Riesenkampff, Kartellrecht, 2. Aufl. 2009, Art. 82 EGV, Rn. 176 ff. sowie Köhler/Bornkamm,
28. Aufl. 2010, § 4 UWG, Rn. 10.184 ff.
Näher zur kartell- und lauterkeitsrechtlichen Beurteilung von Boykottaufrufen Glöckner,
Europäisches Lauterkeitsrecht, München 2006, S. 252 ff.
Art. 4 lit. d RL 2006/114 /EG.
Richtlinie 2009/72 /EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 13.7.2009 über
gemeinsame Vorschriften für den Elektrizitätsbinnenmarkt und zur Aufhebung der Richtlinie 2003/54 /EG, ABl.EG L 211/55.
Richtlinie 2009/73/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 13.7.2009 über
gemeinsame Vorschriften für den Erdgasbinnenmarkt und zur Aufhebung der Richtlinie
2003/55/EG, ABl.EG L 211/94.
Richtlinie 2002/22 /EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 7.3.2002 über den
Universaldienst und Nutzerrechte bei elektronischen Kommunikationsnetzen und -diensten
(Universaldienstrichtlinie), ABl.EG L 108/51, i.d.F. der Richtlinie 2009/136 /EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 25.11.2009, ABl.EG L 337/11.
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Lauterkeitsrecht in Europa: Acquis communautaire
und Mitbewerber allenfalls mittelbar schützt,204 ließe sich argumentieren, dass die
UGP-RL den Mitgliedstaaten freie Hand lässt bei der Ausgestaltung von Behinderungsverboten. Da die UGP-RL jedoch auf eine abschließende Regelung des verbraucherschützenden Lauterkeitsrechts zielt, muss sichergestellt werden, dass die angestrebte Vollharmonisierung nicht durch nationale Verbotstatbestände unterlaufen werden,
die sich gegen die Behinderung von Mitbewerbern wenden. Anders formuliert: Erklärt
die UGP-RL eine bestimmte Geschäftspraxis gegenüber einem Verbraucher als zulässig, so würde diese Wertung konterkariert, wenn dieselbe Praxis von einem Mitgliedstaat unter dem Gesichtspunkt des Mitbewerberbehinderung verboten würde.
Ausgehend von diesem Grundsatz wird man zwischen zwei Kategorien von Behinderungsverboten unterscheiden müssen: Bei der Anwendung nationaler Behinderungsverbote, die sich sowohl auf den Mitbewerber- als auch den Verbraucherschutz
stützen, sind die für den B2C-Verkehr abschließenden Wertungen der UGP-RL zu beachten.205 Ein mitgliedstaatliches Behinderungsverbot, das an die Einwirkung auf die
geschäftliche Entscheidung des Verbrauchers anknüpft (z.B. das Verbot der Verleitung
von Kunden zum Vertragsbruch), ist daher unionsrechtlich nur zulässig, wenn die von
dem Verbot erfasste Verbraucherbeeinflussung unlauter i.S.d. Artikel 5 bis 9 UGP-RL
ist.206 Dagegen liegen mitgliedstaatliche Behinderungsverbote, die ausschließlich dem
Schutz von Mitbewerberinteressen dienen und nicht an eine bestimmte Art und Weise
der Verbraucherbeeinflussung anknüpfen, außerhalb des von der UGP-RL koordinierten Bereichs und müssen daher nicht an deren Vorgaben gemessen werden. 207 Dies gilt
beispielsweise für das lauterkeitsrechtliche Verbot des Ausspähens von Geschäftsgeheimnissen208 sowie das Verbot der allgemeinen Marktbehinderung.209 Auch Fälle des
Niedrigpreiswettbewerbs (predatory pricing) werden nicht von der UGP-RL erfasst. 210
2. Rechtsbruch
a) Primärrecht
Die Anwendung mitgliedstaatlicher Bestimmungen, die einen Verstoß gegen außerwettbewerbsrechtliche Marktverhaltensnorm unter dem Gesichtspunkt des Rechtsbruchs in einen Lauterkeitsverstoß transformieren (z.B. § 4 Nr. 11 UWG) und so die
lauterkeitsrechtliche Sanktions- und Durchsetzungsmechanismen aktivieren, unter204
205
206
207
208
209
210
Vgl. Erwägungsgrund Nr. 8 UGP-RL.
Siehe die Beispiele bei Piper/Ohly/Sosnitza, 5. Aufl. 2010, § 4 Nr. 10 UWG Rn. 5 und Köhler,
GRUR 2008, 841, 846 ff.
Köhler/Bornkamm, 28. Aufl. 2010, § 4 UWG, Rn. 10.36a; Scherer, WRP 2009, 518, 520 ff.
anders dagegen Piper/Ohly/Sosnitza, 5. Aufl. 2010, § 4 Nr. 10 UWG Rn. 5, 56.
Siehe Erwägungsgrund Nr. 6 UGP-RL.
Vgl. BGH WRP 2009, 1377, Rn. 15 – Betriebsbeobachtung.
Vgl. BGH GRUR 2010, 455, Rn. 20 – Stumme Verkäufer II.
Siehe Commission Staff Working Document vom 3.12.2009: „Guidance on the Implementation/Application of Directive 2005/29 /EC on Unfair Commercial Practices“, SEC (2009)
1666, S. 14; anders dagegen Glöckner, IIC 2010, 550, 584 f.
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VI. Behinderung von Mitbewerbern und Rechtsbruch
liegt der Kontrolle am Maßstab der Grundfreiheiten (Artikel 34, 56 AEUV).211 Gegenstand der unionsrechtlichen Kontrolle sind dabei letztlich die Marktverhaltensnormen („Primärnormen“), deren Verletzung – je nach Mitgliedstaat – erst durch einen
besonderen Rechtsbruchtatbestand oder die lauterkeitsrechtliche Generalklausel
(„Transformationsnorm“) lauterkeitsrechtliche Relevanz erhält. Unmittelbare Bedeutung kommt den Grundfreiheiten dabei nur für solche Marktverhaltensnormen zu, die
außerhalb des Anwendungsbereich abschließend harmonisierender Sekundärrechtsakte liegen. Aktuelle Beispiele sind etwa das Fremdbesitzverbot für Apotheken212 oder Marktzutrittsbeschränkungen für Glücksspielanbieter.213
b) Sekundärrecht
Die UGP-RL kennt keinen allgemeinen Rechtsbruchtatbestand, der als „Scharnier“
zwischen der UGP-RL und anderen Marktverhaltensnormen des acquis communautaire
wirkt.214 Lediglich Artikel 7 Abs. 5 UGP-RL lässt sich als eine Art spezieller Rechtsbruchtatbestand ansehen. 215 Nach dieser Vorschrift gelten die unionsrechtlichen Informationsanforderungen in Bezug auf kommerzielle Kommunikation einschließlich
Werbung oder Marketing als „wesentliche Informationen“ i.S.d. Artikels 7 Abs. 1
UGP-RL. Ein Verstoß gegen derartige Informationsgebote stellt somit zugleich eine
irreführende Unterlassung und damit einen Lauterkeitsverstoß dar.
Außerhalb dieser eng umgrenzten Fallgruppe ist sorgfältig zu prüfen, ob die lauterkeitsrechtliche Sanktionierung von Verstößen gegen außerwettbewerbsrechtliche
Marktverhaltensnormen mit der UGP-RL vereinbar ist.216 Eine mögliche Sperrwirkung kann die UGP-RL allerdings nur innerhalb ihres Anwendungsbereichs entfalten. Von der Richtlinie unberührt bleiben daher solche Marktverhaltensregeln, die
lediglich das Verhältnis zu Mitbewerbern oder sonstigen Marktteilnehmer, die keine
Verbraucher sind, betreffen. Erweitert wird der den Mitgliedstaaten zur Verfügung stehende Spielraum ferner durch zahlreiche Ausnahmen vom Anwendungsbereich der
UGP-RL. So erfasst die Richtlinie nicht Rechtsvorschriften in Bezug auf Gesundheitsund Sicherheitsaspekte217 sowie Bestimmungen über Glücksspiele.218 Ebenfalls nicht
211
212
213
214
215
216
217
218
Piper /Ohly/Sosnitza, 5. Aufl. 2010, § 4 Nr. 11 UWG, Rn. 6.
EuGH, 19.5.2009, Rs. C-171/07, C-172/07, NJW 2009, 2112 – Apothekerkammer des Saarlandes/Saarland.
EuGH, 8.9.2009, Rs. C-42/07, NJW 2009, 3221 – Liga Portuguesa.
Köhler/Bornkamm, 28. Aufl. 2010, § 4 UWG, Rn. 11.6a.
Vgl. Micklitz, in: MünchKommUWG, EG D, Rn. 113, der Art. 7 Abs. 5 UWG daher als einen
„europäischen Rechtsbruchtatbestand“ (mit allerdings eng umgrenztem Anwendungsbereich) bezeichnet.
Dazu näher Köhler/Bornkamm, 28. Aufl. 2010, § 4 UWG, Rn. 11.6c.; siehe auch Glöckner, IIC
2010, 570, 584.
Art. 3 Abs. 3 UGP-RL.
Erwägungsgrund Nr. 9 UGP-RL. Eine weitere Ausnahme formuliert Art. 3 Abs. 10 für mitgliedstaatliche Regeln über die Zertifizierung und Angabe des Feingehalts von Artikeln aus
Edelmetall.
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erfasst werden spezifische Regeln für reglementierte Berufe, d.h. solche Berufe deren
Ausübung an das Vorhandensein bestimmter Berufsqualifikationen gebunden ist. 219
Striktere Marktverhaltensregeln sind ferner in den Bereichen zulässig, die zwar von
der UGP-RL erfasst sind, jedoch von der Vollharmonisierung ausgenommen sind. Dies
gilt für Finanzdienstleistungen und den Immobilienmarkt.220
Hinzu kommt, dass Artikel 3 Abs. 5 UGP-RL eine sechsjährige Übergangsfrist für
die Anpassung der mitgliedstaatlichen Rechtsordnungen vorsieht. Danach ist es den
Mitgliedstaaten gestattet, in dem von der UGP-RL erfassten Bereich strengere Vorschriften beizubehalten, die zur Umsetzung von Richtlinien mit Mindestangleichungsklauseln erlassen wurden. Solche überschießenden Vorschriften können die Mitgliedstaaten daher bis zum 12. Juni 2013 beibehalten. 221 Mitgliedstaaten die etwa bei der
Umsetzung der Fernabsatzrichtlinie 97/7/EG den Katalog der vorvertraglichen Informationspflichten erweitert haben, können Verstöße gegen diese Informationsgebote
daher weiterhin lauterkeitsrechtlich sanktionieren. 222 Nach Ablauf der sechsjährigen
Übergangsfrist wird dies hingegen nicht mehr ohne Weiteres möglich sein.223
Verstöße gegen mitgliedstaatliche Marktverhaltensregeln, die nicht unter eine der
genannten Ausnahmen fallen, können nur dann unter dem Gesichtspunkt des Rechtsbruchs lauterkeitsrechtlich sanktioniert werden, wenn das von der nationalen „Primärnorm“224 verbotene Verhalten zugleich unlauter im Sinne der Artikel 5 bis 9
UGP-RL ist. Dies ist jedenfalls dann der Fall, wenn sich die Marktverhaltensnorm
gegen eine irreführende oder aggressive Geschäftspraktik wendet. Auch ein Rückgriff
auf die Generalklausel ist denkbar. Dieser setzt allerdings voraus, dass die nationale
Marktverhaltensregel als Konkretisierung der „beruflichen Sorgfaltspflicht“ i.S.d. Artikels 5 Abs. 2 lit. b) UGP-RL anzusehen ist.225
VII. Schutz gegen Irreführung
Literatur: Apostolopoulos, Neuere Entwicklungen im europäischen Lauterkeitsrecht: Problematische Aspekte und Vorschläge, WRP 2004, 841; Busch, Towards a European Legal Framework of
Commercial Fairness Rules? The EU Commission’s Proposal for a Directive on Unfair Commercial
Practices, EuLF 2004, 91; ders., Informationspflichten im Wettbewerbs- und Vertragsrecht, Tübingen 2008; Collins, The Unfair Commercial Practices Directive, ERCL 2005, 417; Fezer, Plädoyer für
219
220
221
222
223
224
225
Art. 3 Abs. 8 i.V.m. Art. 2 lit. l) UGP-RL, vgl. BGH GRUR 2009, 977 – Brillenversorgung.
Art. 3 Abs. 9 UGP-RL; zur Kritik an diesen Ausnahmen Busch, in: Gebauer/Wiedmann,
2. Aufl. 2010, Kap. 25, Rn. 15.
Voraussetzung ist allerdings, dass diese Vorschriften zum Schutz der Verbraucher „unbedingt
erforderlich“ und verhältnismäßig sind. Dazu Busch, GPR 2008, 158, 163 f.
Siehe die rechtsvergleichende Übersicht zur Umsetzung der Fernabsatzrichtlinie in SchulteNölke/Twigg-Flesner/Ebers (Hrsg.), EC Consumer Law Compendium, München 2008,
S. 307 ff.
Vgl. Erwägungsgrund Nr. 15 S. 4 UGP-RL.
Zur Unterscheidung zwischen Primärnorm und Transformationsnorm siehe VI.2.a). Näher zu
dieser Differenzierung Doepner, GRUR 2003, 825, 830 f.
So auch Köhler/Bornkamm, 28. Aufl. 2010, § 4 UWG, Rn. 11.6c.
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VII. Schutz gegen Irreführung
eine offensive Umsetzung der Richtlinie über unlautere Geschäftspraktiken in das deutsche UWG,
WRP 2006, 781; ders., Imitationsmarketing als irreführende Produktvermarktung, GRUR 2009, 451;
Franck, Europäisches Absatzrecht, Berlin 2006; Gamerith, Der Richtlinienvorschlag über unlautere
Geschäftspraktiken – Möglichkeiten einer harmonischen Umsetzung, WRP 2005, 391; Glöckner/
Henning-Bodewig, EG-Richtlinie über unlautere Geschäftspraktiken: Was wird aus dem „neuen“
UWG?, WRP 2005, 1311; Henning-Bodewig, Richtlinienvorschlag über unlautere Geschäftspraktiken und UWG-Reform, GRUR Int. 2004, 183; dies., Die Richtlinie 2005/29 /EG über unlautere
Geschäftspraktiken. GRUR Int. 2005, 629; Howells, Codes of Conduct, in: Howells/Micklitz/Wilhelmsson, European Fair Trading Law, 2006, S.195-216; Kiethe/Groeschke, Erweiterung des Markenschutzes vor Verwechslungen durch das neue Lauterkeitsrecht, WRP 2009, 1343; Köhler, Der
Schutz vor Produktnachahmung im Markenrecht, Geschmacksmusterrecht und neuen Lauterkeitsrecht, GRUR 2009, 445; ders., Die UWG-Novelle 2008, WRP 2009, 109, 116; ders./Lettl, Das geltende europäische Lauterkeitsrecht, der Vorschlag für eine EG-Richtlinie über unlautere Geschäftspraktiken und die UWG-Reform, WRP 2003, 1019; Leistner, Richtiger Vertrag und lauterer Wettbewerb, Tübingen 2007; Lettl, Der lauterkeitsrechtliche Schutz vor irreführender Werbung in Europa, München 2004; Peifer, Die Zukunft der irreführenden Geschäftspraktiken, WRP 2008, 556;
Sosnitza, Der Einfluss des Gemeinschaftsrechts auf das nationale Recht zum Schutz geografischer
Herkunftsangaben in Deutschland, GRUR 2007, 462; ders., Der Gesetzentwurf zur Umsetzung der
Richtlinie über unlautere Geschäftspraktiken, WRP 2008, 1014; Schulte-Nölke/Busch, Der Vorschlag der Kommission für eine Richtlinie über unlautere Geschäftspraktiken, ZEuP 2004, 99; Steinbeck, Richtlinie über unlautere Geschäftspraktiken: Irreführende Geschäftspraktiken – Umsetzung
in das deutsche Recht, WRP 2006, 632; Twigg-Flesner, Pre-contractual duties – From the acquis to
the Common Frame of Reference, in: Schulze (Hg.), Common Frame of Reference and Existing EC
Contract Law, München 2008; Wilhelmsson, Misleading Practices, in: Howells/Micklitz/Wilhelmsson, European Fair Trading Law, 2006, S.123-166; Wunderle, Verbraucherschutz im europäischen Lauterkeitsrecht, Tübingen 2010.
1. Überblick
a) Aufspaltung des Irreführungsschutzes durch die UGP-RL
Seit Einführung der UGP-RL gelten auf unionsrechtlicher Ebene unterschiedliche
Maßstäbe für die Beurteilung irreführender Werbung je nachdem, ob der Adressat
der Werbung ein Verbraucher oder Unternehmer ist. 226 Für den B2B-Verkehr gilt
das Irreführungsverbot aus Artikel 2 lit. b), 3 RL 2006/114 /EG, für den B2C-Verkehr
gelten die Artikel 6, 7 UGP-RL. Während das Irreführungsverbot der RL 2006/114 /
EG nur irreführende „Werbung“ erfasst, gilt dasjenige der UGP-RL für alle Arten von
„Geschäftspraktiken“, d.h. auch für irreführende Praktiken bei und nach Vertragsschluss. RL 2006/114 /EG bewirkt dabei lediglich eine Mindestharmonisierung, während die UGP-RL auf eine Vollharmonisierung gerichtet ist. Unterschiede bestehen
auch zwischen den jeweiligen Katalogen von Irreführungskriterien in Artikel 6 Abs. 1
UGP-RL und Artikel 3 RL 2006/114 /EG.
226
Micklitz, in: MünchKommUWG, EG F, Rn. 150.
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b) Sektorspezifische Irreführungsverbote
Ergänzt werden UGP-RL und RL 2006/114 /EG durch eine Reihe medien- und produktspezifischer Irreführungsverbote. Beispiele sind etwa Artikel 87 Abs. 3 des Gemeinschaftskodex für Humanarzneimittel (RL 2001/83/EG)227 sowie Artikel 6 der
Verbrauchsgüterkaufrichtlinie (RL 1999/44 /EG). 228 Hinzu treten sektorspezifische
Kennzeichnungsgebote, die eine Verschleierung von Werbemaßnahmen verbieten.
So sind etwa im Bereich des Online-Marketings die Vorgaben der E-CommerceRichtlinie (RL 2001/31/EG) zu beachten. Artikel 6 lit. a) RL 2001/31/EG schreibt
vor, dass Werbebotschaften („kommerzielle Kommunikationen“) klar als solche erkennbar sein müssen. 229 Artikel 6 lit. b) RL 2001/31/EG bestimmt darüber hinaus,
dass Preisausschreiben oder Gewinnspiele klar als solche erkennbar sein müssen. Erforderlich ist ferner, dass die Teilnahmebedingungen leicht zugänglich sowie klar und
unzweideutig angegeben sind. Für Fernsehwerbung gilt Artikel 10 Abs. 1 der Richtlinie über audiovisuelle Mediendienste (RL 89/552 / EWG) i.d.F. der RL 2007/65/
EG.230 Danach müssen Teleshopping und Fernsehwerbung als solche klar erkennbar
sein und durch optische und/oder akustische Mittel eindeutig von anderen Programmteilen getrennt sein. Artikel 3 lit. g) RL 2007/65/EG enthält ferner Regeln für die
Kenntlichmachung von Produktplatzierungen (product placement).231
c) Irreführung und Kennzeichenschutz
Zu den Bezugspunkten der Irreführung gehört gemäß Artikel 6 Abs. 1 lit. b) UGP-RL
auch die „geographische und kommerzielle Herkunft“ des Produkts.232 Artikel 6 Abs. 2
lit. a) UGP-RL bestimmt ferner, dass eine Geschäftspraxis als irreführend gilt, wenn sie
eine Verwechselungsgefahr mit einem anderen Produkt, Warenzeichen, Warennamen
oder anderem Kennzeichen eines Mitbewerbers begründet. Handelt es sich um eine
absichtliche Herkunftstäuschung, so gilt diese Praxis gemäß Nr. 13 Anhang I UGP-RL
sogar unter allen Umständen als unlauter. Die genannten Vorschriften machen deutlich, dass der Unionsgesetzgeber von einem Nebeneinander von immaterialgüter-
227
228
229
230
231
232
Richtlinie 2001/83/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 6.11.2001 zur
Schaffung eines Gemeinschaftskodexes für Humanarzneimittel, ABl.EG 2001 L 311/67.
Richtlinie 1999/44 /EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 25.5.1999 zu bestimmten Aspekten des Verbrauchsgüterkaufs und der Garantien für Verbrauchsgüter,
ABl.EG 1999 L 171/12.
Entsprechend der Kollisionsregel in Art. 3 Abs. 4 UGP-RL hat Art. 6 lit. a) RL 2000/31/EG
als lex specialis Vorrang vor Art. 7 Abs. 2 UGP-RL.
Dazu näher Spindler/Schuster, Recht der elektronischen Medien, § 7 RStV, Rn. 21 ff. Zum
Begriff der Fernsehwerbung i.S.d. RL 89/552 / EWG vgl. EuGH, 18.10.2007, Rs. C-195/06,
Slg. I-8817 – KommAustria.
Siehe dazu Frank, in: Harte-Bavendamm/Henning-Bodewig, 2. Aufl. 2009, § 4 UWG, Rn. 6;
Köhler/Bornkamm, § 4 UWG, Rn. 3.5c.
Siehe auch Art. 3 lit. a) RL 2006/112 /EG.
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VII. Schutz gegen Irreführung
rechtlichem Kennzeichenschutz und lauterkeitsrechtlichem Irreführungsschutz ausgeht. 233
2. B2C-Verkehr
Zu den gemäß Artikel 5 Abs. 1 UGP-RL verbotenen unlauteren Geschäftspraktiken
gehören nach Artikel 5 Abs. 4 lit. a) UGP-RL insbesondere solche, die als irreführend
im Sinne der Artikel 6, 7 UGP-RL zu qualifizieren sind. Dieses umfassende Irreführungsverbot gilt gemäß Artikel 3 Abs. 1 UGP-RL für Geschäftspraktiken gegenüber
Verbrauchern (B2C-Verkehr) und umfasst sowohl Praktiken in der Phase der Vertragsanbahnung als auch solche bei und nach Vertragsschluss. Ergänzt werden die Artikel 6,
7 UGP-RL durch Nr. 1 bis 23 Anhang I der „Black List“ in Anhang I UGP-RL.
Für die Beurteilung, ob eine Geschäftspraktik als irreführend anzusehen ist, kommt
es nach Artikel 6 Abs. 1 und Artikel 7 Abs. 1 UGP-RL auf die Perspektive des „Durchschnittsverbrauchers“ an. Dabei ist das gestaffelte Verbraucherleitbild aus Artikel 5
Abs. 2 lit. b) und Artikel 5 Abs. 3 UGP-RL maßgeblich. 234
a) Irreführende Handlungen
aa) Falsche Angaben und zur Täuschung geeignete Angaben
Gemäß Artikel 6 Abs. 1 UGP-RL gilt eine Geschäftspraxis als irreführend, wenn sie
entweder falsche Angaben enthält und somit unwahr ist (Alt. 1) oder wenn sie in
irgendeiner Weise geeignet ist, den Durchschnittsverbraucher in Bezug auf einen in
Artikel 6 Abs. 1 aufgeführten Punkte zu täuschen (Alt. 2) und zu einer geschäftlichen
Entscheidung zu veranlassen, die er ansonsten nicht getroffen hätte.
Die sprachliche Unterscheidung zwischen unwahren Angaben und solchen, die
zur Täuschung geeignet sind, legt den Schluss nahe, dass eine unwahre Angabe für
sich genommen bereits unzulässig sei, ohne dass es dabei auf die Relevanz der Falschangabe für die Verbraucherentscheidung ankäme. 235 Eine solche Interpretation ist jedoch nicht zwingend. Gegen eine solche Auslegung spricht, dass die UGP-RL außerhalb der „black list“ an keiner Stelle auf das Relevanzerfordernis verzichtet. 236 Ein
Per-se-Verbot unwahrer Angaben widerspräche der Systematik der UGP-RL.237
Artikel 6 Abs. 1 lit. a) bis g) enthält einen Katalog von Anknüpfungspunkten, auf
die sich die irreführende Angabe beziehen muss.238 Nach dem Wortlaut der Richtlinie
233
234
235
236
237
238
Köhler /Bornkamm, 28. Aufl. 2010, § 5 UWG, Rn. 4.210.
Dazu näher oben unter III.3.
Glöckner/Henning-Bodewig, WRP 2005, 1311, 1330; Sosnitza, GRUR 2007, 462, 466.
Dies betont auch Steinbeck, WRP 2006, 632, 634.
Vgl. Sosnitza, WRP 2008, 1014, 1028.
Näher zu den einzelnen Anknüpfungspunkten Wilhelmsson, in: Howells/Micklitz/Wilhelmsson, European Fair Trading Law, 2006, S. 140 ff.
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handelt es sich dabei um eine abschließende Aufzählung.239 Angesichts des Umfangs
des Katalogs, der noch dazu eine Reihe von offenen Tatbeständen enthält, dürfte ein
Rückgriff auf die Generalklausel ohnehin in den meisten Fällen entbehrlich sein.240
Hervorzuheben ist, dass der Katalog der Irreführungstatbestände auf Aussagen des
Werbenden über seine eigenen geschäftlichen Verhältnisse zugeschnitten ist.241 Aussagen über fremde geschäftliche Verhältnisse werden vom Irreführungsverbot der UGPRL dagegen nicht erfasst. 242
Eine ausführliche Kommentierung der einzelnen in Artikel 6 Abs. 1 UGP-RL genannten Bezugspunkte irreführender Handlungen würde den Rahmen der vorliegenden Darstellung sprengen. Lediglich beispielhaft sei daher hervorgehoben, dass die
Begriffe „Kundendienst“ und „Beschwerdeverfahren“ in Artikel 6 Abs. 1 lit. b) UGPRL in Abgrenzung zu den in Artikel 6 Abs. 1 lit. g) UGP-RL geregelten Garantieversprechen und Gewährleistungsrechten neben Angaben des Unternehmers über den
klassischen Kundendienst (z.B. Werbung mit einem Vorortservice) auch alle anderen
nachvertraglichen Serviceleistungen erfassen wie beispielsweise die Kundenbetreuung
über eine „Hotline“ beim Vertrieb technisch komplexer Erzeugnisse. 243 Werden dem
Verbraucher gesetzliche zugestandene Rechte als eine besondere Leistung des Gewerbetreibenden präsentiert, so liegt eine unter allen Umständen unlautere Geschäftspraktik vor (Nr. 10 Anhang I).
bb) Begründung einer Verwechslungsgefahr
Nach Artikel 6 Abs. 2 lit. a) UGP-RL gilt eine Geschäftspraktik als irreführend, die
geeignet ist, das wirtschaftliche Verhalten eines Durchschnittsverbrauchers wesentlich zu beeinflussen, und eine Verwechslungsgefahr mit einem anderen Produkt oder
Kennzeichen eines Mitbewerbers begründet. Der Zweck dieser Bestimmung wird in
Erwägungsgrund 14 S. 6 UGP-RL erläutert. Danach beabsichtigt die UGP-RL nicht,
die Wahl für die Verbraucher einzuschränken, indem die Werbung für Produkte, die
anderen Produkten ähneln, generell untersagt wird. Aus Gründen des Verbraucherschutzes ist ein Verbot von Imitationswerbung lediglich dann geboten, wenn die
Ähnlichkeit der betroffenen Produkte eine Verwechslungsgefahr für die Verbraucher
hinsichtlich der kommerziellen Herkunft begründet und daher irreführend ist. Artikel
6 Abs. 2 lit. a) UGP-RL legalisiert damit die Imitationswerbung und markiert zugleich
deren Grenzen.244
239
240
241
242
243
244
Steinbeck, WRP 2006, 632, 634; anders dagegen Wilhelmsson, in: Howells/Micklitz/Wilhelmsson, European Fair Trading Law, 2006, S. 138 f.
Ebenso Micklitz, in: Dauses, Teil H.V.5, Rn. 531.
Ebenso Köhler, GRUR 2008 841, 845.
So auch Micklitz, in: Dauses, Teil H.V.5, Rn. 530; anders offenbar Glöckner, IIC 2010, 570, 583.
So auch BT-Drucksache 16/10145, S. 24; Sosnitza, WRP 2008, 1014, 1029.
Micklitz, in: Dauses, Teil H.V.5, Rn. 533 unter Verweis auf Wilhelmsson, in: Howells/Micklitz/
Wilhelmsson, European Fair Trading Law, 2006, S. 123 ff, 145 f.; dazu auch Fezer, GRUR
2009, 451 ff. sowie Kiethe/Groeschke, WRP 2009, 1343 ff. und Köhler, GRUR 2009, 445 ff.
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VII. Schutz gegen Irreführung
cc) Nichteinhaltung von Verhaltenskodizes
Im Rahmen der Vorarbeiten zur UGP-RL hatte die Kommission versucht, europaweiten Verhaltenskodizes innerhalb des europäischen Lauterkeitsrechts eine zentrale
Stellung einzuräumen.245 Dieser Plan ist jedoch letztlich an politischen Widerständen
gescheitert. Lediglich einzelne Bestimmungen der UGP-RL nehmen Bezug auf Instrumente der Selbst- und Co-Regulierung.246 Eine dieser Vorschriften ist Artikel 6 Abs. 2
lit. b UGP-RL. Danach gilt die Nichteinhaltung eines Kodex, an den sich den sich der
Gewerbetreibende gebunden hat und auf den er im Rahmen seiner Geschäftstätigkeit
hinweist, als irreführend. Unter die weite Definition des Begriffs „Verhaltenskodex“
dürften auch Dienstleistungsnormen des Europäischen Normungskomitees (CEN)
fallen (z.B. EN 15733:2009 für Dienstleistungen von Immobilienmaklern).247 Wirbt
ein Gewerbetreibender damit, dass seine Leistungen den Anforderungen der ENNorm entsprechen, und hält er die damit einhergehende Selbstverpflichtung nicht
ein, so liegt ein Verstoß gegen Artikel 6 Abs. 2 lit. b) UGP-RL vor.248
b) Irreführende Unterlassungen
aa) Vorenthalten wesentlicher Informationen
Nach Art. 7 Abs. 1 UGP-RL gilt eine Geschäftspraxis als irreführend, wenn sie die
Entscheidungsfähigkeit von Verbrauchern durch das Vorenthalten wesentlicher Informationen beeinflusst. Zwar war bereits unter der RL 84/450 /EG anerkannt, dass eine
Irreführung sowohl durch positives Tun als auch durch Unterlassen bewirkt werden
kann.249 Mit der expliziten Regelung irreführender Unterlassungen setzt die UGP-RL
jedoch einen neuen Maßstab für lauterkeitsrechtliche Informationsgebote. Nicht erforderlich ist eine konkrete Fehlvorstellung auf Seiten des Verbrauchers. 250 Die Vorschrift enthält somit nicht nur ein (negatives) Verbot der Irreführung durch Unterlassen, sondern formuliert ein (positives) Gebot der Markttransparenz.
Unter Hinweis auf den in der deutschen Fassung von Art. 7 Abs. 1 UGP-RL verwendeten Begriff des „Vorenthaltens“ wird teilweise vertreten, dass eine Pflicht zur
Information über wesentliche Umstände nur dann besteht, wenn der Gewerbetreibende bereits über die entsprechende Information verfügt.251 Gegen eine solche Interpre245
246
247
248
249
250
251
Vgl. das Grünbuch zum Verbraucherschutz in der EU, KOM (2001) S. 6 f. und die Kommissionsmitteilung zu Folgemaßnahmen zum Grünbuch, KOM (2002) 289, Rz. 2 ff.
Dazu ausführlich Howells, in: Howells/Micklitz/Wilhelmsson, European Fair Trading Law,
2006, S. 195 ff.
Vgl. Art. 2 lit. f) UGP-RL.
Dazu näher Busch, NJW 2010, 3061 ff.
Siehe EuGH, 16.1.1992, Rs. C-373/90, WRP 1993, 233 – Nissan.
Apostolopoulos, WRP 2004, 841, 848; Köhler/Lettl, WRP 2003, 1019, 1041; Peifer, WRP 2008,
556, 559.
So Köhler, WRP 2009, 109, 116 mit der Begründung, dass nur „vorenthalten“ werden könne,
was im Besitz des Unternehmers sei.
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tation spricht jedoch zum einen der vergleichende Blick auf die anderen Sprachfassungen der Richtlinie (omit, omettre, omettare, weglaten). Zum anderen würde eine solche Beschränkung der Informationspflicht auf präsente Information, Art. 7 Abs. 1
UGP-RL seiner praktischen Wirksamkeit berauben und zu einer Umgehung des Transparenzgebotes einladen. Ein Händler kann sich dem lauterkeitsrechtlichen Informationsgebot gerade nicht mit der Begründung entziehen, er habe sich selbst nicht über die
wesentlichen Merkmale der von ihm beworbenen Ware informiert. Vielmehr setzt das
in Artikel 2 lit. h) UGP-RL mit dem Begriff „berufliche Sorgfalt“ umschriebene Unternehmerleitbild einen gewissen Standard an notwendigen (Fach-)Kenntnissen voraus. Hierzu gehört auch die Kenntnis solcher Umstände, die nach Artikel 7 Abs. 1
UGP-RL wesentlich sind und daher einem Verbraucher nicht vorenthalten werden
dürfen. Verfügt der Unternehmer nicht über die entsprechenden Informationen, so
begrenzt dies nicht Informationspflicht, sondern erweitert sie zu einer Informationsbeschaffungspflicht (obligation de s’informer pour informer).252 Dem Vorenthalten von
Informationen gleichgestellt sind die in Artikel 7 Abs. 2 UGP-RL genannten Fälle des
„Verheimlichens“, der „unklaren, unverständlichen, zweideutigen“ oder „nicht rechtzeitigen“ Informationsgewährung sowie das Nichtkenntlichmachen des kommerziellen Zwecks einer geschäftlichen Handlung.
bb) Beschränkungen des Kommunikationsmediums
Die sog. Medienklausel in Artikel 7 Abs. 3 UGP-RL betont, dass bei der Bestimmung
der Informationspflichten räumliche und zeitliche Beschränkungen des verwendeten
Kommunikationsmittels zu berücksichtigen sind. Derartige Beschränkungen ergeben
sich etwa bei Radio- oder Fernsehwerbung, sowie bei Internetangeboten, die über
Mobilgeräte abgerufen werden. Die räumlichen und zeitlichen Beschränkungen führen jedoch nicht dazu, dass eine Informationspflicht vollständig entfällt. Es wird lediglich die Erfüllung der Informationspflicht insoweit erleichtert, als auf Informationen
verwiesen werden kann, die an anderer Stelle zur Verfügung gestellt werden. 253 Ausreichend ist in einem solchen Fall regelmäßig ein Hinweis auf eine Website oder Telefonhotline, die allerdings leicht zugänglich und grundsätzlich kostenlos254 erreichbar
sein müssen. Mit Blick auf die Wertung aus Artikel 5 Abs. 3 UGP-RL ist ein solcher
Medienwechsel allerdings nicht zulässig, wenn der zu erwartende Adressatenkreis (etwa altersbedingt) mit dem Medium, auf das verwiesen wird, nicht hinreichend vertraut
ist.255
252
253
254
255
Dazu näher Busch, Informationspflichten im Wettbewerbs- und Vertragsrecht, Tübingen
2008, S. 140 ff.
Fezer, WRP 2006, 781, 787.
So auch Peifer, WRP 2008, 556, 558.
Peifer, in: Fezer, 2. Aufl. 2010, § 5a UWG, Rn. 35.
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cc) Basisinformationen im Falle einer Aufforderung zum Kauf
Artikel 7 Abs. 4 UGP-RL konkretisiert das Verbot irreführender Unterlassungen
durch einen Katalog von „Basisinformationen“256. Diese sind im Falle einer „Aufforderung zum Kauf“ als „wesentlich“ im Sinne von Artikel 7 Abs. 1 UGP-RL anzusehen
und dementsprechend dem Verbraucher zur Verfügung zu stellen, sofern sie sich nicht
unmittelbar aus den Umständen ergeben.
Der in Artikel 2 lit. i) UGP-RL definierte Begriff der „Aufforderung zum Kauf“
markiert die Schwelle, bei deren Überschreiten ein Unternehmer dem Verbraucher
die in Artikel 7 Abs. 4 UGP-RL genannten Basisinformationen zur Verfügung stellen
muss. Die missverständliche Verwendung des Begriffs „Kauf“ ist offenbar untechnisch
gemeint und nicht als Einschränkung des Anwendungsbereichs zu verstehen. Auch
sollte die englische Textfassung (invitation to purchase) nicht zu dem Missverständnis
verleiten, dass Artikel 7 Abs. 4 UGP-RL nur im Falle einer einer invitatio ad offerendum257 oder gar einem Vertragsangebot eingreift. 258 Eine derartige Anknüpfung an
vertragsrechtliche Kategorien ist schon deshalb ausgeschlossen, weil die Frage, ob
und wann ein Vertrag zustande kommt, nach Artikel 3 Abs. 2 UGP-RL weiterhin
den Mitgliedstaaten überlassen bleibt und von diesen – wie das bekannte Beispiel
der französischen offre au public zeigt – auch unterschiedlich beurteilt wird.259 Der Begriff der „Aufforderung zum Kauf“ unterliegt vielmehr einer autonom lauterkeitsrechtlichen Auslegung und erfasst jeder Äußerung eines Unternehmers, auf Grund
derer sich der Verbraucher zum Erwerb einer bestimmten Ware oder der Inanspruchnahme einer bestimmten Dienstleistung entschließen kann. 260 Zur weiteren Klärung
dürfte die anstehende Entscheidung in der Rs. C-122/10 beitragen, in der eine Stellungnahme des EuGH zur Auslegung von Artikel 2 lit. i) und Artikel 7 Abs. 4 UGPRL zu erwarten ist.261
Zusammenfassend lässt sich für die Auslegung von Artikel 7 Abs. 4 UGP-RL damit
Folgendes festhalten: Im Falle einer bloßen Aufmerksamkeits- oder Imagewerbung,
die für den Verbraucher erkennbar nicht alle für einen Vertragsschluss erforderlichen
Informationen enthält, muss nicht die in Artikel 7 Abs. 4 UGP-RL genannten Basisinformationen enthalten.262 Erweckt dagegen eine Werbung, die Angaben über einzelne Produktmerkmale und den Preis enthält, den Eindruck vollständiger Information, so verlangt Artikel 7 Abs. 4 UGP-RL, dass eine solche Werbung auch tatsächlich
256
257
258
259
260
261
262
Erwägungsgrund Nr. 14 S. 3 UGP-RL; zu dieser Liste der wesentlichen Merkmale näher Micklitz, in: MünchKommUWG, EG F, Rn. 219 ff.
So jedoch Peifer, WRP 2008, 556, 560 und ihm folgend Wunderle, Verbraucherschutz im
europäischen Lauterkeitsrecht, Tübingen 2010, S. 237.
Ebenso Franck, Europäisches Absatzrecht, Berlin 2006, S. 53.
Vgl. Schulte-Nölke/Busch, ZEuP 2004, 99, 106; Busch, EuLF 2004, 91, 95; ebenso Leistner,
Richtiger Vertrag und lauterer Wettbewerb, Tübingen 2007, S. 448.
So auch BT-Drucksache 16/10145, S. 25.
Vorabentscheidungsersuchen des schwedischen Marknadsdomstolen vom 8.3.2010, Rs. C122/10, Konsumentombudsmannen (KO)/Ving Sverige AB, ABl.EG 2010 /C 113/55.
BT-Drucksache 16/10145, S. 25; Schulte-Nölke/Busch, ZEuP 2004, 99, 107; Micklitz, in:
MünchKommUWG, EG F, Rn. 215.
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alle wesentlichen Informationen enthält. Artikel 7 Abs. 4 UGP-RL statuiert damit bei
genauer Betrachtung ein „bedingtes Vollständigkeitsgebot“, das je nach Konkretisierungsgrad der Werbung ein „selektives Schweigen“ des Werbenden gestattet oder verbietet. Eine solche Interpretation liegt auch Artikel II. – 3:102 Abs. 1 S. 2 DCFR
zugrunde, der auf Artikel 7 Abs. 4 UGP-RL beruht und die lauterkeitsrechtliche Vorschrift in ein vertragsrechtliches Informationsgebot transformiert.263
dd) Verletzung sonstiger unionsrechtlicher Informationsanforderungen
Gemäß Artikel 7 Abs. 5 UGP-RL sind auch solche Informationen wesentlich im Sinne
von Artikel 7 Abs. 1 UGP-RL, die auf Grund unionsrechtlicher Vorgaben für kommerzielle Kommunikation einschließlich Werbung und Marketing den Verbrauchern
zu gewähren sind. Eine entsprechende (nicht abschließende) Auflistung von 14 Richtlinien, die von diesem Verweis erfasst sind, enthält Anhang II der UGP-RL. Seiner
Funktion nach lässt sich Artikel 7 Abs. 5 UGP-RL damit als ein – auf verbraucherschützende Informationsgebote beschränkter – europäischer Rechtsbruchtatbestand
zu verstehen.264 Da sich der Verbraucheracquis, auf den Art. 7 Abs. 5 UGP-RL verweist, fortlaufend ändert, handelt es sich um einen Verweis auf ein „moving target“.
Für die Umsetzung der Vorschrift ergeben sich daraus besondere Schwierigkeiten. 265
c) Black List
Anhang I der UGP-RL (sog. Black List) enthält in Nr. 1 bis 23 einen Katalog irreführender Geschäftspraktiken, die unter allen Umständen als unlauter anzusehen sind.
Diese Per-se-Verbote bedürfen keiner Ausfüllung durch Artikel 6 und 7 UGP-RL
und auch keines Rückgriffs auf die Elemente der Generalklausel. 266 Daher findet hier
auch die allgemeine Bagatellklausel (Artikel 5 Abs. 2 lit. b UGP-RL) keine Anwendung.267 Einschränkungen der Per-se-Verbote können sich nur in sehr eng umgrenzten
Ausnahmefällen aus dem unionsrechtlichen Verhältnismäßigkeitsprinzip ergeben, auf
das Erwägungsgrund Nr. 18 verweist.268
263
264
265
266
267
268
Vgl. Twigg-Flesner, in: Schulze (Hg.), Common Frame of Reference and Existing EC Contract
Law, München 2008, S. 97 ff.; Busch, Informationspflichten im Wettbewerbs- und Vertragsrecht, Tübingen 2008, S. 70.
Micklitz, in: MünchKommUWG, EG D, Rn. 113 und EG F, Rn. 262 ff.
Hierzu näher Busch, in: Gebauer/Wiedmann, 2. Aufl. 2010, Rn. 158 f.
Dauses /Micklitz, H.V. Rn. 561; Apostolopoulos, WRP 2004, 841, 849.
Gamerith, WRP 2005, 391, 415; Henning-Bodewig, GRUR Int. 2004, 183, 191; a.A. Piper /
Ohly/Sosnitza, UWG, 5. Aufl. 2010, Einf C, Rn. 53.
Vgl. BT-Drucksache 16/10145, S. 30; kritisch dazu Sosnitza, WRP 2008, 1014, 1021.
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VII. Schutz gegen Irreführung
3. B2B-Verkehr
a) Begriff der Werbung
Für irreführende Praktiken im B2B-Verkehr gelten die Vorgaben der RL 2006/114 /
EG. Der sachliche Anwendungsbereich der Richtlinie wird durch den in Artikel 2
lit. a) definierten Begriff der „Werbung“ umrissen. Dieser Begriff bezeichnet jede Äußerung bei der Ausübung eines Handels, Gewerbes, Handwerks oder freien Berufs mit
dem Ziel, den Absatz von Waren oder die Erbringung von Dienstleistungen, einschließlich unbeweglicher Sachen, Rechte und Verpflichtungen zu fördern. Die „Äußerung“ kann dabei in beliebiger Form erfolgen: in Wörtern oder Bildern, öffentlich
oder im privaten Kundengespräch. 269
Der Begriff der „Werbung“ legt nahe, dass die Regeln der RL 2006/114 /EG nur für
vorvertragliche Äußerungen gelten und sich – anders als die Vorschriften der UGP-RL
– nicht auf Äußerungen bei und nach Vertragsschluss erstrecken. Ein Teil der Literatur sieht hierin eine planwidrige Regelungslücke, die mithilfe einer Analogie zu
schließen sei.270 Es dürfte jedoch schwer fallen, de lege lata eine tragfähige Begründung
für eine solche Analogie zu finden. Das Nebeneinander der Begriffe „Werbung“ (B2B)
und „Geschäftspraktiken“ (B2C) spricht eher dafür, dass die RL 2006/114 /EG nicht
nur bei der Höhe des Harmonisierungsgrades, sondern auch in Bezug auf ihren Anwendungsbereich hinter der UGP-RL zurückbleibt und sich auf den vorvertraglichen
Bereich beschränkt.271 Im Rahmen der geplanten Überarbeitung der UGP-RL, bei der
auch eine Einbeziehung des B2B-Verkehrs erwogen werden soll,272 wäre es jedoch
wünschenswert, den Anwendungsbereich der beiden Irreführungsverbote aufeinander
abzustimmen.
Der Wortlaut von Artikel 2 lit. a) RL 2006/114 /EG beschränkt den Anwendungsbereich der Richtlinie ferner auf Äußerungen, die der Förderung des Absatzes von
Waren oder der Erbringung von Dienstleistungen dienen. Hieraus wird teilweise gefolgert, dass die Richtlinie nicht auf Werbung für den Bezug von Waren oder Dienstleistungen anwendbar sei. 273 Da irreführende Bezugswerbung in gleicher Weise die
Markttransparenz gefährdet wie irreführende Absatzwerbung, erscheint eine Ungleichbehandlung der beiden Fallgruppen jedoch nicht gerechtfertigt. Zu Recht wird daher die
Schließung dieser planwidrigen Regelungslücke durch eine Analogie gefordert.274
269
270
271
272
273
274
EuGH, 25.10.2001, Rs. C-112/99, Slg. I-7945, Rn. 31 – Toshiba/Katun.
Micklitz, in: MünchKommUWG, EG F, Rn. 116; siehe dazu auch Lettl, Der lauterkeitsrechtliche Schutz vor irreführender Werbung in Europa, München 2004, S. 67 (noch zur RL 1984/
450 / EWG).
So im Ergebnis auch Lettl, Der lauterkeitsrechtliche Schutz vor irreführender Werbung in
Europa, München 2004, S. 67; nicht ganz eindeutig dagegen Köhler/Bornkamm, 28. Aufl.
2010, § 6 UWG Rn. 63.
Vgl. Erwägungsgrund Nr. 8 UGP-RL.
Sack, in: Harte-Bavendamm/Henning-Bodewig, 2. Aufl. 2009, § 6 UWG Rn. 35; Fezer /Koos,
2. Aufl. 2010, § 6 UWG Rn. 54.
Micklitz, in: MünchKommUWG, EG F, Rn. 117; Lettl, Der lauterkeitsrechtliche Schutz vor
irreführender Werbung in Europa, München 2004, S. 67 (noch zur RL 1984/450 / EWG);
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b) Bezugspunkte der Irreführung und Unternehmerleitbild
Artikel 3 RL 2006/114 /EG enthält einen Katalog von Kriterien, die bei der Beurteilung der Frage, ob eine Werbung irreführend ist, heranzuziehen sind. Anders als die
Liste der Irreführungskriterien in Artikel 6 Abs. 1 UGP-RL ist dieser Katalog nicht
abschließend („insbesondere“).
Unterschiede zur UGP-RL gibt es auch in Bezug auf den Inhalt des Kriterienkatalogs. So hebt etwa Artikel 6 Abs. 1 lit. b) UGP-RL hervor, dass als Bezugspunkt der
Irreführung nur „wesentliche“ Merkmale der Ware oder Dienstleistung in Betracht
kommen. Eine solche Einschränkung fehlt in Artikel 3 lit. a) RL 2006/114 /EG. Dies
könnte zu dem Schluss verleiten, dass das Unionsrecht im B2B-Bereich strengere
Maßstäbe anlegt und auch eine Irreführung über „unwesentliche“ Merkmale verbietet.
In der Tat fehlt in RL 2006/114 /EG – anders als in der UGP-RL – ein expliziter Hinweis auf eine Wesentlichkeits- oder Relevanzschwelle. 275 Die Schlussfolgerung, dass
jede zur Irreführung geeignete Äußerung im B2B-Verkehr verboten ist, wäre jedoch
verfehlt. Als Korrektiv kann hier ein – parallel zum Verbraucherleitbild276 der UGPRL – ausgestaltetes Unternehmerleitbild wirken. Ein Verstoß gegen Artikel 3 RL
2006/114 /EG ist daher nur dann zu bejahen, wenn die Äußerung geeignet ist, einen
angemessen gut unterrichteten und angemessen aufmerksamen und kritischen Unternehmer irrezuführen. 277
Eine solche Irreführungsgefahr kann sowohl durch aktives Tun als auch durch Unterlassen hervorgerufen werden. Zwar enthält RL 2006/114 /EG – anders als die UGPRL – keine ausdrückliches Verbot der Irreführung durch Unterlassen. Doch bereits
unter der RL 84/450 / EWG war allgemein anerkannt, dass eine Irreführung sowohl
durch positives Tun als auch durch ein Unterlassen bewirkt werden kann. Dies hat
sich durch die Neufassung des Irreführungsverbotes nicht geändert.
VIII. Vergleichende Werbung
Literatur: Alexander, Markenschutz und berechtigte Informationsinteressen bei Werbevergleichen, GRUR 2010, 482; Dreyer, Konvergenz oder Divergenz – Der deutsche und der europäische
Mitbewerberbegriff im Wettbewerbsrecht, GRUR 2008, 123; Köhler, Was ist „vergleichende Werbung“?, GRUR 2005, 273; ders., Die Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs – Analyse und
Kritik, WRP 2008, 414; ders./Lettl, Das geltende europäische Lauterkeitsrecht, der Vorschlag für
eine EG-Richtlinie über unlautere Geschäftspraktiken und die UWG-Reform, WRP 2003, 1019; Ohly,
Vergleichende Werbung für Zubehör und Warensortimente, GRUR 2007, 3; ders./Spence, Vergleichende Werbung: Die Auslegung der Richtlinie 97/55/EG in Deutschland und Großbritannien,
GRUR Int. 1999, 681; Nordmann, Neuere Entwicklungen im Recht der vergleichenden Werbung,
GRUR Int. 2002, 297; Plaß, Die gesetzliche Neuregelung der vergleichenden Werbung, NJW 2000,
275
276
277
zurückhaltender Köhler/Lettl, WRP 2003, 1019, 1023. Eine solche Analogie ist dabei bereits
auf unionsrechtlicher Ebene und nicht erst auf der Ebene des Umsetzungsgesetzes geboten.
Dies kritisiert auch Micklitz, in: MünchKommUWG, EG F, Rn. 128.
Dazu näher III.3.
Ähnlich bereits Micklitz, in: MünchKommUWG, EG F, Rn. 130.
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VIII. Vergleichende Werbung
3161; Sack, Vergleichende Werbung nach der UWG-Novelle, WRP 2001, 327; ders., Markenschutz
und UWG, WRP 2004, 1405; ders., Ursprungsbezeichnungen in vergleichender Werbung, WRP
2008, 301; Scherer, Partielle Verschlechterung der Verbrauchersituation durch die europäische
Rechtsvereinheitlichung bei vergleichender Werbung?, WRP 2001, 89; Schubmehl, Zur Zulässigkeit
von Werbeaussagen in Bezug auf Warengattungen, GRP 2007, 197; Veelken, Kundenfang gegenüber dem Verbraucher, WRP 2004, 1.
Die Bedingungen für die Zulässigkeit vergleichender Werbung wurden auf unionsrechtlicher Ebene erstmals im Jahr 1997 durch die RL 97/55/EG278 festgelegt, durch
welche die RL 84/450 / EWG geändert wurde. Weitere Änderungen erfolgten durch
den Erlass der RL 2005/29 /EG.279 Im Jahr 2006 wurden die Regeln über irreführende
und vergleichende Werbung schließlich durch die RL 2006/114 /EG kodifiziert.280
1. Schutzzweck und Harmonisierungsgrad der RL 2006/114 /EG
Die RL 2006/114 /EG verfolgt den Zweck, der Gefahr von Wettbewerbsverzerrungen
und einer Behinderung des freien Waren- und Dienstleistungsverkehrs entgegenzutreten, die durch unterschiedliche nationale Regelungen über die Zulässigkeit oder Unzulässigkeit vergleichender Werbung entstehen kann. 281 Die Harmonisierung des
Rechts der vergleichenden Werbung soll den Wettbewerb im Binnenmarkt fördern.
Da objektive Werbevergleiche zur Information der Verbraucher beitragen, dient die
Liberalisierung des Rechts der vergleichenden Werbung zugleich den Interessen der
Verbraucher.282
Während sich die RL 2006/114 /EG im Bereich der irreführenden Werbung auf
eine Mindestharmonisierung beschränkt, bewirkt sie im Bereich der vergleichenden
Werbung eine Vollharmonisierung (Artikel 8 Abs. 1 Unterabs. 2).283 Die Mitglied-
278
279
280
281
282
283
Richtlinie 97/55/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 6.10.1997 zur Änderung der Richtlinie 84/450 / EWG über irreführende Werbung zwecks Einbeziehung der vergleichenden Werbung, ABl.EG 1997 L 290/18.
Siehe Art. 14 RL 2005/29 /EG.
Im Rahmen der Kodifizierung wurde Artikel 3a Abs. 2 RL 97/55/EG, der eine Spezialregelung für den Vergleich mit Sonderangeboten enthielt, ohne nähere Begründung fallengelassen. Es ist nicht auszuschließen, dass es sich dabei um ein gesetzgeberisches Redaktionsversehen handelt. Dazu Micklitz, in: MünchKommUWG, EG F, Rn. 23 f.; siehe auch die Entschließung des Europäischen Parlaments vom 13.1.2009 zur Umsetzung, Anwendung und
Durchsetzung der Richtlinie 2005/29 /EG (2008/2114(INI)). Darin bedauert das Parlament,
dass „Verwirrung darüber herrscht“, welche Folgen die Streichung von Artikel 3 Abs. 2 hat
und fordert die Mitgliedstaaten auf, diesen Aspekt mit Unterstützung der Kommission zu
untersuchen und gegebenenfalls entsprechende Folgemaßnahmen einzuleiten.
Erwägungsgründe Nr. 6, 9 RL 2006/114 /EG.
Erwägungsgrund Nr. 8 RL 2006/114 /EG.
Vgl. Erwägungsgrund Nr. 11 Richtlinie 2006/114 /EG und EuGH, 8.4.2003, Rs. C-44/01,
Slg. I-3095, Rn. 43 f. – Pippig Augenoptik.
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staaten dürfen daher weder strengere noch mildere Vorschriften in Bezug auf vergleichende Werbung aufrechterhalten oder erlassen.
Eng verknüpft mit dem Schutzzweck ist die Frage nach dem persönlichen Anwendungsbereichs der RL 2006/114 /EG. Während die Regeln der Richtlinie in Bezug auf
irreführende Werbung allein dem Schutz von Gewerbetreibenden vor irreführender
Werbung dienen (Artikel 1)284 und sich dementsprechend auf den B2B-Verkehr beschränken, gelten die Regeln über die Zulässigkeit vergleichender Werbung gleichermaßen für den B2B- und B2C-Verkehr.285
2. Begriff der vergleichenden Werbung
Eine Legaldefinition der vergleichenden Werbung enthält Artikel 2 lit. c) RL 2006/
114 /EG. Vergleichende Werbung ist danach jede Werbung, die unmittelbar oder mittelbar einen Mitbewerber oder die Erzeugnisse oder Dienstleistungen, die von einem
Mitbewerber angeboten werden, erkennbar macht. Nach Erwägungsgrund Nr. 8 RL
2006/114 /EG soll der Begriff der vergleichenden Werbung „breit gefasst werden“, so
dass alle Arten der vergleichenden Werbung umfasst sind.
a) Werbung
Unter den Begriff der vergleichenden Werbung fallen nur solche marktbezogenen Äußerungen, die sich unter den Oberbegriff der „Werbung“ i.S.v. Artikel 2 lit. a) RL
2006/114 /EG subsumieren lassen. Dieser umfasst „jede Äußerung bei der Ausübung
eines Handels, Gewerbes, Handwerks oder freien Berufs mit dem Ziel, den Absatz von
Waren oder die Erbringung von Dienstleistungen, einschließlich unbeweglicher Sachen, Rechte und Verpflichtungen zu fördern“. Der Begriff der Äußerung ist weit zu
verstehen und erfasst sowohl verbale und nonverbale, öffentliche und individuelle Äußerungen.286
Umstritten ist, ob sich der Begriff der Werbung auf Absatzwerbung beschränkt oder
Werbung für den Bezug von Waren und Dienstleistungen erfasst. Während die deutsche Sprachfassung von Artikel 2 lit. a) RL 2006/114 /EG („Absatz“) für eine restriktive Interpretation spricht, sprechen ein Vergleich mit anderen Sprachfassungen287
und insbesondere der Zweck der Werberichtlinie für eine extensive Auslegung, da
auch die vergleichende Werbung eines Nachfragers zu einer Schädigung von Mitbewerbern führen kann.288 Eine Klärung dieser Frage durch den EuGH steht noch aus.
Auch zu der ebenfalls umstrittenen Frage, ob Werbung durch Dritte zu Gunsten eines
284
285
286
287
Veelken, WRP 2004, 1, 18; Micklitz, in: MünchKommUWG, EG F, Rn. 105; Steinbeck, WRP
2006, 632, 633.
Micklitz, in: MünchKommUWG, EG F, Rn. 18.
EuGH, 25.10.2001, Rs. C-112/99, Slg. I-7945, Rn. 31 – Toshiba/Katun.
Während die niederländische Sprachfassung (afzet) der deutschen Fassung ähnelt, lassen die
englische Fassung (supply) ebenso wie die romanischen Sprachfassungen (fourniture, fornitura, suministro, fornecimento) offen, auf welcher Marktseite der Werbende steht.
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Mitbewerbers von der Richtlinie erfasst wird, hat sich der EuGH noch nicht geäußert.289 Der Schutzzweck der Richtlinie und die Verhinderung von Umgehungen sprechen auch hier für eine extensive Auslegung und damit für die Einbeziehung dieser
Fallgruppe.
b) Mitbewerberbezug
Artikel 2 lit. c) RL 2006/114 /EG setzt voraus, dass sich die Werbung auf einen „Mitbewerber“ oder die von ihm angebotenen Produkte beziehen. Der Begriff des Mitbewerbers wird von RL 2006/114 /EG nicht definiert. Anhaltspunkte für eine Konkretisierung dieses Begriffs lassen sich der Rechtsprechung des EuGH entnehmen, die in
dieser Frage auf das kartellrechtliche Kriterium der Substituierbarkeit zurückgreift.290
Als Mitbewerber i.S.v. Artikel 2 lit. c) sind danach nur solche Marktteilnehmer anzusehen, deren Waren untereinander einen gewissen Grad an Substituierbarkeit aufweisen.291
Eine vergleichende Werbung i.S.v. Artikel 2 lit. c) liegt nur dann vor, wenn die
Werbung den Mitbewerber oder die von ihm angebotenen Erzeugnisse oder Dienstleistungen unmittelbar oder mittelbar erkennbar macht. Dies ist nach der Rechtsprechung des EuGH aus Sicht des normal informierten und angemessen aufmerksamen
und verständigen Durchschnittsverbrauchers und unter Berücksichtigung aller Umstände des Einzelfalls zu beurteilen. 292 Eine unmittelbare Identifizierung der Konkurrenzprodukte liegt etwa dann vor, wenn ein Anbieter von Ersatzteilen für die Produkte
eines Herstellers von Fotokopiergeräten in seinem Katalog die Artikelnummern
(OEM-Nummern) angibt, die der Gerätehersteller für die von ihm selbst vertriebenen
Ersatzteile verwendet. 293 Für eine mittelbare Identifizierung reicht es dagegen aus, dass
der Werbende ein Zeichen benutzt, das der Marke eines Mitbewerbers ähnlich ist,
wenn dies vom Durchschnittsverbraucher als Hinweis auf diesen Mitbewerber oder
auf die von ihm angebotenen Waren und Dienstleistungen aufgefasst wird.294
Nach dem Wortlaut von Artikel 2 lit. c) gilt die Werberichtlinie auch für Fälle der
sog. „vergleichenden Werbung ohne Vergleich“, die erkennbar auf einen Mitbewerber
288
289
290
291
292
293
294
Eine entsprechende Anwendung von Artikel 2 lit. a) RL 2006/114 /EG erwägt Köhler/
Bornkamm, 28. Aufl. 2010, § 6 UWG, Rn. 63; anders dagegen Sack, in: Harte-Bavendamm/
Henning-Bodewig, 2. Aufl. 2009, § 6 UWG, Rn. 35.
Dazu näher Köhler/Bornkamm, 28. Aufl. 2010, § 6 UWG, Rn. 64 ff.; siehe auch Ohly/Spence,
GRUR Int. 1999, 681 ff. und Scherer, WRP 2001, 89 ff.
Vgl. Glöckner, in: Harte-Bavendamm/Henning-Bodewig, 2. Aufl. 2009, Einl. B, Rn. 46.
EuGH, 19.4.2007, C-381/05, Slg. I-3115, Rn. 30 – de Landtsheer. Ausführlich zum Mitbewerberbegriff Dreyer, GRUR 2008, 123 ff.; siehe auch Köhler, WRP 2008, 414, 415. Im Rahmen
des Art. 4 lit. b) Richtlinie 2006/114 /EG soll es dagegen auf einen „hinreichenden“ Grad der
Substituierbarkeit ankommen. Zu dieser Unterscheidung näher Köhler, WRP 2008, 414, 415.
EuGH, 19.9.2006, Rs. C-356/04, Slg. I-8501, Rn. 78 – Lidl Belgium/Colruyt; EuGH, 19.4.
2007, C-381/05, Slg. I-3115, Rn. 22, 23 – de Landtsheer; dazu Schubmehl, GPR 2007, 197.
EuGH, 25.10.2001, Rs. C-112/99, Slg. I-7945 – Toshiba/Katun.
EuGH, 12.6.2008, Rs. C-533/06, Slg. I-4231, Rn. 44 – O2 und O2 (UK)/H3G.
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Lauterkeitsrecht in Europa: Acquis communautaire
Bezug nimmt, ohne eine vergleichende Beziehung zu diesem oder zu dessen Produkten
herzustellen. 295 Erfasst wäre demnach auch eine reine Kritik an einem Mitbewerber
(„Konkurrent X vernichtet den Regenwald, unterstützt Kinderarbeit etc.“). 296 Eine
so weite Ausdehnung der sich aus Artikel 4 lit. d) ergebenden Werbebeschränkungen
wäre jedoch kaum mit der von Artikel 11 GRCh geschützten Meinungsfreiheit vereinbar. Viel spricht daher dafür, dass Artikel 2 lit. c) RL 2006/114 /EG restriktiv auszulegen und um ein ungeschriebenes Tatbestandsmerkmal des Vergleichs zu ergänzen
ist.297 Selbst wenn man entgegen dieser Auffassung eine vergleichende Werbung ohne
Vergleich unter Artikel 2 lit. c) subsumiert, so beurteilt sich die Zulässigkeit dieser
Werbeform gleichwohl nicht nach Artikel 4 RL 2006/114 /EG, da die dort genannten
Zulässigkeitskriterien nur für die Herstellung der Vergleichsbeziehung gelten („was
den Vergleich anbelangt“). Etwas anderes gilt allerdings, wenn die Bezugnahme einen
mittelbaren Vergleich des Waren oder Dienstleistungsangebotes enthält. In diesem
Falle ist die Werbung von Artikel 4 RL 2006/114 /EG zu messen. 298
3. Zulässigkeit vergleichender Werbung
Artikel 4 RL 2006/114 /EG bestimmt abschließend, unter welchen Voraussetzungen
eine vergleichende Werbung, „was den Vergleich anbelangt“, zulässig ist. Der folgende
Überblick beschränkt sich darauf, die Eckpunkte der Regelung zu skizzieren und einige
Leitentscheidungen des EuGH vorzustellen. Die in Artikel 4 lit. a) bis h) genannten
acht Zulässigkeitskriterien lassen sich dabei – trotz partieller Überschneidungen – unter zwei Leitgesichtspunkte einordnen: Gewährleistung von Markttransparenz und
Schutz des identifizierten Mitbewerbers.299
a) Gewährleistung von Markttransparenz
Vergleichende Werbung ist aus Sicht des europäischen Gesetzgebers in erster Linie ein
Instrument zur Herstellung von Markttransparenz und fördert so den Wettbewerb im
Binnenmarkt. 300 Einen Beitrag zur Verbraucherinformation kann vergleichende Werbung jedoch nur leisten, wenn sie wesentliche, relevante, nachprüfbare und typische
Eigenschaften vergleicht und nicht irreführend ist.301 Dementsprechend ist nach Ar-
295
296
297
298
299
300
301
Dazu näher Köhler/Bornkamm, 28. Aufl. 2010, § 6 UWG, Rn. 45 ff.; Koos, in: Fezer, 2. Aufl.
2010, § 6 UWG, Rn. 119 ff.
Vgl. Piper /Ohly/Sosnitza, 5. Aufl. 2010, § 6 UWG, Rn. 34.
So bereits Köhler, GRUR 2005, 273, 280; Nordmann, GRUR Int. 2002, 297, 298; siehe auch
Piper /Ohly/Sosnitza, 5. Aufl. 2010, § 6 UWG, Rn. 35, der dieses Ergebnis aus der Rechtsprechung des EuGH ableitet.
Vgl. Fezer /Koos, 2. Aufl. 2010, § 6 UWG, Rn. 122.
Ähnlich Piper /Ohly/Sosnitza, 5. Aufl. 2010, § 6 UWG Rn. 2.
Vgl. Erwägungsgrund Nr. 6 RL 2006/114 /EG.
Vgl. Erwägungsgrund Nr. 8 RL 2006/114 /EG.
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VIII. Vergleichende Werbung
tikel 4 RL 2004/116 /EG eine vergleichende Werbung nur dann zulässig, wenn sie diese Voraussetzungen erfüllt.
aa) Irreführungsverbot
Grundvoraussetzung für die Zulässigkeit vergleichender Werbung ist gemäß Artikel 4
lit. a) RL 2006/114 /EG, dass der Werbevergleich nicht irreführend ist. Die Vorschrift
nimmt dabei Bezug sowohl auf das Irreführungsverbot der RL 2006/114 /EG302 als auch
die Parallelregelung in der UGP-RL. 303 Daher ist hinsichtlich des Irreführungsmaßstabs zu differenzieren: Richtet sich die vergleichende Werbung an Verbraucher, so
sind Artikel 6 und 7 UGP-RL als Maßstab heranzuziehen, bei Werbung gegenüber Gewerbetreibenden sind dagegen Artikel 2 lit. b) und Artikel 3 RL 2006/114 /EG maßgeblich. Zu beachten ist dabei, dass die RL 2006/114 /EG in Bezug auf vergleichende
Werbung eine Vollharmonisierung beabsichtigt. Dies bedeutet, dass es den Mitgliedstaaten im Falle irreführender vergleichender Werbung auch im B2B-Bereich verwehrt ist, einen strengeren Irreführungsmaßstab anzuwenden als denjenigen des Artikels 4 lit. a) i.V.m. Artikel 3 RL 2006/114 /EG.
bb) Substituierbarkeit der verglichenen Produkte
Nach Artikel 4 lit. b) RL 2006/114 /EG muss sich der Vergleich auf Waren oder
Dienstleistungen für den gleichen Bedarf oder dieselbe Zweckbestimmung beziehen.
Hierfür reicht es nach der Entscheidung des EuGH im Fall Lidl Belgium/Colruyt aus,
dass die verglichenen konkurrierenden Waren einen hinreichenden Grad an Austauschbarkeit aufweisen (z.B. Warensortimente konkurrierender Supermarktketten). 304 Da die Werberichtlinie gerade darauf zielt, den Wettbewerb zwischen den Anbietern von Waren und Dienstleistungen im Interesse der Verbraucher fördern, sind
hierbei nicht allzu strenge Maßstäbe anzulegen.305 Das Kriterium der Substituierbarkeit ist vielmehr im Interesse einer möglichst weitgehenden Zulässigkeit der vergleichenden Werbung (sog. „Günstigkeitsprinzip“)306 grundsätzlich weit auszulegen. 307
302
303
304
305
306
307
Art. 2 lit. b) und Art. 3, 8 Abs. 1 RL 2006/114 /EG.
Art. 6, 7 UGP-RL.
EuGH, 19.9.2006, Rs. C-356/04, Slg. I-8501, Rz. 26 – Lidl Belgium/Colruyt.
Siehe Erwägungsgrund Nr. 6 RL 2006/114 /EG.
Siehe dazu EuGH, 19.4.2007, C-381/05, Slg. I-3115, Rn. 35, 63 m.w.N. – de Landtsheer;
EuGH, 18.6.2009, C-487/07, Slg. I-5185, Rn. 69 – L’Oreal/Bellure; siehe auch Sack, in:
Harte-Bavendamm/Henning-Bodewig, 2. Aufl. 2009, § 6 UWG, Rn. 10.
Emmerich, Unlauterer Wettbewerb, 8. Aufl. 2009, § 7 Rn. 26; Ohly, GRUR 2007, 3; Köhler,
WRP 2008, 414, 418.
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cc) Objektivität des Vergleichs
Nur ein objektiver Werbevergleich erhöht die Markttransparenz und verdient daher
Schutz.308 Dementsprechend verlangt Artikel 4 lit. c) RL 2006/114 /EG, dass die vergleichende Werbung objektiv auf eine oder mehrere wesentliche, relevante, nachprüfbare und typische Eigenschaften der Waren oder Dienstleistungen bezogen ist. Zu den
„Eigenschaften“ für die das Objektivitätsgebot gilt, kann auch der Preis des beworbenen Produkts gehören. 309 Das Objektivitätserfordernis begründet kein Vollständigkeitsgebot.310 Der EuGH verlangt lediglich, dass der Vergleich auf einer objektiven
Feststellung beruht und nicht auf einer subjektiven Wertung (z.B. einem individuellen
Geschmack). 311
dd) Verbot des Hervorrufens von Verwechslungsgefahr
Nach Artikel 4 lit. h) RL 2006/114 /EG ist ein Werbevergleich nur zulässig, wenn er
keine Verwechslungsgefahr begründet zwischen dem Werbenden und einem Mitbewerber oder zwischen den Warenzeichen, Warennamen, sonstigen Kennzeichen, Waren oder Dienstleistungen des Werbenden und denen eines Mitbewerbers. Diese Vorschrift bildet gewissermaßen ein Scharnier zwischen den beiden Leitgesichtspunkten
der Werberichtlinie. Ruft ein Werbevergleich eine Verwechslungsgefahr hervor, d.h.
die Gefahr einer Irreführung über die betriebliche Herkunft, so beeinträchtigt dies
sowohl die Marktransparenz als auch die Interessen des betroffenen Mitbewerbers. In
der Praxis dürfte ein Verstoß gegen Artikel 4 lit. h) eher selten vorkommen, da es dem
Werbenden in der Regel gerade darauf ankommt, sein Produkt von dem Vergleichsprodukt zu unterscheiden. 312
Im Fall O2 und O2(UK)/H3G hat der EuGH klargestellt, dass der Begriff der „Verwechslungsgefahr“ in Artikel 4 lit. h) RL 2006/114 /EG mit dem entsprechenden markenrechtlichen Begriff in Artikel 5 Abs. 1 lit. b) RL 2008/95/EG identisch ist.313 Eine
Verwechslungsgefahr liegt danach vor, wenn die angesprochenen Verkehrskreise glauben könnten, dass die in Frage stehenden Waren oder Dienstleistungen aus demselben
Unternehmen oder aus wirtschaftlich verbundenen Unternehmen stammen. 314 Soweit eine nach Art. 4 lit. h) RL 2006/114 /EG unlautere Werbung zugleich eine Mar-
308
309
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314
Vgl. Piper /Ohly/Sosnitza, 5. Aufl. 2010, § 6 UWG, Rn. 46, der ebenfalls die Informationsfunktion der vergleichenden Werbung hervorhebt.
EuGH, 19.9.2006, Rs. C-356/04, Slg. I-8501, Rn. 56 – Lidl Belgium/Colruyt.
Ebenso Köhler/Bornkamm, 28. Aufl. 2010, § 6 UWG, Rn. 117; Emmerich, Unlauterer Wettbewerb, 8. Aufl. 2009, § 7 Rn. 29; Ohly, GRUR 2007, 3, 7.
EuGH, 19.9.2006, Rs. C-356/04, Slg. I-8501, Rn. 46 – Lidl Belgium/Colruyt.
Ohly, GRUR 2008, 701; Köhler/Bornkamm, 28. Aufl. 2010, § 6 UWG, Rn. 145.
EuGH, 12.6.2008 – Rs. C-533/06, Slg. I-4231, Rn. 49 – O2 und O2 (UK)/H3G.
EuGH, a.a.O., Rn. 59; dazu näher Koos, in: Fezer, 2. Aufl. 2010, § 6 UWG, Rn. 194; Sack, in:
Harte-Bavendamm/Henning-Bodewig, 2. Aufl. 2009, § 6 UWG, Rn. 167.
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VIII. Vergleichende Werbung
kenverletzung begründet, stehen marken- und lauterkeitsrechtliche Ansprüche dabei
aus unionsrechtlicher Sicht in Idealkonkurrenz. 315
Eine Parallelvorschrift zu Artikel 4 lit. h) RL 2006/114 /EG findet sich in Artikel 6
Abs. 2 lit. a) UGP-RL. Nach dieser Vorschrift, die ausdrücklich auch Fälle vergleichender Werbung erfasst, gilt eine Geschäftspraxis als irreführend, wenn sie geeignet
ist, das wirtschaftliche Verhalten eines Verbrauchers wesentlich zu beeinflussen und
eine Verwechslungsgefahr mit einem anderen Produkt, Warenzeichen, Warennamen
oder anderen Kennzeichen eines Mitbewerbers begründet. Das dadurch entstehende
Konkurrenzproblem wird durch den unterschiedlichen persönlichen Anwendungsbereich der beiden Vorschriften gelöst. Artikel 4 lit. h) RL 2006/114 /EG setzt voraus,
dass die Verwechslungsgefahr bei einem Gewerbetreibenden begründet wird, während
nach Artikel 6 Abs. 2 lit. a) UGP-RL 2005/29/EG dies bei einem Verbraucher der Fall
sein muss. Im B2C-Verkehr ergeben sich auch Überschneidungen mit dem Per-se-Verbot aus Nr. 13 Anhang I UGP-RL. Nach dieser Regelung, die gegenüber Artikel 6
Abs. 2 lit. a) Vorrang genießt,316 gilt eine absichtliche Herkunftstäuschung unter allen
Umständen unlauter.
b) Schutz des identifizierten Mitbewerbers
Während vergleichende Werbung einerseits einen Beitrag zur Gewährleistung von
Markttransparenz leisten kann, besteht andererseits die Gefahr, dass durch Werbevergleiche schutzwürdige Interessen der in der Werbung erkennbar gemachten Mitbewerber beeinträchtigt werden.317 Die erforderliche Abwägung zwischen dem Interesse an
Verbraucherinformation und dem Schutz der betroffenen Mitbewerber wird durch die
Zulässigkeitskriterien in Artikel 4 RL 2006/114 /EG gesteuert. Diese sind damit letztlich Ausdruck des unionsrechtlichen Verhältnismäßigkeitsprinzips.318
aa) Verbot der Rufbeeinträchtigung
Kritisierenden Werbevergleichen setzt Artikel 4 lit. d) RL 2006/114 /EG eine
Grenze. Eine vergleichende Werbung ist danach nur dann zulässig, wenn sie weder
die Marken, die Handelsnamen oder andere Unterscheidungszeichen noch die Waren,
die Dienstleistungen, die Tätigkeiten oder die Verhältnisse eines Mitbewerbers herabsetzt oder verunglimpft. Bei der Anwendung dieser Bestimmung (und damit auch bei
der richtlinienkonformen Auslegung entsprechender Umsetzungsvorschriften) sind
primärrechtliche Wertungen zu berücksichtigen, durch die Artikel 4 lit. d) RL 2006/
114 /EG überlagert wird. Zu beachten ist insbesondere, dass auch kritische Werbeaussagen durch das unionsrechtliche Grundrecht auf Meinungsfreiheit geschützt werden.
315
316
317
318
Piper /Ohly/Sosnitza, 5. Aufl. 2010, § 6 UWG, Rn. 57.
Piper/Ohly/Sosnitza, 5. Aufl. 2010, § 5 UWG, Rn. 698.
Vgl. Erwägungsgrund Nr. 9 RL 2006/114 /EG.
Piper /Ohly/Sosnitza, 5. Aufl. 2010, § 6 UWG, Rn. 2.
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Prüfungsmaßstab ist insoweit Artikel 11 GRCh, der wiederum gemäß Artikel 52
Abs. 3 GRCh im Einklang mit Artikel 10 Abs. 1 EMRK auszulegen ist.319 Ein Rückgriff
auf mitgliedstaatliche Grundrechte (z.B. Artikel 5 Abs. GG) ist angesichts des Vorrangs der unionsrechtlichen Vorgaben ausgeschlossen. 320 Die Abwägung der kollidierenden Grundrechtspositionen hat anhand des Verhältnismäßigkeitsprinzips zu erfolgen. Ein Werbevergleich ist danach nur dann unzulässig i.S.v. Artikel 4 lit. d) RL
2006/114 /EG, wenn er den Ruf des Mitbewerbers stärker beeinträchtigt als zur Durchführung des Vergleichs erforderlich. 321
bb) Verbot der Rufausnutzung
Artikel 4 lit. f) RL 2006/114 /EG formuliert eine Grenze für anlehnende Werbevergleiche und verlangt, dass die vergleichende Werbung den Ruf einer Marke, eines
Handelsnamens oder anderer Unterscheidungszeichen eines Mitbewerbers oder der
Ursprungsbezeichnung von Konkurrenzerzeugnissen nicht in unlauterer Weise ausnutzt.
Eine Rufausnutzung setzt nach der Rechtsprechung des EuGH voraus, dass die angesprochenen Verkehrskreise den Ruf, der den Erzeugnissen des Mitbewerbers anhaftet, auf die Produkte des Werbenden übertragen („Imagetransfer“).322 Zu berücksichtigen ist dabei, dass die Wahrscheinlichkeit eines solchen Imagetransfers je nach
Adressatenkreis der Werbung unterschiedlich ausfällt. Bei Werbung, die sich an
Fachkreise richtet, dürfte sie geringer sein als bei Werbung, die für Endverbraucher
bestimmt ist.323
Wie der Wortlaut von Artikel 4 lit. f) hervorhebt, verbietet die Vorschrift nicht
jede Form der Rufausnutzung. Das Verbot greift lediglich dann, wenn die Rufausnutzung „in unlauterer Weise“ erfolgt. Die bloße Nennung eines fremden Kennzeichens
genügt dafür nicht.324 Es müssen vielmehr weitergehende Umstände hinzutreten, die
den Vorwurf der Unlauterkeit begründen. 325 Nicht erforderlich ist dafür, wie der EuGH
jüngst in der Entscheidung L’Oréal/Bellure klargestellt hat, das Hervorrufen einer
319
320
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322
323
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325
Zur Bedeutung der EU-Grundrechte im Rahmen der richtlinienkonformen Auslegung siehe
EuGH, 29.1.2008, C-275/06, Slg. I-271, Rn. 68 – Promusicae; näher dazu Busch, DRiZ
2010, 63.
Vgl. Köhler/Bornkamm, 28. Aufl. 2010, § 6 UWG, Rn. 173, der nicht auf die GRCh abstellt,
sondern direkt auf Art. 10 EMRK.
Piper /Ohly/Sosnitza, 5. Aufl. 2010, § 6 UWG, Rn. 68; siehe auch Sack, in: Harte-Bavendamm/Henning-Bodewig, 2. Aufl. 2009, § 6 UWG, Rn. 11.
EuGH, 25.10.2001, Rs. C-112/99, Slg. I-7945, Rn. 57 – Toshiba/Katun; EuGH, 23.2.2006, Rs.
C-59/05, Slg. I-2149, Rn. 18 – Siemens / VIPA.
EuGH, 23.2.2006, Rs. C-59/05, Slg. I-2149, Rn. 19 – Siemens / VIPA.
EuGH, 25.10.2001, Rs. C-112/99, Slg. I-7945, Rn. 34, 53 – Toshiba/Katun; EuGH, 8.4.2003,
Rs. C-44/01, Slg. I-3095, Rz. 50 f. – Pippig Augenoptik; EuGH, 23.2.2006, Rs. C-59/05, Slg. I2149, Rn. 14 f. – Siemens / VIPA.
Dazu näher Koos, in: Fezer, 2. Aufl. 2010, § 6 UWG, Rn. 212 ff.; Köhler/Bornkamm, 28. Aufl.
2010, § 6 UWG, Rn. 154 ff.
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VIII. Vergleichende Werbung
Verwechslungsgefahr i.S.v. Art. 4 lit. h) RL 2006/114 /EG.326 Das Verbot der Rufausnutzung lässt sich daher nicht dadurch umgehen, dass der Hersteller einer Produktnachahmung seine Marke deutlich sichtbar auf dem Imitat anbringt.327 Im Gegenteil:
Nach Ansicht des EuGH liegt eine unlautere Rufausnutzung stets vor, wenn das beworbene Produkt als Imitation eines fremden Markenprodukts dargestellt wird und
damit zugleich ein Fall des Art. 4 lit. g) RL 2006/114 vorliegt. 328 Artikel 4 lit. g) regelt
nach Auffassung des EuGH somit einen Spezialfall329 der Rufausnutzung und ist damit
neben Artikel 4 lit. f) letztlich überflüssig.330
cc) Schutz von Waren mit Ursprungsbezeichnung
Einen besonderen und rechtspolitisch zweifelhaften Schutz vor Rufausnutzung gewährt Artikel 4 lit. e) RL 2006/114 /EG. 331 Während Artikel 4 lit. b) lediglich verlangt, dass die verglichenen Produkte substituierbar sind, zieht Artikel 4 lit. e) Werbevergleichen mit Waren, die über eine Ursprungsbezeichnung verfügen, engere Grenzen.332 Zulässig ist hier ist nur ein Vergleich mit Waren mit der gleichen Bezeichnung
(sog. „Champagner-Klausel“333). In der Entscheidung de Landtsheer hat der EuGH
den Regelungsgehalt dieser protektionistischen Bestimmung deutlich eingeschränkt. 334
dd) Verbot der Imitationswerbung
Nach Artikel 4 lit. g) RL 2006/114 /EG (sog. „Parfum-Klausel“335) darf die vergleichende Werbung eine Ware oder eine Dienstleistung nicht als Imitation oder Nachahmung einer Ware oder Dienstleistung mit geschützter Marke oder geschütztem Handelsnamen darstellen. Dieses Verbot der Imitationswerbung wird von dem Gedanken
getragen, dass das Informationsinteresse der Verbraucher hinter den Interessen des
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EuGH,18.6.2009, Rs. C-487/07, Slg. I-5185, Rn. 50, 77 – L’Oréal/Bellure.
So aber Scherer, WRP 2009, 1446, 1452.
EuGH, 18.6.2009, Rs. C-487/07, Slg. I-5185, Rn. 78 ff. – L’Oreal/Bellure.
Piper /Ohly/Sosnitza, 5. Aufl. 2010, § 6 UWG, Rn. 69.
So auch Alexander, GRUR 2010, 482, 486.
Siehe Köhler, WRP 2008, 414, 420 zum rechtspolitischen Hintergrund der Vorschrift.
Zur mangelnden Umsetzung von Artikel 4 lit. e) im deutschen Recht siehe Busch, in: Gebauer/Wiedmann, 2. Aufl., Kap. 25 Rn. 179; siehe ferner Plaß, NJW 2000, 3161, 3169; Sack,
WRP 2001, 327, 348 f.; ders., WRP 2008, 301, 303.
Der Anwendungsbereich dieser Vorschrift überschneidet sich teilweise mit Art. 13 VO 510/
2006 /EG der jedoch lediglich für Agrarerzeugnisse und Lebensmittel gilt und nur eingetragene
Ursprungsbezeichnungen schützt; vgl. Sack, WRP 2001, 327, 348 (zu VO 2081/92 / EWG).
EuGH, 19.4.2007, C-381/05, Slg. I-3115, Rn. 57 ff., 63 – de Landtsheer. Eine extensive Auslegung von Art. 4 lit. e) würde auch die Bedeutung Art. 4 lit. f) aushöhlen, der lediglich die
unlautere Ausnutzung einer Ursprungsbezeichnung verbietet, vgl. EuGH, a.a.O., Rn. 64 ff.
Zur Entstehungsgeschichte dieser Vorschrift näher Sack, WRP 2001, 327, 347 f.
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Lauterkeitsrecht in Europa: Acquis communautaire
Originalherstellers zurückstehen muss, wenn der Werbevergleich allein dazu dient, die
Kopie auf Kosten des Originals bekannt zu machen. 336 In der Entscheidung L’Oréal/
Bellure hat der EuGH jüngst zur Auslegung von Artikel 4 lit. g) Stellung genommen
und die dort gezogene Grenze für Werbevergleiche in mehrfacher Hinsicht präzisiert.
Der EuGH hat zunächst klargestellt, dass Artikel 4 lit. g) nicht nur für gefälschte
Waren gilt, sondern für „alle Imitationen und Nachahmungen“.337 Nimmt man diese
Formulierung beim Wort, so erfasst das Werbeverbot auch Fälle, in denen eine Nachahmung rechtlich gestattet ist (z.B. Werbung für zugelassene Generika). Ob eine derartige Ausdehnung des Immaterialgüterschutzes „durch die Hintertür“ gerechtfertigt
ist und den strengen Anforderungen an eine Einschränkung der von Artikel 11 GRCh
geschützten Werbefreiheit („freedom of commercial speech“) genügt, ist zweifelhaft. 338
Ferner hat der EuGH betont, dass Artikel 4 lit. g) weder eine Irreführung noch das
Hervorrufen einer Verwechslungsgefahr voraussetzt. 339 Ausreichend ist die (unlautere)
Ausnutzung der Anziehungskraft, die von dem Markenprodukt ausgeht. Diese Überlegung unterstreicht, dass es sich bei Artikel 4 lit. g) nach Auffassung des EuGH um
einen Spezialfall der von Artikel 4 lit. f) verbotenen Rufausnutzung handelt.340
Der Fall L’Oréal/Bellure zeigt schließlich, dass der EuGH die in Artikel 4 lit. g)
markierte Verbotsschwelle sehr niedrig ansetzt: Nach Auffassung des Gerichts, verbietet die Vorschrift nicht nur offene Imitationswerbung. Erfasst werden auch solche Werbebotschaften, die implizit den Gedanken an eine Imitation zu vermitteln. 341 Ausreichen soll es sogar, dass die Werbung lediglich auf die Nachahmung eines wesentlichen
Produktmerkmals (z.B. den Duft eines Parfums) hinweist.342
IX.Aggressive Geschäftspraktiken
Literatur: Abbamonte, The Unfair Commercial Practices Directive and its General Prohibition,
in: Weatherill/Bernitz, The Regulation of Unfair Commercial Practices under EC Directive 2005/
29 /EC, Oxford 2007, S.11 ff.; Apostolopoulos, Neuere Entwicklungen im europäischen Lauterkeitsrecht: Problematische Aspekte und Vorschläge, WRP 2004, 841; Brömmelmeyer, E-Mail-Werbung
nach der UWG-Reform, GRUR 2006, 285; Gamerith, Der Richtlinienvorschlag über unlautere Geschäftspraktiken – Möglichkeiten einer harmonischen Umsetzung, WRP 2005, 391; Hecker, Die
Richtlinie über unlautere Geschäftspraktiken: Einige Gedanken zu den „aggressiven Geschäftspraktiken“ – Umsetzung in das deutsche Recht, WRP 2006, 640; Henning-Bodewig, Richtlinienvorschlag über unlautere Geschäftspraktiken und UWG-Reform, GRUR Int. 2004, 183; Howells, Aggressive Commercial Practices, in: Howells/Micklitz/Wilhelmsson, European Fair Trading Law,
Aldershot 2006, S. 167-194; Keßler/Micklitz, Das neue UWG – auf halbem Wege nach Europa?,
336
337
338
339
340
341
342
So treffend Alexander, GRUR 2010, 482, 486.
EuGH, 18.6.2009, Rs. C-487/07, Slg. I-5185, Rn. 73 – L’Oreal/Bellure.
Kritisch auch Piper /Ohly/Sosnitza, 5. Aufl. 2010, § 6 UWG, Rn. 70, der einen Verstoß gegen
Art. 10 EMRK annimmt.
EuGH, a.a.O., Rn. 74.
Siehe dazu oben VIII.3.d) bb).
EuGH, a.a.O., Rn. 75; kritisch dazu Köhler/Bornkamm, 28. Aufl. 2010, § 6 UWG, Rn. 189.
EuGH, a.a.O., Rn. 76; krititsch hierzu Piper /Ohly/Sosnitza, 5. Aufl. 2010, § 6 UWG, Rn. 70.
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IX. Aggressive Geschäftspraktiken
VuR 2009, 88; Köhler, Vom deutschen zum europäischen Lauterkeitsrecht – Folgen der Richtlinie
über unlautere Geschäftspraktiken für die Praxis, NJW 2008, 3032 f.; ders., Die Unlauterkeitstatbestände des § 4 UWG und ihre Auslegung im Lichte der Richtlinie über unlautere Geschäftspraktiken, GRUR 2008, 841; ders., Die UWG-Novelle 2008, WRP 2009, 109, 113; ders., Ist der Unlauterkeitstatbestand des § 4 Nr. 6 UWG mit der Richtlinie über unlautere Geschäftspraktiken vereinbar?,
GRUR 2009, 626; Leistner/Pothmann, E-Mail-Direktmarketing im neuen europäischen Recht und in
der UWG-Reform, WRP 2003, 815; Mankowski, Wer ist ein „Kind“? – Zum Begriff des Kindes in der
deutschen und der europäischen black list, WRP 2007, 1398; ders., Scheibenwischerwerbung und
andere belästigende Werbung an Auto und Fahrrad, GRUR 2010, 578; Scherer, Kinder als Konsumenten und Kaufmotivatoren, WRP 2008, 430; dies., „Case law“ in Gesetzesform – Die „Schwarze Liste“ als neuer UWG-Anhang, NJW 2009, 324; Schöttle, Die Schwarze Liste – Übersicht über die
neuen Spezialtatbestände des Anhangs zu § 3 Abs. 3 UWG, WRP 2009, 673; Sosnitza, Der Gesetzentwurf zur Umsetzung der Richtlinie über unlautere Geschäftspraktiken, WRP 2008, 1014; Steinbeck, Die Zukunft der aggressiven Geschäftspraktiken, WRP 2008, 865; Stuyck/Terryn/van Dyck,
Confidence through Fairness? The New Directive on Unfair Business-to-Consumer Commercial
Practices in the Internal Market, CMLRev 2006, 107; Veelken, Kundenfang gegenüber dem Verbraucher, WRP 2004, 1; Wasse, Endlich: Unzulässigkeit der Scheibenwischerwerbung nach dem UWG,
WRP 2010, 191.
Während sich die RL 84/450 / EWG auf die Bekämpfung irreführender Werbung beschränkte, wurde durch die UGP-RL erstmals zusätzlich ein Verbot aggressiver Geschäftspraktiken auf unionsrechtlicher Ebene eingeführt (Art. 8 UGP-RL). 343 Der europäische Gesetzgeber reagiert damit auf die fortschreitende Liberalisierung des Lauterkeitsrechts, die nach Ansicht einiger Beobachter, ein gewisses „Aggressivitätspotenzial“ in der Werbung freigesetzt hat. 344 Ergänzt wird diese allgemeine Regelung
durch eine Reihe sektorspezifischer Regelungen, die sich gegen einzelne aggressive
Geschäftspraktiken richten, insbesondere bestimmte Formen der unerwünschten Direktwerbung.
1. Richtlinie über unlautere Geschäftspraktiken
a) Begriff der aggressiven Geschäftspraxis
Nach Artikel 8 UGP-RL gilt eine Geschäftspraxis als aggressiv, wenn sie geeignet ist,
die Entscheidungsfreiheit des Durchschnittsverbrauchers durch Belästigung, Nötigung
oder eine andere Form der unzulässigen Beeinflussung erheblich zu beeinträchtigen
und dadurch die geschäftlichen Entscheidungen des Verbrauchers zu beeinflussen. Erforderlich sind danach drei Elemente:345 (1) eine Belästigung, Nötigung oder unzulässige Einflussnahme, (2) die Eignung zur erheblichen Beeinträchtigung der Entscheidungs- oder Verhaltensfreiheit des Verbrauchers und (3) die Eignung zur Beeinflussung
einer geschäftlichen Entscheidung.
343
344
345
Dazu näher Hecker, WRP 2006, 640-647 und Steinbeck, WRP 2008, 865-870.
So etwa Micklitz, in: Dauses, H.V.5, Rn. 550.
Micklitz, in: Dauses, H.V.5, Rn. 552.
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Lauterkeitsrecht in Europa: Acquis communautaire
Artikel 8 UGP-RL benennt als unzulässige Mittel der Einflussnahme drei Formen
aggressiver Praktiken: Belästigung, Nötigung, und unzulässige Beeinflussung.346 Lediglich für den letztgenannten Begriff, der bei englischen Juristen eher vertragsrechtliche Assoziationen wecken dürfte (undue influence)347 und der als Auffangtatbestand
konzipiert ist,348 findet sich eine Legaldefinition in Artikel 2 lit. j) UGP-RL. Als unzulässige Beeinflussung gilt danach „die Ausnutzung einer Machtposition gegenüber
dem Verbraucher zur Ausübung von Druck, auch ohne die Anwendung oder Androhung von körperlicher Gewalt, in einer Weise, die die Fähigkeit des Verbrauchers zu
einer informierten Entscheidung wesentlich einschränkt“.349
Auslegungsschwierigkeiten bereitet insbesondere der Begriff der „Machtposition“
in Artikel 2 lit. j) UGP-RL. Im Interesse eines wirksamen Verbraucherschutzes ist eine
weite Auslegung dieses Begriffes vorzugswürdig. 350 Daher können auch strukturelle
und situationsbedingte Ungleichgewichtslagen, die den wirksamen Gebrauch der Privatautonomie gefährden, eine „Machtposition“ im Sinne von Artikel 2 lit. j) UGP-RL
begründen.351 Mit anderen Worten: Artikel 8 UGP-RL schützt den Verbraucher davor,
dass der Gewerbetreibende eine Überlegenheit wirtschaftlicher, intellektueller oder
physischer Art zu einer unzulässigen Beeinflussung ausnutzt. 352 Letztlich geht es darum, die Möglichkeit einer rationalen und interessengerechten Nachfrageentscheidung zu sichern.
Durch den Einsatz der in Artikel 8 UGP-RL genannten Einflussmittel muss der
Durchschnittsverbraucher tatsächlich oder voraussichtlich in seiner Entscheidungsfreiheit erheblich beeinträchtigt werden. Da jede Werbung per Definition auf Beeinflussung zielt und ihr damit stets ein gewisses Maß an „Aggressivität“ (in einem ganz
neutralen Sinne) immanent ist, stellt sich die schwierige Frage, wo die Grenzlinie zwischen der erlaubten und der verbotenen Einflussnahme gezogen werden muss. Eine
Orientierungshilfe bietet das unionsrechtliche Verhältnismäßigkeitsprinzip, das eine
Abwägung zwischen den Interessen der Marktteilnehmer verlangt. Als Chiffre für diese Abwägung dient das vom EuGH entwickelte Verbraucherleitbild, auf das Erwägungsgrund Nr. 18 UGP-RL Bezug nimmt. Dieses Leitbild geht von einem Verbraucher
aus, der nicht nur „angemessen gut unterrichtet“, sondern auch „angemessen aufmerk346
347
348
349
350
351
352
Näher zu diesen drei Begriffen Köhler/Bornkamm, 28. Aufl. 2010, § 4 UWG, Rn. 1.2c ff.
Vgl. Howells, in: Howells/Micklitz/Wilhelmsson, European Fair Trading Law, 2006,
S. 167 ff., 171.
So Micklitz, in: Dauses, H.V.5, Rn. 558; Apostolopoulos, WRP 2004, 841, 850; Veelken, WRP
2004, 1, 26.
Misslungen erscheint dabei die Bezugnahme auf eine „informierte“ Entscheidung. Gefahren
für eine informierte Entscheidung dürften eher von irreführenden als von aggressiven Praktiken ausgehen.
Ebenso Glöckner/Hennig-Bodewig, WRP 2005, 1311, 1333; Henning-Bodewig, WRP 2006, 621,
625; Steinbeck, WRP 2008, 865, 866; Köhler/Bornkamm, 28. Aufl. 2010, § 4 UWG, Rn. 1.2g;
anders dagegen Micklitz, in: MünchKommUWG, EG H, Rn. 28, demzufolge lediglich wirtschaftliche Machtpositionen erfasst sein sollen.
Köhler/Bornkamm, 28. Aufl. 2010, § 4 UWG, Rn. 1.2g.
Vgl. auch die Regierungsbegründung zur UWG-Novelle 2008, BT-Drucksache 16/
10145, S. 13.
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IX. Aggressive Geschäftspraktiken
sam und kritisch“ und – so könnte man ergänzen – dessen Urteilsvermögen daher nicht
durch den marktüblichen Verkaufsdruck beeinträchtigt wird.353 Von einer erheblichen
Beeinträchtigung der Entscheidungsfreiheit i.S.d. Art. 8 UGP-RL kann daher nur die
Rede sein, wenn auch ein angemessen aufmerksamer und kritischer Verbraucher der
Einflussnahme erliegen würde. Bagatellfälle, wie etwa das Angebot von Getränken im
Verkaufsraum, werden daher von Artikel 8 UGP-RL nicht erfasst. 354 Zu beachten sind
allerdings die Wertungen aus Artikel 5 Abs. 3 UGP-RL, der ein abgestuftes Verbraucherleitbild zeichnet. Je nach Adressatenkreis der Geschäftspraktik sind daher an die
„Standfestigkeit“ des Verbrauchers gegenüber Beeinflussungsversuchen unterschiedliche Maßstäbe anzulegen.
Nicht auszuschließen ist, dass Artikel 8 UGP-RL in einigen Mitgliedstaaten Auswirkungen auf die Beurteilung von Werbegeschenken, aleatorischen Kaufanreizen
und Kopplungsangeboten haben könnte.355 So hat etwa der BGH in der Vergangenheit bei Kopplungsangeboten, die weder irreführend noch intransparent sind, einen
Lauterkeitsverstoß lediglich dann bejaht, wenn die Kopplung bewirkt, dass die Rationalität der Verbraucherentscheidung vollständig in den Hintergrund tritt.356 Im Vergleich dazu ist die in Artikel 8 UGP-RL markierte Erheblichkeitsschwelle niedriger
angesetzt und verlangt nicht eine völlige Ausschaltung der Rationalität auf Verbraucherseite. Ob ein unaufgefordertes Werbeschreiben, mit dem einem Verbraucher als
„goldenes Dankeschön“ eine Kreditkarte ein Jahr lang kostenlos zur Freischaltung zugeleitet wird, angesichts der erheblichen Anlockwirkung noch als Bagatellfall anzusehen ist, dürfte zweifelhaft sein. 357
Betont werden muss, dass das Verbot aggressiver Geschäftspraktiken in Artikel 8
UGP-RL kein generelles „Belästigungsverbot“ formuliert, d.h. die Vorschrift verbietet nicht belästigende Werbung als solche. 358 Erwägungsgrund Nr. 16 der UGP-RL
macht vielmehr deutlich, dass sich das Verbot aggressiver Geschäftspraktiken nur gegen solchen Praktiken richtet, welche die „Wahlfreiheit“ des Verbrauchers wesentlich
beeinträchtigen. Geschützt wird der Verbraucher also lediglich in seiner Eigenschaft
als Marktteilnehmer.359 Verboten sind nach Artikel 8 UGP-RL daher nur solche Praktiken, die eine gewisse geschäftliche Relevanz aufweisen. Einen Schutz der Privat-
353
354
355
356
357
358
359
Erwägungsgrund Nr. 18 S. 2 UGP-RL.
Abbamonte, in: Weatherill/Bernitz, The Regulation of Unfair Commercial Practices under
EC Directive 2005/29 /EC, Oxford 2007, S. 23 f.; Steinbeck, WRP 2008, 865, 866.
Nach Köhler, GRUR 2010, 170, 182 fallen Kopplungsangebote dagegen i.d.R. nicht unter
Art. 8 UGP-RL, sondern sind an Art. 5 UGP-RL zu messen.
BGH GRUR 2003, 890, 891 – Buchclub-Kopplungsangebot; BGH GRUR 2004, 343 – Playstation; BGH GRUR 2006, 161 – Zeitschrift mit Sonnenbrille.
Anders dagegen OLG Köln, GRUR-RR 2010, 305 (Revision beim BGH anhängig unter Az. I
ZR 167/09).
Vgl. Piper /Ohly/Sosnitza, UWG, 5. Aufl. 2010, UWG, Einf C, Rn. 56.
Piper /Ohly/Sosnitza, UWG, 5. Aufl. 2010, Einf C Rn. 56. Diese Einschränkung des Belästigungsschutzes kommt auch in Anhang I der UGP-RL zum Ausdruck, der bestimmte Formen
der belästigenden Werbung nur dann verbietet, wenn sie geeignet sind, die Entscheidungsfreiheit des Verbrauchers zu beeinträchtigen (vgl. Nr. 25, 26, 29).
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sphäre unabhängig vom Marktbezug gewährleisten dagegen andere unionsrechtliche
Vorschriften (z.B. Artikel 13 RL 2002/58/EG).360
Den Mitgliedstaaten steht es allerdings frei, auch andere Praktiken zu untersagen,
die „nur“ belästigend sind, ohne zugleich die Wahlfreiheit der Verbraucher zu gefährden. Dies unterstreicht Erwägungsgrund Nr. 7 UGP-RL (sog. „Kulturklausel“). Danach bezieht sich die Richtlinie nicht auf die gesetzlichen Anforderungen in Fragen
der guten Sitten und des Anstands (taste and decency, bon goût et bienséance).361 Die hier
bestehenden teilweise ganz erheblichen Unterschiede zwischen den Mitgliedstaaten
sollen nicht nivelliert werden. Den Mitgliedstaaten steht es daher nach wie vor frei,
solche Praktiken zu verbieten, die aus „kulturellen Gründen“ unterwünscht sind. 362
Darunter dürften neben dem in Erwägungsgrund Nr. 7 S. 4 UGP-RL ausdrücklich genannten Ansprechen von Personen auf der Straße zu Verkaufszwecken auch die sog.
„Scheibenwischerwerbung“363 oder die Werbung auf Friedhöfen364 zählen.
Zu beachten ist ferner, dass Artikel 8 UGP-RL nicht nur für das Vorfeld eines Vertragsschlusses gilt, sondern – entsprechend der weiten Definition des Begriffs der „geschäftlichen Entscheidung“ in Artikel 2 lit. k) UGP-RL – auch aggressive Praktiken
bei und nach Vertragsschluss verbietet. Dies zeigt auch der Blick auf die Per-se-Verbote in Anhang I der UGP-RL. So ist etwa nach Nr. 27 der Black List der Einsatz von
Schikanen, mit denen ein Unternehmer einen Verbraucher etwa daran hindert, Gewährleistungsansprüche geltend zu machen, unter allen Umständen als unlauter anzusehen. 365
b) Beurteilungskriterien
Ergänzt wird Art. 8 UGP-RL durch einen Katalog quantitativer und qualitativer Kriterien, die zur Konkretisierung der Fallgruppen dienen (Art. 9 UGP-RL).366 Diese Aus360
361
362
363
364
365
366
Dazu näher IX.2.
Erwägungsgrund Nr. 7 S. 3 UGP-RL.
Erwägungsgrund Nr. 7 S. 4 UGP-RL.
Näher zur wettbewerbsrechtlichen Beurteilung der „Scheibenwischerwerbung“, Wasse, WRP
2010, 161; Mankowski, GRUR 2010, 578.
Vgl. dazu OLG München WRP 2008, 380, 382 – Friedhofswerbung; OLG München GRUR-RR
2003, 117 – Grabaushubcontainer; siehe auch Schulte-Nölke/Busch, European Parliament
Briefing Paper on the Transposition and Enforcement of the Directive on Unfair Commercial
Practices (2005/29 /EC) and the Directive concerning misleading and comparative advertising (2006/114 /EC), im Internet veröffentlicht: http://www.europarl.europa.eu/activities/
committees/studies/download.do?file=23131.
Köhler, GRUR 2008, 841, 844; ders., WRP 2009, 109, 113; vgl. die weiteren Beispiele im
Commission Staff Working Document, SEC (2009) 1666, S. 7 f.
Anders Hecker, WRP 2006, 640, 641, demzufolge Art. 9 der Richtlinie 2005/29 /EG entgegen
seinem Wortlaut nicht zur Konkretisierung der Begriffe „Belästigung“, „Nötigung“ und „unzulässige Beeinträchtigung“ dienen soll, sondern zur Auslegung des Tatbestandsmerkmals der
„Erheblichkeit“ einer Beeinträchtigung i.S.d. Art. 8 der Richtlinie 2005/29/EG heranziehen
will.
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IX. Aggressive Geschäftspraktiken
legungshilfe ist notwendig, da das Konzept der aggressiven Geschäftspraktiken stärker
kulturell geprägt als dasjenige der irreführende Praktiken und daher eine erhöhte Gefahr besteht, dass die mitgliedstaatlichen Gerichte unterschiedliche Auslegungswege
einschlagen. Hinzu kommt, dass es sich bei dem Begriff der aggressiven Praktiken um
einen Kunstbegriff handelt, der bislang im Recht der Mitgliedstaaten kaum verankert
ist.367
Der Katalog des Art. 9 UGP-RL führt vor Augen, dass das Konzept der aggressiven
Praktiken eine sehr heterogene Fallgruppe umfasst. Während Art. 9 lit. a) UGP-RL
einen recht allgemein gefassten Hinweis auf „Zeitpunkt, Ort, Art oder Dauer“ der Einflussnahme enthält, spricht Artikel 9 lit. c) UGP-RL mit dem Verweis auf „konkrete
Unglückssituationen“ eine sehr spezifische Fallgruppe an (z.B. Werbung am Unfallort).368
c) Black List
Anhang I der UGP-RL (sog. Black List) enthält in Nr. 24 bis 31 einen Katalog aggressiver Geschäftspraktiken, die unter allen Umständen als unlauter anzusehen sind. Diese Per-se-Verbote bedürfen keiner Ausfüllung durch Artikel 8 und 9 UGP-RL und auch
keines Rückgriffs auf die Elemente der Generalklausel. 369 Daher findet hier auch die
allgemeine Bagatellklausel (Artikel 5 Abs. 2 lit. b UGP-RL) keine Anwendung. 370
Einschränkungen der Per-se-Verbote können sich nur in sehr eng umgrenzten Ausnahmefällen aus dem unionsrechtlichen Verhältnismäßigkeitsprinzip, ergeben, auf das Erwägungsgrund Nr. 18 verweist.371 Die Black List ist insoweit durch primärrechtliche
Vorgaben des Unionsrechts überlagert, die von den mitgliedstaatlichen Gerichten
im Rahmen der richtlinienkonformen Auslegung der jeweiligen Umsetzungsgesetze
zu beachten sind. So sind die Gerichte der Mitgliedstaaten nicht nur gehalten ihr nationales Recht im Einklang mit den einschlägigen Richtlinien auszulegen, sondern
auch darauf zu achten, dass sie sich nicht auf eine Auslegung dieser Richtlinien stützen, die mit EU-Grundrechten oder anderen allgemeinen Grundsätzen des Gemeinschaftsrechts, wie etwa dem Grundsatz der Verhältnismäßigkeit, kollidiert.372
Die einzelnen Tatbestände der zu Recht als „case law in Gesetzesform“373 kritisierten Black List werfen eine Vielzahl von Einzelfragen auf, die hier nicht im Detail er367
368
369
370
371
372
373
Vgl. Howells, in: Howells/Micklitz/Wilhelmsson, European Fair Trading Law, 2006,
S. 167 ff., 169.
Siehe dazu BGH GRUR 2000, 235 – Werbung am Unfallort IV; Köhler/Bornkamm, 28. Aufl.
2010, § 4 UWG Rn. 2.60.
Micklitz, in: Dauses, H.V. Rn. 561; Apostolopoulos, WRP 2004, 841, 849.
Gamerith, WRP 2005, 391, 415; Henning-Bodewig, GRUR Int. 2004, 183, 191; a.A. Piper /
Ohly/Sosnitza, UWG, 5. Aufl. 2010, Einf C, Rn. 53.
Vgl. BT-Drucksache 16/10145, S. 30; kritisch dazu Sosnitza, WRP 2008, 1014, 1021.
Siehe EuGH, 29.1.2008, GRUR 2008, 241 (Rz. 68) – Promusicae. Die Konkretisierung dieser
Schranken obliegt dabei wiederum im Zweifelsfall dem EuGH, vgl. Keßler/Micklitz, VuR
2009, 88, 91.
So treffend Scherer, NJW 2009, 324.
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läutert werden können. 374 Eine Reihe diffiziler Auslegungsfragen ergeben sich u.a.
durch etliche unbestimmte Rechtsbegriffe innerhalb der Black List („hinreichende
Gründe“, „angemessen“, „innerhalb einer vertretbaren Zeit“, „demnächst“, „unvermeidbar“ etc.).375
Um einen Eindruck der auftretenden Auslegungsschwierigen zu vermitteln, soll
hier lediglich exemplarisch Nr. 28 des Anhangs herausgegriffen werden, der unmittelbar an Kinder gerichtete Kaufappelle verbietet. 376 Unklar ist dabei u.a. die Bedeutung
des Begriffs „Kinder“ (children, enfants, bambini). Fest steht lediglich, dass dieser Begriff
nicht unter Rückgriff auf nationale Definitionen (z.B. § 1 Abs. 1 Nr. 1 JSchG) ausgefüllt werden kann, sondern einer autonomen unionsrechtlichen Auslegung bedarf. 377
In Betracht kommen im Wesentlichen zwei Möglichkeiten: Der Begriff könnte einerseits Personen bis zur Vollendung des 14. Lebensjahrs bezeichnen. 378 Andererseits
könnte er als Gegenbegriff zum Begriff des „Erwachsenen“ verstanden werden mit
der Folge, dass auch die Altersgruppe zwischen dem 14. und 18. Lebensjahr erfasst
würde.379 Für beide Lesarten lassen sich Argumente im acquis communautaire finden.
Für eine enge Auslegung des Begriffs „Kinder“ spricht ein Vergleich mit Artikel 16 der
Fernsehrichtlinie 89/552 / EWG (jetzt Artikel 3e Abs. lit g RL 2007/65/EG), auf den
Nr. 28 der Black List verweist. Diese Vorschrift verwendet als Gegenbegriff zum Erwachsenen den Begriff der „Minderjährigen“ (minors, mineurs, minori). Für eine weite
Auslegung spricht dagegen Artikel 24 GRCh. Die dort genannten „Rechte der Kinder“
gelten nach allgemeiner Auffassung für alle Personen bis zur Vollendung des 18. Lebensjahrs.380 Das im Dezember 2009 veröffentlichte „Commission Staff Working Document“ bringt ebenfalls keine Klärung, sondern trägt eher zur begrifflichen Verwirrung bei, indem es zusätzlich den Begriff „Teenager“ in die Diskussion wirft.381 Letzte
Klarheit kann hier nur der EuGH schaffen.
374
375
376
377
378
379
380
381
Für eine detaillierte Kommentierung siehe Köhler/Bornkamm, 28. Aufl. 2010, Anh. zu § 3 III
UWG; Scherer, NJW 2009, 324 ff.; Schöttle, WRP 2009, 673 ff. Das Commission Staff Working
Document vom 3.12.2009, SEC (2009) 1666, enthält ebenfalls nähere Erläuterungen zu Nr. 9,
17, 20 Anh I UGP-RL.
Kritisch auch Stuyck/Terryn/van Dyck, CMLRev 2006, 107, 131 f.
Aus österreichischer Sicht dazu OGH ÖBl. 2009, 33 mit Anm. Rungg/Albiez.
Statt aller Köhler/Bornkamm, 28. Aufl. 2010, Anhang zu § 3 Abs. 3 UWG, Rn. 28.5.
So Köhler, NJW 2008, 3032 f.; Scherer, WRP 2008, 430 ff.; dies., in: Fezer, 2. Aufl. 2010, Anh
UWG Nr. 28, Rn. 9.
So Mankowski, WRP 2007, 1398, 1403 ff.
Siehe nur Kingreen, in: Calliess/Ruffert, EUV/ EGV, 3. Aufl. 2007, Art. 24 GRCh, Rn. 2 und
Hölscheidt, in: Meyer, Kommentar zur Charta der Grundrechte der Europäischen Union,
2. Aufl. 2006, Art. 24 GRCh, Rn. 16.
Commission Staff Working Document vom 3.12.2009: „Guidance on the Implementation/
Application of Directive 2005/29 /EC on Unfair Commercial Practices“, SEC (2009)
1666; S. 30.
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IX. Aggressive Geschäftspraktiken
2. Sektorspezifische Regelungen
Das allgemeine Verbot aggressiver Geschäftspraktiken der UGP-RL wird ergänzt durch
eine Reihe sektorspezifischer Vorschriften, die teilweise sehr punktuelle Regelungen
treffen. Ein Beispiel sind etwa Artikel 3 Abs. 7 RL 2009/72 /EG und Artikel 3 Abs. 3
RL 2009/73/EG i.V.m. Nr. 1 lit. e) Annex I der jeweiligen RL, die sicherstellen sollen,
dass Elektrizitäts- und Erdgaskunden nicht durch Schikanen von einem Anbieterwechsel abgehalten werden. Den gleichen Zweck verfolgt Artikel 30 RL 2002/22 /
EG (zuletzt geändert durch RL 2009/136 /EG), der den Wechsel des Telefonanbieters
erleichtern soll (u.a. durch einfache und kostengünstige Übertragbarkeit der Rufnummer im Falle des Anbieterwechsels). 382
Hinzu kommen eine Reihe von Sekundärrechtsakten, die den werblichen Einsatz
bestimmter Fernkommunikationsmittel reglementieren. Von Bedeutung sind hier
insbesondere die Fernabsatzrichtlinie 1997/7/EG, die E-Commerce-Richtlinie 2000/
31/EG, die Datenschutzrichtlinie für elektronische Kommunikation 2002/58 /EG, die
Fernabsatzrichtlinie für Finanzdienstleistungen 2002/65/EG sowie die UGP-RL 2005/
29 /EG. 383 Der Zugang zu diesem Regelungsgefüge wird dadurch erschwert, dass die
einzelnen Richtlinien jeweils nur einen Teil des Marktgeschehens regeln, sowohl in
Bezug auf die erfassten Kommunikationsmittel als auch den umfassten Personenkreis. 384 Als Orientierungshilfe dient eine Aufteilung in solche Regelungen die den
Verkehr zwischen Unternehmern und Verbrauchern („B2C“) betreffen, und solchen,
die für den unternehmerischen Verkehr („B2B“) gelten. Innerhalb dieser beiden Kategorien sind wiederum weitere Differenzierungen je nach Kommunikationsmedium
erforderlich.
a) B2C-Verkehr
Für Werbung per Postversand sieht Artikel 10 Abs. 2 der Fernabsatzrichtlinie (1997/
7/EG) einen Widerspruchsvorbehalt (opt-out) vor. Verbraucherwerbung mittels
adressierter Briefe oder Postwurfsendungen ist daher nur zulässig, wenn der Verbraucher diese nicht offenkundig abgelehnt hat (z.B. durch einen Aufkleber am Hausbriefkasten). Zu beachten ist allerdings, dass die Fernabsatzrichtlinie lediglich einen Mindeststandard festlegt. Unionsrechtlich zulässig ist demnach auch ein Einwilligungsvor-
382
383
384
Zum Verhältnis von RL 2002/22 /EG zu RL 2005/29 /EG siehe EuGH, 11.3.2010, C-522/08,
EuZW 2010, 305 – Telekomunikacja Polska.
Dazu ausführlich Micklitz, in: MünchKommUWG, § 7 UWG, EG I, Rn. 1 ff.; siehe auch Leible,
in: MünchKommUWG, § 7 UWG, Rn. 25-42; Piper/Ohly/Sosnitza, 5. Aufl. 2010, § 7 UWG,
Rn. 7-14.
Während RL 1997/7/EG, RL 2002/65/EG und RL 2005/29 /EG nur für den B2C-Verkehr
gelten, gelten die RL 2000/31/EG und die RL 2002/58 /EG auch für den B2B-Verkehr. Ein
Teil der Vorgaben der RL 2002/58 /EG gilt allerdings nur für natürliche Personen, vgl.
Rn. 185, 188.
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behalt (opt-in), so dass die Mitgliedstaaten hier im Ergebnis über ein Wahlrecht zwischen opt-in und opt-out verfügen. 385
Für den Bereich der Telefonwerbung sieht das Unionsrecht eine differenzierte Regulierung vor. Der Einsatz von Anrufautomaten (Voice Mail)386 und Telefax387 ist nur
bei vorheriger Einwilligung des Verbrauchers erlaubt (opt-in). In Bezug auf andere
Formen der Telefonwerbung gegenüber Verbrauchern haben Mitgliedstaaten dagegen
ein Wahlrecht zwischen opt-in und opt-out.388
Strenge Vorgaben gelten für Werbung mittels elektronischer Post (E-Mail, SMS,
MMS etc.).389 Während die RL 1997/7/EG und die RL 2002/65/EG den Mitgliedstaaten auch hier ein Wahlrecht zwischen opt-in und opt-out einräumen,390 bestimmt die
vorrangige391 Regelung in Artikel 13 Abs. 1 RL 2002/58 /EG, dass die Verwendung
elektronischer Post für Zwecke der Direktwerbung gegenüber natürlichen Personen
(unabhängig von ihrer Verbrauchereigenschaft) nur bei vorheriger Einwilligung gestattet ist. Eine Ausnahme von diesem opt-in-Grundsatz gilt für bestehende Kundenbeziehungen.392 In jeden Fall untersagt ist der Versand elektronischer Nachrichten zu
Zwecken der Direktwerbung, bei der die Identität des Absenders, in dessen Auftrag die
Nachricht übermittelt wird, verschleiert oder verheimlicht wird oder bei der keine
gültige Adresse vorhanden ist, an die der Empfänger eine Aufforderung zur Einstellung solcher Nachrichten richten kann.393 Ein Transparenzgebot für nicht angeforderte kommerzielle Kommunikation mittels elektronischer Post formuliert auch die
E-Commerce-Richtlinie (2000/31/EG).394
Die genannten Regeln werden ergänzt durch Nr. 26 Anhang I UGP-RL. Danach
gilt das hartnäckige und unerwünschte Ansprechen des Verbrauchers über Telefon,
Fax, E-Mail oder andere Fernkommunikationsmittel in jedem Fall als unlauter. Diese
Vorschrift lässt allerdings RL 2002/58/EG, der den Mitgliedstaaten strengere Regeln
gestattet, ausdrücklich unberührt.
385
386
387
388
389
390
391
392
393
394
Für Finanzdienstleistungen sieht Artikel 10 Abs. 2 RL 2002/65/EG ebenfalls ein Wahlrecht
der Mitgliedstaaten zwischen opt-in und opt-out vor.
Art. 10 Abs. 1 RL 1997/7/EG, Art. 10 Abs. 1 lit. a) RL 2002/65/EG, Art. 13 Abs. 1 RL 2002/
58 /EG; zu den Anforderungen an die Einwilligung des Verbrauchers siehe Köhler/Lettl, WRP
2003, 1019, 1025; Lettl, WRP 2004, 1079, 1122.
Art. 10 Abs. 1 RL 1997/7/EG, Art. 10 Abs. 1 lit. b) RL 2002/65/EG, Art. 13 Abs. 1 RL 2002/
58 /EG.
Art. 10 Abs. 2 RL 1997/7/EG, Art. 10 Abs. 2 RL 2002/65/EG, Art. 13 Abs. 3 RL 2002/58 /
EG.
Dazu Leistner/Pothmann, WRP 2003, 815, 818 ff.; Brömmelmeyer, GRUR 2006, 285 ff.
Art. 10 Abs. 2 RL 1997/7/EG, Art. 10 Abs. 2 RL 2002/65/EG.
Vgl. Erwägungsgrund Nr. 26 S. 2 RL 2002/65/EG.
Art. 13 Abs. 2 RL 2002/58 /EG. Dieser Kompromiss wird teilweise als „soft opt-in“ bezeichnet, vgl. Weiler, MMR 2003, 223, 227; Eckhardt, MMR 2003, 557, 558; Micklitz, in: Münch
KommUWG, EG I, Rn. 104.
Art. 13 Abs. 4 RL 2002/58 /EG.
Art. 7 Abs. 1 RL 2000/31/EG.
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X. Die Durchsetzung lauterkeitsrechtlicher Regeln
b) B2B-Verkehr
Deutlich geringer ist die Regelungsdichte im B2B-Bereich. Die oben genannten Vorschriften der Richtlinien 1997/7/EG, 2002/65/EG und der UGP-RL finden hier keine
Anwendung. Vorgaben, die auch für den unternehmerischen Verkehr gelten, enthält
insbesondere die E-Commerce-Richtlinie (2001/31/EG). Für einen Teil des B2B-Verkehrs ist auch die Datenschutzrichtlinie für elektronische Kommunikation (2002/58 /
EG) von Bedeutung. 395
Während die Mehrzahl der für das Lauterkeitsrecht relevanten Sekundärrechtsakte zwischen Regeln für den B2C-Verkehr und den B2B-Verkehr unterscheidet, folgt
die RL 2002/58 /EG einem anderen Regelungsansatz. Für die Zulässigkeit sog. „unerbetener Nachrichten“ kommt es danach darauf an, ob diese Nachrichten an natürliche Personen oder an andere Adressaten gerichtet sind. Ob der Adressat Verbraucher
ist, spielt dagegen keine Rolle. Für Adressaten, die nicht natürliche Personen sind,
macht die RL 2002/58/EG nur vage Vorgaben. 396 Artikel 13 Abs. 5 RL 2002/58/EG
verlangt lediglich, dass die Mitgliedstaaten im Rahmen des Unionsrechts und der geltenden einzelstaatlichen Rechtsvorschriften dafür Sorge tragen, „dass die berechtigten
Interessen anderer Teilnehmer als natürlicher Personen in Bezug auf unerbetene
Nachrichten ausreichend geschützt werden“.
Die Mitgliedstaaten haben daher einen weiten Gestaltungsspielraum bei der Regelung von Werbung per Telefon, Telefax oder elektronischer Post im B2B-Verkehr.
Das Unionsrecht legt hier lediglich einige Mindeststandards fest. So sind anonyme
elektronischer Werbebotschaften auch im B2B-Verkehr verboten. 397 Darüber hinaus
muss nicht angeforderte kommerzielle Kommunikation mittels elektronischer Post
klar und unzweideutig als solche erkennbar sein. 398
X. Die Durchsetzung lauterkeitsrechtlicher Regeln
Literatur: Alexander, Die Sanktions- und Verfahrensvorschriften der Richtlinie 2005/29 /EG über
unlautere Geschäftspraktiken im Binnenmarkt – Umsetzungsbedarf in Deutschland?, GRUR Int.
2005, 809; ders., Schadensersatz und Abschöpfung im Lauterkeits- und Kartellrecht, 2010; Augenhofer, Individualrechtliche Ansprüche des Verbrauchers bei unlauterem Wettbewerbsverhalten des
Unternehmers, WRP 2006, 169; Beyerlein, Ergänzender Leistungsschutz gemäß § 4 Nr. 9 UWG als
„geistiges Eigentum“ nach der Enforcement-Richtlinie (2004/48 /EG), WRP 2005, 1354; HenningBodewig, E-Commerce und irreführende Werbung, Auswirkungen des Herkunftslandprinzips auf
das europäische und deutsche Irreführungsrecht WRP 2001, 771; Leistner, Bestand und Entwicklungsperspektiven des Europäischen Lauterkeitsrechts, ZEuP 2009, 56; Lettl, Gemeinschaftsrecht
und neues UWG, WRP 2004, 1079; Micklitz, Transborder Law Enforcement – Does it Exist?, in:
395
396
397
398
Näher hierzu Leistner/Pothmann, WRP 2003, 815, 818 ff.; Brömmelmeyer, GRUR 2006, 285 ff.
Zu den Vorgaben für den Schutz natürlicher Personen siehe unter IX.2.a).
Art. 13 Abs. 4 RL 2002/58 /EG.
Art. 7 Abs. 1 RL 2000/31/EG. Wählt ein Mitgliedstaat für E-Mail-Werbung im B2B-Verkehr
eine opt-out-Lösung, so hat er nach Artikel 7 Abs. 2 RL 2000/31/EG ferner dafür zu sorgen,
dass sog. Robinson-Listen beachtet werden.
Christoph Busch
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Lauterkeitsrecht in Europa: Acquis communautaire
Weatherill/Bernitz, The Regulation of Unfair Commercial Practices under EC Directive 2005/29,
Oxford 2006, S. 235-253; Möllers/Heinemann, The Enforcement of Competition Law in Europe,
Cambridge 2007; Ohly, Die vergleichende Werbung im britischen Recht, GRUR Int. 1993, 730;
Stieper, Dreifache Schadensberechnung nach der Durchsetzungsrichtlinie 2004/48 /EG im Immaterialgüter- und im Wettbewerbsrecht (2004/48/EG), WRP 2010, 624.
Der in Artikel 4 Abs. 3 EUV (früher Artikel 10 EG) verankerte Loyalitätsgrundsatz
bildet die Grundlage für die Anforderungen, die das Unionsrecht an die Ausgestaltung
der Sanktions- und Durchsetzungsinstrumente im mitgliedstaatlichen Lauterkeitsrecht stellt. 399 Dementsprechend müssen die Mitgliedstaaten sicherstellen, dass die
unionsrechtlichen Vorgaben ihre volle praktische Wirksamkeit (effet utile) entfalten
können.400 Zugleich lässt sich aus dem Loyalitätsgrundsatz ein Gebot der Gleichwertigkeit der Sanktionen ableiten. 401 Erforderlich ist danach, dass bei Verstößen gegen
Bestimmungen europäischer Herkunft grundsätzlich die gleichen Sanktionen und
Rechtsschutzmöglichkeiten bestehen wie bei Verstößen gegen vergleichbare Vorschriften des autonom mitgliedstaatlichen Rechts.
Begrenzt wird der Zugriff des Unionsrechts auf die mitgliedstaatlichen Sanktionssysteme durch den in Artikel 5 Abs. 4 EUV (früher Artikel 5 EG) verankerten Verhältnismäßigkeitsgrundsatz, der verlangt, dass die Union bei der Ausübung ihrer
Rechtsetzungskompetenzen nicht über das für die Erreichung der Ziele der Verträge
erforderliche Maß hinausgeht. Für Rechtsdurchsetzung bei Lauterkeitsverstößen bedeutet dies, dass die Besonderheiten der nationalen Rechtsordnungen weitestmöglich
zu berücksichtigen sind. 402 Dementsprechend lassen die europäischen Rechtsakte auf
dem Gebiet des Lauterkeitsrechts den Mitgliedstaaten einen weiten Spielraum bei der
Ausgestaltung der Sanktionsregime und räumen ihnen die Möglichkeit ein, zwischen
verschiedenen Rechtsdurchsetzungsmodellen gleicher Wirkung zu wählen. Dies gilt
sowohl für die RL 2006/114 /EG als auch für die UGP-RL. Beide Richtlinien formulieren lediglich einige Mindeststandards (vgl. Artikel 5 und 8 RL 2006/114 /EG und
Artikel 11 bis 13 UGP-RL).403 Die Schaffung von lauterkeitsrechtlichen Individualansprüchen für Verbraucher verlangen sie nicht.404
Angesichts der Zurückhaltung des Unionsgesetzgebers besteht innerhalb der EU
nach wie vor ein Nebeneinander unterschiedlicher lauterkeitsrechtlicher Sanktions399
400
401
402
403
404
Alexander, Schadensersatz und Abschöpfung im Lauterkeits- und Kartellrecht, Tübingen
2010, S. 180.
Kahl, in: Calliess/Ruffert, EUV/ EGV, 3. Aufl. 2007, Art. 10 EG, Rn. 24.
Zuleeg, in: von der Groeben/Schwarze, 6. Aufl. 2003, Bd. 1, Art. 10 EG, Rn. 6.
Vgl. Erwägungsgrund Nr. 9 RL 2009/22 /EG.
Dazu näher Alexander, GRUR Int. 2005, 809 ff.; Artikel 12 lit. a) UGP-RL sieht ferner die
Möglichkeit von Beweiserleichterungen zugunsten von Verbrauchern vor. Auch die RL
2006/114 /EG gestattet Beweislastverschiebungen zu Lasten des Werbenden, siehe dazu Peifer, in: Fezer, 2. Aufl. 2010, § 5 UWG, Rn. 462.
Alexander, GRUR Int. 2005, 809, 813; Abbamonte, in: Weatherill/Bernitz, The Regulation of
Unfair Commercial Practices under EC Directive 2005/29 /EC, Oxford 2007, S. 16; anders
dagegen Fezer, WRP 2006, 781, 789 m.w.N.; näher dazu Alexander, Schadensersatz und
Abschöpfung im Lauterkeits- und Kartellerecht, Tübingen 2010, S. 184 ff.
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X. Die Durchsetzung lauterkeitsrechtlicher Regeln
systeme. Die Mehrzahl der Mitgliedstaaten verfügt über Verbraucherschutzbehörden,
denen die Aufgabe der lauterkeitsrechtlichen Marktregulierung zukommt. In Deutschland steht dagegen die Rechtsdurchsetzung durch Mitbewerber sowie klagebefugte
Verbände im Mittelpunkt. In Großbritannien spielen in der Praxis wiederum Instrumente der freiwilligen Selbstkontrolle eine entscheidende Rolle, insbesondere Verhaltenskodizes (codes of conduct). Unterschiede bestehen auch bei der Auswahl der
Sanktionen. Während in einigen Mitgliedstaaten (z.B. Deutschland) zivilrechtliche
Sanktionen im Mittelpunkt stehen, kommt in anderen Mitgliedstaaten (z.B. Frankreich) strafrechtlichen Sanktionen eine beträchtliche Bedeutung zu. Während im Bereich des materiellen Lauterkeitsrechts inzwischen ein beträchtliches Maß an Harmonisierung erreicht wurde, ist die Vielfalt unterschiedlicher Sanktionssysteme bislang
kaum unter Harmonisierungdruck geraten. Zu erkennen ist allerdings eine gewisse Präferenz des Europäischen Gesetzgebers für die von der Mehrzahl der Mitgliedstaaten
bevorzugte staatliche Rechtsdurchsetzung (sog. „Behördenmodell“). 405
Einen Eckpfeiler des kollektiven Rechtsschutzes bildet die Richtlinie über Unterlassungsklagen zum Schutz der Verbraucherinteresen (RL 2009/22 /EG),406 durch
welche die zuvor mehrfach geänderte RL 1998/27/EG407 kodifiziert wurde.408 Durch
die Richtlinie werden die Mitgliedstaaten verpflichtet, die Möglichkeit von Unterlassungsklagen bei Verletzung bestimmter Verbraucherschutzrichtlinien (u.a. UGP-RL,
Fernseh-RL, Klausel-RL, Fernabsatz-RL, Dienstleistungs-RL) vorzusehen (Artikel 2).
Zu den klagebefugten „qualifizierten Einrichtungen“ können sowohl Verbraucherschutzbehörden als auch Verbraucherschutzorganisationen gehören (Artikel 3). Die
Richtlinie überlässt damit den Mitgliedstaaten die Wahl zwischen unterschiedlichen
Rechtsschutzkonzepten: einer Durchsetzung durch Verbraucherschutzbehörden, Verbraucherschutzorganisationen oder eine Kombination beider Modelle.409
Da die Richtlinie über Unterlassungsklagen nicht den gewünschten Erfolg bei der
grenzüberschreitenden privatrechtlichen Rechtsdurchsetzung gezeigt hat,410 favorisiert der europäische Gesetzgeber in jüngster Zeit Instrumente der öffentlich-rechtlichen Rechtsdurchsetzung. Ausdruck dieses neuen Ansatzes ist die Verordnung (EG)
Nr. 2006/2004 über die Zusammenarbeit im Verbraucherschutz (VO EG Nr. 2006/
405
406
407
408
409
410
Siehe den umfassenden rechtsvergleichenden Überblick bei Möllers/Heinemann, The Enforcement of Competition Law in Europe, Cambridge 2007; siehe ferner Leistner, ZEuP 2009,
56, 77 ff.
Richtlinie 2009/22 /EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 23.4.2009 über
Unterlassungsklagen zum Schutz der Verbraucherinteressen (kodifizierte Fassung), ABl.EG
2009 L 110/30.
Richtlinie 98/27/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 19.5.1998 über Unterlassungsklagen zum Schutz der Verbraucherinteressen, ABl.EG 1998 L 166/51.
Zu grenzüberschreitenden Verbandsklagen siehe Micklitz, in: Weatherill/Bernitz, The Regulation of Unfair Commercial Practices under EC Directive 2005/29, Oxford 2006, S. 235 ff
und Rott, in: Dauses, Teil H.V.7. Rn. 698 ff.
Vgl. Erwägungsgrund Nr. 10 Richtlinie 2009/22 /EG.
Dazu Micklitz, in: Weatherill/Bernitz, The Regulation of Unfair Commercial Practices under
EC Directive 2005/29 /EC, Oxford 2007, S. 235 ff. kritisch auch Leistner, ZEuP 2009, 56, 78.
Christoph Busch
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Lauterkeitsrecht in Europa: Acquis communautaire
2004),411 die das Ziel verfolgt, die Kooperation von mitgliedstaatlichen Verwaltungsbehörden untereinander und mit der EU-Kommission bei der Durchsetzung der Verbraucherschutzregeln zu verbessern. 412 Die Verordnung verpflichtet die Mitgliedstaaten zur Benennung der zuständigen Behörden und einer zentralen Kontaktstelle, um
die innergemeinschaftliche Amtshilfe zu erleichtern. Eigene Sanktions- oder Verfahrensvorschriften enthält die Verordnung nicht. Während in der RL 2009/22 /EG
private Rechtsdurchsetzung und behördliche Marktkontrolle gleichrangig nebeneinander stehen, orientiert sich die Verordnung stärker an einem Behördenmodell,
das von der Mehrheit der Mitgliedstaaten bevorzugt wird. 413 Die Verordnung nimmt
jedoch Rücksicht auf die Tradition jener Mitgliedstaaten, die – wie insbesondere
Deutschland – die Durchsetzung der Verbraucherschutzgesetze den Wirtschafts- und
Verbraucherverbänden überlässt. So kann eine nationale Verbraucherschutzbehörde
dem Durchsetzungsersuchen einer anderen Behörde dadurch nachkommen, dass sie
eine Stelle, die ein legitimes Interesse an der Einstellung oder dem Verbot eines Verbraucherrechtsverstoßes hat, anweist, alle ihr zur Verfügung stehenden Befugnisse auszuüben, um die Einstellung oder das Verbot des Verstoßes zu bewirken (Art. 8 Abs. 3
VO EG Nr. 2006/2004).
Noch weitgehend ungeklärt ist, welchen Einfluss die Richtlinie zur Durchsetzung
der Rechte des geistigen Eigentums (RL 2004/48 /EG) auf die Ausgestaltung der lauterkeitsrechtlichen Sanktionsregime haben wird. Zwar zielt die sog. EnforcementRichtlinie nicht unmittelbar auf das Lauterkeitsrecht. Auswirkungen könnten sich
aber an den Schnittstellen zwischen Lauterkeits- und Immaterialgüterrecht ergeben,
insbesondere auf Schadensersatzansprüche im Rahmen des ergänzenden Leistungsschutzes und beim Schutz von Unternehmensgeheimnissen.414 Dabei spielt es keine
Rolle, ob diese Bereiche nach der Dogmatik des jeweiligen nationalen Lauterkeitsrechts dem Recht des geistigen Eigentums zuzurechnen sind oder nicht, da der Anwendungsbereich der Enforcement-Richtlinie autonom nach unionsrechtlichen Maßstäben zu bestimmen ist.415
411
412
413
414
415
Verordnung (EG) Nr. 2006/2004 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 27.10.
2004 über die Zusammenarbeit zwischen den für die Durchsetzung der Verbraucherschutzgesetze zuständigen nationalen Behörden, ABl.EG 2004 L 364/1.
Dazu näher Rott, in: Dauses, Teil H.V.7. Rn. 720 ff.
Siehe Möllers/Heinemann, The Enforcement of Competition Law in Europe, Cambridge
2007, S. 359 ff.
Dazu näher Alexander, Schadensersatz und Abschöpfung im Lauterkeits- und Kartellerecht,
Tübingen 2010, S. 186 ff., 270 ff.; siehe auch Beyerlein, WRP 2005, 1354 ff. und Stieper, WRP
2010, 624 ff.
So zutreffend Alexander, a.a.O., S. 187.
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Christoph Busch
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Länderbericht Deutschland
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I. Historische Entwicklung
Literatur: H.-J. Ahrens, Die Entstehung der zivilrechtlichen Sanktionen des UWG, WRP 1980, 129;
Beater, Entwicklungen des Wettbewerbsrechts durch die gesetzgebende und die rechtsprechende
Gewalt – Eine rechtshistorische und rechtsvergleichende Skizze, FS Erdmann (2002), 513; Engels/
Salomon, Vom Lauterkeitsrecht zum Verbraucherschutz: UWG-Reform 2003, WRP 2004, 32; Gloy,
Die Entwicklung des Wettbewerbsrechts und seiner Nebengebiete, FS Gewerblicher Rechtsschutz
und Urheberrecht in Deutschland (1991), 855; Köhler, Ein Jahr nach der UWG-Reform – Der Einfluss der Richtlinie über unlautere Geschäftspraktiken auf das UWG, GRUR-Prax 2009, 47; Schricker, Hundert Jahre Gesetz gegen den unlauteren Wettbewerb – Licht und Schatten, GRUR Int.1996,
473; Spätgens, Wettbewerbsrecht im Wandel, FS Tilmann (2003), 239.
Das Bedürfnis nach wettbewerbsrechtlichen Regelungen entstand in Deutschland erst
vergleichsweise spät.1 Erst im Jahr 1869 führte der norddeutsche Bund die Gewerbefreiheit ein2 und erlaubte damit „Jedermann“ den Betrieb eines Gewerbes (§ 1 GewO
1869). 3 Diese Regelung wurde 1871 mit der Gründung des Deutschen Reiches zum
Reichsgesetz. In der vorhergegangenen Epoche hatten die Zünfte den Wettbewerb reguliert,4 deren Zunftordnungen den internen Wettbewerb zwischen den Innungsgenossen ordneten. Der Zunftzwang5 und die Abgrenzung der Arbeitsbereiche der Zünfte
verhinderten einen Wettbewerb der Zünfte untereinander und mit nicht Zunftangehörigen. Gesetzlicher Regelungen für das Wettbewerbsrecht bedurfte es daher nicht.
Die zweite Hälfte des 19. Jahrhunderts war geprägt durch das Entstehen neuer Produktionstechniken und Absatzformen. Diese Entwicklung führte in Verbindung mit
1
2
3
4
5
Vergleiche zu Frankreich in diesem Band S. 239.
Die Gewerbefreiheit wurde in Preußen und den westfälischen Gebieten, die unter französischem Einfluss standen, bereits Anfang des 19. Jahrhunderts, in Nassau 1860, in Sachsen
1861, in Württemberg und Baden 1862 und in Bayern 1868 eingeführt. Eine einheitliche
Gewerbefreiheit gab es auf Grund der territorialen Zersplitterung Deutschlands bis 1869
jedoch nicht. Beater, Unlauterer Wettbewerb, § 3 Rn. 40 ff.
Gewerbeordnung für den norddeutschen Bund; BGBl. Norddeutscher Bund 1869, S. 245 ff.
Zu den Zünften und ihrer Bedeutung für die deutsche Rechtsentwicklung siehe Beater, Unlauterer Wettbewerb, § 3 Rn. 1- 39.
Beater, Unlauterer Wettbewerb, § 3 Rn. 24; der Zunftzwang war „das den Zünften vermöge
allgemeiner Rechtsgrundsätze, besonderer Verleihung oder rechtsverwährten Besitzes zukommende Recht, andere, die nicht Mitglieder derselben sind, von der Betreibung des ihnen
zustehenden Gewerbes auf eigenen Namen, und um sich zu nähren, mit Zwang abzuhalten“.
Merbach, Theorie des Zunftzwanges, S. 22.
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Länderbericht Deutschland
der Verschlechterung der Konjunktur ab Mitte der 1870er Jahre zu einer Verschärfung
des Konkurrenzkampfs und vermehrt zu unlauteren Verhaltensweisen im Wettbewerb.
Zudem machten die vermehrte Kennzeichnung von Waren mit Marken und der stärkere Einsatz von Werbung6 den Schutz vor Nachahmung und Missbrauch erforderlich.
Als Folge dieser Entwicklung erließ der Gesetzgeber eine Reihe spezieller Gesetze, die
jedoch nur einen ungenügenden, lückenhaften Schutz gegen unlauteren Wettbewerb
boten.7 So regelte § 287 RStGB den Schutz von Warenbezeichnungen. Daneben bot
das ADHGB Schutz für die Firma und stellte Art. 28 als Grundlage für zivilrechtliche
Ersatz- und Unterlassungsansprüche bereit. Das Markengesetz von 1874 sprach Konkurrenten und Konsumenten hingegen keine eigenen Rechte zu und wurde nicht zuletzt wegen seiner Begrenzung auf Bildzeichen, die von Kaufleuten eingetragen wurden, bald als unzureichend angesehen. 1876 wurde ein erstes Urhebergesetz,8 1877 ein
erstes Patentgesetz9 und 1891 ein Gebrauchsmustergesetz10 erlassen.
In der Folgezeit gab es vor dem Hintergrund der deliktsrechtlichen Bezüge des
Wettbewerbsrechts erste Ansätze, unlauteres Verhalten im Wettbewerb unter die Normen des allgemeinen Zivilrechts zu fassen. Die Instanzgerichte der deutschen Gebiete,
in denen französisches Recht galt, übernahmen die aus Art. 1382, 1383 Code Civil
entwickelten Regeln über die concurrence déloyale.11 Dieser Entwicklung schob das
Reichsgericht mit der Apollinarisbrunnen Entscheidung vom 30. 11. 188012 einen Riegel vor. Die Richter sahen die bestehenden Regelungen als abschließend an und schlossen daraus, dass alles erlaubt sein müsse, was nicht spezialgesetzlich verboten ist.
Im Jahr 1894 erließ der Gesetzgeber mit dem WZG13 ein neues Markengesetz. Die
Regelungen waren nun nicht mehr auf Kaufleute beschränkt und ließen auch einzelne
Worte als Warenzeichen zu. Die §§ 15 und 16 WZG verboten die Nachahmung einer
fremden Ausstattung, die sich im Verkehr durchgesetzt hatte, und die Verwendung
unrichtiger Ursprungsangaben für Waren. Das WZG hielt neben strafrechtlichen
Sanktionen auch zivilrechtliche Ansprüche bereit und bot die Möglichkeit einer Popularklage (§ 8 I Nr. 3 WZG).
Am 1. Juli 1896 trat das erste Gesetz zur Bekämpfung des unlauteren Wettbewerbs
(UWG 1896)14 in Kraft, das fünf Tatbestände unlauteren Wettbewerbs, namentlich
die schwindelhafte Reklame (§§ 1-4 UWG 1896), die Quantitätsverschleierung, die
üble Nachrede, den Missbrauch fremder Unternehmenskennzeichen und den Bruch
von Geschäfts- und Betriebsgeheimnissen (§§ 5-10 UWG 1896), jedoch noch keine
Generalklausel enthielt. Neben zahlreichen Strafnormen, die nicht unumstritten waren,15 stellte das Gesetz Schadensersatz- und Unterlassungsansprüche bereit, die auch
6
7
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11
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15
68
Beater, Unlauterer Wettbewerb, § 3 Rn. 54.
Beater, Unlauterer Wettbewerb, § 3 Rn. 57 ff.; Wadle, Fabrikzeichenschutz I, S. 239 f.
RGBl. 1876, S. 1 ff.
RGBl. 1877, S. 501 ff.
RGBl. 1891, S. 290 ff.
Beater, Unlauterer Wettbewerb, § 3 Rn. 60 m.w.N.
RGZ 3, 67, 68 – Apollinarisbrunnen.
Gesetz zum Schutz der Warenbezeichnungen, RGBl. 1894, S. 441 ff.
RGBl. 1896, S. 145 ff.
Beater, Unlauterer Wettbewerb, § 3 Rn. 73.
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I. Historische Entwicklung
nicht geschädigte Konkurrenten und gewerbliche Verbände geltend machen konnten.
Das auf Einzeltatbestände beschränkte Gesetz erwies sich in der Praxis als unzureichend und ließ schon bald die Forderung nach einer Novellierung, insbesondere nach
einer Generalklausel, laut werden.16 Vor dem Hintergrund, dass das UWG 1896 die
Anwendung der Normen des allgemeinen Zivilrechts auf unlauteres Verhalten im
Wettbewerb bewusst zuließ,17 versuchte das Reichsgericht nach dem Inkrafttreten
des BGB am 1. Januar 1900, die fehlende Generalklausel durch die Anwendung der
Vorschrift des § 826 BGB18 auf Wettbewerbshandlungen und die Anerkennung des
Rechts am eingerichteten und ausgeübten Gewerbebetrieb als sonstiges Recht gem.
§ 823 I BGB zu kompensieren.19
Am 1. Oktober 1909 trat das neue Gesetz gegen den unlauteren Wettbewerb
(UWG 1909) in Kraft, das in seiner Grundstruktur fast 100 Jahre Bestand haben sollte. Bedeutendste Neuerung war die Einführung der Generalklausel des § 1 UWG
1909, die bei einem Verstoß gegen die guten Sitten im Rahmen von Handlungen zu
Zwecken des Wettbewerbs im geschäftlichen Verkehr einen verschuldensunabhängigen Unterlassungsanspruch sowie einen Schadensersatzanspruch gewährte. 20 Die
„kleine Generalklausel“ des § 3 UWG 1909 regelte die irreführende Werbung. Weiterhin enthielt das UWG 1909 Einzelregelungen zu Sonderveranstaltungen (§§ 7 ff.), zur
Warenmengen- und Herkunftsverschleierung (§ 11), zu Bestechung und Bestechlichkeit von Angestellten und Beauftragten (§ 12), zu unwahrer übler Nachrede (§ 14), zur
Verleumdung (§ 15), zum Missbrauch gewerblicher Kennzeichen (§ 16), zur Geheimnisverletzung (§ 17) und zum Missbrauch anvertrauter Unterlagen (§ 18). Klageberechtigt waren gem. § 13 I UWG 1909 Gewerbetreibende, die Waren oder Leistungen
gleicher oder verwandter Art herstellten oder in Verkehr brachten, und Verbände zur
Förderung gewerblicher Interessen. Gem. § 13 III UWG 1909 haftete der Betriebsinhaber nunmehr auch für Wettbewerbsverstöße seiner Angestellten. 21
Nach anfänglichem Zögern22 machte die Rechtsprechung von der Generalklausel
regen Gebrauch.23 Die Klausel des § 1 UWG 1909 wurde zu der das Recht des unlau16
17
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22
23
Ahrens, WRP 1980, 129, 132; Gloy, FS Gewerblicher Rechtsschutz und Urheberrecht in
Deutschland, 1991, S. 858.
Regierungsentwurf UWG 1896, S. 166; GroßkommUWG /Schünemann, 1. Aufl., Einl. UWG
Rn. B 15 f.
RGZ 48, 114, 119 f. – Dampfschifffahrtsgesellschaft.
RGZ 58, 24, 29 f. – Juteplüsch.
Die Aufnahme der Klausel war in der Reichstagsvorlage mit dem Argument, dass § 826
hinreichend Schutz gewähre, ursprünglich nicht vorgesehen. Letztlich setzte sich aber die
Überzeugung von der Notwendigkeit einer solchen Vorschrift durch. Beater, Unlauterer
Wettbewerb, § 3 Rn. 77 f.
Damit sollte verhindert werden, dass sich Unternehmer durch den Einsatz von Angestellten
der Haftung entziehen. Die Notwendigkeit einer solchen Regelung hatte sich im „Barmer
Schuhwarenfall“ gezeigt. Gloy, FS Gewerblicher Rechtsschutz und Urheberrecht in Deutschland, 1991, S. 862.
Beater, Unlauterer Wettbewerb, § 3 Rn. 84.
Statistische Erhebungen in den 70er Jahren ergaben, dass ein Drittel aller Wettbewerbsprozesse auf der Grundlage von § 1 UWG geführt wurden. Schricker, GRUR Int. 1996, 474.
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69
Länderbericht Deutschland
teren Wettbewerbs beherrschenden Norm. Das Reichsgericht und später der Bundesgerichtshof entwickelten auf der Grundlage allgemeiner Wertungskriterien Fallgruppen und sorgten damit für Rechtssicherheit. Das Wettbewerbsrecht entwickelte sich
als Folge der Einführung der Generalklausel zum Richterrecht. 24
Bis Ende der 30er Jahre wurde das Wettbewerbsrecht weitgehend als Sonderrecht
der Kaufmannschaft zum Schutze der Mitbewerber gesehen. Erst nach Ende der Weimarer Republik setzte sich auch der Gedanke des Schutzes der Allgemeinheit25 und der
Verbraucher26 durch. Als Reaktion auf die aus der Weltwirtschaftskrise resultierenden
verschärften Wettbewerbsbedingungen wurde 1932 die Verordnung des Reichspräsidenten zum Schutze der Wirtschaft27 und 1933 das Rabattgesetz28 erlassen. 29 Durch die
Verordnung wurden die Zugabenverordnung erlassen (erster Teil), die Vorschriften
über Sonderveranstaltungen (§§ 7-10 UWG 1909) geändert30 und die Vorschriften
über den Geheimnisverrat (§§ 17, 18 UWG 1909) verschärft (zweiter Teil). 1934 sah
das Reichsgericht in der Hellegold-Entscheidung erstmalig vergleichende Werbung als
wettbewerbswidrig an und legte damit den Grundstein für die 60 Jahre bestehende
Einordnung vergleichender Werbung als grundsätzlich unlauter.31
Während des Dritten Reiches beeinflusste das nationalsozialistische Gedankengut
auch das Wettbewerbsrecht. 32 Durch das Gesetz über Wirtschaftswerbung33 wurde
1933 der Werberat der deutschen Wirtschaft zur Führung und Aufsicht des Reichs über
das gesamte öffentliche und private Werbungs-, Anzeigen-, Ausstellungs-, Messe- und
Reklamewesen geschaffen. Wirtschaftswerbung bedurfte nun der vorherigen Genehmigung des Werberates. Dessen Richtlinien sahen unter anderem vor, dass Werbung
das sittliche Empfinden des deutschen Volkes, insbesondere sein religiöses, vaterländisches und politisches Fühlen und Wollen, nicht verletzten durfte. Obwohl die Richtlinien als Normen ohne Bindungswirkung für die Gerichte konzipiert waren, wurden
24
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30
31
32
33
70
Harte/Henning/Keller, Einl. A Rn. 2; Köhler/Bornkamm, UWG Einl. Rn. 2.4.
RG GRUR 1936, 810, 812 – Diamantine.
RG GRUR 1933, 782, 786 – Spezialbefehl; Das Gericht lehnte eine Verwirkung von Unterlassungsansprüchen zwischen Konkurrenten ab, solange das Publikum noch durch das fragliche Verhalten getäuscht wurde.
RGBl. I 121.
RGBl. 1011.
Eine knappe Darstellung der Entwicklungen soll an dieser Stelle genügen. Ausführlich und
vollständig zur Entwicklung des Wettbewerbsrechts nach 1909 siehe Harte/Henning /Keller,
Einl. A Rn. 1 ff.; Köhler/Bornkamm, UWG Einl. Rn. 2.8 ff.; Beater, Unlauterer Wettbewerb,
§ 3 Rn. 84 ff.; Gloy, FS Gewerblicher Rechtsschutz und Urheberrecht in Deutschland, 1991,
S. 863 ff.
Die Vorschriften über Sonderveranstaltungen wurden später durch das Gesetz zur Änderung
des UWG vom 26. Februar 1935 (RGBl. I 311) geändert und durch das Gesetz zur Änderung
wirtschafts-, verbraucher-, arbeits- und sozialrechtlicher Vorschriften vom 25. Juli 1986
(BGBl. I 1169) zusammenfassend in §§ 7 und 8 neu geregelt.
Dazu ausführlich siehe S. 121 f.
Zum Wettbewerbsrecht während der NS-Zeit siehe Beater, Unlauterer Wettbewerb, § 3
Rn. 92 ff.
Gesetz vom 12.09.1933, RGBl. 1933 I S. 625.
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I. Historische Entwicklung
sie im Schrifttum zunehmend als rechtsverbindlich angesehen. 34 So dienten sie zum
Beispiel zur Konkretisierung des Begriffs der guten Sitten in der Generalklausel des § 1
UWG 1909,35 wodurch das nationalsozialistische Gedankengut zunehmend Einfluss
auf das Wettbewerbsrecht gewann. 36
Nach Ende des Zweiten Weltkrieges und der Teilung Deutschlands blieb das UWG
auch in der DDR in Kraft. Gründe dafür waren wohl zum einen die Außenhandelsinteressen der DDR, zum anderen die Pariser Verbandsübereinkunft, die ab 1956 „wieder
anzuwenden“ war.37 Vor dem Hintergrund des Wirtschaftssystems der zentralen Planwirtschaft war die Anwendbarkeit des UWG jedoch fraglich. 38 Dennoch fällte das
Oberste Gericht der DDR drei Entscheidungen auf der Grundlage des UWG.39
In der BRD kam es als Reaktion auf die Gleichschaltung der Wirtschaft durch das
NS-Regime wieder zu einer verstärkten Betonung der individuellen Unternehmerinteressen durch die Rechtsprechung, die entgegen den Entwicklungen zum Ende der
Weimarer Republik den Zweck des Wettbewerbsrechts nun wieder vornehmlich im
Konkurrentenschutz sah. 1965 fand der Verbraucherschutzgedanke in Form der Klagebefugnis der Verbraucherverbände Einzug in das UWG.40 In der Rechtsprechung
spielte der Schutz der Verbraucher jedoch auch in der Folge eine dem Konkurrentenschutz untergeordnete Rolle.41
34
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37
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40
41
Rücker, Wirtschaftswerbung unter dem Nationalsozialismus, S. 322 ff. m.w.N.
Utescher, Zum organischen Aufbau des Wettbewerbsrechts, GRUR 1936, 5, 11.
In der Rechenschaftsbericht I-Entscheidung vom 25.02.1936 (RGZ 150, 298) und der Entscheidung Kostenlose Lehrbehandlung vom 12.01.1937 (GRUR 1937, 1032) urteilte das
Reichsgericht noch, dass Werbung, die auf den ausländischen oder jüdischen Hintergrund
von Konkurrenzunternehmen verwies, wettbewerbswidrig sei. In der Dachpappenfabrik IIEntscheidung vom 4.2.1939 (GRUR 1939, 652) sah es dann den Hinwies auf die Zugehörigkeit eines Mitbewerbers zum Judentum als zulässig an. Zur weiteren Judikatur van Look, JR
2000, 89, 94 f.
VO vom 15.03.1956 über die Wiederanwendung der Pariser Verbandsübereinkunft zum
Schutze des gewerblichen Eigentums und ihrer Nebenabkommen.
Die Anwendbarkeit bejahend: Oberstes Gericht der DDR, Urteil vom 26.06.1970 (Nerchauer Ton) – 2 Zu 2/70 (nicht veröffentlicht, zitiert bei Beater, Unlauterer Wettbewerb, § 3
Rn. 110); zur Anwendbarkeit von § 16 UWG 1909 bejahend BGHZ 130, 134 (Altenburger
Spielkartenfabrik).
In den Entscheidungen Schwan vom 05.10.1953 (Entscheidungen des Obersten Gerichts der
DDR in Zivilsachen, Bd. 3, S. 29) und Carl Zeiss Jena vom 23.03.1961 (Entscheidungen des
Obersten Gerichts der DDR in Zivilsachen, Bd. 8, S. 208) gewährten das Oberste Gericht der
DDR den ins Volkseigentum überführten ostdeutschen Niederlassungen eines Westunternehmens einen Unterlassungsanspruch gegen das Führen der dem Unternehmen zustehenden Warenzeichen gegen das frühere westdeutsche Mutterunternehmen. Zur westdeutschen
Sicht BGH vom 24.07.1957 (Zeiß), GRUR 1958, 189. Im Rahmen der Nerchauer Ton-Entscheidung (siehe Fn. 37) hatten sich die Richter mit einer rein ostdeutschen Streitigkeit um
der Verwendung einer geographischen Herkunftsangabe zu beschäftigen.
Gesetz vom 21.07.1965 (BGBl. I 625).
Beater, Unlauterer Wettbewerb, § 12 Rn. 5, 12.
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Länderbericht Deutschland
Der Gesetzgeber nahm in der Nachkriegszeit eine Reihe weiterer Veränderungen
vor.42 Zu den für das Wettbewerbsrecht in seiner heutigen Form grundlegendsten legislativen Maßnahmen kam es erst nach der deutschen Wiedervereinigung. Durch das
Markenrechtsreformgesetz wurde der Schutz geschäftlicher Bezeichnungen im Markengesetz (MarkenG) geregelt, das am 1. Januar 1995 in Kraft trat.43 Weiterhin wurde
im Jahr 1997 die Strafvorschrift des § 12 UWG 1909 gegen Bestechlichkeit und Bestechung im geschäftlichen Verkehr durch das Gesetz zur Bekämpfung der Korruption44 in das StGB eingefügt.
Ab 1996 wurde das Wettbewerbsrecht bedingt durch die Einflussnahme des Gemeinschaftsrechts auf die deutsche Gesetzgebung und Rechtsprechung verstärkt liberalisiert. Im Jahr 2000 wurde im Rahmen der Umsetzung der Richtlinie 84/450 /
EWG45 über irreführende und vergleichende Werbung in § 2 UWG 1909 die vergleichende Werbung neu geregelt. Das UWG ging nunmehr in Abkehr von den Folgen der
Hellegold-Entscheidung46 von einer grundsätzlichen Zulässigkeit dieser Art der Werbung aus. 2001 wurden das Rabattgesetz und die Zugabenverordnung wieder aufgehoben.47 Die Rechtsprechung, die ursprünglich bei der Anwendung des UWG von einem
flüchtigen, unkritischen Verbraucher48 ausging, übernahm das gemeinschaftsrechtliche Leitbild eines durchschnittlich informierten und verständigen Verbrauchers,
der das Werbeverhalten mit einer der Situation angemessenen Aufmerksamkeit verfolgt. 49
Einen weiteren entscheidenden Schritt zur Modernisierung, Liberalisierung und
Europäisierung des Lauterkeitsrechts tat der Gesetzgeber mit dem Erlass des UWG
2004, das am 8.7.2004 in Kraft trat. Das neue UWG enthielt in § 1 UWG 2004 erstmals eine Bestimmung des Schutzzwecks. Mit der Norm, deren Wortlaut an Art. 1 der
Richtlinie 84/450 / EWG über irreführende Werbung angelehnt ist, wurde der unter
dem Einfluss der Richtlinie als Schutzzweck des Wettbewerbsrechts ausdrücklich anerkannte Verbraucherschutz sowie der Schutz der Allgemeinheit in das UWG aufgenom42
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72
Zu Änderungen und Änderungsbestrebungen nach dem zweiten Weltkrieg siehe Harte/
Henning /Keller, Einl. A Rn. 6; Köhler/Bornkamm, UWG Einl. Rn. 2.9.
Markenrechtsreformgesetz, BGBl. I 3082.
Gesetz zur Bekämpfung der Korruption vom 13.08.1997, BGBl. I 1997, S. 2038.
Richtlinie 84/450 / EWG des Rates vom 10. September 1984 über irreführende und vergleichende Werbung, geändert durch die Richtlinie 97/55/EG des Europäischen Parlamentes
und des Rates vom 06. Oktober 1997 zur Änderung der Richtlinie 84/450 EWG über irreführende Werbung zwecks Einbeziehung der vergleichenden Werbung. Die Richtlinie wurde
aus Gründen der Übersichtlichkeit und der Klarheit in der Richtlinie 2006/114 /EG des
Europäischen Parlaments und des Rates vom 12. Dezember 2006 über irreführende und
vergleichende Werbung kodifiziert. Die Richtlinie 84/450 / EWG wurde mit Inkrafttreten
der Richtlinie 2006/114 /EG am 12. Dezember 2007 aufgehoben.
RG GRUR 1931, 1299 – Hellegold.
Dazu ausführlich siehe S. 136.
BGH GRUR 1982, 564, 566 – Elsässer Nudeln; BGH GRUR 1990, 604, 605 – Dr. S.-Arzneimittel.
BGH GRUR 2000, 619 – Orient-Teppichmuster; Zur Entwicklung des Verbraucherleitbildes
siehe S. 132.
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I. Historische Entwicklung
men. Die in § 3 UWG 2004 neu formulierte50 Generalklausel wurde auf Wettbewerbshandlungen, die den Wettbewerb nicht nur unerheblich zu beeinträchtigen geeignet
sind, beschränkt (Bagatellklausel). Anders als die alte Generalklausel des § 1 UWG
1909 ordnete § 3 UWG 2004 keine konkreten Rechtsfolgen an. Die Rechtsfolgen
eines Verstoßes wurden getrennt in den §§ 8 ff. UWG 2004 geregelt.51 Die Generalklausel wurde in den §§ 4-7 UWG 2004 durch einen nicht abschließenden Katalog
von Beispieltatbeständen konkretisiert, in denen der Gesetzgeber zum Teil zu § 1
UWG 1909 von der Rechtsprechung entwickelte Rechtssätze kodifizierte. Die abstrakten Gefährdungstatbestände, wie zum Beispiel die Regelungen der §§ 7 und 8 UWG
1909 über Sonderveranstaltungen, wurden mit der Novellierung abgeschafft. Für derartige Veranstaltungen galten nunmehr die allgemeinen Regelungen. In § 8 I UWG
2004 wurden der Beseitigungsanspruch und der Unterlassungsanspruch sowie in § 12
UWG 2004 die Abmahnung und die Unterwerfung kodifiziert. Zur Verbesserung des
Verbraucherschutzes wurden mit § 10 UWG 2004 ein Gewinnabschöpfungsanspruch
zu Gunsten des Bundeshaushalts aufgenommen. Im Rahmen der Harmonisierung des
Lauterkeitsrechts wurde der Irreführungstatbestand des § 5 UWG 2004 an den Wortlaut von Art. 3 der Richtlinie 84/450 / EWG entsprechend angepasst und in § 7 II und
III UWG 2004 der Art. 13 der Richtlinie 2002/58/EG52 über Datenschutz für elektronische Kommunikation umgesetzt. Zudem legte der Gesetzgeber dem neuen § 5 UWG
2004 ausdrücklich das vom BGH in Anlehnung an die Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofes übernommene53 Leitbild eines durchschnittlich informierten und
verständigen Verbrauchers zu Grunde.54
Mit der jüngsten Reform hat der Gesetzgeber die Richtlinie 2005/29 /EG über
unlautere Geschäftspraktiken55 vom 11.05.2005 ins nationale Recht umgesetzt. Ziel
der Richtlinie ist die abschließende und einheitliche Regelung unlauterer Geschäftspraktiken im Unternehmer-Verbraucher-Verhältnis (B2C). Bereits seit Ablauf der
Umsetzungsfrist im Dezember 2007 war die Richtlinie bei der Anwendung des UWG
durch die Gerichte zu berücksichtigen. Mit dem Gesetz zur Änderung des Gesetzes
über unlauteren Wettbewerb56 wurde der Anwendungsbereich des UWG auf Aktivi50
51
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56
Der Begriff der „Handlungen im geschäftlichen Verkehr zu Zwecken des Wettbewerbs“ wurde
durch den Begriff der „Wettbewerbshandlungen“ der Begriff der „guten Sitten“ durch den der
„Unlauterkeit“ ersetzt. Köhler/Bornkamm, § 3 Rn. 3.
Köhler/Bornkamm, § 3 Rn. 3.
Richtlinie 2002/58/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 12. Juli 2002 über
die Verarbeitung personenbezogener Daten und den Schutz der Privatsphäre in der elektronischen Kommunikation (Datenschutzrichtlinie für elektronische Kommunikation).
BGH GRUR 2000, 619 – Orient-Teppichmuster; BGH NJW 2001, 3262 – Mitwohnzentrale.de.
Begr. RegE UWG 2004 BT-Drs. 15/1487, S. 19; zum Verbraucherleitbild siehe S. 132.
Richtlinie 2005/29 /EG des europäischen Parlaments und des Rates vom 11. Mai 2005 über
unlautere Geschäftspraktiken im binnenmarktinternen Geschäftsverkehr zwischen Unternehmen und Verbrauchern und zur Änderung der Richtlinie 84/450/ EWG des Rates, der
Richtlinien 97/7/EG, 98/27/EG und 2002/65/EG des Europäischen Parlaments und des
Rates sowie der Verordnung (EG) Nr. 2006/2004 des Europäischen Parlaments und des
Rates; im Folgenden UGP-RL.
BGBl. I/2008, Nr. 64 vom 29.12.2008, S. 2949 ff.
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Länderbericht Deutschland
täten von Unternehmen bei und nach Vertragsschluss ausgedehnt. Weiterhin wurde
das UWG um eine so genannt „black list“ erweitert, die 30 Geschäftspraktiken enthält,
die unter allen Umständen – das heißt unabhängig von ihrer Eignung den Wettbewerb
nicht nur unerheblich zu beeinträchtigen – unlauter sind. In die Regelungen zur irreführenden Werbung wurden mit § 5a UWG ein eigener Tatbestand der „Irreführung
durch Unterlassen“ sowie ein Art. 7 IV UGP-RL entsprechender Katalog wesentlicher
Informationen eingeführt, deren Verschweigen als unlauter zu werten ist. Auf weitere
Neuerungen wird nachfolgend im Zusammenhang mit den einzelnen Tatbeständen
einzugehen sein.
Weitere Änderungen erfuhr das UWG durch das Gesetz zur Bekämpfung unerlaubter Telefonwerbung und zur Verbesserung des Verbraucherschutzes bei besonderen Betriebsformen. Das Gesetz präzisiert den Wortlaut des Belästigungstatbestands des § 7 II
Nr. 2 UWG (Telefonwerbung gegenüber Verbrauchern) und führt mit § 20 UWG für
die Fälle unlauterer Telefonwerbung einen Ordnungswidrigkeitentatbestand ein.57
II. Rechtliche Grundlagen
Literatur: H.-J. Ahrens, Das Verhältnis von UWG und Vertragsrecht aufgrund der EU-Richtlinie
über unlautere Geschäftspraktiken, FS Loewenheim (2009), 407; Busch, Welche Folgen hat die
Umsetzung der Lauterkeitsrichtlinie für das Vertragsrecht? Der Regierungsentwurf zur Umsetzung
der Richtlinie 2005/29 /EG aus der Perspektive des Gemeinschaftsprivatrechts, GPR 2008, 158;
Büscher, Schnittstellen zwischen Markenrecht und Wettbewerbsrecht, GRUR 2009, 230; Glöckner,
Der gegenständliche Anwendungsgereich des Lauterkeitsrechts nach der UWG-Novelle 2008 – ein
Paradigmenwechsel mit Folgen, WRP 2009, 1175; Henning-Bodewig, Relevanz der Irreführung,
UWG-Nachahmungsschutz und die Abgrenzung Lauterkeitsrechte/IP-Rechte, GRUR Int. 2007, 986;
Köhler, Das Verhältnis des Wettbewerbsrechts zum Recht des geistigen Eigentums – Zur Notwendigkeit einer Neubestimmung auf Grund der Richtlinie über unlautere Geschäftspraktiken, GRUR
2007, 548; Zur Konkurrenz lauterkeitsrechtlicher und kartellrechtlicher Normen, WRP 2005, 645;
Ohly, Designschutz im Spannungsfeld von Geschmacksmuster-, Kennzeichen- und Lauterkeitsrecht,
GRUR 2007, 731; Scherer, Lauterkeitsrecht und Leistungsstörungsrecht – Veränderung des Verhältnisses durch § 2 I Nr.1 UWG?, WRP 2009, 761.
1. Das UWG
a) Gesetzesaufbau
Das UWG ist in vier Kapitel gegliedert. Das mit „Allgemeinen Bestimmungen“ überschriebene erste Kapitel enthält in den §§ 1 und 2 die Bestimmung des Gesetzeszwecks
und einen Definitionenkatalog. Die Generalklausel des § 3 und die (nicht abschließende) Liste der Beispieltatbestände in den §§ 4 bis 6 sowie der Belästigungstatbestand
des § 7 bilden das Kernstück des UWG. Im zweiten Kapitel finden sich in den §§ 8 bis
11 die „Rechtsfolgen“, namentlich die Ansprüche auf Unterlassung und Beseitigung,
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Dazu siehe S. 162.
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II. Rechtliche Grundlagen
Schadensersatz und Gewinnherausgabe sowie die Regelungen über die Verjährung.
Das dritte Kapitel enthält „Verwaltungsvorschriften“ (§§ 12 bis 15), das vierte „Strafund Bußgeldvorschriften“ (§§ 16 bis 20). Seit der Umsetzung der UGP-Richtlinie findet sich im Anhang des Gesetzes eine Liste mit 30 geschäftlichen Handlungen die per
se unzulässig gemäß § 3 Abs. 3 sind.
b) Schutzzweck
Das UWG verfolgt einen dreifachen Schutzzweck, der in § 1 UWG kodifiziert wurde
und über den bestehenden europäischen Harmonisierungsstand hinausgeht. Nach dieser Regelung schützt das UWG einerseits Mitbewerber (§ 2 I Nr. 3 UWG) und Verbraucher (§ 2 II UWG i.V.m. § 13 BGB) sowie sonstige Marktteilnehmer (§ 2 I Nr. 2
UWG) vor unlauterem Wettbewerb. Gleichzeitig soll das Interesse der Allgemeinheit
an einem unverfälschten Wettbewerb geschützt werden. Der Schutz der Mitbewerber
umfasst alle (lauteren) wettbewerblichen Betätigungen sowie den Schutz seiner Persönlichkeitsrechte und des Unternehmens als Gegenstand des Vermögens. Nicht vom
Zweck des UWG umfasst ist freilich der Schutz vor dem lauteren Wettbewerb anderer
Mitbewerber.58 Der Verbraucher soll durch das UWG in seiner geschäftlichen Entscheidungsfreiheit beim Vertragsschluss und der Vertragsdurchführung vor unzulässiger Beeinflussung geschützt werden. Eine solche unzulässige Beeinflussung ist anzunehmen, wenn es dem Verbraucher vor dem Hintergrund des Wettbewerbsverhaltens
des Unternehmers nicht mehr möglich ist, eine rationale Entscheidung zu fällen.59
Darüber hinaus sind auch die sonstigen Rechte und Rechtsgüter der Verbraucher
vom Schutz des UWG umfasst.60 Obgleich das UWG den Verbraucherschutz als Zweck
anführt, sieht es keine individuellen Ansprüche des einzelnen Verbrauchers aus einem
Wettbewerbsverstoß vor.61
Der Zweck des Mitbewerberschutzes und der Zweck des Schutzes der sonstigen
Marktteilnehmer stehen gleichberechtigt nebeneinander.62 Eine kumulative Beeinträchtigung der Interessen ist folglich nicht erforderlich. Stehen im Einzelfall die verschiedenen Interessen der Marktparteien im Konflikt, so ist im Wege einer Interessenabwägung eine Lösung zu erzielen.63
Schließlich schützt das UWG das Interesse der Allgemeinheit an einem unverfälschten Wettbewerb. Gemeint ist das Interesse an einem freien Wettbewerb, der
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Nicht umfasst sind z.B. die Erhaltung des bestehenden Kunden- oder Mitarbeiterstamms, der
Schutz vor sachlicher Kritik oder vergleichender Werbung sowie der Schutz vor Testkäufen
zur Feststellung von Wettbewerbsverstößen. Siehe dazu Köhler/Bornkamm, § 1 Rn. 8;
MünchKommUWG /Sosnitza, § 1 Rn. 23.
BGH GRUR 2006, 161, 162 – Zeitschrift mit Sonnenbrille.
So schützt zum Beispiel § 7 die Privatsphäre des Verbrauchers unabhängig davon, ob dessen
Entscheidungsfreiheit beeinträchtigt wird. Siehe dazu S. 139 ff.
Hierzu S. 151.
Begr. RegE UWG 2004 BT-Drs. 15/1487, S. 12.
Köhler/Bornkamm, § 1 Rn. 47; MünchKommUWG /Sosnitza, § 1 Rn. 38 f.
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Länderbericht Deutschland
nicht durch unlautere Wettbewerbshandlungen verzerrt wird.64 Dem Schutz des freien
Wettbewerbs als Institution kommt dabei eine eigenständige Bedeutung sowohl auf
der Tatbestands-65 als auch auf der Rechtsfolgenebene66 zu, die über den kollektiven
Schutz der Marktgegenseite hinausgeht. Der Schutz weiterer Interessen der Allgemeinheit, wie der Jugend-, Umwelt-, oder Arbeitnehmerschutz, ist durch das UWG
2004 allerdings nicht bezweckt.67
c) Anwendungsbereich
aa) Sachlicher Anwendungsbereich
Die Anwendbarkeit des UWG setzt in Abgrenzung zum allgemeinen Deliktsrecht68
zwingend eine geschäftliche Handlung voraus. Darunter fällt gem. § 2 I Nr. 1 UWG
jedes Verhalten einer Person zugunsten des eigenen oder eines fremden Unternehmens
vor, bei oder nach einem Geschäftsabschluss, das mit der Förderung des Absatzes oder
des Bezugs von Waren oder Dienstleistungen oder mit dem Abschluss oder der Durchführung eines Vertrags über Waren oder Dienstleistungen objektiv zusammenhängt.
Der Begriff der geschäftlichen Handlung ersetzte im Rahmen der UWG Novelle 2008
den Begriff der Wettbewerbshandlung nach altem Recht. Dabei wurde der Anwendungsbereich des UWG auf Handlungen ausgedehnt, die in Zusammenhang mit dem
Abschluss oder der Durchführung eines Vertrages über Waren oder Dienstleistungen
stehen.69 Zudem erfordert die neue Fassung keine Wettbewerbsförderungsabsicht
mehr, sondern setzt einen objektiven Zusammenhang mit Absatz- oder Bezugsförderung oder Vertragsabschluss oder -durchführung voraus.70
Der Begriff der geschäftlichen Handlung ist an den Begriff der Geschäftspraktik
gem. Art. 2 lit. d) und Art. 3 I UGP-Richtlinie angelehnt, geht aber in mehreren
Punkten über diesen hinaus. So umfasst die Definition auch Tätigkeiten gegenüber
Unternehmen und anderen Marktteilnehmern, gegenüber Mitbewerbern, zur Förde-
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76
Begr. RegE UWG 2004 BT-Drs. 15/1487; Köhler/Bornkamm, § 1 Rn. 43 f. Köhler spricht sich
mit Recht gegen die Verwendung des im Zusammenhang mit dem Schutzzweck häufig gebrauchten Begriffs des Leistungswettbewerbs aus.
Z.B. in den Fällen der allgemeinen Marktbehinderung siehe dazu S. 113, Köhler/Bornkamm,
§ 1 Rn. 48 ff.
Z.B. als Rechtfertigung der Anspruchsberechtigung der in § 8 III Nr. 2 bis 4 angeführten
Verbände, Einrichtungen und Kammern; Köhler/Bornkamm, § 1 Rn. 50.
Die Beschränkung des Schutzzwecks zeigt sich auch in der Generalklausel des § 3 (siehe dazu
S. 87 ff.) sowie im Beispielstatbestand des Rechtsbruchs in § 4 Nr. 11 (siehe dazu S. 118)
MünchKommUWG /Sosnitza, § 3 Rn. 31.
Begr. RegE UWG 2004 BT-Drs. 15/1487 S. 16.
Glöckner, WRP 2009, 1175, 1181; Harte/Henning /Keller, § 2 Rn. 10; auch Maßnahmen zur
Durchsetzung vertraglicher Ansprüche, OLG München GRUR-RR 2010, 50.
Glöckner, WRP 2009, 1175, 1180.
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II. Rechtliche Grundlagen
rung des Bezugs von Waren oder Dienstleistungen und zugunsten eines fremden Unternehmens.71
Der Begriff der Waren und Dienstleistungen ist vor dem Hintergrund von Art. 2
lit. c) UGP-RL weit zu auszulegen. § 2 I Nr. 1 UWG bestimmt ausdrücklich, dass als
Waren auch Grundstücke, als Dienstleistungen auch Rechte und Verpflichtungen gelten. Darüber hinaus können Waren nicht nur körperliche Gegenstände, sondern auch
unkörperliche Wirtschaftsgüter sein, die einem anderen zur Verfügung gestellt werden,
wie zum Beispiel Energie.72 Der ebenfalls weit auszulegende Begriff der Dienstleistungen umfasst jede geldwerte unkörperliche Leistung ungeachtet der rechtlichen Qualifikation des ihr zugrunde liegenden Vertrages.73
bb) Personeller Anwendungsbereich
Das UWG verbietet unlautere geschäftliche Handlungen sowohl zwischen Unternehmern und Verbrauchern als auch zwischen Unternehmern untereinander. Eine dem
Gemeinschaftsrecht entsprechende Aufteilung74 des Anwendungsbereichs in die Verhältnisse B2B und B2C kennt das UWG grundsätzlich nicht, wobei freilich einige der
Beispieltatbestände nur das eine oder das andere Verhältnis betreffen.75
Der Anwendungsbereich des UWG umfasst jedes unlautere Verhalten einer Person
zugunsten des eigenen oder eines fremden Unternehmens (§§ 3 I, 2 Nr. 1 UWG). Darunter fallen sowohl Tätigkeiten natürlicher als auch juristischer Personen, wobei bei
juristischen Personen auf das Verhalten der jeweiligen Organe abzustellen ist (§ 31
BGB).76 Um die Tatbestandvoraussetzung einer geschäftlichen Handlung zu erfüllen,
muss das betreffende Verhalten einen Unternehmensbezug aufweisen. Entsprechend
fallen Handlungen einer natürlichen Person als Verbraucher im Eigeninteresse, wie
Privatkäufe und -verkäufe,77 nicht unter den Begriff der geschäftlichen Handlung
und damit nicht in den Anwendungsbereich des UWG. Gleiches gilt grundsätzlich
für Tätigkeiten zugunsten von Organisationen, die keine Unternehmenseigenschaft
71
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77
Harte/Henning /Keller, § 2 Rn. 9; Köhler/Bornkamm, § 2 Rn. 8; Gebauer/Wiedmann/Busch,
Unlauterer Wettbewerb, Rn. 17 geht auf der Grundlage eines Vergleiches mit den anderen
Sprachfassungen der UGP-RL davon aus, dass diese ebenfalls die Bezugsförderung umfasst.
Köhler/Bornkamm, § 2 Rn. 39.
BGH GRUR 2007, 981 – 150% Zinsbonus; Harte/Henning /Keller, § 2 Rn. 21.
Während die Richtlinie 2006/114 /EG über irreführende und vergleichende Werbung Gewerbetreibende vor irreführender Werbung schützt und die Zulässigkeitsvoraussetzungen für
vergleichende Werbung festsetzt bezweckt die UGP-Richtlinie den Schutz der Verbraucher
vor unlauteren Geschäftspraktiken.
Vgl. Köhler/Bornkamm/Henning-Bodewig, Vorschlag für eine Richtlinie zum Lauterkeitsrecht
und eine UWG Reform, WRP 2002, 1317.
Harte/Henning /Keller, § 2 Rn. 17; Köhler/Bornkamm, § 2 Rn. 11.
Z.B. der Immobilienmakler, der ein Grundstück aus seinem Privatbesitz zum Kauf anbietet:
BGH GRUR 1993, 760, 761 – Makler-Privatangebot.
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Länderbericht Deutschland
haben.78 Unternehmen79 i.S.d. UWG ist jede selbstständige80 und auf Dauer angelegte81 wirtschaftliche Betätigung, die auf den entgeltlichen82 Absatz von Waren oder
Dienstleistungen gerichtet ist. 83 Auf die Rechtsform oder Organisation des Unternehmens kommt es dabei nicht an. Weiterhin ist der Unternehmensbegriff des UWG
nicht auf Gewerbe i.S.d. § 1 HGB beschränkt, sondern umfasst auch Freiberufler, etwa
Ärzte, Anwälte, Steuerberater oder Architekten. 84
Die Regelungen des UWG gelten auch für erwerbswirtschaftliche Tätigkeiten der
öffentlichen Hand,85 wobei unerheblich ist, in welcher Rechtsform diese sich am
Wettbewerb beteiligt. 86 Ebenfalls vom Anwendungsbereich des UWG umfasst sind
die Medien sofern diese, etwa im Anzeigengeschäft, wettbewerbsfördernd tätig werden.87 Der eigentliche Funktionsbereich der Medien, die Meinungsbildung und Information sowie die Unterhaltung, fällt hingegen nicht unter den in § 2 I Nr. 1 UWG
definierten Begriff der „geschäftlichen Handlung“ und damit nicht unter das
UWG. 88
cc) Territorialer Anwendungsbereich
Der räumliche Geltungsbereich des UWG erstreckt sich auf das Staatsgebiet der Bundesrepublik Deutschland und somit grundsätzlich auf alle in diesem Gebiet begangenen Wettbewerbsverstöße. Die Anwendbarkeit des UWG auf Sachverhalte mit Auslandsbezug richtet sich nach den Kollisionsnormen des Internationalen Privatrechts.
Das deutsche IPR hält im Unterschied zu anderen Rechtsordnungen89 keine eigenen
wettbewerbsrechtlichen Kollisionsnormen bereit. Das Internationale Wettbewerbsrecht wird dem Internationalen Deliktsrecht zugeordnet. Wettbewerbsverstöße vor
dem In-Kraft-Treten der Rom II Verordnung am 11.1.2009 unterliegen als unerlaubte
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Z.B. Idealvereine, Stiftungen oder religiöse Körperschaften; zu Ausnahmen siehe Harte/
Henning /Keller, § 2 Rn. 27; Köhler/Bornkamm, § 2 Rn. 24.
Nicht zu verwechseln mit dem ebenfalls im UWG verwandten Begriff des Unternehmers § 2
Nr. 6 UWG.
In eigener Verantwortung, Köhler/Bornkamm, § 2 Rn. 22.
Nicht bloß gelegentlich, Köhler/Bornkamm, § 2 Rn 23.
Auf Erzielung einer Gegenleistung gerichtet, wobei es auf eine Gewinnerzielungsabsicht
nicht ankommt: BGH GRUR 1974, 733, 734 – Schilderverkauf; BGHZ 82, 375, 395 – BrillenSelbstabgabestellen; BGH GRUR 2008, 810 – Kommunalversicherer. Harte/Henning /Keller, § 2
Rn. 23; Köhler/Bornkamm, § 2 Rn. 24.
BGH GRUR 1995, 697, 699 – FUNNY PAPER.
BGH GRUR 1987, 241 – Arztinterview; BGH GRUR 1993, 675, 676 – Kooperationspartner;
Piper/Ohly/Sosnitza, § 2 Rn. 42.
Ausführlich zum Wettbewerb der öffentlichen Hand siehe Poppen, in: Gloy/Loschelder/
Erdmann, Hdb. WettbewerbsR, § 66.
Köhler/Bornkamm, § 2 Rn. 19; Piper/Ohly/Sosnitza, Einf. D Rn. 25.
Begr. RegE UWG 2008 BT-Drs. 16/10145, S. 21; Piper/Ohly/Sosnitza, § 2 Rn. 30 ff.
Hierzu umfassend: Ahrens, in: Gloy/Loschelder/Erdmann, Hdb. WettbewerbsR, §§ 69, 70.
Art. 136 Abs. 1 des IPR-Gesetzes der Schweiz; § 48 Abs. 2 des österreichischen IPR-Gesetzes.
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II. Rechtliche Grundlagen
Handlungen nach den Art. 40, 41 EGBGB dem materiellen Recht des Handlungsortes.
Allerdings ist abweichend von den allgemeinen Regeln des Deliktsrechts der Ort
Handlungsort, an dem die wettbewerblichen Interessen der Mitbewerber aufeinanderstoßen (Marktortprinzip). 90 Ebenso sieht Art. 6 der Rom II Verordnung vor, dass das
Recht des Staates anzuwenden ist, in dessen Gebiet die Wettbewerbsbeziehungen oder
die kollektiven Interessen der Verbraucher beeinträchtigt worden sind oder wahrscheinlich beeinträchtigt werden. Etwas anderes soll nur gelten, wenn ein Wettbewerbsverhalten ausschließlich die Interessen eines bestimmten Wettbewerbers beeinträchtigt.91 Eingeschränkt wird dieser Grundsatz für Wettbewerbshandlungen im
Binnenmarkt durch das in Art. 2 der Fernsehrichtlinie,92 Art. 3 der E-CommerceRichtlinie,93 Art. 4 der UGP-Richtlinie und nunmehr wohl auch in Art. 16 der Dienstleistungsrichtlinie94 (allerdings in gegenüber dem ersten Vorschlag entschärfter
Form)95 niedergelegte sekundärrechtliche Herkunftslandprinzip. Die Einordnung dieses Prinzips als sach- oder kollisionsrechtlich wird, insbesondere hinsichtlich der
E-Commerce-Richtlinie, intensiv diskutiert.96 Der materiellrechtlichen Einordnung97
folgend darf das Sachrecht des Marktortes nicht zur Anwendung kommen, sofern es
strengere Maßstäbe anlegt, als das Sachrecht des Herkunftslandes, und es dadurch zu
einer Beeinträchtigung des freien Dienstleistungsverkehrs in den durch die Richtlinien geregelten Bereichen käme. Vor dem Hintergrund der mit der UGP-Richtlinie
bezweckten Vollharmonisierung beschränkt sich die Bedeutung des Marktortprinzips
des Art. 4 UGP-RL darauf, dass das Recht des Marktortes richtlinienkonform ausgestaltet und ausgelegt werden muss.98
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BGH GRUR 1962, 243, 245 – Kindersaugflaschen. Zur Rechtslage vor dem 11.1.2009 siehe
Köhler/Bornkamm, Einl. Rn. 5.5.
Ausführlich zum Internationalen Wettbewerbsrecht siehe S. 719 ff. in diesem Band.
Richtlinie 89/552 / EWG vom 3.10.1989 zur Koordinierung bestimmter Rechts- und Verwaltungsvorschriften der Mitgliedstaaten über die Ausübung der Fernsehtätigkeit, ABl. EG Nr. L
331/51, geändert durch Richtlinie 97/36 /EG vom 30.6.1997.
Richtlinie 2000/31/EG vom 8.6.2000 über bestimmte rechtliche Aspekte der Dienste der
Informationsgesellschaft, insbesondere des elektronischen Geschäftsverkehrs, im Binnenmarkt („Richtlinie über den elektronischen Geschäftsverkehr“), ABl. EG Nr. L 178/1.
Richtlinie 2006/123/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 12. Dezember
2006 über Dienstleistungen im Binnenmarkt, ABl. EG Nr. L 376/36.
Callies, Europäischer Binnenmarkt und europäische Demokratie: Von der Dienstleistungsfreiheit zur Dienstleistungsrichtlinie – und wieder Retour?, DVBl. 2007, 336, 345.
Piper /Ohly/Sosnitza, Einf. C Rn. 76 ff.; Zum Meinungsstand, Harte/Henning /Glöckner, Einl.
C Rn. 28 (zur Fernsehrichtlinie), Rn. 32 f. (zur E-Commerce-Richtlinie); MünchKommBGB /Drexl, Band 11 Internationales Recht gegen den unlauteren Wettbewerb,
Rn. 53 ff. (zur E-Commerce-Richtlinie).
So Piper /Ohly/Sosnitza, Einf. C Rn. 76 ff.
Ohly, Das Herkunftslandprinzip im Bereich vollständig angeglichenen Lauterkeitsrechts
Überlegungen zur Binnenmarktklausel der Richtlinie über unlautere Geschäftspraktiken
und zum BGH-Urteil „Arzneimittelwerbung im Internet“, WRP 2006, 1401.
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d) Rechtsdurchsetzung
Die Rechtsdurchsetzung lauterkeitsrechtlicher Ansprüche erfolgt im deutschen Recht
vor allem zivilrechtlich auf Grundlage der Ansprüche in den §§ 8-10 UWG, die nach
den Vorschriften der Zivilprozessordnung (ZPO) durchgesetzt werden. Daneben bestehen in besonderen Fällen auch strafrechtliche Sanktionen und Möglichkeiten zur verwaltungsrechtlichen Durchsetzung. 99
2. Stellung des UWG in der Rechtsordnung
a) Verhältnis des UWG zu den Sonderschutzrechten
In Anlehnung an den Wortlaut des Art. 1 PVÜ, der vom „Gewerblichen Eigentum“
spricht, werden das Lauterkeitsrecht des UWG sowie die Sonderschutzrechte, im Einzelnen das Markenrecht,100 das Patent101- und Gebrauchsmusterrecht102 und das Geschmacksmusterrecht,103 unter dem Oberbegriff „Gewerblicher Rechtsschutz“ zusammengefasst. Anders als die Rechte des geistigen Eigentums begründet das Lauterkeitsrecht keine ausschließlichen subjektiven Schutzrechte.104 Das ausschließlichen, absoluten Schutz gewährende Urheberrecht hingegen wird als vorrangig kulturelles
Schutzrecht, das durch die Werkschöpfung entsteht, nicht dem gewerblichen Rechtsschutz zugeordnet.105
Die Bestimmung des Verhältnisses zwischen UWG und den Sonderschutzrechten
lässt sich nur unter Berücksichtigung der Entwicklung der jeweiligen Gesetzesmaterien vornehmen. Das UWG 1909 enthielt mit § 16 eine eigene Regelung betreffend
den Missbrauch gewerblicher Kennzeichen. Zudem machte die Rechtsprechung regen
Gebrauch von den unter der Generalklausel des § 1 UWG 1909 entwickelten Fallgruppen der „Nachahmung fremder Leistungen“ und der „Rufausbeutung“. UWG und Sonderschutzrechte fanden dementsprechend nebeneinander Anwendung.106 Mit der
Weiterentwicklung der Sonderschutzrechte, insbesondere der Reform des Marken99
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Hierzu ausführlich S. 158 ff.
Markengesetz vom 25. Oktober 1994 (BGBl. I S. 3082 (1995, I S. 156); 1996, I S. 682), zuletzt
geändert durch Artikel 17 des Gesetzes vom 22. Dezember 2010 (BGBl. I S. 2248).
Patentgesetz in der Fassung der Bekanntmachung vom 16. Dezember 1980 (BGBl. 1981 I
S. 1), zuletzt geändert durch Artikel 1 des Gesetzes vom 31. Juli 2009 (BGBl. I S. 2521).
Gebrauchsmustergesetz in der Fassung der Bekanntmachung vom 28. August 1986 (BGBl. I
S. 1455), zuletzt geändert durch Artikel 2 des Gesetzes vom 31. Juli 2009 (BGBl. I S. 2521).
Geschmacksmustergesetz vom 12. März 2004 (BGBl. I S. 390), zuletzt geändert durch Artikel 6 des Gesetzes vom 31. Juli 2009 (BGBl. I S. 2521).
Ausführlich zur Abgrenzung und Konkurrenz zwischen UWG und dem „geistigen Eigentum“
siehe Piper /Ohly/Sosnitza, Einf. D Rn. 78 ff.
Piper /Ohly/Sosnitza, Einf. A Rn. 3; Das Urheberrecht schützt den Urheber nicht nur in
seinen vermögensrechtlichen, sondern auch in seinen geistigen und persönlichen Beziehungen zum Werk und in der Nutzung des Werkes, § 11 UrhG.
Henning-Bodewig, GRUR Int. 2007, 986.
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II. Rechtliche Grundlagen
rechts, wurde die Aufgabe des Leistungsschutzes weitgehend aus dem UWG ausgelagert. Parallel dazu entwickelte sich die These vom grundsätzlichen Vorrang der Sonderschutzrechte, die im Grundsatz bis heute Bestand hat. Derzeit gibt jedoch die aktuelle Entwicklung des Lauterkeitsrechts – namentlich die Richtlinie über unlautere
Geschäftspraktiken – Anlass das Verhältnis zwischen Lauterkeitsrecht und den Sonderschutzrechten erneut zu überdenken.107
Nach ständiger Rechtsprechung108 und bisher herrschender Lehre109 gehen die
Sonderschutzrechte, insbesondere das Markenrecht, dem Lauterkeitsrecht vor. Werden Sonderschutzrechte verletzt, so tritt das UWG grundsätzlich hinter den sondergesetzlichen Regelungen zurück. So kann beispielsweise die Verletzung eines Sonderschutzrechtes nicht zugleich wettbewerbsrechtliche Ansprüche – etwa durch Erfüllung
des Rechtsbruchtatbestands des § 4 Nr. 11 UWG oder in Anwendung der Generalklausel des § 3 UWG – begründen. Die durch die Sonderschutzrechte bereitgestellten
Rechtsfolgen sind insoweit abschließend.110 Zur Geltendmachung von Abwehr- und
Schadensersatzansprüchen ist nur der Inhaber des Sonderrechts berechtigt. Den lauterkeitsrechtsrechtlichen Regelungen kommt gegenüber den Sonderschutzrechten lediglich eine Ergänzungsfunktion zu. Der Anwendungsbereich für einen lauterkeitsrechtlichen Nachahmungsschutz ist nur dann eröffnet, wenn zusätzliche unlauterkeitsbegründende Umstände vorliegen, die außerhalb der sondergesetzlichen Tatbestände liegen.111 Einige dieser Umstände wurden im Rahmen der UWG-Novelle 2004 in § 4
Nr. 9 UWG kodifiziert. Kommt das UWG ergänzend zur Anwendung, so ist die den
Sonderschutzrechten zugrunde liegende Intention des Gesetzgebers zu berücksichtigen. Die Wertungen der Sonderschutzrechte dürfen nicht dadurch unterlaufen werden,
dass auf der Grundlage des UWG zusätzlicher Schutz gewährt wird.112
Das Markenrecht setzte sich bis zum Jahre 1995 aus verschiedenen im Warenzeichengesetz und im UWG enthaltenen Regelungen zusammen. Zudem fanden die Generalklauseln des UWG sowie § 823 I BGB auf kennzeichenrechtliche Tatbestände
Anwendung. Mit dem Markenrechtsreformgesetz113 wurde die Richtlinie 89/104 /
EWG des Rates vom 21. Dezember 1988 zur Angleichung der Rechtsvorschriften der
Mitgliedstaaten über die Marken in nationales Recht umgesetzt und mit dem Markengesetz eine umfassende Regelung des Kennzeichenrechts vorgenommen. Die zuvor im
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112
113
Siehe S. 128.
BGH GRUR 1999, 161, 162 – MAC Doc; BGH GRUR 2005, 163, 165 – Aluminiumräder; BGH
GRUR 2007, 339 – Stufenleiter.
Köhler/Bornkamm, § 4 Rn. 9.6 ff.; Piper/Ohly/Sosnitza, § 4 Rn 9/13.
Piper /Ohly/Sosnitza, Einf. D Rn. 79.
BGH GRUR 2000, 521, 523 – Modulgerüst, noch zu § 1 UWG 1909; BGH GRUR 2005, 349,
352 – Klemmbausteine III; BGH GRUR 2005, 600, 602 – Handtuchklemmen.
BGH GRUR 2005, 349, 352 – Klemmbausteine III zur zeitlichen Begrenzung des ergänzenden
Leistungsschutzes auf die Schutzdauer der Sonderrechte in Abkehr von seiner bisherigen
Rechtsprechung, siehe BGH GRUR 1964, 544 – Klemmbausteine I; BGH GRUR 1992, 619 –
Klemmbausteine II. Zu den Voraussetzung für eine vermeidbare Herkunftstäuschung gem. § 4
Nr. 9a UWG BGH GRUR 2005, 166, 168 – Puppenausstattung; BGH GRUR 2005, 600, 603 –
Handtuchklemmen.
Markenrechtsreformgesetz, BGBl. I 3082.
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Länderbericht Deutschland
UWG geregelten Tatbeständen wurden in das Gesetz mit aufgenommen. Obgleich der
Gesetzgeber in § 2 MarkenG die Anwendung anderer Vorschriften zum Schutz bereits
durch das Markengesetz geschützter Kennzeichen ausdrücklich erlaubt hat, kommt ein
Kennzeichenschutz durch das UWG nach Auffassung der bisher herrschenden Lehre114
und ständiger Rechtsprechung115 grundsätzlich nur in Betracht, wenn das betreffende
wettbewerbswidrige Verhalten nicht Gegenstand der sondergesetzlichen Regelungen
ist.116 Die Regelungen des Markengesetztes sind in der Regel vorrangig. Im Rahmen
der ergänzenden Anwendung des UWG auf markenrechtlich nicht geregelte Tatbestände sind wiederum die Wertungen des Markenrechts zu berücksichtigen.
Die ästhetische Gestaltung von Erzeugnissen und Erzeugnisteilen wird zum einen
durch das Geschmacksmustergesetz vom 12. März 2004117 zum anderen durch die Europäische Gemeinschaftsgeschmacksmusterverordnung118 geschützt. Unter dem
UWG 1909 kompensierte die Rechtsprechung zudem das Fehlen eines formlosen Geschmacksmusters,119 indem sie auf der Grundlage des § 1 UWG 1909 Nachahmungsschutz für ästhetische Produktgestaltungen (insbesondere Modeneuheiten) gewährte.120 Der nunmehr durch die Verordnung 6/2002 gewährte Schutz für nicht eingetragene Geschmacksmuster schließt die ergänzende Anwendung des UWG zwar nicht aus
(Art. 96 I VO Nr. 6/2002), lässt jedoch die Notwendigkeit einer Anwendung des lauterkeitsrechtlichen Nachahmungsschutzes praktisch entfallen.121
Die Schnittmenge von Patentrecht und Lauterkeitsrecht ist klein. Lauterkeitsrechtlicher Schutz patentrechtlich geschützter Produkte kommt nur in Betracht, wenn
zusätzliche unlauterkeitsbegründende Umstände vorliegen. So zum Beispiel, wenn
durch die Nachahmung der äußeren Gestaltung des Produkts eine Herkunftstäuschung
hervorgerufen wird. Ist die äußere Gestaltung des Produkts durch die technische Lehre
bedingt, so geht das Patentrecht dem Lauterkeitsrecht vor.122
Der Grundsatz des Vorrangs der Sonderschutzrechte gegenüber dem Lauterkeitsrecht bedarf jedoch wohl dann der Relativierung, wenn entsprechend Art. 6 II (a)
UGP-Richtlinie die Vermarktung eines Produkts eine Verwechslungsgefahr mit einem
anderen Produkt, Warenzeichen, Warennamen oder anderen Kennzeichen eines Mitbewerbers begründet und dadurch einen Durchschnittsverbraucher zu einer geschäftlichen Entscheidung veranlasst oder zu veranlassen geeignet ist. Die Vorschriften der
Richtlinie sehen einen Vorrang zugunsten der Sonderschutzrechte nicht vor.123 Der
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Köhler/Bornkamm, § 4 Rn. 10.77. m.w.N., Ingerl/Rohnke, Markengesetz, § 2 Rn. 1; zum Verhältnis des Nachahmungsschutzes gem. § 4 Nr. 9 UWG zum Markengesetz siehe Köhler/
Bornkamm, § 4 Rn. 9.9 ff.
BGH GRUR 2002, 622, 623 – shell.de; BGH GRUR 2004, 235, 238 – Davidoff II m.w.N.
A.A. Fezer, Markenrecht, § 2 Rn. 10.
Geschmacksmustergesetz vom 12. März 2004 (BGBl. I S. 390), zuletzt geändert durch Artikel
7 des Gesetzes vom 7. Juli 2008 (BGBl. I S. 1191).
Verordnung (EG) Nr. 6/2002 des Rates vom 12. Dezember 2001 über das Gemeinschaftsgeschmacksmuster.
Piper /Ohly/Sosnitza, Einf. D Rn. 83.
BGH GRUR 1973, 478 – Modeneuheit; BGH GRUR 1994, 630 – Cartier-Armreif.
Ohly, GRUR 2007, 731, 739.
Köhler/Bornkamm, § 4 Rn. 9.12.
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II. Rechtliche Grundlagen
deutsche Gesetzgeber hatte also bei der Umsetzung sicherzustellen, dass alle Personen
oder Organisationen, die nach dem nationalen Recht ein berechtigtes Interesse an der
Bekämpfung unlauterer Geschäftspraktiken haben, also nicht nur der Inhaber eines
Sonderschutzrechts sondern alle gem. § 8 III UWG Anspruchsberechtigten, gerichtlich gegen eine entsprechende Vermarktung vorgehen können.
Entgegen anders lautender Empfehlungen hat sich der Gesetzgeber gegen eine
Neufassung des § 4 Nr. 9 lit. a) UWG 2004124 oder eine Auslegung der Norm im Sinne
von Art. 6 II UGP-Richtlinie125 entschieden und stattdessen mit § 5 II einen neuen
Irreführungstatbestand aufgenommen.126 Zudem sieht Nr. 13 des Anhangs in Verbindung mit § 3 III UWG vor, dass Werbung für eine Ware oder Dienstleistung, die der
Ware oder Dienstleistung eines Mitbewerbers ähnlich ist, stets unzulässig ist, wenn
dies in der Absicht geschieht, über die betriebliche Herkunft der beworbenen Ware
oder Dienstleistung zu täuschen. Die Konkretisierung des Verhältnisses zwischen dem
neu gefassten Lauterkeitsrecht und den Sonderschutzrechten hat der Gesetzgeber ausdrücklich der Rechtsprechung überlassen.127 Der Grundsatz des Vorrangs der Sonderschutzrechte ist jedoch vor dem Hintergrund der UGP-Richtlinie zumindest in den
Fällen des § 5 II UWG sowie des § 3 III UWG i.V.m. Nr. 13 Anhang nicht mehr haltbar.
b) Verhältnis des UWG zum Kartellrecht
Das Lauterkeitsrecht und das im Gesetz gegen Wettbewerbsbeschränkungen (GWB)128
geregelte Kartellrecht werden regelmäßig unter dem Oberbegriff des „Wettbewerbsrechts“ zusammengefasst.129 Beide Rechtsgebiete dienen dem Schutz des freien unverfälschten Wettbewerbs vor Beeinträchtigung, wobei das Lauterkeitsrecht den Wettbewerb vor unlauteren Wettbewerbsmethoden schützt, also das Verhalten der Marktteilnehmer steuert, während es Aufgabe des Kartellrechts ist, den Wettbewerb als Institution zu erhalten. Die verschiedenen Zielrichtungen schließen sich dabei nicht gegenseitig aus, vielmehr enthalten beide Gesetze gleichberechtigt nebeneinander anwendbare, einander ergänzende Regelungen.130 Verstößt eine „geschäftliche Handlung“ (§ 2
Nr. 1 UWG) sowohl gegen Lauterkeitsrecht als auch gegen Kartellrecht, so finden beide
Rechtsgebiete nebeneinander Anwendung.131 So können insbesondere einseitige Verhaltensweisen, namentlich der Boykott (§ 4 Nr. 10 UWG und §§ 19, 20 GWB) oder die
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131
Begr. RegE UWG 2008 BT-Drs. 16/10145, S. 17.
Köhler, GRUR 2007, 548.
Hening-Bodewig, GRUR Int. 2007, 986; Köhler, GRUR 2007, 548.
Begr. RegE UWG 2008 BT-Drs. 16/10145, S. 17.
Begr. RegE UWG 2008 BT-Drs. 16/10145, S. 17.
Gesetz gegen Wettbewerbsbeschränkungen in der Fassung der Bekanntmachung vom 15. Juli
2005 (BGBl. I S. 2114), zuletzt geändert durch Artikel 2c des Gesetzes vom 15. Dezember
2008 (BGBl. I S. 2426).
Zur zum Teil divergierenden Terminologie siehe Köhler, WRP 2005, 645 Fn. 1.
Harte/Henning /Brüning, Einl. F Rn. 112; Köhler/Bornkamm, Einl. UWG Rn. 6.13.
BGHZ 13, 33, 37 – Warenkredit.
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Behinderung132 (§ 4 Nr. 10 UWG und § 21 GWB), unter den Anwendungsbereich beider Gesetze fallen.133 Erfüllt der Sachverhalt sowohl den lauterkeitsrechtlichen als auch
den kartellrechtlichen Tatbestand, so besteht Anspruchskonkurrenz.134 Erfüllt ein
Sachverhalt hingegen nur den lauterkeitsrechtlichen Tatbestand, nicht aber den kartellrechtlichen, so sind im Rahmen der Anwendung des UWG die Wertungen des
GWB zu berücksichtigen, um Widersprüche zu vermeiden.135 Insbesondere dürfen die
Tatbestandsvoraussetzungen des GWB, etwa das Anknüpfen an eine bestimmte Marktmacht (§§ 19, 20 GWB), nicht durch die Anwendung des UWG unterlaufen werden.136
Die Anwendung der lauterkeitsrechtlichen Normen ist jedoch nicht vollständig ausgeschlossen, sofern weitere unlauterkeitsbegründende Umstände vorliegen, die vom
kartellrechtlichen Tatbestand nicht erfasst werden.137 Gleiches gilt auch für das Verhältnis des UWG zum europäischen Kartellrecht (Artt. 101 ff. AEUV).
Probleme bereitete in der Vergangenheit die Frage, ob Verstöße gegen kartellrechtliche Vorschriften zugleich durch Erfüllung des Rechtsbruchtatbestands des § 4 Nr. 11
UWG lauterkeitsrechtliche Ansprüche begründen können. Der Bundesgerichtshof hat
dies richtigerweise in Abkehr von seiner früheren Rechtsprechung138 und in Einklang
mit der in der Literatur überwiegend vertretenen Auffassung139 verneint.140 Das GWB
hält neben verwaltungs- und ordnungswidrigkeitenrechtlichen Sanktionen mit den
§§ 33, 34a ein eigenes Instrumentarium zur Durchsetzung zivilrechtlicher Ansprüche
bereit,141 das insbesondere hinsichtlich der Anspruchsberechtigung von den maßgeblichen Normen des UWG abweicht. Das Kartellrecht ist insoweit als abschließende
Regelung zu betrachten.142
c) Verhältnis des UWG zum Bürgerlichen Recht
Der deutsche Gesetzgeber hat das Lauterkeitsrecht überwiegend privatrechtlich ausgestaltet. Das UWG verbietet unlautere geschäftliche Handlungen und bezweckt da132
BGH GRUR 1985, 883, 885 – Abwehrblatt I; GRUR 1986, 397, 399 – Abwehrblatt II.
133
Zu „Anzapfen“, „Verkauf unter Einstandspreis“ und dem „massenhaften Verschenken von
Waren oder Dienstleistungen“ siehe Holtorf, in: Gloy/Loschelder/Erdmann, Hdb. WettbewerbsR, § 16 Rn. 8 ff.; Köhler, WRP 2005, 645, 648 ff.
Köhler, WRP 2005, 645, 647; Piper/Ohly/Sosnitza, Einf. D Rn. 73.
Harte/Henning/Brüning, Einl. F Rn. 114; Köhler, WRP 2005, 645, 647.
Piper /Ohly/Sosnitza, Einf. D Rn. 74.
BGH GRUR 1972, 40, 43 – Feld und Wald I; BGH GRUR 1995, 690, 692 f. – Hitlisten Platten;
Köhler, WRP 2005, 645, 647; Harte/Henning /Brüning, Einl. F Rn. 114; Holtorf, in: Gloy/
Loschelder/Erdmann, Hdb. WettbewerbsR, § 3 Rn. 2; Piper /Ohly/Sosnitza, Einf. D Rn. 74.
BGH GRUR 1958, 621 – Preisempfehlung, BGH GRUR 1978, 445 – 4 zum Preis von 3, BGH
GRUR 2003, 77 – Fernwärme für Börnsen.
Köhler/Bornkamm, § 4 Rn. 11.12; Piper/Ohly/Sosnitza, Einf. D Rn. 76; a.A. Harte/Henning /
Brüning, Einl. F Rn. 113.
BGH GRUR 2006, 773 – Probeabonnement.
Die §§ 33 f. GWB erfassen auch Verstöße gegen Artt. 101 f. AEUV.
BGH GRUR 2006, 773 – Probeabonnement; Köhler/Bornkamm, Einl. UWG Rn. 6.15.
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II. Rechtliche Grundlagen
mit neben dem Schutz des Wettbewerbs als Institution vor allem den Schutz der Individualinteressen der Mitbewerber, Verbraucher und sonstigen Marktteilnehmer. Vor
diesem Hintergrund ist das Lauterkeitsrecht als Sonderprivatrecht oder präziser als
Sonderdeliktsrecht zu qualifizieren.143 Soweit das UWG keine abschließenden Sonderregelungen enthält, sind die allgemeinen deliktsrechtlichen Vorschriften des BGB –
insbesondere die Bestimmungen zur Verantwortlichkeit (§§ 827, 828 BGB) sowie zur
Täterschaft (§ 830 BGB) – ergänzend anwendbar.144 Der Anwendung der Bestimmung
des § 831 BGB auf die Zurechnung von Lauterkeitsverstößen durch Hilfspersonen und
der damit verbundenen Exkulpationsmöglichkeit des Geschäftsherren steht zumindest
für Unterlassungs- und Beseitigungsansprüche der speziellere § 8 II UWG entgegen.
Bei Schadensersatz- (§ 9 UWG) und Gewinnabschöpfungsansprüchen (§ 10 UWG)
ist nach herrschender Auffassung145 § 831 BGB heranzuziehen.146
Zwischen den wettbewerbsrechtlichen und den allgemeinen deliktsrechtlichen
Tatbeständen besteht grundsätzlich Anspruchskonkurrenz. Eine geschäftliche Handlung kann sowohl einen UWG-Tatbestand als auch den Tatbestand des § 823 I BGB
erfüllen, etwa wenn durch eine unlautere geschäftliche Handlung die Gesundheit, die
Freiheit, das Eigentum oder das allgemeine Persönlichkeitsrecht eines Mitbewerbers
oder Verbrauchers rechtswidrig verletzt wird. Ansprüche aus § 823 I BGB wegen Verletzung des Rechts am eingerichteten und ausgeübten Gewerbebetrieb, welches das
Reichsgericht einst als sonstiges Recht i.S.d. § 823 I BGB entwickelte, um das Fehlen
einer lauterkeitsrechtlichen Generalklausel zu kompensieren,147 kommen wegen seiner Funktion als Auffangtatbestand hingegen nicht in Betracht, sofern die Voraussetzungen des § 3 UWG vorliegen.148
§ 823 II BGB ist ebenfalls neben den lauterkeitsrechtlichen Tatbeständen anwendbar, sofern die betreffende geschäftliche Handlung gegen weitere nicht wettbewerbsrechtliche Vorschriften verstößt. § 3 UWG, dessen zivilrechtlichen Rechtsfolgen in
den § 8 ff. UWG abschließend geregelt sind,149 ist kein Schutzgesetz i.S.d. § 823 II
BGB.150 Allerdings können unlautere geschäftliche Handlungen Ansprüche aus § 823
II BGB i.V.m. den wettbewerbsrechtlichen Straftatbestände des UWG und des StGB
begründen.151 Auch der Anwendbarkeit der §§ 824, 826 BGB steht das UWG nicht
143
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151
Holtorf, in: Gloy/Loschelder/Erdmann, Hdb. WettbewerbsR, § 21 Rn. 1 ff.; Piper /Ohly/Sosnitza, Einf. D Rn. 56.
BGH WRP 2002, 532, 533 – Meißner Dekor; Köhler/Bornkamm, Einl. 7.1 f.
Fezer /Büscher, § 8 Rn. 173; Harte/Henning/Bergmann, § 8 Rn. 243; Köhler/Bornkamm, Einl.
7.2, § 8 Rn. 2.36; a.A. Busch, GPR 2008, 158, 160, der sich vor dem Hintergrund der UGP-RL
für eine strengere Zurechnung ohne Exkulpationsmöglichkeiten, namentlich eine analoge
Anwendung des § 8 II UWG ausspricht.
Begr. RegE UWG 2004, BT-Drs. 15/1487 S. 22.
RGZ 58, 24, 29 f. – Juteplüsch.
BGH GRUR 1972, 189, 191 – Wandsteckdose; Harte/Henning /Ahrens, Einl. F Rn. 139; Piper /
Ohly/Sosnitza, Einf. D Rn. 59 f.
Begr. RegE UWG 2004 BT-Drs. 15/1487, S. 22; Harte/Henning /Ahrens, Einl. F Rn. 137.
Holtorf, in: Gloy/Loschelder/Erdmann, Hdb. WettbewerbsR, § 21 Rn. 15; a.A. Sack, Individualschutz gegen unlauteren Wettbewerb, WRP 2009, 1330.
Piper /Ohly/Sosnitza, Einf. D Rn. 62.
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entgegen, zumal beide Normen strengere Voraussetzungen aufstellen als die jeweiligen
UWG-Normen.152
Probleme bereitet im Verhältnis zwischen UWG und Bürgerlichem Recht die unterschiedliche Verjährung.153 Während sich die Verjährung lauterkeitsrechtlicher
Ansprüche nach § 11 UWG (6 Monate) richtet, gilt für die deliktsrechtlichen Ansprüche die allgemeine Verjährungsfrist der §§ 195, 199 BGB (3 Jahre). Die Rechtsprechung hat eine generelle Lösung abgelehnt154 und beurteilt für jeden Anspruch gesondert, ob das Verhältnis der Tatbestände zueinander die kürzere Verjährung rechtfertigt.
Als Grundsatz lässt sich jedoch festhalten, dass der Verletzer nicht privilegiert werden
soll, wenn er neben deliktsrechtlichen Tatbeständen auch lauterkeitsrechtliche Tatbestände erfüllt.155
Das Lauterkeitsrecht und das Vertragsrecht stehen grundsätzlich voneinander
unabhängig nebeneinander. Weder stellt eine Vertragsverletzung automatisch eine
unlautere geschäftliche Handlung dar, noch führt eine solche Handlung ohne weiteres
zur Nichtigkeit eines in der Folge geschlossenen Vertrags. Weder ist § 3 UWG ein Verbotsgesetz i.S.d. § 134 BGB, noch deckt sich dessen Begriff der „Unlauterkeit“ mit dem
Begriff der „guten Sitten“ des § 138 BGB.156 Das bedeutet jedoch nicht, dass unlautere
geschäftliche Handlungen keinerlei Auswirkungen auf vertragsrechtlicher Ebene haben. Unlautere geschäftliche Handlungen bei Vertragsschluss, etwa die Ausübung von
Druck (§ 4 Nr. 1 UWG) oder die Irreführung (§§ 5, 5a UWG), können zugleich nach
§ 123 BGB zur Anfechtung des Vertrages berechtigen – sofern die betreffende Handlung die Voraussetzungen der widerrechtlichen Drohung oder der arglistigen Täuschung erfüllt. Ebenso kann sich als Folge solcher Handlungen ein Schadensersatzanspruch unter den Voraussetzungen der culpa in contrahendo gem. §§ 280 I, 311 II, 241
II BGB ergeben.157 Irreführende Angaben über Produkteigenschaften in der Werbung
können einen Sachmangel (§ 434 I S. 3 BGB) begründen und so Gewährleistungsrechte auslösen (§§ 437 ff. BGB), das irreführende Vorenthalten einer wesentlichen Information nach § 5a III UWG kann im Rahmen von Haustür- und Fernabsatzgeschäften
dazu führen, dass gem. §§ 312 I, 312d II, 355 III BGB Widerrufsfristen nicht zu laufen
beginnen.
Mit der Umsetzung der UGP-Richtlinie ins deutsche Recht, in deren Rahmen der
Anwendungsbereich des UWG entsprechend der Richtlinie auf Verhaltensweisen
nach Geschäftsabschluss (§ 2 Nr. 1 UWG) ausgeweitet wurde, wurde auch die Schnittmenge zwischen Lauterkeits- und Vertragsrecht erweitert.158 Während Handlungen
nach Vertragsschluss bisher ausschließlich den vertragrechtlichen Vorschriften unterworfen waren und im Einzelfall als Pflichtverletzung zu Schadensersatzansprüchen un152
153
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158
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Köhler /Bornkamm, Einl. 7.6 f.
Ausführlich Harte/Henning /Ahrens, Einl. F Rn. 130-132.
BGH GRUR 1962, 312, 314 – Gründerbildnis.
Piper /Ohly/Sosnitza, Einf. D Rn. 64.
BGH GRUR 1990, 522, 528 – HBV-Familien- und Wohnrechtssschutz (noch zu § 1 UWG 1909);
Harte/Henning/Ahrens, Einl. F Rn. 145; Köhler/Bornkamm, Einl. 7.8.; Piper /Ohly/Sosnitza,
Einf. D Rn. 67a.
Harte/Henning/Ahrens, Einl. F Rn. 158; Köhler/Bornkamm, Einl. 7.13.
Harte/Henning/Ahrens, Einl. F Rn. 149.
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III. Die Generalklausel
ter den Voraussetzungen des § 280 BGB berechtigten, können solche Verhaltensweisen
nunmehr auch als „geschäftliche Handlung“ i.S.d. § 2 Nr. 1 UWG zu qualifizieren sein
und lauterkeitsrechtliche Ansprüche begründen.159
III. Die Generalklausel
Literatur: Henning-Bodewig, Neue Aufgaben für die Generalklausel?, GRUR 1997, 180; Heermann, Die Erheblichkeitsschwelle des § 3 UWG-E, GRUR 2004, 94; Köhler, Die „Bagatellklausel“
in § 3 UWG, GRUR 2005, 1; Ders., Zur richtlinienkonformen Auslegung und Neuregelung der „Bagatellklausel“ in § 3 UWG, WRP 2008, 10; Ohly, Richterrecht und Generalklausel im Recht des
unlauteren Wettbewerbs (1997); Sack, Die lückenfüllende Funktion der Sittenwidrigkeitsklauseln,
WRP 1985, 1; Scherer, Die „Verbrauchergeneralklausel“ des § 3 II 1 UWG – eine überflüssige Norm,
WRP 2010, 586; Schöttle, Aus eins mach zwei – die neuen Generalklauseln im Lauterkeitsrecht,
GRUR 2009, 546; Schünemann, „Unlauterkeit“ in den Generalklauseln und Interessenabwägung
nach neuem UWG, WRP 2004, 925; Ders. Generalklausel und Regelbeispiele, JZ 2005, 271.
§ 3 I UWG ist die zentrale Norm des Lauterkeitsrechts. Der Unlauterkeitsbegriff der
Generalklausel wird durch die Liste typischer Erscheinungsformen unlauteren Handelns in den §§ 4-6 UWG konkretisiert. Geschäftliche Handlungen, die einen Beispieltatbestand erfüllen, lösen grundsätzlich nur dann als unzulässig die Rechtsfolgen
der §§ 8 ff. UWG aus, wenn die weiteren Tatbestandsvoraussetzungen des § 3 I UWG
erfüllt sind.160 Von dieser Systematik weicht der Gesetzgeber im Falle der unzumutbaren Belästigung (§ 7 UWG) ab, die seit der UWG-Novelle 2008 einen eigenen Verbotstatbestand darstellt.161 Weitere Ausnahmen stellen die im Rahmen der UWG Novelle aufgenommenen Absätze II und III des § 3 UWG dar.
Anders als die aus einer Vorschrift bestehende Generalklausel des § 3 UWG 2004
setzt sich § 3 UWG nunmehr aus drei Tatbeständen unzulässiger geschäftlicher Handlungen zusammen. Mit Absatz I wurde die Generalklausel des § 3 UWG 2004 im
Wesentlichen beibehalten. Neu eingefügt wurde in Absatz II eine Generalklausel betreffend geschäftliche Handlungen gegenüber Verbrauchern, die der Umsetzung von
Art. 5 II und III UGP-Richtlinie in das nationale Recht dient. Absatz III verweist in
Umsetzung von Art. 5 V UGP-Richtlinie auf die so genannte black list mit 30 Geschäftspraktiken gegenüber Verbrauchern, die „stets unzulässig“ sind. Letzterer Tatbestand lässt sich auf Grund seiner Bestimmtheit freilich nicht mehr unter den Begriff
der Generalklausel fassen. Allen drei Tatbeständen gemein ist die Voraussetzung einer
„geschäftlichen Handlung.“ § 3 II 2 und 3 UWG legt zudem das bei der Anwendung
aller Tatbestände162 anzulegende Verbraucherleitbild fest. Mit der Regelung wurde das
159
160
161
162
Zu den Voraussetzungen siehe Scherer, WRP 2009, 761.
Köhler/Bornkamm, § 4 Rn. 0.2.
Der Gesetzgeber erachtete eine Erheblichkeitsprüfung nach § 3 I UWG zusätzlich zu der
Voraussetzung der Unzumutbarkeit für nicht sinnvoll. Begr. RegE UWG 2008, BT-Drs. 16/
10145, S. 28. Ausführlich zum Tatbestand der unzumutbaren Belästigung siehe S. 139 ff.
Und nicht nur des § 3 II, Köhler/Bornkamm, § 3 Rn. 12.
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bereits dem UWG 2004 zu Grunde liegende163 und ständiger BGH-Rechtsprechung164
entsprechende Bild des informierten, verständigen und angemessen aufmerksamen
Durchschnittsverbrauchers kodifiziert und Art. 5 III UGP-Richtlinie folgend um Regelungen zu Verbrauchergruppen ergänzt, die auf Grund von geistigen oder körperlichen Gebrechen, Alter oder Leichtgläubigkeit besonders schutzbedürftig sind.165
Während der Begriff der Unlauterkeit nach Art. 5 UGP-Richtlinie ein wettbewerbswidriges Verhalten und eine bestimmte Auswirkung auf das geschäftliche Verhalten der Verbraucher voraussetzt, trennt das UWG begrifflich zwischen der Unlauterkeit einer geschäftlichen Handlung und ihrer geschäftlichen Relevanz.166 Eine unlautere geschäftliche Handlung kann folglich nach den Vorschriften des UWG mangels geschäftlicher Relevanz dennoch zulässig sein. Die maßgebliche geschäftliche
Relevanz wird in den Absätzen I und II des § 3 UWG für die von ihnen jeweils erfassten
unlauteren Verhaltensweisen umschrieben. Während Absatz I verlangt, dass die unlautere Handlung objektiv geeignet ist, die Interessen von Mitbewerbern, Verbrauchern oder sonstigen Marktteilnehmern spürbar zu beeinträchtigen, setzt Absatz II
die Eignung voraus, die Fähigkeit des Verbrauchers, sich auf Grund von Informationen
zu entscheiden, spürbar zu beeinträchtigen und ihn damit zu einer geschäftlichen Entscheidung zu veranlassen, die er andernfalls nicht getroffen hätte.167 Die geschäftliche
Relevanz der nach § 3 III UWG stets unzulässigen geschäftlichen Handlungen wird
unwiderleglich vermutet.168 Darüber hinaus ist auch einigen der Beispieltatbestände
der §§ 4-6 UWG die geschäftliche Relevanz immanent.169
1. Der Tatbestand des § 3 III UWG
§ 3 III UWG verweist auf eine Liste geschäftlicher Handlungen gegenüber Verbrauchern im Anhang des UWG (black list), die als stets unlauter angesehen werden.170
Für die dort genannten Fälle entfällt die Prüfung der Spürbarkeit der Wettbewerbsbeeinträchtigung. Eine spürbare Wettbewerbsbeeinträchtigung solcher Handlungen
wird unwiderleglich vermutet.171 Es handelt sich bei den genannten Fällen um Verbote
ohne Wertungsmöglichkeiten (per-se-Verbote).172 Die Regierungsbegründung zur
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Begr. RegE UWG 2008, BT-Drs. 16/10145, S. 22; Schöttle, GRUR 2009, 546, 549.
BGH GRUR 2000, 619 – Orient-Teppichmuster; BGH GRUR 2002, 976 – Kopplungsangebot I;
BGH GRUR 2004, 151 – Farbmarkenverletzung I; zu bestimmten Verbrauchergruppen BGH
GRUR 2006, 776 – Werbung für Klingeltöne; BGH GRUR 2007, 978 – Rechtsberatung und
Haftpflichtversicherer.
Ausführlich zum Verbraucherleitbild siehe S. 132.
Köhler/Bornkamm, § 3 Rn. 10.
Ausführlich zur Bagatellschwelle des § 3 I und II siehe Schöttle, GRUR 2009, 546, 547 ff.
Köhler/Bornkamm, § 3 Rn. 6, 10.
Zur geschäftlichen Relevanz der Beispieltatbestände der §§ 4-6 UWG siehe Köhler/Bornkamm, § 3 Rn. 136 ff.
Zu den einzelnen Fallgruppen: Loschelder/Dörre, in: Gloy/Loschelder/Erdmann, Hdb. WettbewerbsR, § 47 Rn. 3 ff.; Scherer, NJW 2009, 324; Schöttle, WRP 2009, 673.
Harte/Henning/Schünemann, § 3 Rn. 457; Köhler/Bornkamm, § 3 Rn. 6, 10.
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III. Die Generalklausel
UWG Reform 2008 geht jedoch davon aus, dass trotz der gesetzlichen per se Verbote
Fallgestaltungen denkbar seien, in denen ein unlauteres Verhalten nach § 3 III UWG
i.V.m. dem Anhang keine lauterkeitsrechtlichen Sanktionen auslöst. Dies ergebe sich
daraus, dass auch die im Anhang genannten Fälle dem allgemein gültigen Grundsatz
der Verhältnismäßigkeit unterlägen (vgl. Erwägungsgrund 6 UGP-RL).173 Diese Ansicht erscheint jedoch im Hinblick auf die Regelung in Erwägungsgrund 17 der UGPRichtlinie, die eine Berücksichtigung des jeweiligen Einzelfalls ausschließt, und in Anbetracht der angestrebten Rechtssicherheit zweifelhaft.174
Die Auflistung im Anhang zum UWG, die weitestgehend eine wortwörtliche Umsetzung des Anhangs zur UGP-Richtlinie darstellt, gliedert sich in irreführende Geschäftspraktiken (Nr. 1 bis Nr. 24) und aggressive Geschäftspraktiken (Nr. 25 bis
30).175 Im Zusammenhang mit den dort genannten Fallgruppen gilt es zu beachten,
dass diese nur im Verhältnis von Unternehmern gegenüber Verbrauchern anwendbar
sind (vgl. § 3 III UWG). Im Verhältnis gegenüber Unternehmern (B2B-Verhältnis)
dürften die Fälle im Anhang aufgrund ihres spezifischen Verbraucherbezugs keine große Rolle spielen.176 Soweit man den Fallgruppen jedoch eine Indizwirkung für das Verhältnis gegenüber Unternehmern und anderen Marktteilnehmern zubilligt,177 wird deren Berücksichtigung im Interesse der Gepflogenheiten des kaufmännischen Verkehrs
und der Wettbewerbsfreiheit nur sehr eingeschränkt zur Vermeidung krasser Wertungswidersprüche möglich sein.178
2. Der Tatbestand des § 3 II UWG
§ 3 II UWG findet ebenfalls ausschließlich auf geschäftliche Handlungen gegenüber
Verbrauchern Anwendung. Die Vorschrift geht dahingehend über die Anforderungen
der UGP-Richtlinie (Art. 2 lit. d) hinaus, dass sie nicht nur Verhaltensweisen zur Absatzförderung erfasst, sondern auch gegenüber Verbrauchern, die als Anbieter von Waren oder Dienstleistungen tätig werden (§ 2 I Nr. 1 UWG).179 Allerdings findet § 3 II
UWG nicht auf alle unlauteren geschäftlichen Handlungen gegenüber Verbrauchern
Anwendung. Mit der Aufnahme des § 3 II UWG wurde Art. 5 II und III der UGP-
172
173
174
175
176
177
178
179
Zur Kritik am Begriff der „Verbote ohne Wertungsmöglichkeiten“, Köhler/Bornkamm, § 3
Rn. 25.
Begr. RegE UWG 2008, BT-Drs. 16/10145, S. 30; vgl. auch Gebauer/Wiedmann/Busch,
Unlauterer Wettbewerb, Rn. 202.
Harte/Henning /Henning-Bodewig, Anh. § 3 Abs. 3 Rn. 16; Piper/Ohly/Sosnitza, Anhang zu
§ 3 Abs. 3, Rn. 3.
Zu den (rein redaktionellen) Unterschieden, vgl. Begr. RegE UWG 2008, BT-Drs. 16/
10145, S. 30.
Zutreffend Harte/Henning/Schünemann, § 3 Rn. 463.
Köhler/Bornkamm, § 3 Rn. 29.
Begr RegE, BT-Drs. 15/10145, S. 22; Harte/Henning/Schünemann, § 3 Rn. 463.
Köhler/Bornkamm, § 3 Rn. 7.
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89
Länderbericht Deutschland
Richtlinie180 in nationales Recht umgesetzt. Entsprechend gilt § 3 II UWG nur für geschäftliche Handlungen, die in den Anwendungsbereich der Generalklausel des
Art. 5 II UGP-Richtlinie fallen (str.).181 Geschäftliche Handlungen, die nach Artt.
5 IV, 6-9 UGP-Richtlinie unlauter sind, namentlich irreführende oder aggressive Geschäftspraktiken, werden nicht erfasst. Die Umsetzung dieser Normen ins deutsche
Recht findet sich in den §§ 4-5a UWG. Geschäftliche Handlungen gegenüber Verbrauchern, die einen dieser Unlauterkeitstatbestände erfüllen, fallen somit nicht in
den Anwendungsbereich des § 3 II UWG. Gleiches gilt für den Tatbestand der vergleichende Werbung (§ 6 UWG) der auf die Richtlinie 2006/114 /EG über irreführende
und vergleichende Werbung zurückgeht.
Unzulässigkeitsvoraussetzung für eine geschäftliche Handlung nach § 3 II UWG
ist, dass diese nicht der für den Unternehmer geltenden fachlichen Sorgfalt entspricht.
Bereits in der Begründung zum Regierungsentwurf zum UWG 2004 werden Handlungen als unlauter eingeordnet, „die den anständigen Gepflogenheiten in Handel, Gewerbe, Handwerk oder selbständiger beruflicher Tätigkeit zuwiderlaufen.“182 Insofern
dürften sich durch die Aufnahme des zweiten Absatzes keine Änderungen im Vergleich zur alten Rechtslage ergeben.183
3. Der Tatbestand des § 3 I UWG
Entsprechend der Beschränkung des Anwendungsbereichs der Absätze II und III auf
geschäftliche Handlungen gegenüber Verbrauchern erfasst § 3 I UWG alle geschäftlichen Handlungen gegenüber Mitbewerbern und sonstigen Marktteilnehmern. Geschäftliche Handlungen gegenüber Verbrauchern fallen dann in den Anwendungsbereich des Absatz I, wenn diese unlauter nach den §§ 4-6 UWG sind. Auch geschäftliche Handlungen, die weder die Beispieltatbestände der §§ 4-6 UWG noch die Spezialtatbestände der black list erfüllen, können gegebenenfalls nach § 3 I UWG unlauter
sein. So wird zum Beispiel die unter § 1 UWG 1909 anerkannte Fallgruppe der allgemeinen Marktbehinderung,184 die nicht als Beispieltatbestand in § 4 aufgenommen
allerdings auch nicht vom Gesetzgeber in Frage gestellt wurde, auf die Generalklausel
gestützt. § 3 I UWG nimmt insoweit eine Auffangfunktion war, wobei der verbleibende Anwendungsbereich des Auffangtatbestands vor dem Hintergrund des generalklauselartigen Charakters einiger Beispieltatbestände begrenzt ist.185 Die Vorschrift kann
herangezogen werden, wenn sich die unlauterkeitsbegründenden Umstände einer
(neuartigen) geschäftlichen Handlung unter keinen der Beispieltatbestände subsumie180
181
182
183
184
185
90
Begr. RegE UWG 2008 BT-Drs. 16/10145, S. 22.
So Köhler/Bornkamm, § 3 Rn. 8; Scherer, WRP 2010, 586 mit ausführlicher Darstellung des
Meinungsstands.
Begr. RegE UWG 2004 BT-Drs. 15/1587, S. 16.
Begr. RegE UWG 2008 BT-Drs. 16/10145, S. 15; Schöttle, GRUR 2009, 546, 548; Vor diesem
Hintergrund spricht Scherer sich dafür aus, § 3 II als überflüssig zu ignorieren und auch für die
erfassten Fälle die Generalklausel des § 3 I heranzuziehen, WRP 2010, 586, 592.
Dazu ausführlich S. 113.
Köhler/Bornkamm, § 3 Rn. 65.
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IV. Schutz gegen das Ausnutzen fremder Leistungen
ren lassen. Den Gerichten kommt dann die Aufgabe zu, die Generalklausel, insbesondere das Tatbestandsmerkmal der Unlauterkeit, zu konkretisieren.186 Die Prüfung der
Unlauterkeit einer geschäftlichen Handlung erfordert eine umfassende Würdigung der
Umstände des jeweiligen Einzelfalls, insbesondere des Gesamtcharakters des betreffenden Verhaltens, namentlich des konkreten Anlasses und Zwecks, der eingesetzten Mittel sowie der Begleitumstände und Auswirkungen.187 Dabei sind die den Beispieltatbeständen zugrunde liegenden Wertungen zu berücksichtigen.188 Weiterhin sind die
einander gegenübertretenden Interessen der Beteiligten unter Berücksichtigung des
Schutzzwecks des UWG, des Gemeinschaftsrechts und der Verfassung, insbesondere
der Grundrechte, gegeneinander abzuwägen.189
Die Generalklausel ist ebenso wie die Beispieltatbestände der §§ 4-6 UWG verfassungskonform am Maßstab der Grundrechte auszulegen.190 Soweit eine Norm in den
Anwendungsbereich der UGP-Richtlinie oder der Irreführungsrichtlinie fällt, ist zudem die Richtlinienkonformität der Auslegung zu berücksichtigen, wobei die richtlinienkonforme Auslegung im Falle ungleicher Ergebnisse der verfassungskonformen
Auslegung vorgeht.191 Damit ermöglicht die Generalklausel eine frühzeitige Anpassung des Lauterkeitsrechts an europäische Rechtsentwicklungen. So fanden in der Vergangenheit im Rahmen einer richtlinienkonformen Auslegung der Generalklausel Inhalte der noch nicht umgesetzten Richtlinie über vergleichende Werbung – bereits vor
Ablauf der Umsetzungsfrist – Berücksichtigung.192
IV. Schutz gegen das Ausnutzen fremder Leistungen
Literatur: Beyerlein, Ergänzender Leistungsschutz gemäß § 4 Nr. 9 UWG als „geistiges Eigentum“
nach der Enforcement-Richtlinie (2004/48 /EG), WRP 2005, 1354; Erdmann, Die zeitliche Begrenzung des ergänzenden wettbewerbsrechtlichen Leistungsschutzes, FS Vieregge (1995), 81; Gauß,
Oliver Kahn, Celebrity Deathmatch und das Right of Publicity – Die Verwertung Prominenter in
Computer- und Videospielen in Deutschland und den USA, GRUR Int. 2004, 558; Hölk, Von Finanzministern, Zigarettenschachteln und Rätselheften, WRP 2009, 1201; Keller, Der wettbewerbsrechtliche Leistungsschutz, FS Erdmann (2002), 595; Kiethe/Hohmann, Der strafrechtliche Schutz von
Geschäfts- und Betriebsgeheimnissen, NStZ 2006, 185; Köhler, Der Schutz vor Produktnachahmung
im Markenrecht, Geschmacksmusterrecht und neuen Lauterkeitsrecht, GRUR 2009, 445; Müller,
Der Schutzbereich des Persönlichkeitsrechts im Zivilrecht, VersR 2008, 1141; Scherer, Das Verhältnis des lauterkeitsrechtlichen Nachahmungsschutzes nach § 4 Nr. 9 UWG zur europarechtlichen
Vollharmonisierung der irreführenden oder vergleichenden Werbung, WRP 2009, 1446.
186
187
188
189
190
191
192
Begr. RegE UWG 2004 BT-Drs. 15/1487 S. 16.
Köhler/Bornkamm, § 3 Rn. 103.
BGH GRUR 1976, 1078 – Abgasemissionen; Köhler/Bornkamm, § 3 Rn. 68.
BGH GRUR 2004, 696, 697 – Direktansprache am Arbeitsplatz I; Köhler/Bornkamm, § 3
Rn. 68 ff.
BGH GRUR 1995, 595, 597 – Kinderarbeit.
Ahrens, H.-J., Die Benetton-Rechtsprechung des BVerfG und die UWG-Fachgerichtsbarkeit, JZ 2004, 763, 773 f.; Köhler/Bornkamm, § 3 Rn. 21, 57.
BGH GRUR 1998, 824 – Testpreis-Angebot.
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91
Länderbericht Deutschland
1. Lauterkeitsrechtlicher Nachahmungsschutz193
Lauterkeitsrechtliche Vorschriften zum Schutz eines Unternehmers vor der unlauteren
Ausnutzung eines von ihm geschaffenen Leistungsergebnisses finden sich unter anderem in § 4 Nr. 9 UWG. Im Rahmen der UWG-Novelle 2004 wurde die von der Rechtsprechung zu § 1 UWG 1909 entwickelte Fallgruppe der unlauteren Nachahmung
fremder Leistungsergebnisse teilweise kodifiziert. Nach § 4 Nr. 9 UWG ist das Anbieten von Nachahmungen der Waren oder Dienstleistungen194 eines Mitbewerbers195 zu
Unternehmenszwecken196 unter bestimmten Umständen unlauter.197 § 4 Nr. 9 UWG
enthält eine nicht abschließende Aufzählung solcher Umstände. So ist das Anbieten
von Nachahmungen unlauter, wenn dies eine vermeidbare Täuschung der Abnehmer
über die betriebliche Herkunft herbeiführt (§ 4 Nr. 9 lit. a) UWG), die Wertschätzung
der nachgeahmten Ware oder Dienstleistung unangemessen ausnutzt oder beeinträchtigt (§ 4 Nr. 9 lit. b) UWG) oder wenn der Anbietende die für die Nachahmung erforderlichen Kenntnisse oder Unterlagen unredlich erlangt hat (§ 4 Nr. 9 lit. c) UWG).
Das Anbieten von Nachahmungen von Waren und Dienstleistungen von Mitbewerbern wird zudem regelmäßig in den Anwendungsbereich der auf der UGP-Richtlinie
beziehungsweise der Irreführungsrichtlinie beruhenden §§ 3 III i.V.m. Anh. Nr. 13;198 5
I 2 Nr. 1, II UWG199 sowie § 6 II UWG200 fallen. Wird der die Unlauterkeit des Anbie193
194
195
196
197
198
199
92
In der Literatur findet überwiegend der Begriff des ergänzenden wettbewerbsrechtlichen
Leistungsschutzes Anwendung. Vor dem Hintergrund, dass nicht das Leistungsergebnis als
solches, sondern der Unternehmer vor der unlauteren Ausnutzung eines solchen Ergebnisses
geschützt werden soll, ist diese Bezeichnung allerdings irreführend. Köhler/Bornkamm, § 4
Rn. 9.4.
Zum Begriff der Waren und Dienstleistungen siehe Köhler/Bornkamm, § 4 Rn. 9.21 f.; Piper /
Ohly/Sosnitza, § 4 Rn. 9/27 ff., die auch Werbeslogans unter den Begriff der Waren und
Dienstleistungen fassen. Eine derart weite Ausdehnung des Anwendungsbereichs gibt der
Wortlaut des § 4 Nr. 9 allerdings nicht her. Die Wettbewerbswidrigkeit der Nachahmung von
Werbeslogans kann sich vielmehr nur aus der Generalklausel des § 3 I UWG ergeben, so auch
Erdmann, GRUR 2007, 131; Kaulmann, Der Schutz des Werbeslogans vor Nachahmung,
GRUR 2008, 854, 859.
Anbieter und Schöpfer des Originals müssen in einem konkreten Wettbewerbsverhältnis
stehen (§ 2 I Nr. 3 UWG). Köhler/Bornkamm, § 4 Rn. 9.19; MünchKommUWG /Wiebe, § 4
Nr. 9 Rn. 44; Piper /Ohly/Sosnitza, § 4 Rn. 9/31.
Das Anbieten muss eine geschäftliche Handlung i.S.d. § 2 Nr. 1 UWG darstellen, also mit
der Förderung des Absatzes von Waren und Dienstleistungen zugunsten des eigenen oder
eines fremden Unternehmens objektiv zusammenhängen. Köhler/Bornkamm, § 4 Rn. 9.18;
MünchKommUWG /Wiebe, § 4 Nr. 9 Rn. 42.
Begr. RegE UWG 2004 BT-Drs. 15/1487, S. 18; BGH GRUR 1996, 210 – Vakuumpumpen,
BGH GRUR 2000, 521, 523 – Modulgerüst; Köhler/Bornkamm, § 4 Rn. 9.3; MünchKommUWG /Wiebe, § 4 Nr. 9 Rn. 3.
Werbung für eine Ware oder Dienstleistung, die der Ware oder Dienstleistung eines Mitbewerbers ähnlich ist, wenn dies in der Absicht geschieht, über die betriebliche Herkunft der
beworbenen Ware oder Dienstleistung zu täuschen.
Irreführende geschäftliche Handlungen. Siehe dazu S. 129 ff.
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IV. Schutz gegen das Ausnutzen fremder Leistungen
tens begründende Umstand vom Tatbestand einer dieser Vorschriften erfasst,201 so
kommt eine Anwendung des § 4 Nr. 9 UWG aufgrund des Vorrangs des Gemeinschaftsrechts nur dann in Betracht, wenn die betreffende Handlung auch nach den
genannten Vorschriften unzulässig ist.202 Allerdings kommt § 4 Nr. 9 UWG aufgrund
der besonderen Rechtsfolgen des lauterkeitsrechtlichen Nachahmungsschutzes, insbesondere der dreifachen Schadensberechnung,203 auch in diesen Fällen eine eigenständige Bedeutung zu.204
Die Nachahmung fremder Leistungsergebnisse, die keinen Schutz als Sonderrechte205 (mehr) genießen, ist grundsätzlich zulässig. Die gesetzliche Anerkennung
absoluter Schutzrechte des geistigen Eigentums zeigt insoweit, dass außerhalb des
Schutzbereichs dieser Rechte die grundrechtlich geschützte Wettbewerbsfreiheit, die
auch die Nachahmungsfreiheit umfasst, grundsätzlich nicht beschränkt sein soll.206 Für
die Unzulässigkeit einer Nachahmung muss das Leistungsergebnis aufgrund seiner
wettbewerblichen Eigenart schutzwürdig sein. Obgleich das Erfordernis der wettbewerblichen Eigenart keine Berücksichtigung im Wortlaut des § 4 Nr. 9 UWG gefunden
hat, besteht dennoch Einigkeit darüber, dass dies weiterhin Bestand haben soll.207 Waren oder Dienstleistungen weisen dann wettbewerbliche Eigenart auf, wenn sie aufgrund ihrer konkreten Ausgestaltung oder bestimmter ästhetischer oder technischer208
Merkmale geeignet sind, die angesprochenen Verkehrskreise auf die betriebliche Herkunft oder die Besonderheiten des Erzeugnisses hinzuweisen. 209
Eine Nachahmung fremder Leistungsergebnisse kann schon begrifflich nur dann
vorliegen, wenn der Hersteller der beanstandeten Ware oder der Anbieter der beanstandeten Dienstleistung das Original im Zeitpunkt der Herstellung bzw. des erstmali200
201
202
203
204
205
206
207
208
209
Vergleichende Werbung. Siehe dazu S. 123.
Nicht ausreichend ist hingegen, dass das Anbieten als solches in den Anwendungsbereich
dieser Vorschriften fällt. So steht beispielsweise der Anwendung des § 4 Nr. 9 lit. c) nicht
entgegen, dass das Anbieten eine nach § 6 zulässige vergleichende Werbung darstellt.
Köhler/Bornkamm, § 4 Rn. 9.5; Scherer, WRP 2009, 1446.
Ausführlich dazu S. 155.
Köhler, GRUR 2009, 445, 450.
Zum Verhältnis zwischen Lauterkeitsrecht und den Sonderschutzrechten siehe oben S. 80.
Begr. RegE UWG 2004 BT-Drs. 15/1487, S. 18; Harte/Henning /Sambuc, § 4 Nr. 9 Rn. 9;
kritisch Lubberger, Grundsatz der Nachahmungsfreiheit?, FS Ullmann, 2006, 737, 753 f.
So auch ausdrücklich die Begr. RegE UWG 2004 BT-Drs. 15/1487, S. 18; Köhler/Bornkamm,
§ 4 Rn. 9.24; MünchKommUWG /Wiebe, § 4 Nr. 9 Rn. 76.
Technischen Merkmalen, die austauschbar und frei wählbar sind, kann wettbewerbliche
Eigenart zukommen, wenn der Verkehr aufgrund dieser Merkmale Wert auf die Herkunft
legt oder gewisse Qualitätserwartungen damit verbindet. Technisch notwendige Gestaltungselemente sind grundsätzlich frei nutzbar. BGH NJW-RR 2010, 339 Tz 27 – LIKEaBIKE
m.w.N.; BGH WRP 2009, 1372 – Ausbeinmesser; Köhler/Bornkamm, § 4 Rn. 9.28; MünchKommUWG /Wiebe, § 4 Nr. 9 Rn. 101; Piper/Ohly/Sosnitza, § 4 Rn. 9/41.
BGH GRUR 2002, 820, 822 – Bremszangen; BGH GRUR 2005, 600, 602 – Handtuchklemmen;
BGH GRUR 2007, 339 Tz 26 – Stufenleitern; BGH GRUR 2007, 795 Tz 25 – Handtaschen;
Köhler/Bornkamm, § 4 Rn 9.24 f.; MünchKommUWG /Wiebe, § 4 Nr. 9 Rn. 78; Piper /Ohly/
Sosnitza, § 4 Rn. 9/32 f.
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93
Länderbericht Deutschland
gen Anbietens kannte. 210 Die Rechtsprechung unterscheidet drei Stufen der Nachahmung: die nachschaffende Leistungsübernahme, bei welcher die fremde Leistung
lediglich als Vorbild benutzt und nachschaffend unter Einsatz eigener Leistung wiederholt wird,211 die fast identische Leistungsübernahme, bei welcher die Nachahmung nur
geringfügige Abweichungen vom Original aufweist212 und die unveränderte Übernahme fremder Leistungen (unmittelbare Leistungsübernahme). 213 Die Intensität der
Übernahme, die wettbewerbliche Eigenart des Leistungsergebnisses und die besonderen wettbewerblichen Umständen stehen in einem Wechselwirkungsverhältnis. Je
größer die Übereinstimmungen oder Ähnlichkeiten zwischen Nachahmung und Original sind und je größer die wettbewerbliche Eigenart des nachgeahmten Leistungsergebnisses ist, desto geringer sind die Anforderungen, die an die besonderen unlauterkeitsbegründenden Umstände zu stellen sind. 214 In den Anwendungsbereich des
§ 4 Nr. 9 UWG fällt nur das Anbieten einer Nachahmung, wobei die bloße Herstellung nicht ausreicht, um den Tatbestand zu erfüllen. 215 Der Begriff des Anbietens ist im
Übrigen weit zu verstehen und umfasst jede auf den Vertrieb gerichtete Handlung. 216
a) Herkunftstäuschung
Der Gesetzgeber hat in § 4 Nr. 9 lit. a)-c) – nicht abschließend – Umstände aufgeführt,
nach denen das Anbieten von Nachahmungen unlauter ist,217 so etwa wenn dadurch
eine vermeidbare Herkunftstäuschung herbeigeführt wird (§ 4 Nr. 9 lit. a) UWG). Eine Herkunftstäuschung ist gegeben, wenn im Zeitpunkt der Werbung oder der Kaufentscheidung218 bei einem durchschnittlich informierten, aufmerksamen und verständigen Mitglied des angesprochenen Verkehrskreises der Eindruck entstehen kann, die
Nachahmung stamme vom Hersteller oder Anbieter des Originals. 219 Das setzt zunächst eine gewisse Bekanntheit des nachgeahmten Erzeugnisses voraus. Kennt der
angesprochene Verkehrskreis das Original nicht, so kann er auch nicht über die Herkunft der Nachahmung getäuscht werden. 220 Maßgeblich für die Feststellung einer
Herkunftstäuschung sind die Übereinstimmungen oder Ähnlichkeiten zwischen
210
211
212
213
214
215
216
217
218
219
220
94
BGH GRUR 2008, 1115 Tz 24 – ICON.
BGH GRUR 1992, 523, 524 – Betonsteinelemente.
BGH GRUR 2000, 521, 524 – Modulgerüst.
BGH GRUR 1999, 923, 927 – Tele-Info-CD m.w.N.
BGH GRUR 1999, 923, 927 – Tele-Info-CD; BGH GRUR 2007, 795 Tz 22 – Handtaschen;
Köhler/Bornkamm, § 4 Rn 9.34 f.
Keller, Der wettbewerbliche Leistungsschutz, FS Erdmann, 2002, 595, 604.
Köhler/Bornkamm, § 4 Rn 9.39; MünchKommUWG /Wiebe, § 4 Nr. 9 Rn. 74.
Begr. RegE UWG 2004 BT-Drs. 15/1487 S. 18.
BGH GRUR 2005, 349, 352 – Klemmbausteine III.
Köhler/Bornkamm, § 4 Rn. 9.42; MünchKommUWG /Wiebe, § 4 Nr. 9 Rn. 115 f.
BGH GRUR 2006, 79 Tz 35 – Jeans I; BGH GRUR 2007, 984 Tz 34 – Gartenliege; LG Köln
MMR 2009, 640 – Facebook vs. StudiVZ; Nicht erforderlich ist die Kenntnis des Namens des
Originalherstellers; Köhler/Bornkamm, § 4 Rn. 9.41a; MünchKommUWG /Wiebe, § 4 Nr. 9
Rn. 120; Piper /Ohly/Sosnitza, § 4 Rn. 9/56.
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IV. Schutz gegen das Ausnutzen fremder Leistungen
Nachahmung und Original. Keine Herkunftstäuschung liegt vor, wenn die angesprochenen Verkehrskreise schon bei geringer Aufmerksamkeit die Unterschiede der sich
gegenüberstehenden Produkte wahrnehmen. 221 Demgegenüber wird im Falle einer
identischen Leistungsübernahme der interessierte Betrachter davon ausgehen, die beiden identischen Produkte stammten von demselben Hersteller,222 und damit regelmäßig eine Herkunftstäuschung anzunehmen sein. Das Herbeiführen einer Herkunftstäuschung ist nur dann unlauter, wenn sie vermeidbar ist, d.h. wenn sie durch geeignete
und zumutbare Maßnahmen verhindert werden kann. 223 Hat der Nachahmer der Gefahr der Herkunftstäuschung durch geeignete und zumutbare Maßnahmen entgegengewirkt, so muss eine noch verbleibende Verwechslungsgefahr hingenommen werden.
Die Beurteilung, welche Maßnahmen zur Vermeidung von Herkunftsverwechslungen
geeignet und zumutbar sind, ist anhand einer umfassenden Würdigung der konkreten
Umstände des Einzelfalls unter Berücksichtigung der Interessen der betroffenen
Marktteilnehmer vorzunehmen.224
b) Rufausbeutung und Rufschädigung
Die Unlauterkeit des Anbietens einer Nachahmung kann sich nach § 4 Nr. 9 lit. b)
UWG auch daraus ergeben, dass dadurch die Wertschätzung der nachgeahmten Ware
oder Dienstleistung unangemessen ausgenutzt (sog Rufausbeutung) oder beeinträchtigt (sog Rufbeeinträchtigung) wird. Von einer Rufausbeutung ist dann auszugehen,
wenn die angesprochenen Verkehrskreise mit dem Original bestimmte Herkunfts- und
Gütevorstellungen verbinden und diesen „guten Ruf“, etwa aufgrund einer Verwechslung,225 auf das nachgeahmte Produkt übertragen. 226 Führt das Anbieten der Nachahmung dazu, dass der gute Ruf des Originals Schaden nimmt, etwa weil die Nachahmung von minderer Qualität ist,227 so liegt zudem eine Rufbeeinträchtigung vor. Während eine Rufbeeinträchtigung nur eintreten kann, wenn der Abnehmer über die betriebliche Herkunft der Nachahmung getäuscht wird,228 muss eine Rufausbeutung
nicht zwingend mit einer Herkunftstäuschung einhergehen. 229 Der BGH hat beispiels221
222
223
224
225
226
227
228
229
BGH GRUR 2007, 795 Tz 41 – Handtaschen.
BGH GRUR 2004, 941, 943 – Metallbett m.w.N.; BGH GRUR 2007, 984 Tz 36 – Gartenliege.
BGH GRUR 2007, 339 Tz 43 – Stufenleitern m.w.N.; In Betracht kommen grundsätzlich die
Wahl unterschiedlicher Materialien, Produktbezeichnungen oder Verpackungen (BGH
GRUR 2005, 166, 170 – Puppenausstattungen) oder das Weglassen und Hinzufügen von
Herkunftskennzeichnungen (BGH GRUR 2000, 521, 524 – Modulgerüst: Nicht geeignet
aufgrund der Besonderheiten des Falls). Köhler/Bornkamm, § 4 Rn. 9.46; Piper /Ohly/Sosnitza, § 4 Rn. 9/60 f.
BGH GRUR 2002, 275, 277 – Noppenbahnen; Köhler/Bornkamm, § 4 Rn. 9.45 f.
BGH GRUR 1985, 876, 877 – Tchibo/Rolex I; BGH GRUR 1996, 210, 212 – Vakuumpumpen.
Begr. RegE UWG 2004 BT-Drucks 15/1487 S. 18; Köhler/Bornkamm, § 4 Rn. 9.53; Piper /
Ohly/Sosnitza, § 4 Rn. 9/67.
BGH GRUR 1987, 903, 905 – Le-Corbusier-Möbel.
BGH GRUR 2007, 795 Tz 48 – Handtaschen; Köhler/Bornkamm, § 4 Rn. 9.59.
Köhler/Bornkamm, § 4 Rn. 9.53.
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95
Länderbericht Deutschland
weise einen Kaufanreiz als ausreichend erachtet, der dadurch entsteht, dass das Publikum, welches bei den Käufern die Nachahmungen sieht, zu irrigen Vorstellungen über
die Echtheit verleitet wird.230 Ob eine Rufausbeutung oder Rufbeeinträchtigung unangemessen ist, ist anhand einer Gesamtwürdigung aller Umstände des Einzelfalls unter Berücksichtigung der Interessen der beteiligten Marktteilnehmer sowie der Allgemeinheit zu beurteilen.231
Zur Fallgruppe der Rufausbeutung wird auch das so genannte „Einschieben in eine
fremde Serie“ gezählt. Der Bundesgerichtshof hat in den Entscheidungen Klemmbausteine I-III232 den maßstabgetreuen Nachbau von Spielbausteinen, der eine beliebige
Vertauschbarkeit zwischen Original und Nachahmung ermöglicht, als wettbewerbswidrig angesehen. In Abgrenzung zu der Zulieferung von Ersatzteilen oder der Herstellung und dem Vertrieb von mit den Erzeugnissen eines Mitbewerbers kompatiblen Zusatzgeräten, die lauterkeitsrechtlich grundsätzlich nicht zu beanstanden sind,233 sah der
BGH die unlauterkeitsbegründende Besonderheit der den Entscheidungen zugrunde
liegenden Fälle darin, dass der Nachahmer seine Produkte in ein von Anfang an auf
die Deckung eines fortgesetzten Bedarfs gleicher Erzeugnisse ausgerichtetes Verkaufssystem des Erstherstellers einschiebt. Zweckbestimmung des zunächst gelieferten Ausgangsgegenstands sei, dass er den Ansatz für eine von vornherein als fortlaufend gedachte Serie von Ergänzungen und Erweiterungen darstelle. Anders als bei Zubehörund Ersatzteilen ergebe sich der Ergänzungsbedarf nicht aufgrund neuer Verwendungsmöglichkeiten bzw. unbrauchbar gewordener Teile, sondern aus dem Wesen und der
Zweckbestimmung des Produkts selbst. Der wettbewerbliche Erfolg, der mit einer Lieferung erzielt werde, erschöpfe sich entsprechend nicht in dem Gegenstand dieser Lieferung, sondern erfasse auch den sich aus der Natur des Gegenstands ergebenden Ergänzungsbedarf. Beutet ein Nachahmer den Erfolg fremder Leistungen aus, indem er
sein Produkt in die fremde Serie einschiebt, obwohl er bei unverminderter technischer
Brauchbarkeit des eigenen Erzeugnisses dieses Einhängen in ein fremdes Arbeitsergebnis vermeiden könnte, so sei dies unlauter.234 Allerdings wird lauterkeitsrechtlicher
Schutz gegen das sogenannte Einschieben in eine fremde Serie nicht zeitlich unbegrenzt gewährt. Nach neuerer Rechtsprechung des BGH hat sich die Dauer des Schutzes an den sondergesetzlich vorgesehenen Fristen zu orientieren, um einen Widerspruch zu der gesetzlichen Befristung des Innovationsschutzes im Patentrecht, im Gebrauchsmusterrecht und im Geschmacksmusterrecht zu vermeiden. 235
Die Rechtsprechung des BGH zum Einschieben in eine fremde Serie stößt in der
Literatur überwiegend auf Ablehnung. 236 Insbesondere die Überlegung, dass ein auf
Ergänzung und Erweiterung angelegtes Produkt für sich genommen als unvollständig
anzusehen sei und seinen Gebrauchszweck ohne Zusatzelemente nicht vollkommen
230
BGH GRUR 1985, 876, 877 – Tchibo/Rolex I.
231
Köhler/Bornkamm, § 4 Rn. 9.51; MünchKommUWG /Wiebe, § 4 Nr. 9 Rn. 184, 188.
BGH GRUR 1964, 621 – Klemmbausteine I; BGH GRUR 1992, 619 – Klemmbausteine II; BGH
GRUR 2005, 349 – Klemmbausteine III.
BGH GRUR 1958, 343 – Bohnergerät.
BGH GRUR 1964, 621 – Klemmbausteine I; Köhler/Bornkamm, § 4 Rn. 9.56.
BGH GRUR 2005, 349 – Klemmbausteine III.
Köhler/Bornkamm, § 4 Rn. 9.57 m.w.N.; MünchKommUWG /Wiebe, § 4 Nr. 9 Rn. 170 f.
232
233
234
235
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IV. Schutz gegen das Ausnutzen fremder Leistungen
erfüllen könne,237 trägt nicht. Der Bedarf an einer Erweiterung hängt – wie in allen
Fällen der Herstellung kompatibler Produkte – vielmehr von den persönlichen Bedürfnissen und (finanziellen) Verhältnissen des Käufers ab. 238 Der Bundesgerichtshof täte
also gut daran, die Rechtsprechung des Einschiebens in eine fremde Serie aufzugeben
und diese Fälle nach den allgemeinen Grundsätzen betreffend die Herstellung kompatibler Nachahmungsprodukte zu behandeln.239
c) Unredliche Erlangung von Kenntnissen und Unterlagen
Unlauter ist das Anbieten einer Nachahmung nach § 4 Nr. 9 lit. c) UWG auch dann,
wenn der Nachahmer die für die Nachahmung erforderlichen Kenntnisse oder Unterlagen unredlich erlangt hat. Das ist jedenfalls dann der Fall, wenn der Nachahmer zur
Erlangung der Kenntnisse eine strafbare Handlung (z.B. §§ 17, 18 UWG, §§ 242, 246,
266 StGB) begangen hat oder durch Dritte begehen ließ. Auch im Rahmen eines Vertrauensverhältnisses zunächst redlich erlangte Kenntnisse werden vom Tatbestand erfasst, wenn diese unter Bruch des Vertrauens missbräuchlich zur Leistungsübernahme
ausgenutzt werden. 240
d) Behinderung
Ebenfalls in die wettbewerbsrechtliche Bewertung des Anbietens einer Nachahmung
mit einbezogen werden kann eine damit bezweckte Behinderung. Die Aufzählung der
Fallgruppen in § 4 Nr. 9 UWG ist insoweit nicht abschließend. 241 Dem steht auch der
Beispieltatbestand der gezielten Behinderung in § 4 Nr. 10 UWG242 nicht entgegen.
Vielmehr ist der Rückgriff auf § 4 Nr. 9 UWG im Falle einer Behinderung durch das
Anbieten einer Nachahmung aufgrund der besonderen Rechtsfolgen des lauterkeitsrechtlichen Nachahmungsschutzes, namentlich der dreifachen Schadensberechnung,
für den Verletzten von besonderem Interesse. 243 Liegt allerdings keiner der Fälle des § 4
Nr. 9 lit. a) bis c) UWG vor, so kann mit Blick auf die grundsätzlich bestehende Nach-
237
238
239
240
241
242
243
BGH GRUR 2000, 521, 526 – Modulgerüst.
Mit selbiger Begründung hat der BGH in der Modulgerüst-Entscheidung das Einschieben in
eine fremde Serie für Gerüstteile verneint. BGH GRUR 2000, 521, 526 – Modulgerüst; Köhler/
Bornkamm, § 4 Rn. 9.58.
Köhler/Bornkamm, § 4 Rn. 9.58; Harte/Henning /Sambuc, § 4 Nr. 9 Rn. 46 ff.; Riesenhuber,
WRP 2005, 1118, 1123.
BGH GRUR 2003, 356, 357 – Präzisionsmessgeräte. BGH GRUR 1983, 377, 379 – Brombeermuster (Scheitern von Vertragsverhandlungen); BGH GRUR 1964, 31, 32 f – Petromax II
(Vertragliches Vertrauensverhältnis). Köhler/Bornkamm, § 4 Rn. 9.62; MünchKommUWG /
Wiebe, § 4 Nr. 9 Rn. 203; Piper /Ohly/Sosnitza, § 4 Rn. 9/73.
Begr. RegE UWG 2004 BT-Drs. 15/1487 S. 18; BGH GRUR 2007, 795 Tz 50 – Handtaschen.
Siehe dazu S. 155.
Köhler/Bornkamm, § 4 Rn. 9.63.
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ahmungsfreiheit das Nachahmen eines fremden Produkts nur in Ausnahmefällen als
wettbewerbswidrig angesehen werden. 244
e) Dauer
Der wettbewerbsrechtliche Nachahmungsschutz ist in Relation zu den Rechten des
geistigen Eigentums zu sehen und deshalb nicht ohne weiteres schrankenlos zuzubilligen.245 Feste zeitliche Grenzen bestehen jedoch anders als bei den Sonderschutzrechten nicht. Vielmehr ist eine zeitliche Begrenzung der Schutzdauer im Rahmen einer
Gesamtwürdigung unter Berücksichtigung der Umstände des Einzelfalls sowie der
Interessen der betroffenen Marktteilnehmer vorzunehmen. Lauterkeitsrechtlicher
Nachahmungsschutz besteht grundsätzlich solange, wie das nachgeahmte Erzeugnis
wettbewerbliche Eigenart aufweist und die besonderen unlauterkeitsbegründenden
Umstände bestehen. 246
f) Rechtsfolgen
Die Rechtsfolgen des lauterkeitsrechtlichen Nachahmungsschutzes weisen im Vergleich zu denen anderer Wettbewerbsverstöße einige Besonderheiten auf. 247 So kann
im Rahmen eines Unterlassungsanspruchs dem Anwendungsbereich des § 4 Nr. 9
UWG entsprechend nur das Anbieten einer Nachahmung, nicht aber die Herstellung
untersagt werden. Entsprechend steht dem Verletzten auch kein Anspruch auf Vernichtung der Nachahmung etwa in Form eines Beseitigungsanspruchs zu.248 Weiterhin
kann der Verletzte Schadensersatz nach den Grundsätzen des Verletzergewinns (dreifache Schadenberechnung) geltend machen. Er kann also zwischen dem Ersatz des
konkreten Schadens gem. §§ 249 ff. BGB, der Zahlung einer angemessenen Lizenzgebühr (Lizenzanalogie) oder der Herausgabe des vom Verletzer erzielten Reingewinns
wählen. 249
2. Unternehmensgeheimnisse
Das Recht eines Unternehmens an seinen Unternehmensgeheimnissen ist, ungeachtet einiger Gemeinsamkeiten,250 kein den Rechten des geistigen Eigentums entspre244
BGH GRUR 2007, 795 Tz 51 – Handtaschen. Zu den Kriterien der Behinderung Köhler/
245
BGH GRUR 1999, 751, 754 – Güllepumpen m.w.N.; Köhler/Bornkamm, § 4 Rn. 9.70 f.
BGH GRUR 1999, 751, 754 – Güllepumpen; BGH GRUR 2003, 356, 358 – Präzisionsmess-
Bornkamm, § 4 Rn. 9.64 f.
246
247
248
249
250
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geräte; Piper /Ohly/Sosnitza, § 4 Rn. 9/81.
Köhler/Bornkamm, § 4 Rn. 9.79 ff.
BGH GRUR 1999, 923, 927 f. – Tele-Info-CD; MünchKommUWG /Wiebe, § 4 Nr. 9 Rn. 268.
BGH GRUR 2007, 431 Tz 21 – Steckverbindergehäuse.
Vgl. Piper/Ohly/Sosnitza, Vorbemerkung vor §§ 17-19 Rn. 3 f.
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IV. Schutz gegen das Ausnutzen fremder Leistungen
chendes absolutes Recht, sondern nur gegen bestimmte unlautere Angriffsformen geschützt. Der deutsche Gesetzgeber hat den Schutz des Unternehmensinhabers vor der
Verletzung von Unternehmensgeheimnissen im Lauterkeitsrecht in den §§ 17 ff.
UWG strafrechtlich ausgestaltet. Daneben kommen die Anwendung der Vorschriften
des Strafgesetzbuches, insbesondere betreffend die Untreue (§ 266 StGB), die Verletzung und Verwertung fremder Geheimnisse (§§ 203, 204 StGB) und das Ausspähen
von Daten (§ 202a StGB) sowie einer Vielzahl weiterer Spezialnormen,251 in Betracht. 252
Die §§ 17 ff. UWG enthalten im Wesentlichen vier Tatbestände zum Schutz von
Unternehmensgeheimnissen. § 17 I UWG erfasst den Verrat von Unternehmensgeheimnissen durch Beschäftigte des Unternehmens, § 17 II Nr. 1 UWG die Betriebsspionage. Das Verwerten und die Weitergabe eines Unternehmensgeheimnisses fällt
unter § 17 II Nr. 2 UWG. Die Verwertung und Weitergabe von Vorlagen oder Vorschriften technischer Art, die anderen Unternehmen – etwa im Rahmen von Vertragsverhandlungen – anvertraut wurden, wird in § 18 UWG unter Strafe gestellt. Bereits
der Versuch der Begehung dieser Straftaten ist ebenso wie die versuchte Anstiftung zu
einer dieser Taten253 (§ 19 I UWG), das Verabreden und Bereiterklären zur Begehung
einer solchen Tat sowie das Annehmen einer solchen Erklärung (§ 19 II UWG) strafbar.
Die Tatbestände setzen voraus, dass der Täter vorsätzlich und zur Förderung des
Absatzes oder des Bezugs von Waren oder Dienstleistungen des eigenen oder eines
fremden Unternehmens („zu Zwecken des Wettbewerbs“) oder zur Erlangung eines
eigenen materiellen oder immateriellen Vorteils („aus Eigennutz“) handelt. Eine Strafbarkeit nach den in § 17 UWG geregelten Delikten kommt zudem dann in Betracht,
wenn der Täter diese zu Gunsten eines Dritten oder in der Absicht begeht, dem Inhaber des Unternehmens Schaden zuzufügen.254
Ein Unternehmensgeheimnis ist jede im Zusammenhang mit einem Betrieb stehende Tatsache, die nicht offenkundig, sondern nur einem eng begrenzten Personenkreis bekannt ist und die nach dem auf einem berechtigten wirtschaftlichen Interesse
beruhenden erkennbaren Willen255 des Betriebsinhabers auch geheim bleiben soll.256
Erfasst werden sowohl Tatsachen betreffend den kaufmännischen Geschäftsverkehr
251
252
253
254
255
256
§ 120 BetrVG, § 404 AktG, § 85 GmbHG, § 151 GenG, § 138 VAG, § 333 HGB.
Kiethe/Hohmann, NStZ 2006, 185.
Hat die Anstiftung Erfolg, so ist der Täter gem. § 17 oder § 18 i.V.m. § 26 StGB strafbar.
Piper /Ohly/Sosnitza, § 17 Rn. 25; Köhler/Bornkamm, § 17 Rn. 26, 27.
BGH GRUR 1969, 341 – Räumzange; Es genügt, wenn sich dieser Wille aus der Natur der
geheim zu haltenden Tatsache ergibt (BGH GRUR 2006, 1044 Tz 19 – Kundendatenprogramm). Für eine Aufgabe der Voraussetzung des Geheimhaltungswillens: Maume, WRP
2008, 1275.
Alle diese Voraussetzungen müssen erfüllt sein, damit eine Tatsache ein Geschäfts- oder
Betriebsgeheimnis darstellt. BGH GRUR 1955, 424 – Möbelwachspaste; BGH GRUR 2006,
1044 Tz 19 – Kundendatenprogramm m.w.N.; Köhler/Bornkamm, § 17 Rn. 4; Kiethe/Hohmann, NStZ 2006, 185, 186 ff.
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(Geschäftsgeheimnisse)257 als auch im Bezug auf den technischen Betriebsablauf (Betriebsgeheimnisse). 258
§ 17 I UWG soll Unternehmen vor dem Verrat von Geheimnissen, die einem Beschäftigten des Unternehmens im Rahmen seines Dienstverhältnisses anvertraut worden oder zugänglich geworden sind, schützen. Diesem Zweck entsprechend kann einen
Geheimnisverrat nur begehen, wer seine Arbeitskraft dem betreffenden Unternehmen
schuldet. Nicht unter den Begriff der beschäftigten Person und damit in den Kreis
tauglicher Täter fallen grundsätzlich Aktionäre und Gesellschafter, selbstständige Gewerbetreibende, Freiberufler, wie zum Beispiel Rechtsanwälte, Betriebsprüfer und
Steuerberater,259 sowie Lieferanten. 260 Unter Strafe gestellt ist nach § 17 I UWG jede
während der Dauer des Dienstverhältnisses erfolgende261 unbefugte Bekanntgabe des
Unternehmensgeheimnisses an einen Dritten, die irgendeine Verwertung oder Weitergabe des Geheimnisses durch den Empfänger nach sich ziehen kann.262
Demgegenüber kommt § 17 II Nr. 1 UWG die Aufgabe zu, Betriebsgeheimnissen
vor dem Zugriff Nicht-Eingeweihter zu schützen. Als Täter der Betriebsspionage
kommt somit, ebenso wie bei der Verwertung und Weitergabe eines Unternehmensgeheimnisses oder im geschäftlichen Verkehr anvertrauter Vorlagen oder Vorschriften
technischer Art, jeder, dass heißt Beschäftigte und betriebsfremde Personen, in Betracht. Der Tatbestand umfasst jede Handlung mit der sich der Täter durch Anwendung technischer Mittel, Herstellung einer verkörperten Wiedergabe des Geheimnisses oder Wegnahme einer das Geheimnis verkörpernden Sache ein Geschäfts- oder
Betriebsgeheimnis unbefugt verschafft oder sichert. Erforderlich ist, dass der Täter derart Gewalt über das Geheimnis erlangt hat, dass er außerhalb der Geheimsphäre des
Unternehmens darüber verfügen kann.263
Die Verwertung und Weitergabe eines durch Geheimnisverrat eigene oder fremde
Betriebsspionage oder in sonstiger Weise unbefugt verschafften oder gesicherten Unternehmensgeheimnisses ist strafbar nach § 17 II Nr. 2 UWG. Eine Verwertung ist
jede Nutzbarmachung der Geheimnisses im geschäftlichen Verkehr, die zumindest
mittelbar die Gewinnerzeilung bezweckt. 264 Diese ist auch dann anzunehmen, wenn
257
258
259
260
261
262
263
BGH GRUR 1999, 934 – Kundenanschriften (Kundennamen und -anschriften); BGH GRUR
2003, 356 – Präzisionsmessgeräte (Kundenlisten, Rechnungen der Zulieferer).
BGH GRUR 1983, 179, 180 – Stapel-Automat (Konstruktionsgedanken); BGH GRUR 2003,
356 – Präzisionsmessgeräte (Zusammensetzung und Funktionsweise von Geräten); Auch ein
bekanntes Verfahren kann ein Betriebsgeheimnis sein, wenn ein Unternehmen ein Interesse
daran hat, dass die Verwendung des Verfahrens geheim bleibt (BGH GRUR 1955, 424 –
Möbelwachspaste).
Auf die allerdings § 203 I Nr. 3 StGB sowie § 333 HGB Anwendung findet.
Köhler/Bornkamm, § 17 Rn. 14; Kiethe/Hohmann, NStZ 2006, 185, 186; Piper /Ohly/Sosnitza, § 17 Rn. 13.
Nach Ablauf des Beschäftigungsverhältnisses greift § 17 I nicht mehr ein. Der ehemalige
Beschäftigte kann lediglich vertragliche Geheimhaltungspflichten verletzen. Köhler/Bornkamm, § 17 Rn. 22; Piper/Ohly/Sosnitza, § 17 Rn. 16.
Harte/Henning, § 17 Rn. 10; Köhler/Bornkamm, § 17 Rn. 19; Kiethe/Hohmann, NStZ 2006,
185, 188.
Harte/Henning, § 17 Rn. 20; Kiethe/Hohmann, NStZ 2006, 185, 189.
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IV. Schutz gegen das Ausnutzen fremder Leistungen
Modifikationen oder Weiterentwicklungen vorgenommen wurden, solange davon auszugehen ist, dass dasselbe technische Ergebnis ohne Kenntnis des Vorbilds nicht oder
jedenfalls nicht in derselben Zeit oder so zuverlässig hätte erreicht werden können.265
a) Strafrechtliche Folgen
Die Verwirklichung der Tatbestände des § 17 UWG wird mit Freiheitsstrafe bis zu drei
Jahren oder mit Geldstrafe bestraft. In besonders schweren Fällen, so in der Regel
wenn der Täter gewerbsmäßig handelt, er bei der Weitergabe des Geheimnisses weiß,
dass dieses im Ausland verwertet werden soll, oder selbst eine Verwertung im Ausland
vornimmt, kann auf eine Freiheitsstrafe bis zu fünf Jahren oder Geldstrafe erkannt
werden. Ausland i.S.d. Vorschrift sind auch andere EU-Staaten, wobei jedoch im Einzelfall zu prüfen ist, ob wirklich ein schwerer Fall vorliegt.266 Das Strafmaß des § 18
UWG beläuft sich auf eine Freiheitsstrafe bis zu zwei Jahren oder eine Geldstrafe. Soweit kein besonderes öffentliches Interesse (§§ 17 V, 18 III UWG) vorliegt, werden die
unter §§ 17 ff. UWG fallenden Taten nur auf Antrag (§§ 77 ff. StGB) verfolgt. Anstelle oder neben der öffentliche Klage kann der Verletzte Privatklage erheben (§ 374 I
Nr. 7 StPO).
b) Zivilrechtliche Folgen
Die §§ 17-19 UWG sehen keine unmittelbaren zivilrechtlichen Sanktionen vor. § 19
UWG 1909, der dem durch Verstöße gegen die §§ 17, 18 UWG Geschädigten einen
Schadensersatzanspruch zusprach, wurde als überflüssig angesehen und im Rahmen der
UWG-Novelle 2004 gestrichen. 267 Im Falle eines Verstoßes gegen die §§ 17 ff. UWG
ist somit auf die Anspruchsgrundlagen des Lauterkeitsrechts und des Bürgerlichen Gesetzbuches sowie einiger Sondergesetze268 zurückzugreifen. In Betracht kommen vertragliche und außervertragliche Ansprüche des Verletzten. Vertragliche Geheimhaltungspflichten, deren Verletzung Ansprüche auf Erfüllung der Pflicht269 sowie Schadensersatzansprüche (§ 280 I BGB) des betroffenen Unternehmens begründen, können insbesondere in Arbeitsverträgen oder Lizenzverträgen vereinbart werden. Bei
Fehlen einer ausdrücklichen Vereinbarung kann sich eine solche Pflicht auch aus
der Treuepflicht des Arbeitgebers oder aus der Auslegung des Vertrages ergeben. Zudem kann bereits vor Vertragsschluss nach §§ 311 II, 241 BGB eine Pflicht zur Geheim-
264
265
266
267
268
269
Kiethe/Hohmann, NStZ 2006, 185, 190; Piper/Ohly/Sosnitza, § 17 Rn. 22.
BGH GRUR 2002, 91, – Spritzgießwerkzeuge; Köhler/Bornkamm, § 17 Rn. 41; Piper /Ohly/
Sosnitza, § 17 Rn. 22.
Köhler/Bornkamm, § 17 Rn. 66; Piper/Ohly/Sosnitza, § 17 Rn. 32.
Harte-Bavendamm, in: Gloy/Loschelder/Erdmann, Hdb. WettbewerbsR, § 77 Rn. 3.
Siehe Fn. 251.
Piper /Ohly/Sosnitza, § 17 Rn. 36, 43.
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haltung im Rahmen von Vertragsverhandlungen anvertrauter Informationen bestehen.270
Schwierigkeiten bereitet die Frage, inwieweit eine Pflicht zur Geheimhaltung
nach Beendigung des Vertragsverhältnisses besteht. Nach der Rechtsprechung des
BGH ist ein ausgeschiedener Beschäftigter grundsätzlich frei, redlich erworbene Betriebsgeheimnisse zu verwerten. 271 Allerdings können vertragliche Geheimhaltungspflichten auch für die Zeit nach Ablauf des Vertragsverhältnisses vereinbart werden.
Kommt eine solche Pflicht einem Wettbewerbsverbot gleich, so ist diese nur wirksam,
wenn eine angemessene Entschädigung vereinbart wurde (§ 74 HGB)272 und diese kartellrechtlich nicht zu beanstanden ist. Darüber hinaus kann sich im Einzelfall aufgrund
einer Abwägung zwischen den Interessen des betroffenen Unternehmens an der Geheimhaltung und des Arbeitnehmers an seinem beruflichen Fortkommen ergeben,
dass ausnahmsweise eine nachvertragliche Geheimhaltungspflicht besteht, deren Verletzung außervertragliche Ansprüche auf Grundlage von § 3 UWG oder § 823 ff. BGB
begründet. 273
Verstößt eine geschäftliche Handlung i.S.d. § 2 Nr. 1 UWG gegen die §§ 17 ff.
UWG so kommen die lauterkeitsrechtlichen Schadensersatzansprüche, Unterlassungs- und Beseitigungsansprüche nach §§ 8, 9 UWG in Betracht. Eine solche Zuwiderhandlung erfüllt regelmäßig den Rechtsbruchstatbestand des § 4 Nr. 11 UWG.274
Sind die erlangten Unternehmensgeheimnisse erforderlich zur Nachahmung von Waren und Dienstleistungen eines Mitbewerbers, so ist eine solche Handlung zudem unlauter nach § 4 Nr. 9 lit. c) UWG. Letztlich kann eine Geheimnisverletzung unter dem
Gesichtspunkt der Mitbewerberbehinderung (§ 4 Nr. 10 UWG)275 oder in Anwendung
der Generalklausel des § 3 UWG276 eine unlautere geschäftliche Handlung darstellen.
Dies kann im Einzelfall bereits dann gelten, wenn die Voraussetzungen der §§ 17 ff.
UWG nicht vollständig erfüllt sind. 277
270
271
272
273
274
275
276
277
Piper /Ohly/Sosnitza, § 17 Rn. 37.
BGH GRUR 2006, 1044 Tz 13 – Kundendatenprogramm; BGH GRUR 2002, 91 – Spritzgießwerkzeuge m.w.N. Nach Auffassung des BAG soll der Ausgeschiedene auch ohne ausdrückliche Vereinbarung auf Grund nachwirkender Treuepflicht zur Geheimhaltung von Unternehmensgeheimnissen verpflichtet sein. Ihm sei lediglich die Verwertung des erworbenen
beruflichen Erfahrungswissens gestattet. (BAG NJW 1983, 134; 1988, 1686). Die Abgrenzung zwischen Unternehmensgeheimnissen und Erfahrungswissen wird in der Literatur allerdings überwiegend als ungeeignet angesehen. Köhler/Bornkamm, § 17 Rn. 59; Piper /Ohly/
Sosnitza, § 17 Rn. 40.
Piper /Ohly/Sosnitza, § 17 Rn. 39.
BGH GRUR 1963, 367 – Industrieböden; BGH GRUR 2002, 91 – Spritzgießwerkzeuge; Köhler/
Bornkamm, § 17 Rn. 59; Piper/Ohly/Sosnitza, § 17 Rn. 40.
BGH GRUR 2006, 1044 Tz 17 – Kundendatenprogramm; Harte/Henning, § 17 Rn. 43. Ausführlich zu § 4 Nr. 11 siehe S. 118.
BGH GRUR 2009, 1075 Tz 20 – Betriebsbeobachtung.
Zur Anwendung der Generalklausel siehe S. 87 f.
BGH GRUR 1963, 367 – Industrieböden; BGH GRUR 2002, 91 – Spritzgießwerkzeuge; Harte/
Henning, § 17 Rn. 43; Köhler/Bornkamm, § 17 Rn. 52.
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IV. Schutz gegen das Ausnutzen fremder Leistungen
Die Vorschriften der §§ 17 ff. UWG sind Schutzgesetze i.S.d. § 823 II BGB. Im Falle
vorsätzlicher Verstöße können somit Schadensersatzansprüche des betroffenen Unternehmers bestehen. Darüber hinaus kommen Schadensersatzansprüche nach § 826
BGB sowie verschuldensunabhängige Unterlassungs- und Beseitigungsansprüche im
Rahmen einer analogen Anwendung von § 1004 BGB in Betracht.278 Ein Geheimnisverrat, der nicht in den Anwendungsbereich des §§ 17 ff. UWG fällt, kann zudem gem.
§ 823 I BGB als Eingriff in das Recht am eingerichteten und ausgeübten Gewerbebetriebs Schadensersatzansprüche auslösen. 279 Die Rechtswidrigkeit des Eingriffs ist
im Rahmen einer Interessenabwägung positiv festzustellen. 280 Neben diesen Ansprüchen kann die unbefugte Verwertung von Geschäftsgeheimnissen Ansprüche auf Gewinnherausgabe wegen angemaßter Eigengeschäftsführung (§ 687 II BGB) sowie bereicherungsrechtliche Ansprüche (Eingriffskondiktion § 812 I 1 Alt. 2 BGB) begründen.281
Der Inhaber eines Unternehmensgeheimnisses kann ebenso wie der Inhaber eines
Rechts des geistigen Eigentums anderen die Verwertung gestatten. 282 Entsprechend
kann der betroffene Unternehmer im Fall eines Verstoßes gegen die §§ 17 und 18
UWG auf die Möglichkeit der dreifachen Schadenberechnung zurückgreifen.283
3. „Right of Publicity“
Das so genannte Right of Publicity,284 also das Recht einer natürlichen Person, den
eigenen Namen, das eigene Bild sowie sonstige kennzeichnende Persönlichkeitsmerkmale kommerziell zu verwerten, wird im deutschen Recht durch die speziellen Persönlichkeitsrechte, im einzelnen das Recht am eigenen Bildnis (§§ 20 ff. KUG) und das
Namensrecht (§ 12 BGB), sowie ergänzend durch das von der Rechtsprechung auf der
Grundlage von Art. 1 I und Art. 2 I Grundgesetz entwickelte285 allgemeine Persönlichkeitsrecht geschützt.
Nach § 22 KUG ist jede Verbreitung und öffentliche Zurschaustellung des Bildnisses eines Menschen ohne die Einwilligung des Abgebildeten unzulässig. Hat der Abgebildete dafür, dass er sich abbilden ließ, eine Entlohnung erhalten, so gilt eine widerlegliche Vermutung dafür, dass er in die Abbildung eingewilligt hat. Unter den Begriff
des Bildnisses fallen nicht nur die fotographische Widergabe sondern auch zeichneri278
279
280
281
282
283
284
285
Köhler/Bornkamm, § 17 Rn. 53; Piper/Ohly/Sosnitza, § 17 Rn. 48.
Harte/Henning, § 17 Rn. 50; Köhler/Bornkamm, § 17 Rn. 53; Anders Piper /Ohly/Sosnitza,
§ 17 Rn. 49 der den Geheimnisverrat als Verletzung eines sonstigen Rechts i.S.d. § 823 I
ansieht. Letztlich führen beide Ansichten zum selben Ergebnis.
Köhler/Bornkamm, § 17 Rn. 53; Piper/Ohly/Sosnitza, § 17 Rn. 49.
Köhler/Bornkamm, § 17 Rn. 55, 56; Piper /Ohly/Sosnitza, § 17 Rn. 50.
Vgl. Piper/Ohly/Sosnitza, Vorbemerkung vor §§ 17-19 Rn. 3 f.
BGH GRUR 1977, 539 – Prozessrechner; Harte/Henning, § 17 Rn. 63; Köhler/Bornkamm,
§ 17 Rn. 58; Piper /Ohly/Sosnitza, § 17 Rn. 51. Ausführlich zur dreifachen Schadensberechnung siehe S. 155.
Zur Entwicklung des Right of Publicity in den USA Gauß, GRUR Int. 2004, 558, 563.
Bamberger/Roth, § 12 Rn. 101.
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Länderbericht Deutschland
sche Darstellungen,286 Schattenrisse,287 sowie die Abbildung von Doppelgängern288
bzw. Modellen, die den Abgebildeten „doubeln“. 289 Dabei kann der Eindruck, es handele sich um die betroffene Person, nicht nur aufgrund der Ähnlichkeit der Gesichtszüge sondern auch auf andere Weise,290 etwa durch Nachstellen einer berühmten Filmszene, erzeugt werden. 291
Ohne Einwilligung verbreitet und zur Schau gestellt werden dürfen nach § 23 I
Nr. 1 KUG Bildnisse der Zeitgeschichte, sofern dem nicht ein berechtigtes Interesse
des Abgebildeten entgegensteht (§ 23 II KUG). Ausnahmsweise tritt also das Recht
am eigenen Bildnis zurück, wenn ein berechtigtes Informationsinteresse der Allgemeinheit an der Verbreitung des Bildnisses besteht. 292 Dies betrifft insbesondere Persönlichkeiten, die aufgrund ihrer Stellung, ihrer Funktion oder ihrer positiven wie negativen Leistungen im Blickpunkt der Öffentlichkeit stehen, namentlich Staatsoberhäupter, herausragende Politiker, Unternehmer, Wissenschaftler, Künstler und Sportler.293 Ein schutzwürdiges Informationsinteresse der Allgemeinheit fehlt in jedem Fall
bei der Verwendung von Bildnissen in Werbeanzeigen, wenn diese ausschließlich dem
geschäftlichen Interesse des Verwenders dient.294 Allerdings wird der Informationszweck einer Werbeanzeige, etwa eine auf ein aktuelles Ereignis bezogene politische
Meinungsäußerung in Form der Satire, nicht durch den offensichtlichen Werbezweck
einer Anzeige verdrängt. 295 Die Abgrenzung zwischen dem Geschäftsinteresse des Verwenders und dem Informationsinteresse der Allgemeinheit kann im Einzelfall, insbesondere in Fällen, die weder eindeutig als Berichterstattung noch als Wirtschaftswerbung eingeordnet werden können, Schwierigkeiten bereiten.296 Die Rechtsprechung
lässt diesbezüglich keine eindeutigen Abgrenzungskriterien erkennen. 297 Dem Sinn
286
287
288
289
290
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293
294
295
296
297
LG München AfP 1997, 559 – Meister Eder.
LG Berlin NJW-RR 2000, 555.
LG Düsseldorf AfP 2002, 64 – Franz Beckenbauer.
LG München AfP 1997, 554.
BGH GRUR 1979, 732, 733 – Fußballtor.
BGH NJW 2000, 2201 – Der blaue Engel.
BGH NJW 1997, 1152 – Bob Dylan; BGH NJW 1992, 2084 – Joachim Fuchsberger; MünchKommBGB /Rixecker, Anhang zu § 12 Rn. 52.
MünchKommBGB /Rixecker, Anhang zu § 12 Rn. 53.
BGH GRUR 1956, 427, – Paul Dahlke; BGH NJW 1997, 1152 – Bob Dylan; MünchKommBGB /Rixecker, § 12 Rn. 71; Hölk, WRP 2009, 1201, 1204 f.
BGH WRP 2007, 83 – Rücktritt des Finanzministers.
Gauß, GRUR Int. 2004, 558, 560.
Ein überwiegendes Informationsinteresse bejahend: BGH NJW 1996, 593 – Willy Brandt,
BVerfG NJW 2001, 594 – Willy Brandt (Medaille mit dem Abbild des Altbundeskanzlers
Willy Brandt); BGH GRUR 1979, 425 – Fußballkalender (Darstellung Franz Beckenbauers in
einer Zweikampfszene auf dem Titelblatt eines Sportkalenders); BGH NJW-RR 1995, 789 –
Chris Revue (Abdruck des Bildes eines bekannten Schauspielers auf der Titelseite einer
kostenlosen Kundenzeitschrift wenn im Innern des Blattes ein kurzer inhaltsarmer Beitrag
folgt). Ein überwiegendes Informationsinteresse verneinend: BGH GRUR 1968, 652 – Liga
Spieler (Fußballsammelbilder); BGH NJW 1997, 1152 – Bob Dylan (Abbildung des Künstlers
auf einem ohne seine Einwilligung vertriebenen Tonträger mit seiner Musik); BGH WRP
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IV. Schutz gegen das Ausnutzen fremder Leistungen
des § 22 KUG entspricht es allerdings, § 23 KUG äußerst restriktiv zu handhaben und
die ungenehmigte Bildnutzung nur als absolute Ausnahme zuzulassen, wenn sicher ein
allgemeines Informationsinteresse besteht. 298
Das Namensrecht des § 12 BGB spricht einem Namensträger in dem Fall, dass ein
anderer unbefugt den gleichen Namen gebraucht, Beseitigungs- und Unterlassungsansprüche zu. Namen i.S.d. § 12 BGB sind sowohl der sogenannte bürgerliche Zwangsname, bestehend aus Vor- und Nachnamen,299 als auch Künstlernamen,300 Spitznamen301 und Pseudonyme.302 Auch die bloße Verwendung eines Vornamens kann einen
Eingriff in das Namensrecht darstellen, wenn der Träger des Namens unter diesem eine
überragende Bekanntheit erlangt hat und der Vorname in einer Art und Weise gebraucht wird, die das Publikum an den Namensträger erinnert.303 Darüber hinaus hat
die Rechtsprechung den Anwendungsbereich des Namensrechts auch auf Firmennamen sowie sonstige Unternehmensbezeichnungen von Einzelkaufleuten, Personenund Kapitalgesellschaften ausgedehnt. 304 Seit Erlass des Markenrechts kommt dem
Namensrecht hinsichtlich solcher Bezeichnungen allerdings nur noch beschränkt Bedeutung zu. Sofern der Berechtigte und der Verletzer im geschäftlichen Verkehr tätig
werden, verdrängt das Markenrecht als speziellere Regelung das Namensrecht,305 dessen verbleibender Anwendungsbereich damit begrenzt ist.306
Der Gebrauch eines Namens umfasst sowohl die Kennzeichnung der eigenen oder
einer anderen Person mit dem Namen307 als auch jede andere namensmäßige Benutzung für eigene Zwecke im Zusammenhang mit geschäftlichen Unternehmungen, Waren oder Dienstleistungen sowie in der Werbung.308 Entsprechend dem Schutzzweck
des Namensrechts, Identitätstäuschungen zu verhindern,309 ist eine Verletzung des Namensrechts allerdings nur dann gegeben, wenn durch den Gebrauch eine Zuordnungsverwirrung hervorgerufen wird.310 Eine solche ist anzunehmen, wenn die beteiligten
Verkehrskreise die Namensverwendung als einen Hinweis auf den Berechtigten ver-
298
299
300
301
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303
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309
310
2009, 1269 – Wer wird Millionär (Abbildung Günther Jauchs auf dem Titelblatt eines Rätselheftes; Gauß, GRUR Int. 2004, 558, 560 m.w.N.
Gauß, GRUR Int. 2004, 558, 561.
MünchKommBGB /Bayreuther, § 12 Rn. 22.
OLG München GRUR 1960, 394 – Romy.
OLG Hamburg GRUR-RR 2001, 308 – Quick-Nick (erst ab Ingebrauchnahme durch den
Namensträger).
BGH GRUR 2003, 897 – Maxem.de (wenn der Verwender unter diesem im Verkehr bekannt
ist) MünchKommBGB /Bayreuther, § 12 Rn. 25.
BGH NJW 1983, 1184 – Uwe; MünchKommBGB /Bayreuther, § 12 Rn. 23; Gauß, GRUR Int.
2004, 558, 562.
BGH GRUR 1955, 42 – Farina II.
BGH GRUR 1998, 696, 697 – Rolex-Uhr mit Diamanten; MünchKommBGB /Bayreuther, § 12
Rn. 14.
Zum verbleibenden Anwendungsbereich siehe MünchKommBGB /Bayreuther, § 12 Rn. 15 ff.
Bamberger/Roth, § 12 Rn. 70; Gauß, GRUR Int. 2004, 558, 562.
Bamberger/Roth, § 12 Rn. 72.
MünchKommBGB /Bayreuther, § 12 Rn. 150; Gauß, GRUR Int. 2004, 558, 562.
BGH GRUR 1959, 430 – Catarina Valente; BGH GRUR 1994, 732 – McLaren.
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stehen.311 Entsprechend liegt im Falle der Nutzung eines Namens zu Werbezwecken
eine Verletzung des Namensrechts nur dann vor, wenn dadurch bei den angesprochenen Verkehrskreisen der Eindruck entsteht, dass die angepriesenen Waren oder
Dienstleistungen dem Namensträger zuzurechnen sind.312 Dabei reicht der Eindruck
aus, dieser habe seine Erlaubnis zur Benutzung des Namens erteilt. 313 Eine Verletzung
des Namensrechts liegt entsprechend dann vor, wenn der Name zur Bezeichnung von
Waren gebraucht wird, nicht hingegen, wenn lediglich die Wertschätzung des Genannten ausgenutzt werden soll.314
Stellt die Verwendung eines Namens keinen Namensgebrauch i.S.d. § 12 BGB dar,
so kann der Namensinhaber Schutz auf der Grundlage des allgemeinen Persönlichkeitsrechts erlangen. Nach der Rechtsprechung des BGH braucht niemand zu dulden,
ungefragt in einer Werbeanzeige für bestimmte Gegenstände erwähnt zu werden,315
und zwar unabhängig davon, ob der unbefugte Namensgebrauch zu einer Beeinträchtigung der Wertschätzung des Namensträgers führt.316 Es ist insoweit der Entscheidung
des Einzelnen vorbehalten, ob und unter welchen Voraussetzungen er seinen Name für
Werbezwecke anderer zur Verfügung stellt. 317 Allerdings kann die Namensnennung in
einer Werbeanzeige, wenn sich diese in satirisch-spöttischer Form mit einem in der
Öffentlichkeit diskutierten Ereignis auseinandersetzt, durch die Meinungsäußerungsfreiheit (Art. 5 I GG) des Werbenden getragen sein.318
Infolge einer Persönlichkeitsrechtsverletzung stehen dem Verletzten Ansprüche
auf Beseitigung und Unterlassung nach § 12 BGB zu. Weiterhin steht dem Verletzten
nach § 37 KUG ein Anspruch auf Vernichtung rechtswidrig verbreiteter oder vorgeführter Bildnisse zu. Auf ein Verschulden des Verletzers kommt es für diese Ansprüche
nicht an. Darüber hinaus ist das Persönlichkeitsrecht als absolutes Recht Schutzgegenstand des § 823 I. Entsprechend steht dem Verletzten ein Anspruch auf Ersatz eines
entstandenen Schadens zu, sofern dem Verletzer ein Verschulden nachgewiesen werden kann. Bei Verletzung spezieller Schutzrechte kommt dabei für materielle Schäden
die sogenannte dreifache Schadensberechnung zur Anwendung. 319
311
312
313
314
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316
317
318
319
MünchKommBGB /Bayreuther, § 12 Rn. 152.
BGH GRUR 1981, 846, – Rennsportgemeinschaft; MünchKommBGB /Bayreuther, § 12 Rn. 170.
BGH GRUR 1994, 732 – McLaren; OLG Düsseldorf AfP 2002, 64 – Franz Beckenbauer; Gauß,
GRUR Int. 2004, 558, 562.
MünchKommBGB /Bayreuther, § 12 Rn. 170.
BGH GRUR 1981, 846, – Rennsportgemeinschaft.
So noch BGH GRUR 1959, 430 – Catarina Valente.
BGH GRUR 1981, 846, 848 – Rennsportgemeinschaft.
BGH GRUR 2008, 1124 – Zerknitterte Zigarettenschachtel; BGH WRP 2008, 1527 – „Schau, mal
Dieter“; ausführlich dazu Hölk, WRP 2009, 1201, 1205.
Bamberger/Roth, § 12 Rn. 228; Müller, VersR 2008, 1141, 1151 f.; Hölk, WRP 2009, 1201,
1204; zur dreifachen Schadensberechnung siehe S. 155.
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V. Schutz gegen Rufschädigung
V. Schutz gegen Rufschädigung
Literatur: Brammsen/Apel, Die „Anschwärzung“, § 4 Nr. 8 UWG, WRP 2009, 1464; Ohly, Schadensersatzansprüche wegen Rufschädigung und Verwässerung im Marken- und Lauterkeitsrecht,
GRUR 2007, 926; Rühl, Tatsachenbehauptungen und Wertungen, AfP 2000, 17.
Lauterkeitsrechtlichen Schutz des geschäftlichen Rufs gewähren die Beispieltatbestände des § 4 Nr. 7 und 8 UWG. § 4 Nr. 8 UWG schützt Mitbewerber vor unwahren
bzw. nicht erweislich wahren geschäftsschädigenden Tatsachenbehauptungen (Anschwärzung). Wahre Tatsachenbehauptungen fallen ebenso wie herabsetzende Meinungsäußerungen nicht in den Anwendungsbereich der Vorschrift und werden von § 4
Nr. 7 UWG (Herabsetzung von Mitbewerbern) erfasst.320 Letzterer findet vor allem
auf Fälle der Schmähkritik, in denen der Mitbewerber pauschal und ohne erkennbaren
sachlichen Bezug abgewertet wird,321 aber auch auf herabsetzende Tatsachenbehauptungen322 Anwendung. Weiterhin enthält § 6 II Nr. 4, 5 UWG ein Verbot herabsetzender Werbevergleiche. 323 Unwahre Tatsachenbehauptungen, die zur Täuschung der
Verbraucher geeignet sind, können außerdem als irreführende geschäftliche Handlung
unzulässig sein, soweit die zusätzlichen Voraussetzungen des § 5 UWG erfüllt sind.324
Die Vorschriften des § 4 Nr. 7 und 8 UWG bezwecken den Schutz von Unternehmen vor der unsachlichen Beeinträchtigung ihrer Wettbewerbschancen und damit –
zumindest auch – den Schutz des unverfälschten Wettbewerbs. Entsprechend ist sachliche Kritik an Mitbewerbern, der ein berechtigtes Informationsinteresse von Verbrauchern und anderen Marktteilnehmern gegenübersteht, grundsätzlich zulässig. Die bloße Herabsetzung und Verunglimpfung von Mitbewerbern sowie unwahre Tatsachenbehauptungen, die den Wettbewerb verfälschen, indem sie in unsachlicher Weise auf
andere Marktteilnehmer einwirken, sind hingegen unzulässig.325
Wie alle Beispieltatbestände setzt auch § 4 Nr. 7 und 8 UWG eine Handlung zu
Gunsten des eigenen oder eines fremden Unternehmens voraus, die objektiv mit der
Förderung des Absatzes oder Bezugs von Waren oder Dienstleistungen zusammenhängt
(§ 2 I Nr. 1 UWG). Probleme bei der Einordnung können vor allem kritische Äußerungen in den Medien bereiten. So ist von einem objektiven Zusammenhang zwischen
Handlung und Absatzförderung nicht schon dann auszugehen, wenn ein redaktioneller Beitrag objektiv geeignet ist, den Absatz eines fremden Unternehmens zu fördern.
Insbesondere hinsichtlich kritischer Äußerungen kann ein objektiver Zusammenhang
grundsätzlich wohl nur dann angenommen werden, wenn dem Medienunternehmen
für den Beitrag ein wirtschaftlicher Vorteil versprochen oder gewährt wurde. 326
320
321
322
323
324
325
326
Fezer /Nordemann, § 4-7 Rn. 6; Köhler/Bornkamm, § 4 Rn. 8.2; MünchKommUWG /Jänich,
§ 4 Nr. 7 Rn. 38.
Begr. RegE BT-Drs. 15/1487, S. 18; Harte/Henning /Omsels, § 4 Nr. 7 Rn. 20.
Köhler/Bornkamm, § 4 Rn. 7.1; Piper/Ohly/Sosnitza § 4 Rn. 7/1.
Dazu ausführlich S. 124 f.
Dazu ausführlich S. 129 ff.
Köhler/Bornkamm, § 4 Rn. 7.2.
Köhler/Bornkamm, § 2 Rn. 67.
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Beide Beispieltatbestände erfassen nur Handlungen, die sich gegen einen Mitbewerber i.S.d. § 2 I Nr. 3 UWG richten. Der Verletzer oder das durch die Handlung
begünstigte fremde Unternehmen und der Verletzte müssen also in einem konkreten
Wettbewerbsverhältnis stehen. Eine ausdrückliche (namentliche) Nennung des Mitbewerbers ist nicht erforderlich. Allerdings setzt der Anschwärzungstatbestand des § 4
Nr. 8 UWG voraus, dass der Verletzte in der Mitteilung erkennbar gemacht wird. 327
Darüber hinaus findet § 4 Nr. 7 UWG auch bei pauschalen Herabsetzungen oder Verunglimpfungen ungenannter Mitbewerber Anwendung.328
Die Vorschriften sind unter Berücksichtigung des Grundrechts der Meinungsfreiheit (Art. 5 I GG) auszulegen, dessen Schutz sich auch auf kommerzielle Meinungsäußerungen sowie reine Wirtschaftswerbung, die einen wertenden, meinungsbildenden Inhalt hat, erstreckt. 329 Neben Meinungsäußerungen fallen auch wahre Tatsachenbehauptungen in den Schutzbereich des Grundrechts, soweit diese Voraussetzung
der Meinungsbildung sind.330 Bei der Beurteilung einer kritischen Äußerung sind also
die Meinungsfreiheit sowie die Interessen der angesprochenen Verkehrskreise gegen
die Interessen des betroffenen Mitbewerbers abzuwägen. Unwahre Tatsachenbehauptungen werden hingegen nicht vom Schutz der Meinungsfreiheit umfasst,331 weswegen
dem Grundrecht bei der Auslegung des § 4 Nr. 8 UWG nur hinsichtlich solcher Tatsachenbehauptungen Bedeutung zukommt, deren Wahrheit nicht erweislich ist.332
Neben den lauterkeitsrechtlichen Vorschriften finden zudem die Vorschriften des
Strafgesetzbuches Anwendung, namentlich die Beleidigung (§ 185 StGB), die üble
Nachrede (§ 186 StGB) sowie die Verleumdung (§ 187 StGB). Der mit dem UWG
1909 eingeführte lauterkeitsrechtlichen Straftatbestand der geschäftlichen Verleumdung (§ 15 UWG 1909) wurde im Rahmen der 2004er UWG-Novelle mangels nennenswerter eigener Bedeutung neben dem Verleumdungstatbestand des Strafgesetzbuches gestrichen. Entsprechend entfiel auch § 23 I UWG 1909 der unter bestimmten
Umständen die Veröffentlichung von Strafurteilen wegen geschäftlicher Verleumdung ermöglichte. 333
1. Anschwärzen
§ 4 Nr. 8 UWG findet ausschließlich auf Tatsachenbehauptungen „über die Waren,
Dienstleistungen oder das Unternehmen eines Mitbewerbers oder über den Unterneh327
328
329
330
331
332
333
Köhler/Bornkamm, § 4 Rn. 8.12; Piper /Ohly/Sosnitza, § 4 Rn. 8/10.
Harte/Henning/Omsels, § 4 Nr. 7 Rn. 26 f.; Köhler/Bornkamm, § 4 Rn. 7.11; a.A. Piper /Ohly/
Sosnitza, § 4 Rn. 7/10 demzufolge allenfalls § 3 greift.
BVerfG GRUR 2001, 170, 172 – Benetton-Schockwerbung I; kritisch zur Ausgrenzung nicht
wertender Aussagen bei Wirtschaftswerbung, Harte/Henning /Ahrens, H.J., Einl. F Rn. 60 f.
BVerfG GRUR 1980, 1087, 1089 – Heinrich Böll; Köhler/Bornkamm, § 4 Rn. 7.16; MünchKommUWG /Brammsen/Doehner, § 4 Nr. 8 Rn. 8.
BVerfG GRUR 1980, 1087, 1089 – Heinrich Böll.
BVerfG NJW 2003, 277, 278 – Juve Handbuch; Köhler/Bornkamm, § 4 Rn. 8.10; MünchKommUWG /Brammsen/Doehner, § 4 Nr. 8 Rn. 8.
Begr. RegE UWG 2004, BT-Drs. 15/1487, S. 15.
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V. Schutz gegen Rufschädigung
mer oder ein Mitglied der Unternehmensleitung“ Anwendung. Tatsachenbehauptungen sind anders als Werturteile, die sich durch Elemente der Stellungnahme und des
Dafürhaltens auszeichnen,334 dem Wahrheitsbeweis zugänglich. 335 Zur Abgrenzung,
die in der Praxis häufig Schwierigkeiten bereiten wird,336 ist darauf abzustellen, wie
die Äußerung in ihrem Gesamtzusammenhang vom angesprochenen Verkehrskreis
verstanden wird. 337
Unlauter nach § 4 Nr. 8 UWG ist das Aufstellen einer eigenen Tatsachenbehauptung sowie das Weitergeben einer fremden Tatsachenbehauptung. Die verbreitende
Person muss sich die fremde Tatsachenbehauptung nicht zu Eigen gemacht haben.
Es muss lediglich einem Dritten die Möglichkeit verschafft worden sein, von dem Inhalt der Behauptung Kenntnis zu nehmen. 338 Eine Mitteilung kann sowohl schriftlich
oder mündlich als auch konkludent oder durch bildliche oder dreidimensionale Darstellung erfolgen.339
Die behaupteten oder verbreiteten Tatsachen müssen objektiv geeignet sein, den
Betrieb des Geschäfts oder den Kredit des Inhabers zu schädigen. Dafür genügt die
Möglichkeit, dass sich die Mitteilung nachteilig auf die Erwerbstätigkeit auswirkt. Der
Eintritt eines konkreten Schadens ist hingegen nicht erforderlich. Die entsprechende
Eignung einer Mitteilung richtet sich nach der Wirkung, die diese auf ein durchschnittlich informiertes, aufmerksames und verständiges Mitglied des angesprochenen
Verkehrskreises hat.340
Der Beispieltatbestand unterscheidet zwischen vertraulichen (§ 4 Nr. 8 Hs. 2
UWG) und nicht vertraulichen (§ 4 Nr. 8 Hs. 1 UWG) Mitteilungen. Während die
Unlauterkeit einer vertraulichen Mitteilung, an der der Mitteilende oder der Empfänger ein berechtigtes Interesse hat,341 den Beweis der Unwahrheit voraussetzt, sind öffentliche Mitteilungen bereits unlauter, wenn sich die Wahrheit der behaupteten Tatsachen nicht erweisen lässt. Bei vertraulichen Mitteilungen hat entsprechend der Verletzte die Unwahrheit nachzuweisen. Die Beweislast hinsichtlich der Wahrheit einer
öffentlichen Mitteilung fällt dem Verletzer zu, der damit das Risiko der Nichterweislichkeit der Wahrheit trägt. 342
334
335
336
337
338
339
340
341
342
BVerfG NJW 2003, 277, 278 – Juve Handbuch.
BGH GRUR 1997, 396, 398 – Polizeichef; Brammsen/Apel, WRP 2009, 1464, 1465.
Brammsen/Apel, WRP 2009, 1464, 1466; Harte/Henning /Bruhn, § 4 Nr. 8 Rn. 17; Köhler/
Bornkamm, § 4 Rn. 8.13; Piper/Ohly/Sosnitza, § 4 Rn. 8/12.
BGH GRUR 1988, 402, 403 – Mit Verlogenheit zum Geld.
BGH GRUR 1995, 427, 428 – Schwarze Liste; Köhler/Bornkamm, § 4 Rn. 8.18; Piper /Ohly/
Sosnitza, § 4 Rn. 8/14.
Harte/Henning /Bruhn, § 4 Nr. 8 Rn. 28; Köhler/Bornkamm, § 4 Rn. 8.18.
Köhler/Bornkamm, § 4 Rn. 8.19; MünchKommUWG /Brammsen/Doehner, § 4 Nr. 8 Rn. 46.
Beide Tatbestandsmerkmale müssen kumulativ erfüllt sein. BGH GRUR 1992, 860, 861 –
Bauausschreibungen; ausführlich zu den Tatbestandsvoraussetzungen Brammsen/Apel, WRP
2009, 1464, 1469; Köhler/Bornkamm, § 4 Rn. 8.21 ff.
Harte/Henning /Bruhn, § 4 Nr. 8 Rn. 31; Köhler/Bornkamm, § 4 Rn. 8.20.
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Länderbericht Deutschland
2. Herabsetzung von Mitbewerbern
Äußerungen, die eine Herabsetzung oder Verunglimpfung enthalten werden von § 4
Nr. 7 UWG erfasst. Darunter fallen sowohl Werturteile als auch wahre Tatsachenbehauptungen. Unter Herabsetzung ist die sachlich nicht gerechtfertigte Verringerung
der Wertschätzung des Mitbewerbers sowie seiner Kennzeichen, Waren, Dienstleistungen und Tätigkeiten in den Augen der angesprochenen Verkehrskreise zu verstehen.
Die Verunglimpfung ist die Verächtlichmachung in Gestalt eines abträglichen Werturteils ohne sachliche Grundlage, also eine gesteigerte Form der Herabsetzung. 343 Ob
eine Äußerung eine Herabsetzung oder Verunglimpfung enthält, richtet sich nach dem
Eindruck den diese auf ein durchschnittlich informiertes, verständiges und aufmerksames Mitglieds des angesprochenen Verkehrskreises macht.344
Eine Herabsetzung kann in vielerlei Formen geschehen, etwa durch schriftliche
oder mündliche Äußerungen,345 Gesten und Gebärden, Abbildungen346 aber auch
durch das Beschädigen von Waren, Kennzeichen oder Werbematerialien eines Mitbewerbers, sofern dies geeignet ist, die Wertschätzung in den Augen der angesprochenen
Verkehrskreise zu beeinträchtigen. 347 Die Größe des angesprochenen Personenkreises
ist dabei unerheblich.348
VI. Behinderung, unberechtigte Schutzrechtsverwarnung
und Rechtsbruch
Literatur: Köhler, Der Rechtsbruchtatbestand im neuen UWG, GRUR 2004, 381; Ders., Die Unlauterkeitstatbestände des § 4 UWG und ihre Auslegung im Lichte der Richtlinie über unlautere
Geschäftspraktiken, GRUR 2008, 841; Ders., Konkurrentenklage gegen die Verwendung unwirksamer Allgemeiner Geschäftsbedingungen, NJW 2008, 177; Omsels, Zur Unlauterkeit der gezielten
Behinderung von Mitbewerbern, § 4 Nr. 10 UWG, WRP 2004, 136; Sack, Unbegründete Schutzrechtsverwarnungen – lückenloser Unternehmensschutz durch das UWG seit 2004, NJW 2009,
1642; Teplitzky, Zur Frage der Rechtmäßigkeit unbegründeter Schutzrechtsverwarnungen – Zugleich eine Besprechung von BGH „Verwarnung aus Kennzeichenrecht“, GRUR 2005, 9; Ullmann,
Die Verwarnung aus Schutzrechten – mehr als eine Meinungsäußerung?, GRUR 2001, 1027.
343
344
345
346
347
348
Eine genaue Unterscheidung der Begriffe ist im Hinblick auf deren Gleichstellung entbehrlich. Köhler/Bornkamm, § 4 Rn. 7.12; MünchKommUWG /Jänich, § 4 Nr. 7 Rn. 33; Piper /
Ohly/Sosnitza, § 4 Rn. 7/13.
BGH GRUR 2002, 982, 984 – DIE „STEINZEIT“ IST VORBEI!
OLG Köln K & R 1/2010, 50 (Verbreitung eines Newsletters im Rahmen eines Internetauftritts).
OLG Hamburg WRP 1999, 355, 357 (Abbildung eines verschmutzen und defekten Konkurrenzproduktes); OLG Köln NJWE-WettbR 1999, 277 (Abbildung eines unzufriedenen Kunden eines Mitbewerbers).
Harte/Henning/Omsels, § 4 Nr. 7 Rn. 17; Köhler/Bornkamm, § 4 Rn. 7.14; Piper /Ohly/Sosnitza, § 4 Rn. 7/15.
Köhler/Bornkamm, § 4 Rn. 7.14.
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VI. Behinderung, unberechtigte Schutzrechtsverwarnung und Rechtsbruch
1. Behinderung
Das deutsche Lauterkeitsrecht unterscheidet zwischen der individuellen Mitbewerberbehinderung und der allgemeinen Marktbehinderung. Im Rahmen der UWG-Novelle 2004 wurde die individuelle Mitbewerberbehinderung als Beispieltatbestand in
§ 4 Nr. 10 UWG aufgenommen. Die allgemeine Marktbehinderung hingegen ist nicht
als Beispieltatbestand aufgeführt, kann jedoch unter die Generalklausel des § 3 UWG
fallen.349
Beide Fälle setzen das Vorliegen einer geschäftlichen Handlung im Sinne des § 2
Nr. 1 UWG voraus, die zudem geeignet ist, die Interessen von Mitbewerbern, Verbrauchern oder sonstigen Marktteilnehmern spürbar zu beeinträchtigen (§ 3 I UWG). Diese Eignung ist allerdings, soweit die Tatbestandsvoraussetzungen des § 4 Nr. 10 UWG
erfüllt sind, stets anzunehmen.350
a) Individuelle Mitbewerberbehinderung
Unter den Tatbestand des § 4 Nr. 10 UWG fallen nur solche Wettbewerbshandlungen,
die sich gezielt gegen einen oder mehrere Mitbewerber i.S.d. § 2 Nr. 3 richten. 351 Es
bedarf also eines konkreten Wettbewerbsverhältnisses zwischen dem Handelnden
und dem Betroffenen. Der Begriff der Behinderung wurde bewusst weit gefasst352 und
bezeichnet jede Beeinträchtigung der wettbewerblichen Entfaltungsmöglichkeiten der
Mitbewerber,353 zu denen beispielsweise Absatz, Bezug, Werbung, Produktion, Finanzierung oder der Einsatz von Personal zählen. 354 Vor dem Hintergrund, dass jede geschäftliche Handlung geeignet ist, Mitbewerber zu beeinträchtigen, müssen für die
Unzulässigkeit einer individuellen Behinderung allerdings noch weitere Umstände
hinzutreten. 355 Diese Voraussetzung hat im UWG dahingehend Berücksichtigung gefunden, dass nur eine gezielte Behinderung unlauter i.S.d. § 4 Nr. 10 UWG ist.356
Von einer gezielten Behinderung ist dann auszugehen, wenn das betreffende Verhalten bei objektiver Würdigung der Umstände in erster Linie auf die Beeinträchtigung der wettbewerblichen Entfaltung des Mitbewerbers und nicht auf die Förderung
des eigenen Wettbewerbs gerichtet ist. Ist eine entsprechende Ausrichtung des Verhaltens nicht festzustellen, so ist eine Behinderung auch dann unlauter nach § 4 Nr. 10
UWG, wenn der beeinträchtigte Mitbewerber infolge dieser seine Leistung am Markt
durch eigene Anstrengung nicht mehr in angemessener Weise zur Geltung bringen
349
350
351
352
353
354
355
356
Begr. RegE UWG 2004 BT-Drs. 15/1487, S. 19.
Köhler/Bornkamm, § 4 Rn. 10.3.
OLG Köln GRUR-RR 2005, 168, 169.
Begr. RegE UWG 2004 BT-Drs. 15/1487, S. 19.
BGH GRUR 2001, 1061, 1062 – Mitwohnzentrale.de.
BGH GRUR 2004, 877, 879 – Werbeblocker; Köhler/Bornkamm, § 4 Rn. 10.6; MünchKommUWG /Jänich, § 4 Nr. 10 Rn. 10.
BGH GRUR 2001, 1061, 1062 – Mitwohnzentrale.de; BGH GRUR 2004, 877, 879 – Werbeblocker; MünchKommUWG /Jänich, § 4 Nr. 10 Rn. 10.
Begr RegE UWG 2004 BT-Drs. 15/1487, S. 19.
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kann.357 Insoweit bedarf es einer Gesamtwürdigung der Umstände des jeweiligen Einzelfalls, bei der die sich gegenüberstehenden Interessen der Mitbewerber, der Verbraucher, der sonstigen Marktteilnehmer sowie der Allgemeinheit unter Berücksichtigung
des Schutzzwecks des Lauterkeitsrechts358 gegeneinander abzuwägen sind. 359 Auf eine
Behinderungsabsicht des Verletzers kommt es hingegen für die Erfüllung des Behinderungstatbestands nicht an,360 wenngleich stets eine gezielte und damit unlautere
Behinderung vorliegen wird, soweit sich eine solche Absicht feststellen lässt. 361 Anhaltspunkte für die Feststellung einer gezielten Behinderung bieten zudem die von der
Rechtsprechung bereits unter § 1 UWG 1909 gebildeten Fallgruppen.362 Von besonderer Relevanz sind dabei, der Boykott, die gezielte Preisunterbietung sowie die Mitarbeiterabwerbung.
aa) Boykott
Der Begriff des Boykotts bezeichnet die Aufforderung zum Abbruch der geschäftlichen Beziehungen zu einem Dritten. Ein Boykott der zugunsten des eigenen oder eines
fremden Unternehmens erfolgt (§ 2 Nr. 1 UWG) dient regelmäßig der gezielten Behinderung des boykottierten Mitbewerbers und ist damit unlauter gem. § 4 Nr. 10 UWG,
soweit nicht Umstände vorliegen, die das Handeln als sachlich gerechtfertigt erscheinen lassen. 363
bb) Preisunterbietung
Die Preisunterbietung stellt grundsätzlich keine unlautere Mitbewerberbehinderung
dar. Auch der Verkauf unter Selbstkosten- oder Einstandspreis oder die kostenlose Abgabe von Waren und Dienstleistungen sind nur dann unzulässig, wenn weitere unlauterkeitsbegründende Umstände, etwa die Verdrängungsabsicht, hinzutreten. 364
357
358
359
360
361
362
363
364
BGH GRUR 2001, 1061, 1062 – Mitwohnzentrale.de; BGH GRUR 2007, 800 Tz 23 – Außendienstmitarbeiter.
BGH GRUR 2007, 800 Tz 21 – Außendienstmitarbeiter.
BGH GRUR 2004, 877, 879 – Werbeblocker; Köhler/Bornkamm, § 4 Rn. 10.11; Piper /Ohly/
Sosnitza, § 4 Rn. 10/10.
BGH WRP 2007, 951, 954 – Außendienstmitarbeiter; Harte/Henning /Omsels, § 4 Nr. 10
Rn. 14.
Köhler/Bornkamm, § 4 Rn. 10.9.
Piper /Ohly/Sosnitza, § 4 Rn. 10/12.
Ein Boykott kann ausnahmsweise durch die Meinungsfreiheit (Art. 5 I GG) oder als Abwehrmaßnahme gerechtfertigt sein. Harte/Henning /Omsels, § 4 Nr. 10 Rn. 241; Köhler/Bornkamm, § 4 Rn. 10.122 f.; Piper/Ohly/Sosnitza, § 4 Rn. 10/86.
RGZ 134, 342 – Benrather Tankstelle; BGH WRP 2006, 888 Tz 13 – 10% billiger m.w.N.; BGH
GRUR 2009, 416 – Küchentiefstpreis-Garantie; Köhler/Bornkamm, § 4 Rn. 10.184 f.; Piper /
Ohly/Sosnitza, § 4 Rn. 10/91 ff.
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VI. Behinderung, unberechtigte Schutzrechtsverwarnung und Rechtsbruch
cc) Mitarbeiterabwerbung
Auch das Abwerben von Mitarbeitern ist lauterkeitsrechtlich grundsätzlich erlaubt.
Es ist nur dann unlauter, wenn besondere Begleitumstände vorliegen, insbesondere
unlautere Mittel365 eingesetzt oder vornehmlich unlautere Zwecke, beispielsweise die
Schwächung der Leistungsfähigkeit des Mitbewerbers,366 verfolgt werden. 367
b) Allgemeine Marktbehinderung
Eine allgemeine Marktbehinderung oder Marktstörung ist nach ständiger Rechtsprechung des BGH gegeben, wenn ein für sich genommen nicht unlauteres aber doch
bedenkliches Wettbewerbsverhalten allein oder in Verbindung mit gleichartigen
Maßnahmen von Mitbewerbern die ernstliche Gefahr begründet, der Wettbewerb
werde in nicht unerheblichem Maße eingeschränkt. 368 Eine Behinderung kann also,
obgleich sie sich nicht gezielt gegen individuelle Mitbewerber richtet, auch dann unlauter sein, wenn sie dazu führt, allgemein die Mitbewerber vom Markt zu verdrängen
und dadurch den Wettbewerb auf dem Markt völlig oder nahezu aufzuheben.369 Diese
Fallgruppe fand in der Vergangenheit auf das Verschenken von Originalware,370 das
kostenlose Verteilen von Presseerzeugnissen371 und die Preisunterbietung372 Anwendung. Allerdings hat die allgemeine Marktbehinderung infolge der Liberalisierung des
Lauterkeitsrechts an Bedeutung verloren. Die bisher in den Anwendungsbereich fallenden Verhaltensweisen sind nach heutiger Auffassung grundsätzlich zulässig und nur
dann unlauter, wenn weitere unlauterkeitsbegründende Umstände hinzutreten. Entsprechend sind kaum Fälle ersichtlich, in denen diese Fallgruppe weiterhin von Relevanz ist.373
365
366
367
368
369
370
371
372
373
Etwa die Verleitung zum Vertragsbruch; Köhler/Bornkamm, § 4 Rn. 10.107 ff.; Piper /Ohly/
Sosnitza, § 4 Rn. 10/28 f.
Harte/Henning /Omsels, § 4 Nr. 10 Rn. 26 f.; Köhler/Bornkamm, § 4 Rn. 10.105; Piper /Ohly/
Sosnitza, § 4 Rn. 10/23.
BGH GRUR 2004, 696 – Direktansprache am Arbeitsplatz I m.w.N.; BGH GRUR 2006, 426
Tz 18 – Direktansprache am Arbeitsplatz II; BGH GRUR 2008, 262 – Direktansprache am
Arbeitsplatz III.
BGH GRUR 2004, 960, 961– 500 DM-Gutschein für Autokauf m.w.N.; Köhler/Bornkamm, § 4
Rn. 12.3; Piper /Ohly/Sosnitza, § 4 Rn. 10/95.
BGH GRUR 1990, 371, 372 – Preiskampf.
BGH GRUR 1975, 26, 29 – Colgate.
BGH GRUR 1956, 223, 225 – Freiburger Wochenbericht; BGH GRUR 1969, 287, 290 – Stuttgarter Wochenblatt I.
BGH GRUR 1990, 371, 372 – Preiskampf.
Ohly spricht sich sogar dafür aus, die Fallgruppe der allgemeinen Marktstörung aufzugeben.
Piper /Ohly/Sosnitza, § 4 Rn. 10/97.
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2. Unberechtigte Schutzrechtsverwarnung
Der Begriff der Schutzrechtsverwarnung bezeichnet eine ernsthafte und endgültige
Unterlassungsaufforderung374 gegenüber einem Hersteller oder Abnehmer eines Produkts wegen der Verletzung von Schutzrechten, im einzelnen gewerblicher Schutzrechte (Patent, Gebrauchs- und Geschmacksmuster, Kennzeichenrechte), des Urheberrechts sowie von Positionen, die durch den lauterkeitsrechtlichen Nachahmungsschutz (§ 4 Nr. 9 UWG) geschützt sind.375 Eine Schutzrechtsverwarnung ist dann unberechtigt, wenn das Recht, dessen Verletzung behauptet wird, (noch) nicht oder
nicht mehr besteht oder wenn es entgegen der Behauptung nicht verletzt wurde. 376
Schutzrechtsverwarnungen können erhebliche wirtschaftliche Folgen für den wegen
der Rechtsverletzung Verwarnten nach sich ziehen. Diesem wird eine schnelle Klärung
der Schutzrechtslage häufig nicht möglich sein. Damit steht er vor der Wahl, entweder
die behauptete Verletzung zu unterlassen oder der Verwarnung keine Beachtung zu
schenken und sich damit der Gefahr der strengen immaterialgüterrechtlichen Haftung
(dreifache Schadensberechnung)377 auszusetzen. Eine Verwarnung gegenüber einem
oder mehrerer Abnehmer ist zudem durch die Einbeziehung Dritter mit weitergehenden Risiken für den Hersteller verbunden als eine Herstellerverwarnung. Zum einen
wird der Hersteller nicht sofort von einer Verwarnung seiner Abnehmer erfahren und
ist somit in seinen Reaktionsmöglichkeiten eingeschränkt. Zum anderen werden Abnehmer häufig nicht die Klärung der Schutzrechtslage abwarten, sondern wenn möglich auf ein Produkt eines konkurrierenden Herstellers ausweichen. 378 Letztlich kann
eine unberechtigte Abnehmerverwarnung den geschäftlichen Ruf des betroffenen
Herstellers schädigen.379 Dem berechtigten Interesse des Schutzrechtsinhabers, Ansprüche aus seinem Recht geltend machen zu können, steht folglich ein ebensolches
Interesse des Verwarnten gegenüber, vor den Folgen unberechtigter Verwarnungen geschützt zu werden.380
Nach ständiger Rechtsprechung ist die unberechtigte Schutzrechtsverwarnung ein
rechtswidriger Eingriff in das Recht am eingerichteten und ausgeübten Gewerbebe374
375
376
377
378
379
380
Davon abzugrenzen ist die Behauptung einer Rechtsverletzung im Rahmen eines der Rechtswahrung dienenden Meinungsaustauschs (so genannte Berechtigungsanfrage). BGH GRUR
97, 896, 897 – Mecki-Igel III.
OLG Stuttgart GRUR-Prax 2009, 294501; OLG Frankfurt GRUR 1990, 642; Köhler/Bornkamm, § 4 Rn. 10.169; Piper/Ohly/Sosnitza, § 4 Rn. 10/33; Darüber hinaus finden die Grundsätze der unberechtigten Schutzrechtsverwarnung auf die Abmahnung wegen behaupteter
Verstöße gegen das Wettbewerbsrecht keine Anwendung. Zu den Gründen siehe Köhler/
Bornkamm, § 12 Rn. 1.70; Piper /Ohly/Sosnitza, § 4 Rn. 10/43. Eine vorsätzliche unberechtigte wettbewerbsrechtliche Abmahnung kann allerdings unter den Voraussetzungen der § 4
Nr. 7, 8 und 10 UWG unlauter sein.
Harte/Henning/Omsels, § 4 Nr. 10 Rn. 189; Köhler/Bornkamm, § 4 Rn. 10.170.
Siehe dazu S. 155.
BGH GRUR 1979, 332, 336 – Brombeerleuchten; BGH GRUR 2005, 882, 884 – Unberechtigte
Schutzrechtsverwarnung.
Piper /Ohly/Sosnitza, § 4 Rn. 10/34; Sack, NJW 2009, 1642, 1644.
Köhler/Bornkamm, § 4 Rn. 10.171; Piper /Ohly/Sosnitza, § 4 Rn. 10/34.
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VI. Behinderung, unberechtigte Schutzrechtsverwarnung und Rechtsbruch
trieb und kann Unterlassungsansprüche und bei verschuldeter Unkenntnis der fehlenden Berechtigung Schadensersatzansprüche nach den allgemeinen zivilrechtlichen
Vorschriften (§ 823 BGB) auslösen. 381 Das zentrale Argument der Rechtsprechung
ist dabei, dass das mit der Behauptung einer Schutzrechtsverletzung verbundene Risiko
des Verwarnenden, die Schutzrechtslage falsch einzuschätzen, das Gegenstück bilde zu
der bevorzugten Stellung, die dieser als Inhaber eines Ausschließlichkeitsrechts genieße, und damit sicherstelle, dass der Wettbewerb nicht über den Schutzbereich des geschützten Gegenstands hinaus eingeschränkt werde. 382 Von der unberechtigten
Schutzrechtsverwarnung zu unterscheiden ist die unberechtigte Schutzrechtsklage.
Schätzt der klagende Schutzrechtsinhaber die Rechtslage fahrlässig falsch ein, so ist
er nur den im Verfahrensrecht vorgesehenen Sanktionen und nicht auch einer deliktsrechtlichen Haftung ausgesetzt, da der Schutz des Beklagten durch das gerichtliche
Verfahren nach Maßgaben seiner gerichtlichen Ausgestaltung hinreichend gewährleistet wird. Diese Privilegierung erstreckt sich jedoch nicht auf die unberechtigte
Schutzrechtsverwarnung. 383
Der Große Zivilsenat des BGH hat diese bereits durch das Reichsgericht im Jahr
1904 begründete Rechtsprechung384 auf Vorlage des I. Zivilsenats385 im Jahr 2005 bestätigt. 386 Vieles spricht allerdings dafür, dass es infolge der UWG-Novelle 2004 eines
Rückgriffs auf § 823 I BGB nicht mehr bedarf und stattdessen die lauterkeitsrechtlichen Normen heranzuziehen sind.387 Der Schutz des Rechts am eingerichteten und
ausgeübten Gewerbebetrieb ist anerkanntermaßen ein Auffangtatbestand und greift
somit nur ein, wenn eine andere Rechtsgrundlage nicht gegeben ist und der Zusammenhang der auf dem jeweiligen Rechtsgebiet geltenden Normen ergibt, dass eine
Lücke besteht.388 Diese Voraussetzungen waren unter der Rechtslage vor der UWGNovelle 2004 zumindest bei fahrlässig unbegründeten Schutzrechtsverwarnungen gegeben. Für die Anwendung der Generalklausel des § 1 UWG 1909 fehlte es in diesen
Fällen an der für den Vorwurf der Sittenwidrigkeit im Sinne der Vorschrift erforderlichen Kenntnis der die Sittenwidrigkeit begründenden Umstände bzw. dem bewussten Verschließen dieser Kenntnis.389 Seit der UWG-Novelle 2004 besteht eine solche
381
382
383
384
385
386
387
388
389
BGH GRUR 1963, 255, 257 ff – Kindernähmaschinen; BGH GRUR 1974, 290, 291 - Maschenfester Strumpf; BGH GRUR 2004, 958 – Verwarnung aus Kennzeichenrecht I m.w.N.; BGH
GRUR 2006, 432 – Verwarnung aus Kennzeichenrecht II; BGH GRUR 2007, 313 – Funkuhr II.
BGH GRUR 2005, 882, 883 – Unberechtigte Schutzrechtsverwarnung.
BGH GRUR 2005, 882, 884 – Unberechtigte Schutzrechtsverwarnung; Wohl hingegen auf die
Abmahnung wegen behaupteter Verstöße gegen das Wettbewerbsrecht. Köhler/Bornkamm,
§ 4 Rn. 10.166 zur Abmahnung wegen Verstößen gegen den lauterkeitsrechtlichen Nachahmungsschutz siehe Fn. 375.
RGZ 58, 24 – Juteplüsch.
BGH GRUR 2004, 958 – Verwarnung aus Kennzeichenrecht.
BGH GRUR 2005, 882 – Unberechtigte Schutzrechtsverwarnung.
Der Große Zivilsenat hat sich mit dieser Frage nicht auseinandergesetzt. Piper /Ohly/Sosnitza, § 4 Rn. 10/38. Allerdings galt für den betreffenden Fall noch das UWG 1909. Sack, NJW
2009, 1642.
BGH GRUR 1963, 255, 257 – Kindernähmaschinen.
BGH GRUR 1963, 255, 257 – Kindernähmaschinen.
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Lücke im Unternehmensschutz indessen nicht mehr. Insbesondere setzt die Unlauterkeit nach § 3 UWG anders als die Sittenwidrigkeit nach § 1 UWG 1909 nicht generell
die Kenntnis der unlauterkeitsbegründenden Umstände voraus. Die Generalklausel
gewährleistet insoweit zusammen mit den Beispieltatbeständen des § 4 UWG einen
umfassenden Schutz vor unberechtigten Schutzrechtsverwarnungen. Entsprechend
kann das Recht am eingerichteten und ausgeübten Gewerbebetrieb nunmehr nur zur
Anwendung kommen, wenn der bisher gültige Grundsatz der Subsidiarität des Unternehmerschutzes nach § 823 I BGB gegenüber lauterkeitsrechtlicher Normen nicht gelten soll. Eine dahingehende Intention lässt sich der BGH Rechtsprechung allerdings
nicht entnehmen.390 Ob die Rechtsprechung zukünftig Ansprüche wegen einer unberechtigten Schutzrechtsverwarnung richtigerweise auf der Grundlage des Lauterkeitsrechts gewähren wird, bleibt abzuwarten.
Eine Verwarnung kann sich sowohl an den Hersteller, dem die Verletzung des
Schutzrechts vorgeworfen wird (sog Herstellerverwarnung) als auch an dessen tatsächliche oder potentielle Abnehmer richten (sog Abnehmerverwarnung).391 Unberechtigte Schutzrechtsverwarnungen erfolgen zugunsten des eigenen Unternehmens
und hängen mit der Förderung des Absatzes von Waren oder Dienstleistungen objektiv
zusammen. Sie sind damit in jedem Fall „geschäftliche Handlungen“ nach § 2 Nr. 1
UWG. 392
Eine Abnehmerverwarnung fällt in den Anwendungsbereich des Anschwärzungstatbestands nach § 4 Nr. 8 UWG soweit sie falsche Tatsachenbehauptungen enthält.393 Dies ist zumindest dann der Fall, wenn der Verwarnende den zugrunde liegenden Sachverhalt unrichtig wiedergibt, beispielsweise wenn entgegen der Behauptung
(noch) kein Schutzrecht erteilt wurde oder dieses einem anderen zusteht.394 Demgegenüber sind Verwarnungen, die als Folge einer fehlerhaften Subsumtion unberechtigt
sind, nicht dem Wahrheitsbeweis zugänglich395 und damit bloße Werturteile.396 Insbesondere erscheint die mit der Einordnung unter § 4 Nr. 8 Hs 1 UWG verbundene
390
391
392
393
394
395
396
Sack, NJW 2009, 1642, a.A. Köhler/Bornkamm, § 4 Rn. 10.176a.
Der Große Senat des BGH hat keine solche Differenzierung vorgenommen. BGH GRUR
2005, 882 – Unberechtigte Schutzrechtsverwarnung; Sack, NJW 2009, 1642. In der Literatur
wird vor diesem Hintergrund kritisiert, dass die in der Begründung angeführten Argumente
im Falle einer Herstellerverwarnung nur sehr eingeschränkt passen. Piper /Ohly/Sosnitza, § 4
Rn. 10/38.
Köhler/Bornkamm, § 4 Rn. 10.176a; Sack, NJW 2009, 1642, 1643.
BGH GRUR 2006, 433 Tz 16 – Unbegründete Abnehmerverwarnung; Der BGH geht dem
allerdings nicht weiter nach.
Köhler/Bornkamm, § 4 Rn. 10.178; Piper /Ohly/Sosnitza, § 4 Rn. 10/39; Ullmann, GRUR
2001, 1027, 1030.
Anders der ÖOGH GRUR Int. 2000, 558, 559 (Wahrheit ist im gerichtlichen Verfahren
nachprüfbar). Siehe dazu auch S. 484 in diesem Band. Zustimmend Sack, NJW 2009, 1642,
1644.
Brammsen/Apel, WRP 2009, 1464, 1467; Köhler/Bornkamm, § 4 Rn. 10.178; Piper /Ohly/
Sosnitza, § 4 Rn. 10/39 (Eine rechtliche Subsumtion kann nicht in die Kategorien „wahr“
oder „unwahr“ sondern nur in „vertretbar“ und „unvertretbar“ unterteilt werden); Teplitzky,
GRUR 2005, 9, 13.
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VI. Behinderung, unberechtigte Schutzrechtsverwarnung und Rechtsbruch
Beweislastumkehr397 für den Fall der fehlerhaften rechtlichen Subsumtion nicht sachgemäß.398 Allerdings greift gegebenenfalls § 4 Nr. 7 UWG sofern die unberechtigte
Verwarnung den betroffenen Hersteller aus Sicht der angesprochenen Verkehrskreise
herabsetzt. Bei unbegründeten Herstellerverwarnungen sind § 4 Nr. 7 und 8 UWG
mangels Drittbezug hingegen nicht anwendbar.399
Eine unberechtigte Schutzrechtsverwarnung, die gezielt darauf gerichtet ist, den
Absatz des Mitbewerbers zu behindern, ist unlauter nach § 4 Nr. 10 UWG. Eine gezielte Behinderung ist sowohl für die Mitbewerber- als auch die Abnehmerverwarnung
wohl anzunehmen, wenn der Schutzrechtsinhaber die Unbegründetheit seiner Verwarnung kannte und der Verwarnte bewusst über die Schutzrechtslage getäuscht
wird.400
Sofern die Schutzrechtsverwarnung keinen der Beispieltatbestände des § 4 UWG
erfüllt, ist letztlich auf die Generalklausel des § 3 I UWG zurückzugreifen. Die Unlauterkeit einer geschäftlichen Handlung ist – ebenso wie auch im Rahmen der Feststellung der Rechtswidrigkeit eines Eingriffs in das Recht am eingerichteten und ausgeübten Gewerbebetrieb – im Rahmen einer Interessenabwägung festzustellen.401 Insofern
kann die bisherige Rechtsprechung auf der Grundlage des reformierten UWG fortgeführt werden. 402
Der Verwarner haftet dem durch die Abnehmerverwarnung betroffenen Hersteller
auf Unterlassung und Beseitigung nach § 8 I UWG sowie auf Schadensersatz nach § 9
UWG, soweit dieser die fehlende Berechtigung der Verwarnung kannte oder kennen
musste. Ein Verschulden des Verwarnenden ist im Allgemeinen nicht anzunehmen,
wenn er unter Ausschöpfung aller ihm zur Verfügung stehenden Erkenntnismittel irrig
zu der Überzeugung gelangt, dass eine Schutzrechtsverletzung vorliegt. 403 Strengere
Sorgfaltsanforderungen sollen hingegen für die Abnehmerverwarnung gelten, die erst
zulässig sein soll, wenn die Herstellerverwarnung erfolglos geblieben oder ausnahmsweise unangebracht erscheint. 404 Gibt der Verwarnte das beanstandete Verhalten voreilig auf, obwohl er bei sorgfältiger Prüfung die fehlende Berechtigung der Verwarnung
hätte erkennen können, so kann der Schadensersatzanspruch nach § 254 I BGB gemindert werden. 405
397
398
399
400
401
402
403
404
405
Siehe dazu S. 109.
Piper /Ohly/Sosnitza, § 4 Rn. 8/13; Teplitzky, GRUR 2005, 9, 13.
Harte/Henning /Omsels, § 4 Nr. 10 Rn. 192 f.
Köhler/Bornkamm, § 4 Rn. 10.177 f.; MünchKommUWG /Jänich, § 4 Nr. 10 Rn. 124; Piper /
Ohly/Sosnitza, § 4 Rn. 10/39; Sack, NJW 2009, 1642, 1643 f.
Siehe dazu S. 91.
Sack, NJW 2009, 1642, 1645.
BGH GRUR 1979, 332, 336 – Brombeerleuchte; BGH GRUR 1996, 812, 814 – Unterlassungsurteil gegen Sicherheitsleistung; Harte/Henning /Omsels, § 4 Nr. 10 Rn. 201 f.; Piper /Ohly/Sosnitza, § 4 Rn. 10/41.
BGH GRUR 1979, 332, 336 – Brombeerleuchte.
BGH GRUR 1963, 255, 260 – Kindernähmaschinen.
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3. Rechtsbruch
Mit § 4 Nr. 11 UWG wurde im Rahmen der 2004er UWG Novelle die unter § 1 UWG
1909 begründete Fallgruppe des Vorsprungs durch Rechtsbruch in modifizierter Form
kodifiziert.406 Nicht übernommen wurde die Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs,
dass ein Wettbewerbsverhalten, welches gegen ein Gesetz verstößt, das dem Schutze
wichtiger Gemeinschaftsgüter dient ohne selbst einen unmittelbar wettbewerbsbezogenen Zweck zu verfolgen, unlauter sei. 407 Der Tatbestand des § 4 Nr. 11 UWG erfasst
nunmehr nur Verstöße gegen gesetzliche Vorschriften, die auch dazu bestimmt sind, im
Interesse der Marktteilnehmer das Marktverhalten zu regeln. Damit wurde der Rechtsbruchtatbestand in Einklang mit der ebenfalls im Rahmen der Reform neu aufgenommenen Schutzzweckbestimmung gebracht. Dem Schutzzweck entsprechend ist es nicht
Aufgabe des Wettbewerbsrechts alle Gesetzesverstöße im Zusammenhang mit Wettbewerbshandlungen zu sanktionieren, sondern ausschließlich Verstöße gegen Normen,
denen zumindest eine sekundäre Schutzfunktion zu Gunsten des Wettbewerbs zukommt.408
Ein Gesetzesverstoß begründet nur dann lauterkeitsrechtliche Ansprüche, wenn die
weiteren Voraussetzungen des § 3 UWG vorliegen, der Verstoß also im Rahmen einer
geschäftlichen Handlung i.S.d. § 2 Nr. 1 UWG geschieht und geeignet ist, die Interessen
von Mitbewerbern, Verbrauchern oder sonstigen Marktteilnehmern spürbar zu beeinträchtigen. Die Eignung ist anhand der durch die verletzte Norm geschützten Interessen
sowie der Art, Schwere, Häufigkeit oder Dauer der Verletzung zu beurteilen. 409
Gesetzliche Vorschrift i.S.d. § 4 Nr. 11 UWG ist jede in Deutschland geltende
Rechtsnorm, das heißt alle Bundes- und Landesgesetze, Rechtsverordnungen, Gewohnheitsrecht, autonome Satzungen sowie die Normen des Gemeinschaftsrechts. 410
Nicht unter den Begriff der gesetzlichen Vorschrift fallen damit unter anderem Verwaltungsvorschriften,411 technische Regeln412 und Wettbewerbsrichtlinien privater
Berufs- und Wirtschaftsverbände. 413 Der Anwendungsbereich des § 4 Nr. 11 UWG
ist darüber hinaus auf gesetzliche Vorschriften beschränkt, die dazu bestimmt sind,
im Interesse der Marktteilnehmer das Marktverhalten zu regeln. Ob eine Norm diesem
Zweck dient, ist durch Auslegung zu ermitteln. 414 Dem Wortlaut des § 4 Nr. 11 UWG
entsprechend ist es dabei ausreichend, dass die Regelung des Marktverhaltens nur
Nebenzweck ist. Der Begriff des Marktverhaltens deckt sich im Wesentlichen mit
dem der geschäftlichen Handlung (§ 2 Nr. 1 UWG) und erfasst jede Tätigkeit vor,
bei oder nach einem Geschäftsabschluss, die mit der Förderung des Absatzes oder
406
407
408
409
410
411
412
413
414
Zur Rechtsentwicklung Köhler/Bornkamm, § 4 Rn. 11.2 ff.; Köhler, NJW 2005, 381.
BGH GRUR 2000, 1076, 1078 – Abgasemissionen.
Begr. RegE UWG 2004 BT-Drs. 15/1487, S. 19.; Köhler, GRUR 2004, 381, 382.
Köhler/Bornkamm, § 4 Rn. 11.58a.
Köhler/Bornkamm, § 4 Rn. 11.24; MünchKommUWG /Schaffert, § 4 Nr. 11 Rn. 44.
BGH GRUR 1984, 665, 667 – Werbung in Schulen (ministerieller Erlass).
BGH GRUR 1994, 640, 641 – Ziegelvorhangfassade.
BGH GRUR 2006, 773 – Tz 19, 20 – Probeabonnement; Jänich, in: Gloy/Loschelder/Erdmann, Hdb. WettbewerbsR, § 67 Rn. 13; Piper/Ohly/Sosnitza, § 4 Rn. 11/13.
Köhler, GRUR 2004, 381, 383.
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VI. Behinderung, unberechtigte Schutzrechtsverwarnung und Rechtsbruch
des Bezugs von Waren oder Dienstleistungen oder mit dem Abschluss oder der Durchführung eines Vertrages über Waren oder Dienstleistungen unmittelbar oder mittelbar
zusammenhängt. Keinen Marktbezug weisen entsprechend Vorschriften zur Regelung
der Art und Weise der Produktion,415 Arbeitnehmerschutzvorschriften,416 Vorschriften zum Schutz des geistigen Eigentums,417 Steuervorschriften418 sowie reine Marktzutrittsregelungen419 auf. Allerdings werden Marktzutrittsregelungen häufig zugleich
auch das Marktverhalten regeln und damit unter den Tatbestand des § 4 Nr. 11
UWG fallen. Davon ist insbesondere auszugehen, wenn eine Vorschrift die Zulässigkeit
der Ausübung einer bestimmten Tätigkeit an den Nachweis besonderer fachlicher Fähigkeiten knüpft. 420 Weiterhin muss die Vorschrift dazu bestimmt sein, die wettbewerblichen Interessen anderer Marktteilnehmer zu schützen. 421 Der ausschließliche
Schutz wichtiger Gemeinschaftsgüter sowie Interessen Dritter, die nicht unter den Begriff des Marktteilnehmers i.S.d. § 2 Nr. 2 UWG fallen (bspw. Arbeitnehmer), genügt
hingegen nicht.422 Weist eine Vorschrift keinen Marktbezug auf, so kann ein Verstoß
gegen diese Vorschrift nicht durch einen Rückgriff auf die Generalklausel des § 3
UWG lauterkeitsrechtlich sanktioniert werden. 423 Insoweit weicht der Gesetzgeber
von der dem UWG grundsätzlich zugrunde liegenden Systematik ab.
Unlauter handelt nach § 4 Nr. 11 UWG, wer einer marktverhaltensregelnden Vorschrift zuwiderhandelt. Der Handelnde muss den Tatbestand der Vorschrift vollständig,424 das heißt einschließlich des jeweils vorausgesetzten Verschuldens,425 erfüllen.
Darüber hinaus ist ein Verschulden des Verletzers nur für den Schadensersatzanspruch
nach § 9 UWG sowie den Gewinnabschöpfungsanspruch nach § 10 UWG von Bedeutung, die Unterlassungs- und Beseitigungsansprüche nach § 8 I UWG sind verschuldensunabhängig. Insbesondere setzt der Tatbestand des § 4 Nr. 11 UWG anders als die
entsprechende Rechtsprechung zu § 1 UWG 1909426 kein bewusstes und planmäßiges
415
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BGH GRUR 2000, 1076, 1079 – Abgasemissionen; Köhler, GRUR 2004, 381, 384.
Z.B. für allgemein verbindlich erklärte Tarifverträge; BGH GRUR 1993, 980, 982 – Tarif-
lohnunterschreitung.
BGH GRUR 1999, 325, 326 – Elektronische Pressearchive (zum Urheberrecht).
BGH GRUR 2000, 1076, 1079 – Abgasemissionen.
BGH GRUR 2002, 825, 826 – Elektroarbeiten; BGH GRUR 2005, 875, 876 – Diabetesteststreifen.
Begr. RegE UWG 2004 BT-Drs. 15/1487, S. 19; etwa Zulassungsregeln für freie Berufe wie
Ärzte, Apotheker, Rechtsanwälte, Steuerberater sowie für Gaststätten (§ 2 I GastG).
Köhler/Bornkamm, § 4 Rn. 11.35c-d; MünchKommUWG /Schaffert, § 4 Nr. 11 Rn. 58.
Anders noch die ältere Rspr. zu § 1 UWG 1909: BGH GRUR 2000, 1076, 1078 – Abgasemissionen.
Köhler/Bornkamm, § 4 Rn. 10.36; Piper/Ohly/Sosnitza, § 4 Rn. 11/8.
BGH GRUR 2008, 530 Tz 11 – Nachlass bei der Selbstbeteiligung.
Es kann allerdings bereits ein vorbeugender Unterlassungsanspruch nach § 8 I 2 UWG geltend gemacht werden, wenn eine Zuwiderhandlung gegen eine marktverhaltensregelnde
Vorschrift unmittelbar bevorsteht. Köhler/Bornkamm, § 4 Rn. 11.50; Köhler, GRUR 2004,
381, 385.
Die Rechtsprechung unterschied zwischen wertbezogenen und wertneutralen Normen.
Während der Verstoß gegen wertbezogene Normen ohne weiteres die Wettbewerbswidrigkeit
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Zuwiderhandeln mehr voraus. Weiterhin kommt es für die Beurteilung der Unlauterkeit weder auf die Absicht des Verletzers, sich durch die Zuwiderhandlung einen Vorsprung im Wettbewerb vor gesetzestreuen Mitbewerbern zu verschaffen,427 noch auf
einen entschuldbaren Rechtsirrtum des Handelnden an. 428 Der Vorwurf der Unlauterkeit knüpft ausschließlich an das objektive Marktverhalten an.429
Obgleich die Richtlinie über unlautere Geschäftspraktiken keine dem § 4 Nr. 11
UWG entsprechende Regelung vorsieht, wurde § 4 Nr. 11 UWG im Rahmen der
UWG-Novelle 2008 unverändert beibehalten. Vor dem Hintergrund der mit der
Richtlinie bezweckten Vollharmonisierung (Art. 4 der Richtlinie) stellt sich somit
die Frage, ob und inwieweit der Rechtsbruchtatbestand weiter Anwendung finden
kann. Angesichts des auf das Unternehmer-Verbraucher-Verhältnis beschränkten Anwendungsbereichs der Richtlinie ist die Anwendung von § 4 Nr. 11 UWG auf Marktverhaltensregeln, die das B2C-Verhältnis unberührt lassen, ohne Zweifel zulässig.430
Zudem lässt die Richtlinie gemeinschaftsrechtliche und nationale Vorschriften im Bereich Sicherheits- und Gesundheitsschutz im Zusammenhang mit Produkten,431 gemeinschaftsrechtskonforme Vorschriften betreffend Glückspiele432 sowie spezifische
Regeln für reglementierte Berufe433 unberührt und steht einer Anwendung des § 4
Nr. 11 UWG in diesen Bereichen somit nicht entgegen. 434 Über diese Fälle hinaus
ist die Anwendung von § 4 Nr. 11 UWG auf Marktverhaltensvorschriften, die zumindest auch den Schutz von Verbrauchern bezwecken, mangels Möglichkeit die besonderen Umstände des Einzelfalls zu berücksichtigen435 mit der Richtlinie unvereinbar.
Ob derartige Marktverhaltensregelungen im Einzelfall möglicherweise als Gebote der
„beruflichen Sorgfaltspflicht“ i.S.d. Art 5 II lit. b UGP-Richtlinie gewertet werden
können, bedarf noch der Klärung. 436
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einer mit dem Verstoß im Zusammenhang stehenden Wettbewerbshandlung begründete,
waren Verstöße gegen wertneutrale Normen nur unlauter, wenn diese bewusst und planmäßig
erfolgten. BGH GRUR 1991, 769, 771 – Honoraranfrage; Köhler, GRUR 2004, 381.
BGH GRUR 1994, 222, 224 – Flaschenpfand; Köhler/Bornkamm, § 4 Rn. 11.58; Köhler, GRUR
2004, 381, 388; MünchKommUWG /Schaffert, § 4 Nr. 11 Rn. 83.
Die Rechtsprechung hatte in diesem Fall die Unlauterkeit verneint; BGH GRUR 1994, 222,
224 – Flaschenpfand; Köhler/Bornkamm, § 4 Rn. 10.53; MünchKommUWG /Schaffert, § 4
Nr. 11 Rn. 84.
Harte/Henning/v. Jagow, § 4 Nr. 11 Rn. 48; Köhler/Bornkamm, § 4 Rn. 11.54; Köhler, GRUR
2004, 381, 388.
Köhler/Bornkamm, § 4 Rn. 11.6c; Köhler, GRUR 2008, 841, 847.
Art. 3 (3) sowie Erwägungsgrund 9 der UGP-Richtlinie.
Erwägungsgrund 9 der UGP-Richtlinie.
Art. 3 (8) UGP-Richtlinie; BGH GRUR 2009, 977 – Brillenversorgung.
Gebauer/Wiedmann/Busch, Unlauterer Wettbewerb, Rn. 122; Harte/Henning /v. Jagow, § 4
Nr. 11 Rn. 1; Köhler/Bornkamm, § 4 Rn. 11.6c; Köhler, GRUR 2008, 841, 847.
EuGH, Urt. v. 14.01.2010 – Rs. C-203/08, GRUR Int. 2010, 221 – Ihre Millionenchance.
Köhler/Bornkamm, § 4 Rn. 11.6c.
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VII. Vergleichende Werbung
VII. Vergleichende Werbung
Literatur: S. Ahrens, Die Auswirkungen des Urteils des Bundesgerichtshofs vom 5. Februar 1998 –
„Testpreis-Angebot“ und des Urteils des Gerichtshofs der Europäischen Gemeinschaft vom 16. Juli
1998 – „Gut Springenheide“ auf die deutsche Rechtsprechung zur vergleichenden Werbung, WRP
1999, 389; Blankenburg, Neues zur vergleichenden Werbung, zur Verwechslungsgefahr und zur
markenmäßigen Benutzung?, WRP 2008, 1294; Büscher, Schnittstellen zwischen Markenrecht und
Wettbewerbsrecht, GRUR 2009, 230; Dreyer, Konvergenz oder Divergenz – Der deutsche und der
europäische Mitbewerberbegriff im Wettbewerbsrecht, GRUR 2008,123; Freytag, Möglichkeiten und
Grenzen humorvoller Werbevergleiche – „Gib mal Zeitung!“, GRUR-Prax 2009, 292545; Köhler,
Produktnachahmung im Markenrecht, Geschmacksmusterrecht und neuen Lauterkeitsrecht, GRUR
2009, 445; Ders., Die Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs zur vergleichenden Werbung –
Analyse und Kritik, WRP 2008, 414; Köhler/Lettl, Das geltende europäische Lauterkeitsrecht, der
Vorschlag für eine EG-Richtlinie über unlautere Geschäftspraktiken und die UWG-Reform, WRP
2003, 1019; Müller, Zur Zulässigkeit des Preisvergleichs in Bezug auf Warensortimente, Anmerkung
zu EuGH, Urt. v.19.9.2006, C-356/04 – Lidl Belgium GmbH & Co. KG/Etablissementen Franz Colruyt
NV, GPR 2007, 88; Rippert/Weimer, Vergleichende Werbung – eine Gegenüberstellung der Regeln in
Deutschland und den USA, K&R 2007, 302; Sack, Vergleichende Werbung ohne Vergleich, WRP
2008, 170; Ders., Markenrechtliche Probleme vergleichender Werbung, GRUR 2008, 201; Ders., Der
Mitbewerberbegriff des § 6 UWG, WRP 2008, 1141; Schubmehl, Werbeaussagen bezüglich Warengattungen, Anmerkung zu EuGH, Urt. v. 19.04.2007, C-381/05 – De Landtsheer Emmanuel SA/
Comité Interprofessionnell du Vin de Champagne und Veuve Cliquot Ponsardin SA, GPR 2007,194.
§ 6 UWG regelt die lauterkeitsrechtliche Zulässigkeit von vergleichender Werbung.
Die lauterkeitsrechtliche Reglementierung soll dabei gleichermaßen die Mitbewerber
vor unzulässigen Schädigungen und die Verbraucher vor negativer Beeinflussung
schützen, um so dem Allgemeininteresse an einem unverfälschten Wettbewerb zu dienen (vgl. § 1 S. 2 UWG).437
1. Entwicklungsgeschichte und gemeinschaftsrechtlicher Einfluss
Die lauterkeitsrechtliche Beurteilung von vergleichender Werbung hat in Deutschland in den vergangenen Jahrzehnten, insbesondere unter dem Einfluss von Rechtsakten der Europäischen Gemeinschaft, eine erhebliche Wandlung erfahren. Während
man in Deutschland im Anschluss an die Hellegold-Entscheidung des Reichsgerichts438 lange von der grundsätzlichen Unlauterkeit vergleichender Werbung ausging,439 hat sich die Rechtslage entscheidend durch die Richtlinie 97/55/EG440 geän437
438
439
440
Vgl. Erwägungsgrund 9, Richtlinie 2006/114 /EG.
RG GRUR 1931, 1299 – Hellegold.
Zur Entwicklung der Rechtsprechung zur vergleichenden Werbung: Götting/Nordemann/
Koehler, § 6 Rn. 2; Harte/Henning/Sack, § 6 Rn. 1 ff.; MünchKommUWG /Menke, § 6 Rn. 1 ff.
Richtlinie 97/55/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 6. Oktober 1997 zur
Änderung der Richtlinie 84/450 / EWG über irreführende Werbung zwecks Einbeziehung der
vergleichenden Werbung.
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dert. Diese Richtlinie harmonisierte das Recht der vergleichenden Werbung innerhalb
der Europäischen Union und legte die Bedingungen für die grundsätzliche Zulässigkeit
vergleichender Werbung kumulativ und abschließend fest.441 Dementsprechend muss
auch die Anwendung der nationalen Regelungen über vergleichende Werbung gemeinschaftsrechtskonform erfolgen. 442 Dieser Verpflichtung kam der Bundesgerichtshof in seiner Entscheidung Testpreis-Angebot bereits vor Ablauf der Umsetzungsfrist
der Richtlinie bei der Auslegung von § 1 UWG 1909 nach.443 Die Umsetzung der Regelungen der Richtlinie durch den deutschen Gesetzgeber erfolgte wenig später. 444
2. Der Begriff der vergleichenden Werbung, § 6 I UWG
Für den Begriff der vergleichenden Werbung findet sich in § 6 I UWG eine Legaldefinition, die auf Art. 2 lit. c) der Richtlinie 2006/114 /EG445 zurückgeht.446 Nach dieser Definition ist unter vergleichender Werbung jede Werbung zu verstehen, die unmittelbar oder mittelbar einen Mitbewerber oder die von einem Mitbewerber angebotenen Waren oder Dienstleistungen erkennbar macht. Diese Definition ist richtlinienkonform im Sinne der gemeinschaftsrechtlichen Vorgaben auszulegen und erfasst
auch Äußerungen, die auf die Förderung fremden Wettbewerbs abzielen. 447 Nach
Art. 2 lit. a) RL 2006/114 /EG fällt unter den Begriff der Werbung jede Äußerung
bei der Ausübung eines Handels, Gewerbes, Handwerks oder freien Berufs mit dem
Ziel, den Absatz von Waren oder Dienstleistungen, einschließlich unbeweglicher Sachen, Rechte und Verpflichtungen zu fördern.
Der Begriff der Äußerung ist hierbei weit zu verstehen und erfasst sowohl Tatsachenangaben als auch nicht nachweisbare Werturteile bzw. Meinungsäußerungen. 448
Auf die Form der Äußerung449 kommt es ebenso wenig an, wie auf die Frage, auf wessen
Initiative die Äußerung zurückzuführen ist. Daher ist der Tatbestand auch erfüllt,
wenn ein Unternehmen sich die Äußerungen Dritter zu Eigen macht. 450
Die Äußerung muss ferner zielgerichtet im Zusammenhang mit der Ausübung einer unternehmerischen Tätigkeit erfolgen. Rein privates Handeln fällt nicht in den
Anwendungsbereich des § 6 I UWG.451 Schließlich muss die Äußerung noch die Ab441
442
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450
Müller-Bidinger, in: Ullmann jurisPK-UWG, § 6 Rn. 11.
Vgl. Gebauer/Wiedmann/Busch, Unlauterer Wettbewerb, Rn. 160.
BGH GRUR 1998, 824 – Testpreis-Angebot; hierzu: S. Ahrens, WRP 1999, 389.
Harte/Henning/Sack, § 6 Rn. 4.
Richtlinie 2006/114 /EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 12. Dezember
2006 über irreführende und vergleichende Werbung.
Vgl. EuGH, Urt. v. 8.4.2003, C-44/01, GRUR 2003, 533 – Pippig Augenoptiker/Hartlauer;
BGH GRUR 2006, 875 – Rechtsanwalts-Ranglisten.
BGH GRUR 2006, 875 – Rechtsanwalts-Ranglisten; BGH GRUR 2008, 628 – Imitationswerbung.
Müller-Bidinger, in: Ullmann jurisPK-UWG, § 6 Rn. 44.
Vgl. EuGH, Urt. v. 25.10.2001, C-112/99, GRUR 2002, 354 – Toshiba/Katun; Köhler/Lettl,
WRP 2003, 1019, 1022.
BGH GRUR 2002, 633 – Hormonersatztherapie.
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VII. Vergleichende Werbung
satzförderung bezwecken, also im entferntesten Sinne für das werbende Unternehmen oder die Produkte des Unternehmens werben. 452
Ist damit die Äußerung als Werbung i.S.v. § 6 I UWG zu verstehen, so muss sie
ferner die vom Mitbewerber angebotenen Waren oder Dienstleistungen im Rahmen
eines Vergleichs erkennbar machen (Erkennbarkeit des Mitbewerbers). Diese Frage
ist im Einzelfall auf Grundlage der mutmaßlichen Wahrnehmung eines durchschnittlich informierten und angemessen aufmerksamen und verständigen Durchschnittsverbrauchers zu ermitteln.453 Dieser Maßstab ist auch für die Frage heranzuziehen, ob die
beiden verglichenen Unternehmen als Mitbewerber angesehen werden können, das
heißt, ob sie in einem Wettbewerbsverhältnis stehen. Der Mitbewerberbegriff ist dabei
nicht vollumfänglich mit der Legaldefinition in § 2 I Nr. 3 UWG deckungsgleich, so
dass im Rahmen der vergleichenden Werbung eine autonome Auslegung geboten
ist.454 Hinsichtlich der Frage, ob es sich bei dem in der vergleichenden Werbung angesprochenen Dritten um einen Mitbewerber handelt, ist darauf abzustellen, ob der
angesprochene Durchschnittsverbraucher die verglichenen Produkte für substituierbar
hält. Diese Vorstellung kann sich auch erst in Folge der vergleichenden Werbung ergeben, wenn etwa durch die Werbung gezielt auf die Substituierbarkeit der Produkte
hingewiesen wird.455 Vor diesem Hintergrund ist beispielsweise ein Wettbewerbsverhältnis im Falle einer Werbung bejaht worden, die damit warb, Kaffee statt Blumen zu
verschenken.456 Liegen diese Voraussetzungen kumulativ vor, handelt es sich um vergleichende Werbung i.S.v. § 6 I UWG.
3. Unlauterkeit vergleichender Werbung, § 6 II UWG
Vergleichende Werbung ist jedoch nur unlauter, wenn sie mindestens eines der in Absatz 2 genannten Kriterien erfüllt. 457 Damit unterscheidet sich der Regelungsansatz des
UWG vom Regelungsansatz von Art. 4 RL 2006/114 /EG, der umgekehrt die Fälle der
Zulässigkeit regelt.458 Bei der Auslegung der Tatbestandsmerkmale des Absatzes 2 ist
die Rechtsprechung des EuGH zu beachten, die vom Grundsatz der Zulässigkeit vergleichender Werbung ausgeht und die zu beurteilenden Werbeaussagen in ihrem
„günstigsten“ Sinne versteht.459 Daher sind die Fallgruppen von § 6 II UWG im Grund451
452
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456
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459
Götting/Nordemann/Koehler, § 6 Rn. 19; Köhler/Bornkamm, § 6 Rn. 61.
Piper /Ohly/Sosnitza, § 6 Rn. 23; Müller-Bidinger, in: Ullmann jurisPK-UWG, § 6 Rn. 51 ff.
EuGH, Urt. v. 19.4.2007, C-381/05, GPR 2007, 194 – de Landtsherr / CIVC, mit Anm. Schubmehl, GPR 2007, 197.
Gebauer/Wiedmann/Busch, Unlauterer Wettbewerb, Rn. 163; Dreyer, GRUR 2008, 123,
129 f.
Vgl. Götting/Nordemann/Koehler, § 6 Rn. 27.
BGH GRUR 1972, 553 – Statt Blumen ONKO-Kaffee; vgl. ferner BGH GRUR 2002, 828 –
Lottoschein.
BGH GRUR 2005, 348 – Bestellnummernübernahme; vgl. Götting/Nordemann/Koehler, § 6
Rn. 60 ff.
Gebauer/Wiedmann/Busch, Unlauterer Wettbewerb, Rn. 166.
Vgl. EuGH Urt. v. 25.10.2001 C-112/99, GRUR 2002, 354, 355 – Toshiba/Katun.
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satz restriktiv auszulegen, wobei insbesondere auch die europäischen Grundrechte bei
der Anwendung zu berücksichtigen sind (Art. 11, 16 GrCH).
Vergleichende Werbung ist nach § 6 II Nr. 1 UWG unlauter, wenn sie sich nicht
auf Waren oder Dienstleistungen für den gleichen Bedarf oder dieselbe Zweckbestimmung bezieht.460 Nicht erforderlich ist dafür, dass es sich um identische Waren oder
Dienstleistungen handelt. Hier gelten die gleichen Kriterien wie bei der Bestimmung
der Mitbewerbereigenschaft. Im Kern geht es also darum, festzustellen, ob die verglichenen Produkte dem gleichen sachlich relevanten Markt angehören. 461
Gemäß § 6 II Nr. 2 UWG ist der Werbevergleich unlauter, wenn er nicht objektiv
auf eine oder mehrere wesentliche, relevante, nachprüfbare und typische Eigenschaften oder den Preis dieser Ware oder Dienstleistung bezogen ist. 462 Der Begriff der Eigenschaften ist hierbei weit zu verstehen und umfasst jegliche Informationen über das
Produkt, welche für den Adressaten von Interesse sind.463
Nach § 6 II Nr. 3 UWG ist vergleichende Werbung unzulässig, wenn sie zur Gefahr
von Verwechslungen zwischen dem Werbenden und einem Mitbewerber oder den
von diesem angebotenen Produkten bzw. den von ihm verwendeten Kennzeichen führen kann. 464 Die bisher strittige Frage, ob es tatsächlich zu Verwechslungen kommen
muss oder ob die Gefahr von Verwechslungen ausreicht, ist durch den Gesetzgeber im
Sinne der zuletzt genannten Ansicht entschieden worden. 465 Die Vorschrift ergänzt
damit den kennzeichenrechtlichen Verwechslungsschutz durch § 14 II Nr. 2 MarkenG
und regelt damit auch das Verhältnis zwischen dem geistigen Eigentum des Markeninhabers und dem Interesse der Allgemeinheit an einem funktionierenden Wettbewerb, wozu die zulässigen Formen vergleichender Werbung beitragen. 466
Ein Werbevergleich, der den Ruf des von einem Mitbewerber verwendeten Kennzeichens in unlauterer Weise ausnutzt oder beeinträchtigt, ist nach § 6 II Nr. 4 UWG
unzulässig. 467 Eine unlautere Rufausnutzung liegt beispielsweise vor, wenn für
Schmuck mit Formulierungen, wie „a la Cartier“, geworben wird und so versucht wird,
das positive Image der Marke auf die eigenen Produkte zu übertragen. 468 Eine unlautere
Rufbeeinträchtigung ist demgegenüber anzunehmen, wenn durch die vergleichende
Werbung das fremde Kennzeichen unnötig herabgesetzt oder verunglimpft wird. Bei
460
BGH GRUR 2005, 172 – Streßtest.
461
Zu einzelnen Beispielen: Köhler/Bornkamm, § 6 Rn. 99 ff.
Hierzu ausführlich: Müller-Bidinger, in: Ullmann jurisPK-UWG, § 6 Rn. 126 ff.
BGH GRUR 2005, 172 – Streßtest; BGH GRUR 2004, 607 – Genealogie der Düfte.
Zum Verhältnis zu § 4 Nr. 9 UWG: Köhler, GRUR 2009, 445, 449.
Vgl. auch EuGH, Urt. v. 12.6.2008, C-533/06, GRUR 2008, 698 – O2 Holdings Limited/
Hutchison 3G UK United; Harte/Henning/Sack, § 6 Rn. 165.
Zum Verhältnis zwischen vergleichender Werbung und Markenrecht: EuGH, Urt. v. 12.6.
2008, C-533/06, GRUR 2008, 698 – O2 Holdings Limited/Hutchison 3G UK United; EuGH,
Urt. v. 18.6.2009, C-487/07, GRUR 2009, 756 – L’Oréal; sowie umfassend Büscher, GRUR
2009, 230 ff.
BGH GRUR 2003, 444 – Ersetzt; BGH GRUR 2004, 607 – Genealogie der Düfte; BGH GRUR
2005, 348 – Bestellnummernübernahme; EuGH, Urt. v. 23.2.2006, C-59/05, GRUR 2006, 345
– Siemens / VIPA.
BGH WRP 2009, 967 – Ohrclips.
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VIII. Schutz gegen Irreführung
der Auslegung sind insoweit die gemeinschaftsrechtlichen Vorgaben von Art. 4 II
lit. d) RL 2006/114 /EG zu beachten. Dieses Verbot greift dabei nur, wenn über den
Werbevergleich hinaus besondere Umstände hinzutreten, die den Kennzeichenvergleich in unangemessener Weise abwertend oder unsachlich machen. So reicht eine
reine tabellenartige Gegenüberstellung von eigenen Produkten mit den Produkten der
Marktführer in einem Preisvergleich für sich allein nicht aus, um eine unlautere Ausnutzung oder Beeinträchtigung der Wertschätzung der Kennzeichen des Mitbewerbers
zu begründen. 469 Die Vorschrift des § 6 II Nr. 4 UWG ergänzt und erweitert somit den
markenrechtlichen Schutz durch §§ 14, 15 MarkenG, da die Vorschrift keine Verkehrsbekanntheit im markenrechtlichen Sinne voraussetzt. 470 Soweit die Rufausnutzung oder -beeinträchtigung nicht im Rahmen eines Vergleichs stattfindet, kommt
auch eine Anwendung von § 4 Nr. 9 b) UWG oder anderer lauterkeitsrechtlicher Vorschriften in Betracht.471
Unzulässig ist ferner eine vergleichende Werbung, die die Produkte oder persönlichen oder geschäftlichen Verhältnisse des Mitbewerbers herabsetzt oder verunglimpft
(§ 6 II Nr. 5 UWG).472 Dieses Verbot ergänzt die Regelung des § 4 Nr. 8 UWG, da es
hier nicht darauf ankommt, ob die Äußerungen erweislich wahr sind oder nicht. Da
jedem Werbevergleich eine gewisse Herabsetzung des Mitbewerbers immanent ist,
müssen wie bei § 6 II Nr. 4 UWG besondere Umstände hinzutreten, die den Vergleich
als unlauter qualifizieren lassen.
Schließlich ist ein Werbevergleich auch unzulässig, wenn ein Produkt eine Imitation oder Nachahmung eines unter einem geschützten Kennzeichen vertriebenen Produkts darstellt (§ 6 II Nr. 6 UWG).473 Nicht erfasst sind hiervon solche Werbeaussagen, nach denen das beworbene Produkt mit dem verglichenen Produkt gleichwertig
sei, sondern nur Fälle, in denen das beworbene Produkt ausdrücklich als Nachahmung
oder Imitation eines Markenprodukts bezeichnet wird. Dabei muss sich die Bezugnahme auf den Mitbewerber aus Sicht der angesprochenen Verkehrskreise aufdrängen.
VIII. Schutz gegen Irreführung
Literatur: H.-J. Ahrens, Das Verhältnis von UWG und Vertragsrecht aufgrund der EU-Richtlinie
über unlautere Geschäftspraktiken, FS Loewenheim (2009), 408; Ders., Verwirrtheiten juristischer
Verkehrskreise zum Verbraucherleitbild einer „normativen“ Verkehrsauffassung, WRP 2000, 812;
Ders., Redaktionelle Werbung – Korruption im Journalismus, GRUR 1995, 307; Berlit, Das „Traumcabrio“; Preisausschreiben und Gewinnspiele im Lauterkeitsrecht, WRP 2005, 1213; Bornkamm,
469
BGH WRP 2007, 1181 – Eigenpreisvergleich.
470
Piper /Ohly/Sosnitza, § 6 Rn. 61.
Vgl. Köhler/Bornkamm, § 6 Rn. 149.
BGH GRUR 2010, 161– Gib mal Zeitung, mit Anmerkung Freytag, GRUR-Prax 2009, 292545;
BGH GRUR 2002, 633 – Hormonersatztherapie; BGH GRUR 2002, 72 – Preisgegenüberstellung
im Schaufenster; BGH GRUR 1999, 501 – Vergleichen Sie; BGH GRUR 1999, 1100 – Generika
Werbung.
BVerfG GRUR 2001, 1058 – Therapeutische Äquivalenz; BGH GRUR 2008, 628 – Imitationswerbung; BGH GRUR 2004, 607 – Genealogie der Düfte.
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Länderbericht Deutschland
Kennzeichenschutz und Irreführungsverbot – Zur wettbewerbsrechtlichen Beurteilung der irreführenden Kennzeichenbenutzung, FS Mühlendahl (2005), 9; Bunnenberg, Das Markenrecht als abschließendes Regelungssystem?, MarkenR 2008, 148; Fezer, Ein Beitrag zur kumulativen und subsidiären Normenkonkurrenz im Immaterialgüterrecht – Kritik der Vorrangthese des BGH zum MarkenG, WRP 2008, 1; Ders., Das wettbewerbsrechtliche Irreführungsverbot als ein normatives Modell des verständigen Verbrauchers im Europäischen Unionsrecht, WRP 1995, 671; Günther/
Beyerlein, Zur Zulässigkeit von Zugaben nach dem Wegfall der Zugabeverordnung, WRP 2004,
1142; Hain, Das werberechtliche Trennungsgebot und dieses flankierende Regelungen, K&R 2008,
661; Helm, Der Abschied vom „verständigen“ Verbraucher, WRP 2005, 931; Hoeren, Das neue UWG
– der Regierungsentwurf im Überblick, BB 2008, 1182; Ingerl, Der wettbewerbsrechtliche Kennzeichenschutz und sein Verhältnis zum MarkenG in der neueren Rechtsprechung des BGH und in
der UWG-Reform, WRP 2004, 809; Köhler, Vom deutschen zum europäischen Lauterkeitsrecht –
Folgen der Richtlinie über unlautere Geschäftspraktiken für die Praxis, NJW 2008, 3032; Ders., Die
Unlauterkeitstatbestände des § 4 UWG und ihre Auslegung im Lichte der Richtlinie über unlautere
Geschäftspraktiken, GRUR 2008, 841; Ders., Zur richtlinienkonformen Auslegung und Neuregelung
der „Bagatellklausel“ in § 3 UWG, WRP 2008, 10; Ders., „Wettbewerbshandlung“ und „Geschäftspraktiken“, WRP 2007, 1393; Körber/Heinlein, Informationspflichten und neues UWG, WRP 2009,
780; Lettl, Gemeinschaftsrecht und neues UWG, WRP 2004, 1079; Omsels, Kritische Anmerkungen
zur Bestimmung der Irreführungsgefahr, GRUR 2005, 548; Pfeifer, Die Zukunft der irreführenden
Geschäftspraktiken, WRP 2008, 556; Pluskat, Die Tücken von Kaffeefahrten, WRP 2003, 18; Sack,
Die Präzisierung des Verbraucherleitbildes durch den EuGH, WRP 1999, 399; Schaub, Sponsoringverträge und Lauterkeitsrecht, GRUR 2008, 955; Scherer, Case law in Gesetzesform – Die Schwarze
Liste als neuer UWG-Anhang, NJW 2009, 324; Schöttle, Die Schwarze Liste – Übersicht über die
neuen Spezialtatbestände des Anhangs zu § 3 Abs. 3 UWG, WRP 2009, 673; Schricker, Entwicklungstendenzen im Recht des unlauteren Wettbewerbs, GRUR 1974, 579; Seichter, Der Umsetzungsbedarf der Richtlinie über unlautere Geschäftspraktiken, WRP 2005, 1087; Sosnitza, Der Gesetzentwurf zur Umsetzung der Richtlinie über unlautere Geschäftspraktiken, WRP 2008, 1014; Steinbeck, Richtlinie über unlautere Geschäftspraktiken: Irreführende Geschäftspraktiken – Umsetzung
in das deutsche Recht, WRP 2006, 632; Dies., Der Beispielkatalog des § 4 UWG – Bewährungsprobe bestanden, GRUR 2008, 848; Dies., Rabatte, Zugaben und andere Werbeaktionen: Welche
Angaben sind notwendig?, WRP 2008, 1046; Ullmann, Das Koordinatensystem des Rechts des
unlauteren Wettbewerbs im Spannungsfeld von Europa und Deutschland, GRUR 2003, 817; Usselmann/Seichter, „20% auf alles“ – aber teurer als vergangene Woche, WRP 2007, 1291; Veelken,
Kundenfang gegenüber Verbrauchern, WRP 2004, 1; von Nussbaum/Ruess, Irreführung durch Marken – Die Neuregelung der Imitationswerbung in § 5 Abs. 2 UWG n.F., MarkenR 2009, 233; Wuttke, Neues zur wettbewerbsrechtlichen Relevanz und Interessenabwägung bei der irreführenden
Werbung, WRP 2003, 839.
1. Geschichtliche Entwicklung und Schutzzweck
Der Schutz vor Irreführung im Wettbewerb stellt einen der wesentlichen Eckpfeiler
des deutschen Lauterkeitsrechts dar. Bereits im UWG von 1896 war das Irreführungsverbot eine zentrale Verbotsnorm.474 Eine exponierte Stellung behielt das Verbot irre474
Köhler /Bornkamm, § 5 Rn. 1.1.
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VIII. Schutz gegen Irreführung
führender Werbung auch in den folgenden Jahrzehnten, da es in der sogenannten
„kleinen Generalklausel“ des § 3 UWG von 1909 eine eigene gesetzliche Regelung
erfuhr.475 Seit der UWG Novelle 2004 stellt das Irreführungsverbot zwar systematisch
nur noch ein Beispiel unlauteren Wettbewerbs dar.476 Diese geänderte systematische
Stellung darf jedoch nicht über die besondere Relevanz des Irreführungsschutzes hinweg täuschen, an der sich auch durch die neuen europäischen Rechtsakte zum Lauterkeitsrecht nichts geändert hat.
Der Schutzzweck des lauterkeitsrechtlichen Irreführungsverbots hat sich im Laufe
der Zeit in Deutschland stark gewandelt. Verstand man den Schutz vor irreführender
Werbung anfangs vor allem als Schutzvorschrift im Interesse der Mitbewerber, kristallisierte sich daneben mehr und mehr der verbraucherschützende Charakter der Vorschrift heraus.477 Heute stehen diese Schutzzwecke und auch das Interesse der Allgemeinheit an einem unverfälschten Wettbewerb gleichrangig nebeneinander (vgl. § 1
UWG). 478
2. Das System des Irreführungsschutzes in der deutschen Rechtsordnung
Der Schutz vor Irreführung wird in Deutschland (teilweise zur Umsetzung europäischer
Vorgaben) über eine Vielzahl von Vorschriften erreicht und beschränkt sich nicht nur
auf das im UWG kodifizierte Lauterkeitsrecht.
a) Spezialgesetzliche Irreführungsverbote
Insbesondere im Lebensmittel- und Arzneimittelrecht finden sich eine Reihe von
speziellen Irreführungsverboten (vgl. §§ 11, 12, 19, 27, 33 LFBG; § 25 WeinG; § 3
HWG; § 8 AMG; § 4 II MedizinproduktG). 479 Diese Regelungen stehen grundsätzlich
neben dem allgemeinen Irreführungsverbot des § 5 UWG.480 Bei der Anwendung dieser Vorschriften gilt es zu beachten, dass diese Regelungen, soweit sie den Schutz der
Gesundheit und der Sicherheit der Verbraucher betreffen, nicht in den Anwendungsbereich der UGP-Richtlinie fallen.481 Daher können in diesem Bereich insbesondere
auch strengere Anforderungen an die Werbung gestellt werden, als dies nach der UGPRichtlinie möglich wäre. Dabei gilt es jedoch zu beachten, dass die speziellen Irrefüh-
475
476
477
478
479
480
481
Fezer /Pfeifer, § 5 Rn. 4.
Köhler /Bornkamm, § 5 Rn. 1.5.
Köhler /Bornkamm, § 5 Rn. 1.8 ff.; Schricker, GRUR 1974, 579, 579 ff.
v. Ungern-Sternberg, in: Gloy/Loschelder/Erdmann, Hdb. WettbewerbsR, § 23 Rn. 1; Piper/
Ohly/Sosnitza, § 5 Rn. 12.
Vgl. hierzu: Fezer /Pfeifer, § 5 Rn. 36 ff.; MünchKommUWG /Reese, § 5 Rn. 127; Link, in:
Ullmann jurisPK-UWG, § 5 Rn. 71.
BGH GRUR 2003, 628 – Klosterbrauerei; Harte/Henning /Dreyer, § 5 A Rn. 35; Piper/Ohly/
Sosnitza, § 5 Rn. 22 ff.
Erwägungsgrund 9 UGP-RL.
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rungsverbote zum Teil selbst auf gemeinschaftsrechtlichen Rechtsakten beruhen und
dementsprechend gemeinschaftsrechtskonform auszulegen sind.
b) Irreführungsverbot und Markenrecht
Bis zur Einführung des Markengesetzes 1994 war der Kennzeichenschutz nach dem
Warenzeichengesetz (WZG) in Deutschland integraler Bestandteil des Wettbewerbsrechts.482 Schutzzweck war hier vorrangig der Schutz der Allgemeinheit vor Irreführung. Dies ergab sich vor allem daraus, dass nach den Regelungen des WZG eine Übertragung des Kennzeichens nicht vorgesehen war und das Warenzeichen an den Geschäftsbetrieb gebunden war. Auf diese Art und Weise sollte die Allgemeinheit vor
der irreführenden Benutzung eines Kennzeichens durch einen Dritten geschützt werden.483
Das seit 1994 geltende Markengesetz hat durch die Aufhebung des Akzessorietätserfordernisses das Verhältnis zwischen Kennzeichenrecht und lauterkeitsrechtlichem
Irreführungsverbot nachhaltig verändert. Seitdem sind die Kennzeichenrechte als
Rechte des geistigen Eigentums ausgestaltet, wodurch auch der Schutz der Allgemeinheit im Grundsatz hinter den Schutz des Schutzrechtsinhabers zurücktritt. 484 Dies gilt
dabei nicht nur für Marken (§ 4 MarkenG) und geschäftliche Bezeichnungen, wie Unternehmenskennzeichen und Werktitel (§ 5 MarkenG), sondern auch für geographische Herkunftsangaben (§§ 126-129 MarkenG), die nach strittiger, aber richtiger Ansicht als Rechte des geistigen Eigentums anzusehen sind. 485
Nach bisher herrschender Meinung in Rechtsprechung und Literatur hatte dies
außerdem zur Konsequenz, dass das Markenrecht eine abschließende Sonderregelung
enthielt und den lauterkeitsrechtlichen Irreführungsschutz damit weitestgehend verdrängte („Vorrangthese“).486 Diese Auffassung ist jedoch stets großen Bedenken ausgesetzt gewesen und hat seit der UWG Novelle 2008 und der Einführung des § 5 II
UWG weitgehende Kritik erfahren. 487 Da der Gesetzgeber diese Frage ausdrücklich
der Klärung durch die Rechtsprechung überlassen hat, bleibt es abzuwarten, wie der
BGH das Verhältnis zwischen Markenrecht und Lauterkeitsrecht vor dem Hintergrund
der neuen gemeinschaftsrechtlichen Vorschriften konkretisiert. 488 Ausgangspunkt der
Konkretisierung des Verhältnisses zwischen Lauterkeitsrecht und Markenrecht sollte
jedenfalls der Gedanke sein, dass durch das Lauterkeitsrecht das Kennzeichenrecht als
Recht des geistigen Eigentums nicht in seinem Bestand ausgehöhlt werden darf. 489
482
483
484
485
486
487
488
489
BGHZ 14, 15, 18 – Römer; Köhler /Bornkamm, § 5 Rn. 1.75.
MünchKommUWG /Reese, § 5 Rn. 128.
Fezer /Pfeifer, § 5 Rn. 41; Köhler /Bornkamm, § 5 Rn. 1.77.
So auch H.-J. Ahrens, GRUR Int. 1997, 508, 512; Büscher, GRUR Int. 2008, 977; McGuire,
WRP 2008, 620, 622; a.A. BGH GRUR 1999, 252, 253 – Warsteiner II.
BGHZ 138, 349, 351 – Mac Dog; 149, 191, 195 f. – shell.de; Bunnenberg, MarkenR 2008, 148;
Ingerl, WRP 2004, 809.
Harte/Henning/Dreyer, § 5 J Rn. 10 ff.; Fezer, WRP 2008, 1.
Von Nussbaum/Ruess, MarkenR 2009, 233, 236; siehe oben S. 81.
Ähnlich Köhler /Bornkamm, § 5 Rn. 1.86.
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VIII. Schutz gegen Irreführung
Eine solche Einschränkung des geistigen Eigentums kann nicht durch die UGP-RL
begründet werden, da sie nicht mit der primärrechtlichen Regelung des Art. 345
AEUV (ex-Artikel 295 EGV), wonach die nationalen Eigentumsordnungen durch
das europäische Recht grundsätzlich unberührt bleiben, zu vereinbaren wäre.
c) Lauterkeitsrechtliche Irreführungsverbote
Zentrale Kodifikation zum Schutz vor Irreführungen im geschäftlichen Verkehr stellt
weiterhin das UWG dar, welches eine Reihe von Irreführungsverboten enthält. Neben
den zentralen Vorschriften der §§ 5 und 5a UWG, die allgemeine Irreführungsverbote
enthalten, regelt das UWG besondere Fälle von Irreführungstatbeständen im Beispielkatalog des § 4 UWG (vgl. § 4 Nr. 3 bis 5 UWG) sowie im Anhang zu § 3 III UWG (vgl.
Nummern 1 bis 24 des Anhangs zu § 3 III UWG). Diese zivilrechtlichen Irreführungsverbote werden schließlich noch durch den Straftatbestand des § 16 UWG ergänzt.
3. Das Verbot irreführender geschäftlicher Handlungen im UWG
Die zivilrechtlichen Irreführungsverbote im UWG stehen grundsätzlich nebeneinander. Dies gilt vor allem für das Verhältnis zwischen den allgemeinen Irreführungstatbeständen der §§ 5, 5a UWG und den besonderen Fällen des § 4 UWG. Da sowohl §§ 5
und 5a UWG als auch § 4 UWG lediglich das Tatbestandsmerkmal der Unlauterkeit
aus § 3 UWG konkretisieren, bedarf es zwischen ihnen keiner Abgrenzung. 490 Gleichermaßen stehen auch die allgemeinen Irreführungstatbestände der §§ 5, 5a UWG
und die per-se verbotenen irreführenden geschäftlichen Handlungen nach § 3 III
UWG i.V.m. mit dem Anhang zum UWG nebeneinander. Im letzteren Fall ist eine
genaue Einordnung der geschäftlichen Handlung jedoch notwendig, um die Frage zu
beantworten, ob es im Einzelfall auf die Erheblichkeit der Irreführung ankommt.491
a) Das allgemeine Verbot irreführender Geschäftspraktiken, §§ 3, 5 UWG
§ 5 UWG enthält das allgemeine Verbot irreführender geschäftlicher Handlungen.
Der bisher traditionell verwendete Begriff der irreführenden Werbung (vgl. § 5
UWG 2004) wird damit aufgrund der gemeinschaftsrechtlichen Vorgaben der UGPRichtlinie zugunsten des weiter gehenden Begriffs der geschäftlichen Handlung (§ 2 I
Nr. 1 UWG) aufgegeben. Inhaltlich wird der Anwendungsbereich des lauterkeitsrechtlichen Irreführungsverbots damit erweitert, so dass die unter der alten Rechtslage gebildeten Fallgruppen grundsätzlich auch von der Neuregelung erfasst sind. 492
Nach der Legaldefinition ist eine geschäftliche Handlung jedes Verhalten einer
Person zugunsten des eigenen oder eines fremden Unternehmens vor, während oder
490
491
492
Piper/Ohly/Sosnitza, § 5 Rn. 16.
Götting/Nordemann/Wirtz, § 3 Rn. 110 ff.; Piper/Ohly/Sosnitza, § 3 Rn. 86.
Vgl. Begr. RegE UWG 2008, BT-Drs. 16/10145, S. 44 ff.; Harte/Henning /Dreyer, § 5 B Rn. 2.
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nach einem Geschäftsabschluss, das mit der Förderung des Absatzes oder des Bezuges
von Waren oder Dienstleistungen oder mit dem Abschluss oder der Durchführung
eines Vertrages über Waren oder Dienstleistungen objektiv zusammenhängt (§ 2 I
Nr. 1 UWG).493 Diese Definition geht auf den in Art. 2 lit. d) UGP-Richtlinie verwendeten Begriff der Geschäftspraxis zurück und erweitert den Anwendungsbereich der
lauterkeitsrechtlichen Kontrolle insbesondere auf Handlungen bei und nach Vertragsschluss, die bisher vom Schutzbereich des UWG ausgeklammert waren.494 Unabhängig
von der gewandelten Terminologie ist es damit für das Irreführungsverbot weiterhin
entscheidend, dass der potentielle Täter im geschäftlichen Verkehr irreführende Angaben macht (vgl. Art. 6 I UGP-RL).495 Der Begriff der Angaben ist dabei weit zu verstehen und umfasst alle Aussagen, die nach der Verkehrsauffassung für den Kaufentschluss der angesprochenen Verkehrskreise wesentlich sind.496 Entscheidend ist, dass
es sich bei den Aussagen um Tatsachenbehauptungen oder Informationen tatsächlicher Art handelt, also Aussagen, die einer inhaltlichen Überprüfung mittels Beweises
zugänglich sind, und nicht um Werturteile. 497 Dementsprechend ist etwa die Werbeaussage, ein Fahrzeug sei das schönste seiner Klasse, einer lauterkeitsrechtlichen Kontrolle nicht zugänglich, da Schönheit bekanntermaßen im Auge des Betrachters
liegt.498 Demgegenüber ist die Aussage, ein Fahrzeug sei das schnellste seiner Klasse,
dem Beweis zugänglich und stellt daher eine Angabe im Sinne des § 5 UWG dar.
Liegt eine solche Äußerung vor, beispielsweise in Form einer Werbeanzeige oder
einer Rechnung, so ist zu prüfen, inwieweit die gemachten Angaben (§ 5 III UWG)
unwahr oder irreführend sind. Unwahr und damit unlauter ist eine Äußerung im Rahmen einer geschäftlichen Handlung, wenn sie objektiv falsche Angaben enthält (vgl.
Art. 6 I UGP-RL). Entgegen einer teilweise geäußerten Literaturmeinung499 ist es
nicht erforderlich, dass die unwahren Angaben gleichzeitig auch geeignet sind, die
angesprochenen Verkehrskreise zu täuschen.500 Hierfür spricht insbesondere der Wortlaut des Art. 6 I UGP-Richtlinie, der deutlich zwischen unwahren Angaben und Angaben, die geeignet sind, die angesprochenen Verkehrskreise zu täuschen, differenziert.
Konstellationen, in denen die unwahren Angaben nicht zu einer Täuschung der angesprochenen Verkehrskreise führen, lassen sich durch das Spürbarkeitskriterium nach
§ 3 UWG lösen.501 Neben falschen Angaben können aber auch sachlich richtige Angaben unlauter sein, wenn sie in Bezug auf die in § 5 I Nr. 1 bis 7, II UWG genannten
Umstände beim Verbraucher die Gefahr von Fehlvorstellungen hervorrufen können
493
494
495
496
497
498
499
500
501
Vgl. Köhler, WRP 2007, 1393.
H.-J. Ahrens, FS Loewenheim, 2009, 408, 411 ff.; Köhler, NJW 2008, 3032, 3033.
Köhler /Bornkamm, § 5 Rn. 2.36; Helm, in: Gloy/Loschelder/Erdmann, Hdb. WettbewerbsR,
§ 59 Rn. 54.
Zu den Einzelheiten: Helm, in: Gloy/Loschelder/Erdmann, Hdb. WettbewerbsR, § 59
Rn. 54 ff.
Piper/Ohly/Sosnitza, § 5 Rn. 87.
Vgl. BGH GRUR 1965, 364 – Fertigbrei; BGH GRUR 2002, 182 – Das Beste jeden Morgen.
Gebauer/Wiedmann/Busch, Unlauterer Wettbewerb, Rn. 128; Piper/Ohly/Sosnitza, § 5
Rn. 157 ff.
Harte/Henning/Dreyer, § 5 B Rn. 144.
Harte/Henning/Dreyer, § 5 B Rn. 145.
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VIII. Schutz gegen Irreführung
(vgl. Art. 6 I lit. a) bis g), II UGP-RL). Nach § 5 II UWG ist dabei auch das Hervorrufen von Verwechslungsgefahr mit den Produkten oder den Kennzeichen eines Mitbewerbers eine lauterkeitsrechtlich relevante Irreführung.502 Hierbei handelt es sich
um einen besonderen Fall der Irreführung über die betriebliche Herkunft.503 Fraglich
ist, ob die Aufzählung der Bezugspunkte abschließend ist. Zum Teil wird auf Grundlage
der Regierungsbegründung vertreten, dass der deutsche Gesetzgeber von einer nicht
abschließenden Aufzählung ausging und eine abschließende Aufzählung auch nicht
durch die UGP-Richtlinie vorgegeben sei.504 Die Gegenmeinung hält die Aufzählung
hingegen für abschließend und beruft sich dabei im Wesentlichen auf den im Vergleich
zur bisherigen gemeinschaftsrechtlichen Regelung geänderten Wortlaut.505 Dadurch
dass der Beispielskatalog jedoch im Gegensatz zur bisherigen Rechtlage stark erweitert
wurde und auch die einzelnen Beispiele teilweise offen formuliert sind (vgl. § 5 I S. 2
Nr. 1, 2, 3, 7 UWG), dürfte dieser Streit freilich keine große Praxisrelevanz entwickeln,
da dem Beispielskatalog ohnehin keine wesentlich begrenzende Wirkung zukommt.506
Um festzustellen, ob eine Irreführungsgefahr gegeben ist, bedient sich die Rechtsprechung einer schrittweisen Prüfung.507 Zunächst müssen danach die angesprochenen Verkehrskreise der Geschäftshandlung eingegrenzt werden. Dabei sind zur Bestimmung insbesondere produktbezogene Eigenschaften (etwa Art der Ware/Dienstleistung und Preis), vertriebs- oder anlassbezogene Eigenschaften (etwa Art des Kommunikationsmediums) und adressatenbezogene Eigenschaften (Spezialwissen der
Adressaten) zu beachten.508 So können beispielsweise Apotheker, Rechtsanwälte oder
Fachverkäufer den angesprochenen Verkehrskreis darstellen und in dieser Form begrenzen.509 Im Gegensatz zu den genannten Gruppen stellt aber etwa die Gruppe der
Internet-Nutzer keinen vom allgemeinen Publikum zu differenzierenden Verkehrskreis (mehr) dar.510
Sind die angesprochenen Verkehrskreise identifiziert, ist in einem zweiten Schritt
deren Verständnis der geschäftlichen Handlung zu ermitteln. Dabei stellt sich dann
die Frage, wie das Verständnis der angesprochenen Verkehrskreise festgestellt werden
kann und welche Maßstäbe an den Adressatenkreis zu stellen sind. Im Gegensatz zur
alten Rechtslage stellt § 3 II 2 UWG insoweit ausdrücklich klar, dass auf den sogenann502
503
504
505
506
507
508
509
510
Zum Verhältnis der Vorschrift zu den markenrechtlichen Regelungen, s. oben S. 128.
Köhler /Bornkamm, § 5 Rn. 4.212.
Köhler /Bornkamm, § 5 Rn. 1.25b; Hoeren, BB 2008, 1182, 1185; Sosnitza, WRP 2008, 1014,
1028 f.
Gebauer/Wiedmann/Busch, Unlauterer Wettbewerb, Rn. 130; Götting/Nordemann/Nordemann, § 5 Rn. 0.8; Pfeifer, WRP 2008, 556, 558; Seichter, WRP 2005, 1087, 1092; Steinbeck,
WRP 2006, 632, 634 f.; Veelken, WRP 2004, 1, 19.
Köhler /Bornkamm, § 5 Rn. 1.25c; Pfeifer, WRP 2008, 556, 558.
Vgl. Köhler /Bornkamm, § 5 Rn. 2.74.
Fezer /Pfeifer, § 5 UWG Rn. 208.
Vgl. etwa BGH GRUR 2007, 605 – Umsatzzuwachs; BGH GRUR 2004, 244 – Marktführerschaft; BGH GRUR 1997, 925 – Ausgeschiedener Sozius.
BGH GRUR 2005, 438, 440 – Epson-Tinte; Lehmler, in: Büscher/Dittmer/Schiwy, Gewerblicher Rechtsschutz, Urheberrecht, Medienrecht, § 1 UWG Rn. 22.
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Länderbericht Deutschland
ten Durchschnittsverbraucher abzustellen ist. Das dabei maßgebliche Verbraucherleitbild hat in Deutschland insbesondere aufgrund gemeinschaftsrechtlicher Einflüsse
in den vergangenen Jahren erhebliche Veränderungen erfahren.511 Das klassische
deutsche Verbraucherleitbild war in erster Linie dadurch gekennzeichnet, dass es die
Schutzbedürftigkeit des Verbrauchers zu Lasten der Werbefreiheit in den Mittelpunkt
stellte. Dementsprechend ging die Rechtsprechung im Fall allgemeiner Publikumswerbung vom Leitbild eines flüchtigen Durchschnittsverbrauchers aus, der eine Werbeaussage unbefangen und unkritisch wahrnimmt.512 Aufgrund der damit verbundenen
sehr extensiven Anwendung des lauterkeitsrechtlichen Irreführungsverbots durch die
Rechtsprechung gehörte das deutsche Wettbewerbsrecht bezüglich seines Irreführungsschutzes zu den strengsten in Europa. Um die mit den unterschiedlichen europäischen Verbraucherleitbildern verbundenen Beschränkungen des innergemeinschaftlichen Handels abzubauen, wurden durch den Gemeinschaftsgesetzgeber und den
EuGH gerade in diesem Bereich viele Impulse zur Harmonisierung gesetzt, die auch
das deutsche Lauterkeitsrecht maßgeblich mit beeinflusst haben. Hierbei ist insbesondere das vom EuGH entwickelte Leitbild vom mündigen und verständigen Verbraucher zu nennen, welches die deutsche Rechtsprechung nachhaltig veränderte. Der
EuGH ging bei der Auslegung des Verbraucherleitbildes von einem durchschnittlich
informierten, aufmerksamen und verständigen Durchschnittsverbraucher aus und
erweiterte dadurch den Handlungsspielraum der Werbenden.513 In der Folge passte
auch der BGH seine Rechtsprechung zum Irreführungsverbot an die gemeinschaftsrechtlichen Vorgaben an. In der Entscheidung „Orient-Teppichmuster“ wandte sich
der BGH schließlich vom traditionellen Verbraucherleitbild ab und wählte als Maßstab den durchschnittlich informierten und verständigen Verbraucher, der der Werbung eine situationsadäquate Aufmerksamkeit entgegenbringt.514 Das „neue“ Verbraucherleitbild ermöglicht allerdings auch weiterhin den Schutz des flüchtigen Verbrauchers, da die Auseinandersetzung mit der Werbung je nach Situation und Bedeutung
des Produktes auch flüchtig geschehen kann. Verständig und flüchtig schließen sich
nicht gegenseitig aus.515 Der Grad der Aufmerksamkeit ist bei so genannten „Suchoder Vertrauensgütern“, die sich durch besondere Qualität und einen hohen Preis auszeichnen, eher hoch, während er bei „Erfahrungsgütern“, also bei Produkten des täglichen Bedarfs, eher gering ausfällt.516
Von der Frage des maßgeblichen Verbraucherleitbildes zu unterscheiden ist die Frage, wie das Verkehrsverständnis im Einzelfall zu ermitteln ist. In der deutschen Literatur wurde dabei auf Basis der einschlägigen EuGH Rechtsprechung diskutiert, ob es
sich bei der Ermittlung des Verkehrsverständnisses um eine Tatsachenfrage handelt,
die empirisch durch Verkehrsbefragungen zu ermitteln ist, oder ob es sich um eine
511
512
513
514
515
516
Vgl. Lehmler, in: Büscher/Dittmer/Schiwy, Gewerblicher Rechtsschutz, Urheberrecht, Medienrecht, § 5 UWG Rn. 78 ff.
BGH GRUR 1957, 128, 129 f. – Steinhäger; BGH GRUR 1990, 377, 378 – „RDM“; BGH NJW
1994, 1954, 1957 – Mars-Kondom.
EuGH, Urt. v. 16.07.1998, C-210/96, GRUR Int. 1998, 795, 795 – Gut Springenheide.
BGH WRP 2000, 517, 519 f. – Orient-Teppichmuster.
BGH GRUR 2002, 81, 82 – Anwalts- und Steuerkanzlei; Ullmann, GRUR 2003, 817, 818 f.
BGH WRP 2000, 517, 520 – Orient-Teppichmuster.
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VIII. Schutz gegen Irreführung
Rechtsfrage handelt, die normativ zu beantworten ist.517 Die Rechtsprechung des BGH
beschreitet insoweit einen Mittelweg, indem sie die Ermittlung des Verkehrsverstädnisses nicht als Tatsachenfeststellung einordnet, sondern als Anwendung speziellen
Erfahrungswissens, bei dessen Fehlen im Einzelfall auch Beweis erhoben werden
kann.518 Der zuständige Richter kann demnach seine Entscheidung auf seine eigene
Sachkunde und Lebenserfahrung stützen und die Irreführungsgefahr dementsprechend
bejahen oder verneinen.519 Die Gründe, die der erkennende Richter zur Grundlage
seiner Entscheidung gemacht hat, muss er im Urteil anführen, um die Nachprüfbarkeit
seiner Entscheidung zu gewährleisten.520 Besitzt der erkennende Richter nicht die notwendige Sachkunde, um das Verkehrsverständnis zu ermitteln, so muss er Beweis hierüber erheben, etwa durch Einholung demoskopischer Gutachten.521
Erscheint vor dem Hintergrund der genannten Voraussetzungen eine Irreführung
möglich, besteht also die Gefahr einer Täuschung,522 so ist grundsätzlich von einer
tatbestandsmäßigen Irreführung auszugehen, sofern die geschäftliche Handlung eine
spürbare Wettbewerbsbeeinträchtigung zur Folge hat (§ 3 I UWG). Dieses Tatbestandserfordernis ersetzt das ungeschriebene Tatbestandsmerkmal der wettbewerblichen Relevanz, welches von der bislang herrschenden Meinung in § 5 UWG hineingelesen wurde.523 Spätestens mit der UWG Novelle 2008 hat der Gesetzgeber durch
die veränderte Systematik des UWG deutlich gemacht, dass er die Relevanzprüfung
systematisch in § 3 UWG im Kriterium der Spürbarkeit verortet und ein Rückgriff auf
das ungeschriebene Tatbestandsmerkmal der wettbewerblichen Relevanz damit überflüssig geworden ist.524 An der Spürbarkeit kann es insbesondere fehlen, wenn durch
die geschäftliche Handlung keine schützenswerten Interessen der übrigen Marktteilnehmer betroffen sind. Dies ist dabei umso eher zu bejahen, je geringer die festgestellte
Irreführungsgefahr ist. In Bezug auf die zu diesem Tatbestandsmerkmal ergangene
Rechtsprechung des BGH gilt es zu beachten, dass das Tatbestandsmerkmal im Verhältnis gegenüber Verbrauchern nun der Umsetzung der gemeinschaftsrechtlichen
Vorgaben von Art. 6 UGP-RL dient. So kommt es für die Spürbarkeit von geschäftlichen Handlungen gegenüber Verbrauchern darauf an, ob die Irreführung einen Durchschnittsverbraucher zu einer geschäftlichen Handlung veranlassen kann, die er ansonsten nicht getroffen hätte.
Schließlich gilt es zu beachten, dass auch eine Irreführung ausnahmsweise hingenommen werden muss, wenn lauterkeitsrechtliche Sanktionen im Einzelfall unverhältnismäßig wären. Bei der dazu erforderlichen Interessenabwägung im Rahmen
517
518
519
520
521
522
523
524
Vgl. H.-J. Ahrens, WRP 2000, 812; Fezer /Pfeifer, § 5 Rn. 216.
BGH GRUR 2004, 244 – Marktführerschaft; Köhler /Bornkamm, § 5 Rn. 3.10; Piper/Ohly/
Sosnitza, § 5 Rn. 136.
Vgl. Piper/Ohly/Sosnitza, § 5 Rn. 137 ff.
Vgl. Köhler /Bornkamm, § 5 Rn. 3.15.
Piper/Ohly/Sosnitza, § 5 Rn. 143 ff.
Piper/Ohly, 4. Aufl. § 5 Rn. 114.
Vgl. KG NJW-RR 2009, 1051 – 5 Euro Startguthaben; MünchKommUWG /Reese, § 5 Rn. 216.
Götting/Nordemann/Nordemann, § 5 Rn. 0.124 f.; Piper/Ohly/Sosnitza, § 5 Rn. 210; Helm,
in: Gloy/Loschelder/Erdmann, Hdb. WettbewerbsR, § 59 Rn. 157; vgl. zum österreichischen
Recht: OGH, GRUR Int. 2008, 249.
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Länderbericht Deutschland
der Spürbarkeit des Wettbewerbsverstoßes sind insbesondere auch die grundrechtlich
geschützten Positionen der Beteiligten sowie die europarechtlich garantierten Grundfreiheiten zu beachten.525
§ 5 IV UWG enthält hinsichtlich Preissenkungswerbung im Übrigen eine Vermutungsregelung, wonach es irreführend ist, mit der Herabsetzung eines Preises zu werben, sofern der ursprünglich verlangte Preis lediglich eine unangemessen kurze Zeit
galt. Da diese Regelung Fragen der Rechtsdurchsetzung betrifft, deren Regelung nach
der UGP-Richtlinie weitgehend den Mitgliedsstaaten überlassen ist (vgl. Erwägungsgrund 21 UGP-RL), ist sie als richtlinienkonform anzusehen.526
b) Per se verbotene irreführende Geschäftspraktiken
Im Hinblick auf irreführende geschäftliche Handlungen sind vorrangig die Fälle der
Nummern 1 bis 24 des Anhangs i.V.m. § 3 III UWG zu beachten. Liegt eine der dort
beschriebenen geschäftlichen Handlungen vor, ist von einer unlauteren Irreführung
auszugehen. Die dort aufgeführten Fälle irreführender geschäftlicher Handlungen setzen weitgehend wortlautidentisch die entsprechenden Regelungen der UGP-Richtlinie um. Dabei entspricht das Schutzniveau der UGP-Richtlinie dem bestehenden
nationalen Recht, so dass sich insoweit keine einschneidenden Änderungen ergeben
haben.527
Die instanzgerichtliche Rechtsprechung hat bislang speziell § 3 III UWG i.V.m.
Nr. 5 Anhang beschäftigt.528 Die Regelung betrifft die Unlauterkeit von Lockangeboten bei unzureichender Bevorratung. Die Rechtsprechung bemüht sich dabei zu Recht
um eine restriktive Handhabung des Tatbestands, da sich die Fallgruppe der Lockangebote nur schwerlich schematisch lösen lässt.529 Gleichzeitig wurde das Verhältnis der
Regelung zum Irreführungsverbot des § 5 UWG thematisiert und entschieden, dass die
Vorschrift des Anhangs die Beurteilung von Lockangeboten nach § 5 UWG nicht ausschließt.530
c) Irreführung durch Unterlassen, § 5a UWG
Der im Rahmen der UWG-Novelle 2008 neu aufgenommene § 5a UWG regelt die
lauterkeitsrechtliche Beurteilung von Irreführung durch Unterlassen. Änderungen
zur bestehenden Rechtslage hat die Regelung jedoch nur im Hinblick auf das Verhältnis von Unternehmern zu Verbrauchern (B2C-Verhältnis) gebracht und übernimmt
damit den begrenzten Anwendungsbereich der UGP-Richtlinie.
525
526
527
528
529
530
Götting/Nordemann/Nordemann, § 5 Rn. 0.126; Wuttke, WRP 2003, 839.
Begr. RegE UWG 2008, BT-Drs. 16/10145, S. 19; Usselmann/Seichter, WRP 2007, 1291,
1293 f.
Vgl. Loschelder/Dörre, in: Gloy/Loschelder/Erdmann, Hdb. WettbewerbsR, § 47 Rn. 84.
Vgl. LG Köln WRP 2010, 301; sowie LG Tübingen, Urt. v. 12.05.2010, Az. 5 O 309/09.
Köhler /Bornkamm, Anhang zu § 3 Abs. 3 Rn. 5.1.
LG Köln WRP 2010, 301; so auch Köhler /Bornkamm, Anhang zu § 3 Abs. 3 Rn. 5.8.
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VIII. Schutz gegen Irreführung
So erklärt sich auch, dass § 5a I UWG keinen Grundtatbestand hinsichtlich der
Regelung von irreführendem Unterlassen enthält, sondern lediglich die bestehende
Regelung des § 5 II S. 2 UWG 2004 nahezu unverändert übernimmt.531 Die Beurteilung von irreführendem Unterlassen im Verhältnis B2B folgt dementsprechend weitgehend den bestehenden Grundsätzen.532 Folglich ist ein Schweigen gegenüber Unternehmern oder sonstigen Marktteilnehmern nur irreführend, wenn dadurch in einem wesentlichen Punkt, der geeignet ist, die geschäftliche Entscheidung zu beeinflussen, getäuscht wird und die Aufklärung zum Schutze des Verkehrs unter
Berücksichtigung der berechtigten Interessen des Unternehmers notwendig erscheint.533 Anders als nach bisherigem Recht erfasst § 5a I UWG jedoch nicht mehr
nur Werbung, so dass insoweit der Anwendungsbereich auf geschäftliche Handlungen
nach Vertragsschluss erstreckt wurde.534
Im B2C-Verhältnis hingegen regelt § 5a II UWG grundlegend die lauterkeitsrechtliche Beurteilung von Irreführung durch Unterlassen. Danach handelt derjenige unlauter, der die Entscheidungsfreiheit des Verbrauchers dadurch beeinflusst, dass er Informationen vorenthält, die im konkreten Fall unter Berücksichtigung aller Umstände
wesentlich sind. Welche Informationen dabei als wesentlich anzusehen sind, wird in
den Absätzen 3 und 4 konkretisiert. Im Gegensatz zur bisherigen Rechtslage reicht
damit bereits das Vorenthalten von Informationen aus; auf eine Täuschung des Verkehrs kommt es nicht mehr an.535
d) Sonstige Fälle unlauterer Irreführung
Neben den Regelungen der §§ 5, 5a UWG spielt der Aspekt der Irreführung auch bei
einer Reihe von Beispieltatbeständen in § 4 UWG eine besondere Rolle. Diese Regelungen stehen dabei, wie anfangs erwähnt, grundsätzlich neben den Regeln in §§ 5, 5a
UWG, so dass insoweit keine Konkurrenzprobleme entstehen.536
aa) § 4 Nr. 3 UWG
Hier ist zunächst § 4 Nr. 3 UWG zu nennen, der die Unlauterkeit sogenannter verdeckter Werbung als Beispiel unlauteren Wettbewerbs regelt.537 Die Regelung dient
insoweit auch der Umsetzung von Art. 7 II UGP-Richtlinie, demzufolge die verdeckte
531
532
533
534
535
536
537
Köhler /Bornkamm, § 5a Rn. 6.
Körber/Heinlein, WRP 2009, 780, 784 ff.
Harte/Henning /Dreyer, § 5a Rn. 8.
Begr. RegE UWG 2008, BT-Drs. 16/10145 S. 25.
Harte/Henning /Dreyer, § 5a Rn. 11; Seichter, in: Ullmann jurisPK-UWG, § 5a Rn. 15.
Köhler /Bornkamm, § 5 Rn. 1.72.
Die Vorschrift tritt insoweit neben die Regelung in Nr. 11 des Anhangs zu § 3 III UWG, der
speziell die Unlauterkeit sog. „Advertorials“ regelt; hierzu BGH, WRP 2011, 210 – Flappe;
Harte/Henning /Frank Anh. § 3 Abs. 3 Nr. 11 Rn. 1 ff.; H.-J. Ahrens, GRUR 1995, 307.
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Länderbericht Deutschland
Werbung systematisch als irreführende Unterlassung eingeordnet ist.538 Die Einführung des eigenständigen Verbots von verdeckter Werbung sollte die bestehenden medienrechtlichen Regelungen (vgl. § 7 VI RStV, § 10 IV Nr. 1 MDStV, § 7 Nr. 1 TDG)
auf alle Formen von Werbung ausdehnen, um Schutzlücken zu schließen.539
Dementsprechend ist auch der Anwendungsbereich der Vorschrift denkbar weit
gefasst. Als Beispiele von verdeckter Werbung, deren Lauterkeit anhand von § 4 Nr. 3
UWG zu beurteilen ist, kommen etwa sog. „Kaffeefahrten“540, Product Placement541
und Sponsoring542 in Betracht. Wichtigster Anwendungsfall dürfte aber weiterhin die
Beurteilung von getarnter Werbung sein, die insbesondere im Onlinebereich durch
Internetblogs oder soziale Netzwerke stark zugenommen hat. Zwar ist es Unternehmen
gestattet Medien-, Internetforen- oder Blogeinträge vorzufertigen. Der Auftraggeber
muss aber stets erkennbar sein.543
bb) § 4 Nr. 4 UWG
§ 4 Nr. 4 UWG ist ebenfalls ein Beispiel unlauterer Geschäftspraktiken, deren Unlauterkeit vornehmlich auf Irreführung basiert. Die Vorschrift normiert ein Transparenzgebot für Verkaufsförderungsmaßnahmen. Durch dieses Transparenzgebot soll der Verbraucher vor unzureichenden und irreführenden Informationen im Rahmen von Verkaufsförderungsmaßnahmen geschützt werden, damit er seine Entscheidung auf Basis
einer zutreffenden Informationslage treffen kann.544
Die Regelung des § 4 Nr. 4 UWG tritt damit an die Stelle der 2001 aufgehobenen
Regelungen der Zugabeverordnung und des Rabattgesetzes, die weitgehend das Anbieten und Gewähren von Rabatten und Zugaben untersagten.545 Allerdings enthält damit das Gesetz kein generelles Verbot von Verkaufsförderungsmaßnahmen mehr, sondern stellt hinsichtlich der Unlauterkeit nur noch darauf ab, ob die Zugaben oder Rabatte für den Adressaten hinreichend klar und eindeutig formuliert sind. Die Eigenverantwortung des Verbrauchers rückt damit mehr in den Fokus.
Bei der Auslegung der Vorschrift ist ihr gemeinschaftsrechtlicher Hintergrund zu
berücksichtigen. Die Regelung dient der Umsetzung von Art. 6 lit. d) Richtlinie
2000/31/EG,546 dem im deutschen Recht insoweit wegen der überschießenden Richt538
539
540
541
542
543
544
545
Harte/Henning/Frank, § 4 Nr. 3 Rn. 8; Seichter, WRP 2005, 1087, 1093; anders Begr. RegE
UWG 2008, BT-Drs. 16/10145, S. 25, wonach § 5a II UWG die gemeinschaftsrechtlichen
Vorgaben in diesem Fall umsetze.
Begr. RegE UWG 2004, BT-Drs. 15/1487, S. 17.
BGH GRUR 1986, 318, 320 – Verkaufsfahrten I; BGH GRUR 1988, 829 – Verkaufsfahrten II; zur
strafbaren Werbung in diesem Zusammenhang: Pluskat, WRP 2003, 18.
BGHZ 130, 205 – Feuer, Eis und Dynamit I.
Vgl. Schaub, GRUR 2008, 955.
BGHZ 81, 247 – Getarnte Werbung I; BGH GRUR 1990, 610 – Werbung im Programm.
BGH GRUR 2008, 1114, 1115 – Räumungsfinale; MünchKommUWG /Heermann, § 4 Rn. 16.
Berlit, Auswirkungen der Aufhebung des Rabattgesetzes und der Zugabeverordnung auf die
Auslegung von § 1 UWG und § 3 UWG, WRP 2001, 349; Günther/Beyerlein, WRP 2004,
1142.
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IX. Aggressive Geschäftspraktiken
linienumsetzung auch außerhalb des elektronischen Geschäftsverkehrs Geltung zukommt.547 Fraglich ist, ob durch diesen weitergehenden Anwendungsbereich § 4 Nr. 4
UWG möglicherweise gegen die UGP-Richtlinie verstößt, da diese die Informationspflichten abschließend regelt (vgl. Erwägungsgrund 15 UGP-RL).548 Diesbezüglich
bleibt eine Entscheidung des EuGH abzuwarten.549
cc) § 4 Nr. 5 UWG
Das in § 4 Nr. 5 UWG zum Ausdruck kommende Transparenzgebot für Gewinnspiele
stellt klar, dass die Teilnahmebedingungen bei Preisausschreiben oder Gewinnspielen
mit Werbecharakter klar und eindeutig anzugeben sind.550 Damit werden Anforderungen an die Informationspflichten hinsichtlich derartiger Spiele aufgestellt, was wiederum die Frage nach der Vereinbarkeit dieser Regelung mit der UGP-Richtlinie aufkommen lässt.551 Es bleibt abzuwarten, ob die damit verbundenen deutschen Informationspflichten vom EuGH als richtlinienkonform angesehen werden.
IX.Aggressive Geschäftspraktiken
Literatur: H.-J. Ahrens, Die Benetton-Rechtsprechung des BVerfG und die UWG-Fachgerichtsbarkeit, JZ 2004, 763; Berlit, Auswirkungen der Aufhebung des Rabattgesetzes und der Zugabeverordnung auf die Auslegung von § 1 UWG und § 3 UWG, WRP 2001, 349; Bernreuther, Neues zur
Telefonwerbung, WRP 2009, 390; Boesche, Über die Folgen der Vollharmonisierung und die vergebliche Rettung der Zugabeverbote, WRP 2009, 661; Bornkamm/Seichter, Das Internet im Spiegel
des UWG, CR 2005, 747; Cortes/Roger, Verkaufsförderung in der EU – Der Entwurf für eine Gemeinschaftsverordnung, EuLF 2002, 327; T. Fuchs, Wettbewerbsrechtliche Schranken bei der Werbung gegenüber Minderjährigen, WRP 2009, 255; Hecker, Die Richtlinie über unlautere Geschäftspraktiken: Einige Gedanken zu den „aggressiven Geschäftspraktiken“ – Umsetzung in das deutsche Recht, WRP 2006, 640; Hoeren, Das neue UWG – der Regierungsentwurf im Überblick, BB
2008, 1182; Klein/Insam, Telefonische Abwerbung von Mitarbeitern am Arbeitsplatz und im Privatbereich nach neuem UWG, GRUR 2006, 379; Leupold/Bräutigam/Pfeiffer, Von der Werbung zur
kommerziellen Kommunikation: Die Vermarktung von Waren und Dienstleistungen im Internet,
546
547
548
549
550
551
Richtlinie 2000/31/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 8. Juni 2000 über
bestimmte rechtliche Aspekte der Dienste der Informationsgesellschaft, insbesondere des
elektronischen Geschäftsverkehrs, im Binnenmarkt („Richtlinie über den elektronischen
Geschäftsverkehr“).
Begr. RegE UWG 2004, BT-Drs. 15/1487, S. 17; Fezer /Steinbeck, § 4-4 Rn. 3 f.; Lettl, WRP
2004, 1079, 1106.
Vgl. Harte/Henning /Bruhn, § 4 Nr. 4 Rn. 19; Köhler, GRUR 2008, 841, 844 f.
Vgl. BGH GRUR 2009, 1064 – Geld-zurück-Garantie II; Seichter, in: Ullmann jurisPK-UWG,
§ 4 Nr. 4 Rn. 5 ff.
BGH GRUR 2008, 724 – Urlaubsgewinnspiel; BGH GRUR 2005, 1061 – Telefonische Gewinnauskunft; Berlit, WRP 2005, 1213.
Hierzu BGH GRUR 2010, 158 – FIFA-WM-Gewinnspiel; Köhler, GRUR 2008, 841, 844.
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Länderbericht Deutschland
WRP 2000, 575; Köhler, Kopplungsangebote neu bewertet, Zugleich Besprechung der „Plus Warenhandelsgesellschaft“-Entscheidung des EuGH, GRUR 2010, 177; Ders., Ist der Unlauterkeitstatbestand des § 4 Nr. 6 UWG mit der Richtlinie über unlautere Geschäftspraktiken vereinbar?, GRUR
2009, 626; Ders., Die Unlauterkeitstatbestände des § 4 UWG und ihre Auslegung im Lichte der
Richtlinie über unlautere Geschäftspraktiken, GRUR 2008, 841; Lettl, Werbung mit einem Telefonanruf gegenüber einem Verbraucher nach § 7 Abs. 2 Nr. 2 Alt. 1 UWG n.F., WRP 2009, 1315; Mankowski, Was ist eine „direkte Aufforderung zum Kauf“ an Kinder?, WRP 2008, 421; Ders., Wer ist
ein „Kind“?, WRP 2007, 1398; Nippe, Belästigung zwischen Wettbewerbshandlung und Werbung,
WRP 2006, 951; Rath-Glawatz, Rechtsfragen der Haushaltswerbung, K&R 2007, 295; Reufels,
Neue Fragen der wettbewerbsrechtlichen Beurteilung von „Headhunting“, GRUR 2001, 214; Scherer,
Erdrutsch im deutschen Lauterkeitsrecht Europarechtswidrigkeit des § 4 Nr. 6 UWG, NJW 2010,
1849; Schreibauer/Mulch, Neuere Rechtsprechung zum Internetrecht, WRP 2005, 442; Schwab,
Denn sie wissen, was sie tun – notwendige wettbewerbsrechtliche Neubewertung des Anreißens
bei unaufgefordertem Ansprechen von Passanten in der Öffentlichkeit – Anmerkungen zu gegenläufigen Urteilen der OLGe Köln und Frankfurt a. M., GRUR 2002, 579; Seichter/Witzmann, Die
Einwilligung in die Telefonwerbung, WRP 2007, 699; Sokolowski, E-Mail-Werbung als Spamming,
WRP 2008, 888; Sosnitza, Die Richtlinie über unlautere Geschäftspraktiken – Voll- oder Teilharmonisierung, WRP 2006, 1; Steinbeck, Die Zukunft der aggressiven Geschäftspraktiken, WRP 2008,
865; Vollmerhaus, Kopplungsangebote als unlautere Geschäftspraktiken: Anmerkung zu EuGH,
Urteil vom 23.4.2009, Verbundene Rechtssachen C-261/07 und C-299/07 – VTB-VAB NV ./. Total
Belgium NV und Galates BVBA ./. Sanoma Magazines Belgium NV, GPR 2009, 224; Wasse, Endlich: Unzulässigkeit der Scheibenwischerwerbung nach dem UWG, WRP 2010, 191; Wegmann,
Anforderungen an die Einwilligung in Telefonwerbung nach dem UWG, WRP 2007, 1141.
1. Der Schutz vor aggressiven Geschäftspraktiken in der
deutschen Rechtsordnung
Der Schutz vor aggressiven Geschäftspraktiken ist in Deutschland nicht auf lauterkeitsrechtliche Regelungen begrenzt. Vielmehr sind in diesem Zusammenhang auch
allgemeine zivilrechtliche Vorschriften zu beachten, die beispielsweise eine Vertragsanfechtung ermöglichen, sofern man durch eine widerrechtliche Drohung zu einem
Vertragsschluss gezwungen wurde (§§ 123, 142 BGB). Darüber hinaus werden Verbraucher durch Widerrufsrechte (§§ 312 ff., 355 ff. BGB) vor den Folgen bestimmter Umstände des Vertragsschlusses geschützt, die zum Teil auch in den Zusammenhang mit
aggressiven Geschäftspraktiken stehen. Im Übrigen dürfte häufig der Anwendungsbereich der deliktsrechtlichen Vorschriften eröffnet sein (vgl. §§ 823 ff. BGB).552
Schließlich können bei bestimmten aggressiven Geschäftspraktiken auch strafrechtliche Sanktionen in Betracht kommen, sofern die Geschäftspraktiken etwa mit der
Begehung eines Hausfriedensbruchs (vgl. § 123 StGB) oder einer Nötigung (§ 240
StGB) verbunden sind.
552
Zum Verhältnis des Lauterkeitsrechts zum Bürgerlichen Recht ausführlich oben S. 85.
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IX. Aggressive Geschäftspraktiken
2. Unlautere aggressive Geschäftspraktiken nach dem UWG
Anders als in der UGP-Richtlinie findet sich der Begriff der aggressiven Geschäftspraktiken nicht im UWG. Das UWG verwendet in § 7 UWG vielmehr den Begriff
der unzumutbaren Belästigung, wobei allerdings keine inhaltlichen Unterschiede
zwischen diesen Begriffen bestehen. Daneben finden sich aber gerade auch im Rahmen der Beispieltatbestände des § 4 UWG Regelungen, nach denen Handlungen unlauter sind, die im weitesten Sinne ein aggressives Verhalten darstellen. Dabei darf der
Begriff der Aggressivität jedoch nicht eng verstanden werden und nur auf belästigendes, nötigendes oder gar körperlich gewaltsames Verhalten reduziert werden.553 Eine
solch restriktive Auslegung würde die Entstehung der UGP-Richtlinie im Zusammenhang mit der geplanten, aber letztendlich verworfenen Verordnung über die Verkaufsförderungsmaßnahmen im Binnenmarkt vernachlässigen. Nach der UGP-Richtlinie
kommt es hinsichtlich der „Aggressivität“ auf eine unzulässige Beeinflussung an, durch
die die Möglichkeit des Verbrauchers zu einer eigenständigen Entscheidung wesentlich eingeschränkt wird (vgl. Art. 8 UGP-RL). Dies kann jedoch nicht nur Folge belästigender Geschäftspraktiken sein, sondern vielmehr auch in Fällen eine Rolle spielen, in denen etwa durch Zugaben, durch gezieltes Ansprechen des Spieltriebes oder
sonstige unzulässige Beeinflussung die Entscheidungsfreiheit eingeschränkt werden
soll. Dies spiegelt sich auch in der Systematik der Richtlinie wider (vgl. Nr. 31 Anhang
UGP-RL). Daher sind auch die Fälle der § 4 Nr. 1, 2 UWG im Zusammenhang mit
aggressiven Geschäftspraktiken im Sinne der UGP-Richtlinie zu sehen.554 Darüber hinaus erscheint es auch sachgerecht, die Fälle des § 4 Nr. 6 UWG hier zu lokalisieren, da
es sich bei dem dort normierten Kopplungsverbot an sich nur um eine spezielle Ausprägung der Unlauterkeit wegen des Ausnutzens aleatorischer Reize handelt.555
a) Unzumutbare Belästigungen nach § 7 UWG
aa) Allgemeines
Während § 7 UWG, der seit 2004 die Unlauterkeit belästigender Werbung regelt, vor
der letzten Novellierung des UWG als Unterfall der Unlauterkeit nach § 3 UWG 2004
ausgestaltet war,556 ist der Tatbestand durch die letzte Novellierung teilweise verselbstständigt worden. Auf die Bagatellklausel des § 3 I UWG kommt es bei belästigenden
geschäftlichen Handlungen nicht mehr an.557 Damit ist jedoch nicht die damit verbundende umfassende wertende Betrachtung weggefallen. Diese findet in den Fällen
des § 7 I UWG vielmehr weiterhin statt, wobei sie jedoch in Zukunft separat bei der
Auslegung des Tatbestandsmerkmals der „unzumutbaren Belästigung“ erfolgt.558 In
553
554
555
556
557
558
In diese Richtung argumentierend jedoch Boesche, WRP 2009, 661, 667.
Vgl. Harte/Henning /Stuckel, § 4 Nr. 1 Rn. 7, § 4 Nr. 2 Rn. 1; Steinbeck, WRP 2008, 865, 866 ff.
Vgl. Harte/Henning /Stuckel, § 4 Nr. 1 Rn. 120; Köhler/Bornkamm, § 4 Rn. 1.117 ff.
MünchKommUWG /Leible, § 7 Rn. 17.
Begr. RegE UWG 2008, BT-Drs. 16/10145, S. 28; Harte/Henning /Ubber, § 7 Rn. 8.
Gebauer/Wiedmann/Busch, Unlauterer Wettbewerb, Rn. 190.
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Länderbericht Deutschland
den Fällen des § 7 II UWG ist hingegen stets vom Vorliegen der Unzumutbarkeit und
somit ohne Wertungsmöglichkeit von der Unzulässigkeit der geschäftlichen Handlung
auszugehen.559
Die Vorschrift des § 7 UWG steht damit für Verhaltensweisen im Verhältnis zwischen Unternehmern und Verbrauchern in Konkurrenz zu den im Anhang aufgeführten, per se verbotenen aggressiven Geschäftspraktiken. Hier gilt es zu beachten, dass
durch die Anwendung des Verbots nach § 7 UWG nicht die Wertungen des Anhangs
umgangen werden dürfen. Dennoch bleibt für § 7 UWG ein gewisser Anwendungsbereich, da er auch zur Umsetzung von Art. 8 UGP-Richtlinie dient und damit die Möglichkeit offenbleibt, aggressive geschäftliche Handlungen zu untersagen, die nicht im
Anhang aufgeführt sind. Aufgrund der im Unionsrecht vorgesehenen Vollharmonisierung liegt allerdings in solchen Fällen das letztliche Entscheidungsmonopol beim
EuGH.
bb) Der Grundtatbestand des § 7 I UWG
Nach § 7 I 1 UWG ist eine geschäftliche Handlung unzulässig, durch die ein Marktteilnehmer (§ 2 I Nr. 2 UWG) in unzumutbarer Weise belästigt wird. Während sich der
Tatbestand früher nur auf Werbemaßnahmen beschränkte, ist durch den mit der letzten UWG Reform eingeführten Begriff der „geschäftlichen Handlung“ (§ 2 I Nr. 1
UWG) der Anwendungsbereich der Vorschrift, ebenso wie bei § 5 UWG,560 erweitert
worden. Für Werbemaßnahmen ist damit keine Änderung eingetreten, da diese auch
weiterhin in den Anwendungsbereich fallen.
Unter Belästigung im Sinne der Vorschrift sind solche geschäftliche Handlungen
zu verstehen, die unabhängig vom Inhalt bereits wegen der Art und Weise des Herantretens von den Adressaten als Beeinträchtigung ihrer privaten oder beruflichen Sphäre empfunden werden.561 Das Anliegen wird den Adressaten in einer Weise aufgedrängt, dass sie gezwungen sind, sich ohne oder gegen ihren Willen mit diesem auseinander zu setzen. Wichtig ist dabei, dass die Belästigung nicht aus dem Inhalt einer
Werbung hergeleitet werden kann. Die Vorschrift soll kein Instrument zur Inhaltskontrolle von Werbung bieten. Nach der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts
können Werbeaussagen nämlich unter die durch Art. 5 I GG garantierte Meinungsfreiheit fallen, die bei der Anwendung der lauterkeitsrechtlichen Vorschriften generell
zu beachten ist.562
§ 7 I S. 2 UWG stellt klar, dass § 7 I S. 1 UWG insbesondere für Werbung gilt, bei
der erkennbar ist, dass der angesprochene Marktteilnehmer diese nicht wünscht. Diese
Regelung war vor der Reform in § 7 II Nr. 1 UWG 2004 enthalten, konnte in dieser
Form jedoch aufgrund der zwingenden Vorgaben der UGP-Richtlinie nicht beibehalten werden. Einen § 7 II Nr. 1 UWG entsprechenden Tatbestand, wonach unabhängig
vom verwendeten Kommunikationsmittel jede erkennbar unerwünschte Werbung un559
560
561
562
Begr. RegE UWG 2008, BT-Drs. 16/10145, S. 29; Köhler/Bornkamm, § 7 Rn. 5.
Siehe oben S. 129 f.
Harte/Henning/Ubber, § 7 Rn. 24; MünchKommUWG /Leible, § 7 Rn. 49 ff.
BVerfG GRUR 2001, 170 – Schockwerbung; BVerfG GRUR 2003, 442 – Benetton-Werbung II.
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IX. Aggressive Geschäftspraktiken
zulässig ist, enthält die UGP-Richtlinie nämlich nicht. Die im deutschen Recht nunmehr in § 7 II Nr. 1 UWG umgesetzte Vorschrift ist auf solche Kommunikationsformen
beschränkt, die für den Fernabsatz geeignet sind, und verlangt darüber hinaus ein hartnäckiges Ansprechen. Mehrere Werbeformen, die bisher als stets unzumutbar nach § 7
II Nr. 1 UWG 2004 angesehen wurden, müssen daher in Zukunft richtlinienkonform
über § 7 I UWG gelöst werden.
cc) Geschriebene Fallgruppen unzumutbarer Belästigung, § 7 II UWG
§ 7 II UWG enthält in den Nummern 1 bis 4 Fallbeispiele, in denen stets eine unzumutbare Belästigung anzunehmen ist. Es handelt sich dabei um eine Rechtsfolgenverweisung, so dass die Bagatellschwelle der Unzumutbarkeit nach § 7 I UWG in diesen
Fällen keine Anwendung findet.
§ 7 II Nr. 1 UWG dient der Umsetzung von Nummer 26 des Anhangs zur UGP-RL
und wurde daher in seinem Anwendungsbereich den gemeinschaftsrechtlichen Vorgaben angepasst. Danach ist eine Werbung etwa durch Zusendung von Katalogen,
Briefen oder Prospekten verboten, durch die ein Verbraucher hartnäckig angesprochen wird, obwohl er die Werbung nicht wünscht. Die Regelung steht damit mit der
bisherigen gerichtlichen Praxis zu solchen Formen der Werbung im Einklang, die im
Grundsatz von deren Zulässigkeit ausgeht, solange nicht ein erkennbar ablehnender
Wille des Adressaten hervortritt.563 Einen solchen Willen kann ein Verbraucher etwa
durch einen Hinweis auf seinem Briefkasten, dass er keine Werbung wünsche, zum
Ausdruck bringen.564 An den Voraussetzungen des § 7 II Nr. 1 UWG wird sich in Zukunft auch etwa Werbung durch Handzettel an der Windschutzscheibe messen lassen
müssen.565
§ 7 II Nr. 2 UWG regelt die Unlauterkeit von Telefonwerbung.566 Aufgrund der in
Deutschland und Europa insgesamt stark zunehmenden Bedeutung von Telefonwerbung und der damit einhergehenden gestiegenen Belästigung der Verbraucher liegt
hier ein Schwerpunkt der gesetzgeberischen Aktivitäten. Nach § 7 II Nr. 2 UWG ist
es als unzumutbare Belästigung anzusehen, wenn ein Unternehmer zu Werbezwecken
einen Verbraucher ohne dessen vorherige ausdrückliche Einwilligung oder einen sonstigen Marktteilnehmer ohne dessen zumindest mutmaßliche Einwilligung anruft.567
Die Einwilligung muss also grundsätzlich vor dem Anruf erteilt werden. Eine nachträg563
564
565
566
567
Vgl. BGH GRUR 1989, 225 – Handzettel-Wurfsendung; BGH GRUR 1992, 617 – Briefkastenwerbung.
Fezer /Mankowski, § 7 Rn. 92.
OLG Hamm NJW-RR 1991, 1263 – Scheibenwischer-Werbung; Schwab, GRUR 2002, 579;
Wasse, WRP 2010, 191 ff. Zur verwaltungsrechtlichen Beurteilung derartiger Werbemaßnahmen, vgl. OLG Düsseldorf Beschlüsse v. 12.7.2010, IV-4RBs-25/10 und IV-4Ws 57/10 Owi.
Vgl. hierzu: BGH GRUR 1995, 220, 221 – Telefonwerbung V; BGH WRP 1999, 847, 851 –
Private Vorsorge bei Arbeitslosigkeit; BGH GRUR 2000, 818, 819 – Telefonwerbung VI; BGH
GRUR 2002, 637, 638 – Werbefinanzierte Telefongespräche; BGH GRUR 2007, 607 – Telefonwerbung für Individualverträge.
Bernreuther, WRP 2009, 390; Lettl, WRP 2009, 1315.
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Länderbericht Deutschland
liche Billigung des Verbrauchers ändert nichts an der Unlauterkeit der Telefonwerbung.568 Im Falle von Telefonwerbung gegenüber sonstigen Marktteilnehmern bildete
vor allem die Frage der Zulässigkeit telefonischer Mitarbeiterabwerbung (sog. Headhunting) aufgrund mehrerer höchstrichterlicher Entscheidungen einen Schwerpunkt
in der wissenschaftlichen Diskussion.569 Der Bundesgerichtshof geht davon aus, dass
eine verhältnismäßig kurze erste telefonische Kontaktaufnahme nicht unlauter ist.
§ 7 II Nr. 3 UWG regelt die Unlauterkeit von Werbung unter Verwendung von
automatischen Anrufmaschinen, Faxgeräten, E-Mail oder SMS.570 Eine solche Werbung ist ohne die vorherige ausdrückliche Einwilligung des Adressaten unlauter. Im
Falle der Werbung mit elektronischer Post ist jedoch die Ausnahmeregelung des § 7 III
UWG zu beachten. Danach liegt keine unzumutbare Belästigung vor, wenn ein Unternehmer im Zusammenhang mit dem Verkauf einer Ware oder Dienstleistung vom
Kunden dessen E-Mail-Adresse erhalten hat, der Unternehmer die Adresse zur Direktwerbung für eigene ähnliche Waren oder Dienstleistungen verwendet, der Kunde der
Verwendung nicht widersprochen hat und bei Erhebung der Adresse und bei jeder
Verwendung klar und deutlich darauf hingewiesen wird, dass er der Verwendung jederzeit widersprechen kann, ohne dass hierfür andere als die Übermittlungskosten nach
den Basistarifen entstehen.571
§ 7 II Nr. 4 UWG enthält eine lauterkeitsrechtliche Regelung bezüglich Werbung
durch anonyme elektronische Nachrichten.572 Nach dieser Norm ist es unlauter elektronische Nachrichten zu versenden, bei denen die Identität des Absenders verschleiert wird oder bei denen keine gültige Adresse vorhanden ist. Das damit zum Ausdruck
kommende Transparenzgebot soll die Durchsetzung der Ansprüche gegen den Werbenden erleichtern. Dem Adressat soll dadurch die Möglichkeit gewahrt bleiben,
dem Absender der elektronischen Nachrichten jederzeit eine Aufforderung zur Einstellung der Werbung zukommen zu lassen.
dd) Ungeschriebene Fallgruppen unzumutbarer Belästigung
Neben den angesprochenen geschriebenen Fallgruppen unzumutbarer Belästigungen
i.S.v. § 7 UWG, haben sich noch eine Reihe weiterer ungeschriebener Fallgruppen
herausgebildet, die nach Maßgabe von § 7 I UWG lauterkeitsrechtliche Sanktionen
auslösen können. Die nachfolgenden Fallgruppen müssen sich in Zukunft an den Vorgaben der UGP-Richtlinie messen lassen, so dass ein rein nationales Verständnis hier
im Grundsatz nicht mehr möglich ist. Allerdings gilt es gerade im Hinblick auf die
aggressiven Geschäftspraktiken zu beachten, dass auch die UGP-Richtlinie den Mit568
569
570
571
572
Köhler/Bornkamm, § 7 Rn. 133.
Vgl. BGH GRUR 2004, 696 – Direktansprache am Arbeitsplatz I; BGH GRUR 2006, 426 –
Direktansprache am Arbeitsplatz II; Reufels, GRUR 2001, 214; Klein/Insam, GRUR 2006, 379.
Vgl. BGH GRUR 1996, 208 – Telefax-Werbung; BGH GRUR 2007, 164 – Telefax-Werbung II;
BGH GRUR 2008, 923 – Faxanfrage im Autohandel; BGH GRUR 2004, 517 – E-Mail-Werbung;
BGH GRUR 2008, 925 – FC Troschenreuth.
Begr. RegE UWG 2008, BT-Drs. 16/10145, S. 30.
Harte/Henning/Ubber, § 7 Rn. 210 ff.
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IX. Aggressive Geschäftspraktiken
gliedsstaaten einen gewissen Beurteilungsspielraum im Hinblick auf die unterschiedlichen kulturellen Gegebenheiten belässt (vgl. Erwägungsgrund 7 UGP-RL). Damit
wird die Vollharmonisierung durch die UGP-Richtlinie zwar nicht aufgehoben. Allerdings ist davon auszugehen, dass der EuGH bei der Beurteilung nationaler Vorschriften
bezüglich aggressiver Geschäftspraktiken, den Mitgliedsstaaten einen weitergehenden
Spielraum belassen wird.573
Eine relevante Fallgruppe aggressiver Geschäftspraktiken stellt nach deutschem
Verständnis das Ansprechen in der Öffentlichkeit dar.574 Während früher das gezielte
Ansprechen von Personen in der Öffentlichkeit zu kommerziellen Zwecken in der
Rechtsprechung als unlauter angesehen wurde, ist insbesondere auch aufgrund der
Einführung der Widerrufsrechte im BGB ein Wandel in der Rechtsprechung zu dieser
Frage eingetreten. Früher wurde die Unlauterkeit von gezieltem Ansprechen in der
Öffentlichkeit vornehmlich aus dem Aspekt der Überrumplungsgefahr einer solchen
Werbepraxis hergeleitet.575 Diese Bewertung ist aber unter Berücksichtigung des neuen Verbraucherleitbildes und vor dem Hintergrund der zivilrechtlichen Widerrufsmöglichkeit nicht mehr tragfähig. Folgerichtig geht die heutige gerichtliche Praxis
davon aus, dass das Ansprechen in der Öffentlichkeit grundsätzlich wettbewerbsrechtlich nicht zu beanstanden ist. Diese Werbepraxis kann aber dann als unlauter zu bewerten sein, wenn sich der Werbende nicht als solcher zu erkennen gibt oder wenn der
Werbende einen klar entgegenstehenden Willen des Angesprochenen missachtet (§ 7
I S. 2 UWG).576
Eine weitere Fallgruppe stellt die Haustürwerbung dar.577 Obwohl unerwünschte
Hausbesuche eine Beeinträchtigung der Privatsphäre darstellen, werden sie von der
Rechtsprechung nicht generell als unlauter angesehen.578 Die Unlauterkeit kann hier
jedoch dann zu bejahen sein, wenn der Werbende einen erkennbar entgegenstehenden Willen des Wohnungsinhabers missachtet (§ 7 I S. 2 UWG). Ferner kann sich die
Unlauterkeit von Haustürwerbung auch aus § 4 Nr. 1 bis 3 UWG sowie § 3 Abs. 3
i.V.m. Nr. 26 des Anhangs ergeben, z.B. wenn der Werbende den Besuch zu einer unangemessenen Einflussnahme auf den Kunden ausnutzt, die besonderen persönlichen
Umstände des Adressaten ausnutzt oder den kommerziellen Charakter des Besuchs
verschleiert.
Die Zusendung unbestellte Waren oder die Erbringung unbestellter Dienstleistungen unter Beifügung einer Zahlungsaufforderung fällt teilweise auch unter das Verbot unzumutbarer Belästigungen nach § 7 UWG.579 In diesen Fällen spekuliert der Unternehmer vornehmlich darauf, dass durch die Zusendung beim Adressaten ein potentieller Kaufwunsch geweckt wird oder dass aus Bequemlichkeit von der Zurücksendung
573
574
575
576
577
578
579
Vgl. hierzu: Sosnitza, WRP 2006, 1.
BGH GRUR 2004, 699 – Ansprechen in der Öffentlichkeit I; BGH GRUR 2005, 443 – Ansprechen in der Öffentlichkeit II; vgl. auch Köhler/Bornkamm, § 7 Rn. 69 ff.; Koch, in: Ullmann
jurisPK-UWG, § 7 Rn. 29 ff.
BGH GRUR 1960, 431 – Kfz-Nummernschilder.
BGH GRUR 2004, 699, 700 – Ansprechen in der Öffentlichkeit I.
Vgl. Köhler/Bornkamm, § 7 Rn. 38 ff.
BGH GRUR 2004, 699, 701 – Ansprechen in der Öffentlichkeit I.
BGH GRUR 1992, 855 – Gutscheinübersendung; OLG Köln NJW-RR 2002, 472.
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Länderbericht Deutschland
abgesehen wird und deswegen der Preis für die Ware bezahlt wird. Obwohl durch die
Einführung des § 241a BGB jegliche Ansprüche des Unternehmers gegen den Verbraucher im Falle unbestellter Leistungen ausgeschlossen werden,580 stellt die Zusendung
unbestellter Leistungen im Grundsatz weiterhin eine unlautere Geschäftshandlung
dar.581
Werbung im Internet, insbesondere durch sogenannte Pop-Up Fenster, kann auch
eine unzumutbare Belästigung nach § 7 UWG darstellen.582 Teilweise wird davon ausgegangen, dass Pop-Up Fenster grundsätzlich als unzumutbare Belästigung zu qualifizieren seien.583 Eine derart pauschale Betrachtungsweise wird den Besonderheiten der
Internetkommunikation jedoch nicht gerecht. Vielmehr müssen hier die gleichen
Wertungen herangezogen werden, die auch zum Ansprechen in der Öffentlichkeit gelten. Es kann keinen Unterschied machen, ob man in einer Einkaufsstraße vor einem
Schaufenster zu Werbezwecken angesprochen wird oder ob auf der Internetpräsenz
eines Onlineshops ein Pop-Up Fenster erscheint. Dementsprechend kann von einer
unlauteren Belästigung nur gesprochen werden, wenn dem Internet-Nutzer etwa
durch das ständige Öffnen weiterer Seiten das Verlassen der ursprünglich besuchten
Internetseite erheblich erschwert wird, das Schließen des Werbe-Pop-Up Fensters
durch eine irreführende Gestaltung erschwert wird oder auf den kommerziellen Charakter des Pop-Ups nicht hinreichend hingewiesen wird.584
b) Per se verbotene aggressive Geschäftspraktiken
Darüber hinaus sind auch die Nummern 25 bis 30 des im Rahmen der UWG-Novelle
2008 eingeführten Anhangs zu § 3 III UWG hier zu beachten, die per se unlautere
Verhaltensweisen erfassen. Wie bei den im Anhang aufgeführten speziellen Fällen irreführender geschäftlicher Handlungen ist auch hinsichtlich der aggressiven Geschäftspraktiken im Grundsatz davon auszugehen, dass durch die Neuregelung keine
Verschärfung des Lauterkeitsrechts in diesem Bereich stattgefunden hat. Einzig die
Regelung der Nummer 28 des Anhangs, die die direkte Werbung gegenüber Kindern
erfasst, scheint gegenüber der bisherigen Rechtslage (vgl. § 4 Nr. 2 UWG)585 strengere
Anforderungen an die Unternehmen zu stellen.586 Anders als bisher kommt es nämlich bei wortlautgetreuer Anwendung der Vorschrift nicht darauf an, ob die geschäftliche Unerfahrenheit von Kindern ausgenutzt wird. Vielmehr reicht die gezielt an Kinder gerichtete Aufforderung zum Kauf bereits als solche, um die Unlauterkeit zu begründen. Alternativ begründet auch die an Kinder gerichtete Aufforderung, Eltern
580
581
582
583
584
585
586
Vgl. Prütting/Wegen/Weinreich /Schmidt-Kessel, § 241a Rn. 1 ff.
Zu den Einzelheiten, Köhler/Bornkamm, § 7 Rn. 88 ff.
LG Düsseldorf MMR 2003, 486 – Exit-Pop-up-Fenster; Leupold/Bräutigam/Pfeiffer, WRP
2000, 575.
So Fezer /Mankowski, § 4-S. 1 2 Rn. 149 ff.; Schreibauer/Mulch, WRP 2005, 442, 456 f.
Wie hier: Bornkamm/Seichter, CR 2005, 747, 752; Köhler/Bornkamm, § 7 Rn. 93; vgl. auch
Koch, in: Ullmann jurisPK-UWG, § 7 Rn. 117 ff.
Siehe unten S. 148.
Zur Anwendung des Tatbestands in der Praxis, vgl. LG Berlin, VuR 2010, 106.
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IX. Aggressive Geschäftspraktiken
oder andere Erwachsene dazu zu überreden, die Produkte für sie zu kaufen, die Unlauterkeit. Damit enthält die Regelung zwar kein vollständiges Verbot von Werbung gegenüber Kindern. Allerdings wird Werbung mit gezielten Kaufappellen an Kinder zukünftig per se als unlauter anzusehen sein.587
Ob dem bisherigen liberaleren deutschen Verständnis in diesem Bereich vom
EuGH durch eine restriktive Auslegung dieses Spezialtatbestands Rechnung getragen
wird, bleibt abzuwarten. Systematisch verfehlt wäre es jedenfalls, die unbestimmten
Rechtsbegriffe der Vorschrift nach bestehenden nationalen Maßstäben auszulegen. So
ist insbesondere der Begriff der Kinder nicht anhand nationaler Vorschriften zu bestimmen;588 vielmehr ist hier eine autonom unionsrechtliche Auslegung geboten.589
Die europarechtliche Terminologie scheint dabei dafür zu sprechen, unter Kindern
im Sinne der Richtlinie Personen unter 14 Jahren zu verstehen.590 Eine solche Altersgrenze vermittelt zwar auf den ersten Blick Rechtssicherheit. Allerdings muss bedacht
werden, dass sich Werbeaussagen nur in den seltensten Fällen auf genaue Altersgruppen beschränken lassen. Im Zweifel wird der Unlauterkeitsvorwurf daher nicht am
Tatbestandsmerkmal der „Kinder“ scheitern.591
c) Sonstige Fälle unlauterer aggressiver Geschäftspraktiken
Neben den genannten Fällen unlauterer aggressiver Geschäftspraktiken spielen aggressive Aspekte auch bei einer Reihe von Beispieltatbeständen in § 4 UWG eine Rolle.
aa) § 4 Nr.1 UWG
Nach § 4 Nr. 1 UWG ist die Vornahme geschäftlicher Handlungen unlauter, die geeignet sind, die Entscheidungsfreiheit von Verbrauchern oder sonstigen Marktteilnehmern durch Ausübung von Druck, in menschenverachtender Weise oder durch
sonstige unangemessene Beeinflussung zu beeinträchtigen. Vorrangiger Zweck der
Vorschrift ist es demnach, die Entscheidungsfreiheit der potentiellen und tatsächlichen Geschäftspartner zu schützen, um dadurch einen funktionsfähigen Wettbewerb
aufrecht zu erhalten. Die Entscheidungsfreiheit der Geschäftspartner kann dabei auf
unterschiedlichste Art und Weise unlauter beeinflusst werden. Aufgrund dessen ist
auch der Wortlaut dieses Verbots sehr weit gefasst, um einen umfassenden Schutz zu
gewährleisten. Die nachfolgend dargestellten Fallgruppen stellen exemplarisch Geschäftspraktiken dar, in denen eine solche unangemessene unsachliche Beeinflussung
diskutiert wird. Bei der Beurteilung dieser Fallgruppen wird es in Zukunft entscheidend
587
588
589
590
591
Mankowski, WRP 2008, 421, 421 f.
So aber: Harte/Henning/Stuckel, Anh. § 3 Abs. 3 Nr. 28 Rn. 6; Hoeren, BB 2008, 1182, 1191.
Gebauer/Wiedmann/Busch, Unlauterer Wettbewerb, Rn. 209; Köhler/Bornkamm, Anh. zu
§ 3 III Nr. 28 Rn. 28.5; Mankowski, WRP 2007, 1398, 1398 ff.
Seichter, in: Ullmann JurisPK-UWG, Anh. zu § 3 Abs. 3 (Nr. 28) Rn. 3.
Seichter, in: Ullmann JurisPK-UWG, Anh. zu § 3 Abs. 3 (Nr. 28) Rn. 3.
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darauf ankommen, ob sie den Vorgaben der Artt. 8, 9 UGP-Richtlinie entsprechen.592
So fällt etwa die mehrdeutige Mitteilung eines Unternehmers an seinen Schuldner,
in der kommenden Zeit werde er in den Abendstunden von einem auf Inkasso spezialisierten Team Besuch erhalten, einen Fall einer unangemessenen Beeinträchtigung
im Sinne von § 4 Nr. 1 UWG dar, wenn durch die Umstände des Einzelfalls beim
Schuldner der Eindruck erweckt wird, dass die bestehende Forderung notfalls gewaltsam durchgesetzt werde.593 Hierbei dürfte es sich um eine richtlinienkonforme Auslegung von § 4 Nr. 1 UWG im Hinblick auf Artt. 8, 9 UGP-Richtlinie handeln.594
Auch Fälle übertriebenen Anlockens können nach § 4 Nr. 1 UWG unlauter
sein.595 Der Wortlaut der Bestimmung zeigt dabei, dass nicht jede unsachliche Beeinflussung des Umworbenen unlauter ist, sondern nur solche, die ein unangemessenes
Maß erreicht. Die Frage der Angemessenheit hat hierbei einen Wandel durch die Aufhebung des Rabattgesetzes und der Zugabeverordnung erfahren.596 Während nämlich
unter Geltung dieser Vorschriften schon geringfügige Geschenke als übertriebenes
Anlocken gewertet wurden, ist heute nach Maßgabe des neuen Verbraucherleitbildes
festzustellen, ob bei der Entscheidung der angesprochenen Verkehrskreise aufgrund
der Zugabe jede Rationalität der Nachfrageentscheidung in den Hintergrund tritt.597
Dies kann insbesondere der Fall sein, wenn der Umworbene über den tatsächlichen
Wert der „verschenkten“ Zugabe irregeführt wird.598
Unlauter kann auch der Einsatz aleatorischer Reize sein.599 Dies gilt nach der
Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs aber nur dann, wenn das Ausnutzen des
menschlichen Spieltriebs den Kaufentschluss des Verbrauchers nachhaltig beeinflusst
und so der Kaufentschluss so gut wie nicht mehr von sachlichen Erwägungen getragen
wird, sondern tatsächlich vom Streben nach der in Aussicht gestellten Gewinnchance.600 Dabei kann selbst der Umstand, dass der Werbende unter bestimmten Konditionen den Preis für die gekaufte Ware ganz erlässt, für sich genommen eine Unlauterkeit
nach § 4 Nr. 1 UWG nicht begründen. Es müssen vielmehr weitere Umstände hinzukommen, um eine unlautere Beeinflussung anzunehmen.601
Eine sonstige unangemessene unsachliche Einflussnahme im Sinne von § 4 Nr. 1
UWG kann auch Wertreklame sein.602 Der Begriff der Wertreklame besagt, dass ein
Unternehmer nicht mit Worten, sondern mit Werten Werbung treibt und etwas verschenkt, um damit für den entgeltlichen Absatz seiner Waren oder die entgeltliche
Erbringung seiner Dienstleistungen zu werben.603 Unter den Begriff fallen also alle
592
593
594
595
596
597
598
599
600
601
602
Vgl. Köhler, GRUR 2008, 841, 843; Steinbeck, WRP 2008, 865, 866 ff.
OLG München GRUR-RR 2010, 50 – Besuch durch Inkasso-Team.
Vgl. Gebauer/Wiedmann/Busch, Unlauterer Wettbewerb, Rn. 94 f.
Vgl. BGH GRUR 2004, 960 – 500 DM-Gutschein für Autokauf.
Berlit, WRP 2001, 349.
BGH GRUR 2004, 344 – Treue-Punkte.
Harte/Henning/Stuckel, § 4 Nr. 1 Rn. 116.
BGH GRUR 2004, 249 – Umgekehrte Versteigerung im Internet.
BGH GRUR 2009, 875 – Jeder 100. Einkauf gratis; GRUR 2007, 981 – 150% Zinsbonus.
OLG Hamm GRUR-RR 2009, 313, 314 – Europameisterschaft.
BGH GRUR 2004, 602 – 20 Minuten Köln; BGH WRP 2004, 746 – Zeitung zum Sonntag.
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IX. Aggressive Geschäftspraktiken
Verkaufsförderungsmaßnahmen durch Gewährung von geldwerten Vergünstigungen.604 Hier ist jedoch wiederum zu beachten, dass aufgrund des gewandelten Verbraucherleitbildes nur noch selten davon ausgegangen werden kann, dass eine Wertreklame die Rationalität der Verbraucherentscheidung ausschalten kann.605 Die Unlauterkeit kann aber dann gegeben sein, wenn die Bedingungen für die Inanspruchnahme
der Vergünstigung unklar, unvollständig oder für die angesprochenen Verkehrskreise
irreführend sind.
Eine weitere an § 4 Nr. 1 UWG zu messende Fallgruppe stellt die gefühlsbezogene
Werbung dar. Darunter versteht man Werbemaßnahmen, die an die Hilfsbereitschaft,
die soziale Verantwortung oder an Gefühle der Mildtätigkeit des Umworbenen appellieren. Derartige Werbung ist nicht von vornherein unlauter.606 Im Gegenteil ist im
Grundsatz davon auszugehen, dass sich Werbung nicht auf Sachinformationen über
die Qualität der angebotenen Produkte beschränken muss, sondern auch wettbewerbsfremde Interessen des Adressaten (z.B. ökologische Produktion, soziale Verantwortung
etc.) ansprechen darf.607 Allerdings können im Einzelfall besondere Umstände zur Gefühlsbezogenheit der Werbung hinzutreten, die eine Unlauterkeit derartiger Werbung
begründen. Hier haben zwei Fallgestaltungen die Rechtsprechung in der jüngeren Vergangenheit besonders beschäftigt.608 Zum einen wurde die Unlauterkeit gefühlbetonter Werbung in Fällen behandelt, in denen der Werbende irreführende Angaben über
den Anlass und das Ausmaß seines sozialen Engagements machte.609 Derartige irreführende Aussagen sind überdies auch an § 5 UWG zu messen. Zum anderen wurde die
Rechtsprechung intensiv mit der Werbekampagne eines bekannten Textil-Händlers
beschäftigt. Diese Werbekampagne bestand vornehmlich aus Werbefotos, die auf globale gesellschaftliche Probleme hinwiesen und dadurch auf das Unternehmen aufmerksam machten. Diese Fotos stellten unter anderem ölverschmierte Vögel, arbeitende Kinder in der Dritten Welt und ein menschliches Gesäß mit dem Stempelaufdruck „H.I.V. Positive“ dar. Der Bundesgerichtshof untersagte diese Werbung in
Deutschland und sah sie zunächst als unlautere gefühlsbetonte Werbung an.610 Diese
Urteile wurden vom Bundesverfassungsgericht unter Hinweis auf die Meinungsfreiheit
(Art. 5 GG) des werbenden Unternehmens aufgehoben.611 Das Bundesverfassungsgericht kam hier zu dem Ergebnis, dass ein vom Elend der Welt unbeschwertes Gemüt
603
604
605
606
607
608
609
610
611
Harte/Henning /Stuckel, § 4 Nr. 1 Rn. 31.
BGH GRUR 2003, 538 – Gesamtpreisangebot; BGH GRUR 2006, 161 – Zeitschrift mit Sonnenbrille.
Köhler/Bornkamm, § 4 Rn. 1.43.
Anders noch die frühere Rechtsprechung zu § 1 UWG 1909: BGH GRUR 1987, 534 –
McHappy-Tag.
BGH GRUR 2006, 75 – Artenschutz; Köhler/Bornkamm, § 4 Rn. 1.157.
Zu den übrigen Unlauterkeitskriterien, Köhler/Bornkamm, § 4 Rn. 1.158 ff.
BGH GRUR 2006, 75 – Artenschutz; BGH GRUR 2007, 247 – Regenwaldprojekt I; BGH GRUR
2007, 251 – Regenwaldprojekt II.
BGH GRUR 1995, 598 – Ölverschmutzte Ente; BGH GRUR 1995, 595 – Kinderarbeit; BGH
GRUR 1995, 600 – H.I.V. POSITIVE.
BVerfG GRUR 2001, 170 – Benetton; BVerfG GRUR 2003, 442 – Benetton-Werbung II; vgl.
auch H.-J. Ahrens, JZ 2004, 763.
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Länderbericht Deutschland
des Bürgers kein Belang sei, zu dessen Schutz der Staat die Meinungsfreiheit des werbenden Unternehmens einschränken dürfe, solange nicht ekelerregende, Furcht einflößende oder jugendgefährdende Bilder gezeigt würden. Die Unlauterkeit kann in den
genannten Fällen auch nicht unter dem Aspekt einer menschenverachtenden Werbung hergeleitet werden, da dies erst dann anzunehmen ist, wenn der Betroffene durch
die Werbung verspottet, verhöhnt oder erniedrigt werden soll.612 Aufgrund der nunmehr bestehenden Harmonisierung des Lauterkeitsrechts durch das europäische
Recht, werden die Möglichkeiten des Bundesverfassungsgerichts zur Einflussnahme
auf die Fachgerichtsbarkeit zurückgedrängt. In Zukunft werden diese Fälle am Maßstab
der europäischen Grundrechte vom EuGH zu beurteilen sein.
Unter § 4 Nr. 1 UWG können auch Fälle der Laienwerbung fallen.613 Darunter
versteht man den Einsatz von Privatleuten als Kundenwerber gegen Gewährung einer
Werbeprämie.614 Während diese Form der Werbung unter Geltung des Rabattgesetzes
und der Zugabeverordnung eine wichtige Rolle spielte, ist sie nach Aufhebung dieser
Gesetze nicht mehr derart relevant. Der Bundesgerichtshof geht daher davon aus, dass
Laienwerbung aufgrund des gewandelten Verbraucherleitbildes nur noch in seltenen
Fällen wegen der Gewährung nicht unerheblicher Werbeprämien unlauter sein kann.
Die Unlauterkeit dieser Werbemethode könne aber weiterhin bestehen, wenn die Gefahr einer Irreführung oder einer unzumutbaren Belästigung durch die Laienwerber
besteht, oder diese ihr Prämieninteresse verheimlichen (sog. Verdeckte Laienwerbung).615
bb) § 4 Nr. 2 UWG
Nach § 4 Nr. 2 UWG ist das gezielte Ausnutzen von Schwächen der Verbraucher
durch einen Unternehmer als unlauter zu qualifizieren.616 Hierunter fallen etwa Fälle,
in denen Kinder gezielt durch Werbung beeinflusst werden und ihre mangelnde wirtschaftliche Erfahrung ausgenutzt wird.617 Neben diesen Fällen, die neuerdings auch
anhand von Nr. 28 des Anhangs zu beurteilen sind, erfasst § 4 Nr. 2 UWG auch das
Ausnutzen von körperlichen und geistigen Gebrechen,618 geschäftlicher Unerfahrenheit, Leichtgläubigkeit, Angst oder Zwangslagen.619
Die Vorschrift setzt damit eine Reihe von Bestimmungen der UGP-Richtlinie um,
die jeweils bei der richtlinienkonformen Rechtsanwendung zu beachten sind. Soweit
612
613
614
615
616
617
618
619
Köhler/Bornkamm, § 4 Rn. 1.144.
Harte/Henning/Stuckel, § 4 Nr. 1 Rn. 162 ff.
BGH GRUR 1995, 122, 123 – Laienwerbung für Augenoptiker.
BGH WRP 2006, 1370 – Kunden werben Kunden.
Zu den Einzelheiten: Harte/Henning /Stuckel, § 4 Nr. 2 Rn. 1 ff.; Loschelder, in: Gloy/Loschelder/Erdmann, Hdb. WettbewerbsR, § 49.
BGH GRUR 2006, 776 – Werbung für Klingeltöne; BGH GRUR 2008, 183 – Tony Taler; BGH
GRUR 2009, 71 – Sammelaktion für Schoko-Riegel; zusammenfassend hierzu: T. Fuchs, WRP
2009, 255.
Harte/Henning/Stuckel, § 4 Nr. 1 Rn. 20.
Vgl. BGH GRUR 1998, 1041 – Verkaufsveranstaltung in Aussiedlerwohnheim.
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IX. Aggressive Geschäftspraktiken
die Vorschrift die Unlauterkeit durch die Ausnutzung von Angst oder Zwangslagen
begründet, stellt sie eine besondere Ausprägung des Verbots aggressiver Geschäftspraktiken nach Art. 8 UGP-Richtlinie dar.620 Soweit die Vorschrift die Unlauterkeit
im Übrigen auf Basis besonderer Schwächen der angesprochenen Verkehrskreise begründet, setzt die Vorschrift auch die Vorgaben des Art. 5 III UGP-Richtlinie um, der
insoweit gegenüber dem bisherigen deutschen Verständnis einen weitergehenden
Schutz solcher Gruppen vorsieht.621
cc) § 4 Nr. 6 UWG
§ 4 Nr. 6 UWG enthält bislang ein Kopplungsverbot für Preisausschreiben oder Gewinnspielen. Danach ist es unlauter, die Teilnahme an solchen Spielen vom Erwerb
einer Ware oder der Inanspruchnahme von Dienstleistungen abhängig zu machen. Eine solche Abhängigkeit kann rein rechtlicher, aber auch tatsächlicher Natur sein.622
Von diesem Verbot sind jedoch solche Fälle nicht erfasst, bei denen das Preisausschreiben oder Gewinnspiel naturgemäß mit der Ware oder Dienstleistung verbunden sind,
beispielsweise Preisausschreiben innerhalb einer Zeitschrift.623 Zweck dieses Verbotes
ist es, im Zusammenspiel mit § 4 Nr. 5 UWG zu verhindern, dass Verbraucher in Ihrer
Kaufentscheidung für ein Produkt durch das gekoppelte Spiel unzulässig beeinflusst
werden. Auf europäischer Ebene sollte dieses Problem im Rahmen einer Verordnung
über Verkaufsförderung geregelt werden.624 Der seinerzeit von der Kommission vorgelegte Verordnungsentwurf ist mittlerweile jedoch zurückgezogen worden, wobei die
damit verbundene Regelungsproblematik nicht Einzug in die UGP-Richtlinie gehalten hat.
Ein generelles Kopplungsverbot, wie es § 4 Nr. 6 UWG vorsieht, ist nach der neuesten Rechtsprechung des EuGH nicht mit der UGP-Richtlinie vereinbar.625 Die Regelung ist daher nicht mehr anzuwenden und es ist damit zu rechnen, dass sie bei
nächster Gelegenheit vom deutschen Gesetzgeber aufgehoben wird.626 Dem Versuch,
ein generelles Kopplungsverbot, wie es § 4 Nr. 6 UWG vorsieht, über die Generalklausel der UGP-Richtlinie herzuleiten, hat der EuGH dabei eine Absage erteilt.627 Es ist
daher in diesem Bereich mit einer weitgehenden Liberalisierung zu rechnen. Die Unlauterkeit der Kopplung von Gewinnspielen oder Preisausschreibungen mit dem Erwerb von Waren kann jedoch in bestimmten Konstellationen auch weiterhin unlauter
sein, wenn zur Kopplung weitere unlauterkeitsbegründende Umstände hinzutreten.628
620
621
622
623
624
625
626
627
628
Seichter, in: Ullmann jurisPK-UWG, § 4 Nr. 2 Rn. 12.
Seichter, in: Ullmann jurisPK-UWG, § 4 Nr. 2 Rn. 12.
Götting/Nordemann/Ackermann, § 4 Nr. 6 Rn. 6.9.
Harte/Henning /Bruhn, § 4 Nr. 6 Rn. 19.
Vgl. Cortes/Roger, EuLF 2002, 327.
EuGH Urt. v. 14.1.2010 – C-304/08, GRUR 2010, 244 – Plus Warenhandelsgesellschaft.
Scherer, NJW 2010, 1849, 1850.
Vgl. Köhler, GRUR 2009, 626; Ders., GRUR 2010, 177; Vollmerhaus, GPR 2009, 224.
Scherer, NJW 2010, 1849, 1850.
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Länderbericht Deutschland
X. Die Durchsetzung lauterkeitsrechtlicher Ansprüche
Literatur: H.-J. Ahrens, 21 Thesen zur Störerhaftung im UWG und im Recht des Geistigen Eigentums, WRP 2007, 1281; Ders., Zum Ersatz der Verteidigungsaufwendungen bei unberechtigter Abmahnung, NJW 1982, 2477; Beater, Mitbewerber und sonstige unternehmerische Marktteilnehmer,
WRP 2009, 768; Busch, Welche Folgen hat die Umsetzung der Lauterkeitsrichtlinie für das Vertragsrecht? Der Regierungsentwurf zur Umsetzung der Richtlinie 2005/29 /EG aus der Perspektive des
Gemeinschaftsprivatrechts, GPR 2008, 158; Deutsch, Die Schutzschrift in Theorie und Praxis, GRUR
1990, 327; Döring, Die Haftung für eine Mitwirkung an Wettbewerbsverstößen nach der Entscheidung des BGH „Jugendgefährdende Medien bei eBay“, WRP 2007, 1131; Eichelberger, Die Drittunterwerfung im Wettbewerbsrecht, WRP 2009, 270; Fürst, Störerhaftung – Fragen der haftungsbegründenden Zumutbarkeit und Konsequenzen – Das Ende von eBay?, WRP 2009, 378; Gärtner, Der
Gewinnabschöpfungsanspruch gem. § 10 UWG, GRUR Int. 2008, 817; Heidenreich, Zum Kostenerstattungsanspruch für eine wettbewerbsrechtliche Gegenabmahnung, WRP 2004, 660; Jackowski, Der Missbrauchseinwand nach § 8 Abs. 4 UWG gegenüber einer Abmahnung, WRP 2010,
38; Köhler, Neubeurteilung der wettbewerbsrechtlichen Haftung des Rechtsnachfolgers eines Unternehmers?, WRP 2010, 475; Ders., Die notarielle Unterwerfungserklärung – eine Alternative zur
strafbewehrten Unterlassungserklärung, GRUR 2010, 6; Ders., „Der Mitbewerber“ – Vom schwierigen Umgang mit einer Legaldefinition, WRP 2009, 499; Leible/Sosnitza, Haftung von Internetauktionshäusern – reloaded, NJW 2007, 3324; Loewenheim, Bereicherungsansprüche im Wettbewerbsrecht, WRP 1997, 913; Pokrant, Zum Verhältnis von Gewinnabschöpfung gemäß § 10 und Schadensersatz nach § 9 UWG, FS Ullmann (2006), 813; Schulz, Die Rechte des Hinterlegers einer
Schutzschrift, WRP 2009, 1472; Ders., Die neuen Verjährungsvorschriften des UWG, WRP 2005,
274; Teplitzky, Zum Streitgegenstand der wettbewerbsrechtlichen Unterlassungsklage, WRP 2010,
181; Ders., Die jüngste Rechtsprechung des BGH zum wettbewerbsrechtlichen Anspruchs- und Verfahrensrecht X, GRUR 2003, 272; Ders., Neue Entwicklungen beim wettbewerbs- und markenrechtlichen Auskunftsanspruch, FS Tilmann (2003), 913; v. Ungern-Sternberg, Grundfragen des Streitgegenstands bei wettbewerbsrechtlichen Unterlassungsklagen, GRUR 2009, 901, 1009; WimmerLeonhardt, UWG-Reform und Gewinnabschöpfungsanspruch oder: Die Wiederkehr der Drachen,
GRUR 2004, 12.
1. Grundsätze der Rechtsdurchsetzung im deutschen Lauterkeitsrecht
Die Rechtsdurchsetzung lauterkeitsrechtlicher Ansprüche erfolgt im deutschen Recht
vor allem zivilrechtlich auf Grundlage der Ansprüche in den §§ 8-10 UWG, die nach
den Vorschriften der Zivilprozessordnung (ZPO) durchgesetzt werden. Daneben sieht
das deutsche Recht für besonders schwerwiegende Fälle unlauterer Geschäftspraktiken
auch strafrechtliche Sanktionen vor (§§ 16-19 UWG). Verknüpft mit der strafrechtlichen Sanktionierung sind dabei besondere Befugnisse der Ermittlungsbehörden, die
beispielsweise Durchsuchungs- und Beschlagnahmeaktionen nach den Vorschriften
der Strafprozessordnung (StPO) ermöglichen.629
Diese Sanktionssysteme dienen insoweit der Umsetzung der Artt. 11-13 der UGPRichtlinie, die wirksame und abschreckende Sanktionen bei unlauteren Geschäfts629
Ullmann, in: jurisPK-UWG, Einleitung Rn. 106 f.
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X. Die Durchsetzung lauterkeitsrechtlicher Ansprüche
praktiken fordern, aber den Mitgliedsstaaten die Wahl der Mittel zur Erreichung dieses
Ziels überlassen (vgl. Artikel 11 I Unterabsatz 3 UGP-RL). Nach Auffassung des deutschen Gesetzgebers bestand daher auch im Rahmen der Umsetzung der UGP-Richtlinie kein Änderungsbedarf am deutschen Rechtsfolgenregime für Wettbewerbsverstöße, da die bisherigen Vorschriften einen ausreichenden Schutz gewährleisteten.630 Insbesondere sah er entgegen teilweise geäußerter Kritik in der Literatur631 im Hinblick
auf Erwägungsgrund 9 der UGP-Richtlinie eine Einführung individueller Klagerechte
von Verbrauchern als nicht erforderlich an.632
Schließlich ist noch auf die verwaltungsrechtlichen Instrumente zum Schutz des
lauteren Wettbewerbs nach § 20 UWG und dem Verbraucherschutzdurchsetzungsgesetz (VSchDG) hinzuweisen, die jedoch nur eine untergeordnete Rolle spielen.
2. Zivilrechtliche Rechtsfolgen unlauterer geschäftlicher Handlungen
a) Der Unterlassungsanspruch
In der lauterkeitsrechtlichen Praxis besitzt der Unterlassungsanspruch nach § 8 I
UWG eine besondere Relevanz. Er dient zur Bekämpfung drohender Wettbewerbsverstöße sowie zur Verhinderung der Wiederholung von Wettbewerbsverstößen. Voraussetzung für den Unterlassungsanspruch ist neben der Aktiv- und Passivlegitimation die
Begehungs- bzw. Wiederholungsgefahr hinsichtlich eines Wettbewerbsverstoßes. Ein
Verschulden wird nicht vorausgesetzt.
Die Aktivlegitimation bzw. Anspruchsberechtigung für den Unterlassungsanspruch ist abschließend in § 8 III UWG geregelt. Danach sind neben den Mitbewerbern
(§ 8 I Nr. 1 i.V.m. § 2 I Nr. 3 UWG) auch rechtsfähige Verbände zur Förderung gewerblicher oder selbständiger beruflicher Interessen (§ 8 III Nr. 2 UWG),633 qualifizierte
Einrichtungen i.S.v. § 4 UKlaG (§ 8 III Nr. 3 UWG)634 sowie die Industrie-, Handels
und Handwerkskammern (§ 8 III Nr. 4 UWG) anspruchsberechtigt.
Die Geltendmachung der Ansprüche steht jedoch gem. § 8 IV UWG unter dem
Vorbehalt, dass sie nicht rechtsmissbräuchlich ist. Dies ist insbesondere der Fall, wenn
die Geltendmachung hauptsächlich dazu dient, gegen den Zuwiderhandelnden einen
Anspruch auf Ersatz der Aufwendungen oder hinsichtlich der Kosten der Rechtsverfolgung entstehen zu lassen.635 Die damit vorgesehene Missbrauchskontrolle erfasst
dabei sowohl die gerichtliche als auch die außergerichtliche Geltendmachung der in
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Begr. RegE BT-Drs. 16/10145, S. 18 f.
Vgl. Augenhofer, Individualrechtliche Ansprüche des Verbrauchers bei unlauterem Wettbewerbsverhalten des Unternehmers, WRP 2006, 169 ff.
Begr. RegE BT-Drs. 16/10145, S. 19.
Zu den Anforderungen an die Aktivlegitimation nach § 8 Abs. 3 Nr. 2, im Einzelnen: Harte/
Henning /Bergmann, § 8 Rn. 267 ff.
Eine aktuelle Übersicht zu den qualifizierten Einrichtungen in Deutschland findet sich auf
der Internetseite des Bundesamts für Justiz (www.bundesjustizamt.de).
Vgl. BGH GRUR 2009, 1180 – 0,00 Grundgebühr; OLG Frankfurt GRUR-RR 2007, 56 –
sprechender Link; OLG Köln GRUR-RR 2009, 183 – Hauptsacheklage nach Widerspruch; AG
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§ 8 I UWG genannten Ansprüche, wie sich bereits aus der Bezugnahme auf den Aufwendungsersatzanspruch gem. § 12 I S. 2 UWG ergibt.636 § 8 IV UWG entfaltet nach
herrschender Meinung keine materiell-rechtliche Wirkung. Vielmehr wird dem Kläger bereits die Prozessführungsbefugnis abgesprochen, so dass eine Klage, mit der ein
Unterlassungsanspruch rechtsmissbräuchlich geltend gemacht wird, vom Gericht als
unzulässig abgewiesen wird.637
Unzweifelhaft materiell-rechtliche Anspruchsvoraussetzung ist hingegen die Begehungsgefahr, sei es in Form der Erstbegehungsgefahr (§ 8 I S. 2 UWG) oder in Form
der Wiederholungsgefahr (§ 8 I S. 1 UWG).638 Die Erstbegehungsgefahr, also die objektiv vorliegende Gefahr einer ernstlich drohenden und unmittelbar bevorstehenden
Gefahr eines Wettbewerbsverstoßes, ist dabei vom Anspruchssteller darzulegen, zu begründen und gegebenenfalls zu beweisen. Sie endet, sobald der Anspruchsgegner durch
sein Verhalten unmissverständlich zum Ausdruck gebracht hat, dass er von dem drohenden wettbewerbswidrigen Verhalten Abstand genommen hat.639 Die Abgabe einer
strafbewährten Unterlassungserklärung ist insoweit, anders als im Falle eines Verletzungsunterlassungsanspruchs, nicht erforderlich. Bei einem Verletzungsunterlassungsanspruch besteht nämlich aufgrund des vormaligen Wettbewerbsverstoßes eine widerlegbare Vermutung für die Wiederholungsgefahr.640 Diese Vermutung kann nur unter
engen Voraussetzungen vom Verletzer widerlegt werden. Eine Möglichkeit zur Widerlegung der Vermutung besteht in der Abgabe einer strafbewehrten unwiderruflichen
und bedingungslosen Unterlassungserklärung (Unterwerfungserklärung).641 Darunter ist eine vertragliche Unterlassungsverpflichtung hinsichtlich des konkreten
Wettbewerbsverstoßes zu verstehen, die durch ein in der Höhe angemessenes Vertragsstrafeversprechen abgesichert ist und dadurch den ernstlichen Willen des Unterlassungsschuldners erkennen lässt, die wettbewerbswidrige Handlung nicht erneut zu begehen.642 Darüber hinaus entfällt die Wiederholungsvermutung nach herrschender
Meinung auch durch ein ergangenes rechtskräftiges Unterlassungsurteil, sofern der
Verletzer sich bei erneuter Inanspruchnahme auf den Wegfall der Wiederholungsge-
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Schleiden GRUR-RR 2009, 156 – Rechtsmißbräuchliche Abmahnung; vgl. auch Jackowski,
WRP 2010, 38 ff.
Daraus ist jedoch nicht der Schluss zu ziehen, dass der Aufwendungsersatzanspruch als solcher der gleichen Missbrauchskontrolle unterliegt, wie die gesetzlichen Abwehransprüche
nach § 8 Abs. 1 UWG, s. hierzu BGH GRUR 2007, 164, 165 – Telefax-Werbung II.
BGH GRUR 2006, 243, 243 ff. – MEGA SALE; Fezer /Büscher, § 8 Rn. 283; Piper /Ohly/Sosnitza, § 8 Rn. 155; MünchKommUWG /Fritzsche, § 8 Rn. 476; Ahrens/Jestaedt, Der Wettbewerbsprozess, Kap. 20 Rn. 4 f.
Vgl. BGH GRUR 1973, 208, 209 – Neues aus der Medizin; Seichter, in: Ullmann jurisPK-UWG,
§ 8 Rn. 34 ff.
Dazu ausführlich: Fritzsche, in: Gloy/Loschelder/Erdmann, Hdb. WettbewerbsR, § 79
Rn. 47 f.
St. Rspr., vgl. BGH GRUR 1979, 553, 554 – Luxus-Ferienhäuser; BGH GRUR 1996, 290, 291 –
Wegfall der Wiederholungsgefahr I; BGH GRUR 1997, 379, 380 – Wegfall der Wiederholungsgefahr II.
Im Einzelnen, vgl. Ahrens /Achilles, Der Wettbewerbsprozess, Kap. 7 ff.
Piper/Ohly, 4. Aufl. § 8 Rn. 10 ff.
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X. Die Durchsetzung lauterkeitsrechtlicher Ansprüche
fahr als Titelfolge beruft und sein Verhalten nicht erneut als wettbewerbskonform verteidigt.643 Gleichermaßen entfällt die Wiederholungsgefahr auch durch eine einstweilige Verfügung, sofern der Schuldner durch Abschlusserklärung diese als endgültige
Regelung anerkannt hat.644 Als weitere Fallgruppen, in denen die Wiederholungsgefahr im Einzelfall entfallen kann, sind Gesetzesänderungen,645 entschuldbare Rechtsirrtümer646 sowie einzigartige nicht wiederholbare Umstände647 in der Rechtsprechung
behandelt worden. In der neueren Literatur wird ferner die Möglichkeit diskutiert, die
Wiederholungsgefahr durch eine notarielle Unterwerfungserklärung (vgl. § 794 I
Nr. 5 ZPO) auszuräumen.648 Für den Abgemahnten hätte diese Möglichkeit vor allem
den Vorteil, dass die Vertragsstrafe, die er ansonsten möglicherweise an seinen Mitbewerber zahlen müsste, durch das Ordnungsgeld nach § 890 ZPO ersetzt würde, welches
der Staatskasse zufließt. Gleichzeitig würde durch die notarielle Unterwerfungserklärung jedoch teilweise auch eine Missbrauchsgefahr geschaffen, da im Rahmen des Ordnungsgeldes nach § 890 ZPO keine Haftung für das Verschulden von Erfüllungsgehilfen (§ 278 BGB) besteht.649 Diese Lücke könnte dafür streiten, dass kein ernstlicher
Wille des Unterlassungsschuldners besteht, die unlautere geschäftliche Handlung zukünftig zu unterlassen.650
Schließlich ist der Anspruch gegen den passivlegitimierten Schuldner zu richten.
Schuldner des Unterlassungsanspruchs ist derjenige, der als Täter, Mittäter, Anstifter
oder Gehilfe i.S.v. § 830 BGB das wettbewerbswidrige Verhalten verwirklicht. Neben
der Haftung von natürlichen Personen kommt auch eine Haftung juristischer Personen in Betracht, denen nach §§ 31, 89 BGB das Verhalten ihrer Organe zugerechnet
wird.651 Darüber hinaus sieht § 8 II UWG auch eine Zurechnung an den Betriebsinhaber für Wettbewerbsverstöße vor, die von einem Mitarbeiter oder Beauftragten begangen wurden.
Über diese Beteiligungsformen hinaus wird vor allem von der Rechtsprechung im
Interesse eines möglichst effektiven Wettbewerbsschutzes die Haftung auf sog. Störer
ausgedehnt. Unter einem Störer sind dabei Personen zu verstehen, die ohne Täter oder
Teilnehmer der Verletzungshandlung zu sein, in zurechenbarer Weise willentlich und
adäquat kausal an der Herbeiführung des Wettbewerbsverstoßes mitgewirkt haben.652
In einer jüngeren Entscheidung hat der Bundesgerichtshof von der in der Literatur
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BGH GRUR 2003, 450, 452 – Begrenzte Preissenkung; Teplitzky, GRUR 2003, 272, 275.
BGH GRUR 2005, 692, 694 – „statt“-Preis.
BGH GRUR 2002, 717, 718 f. – Vertretung der Anwalts-GmbH.
BGH GRUR 1994, 443, 445 – Versicherungsvermittlung im öffentlichen Dienst.
BGH GRUR 1992, 318, 319 – Jubiläumsverkauf; kritisch hierzu Köhler /Bornkamm, § 8
Rn. 1.41; Fritzsche, in: Gloy/Loschelder/Erdmann, Hdb. WettbewerbsR, § 79 Rn. 17.
Vgl. Köhler, GRUR 2010, 6 ff.
Vgl. Musielak/Lackmann, § 890 ZPO Rn. 5.
Vgl. OLG Frankfurt GRUR-RR 2003, 198, 199; Fezer /Büscher, § 8 Rn. 71; a.A. Köhler /Bornkamm, § 12 Rn. 1.156.
Zur wettbewerbsrechtlichen Haftung des Rechtsnachfolgers eines Unternehmens, vgl. Köhler, WRP 2010, 475 ff.
BGH GRUR 2006, 775, 777 – Rechtsanwalts-Ranglisten; OLG Frankfurt AfP 2009, 262 ff.;
OLG Dresden MMR 2009, 773.
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häufig als zu unbestimmt kritisierten Störerhaftung Abstand genommen und eine Täterhaftung aufgrund der Verletzung von Verkehrspflichten konstruiert.653 Ob damit die
Störerhaftung im Wettbewerbsrecht in der Praxis der Gerichte generell obsolet wird,
bleibt abzuwarten.654 Der Bundesgerichtshof scheint davon auszugehen, dass die Störerhaftung nicht mehr auf lauterkeitsrechtliche Verstöße anzuwenden ist.655
b) Der Beseitigungsanspruch
Eng verknüpft mit dem Unterlassungsanspruch ist der Beseitigungsanspruch (§ 8 I
UWG). Dieser dient der Beseitigung eines durch den Wettbewerbsverstoß entstandenen anhaltenden Störungszustands. Anders als beim Schadensersatzanspruch geht es
hier also um die Beseitigung einer andauernden Störung. Neben Aktiv- und Passivlegitimation, an die die gleichen Maßstäbe wie beim Unterlassungsanspruch zu stellen
sind, erfordert der Beseitigungsanspruch eine durch Wettbewerbsverstoß eingetretene
und fortdauernde Störung, deren Rechtswidrigkeit nicht aufgrund einer speziellen
Duldungspflicht entfällt. Ein Verschulden setzt der Beseitigungsanspruch ebenso wenig wie der Unterlassungsanspruch voraus.
c) Der Schadensersatzanspruch
Während der Unterlassungs- und Beseitigungsanspruch vornehmlich auf die Abwehr
andauernder oder zukünftig drohender Wettbewerbsverstöße gerichtet sind, bezweckt
der in § 9 UWG kodifizierte Schadensersatzanspruch den Ausgleich von Schäden, die
durch einen abgeschlossenen Wettbewerbsverstoß eingetreten sind.656 Voraussetzung
für diesen Schadensersatzanspruch sind ein tatbestandsmäßiger und rechtswidriger
Wettbewerbsverstoß sowie das Verschulden des Verletzers in Form von Vorsatz oder
Fahrlässigkeit, wobei bezüglich der anzuwendenden Sorgfalt grundsätzlich ein strenger
Maßstab angesetzt wird.657 Soweit es um die Zurechnung fremden Verschuldens geht,
ist grundsätzlich auf die allgemeinen zivilrechtlichen Vorschriften (§ 831 BGB, §§ 31,
89 BGB) zurückzugreifen.658 Eine §§ 14 VII, 128 III MarkenG entsprechende Zurechnungsvorschrift ohne Exkulpationsmöglichkeit kennt das Lauterkeitsrecht für Schadensersatzansprüche indes nicht. Ein Grund für diese Differenzierung ist allerdings
kaum ersichtlich.659 Darüber hinaus wird die in § 831 I S. 2 BGB vorgesehene Exkul653
BGH GRUR 2007, 890, 893 f. – Jugendgefährdende Medien bei eBay.
654
Vgl. Harte/Henning/Bergmann, § 8 Rn. 63 ff.; Köhler/Bornkamm, § 8 Rn. 2.11 ff.; Seichter, in:
Ullmann jurisPK-UWG, § 8 Rn. 119 ff.; H.-J. Ahrens, WRP 2007, 1281 ff.; Döring, WRP 2007,
1131 ff.; Fürst, WRP 2009, 378 ff.; Leible/Sosnitza, NJW 2007, 3324 ff.
BGH GRUR 2011, 152 – Kinderhochstühle im Internet.
Zu den verfahrensrechtlichen Besonderheiten einer lauterkeitsrechtlichen Schadensersatzklage, vgl. Ahrens/Loewenheim, Der Wettbewerbsprozess, Kap. 69 Rn. 1 ff.
Fezer/Koos, § 9 Rn. 14; Harte/Henning /Goldmann, § 9 Rn. 39.
Begr. RegE UWG 2004, BT-Drs. 15/1487, S. 22.
Vgl. MünchKommUWG /Fritzsche, § 8 Rn. 295.
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X. Die Durchsetzung lauterkeitsrechtlicher Ansprüche
pationsmöglichkeit des Geschäftsherrn in der Literatur auch vor dem Hintergrund der
Vorgaben des Gemeinschaftsrechts kritisiert.660 Handeln verantwortliche Personen
periodischer Druckschriften, so sind sie aufgrund des Presseprivilegs gem. § 9 S. 2
UWG nur für vorsätzliche Wettbewerbsverstöße verantwortlich.661 Diese Privilegierung ist dabei Ausfluss der grundrechtlich garantierten Pressefreiheit, Art. 5 I S. 2
GG.
Anders als die Abwehransprüche in § 8 I UWG steht der Schadensersatzanspruch
dabei nur dem Mitbewerber i.S.v. § 2 I Nr. 3 UWG zu.662 Institutionen gem. § 8 III
Nr. 2- 4 UWG sind hinsichtlich des Schadensersatzanspruchs nicht aktivlegitimiert.
Rechtsfolge des Anspruchs aus § 9 UWG ist der Ersatz des durch den Wettbewerbsverstoß entstandenen Schadens, wobei sich Art und Umfang der Ersatzpflicht mangels
spezieller Regelungen im UWG nach den allgemeinen zivilrechtlichen Vorschriften
der §§ 249 ff. BGB richten. Dementsprechend kann grundsätzlich Naturalrestitution
gem. § 249 I BGB verlangt werden, also die Wiederherstellung des Zustandes wie er
ohne das schädigende Ereignis bestanden hätte. Sofern eine Naturalrestitution nicht
möglich ist, kann gem. § 251 I BGB Wertersatz verlangt werden, etwa zum Ersatz von
Rechtsverfolgungskosten oder Marktverwirrungsschäden. Schließlich stellt gem.
§ 252 BGB auch der aufgrund des Wettbewerbsverstoßes entgangene Gewinn einen
ersatzfähigen Schaden dar.
Darüber hinaus kann die sogenannte dreifache Schadensberechnung im Lauterkeitsrecht eine Rolle spielen, sofern es um Verstöße gegen den lauterkeitsrechtlichen
Nachahmungsschutz (§ 4 Nr. 9 UWG),663 um den Verrat von Geschäfts- und Betriebsgeheimnissen (§ 17 UWG)664 oder die Verwertung von Vorlagen (§ 18 UWG)665 geht.
Bei sonstigen Wettbewerbsverstößen ist die dreifache Schadensberechnung hingegen
mangels Vergleichbarkeit mit dem Eingriff in ein Recht des geistigen Eigentums nicht
anwendbar.666 Die dreifache Schadensberechnung ermöglicht dem Verletzten ein
Wahlrecht bei der Schadensberechnung dahingehend, ob er den konkreten Schaden
gem. §§ 249 ff. BGB, die Zahlung einer angemessenen Lizenzgebühr (Lizenzanalogie)
oder die Herausgabe des vom Verletzer erzielten Reingewinns verlangt. Das Wahlrecht des Gläubigers besteht dabei solange, bis der Schuldner dem Zahlungsverlangen
des Gläubigers durch Erfüllung nachgekommen ist oder der Anspruch rechtskräftig
zuerkannt wird.667 Wählt der Gläubiger die Berechnung des Schadens nach der Lizenzanalogie, wird zur Ermittlung des Schadens eine fiktive Lizenzgebühr zugrundegelegt,
die in der konkreten Konstellation zwischen den Parteien vermutlich vereinbart worden wäre. Der Sache nach handelt es sich bei dieser Berechnung um einen §§ 812 I S. 1
660
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Vgl. Busch, GPR 2008, 158.
Hierzu umfassend, H.-J. Ahrens, in: Gloy/Loschelder/Erdmann, Hdb. WettbewerbsR, § 69
Rn. 70 ff.
Zum Mitbewerberbegriff oben S. 111, sowie Beater, WRP 2009, 768; Köhler, WRP 2009, 499.
BGH GRUR 2007, 431, 432 – Steckverbindergehäuse.
BGH GRUR 1977, 539, 541 – Prozessrechner; BGH WRP 2008, 938.
KG GRUR 1988, 702, 703 – Corporate Identity; Harte/Henning/Harte-Bavendamm, § 18
Rn. 11; überholt insoweit BGH GRUR 1960, 554, 556 – Handstrickverfahren.
BGH GRUR 1972, 189, 189 ff. – Wandsteckdose II.
BGH GRUR 1993, 55, 57 – Tchibo/Rolex II.
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Alt. 2, 818 II BGB entsprechenden Bereicherungsanspruch,668 den der Verletzte in
diesen Fällen natürlich auch direkt geltend machen kann, was für ihn insbesondere
von Vorteil ist, wenn der Verletzer den Wettbewerbsverstoß nicht zu vertreten hat.669
Außerdem steht dem Verletzten die Möglichkeit offen, die Herausgabe des Verletzergewinns zu verlangen. Der Verletzergewinn darf dabei nicht mit dem beim Verletzten
entgangenen Gewinn (§ 252 BGB) verwechselt werden. Es geht hier vielmehr um den
Gewinn, den der Verletzer durch den Wettbewerbsverstoß erlangt hat. Die Tatsache,
dass beim Verletzer ein Gewinn durch den Wettbewerbsverstoß realisiert wurde, streitet dabei dafür, dass dem Verletzten ein Schaden durch entgangene Geschäfte entstanden ist.670 Bei der Berechnung des Verletzergewinns sind vom erzielten Erlös die Material- und Produktionskosten sowie in eingeschränktem Maße die Gemeinkosten abzuziehen.671
d) Der Gewinnabschöpfungsanspruch
Da der Schadensersatzanspruch nach § 9 UWG nur Mitbewerbern zusteht und diese
häufig aufgrund schwierig einzuschätzender Erfolgsaussichten oder aufgrund eines geringen Schadens von der Geltendmachung des Schadensersatzanspruchs absehen, hat
der deutsche Gesetzgeber mit § 10 UWG einen Gewinnabschöpfungsanspruch672 in
das UWG eingeführt, um zu verhindern, dass Unternehmen Gewinne aufgrund von
Wettbewerbsverstößen erhalten bleiben.673 Die dogmatische Einordnung dieses Anspruchs ist bisher nicht geklärt, da er gleichzeitig Elemente des Bereicherungs- und
Deliktsrechts aufweist.674 Zur Geltendmachung des Gewinnabschöpfungsanspruchs
sind die in § 8 II Nr. 2- 4 UWG genannten Verbände berechtigt. Bisher hat der Gewinnabschöpfungsanspruch in der Praxis eine eher untergeordnete Rolle gespielt, was
insbesondere auch dadurch begründet ist, dass der beim Verletzer abgeschöpfte Gewinn nicht an den Anspruchssteller fließt, sondern an den Bundeshaushalt. Dadurch
wird zwar einer möglichen Missbrauchsgefahr hinsichtlich der Geltendmachung dieses
Anspruchs effektiv begegnet, aber gleichzeitig auch verhindert, dass die anspruchsberechtigten Verbände Rücklagen bilden können, um das nicht zu unterschätzende Prozessrisiko abzumildern.675
668
BGH GRUR 2006, 143, 145 – Catwalk.
669
Schwippert, in: Gloy/Loschelder/Erdmann, Hdb. WettbewerbsR, § 82 Rn. 41; Loewenheim,
1997, 913; kritisch MünchKommUWG /Fritzsche, § 9 Rn. 126.
BGH GRUR 1993, 55, 57 – Tchibo/Rolex II.
Zur eingeschränkten Abzugsfähigkeit von Gemeinkosten, BGH GRUR 2007, 431 – Steckverbindungsgehäuse.
Vgl. Ahrens /Loewenheim, Der Wettbewerbsprozess, Kap. 74 Rn. 1 ff.; Gärtner, GRUR Int.
2008, 817; Wimmer-Leonhardt, GRUR 2004, 12.
Ein solcher Gewinnabschöpfungsanspruch hat mit der 7. GWB-Novelle 2005 auch Eingang
in das deutsche Kartellrecht gefunden, vgl. § 34a GWB.
Vgl. Pokrant, FS Ullmann, 2006, 813.
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X. Die Durchsetzung lauterkeitsrechtlicher Ansprüche
e) Auskunftsansprüche
Die dargestellten Ansprüche werden durch Auskunftsansprüche gegen den Verletzer
flankiert, um die Durchsetzung zu erleichtern. Bei den Auskunftsansprüchen ist insoweit zwischen dem in § 8 V UWG i.V.m. § 13 I UKlaG geschriebenen Auskunftsanspruch und dem ungeschriebenen wettbewerbsrechtlichen Auskunftsanspruch zu differenzieren.
Der durch die Verweisung in § 8 V UWG auf § 13 I UKlaG vorgesehene (geschriebene) Auskunftsanspruch erleichtert den nach § 8 II Nr. 2- 4 UWG für einen
Unterlassungsanspruch berechtigten Organisationen die Durchsetzung möglicher
Unterlassungsansprüche.676 Mitbewerber sind bezüglich dieses Anspruchs nicht aktivlegitimiert. Sie sind vielmehr auf den ungeschriebenen wettbewerbsrechtlichen
Auskunftsanspruch angewiesen. Rechtsgrundlage für diesen Auskunftsanspruch ist das
durch den Wettbewerbsverstoß begründete Rechtsverhältnis in Verbindung mit dem
Grundsatz von Treu und Glauben gemäß § 242 BGB.677 Eine darüber hinausgehende
generelle Auskunftspflicht kennt das deutsche Recht nicht.678 Bei den Auskunftsansprüchen wird regelmäßig zwischen akzessorischen und nicht akzessorischen Auskunftsansprüchen differenziert, je nachdem, ob Schuldner des durchzusetzenden
Hauptanspruchs der Auskunftspflichtige selbst oder ein Dritter ist, wobei diese
Differenzierung aufgrund der gleichen Voraussetzungen für den Anspruch grundsätzlich
entbehrlich ist.679 Voraussetzung für den Auskunftsanspruch ist dabei stets, dass die
Informationsbeschaffung für den Gläubiger unmöglich oder unzumutbar ist, er ferner in
entschuldbarer Weise über das Bestehen und den Umfang seines Rechts im Ungewissen
ist und der Schuldner unter Abwägung der beiderseitigen Interessen unschwer Auskunft erteilen kann.680 Die Auskunftspflicht erstreckt sich dabei nur auf den Umfang der
Verletzungshandlung. Ist diese allerdings festgestellt, kann darüber hinaus zeitlich
unbeschränkt681 über Verletzungshandlungen Auskunft verlangt werden, die im Kern
gleichartig sind.682 Der Auskunftsanspruch kann im Prozess entweder selbständig
verfolgt werden oder mit dem Hauptanspruch im Wege einer Stufenklage gem.
§ 254 ZPO verknüpft werden.
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Das hohe Prozessrisiko hinsichtlich der Geltendmachung des Gewinnabschöpfungsanspruchs ist insbesondere Folge des tatbestandlichen Vorsatzerfordernisses, vgl. LG Bonn
GRUR-RR 2006, 111 – Unzutreffendes Testurteil.
Im Einzelnen: Harte/Henning /Bergmann, § 8 Rn. 325 ff.; Köhler /Bornkamm, § 8 Rn. 5.1 ff.
BGH GRUR 2001, 841, 842 – Entfernung der Herstellungsnummer II; BGH GRUR 1994, 630,
631 ff. – Cartier-Armreif; OLG Hamm GRUR-RR 2010, 295 – Warnhinweis.
BGH GRUR 1978, 54, 55 – Preisauskunft.
Harte/Henning /Bergmann, Vorbem. zu §§ 8 ff. Rn. 28; Köhler/Bornkamm, § 9 Rn. 4.1.
BGH GRUR 1994, 630, 631 f. – Cartier-Armreif; vgl. außerdem Teplitzky, FS Tilmann,
2003, 913.
Vgl. BGH GRUR 2007, 877 – Windsor Estate.
BGH GRUR 2006, 504, 506 – Parfümtestkäufe.
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Länderbericht Deutschland
f) Zur Verjährung der lauterkeitsrechtlichen Ansprüche
Die Beseitigungs- und Unterlassungsansprüche (§ 8 UWG), der Schadensersatzanspruch (§ 9 UWG) sowie der Anspruch auf Ersatz der für die Abmahnung erforderlichen Aufwendungen (§ 12 I S. 2 UWG) verjähren nach der Rechtsprechung des
BGH unabhängig von den unlauterkeitsbegründenden Umständen gemäß § 11 I
UWG in sechs Monaten.683 Dabei beginnt gem. § 11 II UWG die Verjährungsfrist,
wenn der Anspruch entstanden und der Gläubiger Kenntnis von den anspruchsbegründenden Tatsachen sowie der Person des Schuldners erlangt oder ohne grobe Fahrlässigkeit hätte erlangen müssen. Unabhängig von der Kenntnis des Gläubigers verjähren die genannten Ansprüche und auch der Gewinnabschöpfungsanspruch innerhalb von drei Jahren von der Entstehung an (§ 11 IV UWG). Schadensersatzansprüche
verjähren gemäß § 11 IV UWG nach 10 Jahren von ihrer Entstehung an, spätestens
jedoch in 30 Jahren nach der Verletzungshandlung (§ 11 III UWG). Die Verjährung
des Auskunftsanspruchs ist in § 11 UWG nicht geregelt und dementsprechend mangels eindeutiger gesetzlicher Regelung umstritten. Während die Rechtsprechung bisher davon ausgeht, dass der Auskunftsanspruch als Hilfsansprüche der Verjährung des
Hauptanspruchs unterliegt,684 geht eine in der Literatur im Vordringen befindliche
Gegenmeinung davon aus, dass in diesem Fall auf die zivilrechtliche Regelverjährung
des § 195 BGB zurückgegriffen werden müsste.685
3. Zur gerichtlichen Geltendmachung lauterkeitsrechtlicher Ansprüche
Wettbewerbsstreitigkeiten sind grundsätzlich bürgerlichrechtliche Rechtsstreitigkeiten i.S.v. § 13 GVG, die der ordentlichen Gerichtsbarkeit zugewiesen sind.686 Streitwertunabhängig ist das Landgericht in erster Instanz sachlich zuständig (§ 13 I S. 1
UWG).687 Berufungsinstanz ist das übergeordnete Oberlandesgericht, der Bundesgerichtshof ist Revisionsinstanz. Die örtliche Zuständigkeit richtet sich abweichend
von den allgemeinen Regeln (§§ 12 ff. ZPO) ausschließlich nach § 14 UWG. Danach
ist das Gericht der gewerblichen Niederlassung des Beklagten zuständig oder hilfsweise
das Gericht in dessen Bezirk der Wohnsitz oder der inländische Aufenthaltsort des
Beklagten liegt. Alternativ hat der Kläger gem. § 14 II S. 1 UWG die Wahl das Gericht
des Ortes anzurufen, in dem der Wettbewerbsverstoß begangen wurde. Der Begehungs683
684
685
686
687
Dies gilt auch für den lauterkeitsrechtlichen Nachahmungsschutz, BGH GRUR 1999, 751,
754 – Güllepumpen; allgemein zur Verjährung der lauterkeitsrechtlichen Ansprüche: Schulz,
WRP 2005, 274.
BGH GRUR 1972, 558, 560 – Teerspritzmaschinen; BGH GRUR 1974, 99, 101 – Brünova.
Götting/Nordemann/Menebröcker, § 11 Rn. 13; Harte/Henning /Schulz, § 11 Rn. 19; Köhler/
Bornkamm, § 11 Rn. 1.17.
Zu den Abgrenzungsfragen, vgl. Ahrens /Bornkamm, Der Wettbewerbsprozess, Kap. 15
Rn. 1 ff.; Köhler/Bornkamm, § 12 Rn. 2.1 ff.
Nach § 13 II UWG sind die Landesregierungen ermächtigt sog. Konzentrationsverordnungen
zu erlassen und damit für Bezirke mehrerer Landgerichte ein Landgericht für Wettbewerbssachen zu bestimmen.
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X. Die Durchsetzung lauterkeitsrechtlicher Ansprüche
ort ist dabei sowohl der Ort, an dem die unlautere Handlung vorgenommen wurde, als
auch der Ort, an dem sich die Wirkungen der unlauteren Handlung auswirken (Erfolgsort).688 Für die nach § 8 III Nr. 2- 4 UWG aktivlegitimierten Organisationen besteht dieses Wahlrecht nur eingeschränkt (vgl. § 14 II S. 2 UWG). In Bezug auf die
funktionelle Zuständigkeit verweist § 13 I S. 2 UWG explizit auf § 95 I Nr. 5 GVG,
wonach beim Landgericht die Kammer für Handelssachen für Wettbewerbsstreitigkeiten zuständig ist.
Im Übrigen finden die allgemeinen Vorschriften der Zivilprozessordnung für Wettbewerbsstreitigkeiten Anwendung, soweit das UWG keine abweichenden speziellen
Regelungen bereit hält.689 Dies gilt insoweit sowohl für das Erkenntnis- als auch für
das Zwangsvollstreckungsverfahren. Prozessuale Problemschwerpunkte haben sich dabei insbesondere im Rahmen der Frage nach der Bestimmtheit des Klageantrags gem.
§ 253 II Nr. 2 ZPO690 und dem Rechtsschutzbedürfnis bei Feststellungsklagen691 herauskristallisiert.
In der Praxis der Gerichte spielt in Wettbewerbsstreitigkeiten vor allem das Verfahren im einstweiligen Rechtsschutz eine besondere Rolle, da Wettbewerbsverstöße
etwa in Form von irreführenden Werbekampagnen in der Regel nur kurze Zeit andauern und betroffene Mitbewerber daher auf ein sehr schnelles Verfahren angewiesen
sind, um mögliche Unterlassungsansprüche effektiv durchzusetzen. Für den Erlass einer einstweiligen Verfügung ist das Gericht der Hauptsache zuständig (§§ 937 I, 943
ZPO i.V.m. § 13 UWG), in dringenden Fällen kann die Verfügung auch vom Amtsgericht erlassen werden (§ 942 ZPO). Für das Verfahren im einstweiligen Rechtsschutz
gelten grundsätzlich auch die allgemeinen Vorschriften. Dementsprechend muss der
Antragssteller grundsätzlich Verfügungsgrund und Verfügungsanspruch glaubhaft machen. Erleichtert wird das Verfahren für den Antragssteller dadurch, dass § 12 II UWG
eine gesetzliche (widerlegliche) Vermutung für die Dringlichkeit bzw. Eilbedürftigkeit
des Antrags enthält. Davon unabhängig muss der Antragssteller aber den Verfügungsanspruch, also den materiell rechtlichen Anspruch, glaubhaft machen. Der Antragssteller muss dabei jedoch beachten, dass er einem verschuldensunabhängigen Schadensersatzanspruch aus § 945 ZPO ausgesetzt ist, sofern sich die einstweilige Verfügung
als von Anfang an unberechtigt herausstellt oder sie aufgehoben wird.692
Die einstweilige Verfügung kann durch Urteil693 oder durch Beschluss,694 also ohne
vorangegangene mündliche Verhandlung, erlassen werden. In Anbetracht der mögli688
689
690
691
692
693
694
Zu den Einzelheiten, vgl. Harte/Henning /Retzer, § 14 Rn. 48; Piper/Ohly/Sosnitza, § 14
Rn. 10 ff.
Etwa bzgl. der Urteilsveröffentlichung oder der Streitwertbemessung (§ 12 III, IV UWG); vgl.
hierzu ausführlich Schwippert, in: Gloy/Loschelder/Erdmann, Hdb. WettbewerbsR, § 82
Rn. 1 ff.; sowie Spätgens, in: Gloy/Loschelder/Erdmann, Hdb. WettbewerbsR, § 87 Rn. 1 ff.
Vgl. BGH GRUR 2008, 726 – Duftvergleich mit Markenparfum; BGH GRUR 2008, 1121 –
Freundschaftswerbung im Internet; OLG Zweibrücken WRP 2009, 647 – Hinreichend bestimmter
Klageantrag; Teplitzky, WRP 2010, 181 ff.; v. Ungern-Sternberg, GRUR 2009, 901 ff., 1009 ff.
Vgl. Spätgens, in: Gloy/Loschelder/Erdmann, Hdb. WettbewerbsR, § 86.
Vgl. Spätgens, in: Gloy/Loschelder/Erdmann, Hdb. WettbewerbsR, § 113.
Vgl. Ahrens /Scharen, Der Wettbewerbsprozess, Kap. 52 Rn. 1 ff.
Vgl. Ahrens /Scharen, Der Wettbewerbsprozess, Kap. 51 Rn. 1 ff.
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Länderbericht Deutschland
cherweise gravierenden wirtschaftlichen Konsequenzen für den Antragsgegner ist zu
beachten, dass er die Möglichkeit hat, bei dem Gericht, bei dem seiner Ansicht nach
eine einstweilige Verfügung gegen ihn beantragt wird, eine sogenannte Schutzschrift
zu hinterlegen.695 In dieser Schutzschrift, die in Anbetracht des grundgesetzlich verbürgten Anspruchs auf rechtliches Gehör (Art. 103 I GG) vom Gericht in seiner Entscheidungsfindung zu berücksichtigen ist, kann der Antragsgegner seine eigene
Rechtsposition ausführen und Gründe anführen, die gegen einen Erlass der einstweiligen Verfügung ohne vorherige mündliche Verhandlung sprechen.696
4. Zur außergerichtlichen Geltendmachung lauterkeitsrechtlicher Ansprüche
Neben der gerichtlichen Durchsetzung wettbewerbsrechtlicher Ansprüche spielt im
Wettbewerbsrecht die außer- bzw. vorprozessuale Durchsetzung von Abwehransprüchen eine besondere Rolle. Dabei steht das gewohnheitsrechtlich entstandene und
mittlerweile in § 12 I UWG ansatzweise kodifizierte Institut der Abmahnung eine besondere Rolle. Die Abmahnung hat dabei sowohl materielle als auch prozessuale Wirkungen.697
Zum einen dient sie dazu, den Abgemahnten zur Abgabe einer strafbewährten Unterlassungserklärung zu bewegen und dadurch einen Gerichtsstreit zu vermeiden, wobei die Kosten einer berechtigten Abmahnung vom Abgemahnten zu tragen sind.698
§ 12 I S. 2 UWG stellt insoweit einen eigenständigen Anspruch dar, der den früher auf
die Grundsätze der berechtigten Geschäftsführung ohne Auftrag gestützten Erstattungsanspruch für die Abmahnkosten ablöst.699 Ein Aufwendungsersatzanspruch nach
§ 12 I S. 2 UWG besteht dabei auch nur für eine Abmahnung, die vor Einleitung eines
gerichtlichen Verfahrens ausgesprochen wird. Wird die Abmahnung nach Erlass einer
gerichtlichen Verbotsverfügung ausgesprochen, sind die dafür erforderlichen Kosten
vom Abmahnenden zu tragen.700 Im Falle einer unberechtigten Abmahnung ist kein
Kostenerstattungsanspruch für den Abmahnenden gegeben. Auf der anderen Seite
stellt sich die Frage, ob dem zu Unrecht Abgemahnten ein Erstattungsanspruch hinsichtlich eigener Verteidigungskosten zusteht. Ein Schadensersatzanspruch aus § 823 I
BGB wegen Eingriffs in den eingerichteten und ausgeübten Gewerbebetrieb wird im
Wettbewerbsrecht anders als in Fällen unberechtigter Schutzrechtsverwarnung701 von
der Rechtsprechung und der herrschenden Meinung in der Literatur abgelehnt.702
Überwiegend wird ein Anspruch auf Erstattung dieser Kosten aus § 678 BGB hergeleitet.703 Diese Ansicht erscheint indes fraglich, da in der vorliegenden Situation an sich
695
696
697
698
699
700
701
Zum Institut der Schutzschrift umfassend: Ahrens/Spätgens, Der Wettbewerbsprozess, Kap. 6
Rn. 1 ff.
Deutsch, GRUR 1990, 327; Schulz, WRP 2009, 1472.
Vgl. Ahrens /Deutsch, Der Wettbewerbsprozess, Kap. 1 Rn. 1 ff.
Zu den Besonderheiten bei Drittunterwerfungen, vgl. Eichelberger, WRP 2009, 270.
Fezer /Büscher, § 12 Rn. 43 ff.; MünchKommUWG /Ottofülling, § 12 Rn. 134 ff.; vgl. BGH
GRUR 2008, 928 – Abmahnkostenersatz.
BGH WRP 2010, 258 – Schubladenverfügung.
Siehe oben S. 114.
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X. Die Durchsetzung lauterkeitsrechtlicher Ansprüche
kein Zurechnungszusammenhang besteht, der es rechtfertigen würde, dem Abmahnenden diese Kosten aufzuerlegen.704 Ferner scheint die Heranziehung des § 678
BGB seit der Kodifikation des § 12 UWG fragwürdig, da nunmehr nicht mehr ohne
weiteres davon ausgegangen werden kann, dass der Abmahnende ein Geschäft des
Abgemahnten im Sinne der §§ 677 ff. BGB führt.705
Die Abmahnung dient im Übrigen dazu, einen möglicherweise gutgläubig Handelnden bösgläubig zu machen und dadurch die Verteidigungsmöglichkeiten des Abgemahnten in einem Folgeprozess zu beschränken.706 Schließlich kann eine vorprozessuale Abmahnung auch Sinn machen, um dem Abgemahnten die Möglichkeit der
sofortigen Anerkenntnis und die damit verbundene Kostenfolge des § 93 ZPO zu versperren.707
Für den Verletzer bringt die Abmahnung aber grundsätzlich auch Vorteile, wenn
sie mit einem Angebot auf Abschluss einer Unterwerfungserklärung verknüpft ist.
Gibt er nämlich eine strafbewährte Unterwerfungserklärung ab, so entfällt die ansonsten durch einen bereits begangenen Wettbewerbsverstoß vermutete Wiederholungsgefahr.708
Neben dem außergerichtlichen Verfahren im Zusammenhang mit einer Abmahnung ist ferner auf die Möglichkeit der Inanspruchnahme einer Einigungsstelle gem.
§ 15 UWG hinzuweisen. Diese bei den Industrie- und Handelskammern einzurichtenden Einigungsstellen bieten die Möglichkeit einer außergerichtlichen Streitbeilegung
durch einen Vergleich unter Beteiligung eines unparteiischen Dritten.709
5. Strafrechtliche und verwaltungsrechtliche Sanktionierung
unlauterer Geschäftspraktiken
Eine strafrechtliche Sanktionierung von Wettbewerbsverstößen sieht das UWG nur
in besonderen Ausnahmefällen vor. Neben den im UWG enthaltenen Strafvorschriften der §§ 16-19 UWG sind außerdem die §§ 299-302 StGB zu beachten, die wettbe702
BGH GRUR 1969, 479, 481 – Colle de Cologne; BGH GRUR 1994, 841, 843 – Suchwort; BGH
GRUR 2011, 152 – Kinderhochstühle im Internet; MünchKommUWG /Ottofülling, § 12
703
OLG München WRP 2008, 1384, 1385 – Gegenabmahnungskosten; OLG Hamburg NJW-RR
Rn. 107; Piper/Ohly/Sosnitza, § 12 Rn. 31.
704
705
706
707
708
709
2003, 857; Harte/Henning /Brüning, § 12 Rn. 110; Köhler /Bornkamm, § 12 Rn. 1.73; Piper/
Ohly/Sosnitza, § 12 Rn. 32.
Vgl. BGH NJW 2007, 1458; Ahrens /Achilles, Der Wettbewerbsprozess, Kap. 3 Rn. 10; H.-J.
Ahrens, NJW 1982, 2477, 2478.
MünchKommUWG /Ottofülling, § 12 Rn. 110; Heidenreich, WRP 2004, 660, 662.
Köhler /Bornkamm, § 12 Rn. 1.4 f.
Nach der Rechtsprechung des BGH trägt der Schuldner, der sich darauf beruft für die Klageerhebung gegen ihn keinen Anlass gegeben zu haben, die Gefahr des Zugangs der Abmahnung, BGH GRUR 2007, 629 – Zugang des Abmahnschreibens.
Hierzu oben S. 152.
Vgl. Ahrens /Ahrens, Der Wettbewerbsprozess, Kap. 13 Rn. 1 ff.; Loschelder, in: Gloy/Loschelder/Erdmann, Hdb. WettbewerbsR, § 94.
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werbsrechtliche Materien regeln. Die Anwendung dieser Vorschriften richtet sich materiellrechtlich nach den Regelungen des Strafgesetzbuchs (StGB); ihre prozessuale
Durchsetzung erfolgt nach den Regeln der Strafprozessordnung (StPO). Bei den Strafvorschriften im UWG handelt es sich dabei mit Ausnahme von § 16 UWG um relative
Antragsdelikte, die nur auf Antrag oder von Amts wegen bei einem besonderen Strafverfolgungsinteresse verfolgt werden.
Eine untergeordnete Rolle spielt in Deutschland die verwaltungsrechtliche Durchsetzung wettbewerbsrechtlicher Vorschriften. Im Falle grenzüberschreitender Wettbewerbsverstöße im gemeinsamen Binnenmarkt kann jedoch das Verbraucherschutzdurchsetzungsgesetz (VSchDG) eine Rolle spielen, welches zur Durchführung der
EG Verordnung Nr. 2006/2004 über die Zusammenarbeit zwischen den für die Durchsetzung der Verbraucherschutzgesetze zuständigen nationalen Behörden dient und dem
Bundesamt für Verbraucherschutz und Lebensmittelsicherheit als zuständige Behörde
Kompetenzen zur Bekämpfung wettbewerbswidrigen Verhaltens einräumt.710
Mit dem erst kürzlich inkraftgetretenen Gesetz zur Bekämpfung unerlaubter Telefonwerbung711 wurde das Sanktionssystem durch einen systemfremden Ordnungswidrigkeitentatbestand in § 20 UWG ergänzt, der von der Bundesnetzagentur als zuständiger Verwaltungsbehörde im Sinne von § 36 Abs. 1 Nr. 1 OWiG durchgesetzt werden
soll. Dieser Ordnungswidrigkeitentatbestand ist auf Fälle unlauterer Telefonwerbung
gegenüber Verbrauchern beschränkt, gilt also auch nicht für die übrigen Formen belästigender Werbung.712 Es bleibt abzuwarten, ob damit der Grundstein für eine grundlegende Systemänderung im Sanktionssystem des deutschen Lauterkeitsrechts gelegt
wurde. Zwar ist die behördliche Durchsetzung des Lauterkeitsrechts in Europa vorherrschend und daher unter Harmonisierungsaspekten eine Anpassung zu erwägen.713 Allerdings ist nicht ersichtlich, inwieweit das dezentral, zivilrechtlich organisierte deutsche System weniger effektiv in der Bekämpfung unlauteren Wettbewerb sein soll.
Vielmehr zeigt gerade ein Vergleich mit dem Kartellrecht, wo auf europäischer Ebene
vermehrt eine zivilrechtliche Rechtsverfolgung präferiert wird,714 dass eine schwerpunktmäßig verwaltungsrechtliche Rechtsdurchsetzung kein zukunftsfähiges Modell
darstellt.
710
711
712
713
714
Zur administrativen Durchsetzung wettbewerbsrechtlicher Vorschriften auf Grundlage des
VSchDG, vgl. Köhler/Bornkamm, § 12 Rn. 7.1-7.13.
Begr. RegE, BT-Drs. 16/10734, S. 13 f.
Vgl. Piper /Ohly/Sosnitza, § 20 Rn. 1.
Vgl. Leistner, Bestand und Entwicklungsperspektiven des Europäischen Lauterkeitsrechts,
ZEuP 2009, 56, 77.
Grünbuch der Europäischen Kommission zu Schadensersatzklagen wegen Verletzung des EUWettbewerbsrechts KOM(2005) 672 endg.; EuGH Urt. v. 13.7.2006, C-295/04 bis C-298/04,
EuZW 2006, 529 – Manfredi.
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Länderbericht England
Sandra Müller
“This alleged tort really amounts to saying that there has been competition, and adding the old
nursery cry: ‘It’s unfair!’ To that I would only cite my nanny’s great nursery proposition: ‘The
world is a very unfair place and the sooner you get to know it the better’. In my view, unfair
competition is not a wrong known to the law.”
(Swedac v. Magnet & Southerns [1989] F.S.R. 243 (249) per Harman J.)
I. Rechtliche Grundlagen
Literatur: Carty, Inverse Passing Off: A Suitable Addition to Passing Off? [1993] E.I.P.R. 370;
Dilution and passing off: cause for concern [1996] L.Q.R. 632; Cornish, Unlauterer Wettbewerb
und Verbraucherschutz in England, GRUR Int. 1973, 679; Der Geheimnisschutz im englischen
Recht, GRUR Int. 1975, 153; Cornish/Llewelyn, Intellectual Property: Patents, Copyright, Trade
Marks and Allied Rights, 6. Auflage, London 2007; Davis, Unfair Competition Law in the United
Kingdom, in: Hilty/Henning-Bodewig (Hrsg.), Law against Unfair Competition: Towards a New
Paradigm in Europe? Berlin 2007, 183; Jergolla, Die britische Werbeselbstkontrolle anhand des
Advertising Code – eine Gegenüberstellung mit der Rechtslage in Deutschland, WRP 2003, 41;
Der neue British Code of Advertising, Sales Promotion and Direct Marketing, Ein Überblick über
die Novellierung der Regeln des britischen Werbeselbstkontrollsystems der Advertising Standards
Authority und des Committee of Advertising Practice, WRP 2003, 606; Ohly, Richterrecht und
Generalklausel im Recht des unlauteren Wettbewerbs, Ein Methodenvergleich des englischen und
des deutschen Rechts, Köln 1997; Scalan, Personality, endorsement and everything: the modern
law of passing off and the myth of the personality right [2003] E.I.P.R. 563; Russel, The Elderflower
Champagne case: is this a further expansion of the tort of passing off? [1993] E.I.P.R. 379; Ulmer /
von Westerholt, Das Recht des unlauteren Wettbewerbs in den Mitgliedstaaten der Europäischen
Gemeinschaft, Band IV, Vereinigtes Königreich von Großbritannien und Nordirland, München/
Köln 1981; de Vrey, Towards a European Unfair Competition Law, A Clash Between Legal Families,
Leiden/Boston 2006; Wadlow, The Law of Passing-off, London 2004; Winfield and Jolowicz on
Tort, 17. Auflage, London 2006.
1. Die Regelungsschichten im Überblick
Das englische Recht kennt weder ein zivilrechtliches Verbot unlauteren Wettbewerbs
noch ein systematisch geschlossenes unfair competition law. Der Schutz vor unlauteren
Geschäftspraktiken wird vielmehr durch mehrere, historisch gewachsene Regelungsschichten gewährleistet, welche erst in ihrer Zusammenschau einen Gehalt aufweisen,
der dem kontinental-europäischen Lauterkeitsrechtsverständnis entspricht. Mitbe163
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werber- und Verbraucherschutz stellen weitgehend voneinander getrennte Materien
dar. Während sich Mitbewerber untereinander fernab immaterialgüterrechtlich geschützter Positionen auf verschiedene von der Rechtsprechung entwickelte economic
torts berufen können, hat der englische Gesetzgeber den Verbraucherschutz in diversen
Spezialgesetzen geregelt, die traditionell dem Straf- bzw. Verwaltungsrecht zuzuordnen
sind. Daneben existiert ein umfassendes System der Werbeselbstkontrolle auf der Basis
von Verhaltenskodizes, deren Einhaltung durch verschiedene Selbstkontrollorgane,
insbesondere die Advertising Standards Authority (ASA), überwacht wird.
a) Mitbewerberschutz über economic torts
Die mit den Anfängen der Industrialisierung zu Beginn des 19. Jahrhunderts verbundene Zunahme des Wettbewerbs und das dadurch ausgelöste Bedürfnis der Mitbewerber, gegen missbräuchliche Geschäftspraktiken der Konkurrenz gerichtlich vorzugehen, führte zur Herausbildung verschiedener deliktsrechtlicher Tatbestände, welche
unter dem Begriff „economic torts“ zusammengefasst werden. In verfeinerter Form sind
sie auch heutzutage noch geltendes Recht. In der Rechtspraxis klar im Vordergrund
steht die Klage wegen passing off, welche, nachdem sie von der Rechtsprechung immer
weiter ausgedehnt wurde, ein beeindruckendes Spektrum an Fallvarianten und
Schutzrichtungen abdeckt. Bei böswillig aufgestellten Falschbehauptungen greift der
Tatbestand malicious falsehood. Eng damit verwandt ist die defamation-Klage, die sich
gegen alle Arten von Anschwärzung oder Herabsetzung richtet. Breach of confidence ist
einschlägig, soweit es um den Schutz vertraulicher Informationen, insbesondere von
Unternehmensgeheimnissen, geht. Die Blankettnorm breach of statutory duty erfasst
Schädigungen durch Rechtsbruch. Zu nennen sind schließlich zwei Tatbestände, deren dogmatische Struktur und Verhältnis zueinander das House of Lords im Jahr 2007
in der Entscheidung OBG v. Allan näher beleuchtet hat: Inducement of breach of contract und interference with business by unlawful means.
aa) Passing off
Der Grundfall des passing off wird von Lord Halsbury in der vielzitierten Entscheidung
Reddaway v. Banham aus dem Jahre 1896 wie folgt umrissen: „… nobody has any right to
represent his goods as the goods of somebody else“.1 Schutzgut ist der gute Ruf oder goodwill,
den das Unternehmen am Markt erworben hat,2 und zwar in Gestalt der Identitäts1
2
Reddaway v. Banham [1896] A.C. 199 (204); vgl. aber schon Perry v. Truefitt (1842) 6 Beav 66
(73): „a man is not to sell his own goods under the pretence that they are the goods of another man“
per Lord Langdale.
Klarstellend insoweit Lord Diplock in Star Industrial Co. Ltd. v. Yap Kwee Kor [1976] F.S.R.
256 (269): „A passing off action is a remedy for the invasion of a right of property not in the mark,
name or get up improperly used, but in the business or goodwill likely to be injured by the misrepresentation made by passing off one persson’s goods as the goods of another“. Ähnlich Sir Thomas
Bingham in Taittinger SA v. Allbev Ltd. [1993] F.S.R. 641 (675): „This proprietary right recog-
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I. Rechtliche Grundlagen
und Herkunftsvorstellung, welche der Verkehr mit seinen spezifisch gekennzeichneten
Waren und Dienstleistungen verbindet.3 Nach dem Diktum von Lord Oliver of Aylmerton im Jif Lemon-Fall4 weist der Tatbestand drei Voraussetzungen auf: Zunächst
muss der Kläger darlegen, dass der Rechtsverkehr mit der vom Beklagten verwendeten
„Aufmachung“ (gleichgültig, ob sie aus einem Handelsnamen, einer Bezeichnung oder
einzelnen Merkmalen der Verpackung oder Etikettierung besteht) einen guten Ruf
oder goodwill zugunsten der klägerischen Waren oder Dienstleistungen verbindet (reputation). Zweitens muss er nachweisen, dass der Beklagte potentielle Abnehmer absichtlich oder unabsichtlich5 dahingehend irreführt, dass diese glauben, seine Waren
oder Dienstleistungen seien die des Klägers (misrepresentation). Drittens muss dem Kläger aus der vom Beklagten herbeigeführten Herkunftstäuschung ein Schaden entstanden sein bzw. – soweit einstweiliger Rechtsschutz begehrt wird – drohen (damage).
Gern zitiert werden aber auch die von Lord Diplock im Advocaat-Fall aufgestellten
fünf Voraussetzungen, nämlich „(1) a misrepresentation (2) made by a trader in the course
of trade, (3) to prospective customers of his or ultimate consumers of goods or services supplied
by him, (4) which is calculated to injure the business or goodwill of another trader (in the sense
that this is a reasonably foreseeable consequence) and (5) which causes actual damage to a
business or goodwill of the trader by whom that action is brought or (in a quia timet action) will
probably do so“.6
Seit seinen Anfängen im 19. Jahrhundert ist der Anwendungsbereich des passing
off-Tatbestands von der Rechtsprechung in mehrerlei Richtungen ausgedehnt worden
und umfasst nunmehr eine Vielzahl von Konstellationen, die in ihren Verästelungen
3
4
5
6
nised by the law is not a right in the name, mark or get-up itself: it is a right in the reputation or goodwill
of which the name, mark or get-up is the badge or vehicle“. Darauf hinweisend, dass gerade nicht
das Kennzeichnungsmittel als solches geschützt wird, auch Carty, [1996] L.Q.R. 632 (632,
634 f.).
Ulmer /von Westerholt, Rn. 136, mit dem zutreffenden Hinweis, dass es sich insoweit nur um
einen Ausschnitt des goodwill, wie er im weiteren Sinne verstanden wird, handelt; ihnen
folgend Ohly, 25.
Reckitt & Colman v. Borden [1990] 1 W.L.R. 491 (499).
Die Wurzeln des Tatbestands reichen zurück in die Zeit vor der Verschmelzung der Rechtsmaterien common law und equity durch die Judicature Acts 1873 und 1875. Während die
equity-Gerichte einzelne Kennzeichnungsmittel durch Unterlassungsklagen (injunctions) zumindest seit dem 1838 ergangenen Urteil Millington v. Fox, 40 E. R. 956 (962) auch unabhängig vom Vorliegen der Bösgläubigkeit des Beklagten schützten, entwickelte sich im
common law angelehnt an den Betrugstatbestand (deceit) eine Anspruchsgrundlage gegen
bösgläubige Benutzung fremder Zeichen, vgl. etwa Sykes v. Sykes (1824) 107 E. R. 834.
Obgleich der durch die Judicature Acts entstandene einheitliche Tatbestand auf das Merkmal
der Bösgläubigkeit verzichtete, blieb lange Zeit unklar, ob ein über nominal damages hinausgehender Schadensersatz auch im Falle versehentlicher Tatbestandsverwirklichung in Betracht komme, was jedoch schließlich in Gillette v. Edenwest – auch mit Blick auf die Parallelproblematik im Markenrecht – bejaht wurde, [1984] R.P.C. 279 (291 ff.). Zur historischen
Entwicklung Wadlow, Rn. 1.05 ff.; Ulmer /von Westerholt, Rn. 129 ff.; Ohly, 24 f.
Erven Warnink Besloten Vennootschap v. Townend & Sons (Hull) Ltd. [1979] A.C. 731 (742).
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kaum mehr überschaubar sind.7 Dies betrifft zunächst das vom Beklagten verwendete
Kennzeichnungsmittel, in dem sich die vom Kläger geltend gemachte reputation manifestiert und mittels dessen Einsatz die für die Erfüllung des Tatbestands konstitutive
Fehlvorstellung potentieller Abnehmer hervorgerufen wird. Traditionell handelt es
sich um Waren- oder Unternehmenskennzeichen. 8 Die passing off-Klage bildet damit
eine Vorstufe des Kennzeichenschutzes, aus der sich der formale Markenschutz, aufbauend auf dem Trade Marks Registration Act von 1875, dem ersten englischen Warenzeichengesetz, entwickelt hat.9 Entsprechend dieser Funktion hatte sich die englische
Rechtsprechung im Kontext des passing off schon früh mit Problemen auseinanderzusetzen wie sie das heutige Markenrecht, namentlich im Bereich der Schutzhindernisse,
kennt. Anführen lässt sich unter anderem der Präzedenzfall Reddaway v. Banham,10 in
dem der Kläger die von ihm aus Kamelhaar hergestellten Maschinengurte jahrelang
unter dem Namen „Camel Hair Belting“ vertrieben hatte und der Beklagte, ein früherer
Arbeitnehmer des Klägers, ihm dies nachtat. Abweichend vom Court of Appeal befand
das House of Lords, der Begriff „Camel Hair Belting“ sei nicht lediglich beschreibend,
sondern weise noch eine Zweitbedeutung (secondary meaning) auf, die sich als Indikator für die Herkunft der Ware aus dem Betrieb des Klägers im Verkehr durchgesetzt
habe.
Heutzutage stellt passing off einen zusätzlichen Klagegrund dar, der durch den markenrechtlichen Schutz, wie er durch den Trade Marks Act 1994 gewährleistet wird,
unberührt bleibt.11 Der Unterschied liegt vor allem in der Perspektive: Während das
Markenrecht dem Markeninhaber ein Ausschließlichkeitsrecht an seinem Zeichen
gewährt, schützt passing off den goodwill, welcher sich in dem vom Kläger benutzten
und vom getäuschten Verkehr als Herkunftsindiz betrachteten Kennzeichnungsmittel
7
8
9
10
11
„The law of passing-off contains sufficient nooks and crannies to make it difficult to formulate any
satisfactory definition in short form“, ConAgra v. McCain Foods (Aust) (1992) 33 F.C.R. 302 per
Gummow J. Einen guten Überblick geben Davis, 183 (190 ff.) und de Vrey, Rn. 5. 5. 1 ff.
Zur in jüngerer Zeit relevant gewordenen Konstellation des passing off durch Anmeldung
fremder Kennzeichen als Domainnamen vgl. Harrods Ltd. v. UK Network Services [1997]
E.I.P.R.-D 106; Marks & Spencer Plc v. One in a Million Ltd. [1998] F.S.R. 265; British Telecom
Plc. v. One in a Million Ltd. [1999] F.S.R. 1; Radio Taxicabs (London) Ltd. v. Owner Drivers Radio
Taxi Services Ltd. [2004] R.P.C. 351.
In diesem Sinne bereits das Diktum von Lord Langdale aus dem Jahre 1842 in Perry v. Truefitt:
„He cannot therefore be allowed to use names, marks, letters, or other indicia, by which he may
induce purchasers to believe, that the goods which he is selling are the manufacture of another person. I
own it does not seem to me that a man can acquire property merely in the name or mark; but whether
he has or not a property in the name or the mark, I have no doubt that another person has not a right to
use that name or mark for the purposes of deceptions and in order to attract to himself that course of
trade, or that custom, which, without that improper act, would have flowed to the person who first
used, or was alone in the habit of using the particular name or mark“ (1842) 6 Beav 66 (73). Zur
Entwicklung des formalen Markenschutzes in England Ulmer /von Westerholt, Rn. 139 ff.;
Ohly, 24.
Reddaway v. Banham [1896] A.C. 199 (204).
So ausdrücklich s. 2(2) Trademarks Act 1994: „nothing in this Act affects the law relating to passing
off“.
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manifestiert. Beide Regelungsmaterien ergänzen sich, wobei es nicht selten zu Überschneidungen kommt. Dass die Marke des Beklagten eingetragen ist und benutzt wird,
bildet keinen Verteidigungsgrund gegen den passing off-Vorwurf.12 Dementsprechend
stellt es nach s. 5(4)(a) Trade Marks Act 1994 ein relatives Schutzhindernis dar, wenn
die Benutzung der Marke im Rahmen einer passing off-Klage verhindert werden könnte. Auf passing off angewiesen ist der Markeninhaber, wenn er es versäumt hat, seine
Marke einzutragen und diese nicht den für den Schutz nicht eingetragener Marken
erforderlichen Bekanntheitsgrad erreicht. Darüber hinaus erfasst passing off diverse
Konstellationen, die außerhalb des Markenrechts liegen.
Neben Waren- oder Unternehmenskennzeichen können auch andere Charakteristika zur tatbestandsrelevanten Assoziation des Marktes mit dem klägerischen Unternehmen oder Produkt führen. Ein schönes, wenngleich mit der unter dem Trade Marks
Act 1994 möglich gewordenen13 Eintragung des streitgegenständlichen Objekts als
dreidimensionale Marke inzwischen überholtes Beispiel bildet der 1990 entschiedene
Jif Lemon-Fall, in dem das House of Lords die von der Klägerin verwendete Aufmachung von Behältnissen für Zitronenessenz als Plastikflaschen, die in Form, Farbe
und Größe einer echten Zitrone glichen, gegenüber den von der Beklagten auf den
Markt gebrachten zitronenförmigen Behältern für schutzfähig erachtete, da aufgrund
der besonderen Verkehrsgeltung, welche die Plastikzitrone bei den Supermarktkunden
erworben habe, der Eindruck erweckt werde, es handele sich um das Produkt der Klägerin.14 Aufgrund der Zweitbedeutung, welche der Zitronenform als Indikator für die
Herkunft aus dem Betrieb der Klägerin zukomme, sei diese, obwohl sie das natürliche
Ausgangsprodukt zum Vorbild habe, auch nicht freihaltebedürftig.15 Dass der Tatbestand weit genug ist, auch anderes beschreibendes Material, namentlich Werbeslogans, möglicherweise sogar ganze Werbekonzepte, zu erfassen, sofern sie nur Teil des
dem Produkt zuzuordnenden goodwill geworden und damit geeignet sind, beim Verkehr
eine Herkunftstäuschung hervorzurufen, folgt bereits aus der Pub Squash-Entscheidung
von 1980, die zwei ähnlich aufgemachte Werbekampagnen für Erfrischungsgetränke
zum Gegenstand hatte.16
Auch vom Ausgangsfall des passing off, nämlich der Situation, dass der Beklagte
seine eigenen Waren als diejenigen des Klägers anbietet und die inzwischen als „classic
form“ des passing off bezeichnet wird,17 hat sich die Rechtsprechung längst gelöst. Dies
schon im 1915 entschiedenen Fall Spalding v. Gamage, in welchem ein Hersteller von
Fußbällen erfolgreich dagegen klagte, dass der Beklagte aufgekaufte Ausschussware des
Klägers als neue und verbesserte Originalware veräußerte.18 Zu erwähnen ist ferner
12
13
14
15
16
17
18
Lyle & Kinahan (1907) 24 R.P.C. 249 (262); Eli Lilly v. Chelsea Drug [1966] R.P.C. 14 (18).
S. zum alten Recht insbesondere das Urteil Re Coca-Cola [1986] R.P.C. 421, in dem das House
of Lords die Schutzfähigkeit der Coca-Cola-Flasche als Formmarke verneinte.
Reckitt & Colman v. Borden [1990] 1 W.L.R. 491 (507 ff.).
Reckitt & Colman v. Borden [1990] 1 W.L.R. 491 (505 f.).
Cadbury-Schweppes Pty. Ltd. v. Pub Squash Co. Pty. Ltd. [1981] 1 W.L.R. 193 (200).
Erven Warnink Besloten Vennootschap v. Townend & Sons (Hull) Ltd. [1979] A.C. 731 (739) per
Lord Diplock; ihm folgend u.a. Laddie J. in Chocosuisse Union des Fabricants Suisse de Chocolat
and Others v. Cadbury Ltd. [1998] R.P.C. 117 (123).
Spalding v. Gamage (1915) R.P.C. 273 (HL).
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eine Serie von Fällen, in denen es um das Vortäuschen von vertraglichen, organisatorischen oder sonstigen wirtschaftlichen Verbindungen zwischen den Parteien ging. So
erachtete es beispielsweise der High Court, in: United Biscuits (U.K.) Ltd. v. Asda Stores
Ltd. für ausreichend, dass ein nicht unerheblicher Teil der angesprochenen Verkehrskreise annahm, der von der beklagten Supermarktkette produzierte „Puffin-Keks“ werde vom selben Hersteller produziert wie der Original „Penguin-Keks“.19 In diesem Zusammenhang tritt häufig die Problematik des sog. character merchandising zutage. In
dem Fall Mirage Studios v. Counter-Feat Clothing Ltd. hatten die Beklagten Dritten
das Recht eingeräumt, von ihnen entworfene Cartoon-Figuren, die den Teenage Mutant Ninja Turtles, an denen die Klägerin das copyright besaß, ähnelten, auf T-Shirts
und Joggingbekleidung abzubilden. Vice Chancellor Browne-Wilkinson bejahte das
Vorliegen von passing off, denn der potentielle Käufer, welcher regelmäßig davon ausgehe, dass die Abbildung bekannter Cartoon-Figuren auf Konsumartikeln eine Lizenz
erfordere, werde, sollte er die abgebildeten Figuren mit den echten „Turtles“ verwechseln, über das Bestehen lizenzrechtlicher Verbindungen zwischen den Parteien getäuscht.20 Demgegenüber befand Laddie J. im Elvis Presley-Fall: „When people buy a
toy of a well known character because it depicts that character, I have no reason to believe
that they care one way or the other who made, sold or licenses it. When a fan buys a poster or a
cup bearing an image of his star, he is buying a likeness, not a product from a particular source.
(…) Of course it is possible that, as a result of the peculiarities of the way goods are marketed
or advertised, an inference of association with a particular trader may be possible to draw.
This may be the case when the proprietor’s products bear the word ‚Official‘. But that does not
mean that absent that word members of the public would draw any such inference“. 21 Auf der
Basis entsprechender Überlegungen lehnte er es im Teletubbies-Fall, in dem es wie im
Turtles-Fall um die Reproduktion der Figuren auf Kleidungsstücken ging, ab, summary
judgment zu gewähren. 22 In dem Urteil Bristol Conservatories Ltd. v. Conservatories Custom Built Ltd. hat der Court of Appeal den Tatbestand schließlich auf die zum Ausgangsfall entgegengesetzte Variante, nämlich die Situation, dass der Beklagte Produkte des
Klägers als seine eigenen ausgibt, angewendet. 23
19
20
21
22
23
United Biscuits (U.K.) Ltd. v. Asda Stores Ltd. [1997] R.P.C. 513 (538); vgl. auch das dort
zitierte Diktum von Warrington L.J. in dem Urteil Ewing v. Buttercup Margarine Co. Ltd.
(1917) R.P.C. 232 (238): „It seems to me that the plaintiff has proved enough. He has proved that
the defendants have adopted such a name as may lead people who have dealings with the plaintiff to
believe that the defendants‘ business is a branch of or associated with the plaintiff’s business“.
Mirage Studios v. Counter-Feat Clothing Company Ltd. [1991] F.S.R. 145 (155 ff.).
Re Elvis Enterprises [1997] R.P.C. 543 (554).
BBC Worldwide Ltd. v. Pally Screen Printing Ltd. [1998] F.S.R. 665 (674): „It seems to me that it is
quite possible that members of the public will look at T-shirts bearing this artwork and think no more
than it is artwork bearing illustrations of well-known television characters without having any regard
whatsoever to the source of supply and without having any regard as to whether or not these T-shirts
were put out with the sanction of or under the aegis of the plaintiffs“.
Bristol Conservatories Ltd. v. Conservatories Custom Built Ltd. [1989] R.P.C. 455. In dem Fall
hatte die beklagte Herstellerin von Wintergärten potentiellen Kunden Fotos als Muster
vorgelegt, auf denen von der Klägerin hergestellte Wintergärten zu sehen waren. Zu dieser
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In sämtlichen Konstellationen ist ausreichend, dass der Kläger Gewerbetreibender
im weitesten Sinne ist. In Irvine and another v. Talksport Ltd. 24 ging ein bekannter Formel 1-Rennfahrer erfolgreich gegen einen Radiosender vor, welcher eine Broschüre
herausgegeben hatte, die ein manipuliertes Foto enthielt, das den Eindruck eines Prominenten-Testimonials vermittelte. Auch Künstler25 sowie Berufs- und Standesorganisationen26 haben sich in der Vergangenheit erfolgreich auf passing off berufen, was
dem Tatbestand einen gewissen namens- und persönlichkeitsrechtlichen Einschlag
verliehen hat. Unter diesem Aspekt ist es nur konsequent, dass die Rechtsprechung
auf das Erfordernis eines „common field of activity“ der Parteien inzwischen verzichtet.27
Durch eine weitere interessante Rechtsprechungslinie ist der Schutzbereich des
tort of passing off vom Herkunftsschutz im Sinne der Zuordnung eines Produkts zu einem bestimmten Unternehmen auf denjenigen geographischer Herkunfts-28 und sogar
Beschaffenheitsangaben ausgeweitet worden. Ihren Anfang nahm diese Entwicklung
1960 mit dem Spanish Champagne-Fall,29 in dem eine Reihe französischer Champagner-Hersteller beantragt hatte, der Beklagten zu verbieten, einen in Spanien oder
aus spanischen Weintrauben hergestellten Wein unter der Handelsbezeichnung
„champagne“ oder „spanish champagne“ zu vertreiben. Danckwerts J. zufolge bildet das
Recht, das eigene Produkt ergänzend zur eigenen Hausmarke und gemeinsam mit anderen Herstellern täuschungsfrei „Champagner“ zu nennen, einen Teil des zu schützenden goodwill: „There seems to be no reason why such licence [sc. to do a deliberate act
which causes damage to the property of another person] should be given to a person, competing
in trade, who seeks to attach to his product a name or description with which it has no natural
association so as to make use of the reputation and goodwill which has been gained by a product genuinely indicated by the name or description. In my view, it ought not to matter that the
persons truly entitled to describe by the name and description are a class producing goods in a
certain locality, and not merely one individual. The description is part of their goodwill and a
right of property. I do not believe that the law of passing off, which arose to prevent unfair
trading, is so limited in scope“.30 Bestätigt wurde diese Rechtsprechung im Sherry-31 und
24
25
26
27
28
29
30
31
als „reverse“ bzw. „inverse passing off“ bezeichneten Konstellation Carty, (1993) 15
E.I.P.R. 370.
Irvine and another v. Talksport Ltd. [2002] EWHC 367 (Ch); kritisch zu diesem Urteil Scalan,
[2003] E.I.P.R. 563 ff.
Hinsichtlich eines Dichters, dem von einem Verleger fremde Gedichte zugeschrieben worden waren, Lord Byron v. Johnson (1816) 35 E. R. 851; vgl. aber heutzutage s. 84 Copyright,
Designs and Patents Act 1988.
Society of Accountants and Auditors v. Goodway (1907) 24 R.P.C. 159; British Legion v. British
Legion Club (1931) 48 R.P.C. 555; zu dieser Fallgruppe Wadlow, Rn. 2.13 ff. m.w.N.
S. insbesondere den Fall Lego Systems A / S v. Lego M. Lemelstrich [1983] F.S.R. 155, in dem
sich der Spielzeughersteller Lego erfolgreich gegen den Vertrieb von Gartenbewässerungssystemen unter dem Namen „Lego“ durch die Beklagte zur Wehr setzte; Wadlow, Rn. 3.03.
Vgl. aber heutzutage ss. 49, 50 Trade Marks Act 1994.
J. Bollinger v. Costa Brava Wine Co. Ltd. [1960] Ch. 262.
J. Bollinger v. Costa Brava Wine Co. Ltd. [1960] Ch. 262 (283 f.).
Vine Products Ltd. v. Mackenzie & Co. Ltd. [1969] R.P.C. 1.
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im Scotch Whiskey-Fall. 32 In der Sache „Advocaat“33 hatte ein niederländischer Hersteller des unter eben diesem Namen bekannten, auf der Basis von Eiern und Alkoholdestillaten ohne Beimischung von Wein produzierten Getränks dagegen geklagt, dass
die Beklagte ein aus Trockenei und zypriotischem Sherry bestehendes und daher korrekterweise als „Egg Flip“ zu bezeichnendes Eiergetränk als „Keelings All World English
Advocaat“ verkaufte. Lord Diplock vertrat die Auffassung, die Möglichkeit einer geographischen Zuordnung des Produkts könne den Nachweis des mit ihm verbundenen
goodwill zwar erleichtern, doch könne es prinzipiell keinen Unterschied machen,
„whether the recognizable and distinctive qualities by which the reputation of the type of product has been gained are the result of its having been made in, or from ingredients produced in
a particular locality or are the result of its having been made from particular ingredients regardless of their provenance“.34 Sogar noch einen Schritt weiter geht das Urteil Chocosuisse v. Cadbury, wonach sich die konkurrierenden Produkte in der Rezeptur oder im
Geschmack nicht zwingend voneinander unterscheiden müssen, sondern vielmehr die
rein subjektive Vorstellung des Publikums von einer besonderen Qualität des klägerischen Produkts für ausreichend erachtet wird, um die Schutzfähigkeit zu begründen. 35
Das Produkt des Klägers muss in dieser Fallgruppe also nicht „besser“ sein als das des
Beklagen. Anderes gilt jedoch, wenn der Beklagte, wie in Combe International Ltd. v.
Scholl (UK) Ltd. geschehen, damit wirbt, dass sein eigenes qualitativ tatsächlich
schlechteres Produkt genauso gut sei wie das des Klägers, und damit bei Kunden, die
sein Produkt erwerben, eine Fehlvorstellung von der Qualität des klägerischen Produktes hervorruft. 36
So wichtig der Schutz von Herkunfts- und Qualitätsvorstellungen auch sein mag,
geht es den Klägern nicht selten darum, zu verhindern, dass der gute Ruf ihres Produktes ausgebeutet oder verwässert wird. Als fallentscheidend erweist sich dies dann,
wenn sich die Produkte der Parteien derart deutlich voneinander unterscheiden, dass
das Irreführungspotential gering und damit das Erfordernis der tatbestandsrelevanten
Täuschung,37 zumindest aber dasjenige eines substantiellen Schadens zweifelhaft ist.
Hier freilich stößt der Tatbestand des passing off an seine Grenzen. Anführen lässt sich
in diesem Zusammenhang das Urteil Cadbury-Schweppes v. Pub Squash.38 In dem Fall
32
33
34
35
36
37
38
John Walker & Sons Ltd. v. Henry Ost & Co. Ltd. [1970] 1 W.L.R. 917.
Erven Warnink Besloten Vennootschap v. Townend & Sons (Hull) Ltd. [1979] A.C. 731.
Erven Warnink Besloten Vennootschap v. Townend & Sons (Hull) Ltd. [1979] A.C. 731 (747 f.).
Chocosuisse Union des Fabricants Suisse de Chocolat and Others v. Cadbury Ltd. [1998] R.P.C.
117 (128 f.).
Combe International Ltd. v. Scholl (UK) Ltd. [1980] R.P.C. 1.
Notwendig ist der Nachweis, dass eine beträchtliche Zahl der Abnehmer möglicherweise
irregeführt wird, selbst wenn es sich dabei um eine beträchtliche Minderheit handeln sollte,
vgl. Neutrogena v. Golden Ltd. [1996] R.P.C. 473. Referenzperson ist nicht der „moron in a
hurry“, sondern der durchschnittlich aufmerksame Verbraucher, wie er im Wesentlichen
auch dem europäischen Verbraucherleitbild entspricht, vgl. etwa Morning Star Cooperative
Society v. Express Newspapers Ltd. [1979] F.S.R. 113; dazu auch Davis, 183 (191). Eine gewisse
Flüchtigkeit wird je nach Art des Produkts einkalkuliert; plakativ Lord Macnaughten in
Montgomery v. Thompson [1891] A.C. 217 (225): „Thirsty folks want beer, not explanations“.
Cadbury-Schweppes Pty. Ltd. and Others v. Pub Squash Co. Pty. Ltd. [1981] 1 W.L.R. 193.
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hatte die Beklagte bei der Markteinführung ihres Erfrischungsgetränks „Pub Squash“
wesentliche Elemente aus der erheblich kostspieligeren Werbekampagne der Klägerin
für das Konkurrenzprodukt „Solo“ übernommen, um von deren Aufmerksamkeitseffekt zu profitieren. Da die Beklagte ihr Getränk hinreichend deutlich von demjenigen
der Klägerin abgesetzt habe und eine Irreführung der angesprochenen Verbraucherkreise daher ausscheide, sei der Tatbestand des passing off nicht erfüllt.39 Entsprechendes gilt für sog. „look-alikes“, d.h. Produkte, welche denjenigen des Klägers nachgebildet sind, deren gestalterischer Abstand zum Original jedoch hinreichend groß ist, um
eine Verwechslung nahezu immer auszuschließen.40
In Taittinger SA v. Allbev Ltd. 41 wurde die Beklagte verurteilt, es zu unterlassen, den
Namen „Elderflower Champagne“ für ein alkoholfreies Getränk zu verwenden, das in
einer champagnerähnlich aufgemachten Flasche zu £ 2.45 angeboten wurde. Die Richter des Court of Appeal gelangten zu der Auffassung, ein nicht unerheblicher Teil der
angesprochenen Verkehrskreise werde das von der Beklagten vertriebene Getränk
vielleicht nicht unbedingt für Champagner halten, aber doch zumindest eine Verbindung zwischen den Getränken bzw. den herstellenden Unternehmen vermuten.42. Was
das Erfordernis des Schadens betreffe, sei jedoch nicht ersichtlich, dass die Verkaufszahlen der Klägerin durch den Vertrieb des Produkts der Beklagten als „Elderflower
Champagne“ spürbar zurückgehen würden. 43 Wichtiger sei, dass die besondere Kennzeichnungskraft, die dem Begriff „Champagner“ zukomme, durch die Benutzung dieses
Begriffes auch für Getränke, bei denen es sich nicht um in der Champagne hergestellte
Schaumweine handele, beeinträchtigt werde: „The first plaintiff’s reputation and goodwill
in the description Champagne derive not only from the quality of their wine and its glamorous
associations, but also from the very singularity and exclusiveness of the description, the absence of qualifying epithets and imitative descriptions. Any product which is not Champagne
but is allowed to describe itself as such must inevitably, in my view, erode the singularity and
exclusiveness of the description Champagne and so cause the first plaintiffs‘ damage of an
insidious but serious kind“.44 Obgleich nicht auf das Element der Täuschung verzichtet
wird, ist der Schutzbereich des tort of passing off mit dem Elderflower Champagne-Fall
somit erstmals ausdrücklich45 auf die Gefahr der Verwässerung (dilution) ausgedehnt
worden. Eine Rückbesinnung auf die ursprüngliche Schutzrichtung des passing off er39
40
41
42
43
44
45
Cadbury-Schweppes Pty. Ltd. and Others v. Pub Squash Co. Pty. Ltd. [1981] 1 W.L.R. 193 (205).
Dazu noch unten, II. 3. a).
Taittinger SA and Others v. Allbev Ltd. and Another [1993] F.S.R. 641; zu diesem Urteil Russell,
[1993] E.I.P.R. 379 ff.
Taittinger SA and Others v. Allbev Ltd. and Another [1993] F.S.R. 641 (665 ff., 673, 676 f.).
Taittinger SA and Others v. Allbev Ltd. and Another [1993] F.S.R. 641 (668, 673 f., 678).
Taittinger SA and Others v. Allbev Ltd. and Another [1993] F.S.R. 641 (678) per Sir Thomas
Bingham. Vgl. aber auch die entsprechenden Äußerungen in den Dikta von Peter Gibson L.J.
(669 f.) und Mann L.J. (674).
Entsprechende Tendenzen klingen bereits in früheren Urteilen an, in denen es um den
Verlust an wirtschaftlichem Wachstumspotential sowie der Möglichkeit, die Entwicklung
des eigenen Rufs kontrollieren zu können, als Schadenspositionen ging, vgl. etwa Lego
Systems A / S v. Lego M. Lemelstrich [1983] F.S.R. 155 (195 f.). Ausführlich zum Konzept
der dilution, auch im Hinblick auf das Markenrecht Carty, [1996] L.Q.R. 632 ff.
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folgte mit dem Urteil Harrods Ltd. v. Harrodian School Ltd. 46 In dem zugrunde liegenden Sachverhalt hatte die Eigentümerin des Kaufhauses „Harrods“ versucht, die Beklagte daran zu hindern, eine Privatschule unter dem Namen „The Harrodian School“
zu betreiben. Die Mehrheit der Richter des Court of Appeal verneinte das Vorliegen
einer tatbestandsrelevanten Täuschung; die bloße Annahme irgendeiner Verbindung
zwischen den Parteien reiche nicht aus, um die Öffentlichkeit glauben zu machen, die
Klägerin selbst sei für die Qualität der von der Beklagten angebotenen Leistungen
verantwortlich. 47 Auch ein Rückgang der Verkaufszahlen bei Harrods sei nicht zu erwarten: „I asked myself what would happen if the defendants‘ school were to go bankrupt or
suffer a drug or sex scandal. The attendant publicity might temporarily tarnish Harrods‘ good
name; but I cannot see any real danger that a material number of Harrods‘ customers would
withdraw their custom. Anyone who was under the mistaken impression that Harrods was
responsible for the school would surely say to himself: ‚They obviously have no idea how to run
a school. I always thought they were foolish to try; a cobbler should stick to his last. But they
run an excellent store. This won’t stop me shopping there‘“.48 Das Konzept der dilution wurde zwar aufgeworfen, doch warnte Millet J. eindringlich davor, den passing off-Tatbestand ausufern zu lassen: „Erosion of the distinctiveness of a brand name has been recognised
as a form of damage to the goodwill of the business with which the name is connected in a
number of cases (…); but unless care is taken this could mark an unacceptable extension to
the tort of passing off. To date the law has not sought to protect the value of the brand name as
such, but the value of the goodwill which it generates; and it insists on proof of confusion to
justify its intervention. But the erosion of the distinctiveness of a brand name which occurs by
reason of its degeneration into common use as a generic term is no necessarily dependent on
confusion at all“.49
bb) Malicious falsehood
Der Tatbestand malicious falsehood, auch injourious falsehood oder trade libel genannt,
umfasst drei Voraussetzungen: „The essentials of this tort are that the defendant has published about the plaintiff words which are false, that they were published maliciously, and that
special damage has followed as the direct and natural result of their publication“.50 Die Unwahrheit der streitgegenständlichen Angabe (falsehood) muss auf Umstände aus dem
Bereich des Klägers (beispielsweise die von ihm produzierten Waren oder Dienstleistungen) bezogen sein. Hierin unterscheidet sich der Tatbestand von demjenigen des
passing off, bei dem der Beklagte – zumindest dem Ausgangsfall nach – unwahre Angaben bezüglich seiner eigenen Waren oder Dienstleistungen tätigt.51 Die Unwahrheit
der Aussage ist vom Kläger zu beweisen.52 Entsprechendes gilt für das subjektive Merk46
47
48
49
50
51
Harrods Ltd. v. Harrodian School Ltd. [1996] R.P.C. 697.
Harrods Ltd. v. Harrodian School Ltd. [1996] R.P.C. 697 (713, 732); vgl. aber das Sondervotum
von Sir Michael Kerr (720 ff.).
Harrods Ltd. v. Harrodian School Ltd. [1996] R.P.C. 697 (718) per Millet L.J.
Harrods Ltd. v. Harrodian School Ltd. [1996] R.P.C. 697 (715 f.).
Kaye v. Robertson [1991] F.S.R. 62 (67) per Glidewell L.J.
Davis, 183 (189).
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mal der malice. Wie dieses zu implementieren ist, ist noch nicht abschließend geklärt.
Gesichert erscheint, dass der Beklagte entweder wissen muss, dass seine Angabe falsch
ist oder sich darüber keine Gedanken macht, weil er jedenfalls mit Schädigungsabsicht
handelt.53 Das Merkmal des konkreten Schadens (special damage) wird gemäß s. 3(1)
des Defamation Act 1952 zugunsten des Klägers vermutet, sofern die Angabe schriftlich
oder in dauerhaft verkörperter Form getätigt wurde oder ein Vermögensschaden in
Bezug auf den Beruf oder Geschäftsbetrieb des Beklagten wahrscheinlich ist.
Die Bedeutung des Tatbestands im wettbewerbsrechtlichen Kontext ist heutzutage
begrenzt, was insbesondere54 zwei Gründe hat: Zum einen sind die Gerichte in Fällen
von malicious falsehood traditionell nur in Ausnahmefällen bereit, die in der Praxis
regelmäßig begehrte einstweilige Verfügung zu erlassen.55 Bevor das Juryverfahren für
diesen Tatbestand abgeschafft wurde, begründeten die Richter ihre ablehnende Haltung regelmäßig damit, die Entscheidung der Geschworenen nicht vorweg nehmen zu
wollen,56 während sie heutzutage auf die Meinungsfreiheit des Beklagten verweisen:
„There is an old and well established principle which is still applied in modern times and which
is in no way affected by the recent decision by the House of Lords in American Cyanamid
Corp. v. Ethicon, that no interlocutory injunction will be granted in defamation proceedings,
where the defendant announces his intention of justifying, to restrain him from publishing the
alleged defamatory statement until its truth or untruth has been determined at trial, except in
cases where the statement is obviously untruthful and libellous“.57 Zum anderen sind die
beiden hauptsächlichen Fallgruppen, die von der action for malicious falsehood früher
abgedeckt wurden, inzwischen in weiten Teilen gesetzlich normiert. Dies betrifft zunächst die Konstellation der unberechtigten Schutzrechtsverwarnung,58 welche nunmehr in ss. 70 Patents Act 1977, 253 Copyright, Designs and Patents Act 1988, 26 Registered Designs Act 1949 sowie s. 21 Trade Marks Act 1994 kodifiziert ist. Ähnliches gilt
für Fälle vergleichender Werbung. Soweit es um das Verhältnis zwischen Mitbewer52
53
54
55
56
57
58
So bereits Lord Watson in White v. Mellin (1895) A.C. 154 (167): „In order to constitute
disparagement which is, in the sense of law, injurious, it must be shewn that the defendant’s representations were made of and concerning the plaintiff’s goods; that they were in disparagement of his
goods and untrue“.
Wilts United Dairies v. Thomas Robinson [1957] R.P.C. 220 (237) per Stable J.
Vgl. namentlich Davis, die darüber hinaus noch den Grund anführt, dass sich die Tatbestände
malicious falsehood und passing off häufig überschneiden würden und der Kläger dann regelmäßig letzteren bevorzuge, um das Merkmal der malice nicht nachweisen zu müssen,
183 (189).
Ohly, 31 f.
Kaye v. Robertson [1991] F.S.R. 62 (67) unter Bezugnahme auf folgende Passage aus William
Coulson and Sons v. James Coulson & Co. (1887) 3 T.L.R. 46: „Therefore to justify the court
granting an interim injunction it must come to a decision upon the question of libel or no libel, before
the jury decided whether it was a libel or not. Therefore the jurisdiction was of a delicate nature. It
ought only to be exercised in the clearest cases, where any jury would say that the matter complained of
was libellous and where if the jury did not so find the court would set aside the verdict as unreasonable“.
Bestobell Paints Ltd. v. Bigg [1975] F.S.R. 421 (429) per Oliver J.
S. etwa Wren v. Weild (1869) L.R. 4 Q.B. 730; Halsey v. Brotherhood (1880) 15 Ch. D. 514.
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bern geht, spielt heutzutage das Markenrecht die zentrale Rolle; darüber hinaus wird
sich vergleichende Werbung häufig ohnehin als außertatbestandliche marktschreierische Anpreisung (hyperbolic puffing) darstellen.59
cc) Defamation
Den Tatbestand der defamation erfüllt, wer Behauptungen aufstellt, die geeignet sind,
den Kläger in den Augen der Öffentlichkeit herabzuwürdigen. Anders als bei malicious
falsehood liegt die Betonung auf der Ehrverletzung; dafür muss der Kläger aber weder
nachweisen, dass die Behauptung unwahr ist noch dass sie arglistig im Sinne von malice
vorgetragen wurde.60 Der Beklagte kann sich im Einzelfall auf einen der zahlreichen,
vornehmlich in den Defamation Acts von 1952 und 1996 enthaltenen Verteidigungsgründe berufen, etwa indem er darauf verweist, dass seine Aussage der Wahrheit entspreche61 oder als „fair comment“ im öffentlichen Interesse liege.62 Zu unterscheiden
sind die schriftliche oder anderweitig verkörperte Ehrverletzung (libel) und die mündliche Ehrverletzung (slander).63
Auch ein Unternehmen kann sich wegen Verletzung seiner Geschäftsehre auf defamation berufen. Ein spektakuläres Beispiel aus der jüngeren Vergangenheit bildet der
sog. McLibel-Fall64 aus dem Jahre 1997, in dem das Unternehmen McDonald’s eine
Gruppe von Greenpeace-Aktivisten zunächst65 erfolgreich auf Schadensersatz verklagt hatte, weil diese ein Flugblatt mit dem Titel „What’s wrong with McDonald’s?
Everything they don’t want you to know“ herausgebracht hatten. Am Anfang seines Urteils stellte Bell J. insoweit fest: „The essence of the tort of defamation in English law is the
protection of the reputation of a person whether a living human person or a legal fiction such as
a corporation or a company. A company has a trading character which may be destroyed by
libel, but the words complained of must attack the company in the method of conducting its
business or affairs. The question for the court is whether the words complained of contain
59
60
61
62
63
64
65
Näher dazu unten, III. 2. b).
Zur Abgrenzung beider Tatbestände de Vrey, 5.4. 3. 1 f.
Vgl. s. 4 Defamation Act 1952.
Vgl. s. 6 Defamation Act 1952.
Der bedeutsamste Unterschied zwischen beiden Varianten dürfte darin liegen, dass der Eintritt eines konkreten Schadens bei libel gemäß s. 3(1)(a) Defamation Act 1952 prinzipiell
vermutet wird, bei slander hingegen nur unter der in s. 3(1)(b) genannten Voraussetzung, dass
der Schaden im beruflichen oder geschäftlichen Bereich des Klägers eintritt; in diesem Sinne
auch de Vrey, 5.4.3.3.
McDonald’s Corporation and McDonald’s Restaurants Ltd. v. Helen Marie Steel and David Morris
[1997] EWHC Q. B. 366.
Der erstinstanzlich zugesprochene Schadensersatz in Höhe von insgesamt £ 60.000 wurde
später durch den Court of Appeal herabgesetzt. Als das House of Lords sich weigerte, den Fall
anzunehmen, wandten sich die Beklagten an den Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte, der die britische Regierung wegen Verletzung der Rechte auf ein faires Verfahren und
auf freie Meinungsäußerung zu einer Entschädigung in Höhe von £ 57.000 verurteilte, EGMR
NJW 2006, 1255.
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statements with regard to the Plaintiff company’s conduct of its business, tending to show that
it was so improper or inefficient as to bring into contempt or discredit“. Im Verkehr zwischen
Wettbewerbern dürfte der Tatbestand der defamation gleichwohl selten relevant geworden sein. Die Ursache hierfür mag in der prozessualen Besonderheit liegen, dass seit
dem Libel Act 1782 in defamation-Verfahren grundsätzlich Geschworenengerichte entscheiden,66 was den Ausgang des Prozesses nicht unbedingt vorhersehbarer macht. Darüber hinaus stehen die Gerichte dem Antrag auf einstweiligen Rechtsschutz gegen
einen Beklagten, der sich auf einen Verteidigungsgrund beruft, auch hier eher zurückhaltend gegenüber.67
dd) Breach of confidence
Breach of confidence setzt dreierlei voraus: Erstens muss die Information selbst vertraulicher Natur sein (confidential information), was primär bedeutet, dass sie nicht schon
als solche im Allgemeingut vorhanden sein darf. Zweitens muss sich aus der Situation,
in welcher die Information offengelegt wurde, eine Pflicht zur Vertraulichkeit ergeben
(confidential obligation). Drittens ist erforderlich, dass die Information in unerlaubter
Weise zum Schaden desjenigen verwendet wurde, der sie vertraulich mitgeteilt hat
(wrongful use).68 Die dogmatische Einordnung des Tatbestands ist in der Rechtsprechung nicht abschließend geklärt.69 Zurückverfolgen lässt sich die Entwicklung bis
zu den um das Jahr 1850 herum ergangenen Entscheidungen Prince Albert v. Strange70
und Morison v. Moat,71 in denen sich die Kläger auf der Basis eines Konglomerats von
property, agreement, confidence, trust und bailment erfolgreich gegen die Veröffentlichung eines Katalogs mit privat angefertigten Radierungen bzw. einer Rezeptur für
Medizin zur Wehr setzten. Seit Saltman v. Campbell wird der Anspruch weniger auf
property oder contract als vielmehr auf good faith gestützt.72 Heutzutage wird insbesondere überlegt, das Prinzip des good faith entsprechend den Grundregeln des Bereiche-
66
67
68
69
70
71
72
Dazu Lord Denning in Ward v. James [1966] 1 Q.B. 273 (295): „It [trial by jury] has been the
bulwark of our liberties too long for any of us to seek to alter it. Whenever a man is on trial for serious
crime, or when in a civil case a man’s honour or integrity is at stake … then trial by jury has no equal“;
s. ferner s. 69(1) des Supreme Court Act 1981. Hieran haben weder der Civil Procedure Act 1997
noch die Civil Procedure Rules etwas geändert, vgl. Safeway Plc. v. Tate [2001] 2 W.L.R. 1377.
Auf die jury verzichtet wird gemäß s. 8(5) Defamation Act 1996 lediglich im Falle eines
Schnellverfahrens (summary disposal), bei dem der vom Richter anzuordnende Schadensersatz nach s. 9(1)(c) £10,000 grundsätzlich nicht übersteigen darf.
Bonnard v. Perryman [1891] 2 Ch. 269 (283); Kaye v. Robertson [1991] F.S.R. 62 (67).
Coco v. A.N. Clark (Engineers) Ltd. [1969] R.P.C. 41 (47).
Zur historischen Entwicklung und den einzelnen Ansätzen Cornish/Llewelyn, Rn. 8-06 ff.;
Cornish, GRUR Int. 1975, 153 ff.; Ohly, 40 f.
Prince Albert v. Strange (1849) 2 De G. & Sm. 652.
Morrison v. Moat (1851) 9 Hare 241.
Saltman v. Campbell (1948) 65 R.P.C. 203; bestätigt in Peter Pan v. Corsets Silhouette [1963]
R.P.C. 45; Cranleigh Precision v. Bryant [1966] R.P.C. 81.
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rungsrechts oder anknüpfend an ein „equitable property“ als Schutzgut auszubauen.73 Je
nachdem, welchen dogmatischen Ansatz man favorisiert, ergeben sich praktische
Auswirkungen, wenn es um die Haftung schuldloser Verletzer sowie Dritter geht, bei
der Frage des Schadensersatzes, namentlich bei immateriellen Einbußen, sowie bei der
Veräußerung der vertraulichen Information.74 Wettbewerbsrechtlich relevant wird der
Tatbestand des breach of confidence, soweit es um den Schutz von Unternehmensgeheimnissen geht.
ee) Breach of statutory duty
Schädigung durch Rechtsbruch wird im englischen Recht durch den Blankett-Tatbestand des breach of statutory duty erfasst. Dieser setzt voraus, dass der Beklagte eine strafoder verwaltungsrechtliche Norm verletzt, die zum Schutz einer bestimmten Personengruppe erlassen wurde, dass die Verletzung im Schutzbereich der Norm liegt und
der Kläger infolgedessen einen Schaden erleidet.75 Ob einer Vorschrift Schutzgesetzcharakter zukommt, ist durch Auslegung zu ermitteln, wobei „the answer must depend
on a consideration of the whole Act and the circumstances, including the pre-existing law, in
which it was enacted“.76 Dass hierbei nicht selten fragwürdige Ergebnisse erzielt werden,
hat Lord Denning in Island Records Ltd. v. Corkindaleff zu bedenken gegeben: „So it has
left the courts with a guess-work puzzle. The dividing line between the pro-cases and the contra-cases is so blurred and so ill-defined that you might as well toss a coin to decide it. I decline
to indulge such a game of chance“.77
Obgleich der Tatbestand des breach of statutory duty im englischen Deliktsrecht fest
verankert ist, hat er sich im wettbewerbsrechtlichen Kontext bislang selten als erfolgreich erwiesen. Als Schutzgesetze auf dem Prüfstand standen bisher namentlich Vorschriften des Trademarks Act 1887, des Trade Descriptions Act 1968 und des Dramatic
and Musical Performers Act 1958. Im Spanish Champagne-Fall78 gelangte Danckwerts J.
in Bezug auf den Merchandise Marks Act 1887 zu der Ansicht, dass dieser keinen Individualschutz zugunsten von Wettbewerbern entfalte: „Looking at the Merchandise Marks
Act as a whole and considering the other provisions of the Acts, as well as the provisions to
73
74
75
76
77
78
Vgl. die Nachweise bei Cornish/Llewelyn, Rn. 8-07.
Cornish/Llewelyn, Rn. 8-08.
Lonrho v. Shell [1981] 2 All E.R. 456 (461); Cutler v. Wandsworth Stadium Ltd. [1949] A.C. 398
(407). Aus deutscher Sicht Ohly, 37 ff.
Cutler v. Wandsworth Stadium Ltd. [1949] A.C. 398 (407) per Lord Simonds. S. ferner Ungoed-Thomas J. in Argyll v. Argyll (1967) 1 Ch. 302 (341): „In accordance with these observations it seems to me that the question therefore, is whether the Act on its true construction, in the
light of the surrounding circumstances, was intended only for the protection of the public at large or
also for the benefit of a class of persons. If it was also for the benefit of a class, then any member of that
class is entitled to bring not criminal proceedings for the public offence but civil proceedings in respect
of injury to himself“.
Island Records Ltd. and Others v. Corkindaleff [1978] F.S.R. 505 (513).
Bollinger v. Costa Brava Wine Co. Ltd. [1960] Ch. 262. Zu dieser Entscheidung schon oben,
I. 1. a) aa).
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which I have referred specifically, I do not find it possible to reach the conclusion that the
statutes give a rival trader a civil right of action. If the act had the protection of any class of
persons in mind I think it was the purchasers of goods which might be misleadingly described.
But I do not think that the Acts give a civil cause of action to anyone, except where expressly
provided. (…) Moreover, both rival traders in a passing off action and purchasers of goods in
an action based on deceit have rights of action apart from these statutes and those rights are
carefully preserved by section 19 of the 1887 Act“.79 Entsprechend urteilte der Court of
Appeal hinsichtlich s. 1 des Trade Descriptions Act 1968 in Bulmer v. Bollinger.80 Eher
wechselhaft stellt sich die Rechtsprechung des Court of Appeal im Anwendungsbereich
des Dramatic and Musical Performers Act 1958 dar, dessen Bestimmungen unerlaubte
Konzertmitschnitte oder Tonträger- und Filmkopien unter Strafe stellten. In Island
Records v. Corkindaleff verneinte das Gericht einen breach of statutory duty,81 doch sprachen zwei der drei Richter den gegen unerlaubte Konzertmitschnitte (bootlegs) klagenden Musikern und Plattenfirmen auf der Basis von unlawful interference with trade ein
zivilrechtliches Klagerecht zu.82 Demgegenüber wurden im Fall R.C.A. Corporation v.
Pollard, in dem eine Plattenfirma gegen die Herstellung und den Vertrieb unbefugter
Elvis Presley-Aufnahmen geklagt hatte, in anderer richterlicher Zusammensetzung
beide Klagegründe verneint, da das House of Lords den von Lord Denning in Island
Records v. Corkindaleff ins Spiel gebrachten tort of unlawful interference with trade in
Lonrho v. Shell83 verworfen habe.84 Demgegenüber setzten sich die Erben des Schauspielers Peter Sellers vier Jahre später in Rickless v. United Artists erfolgreich gegen die
unautorisierte Verwendung von Ausschnitten aus dessen Filmen zur Wehr, wobei namentlich die aus dem Rom-Abkommen 1961 hervorgehenden Verpflichtungen Großbritanniens, ausübenden Künstlern klagbare Rechte einzuräumen, eine maßgebliche
Rolle spielten. 85 All diesen Entscheidungen lag eine als misslich empfundene Lücke
79
80
81
82
83
84
85
Bollinger v. Costa Brava Wine Co. Ltd. [1960] Ch. 262 (287). Vgl. aber in anderem Zusammenhang, nämlich im Hinblick auf die Frage des Vorsatzes, die Äußerung von Lord Goodard C.J.
in Kat v. Diment [1951] 1 K.B. 34 (42), wonach „It should be borne in mind that this Act is intended
to protect not only the public or traders who may purchase the goods, but also the proprietors of trade
marks and those who manufacture and deal in the genuine article“.
H. P. Bulmer Ltd. and Showering Ltd. v. J. Bollinger S.A. and Champagne Lanson Pere et Fils
[1978] R.P.C. 79 (109 f., 137).
Dies gilt jedenfalls für Shaw und Waller L.JJ., [1978] F.S.R. 505 (517 f., 520 f.), während Lord
Denning die Frage mit Blick auf die mit der Qualifikation als Schutzgesetz einhergehenden
Unsicherheiten dahinstehen lässt, [1978] F.S.R. 505 (513).
Island Records v. Corkindaleff [1978] F.S.R. 505 (514 ff., 520 ff.). Näher zu diesem Klagegrund
sogleich.
Lonrho v. Shell [1982] A.C. 173.
R.C.A. Corporation v. Pollard [1983] 1 Ch. 135.
Rickless and Others v. United Artists Corporation and Others [1987] F.S.R. 362 (371). Interessant
ist in diesem Zusammenhang die detaillierte Auseinandersetzung von Vice-Chancellor Sir
Nicholas Browne-Wilkinson mit der doctrine of binding precedent. Den ausübenden Künstlern
sei in Island Records v. Corkindaleff nun einmal ein zivilrechtliches Klagerecht gewährt worden; die Ablehnung eines breach of statutory duty durch zwei der Richter zähle nicht zur ratio
decidendi. Demgegenüber betreffe R.C.A. v. Pollard die Klage einer Plattenfirma und erweise
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im englischen copyright law zugrunde, welche erst durch die Einführung verwandter
Schutzrechte zugunsten von ausübenden Künstlern und Exklusivveranstaltern mit
dem Copyright, Designs and Patents Act 1988 geschlossen wurde.86 Dies lässt ahnen,
dass der Tatbestand das Potential besitzt, den zivilrechtlichen Rechtsschutz auch im
Bereich des Wettbewerbsrechts, namentlich im Hinblick auf die Consumer Protection
from Unfair Trading Regulations 2008 sowie die Business Protection from Misleading Marketing Regulations 2008 auszuweiten. 87 Dagegen spricht freilich schon jetzt die im Oktober 2009 ergangene Entscheidung Phillip McGuffick v. The Royal Bank of Scotland, in
welcher der High Court den regulations einen individualschützenden Charakter ausdrücklich abgesprochen hat.88
ff) Inducement of breach of contract und interference with business by unlawful means
Ungeachtet der bereits vorgestellten Klagegründe kennt das englische Recht eine ganze Reihe weiterer economic torts, deren Wurzeln häufig im Vertragsrecht und im kollektiven Arbeitsrecht liegen, die jedoch auch wettbewerbsrechtliche Anwendungsfelder haben. Dies betrifft namentlich die Tatbestände interference with contract, interference with business by unlawful means, intimidation und conspiracy, deren Verhältnis zueinander im Laufe der Jahrzehnte immer undurchsichtiger geworden ist. Mit der Klärung
der Systematik begonnen hat das House of Lords im Jahr 2007 in der Sache OBG v.
Allan.89
Zu nennen ist zunächst der Tatbestand interference with contract, dessen Ausgangsfall das vorsätzliche Verleiten zum Vertragsbruch (inducement of breach of contract) bildet. Leitentscheidung ist das 1853 ergangene Urteil Lumley v. Gye.90 In dem zugrunde
liegenden Sachverhalt hatte der Beklagte die Opernsängerin Johanna Wagner böswillig dazu veranlasst, ihren Exklusivvertrag mit dem Kläger zu brechen. Da der Kläger
bereits gegen seine Vertragspartnerin einen Unterlassungsanspruch hatte,91 lag die
vom Gericht zu überwindende Hürde darin, dem Kläger trotz privity of contract auch
einen Anspruch gegen den Mitbewerber zu gewähren. 92 Dieser Schritt gelingt mit der
86
87
88
89
90
91
sich daher nur insoweit als bindend, zumal sich die Lords in Lonrho v. Shell im Hinblick auf
ausübende Künstler obiter zugunsten eines Klagerechts ausgesprochen hätten, [1987] F.S.R.
362 (374).
Vgl. ss. 180 ff. Copyright, Designs and Patents Act 1988.
Ebenso vor dem Hintergrund der früheren Rechtslage Ohly, 39. Näher zu den regulations
sogleich.
Phillip McGuffick v. The Royal Bank of Scotland Plc. [2009] WL 2958770.
OBG v. Allan [2007] 2 W.L.R. 920, gemeinsam verhandelt mit den Rechtssachen Douglas v.
Hello! und Mainstream Properties v. Young.
Lumley v. Gye (1853) 2 E & B 216.
So im Ergebnis das Urteil Lumley v. Wagner (1852) 1 De G.M. & G. 604, auf das der heutzutage als doctrine of Lumley v. Wagner bekannte Grundsatz zurückgeht, dass derjenige, der
sich zu einer persönlichen Dienstleistung verpflichtet hat, zwar nicht zur Naturalerfüllung
(specific performance), wohl aber auf der Basis einer Wettbewerbsklausel unter bestimmten
Voraussetzungen zur Unterlassung verurteilt werden kann.
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Annahme einer akzessorischen Haftung: „It was undoubtedly prima facie an unlawful act
on the part of Miss Wagner to break her contract, and therefore a tortious act of the defendant
maliciously to procure her to do so“.93 Nach und nach wurde der Tatbestand auf Fälle
jedweden Einwirkens auf Vertragsbeziehungen (interference with contract), und zwar
auch ohne Vertragsbruch, ausgedehnt. 94 Dabei fand eine Vermischung mit einer anderen Rechtsprechungslinie statt, nämlich derjenigen zum tort of interference with business by unlawful means. Diese betraf zunächst Fälle rechtswidriger Drohungen (intimidation),95 wurde jedoch mit der Entscheidung J. T. Stratford & Son. v. Lindley auf vorsätzliche Schädigungen unter Einsatz anderer ungesetzlicher Mittel erweitert.96 Bereits
in dem Urteil Quinn v. Leathem, in dem eine Gewerkschaft ihre Ziele gegenüber dem
Fleischereiwarenbetrieb Leathem durchzusetzen versucht hatte, indem sie dessen Abnehmern, sollten diese weiter Waren von Leathem beziehen, mit Streiks drohte, heißt
es anknüpfend an Lumley v. Gye: „the principle involved in it cannot be confined to inducements to break contracts of service, or indeed to inducements to break any contracts. The
principle which underlies the decision reaches all wrongful acts done intentionally to damage a
particular individual and actually damages him“.97 Weiter geht Lord Denning in Torquay
Hotel v. Cousins, indem er dafür plädiert, das Prinzip von Lumley v. Gye auf Fälle vorsätzlichen und direkten Einwirkens auf Vertragsbeziehungen unabhängig vom Vorliegen eines Vertragsbruchs auszudehnen, und ein ungesetzliches Verhalten nur bei indirektem Vorgehen zu fordern.98 In Merkur Island Shipping v. Laughton wird unlawful interference with trade schließlich als eigenständige Deliktskategorie bezeichnet, von der
das Verleiten zum Vertragsbruch nur ein Unterfall sei.99
Das House of Lords hat nunmehr klargestellt, dass es sich bei inducement of breach of
contract und interference with business by unlawful means (Lord Nicholls of Birkenhead)
bzw. causing loss by unlawful means (Lord Hoffmann) um zwei voneinander getrennte
Delikte handelt, die verschiedene Voraussetzungen aufweisen und auf unterschiedli92
93
94
95
96
97
98
99
Hiermit taten sich die Gerichte anfangs schwer, vgl. etwa die Entscheidung Erskine McDonald
Ltd. v. Eyles [1921] 1 Ch. 631. In dem Fall hatte sich eine Autorin gegenüber ihrem Verlag in
einer Optionsklausel zur Vorlage von Folgewerken verpflichtet. Als die Autorin zu einem
Konkurrenzverlag wechselte, der von dem Ausgangsvertrag gewusst hatte, nahm der Erstverlag beide auf Unterlassung der Publikation des Folgeromans in Anspruch. Um den Anspruch gegen den Mitbewerber bejahen zu können, hielt Peterson J. das Vorliegen eines
proprietary interest für unabdingbar, welches im Ergebnis in einem durch das Optionsrecht
vermittelten inchoate interest am copyright gesehen wurde.
Lumley v. Gye (1853) 2 E & B 216 (238) per Wightman J.
GWK Ltd. v. Dunlop Rubber Co Ltd. (1926) T.L.R. 376 (377): „a violation of the ARM company’s
legal rights by interfering, without justification whatever, with the contractual relations existing
between them and the GWK company“; s. ferner DC Thomson & Co Ltd. v. Deakin [1952]
Ch 646.
S. bereits Garret v. Taylor (1629) Cro Jac 567; Tarleton v. M’Gawley (1790) 1 Peake NPC 270;
als tort of intimidation anerkannt in Rookes v. Barnard [1964] 1 All E.R. 367.
J. T. Stratford & Son. v. Lindley [1965] A.C. 269 (324).
Quinn v. Leathem [1901] A.C. 495 (535).
Torquay Hotel v. Cousins [1969] 2 Ch. 106 (138 f.).
Merkur Island Shipping v. Laughton [1983] 2 All E.R. 189 (196 f.).
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chen Haftungskonzepten basieren. Inducement of breach of contract setze als akzessorisch konzipierte Haftung das Vorliegen eines Vertragsbruchs voraus.100 Darüber hinaus müsse der Schädiger den Vertragsbruch in Kenntnis des Vertrages vorsätzlich veranlassen.101 Demgegenüber sei interference with business by unlawful means eine primär
ausgestaltete Haftung, welche neben der Einflussnahme auf Handlungen eines Dritten
den Einsatz ungesetzlicher Mittel sowie einen Schädigungswillen erfordere.102 Davon
erfasst sein dürften namentlich Konstellationen der unlawful intimidation im Drei-Personen-Verhältnis. Ob auch die „two party intimidation“ erfasst ist, hat das House of Lords
ausdrücklich offen gelassen.103 Nicht näher befasst hat sich das House of Lords mit der
systematischen Einordnung des Tatbestands des Zusammenwirkens zur Schädigung
eines Dritten (conspiracy). Ob auch die unlawful means conspiracy nunmehr im tort of
interference with business by unlawful means aufgehen wird, bleibt abzuwarten.104
b) Straf- und verwaltungsrechtliche Vorschriften
Während die oben dargestellten economic torts dem Verbraucher allenfalls mittelbar
zugutekommen, ist der direkte Verbraucherschutz gesetzlich geregelt. Aus seiner historischen Entwicklung heraus wird das englische Verbraucherschutzrecht dem Strafund Verwaltungsrecht zugerechnet.105 Eine Fusion von Verbraucher- und Konkurrentenschutz hat bislang nicht stattgefunden; insbesondere hat sich eine dem sog. „Vorsprungsgedanken“ des deutschen Rechts entsprechende Argumentation, wonach sich
derjenige, der gegen straf- und verwaltungsrechtliche Wettbewerbsnormen verstößt,
zugleich einen gravierenden Vorteil gegenüber denjenigen Mitbewerbern verschafft,
die sich rechtstreu verhalten, im englischen Recht, soweit ersichtlich, nicht etabliert.106 Allerdings ist es für jede Privatperson, mithin auch für Mitbewerber gemäß
s. 6(1) Prosecution of Offences Act 1985 möglich, eine Strafverfolgung zu veranlassen.
Die bis vor kurzem wichtigsten Vorschriften auf dem Gebiet unlauterer Geschäftspraktiken sind seit den 60er Jahren entstanden. Entsprechend der Tendenz des englischen Rechts, eine Regelungsmaterie nicht erschöpfend und mit Anspruch auf Vollständigkeit zu kodifizieren, sondern vielmehr „Gelegenheitsgesetze“ zu erlassen, mit
denen auf bestimmte Entwicklungen oder aktuell empfundene Missstände reagiert
wird, richteten sie sich jeweils gegen bestimmte Arten unlauterer Geschäftspraktiken.
100
101
102
103
104
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106
OBG v. Allan [2007] 2 W.L.R.
OBG v. Allan [2007] 2 W.L.R.
OBG v. Allan [2007] 2 W.L.R.
OBG v. Allan [2007] 2 W.L.R.
920 (940 f.).
920 (939 f.).
920 (941).
920 (945).
Dagegen, allerdings im Vorfeld des Urteils unter Verweis auf Kuwait Oil Tanker Co. SAK v. Al
Bader [2000] All E.R. 271 Winfield/Jolowicz, Rn. 18-34. Die Tatbestandsvariante, dass der
Schädiger sich zwar erlaubter Mittel bedient, aber mit Schädigungsabsicht in dem Sinne
handelt, dass es ihm weniger um seine eigenen Interessen, als vielmehr in erster Linie darum
geht, dem Opfer Schaden zuzufügen (vgl. etwa Jarman & Platt v. Barget [1977] F.S.R. 269),
dürfte im Wettbewerbsrecht kaum relevant werden.
Ohly, 46; Cornish, GRUR Int. 1973, 679 ff.
Ohly, 46.
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Hervorzuheben sind der Trade Descriptions Act 1968, welcher falsche Angaben über
Waren und Dienstleistungen erfasste, sowie die falsche Angaben über den Preise unter
Strafe stellenden ss. 20-26 des Consumer Protection Act 1987. Weitere Verbote unlauterer Werbung fanden sich beispielsweise im Consumer Credit Act 1974, dem Weights
and Measures Act 1985, den die Richtlinie über irreführende Werbung107 umsetzenden
Control of Misleading Advertisements Regulations 1988 und der Marking (Food and Drink)
Services Order 2003.
Um die Rechtslage übersichtlicher zu gestalten, hat der englische Gesetzgeber das
Verbraucherschutzrecht im Jahr 2008 grundlegend novelliert, wobei die vorstehend
aufgeführten Regelungen weitgehend aufgehoben wurden. Schutz vor unlauteren Geschäftspraktiken im B2C-Verhältnis gewährleisten nunmehr primär die am 26. Mai
2008 in Kraft getretenen Consumer Protection from Unfair Trading Regulations 2008
(CPRs), welche die Richtlinie über unlautere Geschäftspraktiken gegenüber Verbrauchern108 in innerstaatliches Recht umsetzen. Die in Teil 2 der CPRs enthaltenen Verbotstatbestände sind eng am Wortlaut der Richtlinie formuliert. Wie diese gehen die
CPRs vom Generalklauselmodell aus. Konkretisiert wird das in reg. 3(1) statuierte allgemeine Verbot unlauterer Geschäftspraktiken in dreierlei Hinsicht: Gemäß reg. 3(3)
unlauter sind zunächst Geschäftspraktiken, die den Erfordernissen beruflicher Sorgfalt
widersprechen und das wirtschaftliche Verhalten des Durchschnittsverbrauchers
wesentlich beeinflussen oder zumindest dazu geeignet sind. Entsprechendes gilt gemäß
reg. 3(4)(a)-(c) für Geschäftspraktiken, die sich als irreführend im Sinne von regs. 6
und 5 sowie aggressiv im Sinne von reg. 7 darstellen. Reg. 4(d) verweist schließlich auf
die in Anhang 1 enthaltene, in allen Mitgliedstaaten geltende „schwarze Liste“ verbotener Praktiken. Ausgehend von dieser Ausdifferenzierung normiert der mit „Offences“ überschriebene Teil 3 der CPRs die weiteren Voraussetzungen, unter denen ein
Verstoß gegen das Verbot unlauterer Geschäftspraktiken strafbar ist. Reg. 8(1) verlangt, dass der Gewerbetreibende, der gegen reg. 3(3) verstößt, wissentlich oder leichtfertig (knowingly or recklessly) handelt, wobei letzteres nach reg. 8(2) vermutet wird,
wenn er sich unabhängig vom Vorliegen bestimmter Verdachtsgründe nicht darum
gekümmert hat, ob sein Geschäftsgebaren den Anforderungen beruflicher Sorgfalt
entspricht. Demgegenüber sehen regs. 9-11 für die in regs. 6-7 normierten irreführenden und aggressiven Geschäftspraktiken unter Ausnahme des in reg. 5(3)(b) geregelten Irreführungstatbestandes der Nichteinhaltung von Verpflichtungen, die aus Verhaltenskodizes resultieren, eine verschuldensunabhängige Verantwortlichkeit vor.
Ebenfalls eine verschuldensunabhängige Verantwortlichkeit normiert reg. 12 für den
Verstoß gegen Ziff. 1-10, 12-27 und 29-31 des Schedule 1. Diese strenge, verschuldens107
108
Richtlinie 84/450 /EG des Rates vom 10. September 1984 zur Angleichung der Rechts- und
Verwaltungsvorschriften der Mitgliedstaaten über irreführende Werbung, ABl. EG Nr. L 250
vom 19.09.1984, S. 17.
Richtlinie 2005/29/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 11. Mai 2005 über
unlautere Geschäftspraktiken im binnenmarktinternen Geschäftsverkehr zwischen Unternehmen und Verbrauchern und zur Änderung der Richtlinie 84/450 /EG des Rates, der
Richtlinien 97/7/EG, 98/27/EG und 2002/65/EG des Europäischen Parlaments und des
Rates sowie der Verordnung (EG) Nr. 2006/2004 des Europäischen Parlaments und des Rates
(Richtlinie über unlautere Geschäftspraktiken), ABl. EG Nr. L 149 vom 11.06.2005, S. 22.
181
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unabhängige strafrechtliche Verantwortlichkeit auch von juristischen Personen (reg.
15) und für Handlungen Dritter (reg. 16) knüpft an die Regelungstechnik der früheren
gesetzlichen Vorschriften, namentlich des Trade Descriptions Act 1968, an, welche
rechtfertigungshalber als „Wohlstandseingriffe“ (welfare offences) bezeichnet wurden.109 Ebenso wie diese enthalten die CPRs jedoch Verteidigungsmöglichkeiten zugunsten des Beschuldigten. Die in reg. 17 enthaltene due diligence defence kann erheben, wer nachweist, dass der Gesetzesverstoß auf einer von ihm nicht ohne weiteres
beherrschbaren Ursache basiert und er sämtliche zumutbaren Vorkehrungen getroffen
und jede erforderliche Sorgfalt hat walten lassen, um die Begehung der Straftat zu verhindern. Reg. 18 normiert einen Verteidigungsgrund zugunsten von gewerbsmäßig mit
der Veröffentlichung von Werbeanzeigen befassten Personen, welche die streitgegenständliche Anzeige im normalen Geschäftsbetrieb entgegengenommen und hinsichtlich ihres rechtsverletzenden Inhalts weder vorsätzlich noch fahrlässig gehandelt haben. Bemerkenswert ist schließlich, dass Verträge, die gegen die CPRs verstoßen, gemäß reg. 29 allein aus diesem Grund weder nichtig noch undurchsetzbar sein sollen.
Zeitgleich mit den CPRs in Kraft getretenen sind die Business Protection from Misleading Marketing Regulations 2008 (BPRs), welche der Umsetzung der Richtlinie über
irreführende und vergleichende Werbung110 dienen und sich ebenfalls eng an deren
Wortlaut orientieren. Ein allgemeines Verbot irreführender Werbung gegenüber Gewerbetreibenden enthält reg. 3(1), welches in reg. 3(2)-(5) gemäß den Vorgaben der
Richtlinie konkretisiert wird. Reg. 4 erklärt vergleichende Werbung für zulässig, sofern
sie die von der Richtlinie aufgestellten Voraussetzungen erfüllt, insbesondere nicht
irreführend, herabsetzend oder verunglimpfend ist, Waren oder Dienstleistungen für
den gleichen Bedarf und dieselbe Zwecksetzung vergleicht, objektiv ausfällt, keine
Verwechselungsgefahr begründet und nicht zu einer unlauteren Rufausnutzung führt.
Mit reg. 5 macht der englische Gesetzgeber von der in der Richtlinie vorgesehenen
Möglichkeit Gebrauch, Urheber von Verhaltenskodizes, welche der Nichteinhaltung
der gesetzlichen Vorschriften Vorschub leisten, in den Kreis der verantwortlichen Personen einzubeziehen. Reg. 6 statuiert eine verschuldensunabhängige strafrechtliche
Verantwortlichkeit für Verstöße gegen das Verbot irreführender Werbung; die in regs.
11 und 12 normierten Verteidigungsgründe entsprechen denen der CPRs. Ebenso lässt
der Verstoß gegen die BPRs ausweislich reg. 29 die Wirksamkeit und Durchsetzbarkeit
von Verträgen unberührt.
Die Aufsicht über die Einhaltung beider regulations sowie sonstiger verbraucherschützender Regelungen obliegt dem Office of Fair Trading (OFT), welches als Zentralbehörde des Konsumentenschutzes durch den Fair Trading Act 1973 geschaffen wurde
und dessen weitreichende Befugnisse auf den Gebieten des Verbraucherschutz- und
Kartellrechts heutzutage vornehmlich im Enterprise Act 2002 geregelt sind, den Local
Authority Trading Standard Services (TSS), den früheren kommunalen Ämtern für Maße
und Gewichte, sowie dem Department of Enterprise, Trade and Investment in Northern
109
110
Dazu Cornish, GRUR Int. 1973, 679 (680, 682 f.).
Richtlinie 2006/114 /EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 12. Dezember
2006 über irreführende und vergleichende Werbung, ABl. EG Nr. L 376 vom 27.12.
2006, S. 21.
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I. Rechtliche Grundlagen
Ireland. Diese enforcement authorities können auf ein umfangreiches Spektrum an
Rechtsdurchsetzungsinstrumenten zurückgreifen, zu denen nicht nur die strafrechtliche Verfolgung der in den regulations enthaltenen offences zählt, sondern insbesondere
auch die Verfolgung als domestic infringement oder community infringement gemäß Teil 8
des Enterprise Act 2002.111
c) Werbeselbstkontrolle anhand von Verhaltenskodizes
Eine besonders bedeutsame Rolle spielt in England die Werbeselbstkontrolle, und zwar
vornehmlich anhand der Advertising Codes, welche durch die Advertising Standards
Authority (ASA) gewährleistet wird.112 Bei der ASA handelt es sich um eine 1962 seitens der Industrie gegründete, von der Werbewirtschaft und Regierung unabhängige
und im öffentlichen Interesse tätige Gesellschaft, der die Überwachung der Befolgung
der Advertising Codes übertragen wurde.113 Verfasst werden die Codes von zwei Institutionen, in denen sich Verbände der Werbewirtschaft und der Medienunternehmen
zum Zwecke der Selbstkontrolle zusammengeschlossen haben: das Committee of Advertising Practice (CAP) sowie das Broadcast Committee of Advertising Practice (BCAP). Zu
unterscheiden waren bis vor kurzem der British Code of Advertising, Sales Promotion and
Direct Marketing (CAP-Code), der Radio Advertising Standards Code sowie die TV Codes,
wiederum unterteilt in den TV Advertising Standards Code, die Rules on Scheduling of
Television Advertisements und den Code for Text Services. Letztere sind mit der Novellierung der Codes zum 1. September 2010114 der Übersichtlichkeit halber in einem einheitlichen Code of Broadcast Advertising Code (BCAP-Code) zusammengefasst worden.
Beiden Codes in der Fassung von 2010 ist ein Einleitungsteil vorangestellt, der den
Anwendungsbereich des Code, Definitionen und Anwendungskriterien festlegt. Darauf folgen jeweils die General Sections, welche an bestimmte Arten von Werbepraktiken anknüpfen, während die Specific Category Sections Spezialregelungen für bestimmte Branchen enthalten. Der Schlussteil des CAP-Code liefert zusätzliche Informationen über das Sanktionensystem sowie die Entstehungsgeschichte der Werbeselbstkontrolle. Anhang 1 vermittelt einen Überblick über die CPRs und die BPRs, welche bei
der Auslegung des Codes zu berücksichtigen sind. Der BCAP-Code gibt abschließend
Regelungen für die Programm- und Werbeplanung (Scheduling Rules) vor. Anhänge
1-3 informieren über den Rechtsrahmen der Rundfunkwerbung, die Fernsehricht111
112
113
114
Ausführlich zur Rechtsdurchsetzung unten, III. 2.
Dazu Jergolla, WRP 2003, 431 ff., 606 ff.; Ohly, 54 ff. Daneben existieren für bestimmte
Regelungsbereiche weitere, noch unten näher zu behandelnde Verhaltenskodizes, so insbesondere für den Bereich des Direktmarketing der Code of Practice der Direct Marketing
Authority (DMA), der DSA Consumer Code of Practice und der DSA Code of Business Conduct,
beide aufgestellt von der Direct Selling Association (DSA), sowie die Codes des Office of
Communications (OfCom).
Für ausführliche Informationen sei auf die Website der ASA (www.asa.org.uk) verwiesen.
Die neuen Codes samt Informationen hierzu sind auf der Website des CAP (www.bcap.org.uk)
abrufbar.
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Länderbericht England
linie115 sowie die CPRs und die BPRs. Regelungstechnisch und inhaltlich erinnern die
Codes an die kontinentaleuropäischen Wettbewerbsgesetze.116 Dies gilt namentlich für
die am Anfang der General Sections normierten Compliance-Grundsätze, welche lauterkeitsrechtlichen Generalklauseln ähneln: Gemäß Rule 1.1 des CAP Code soll jede
Werbemaßnahme „legal, decent, honest and trustful“ sein; Rule 1.3 mahnt an, bei der
Planung einer Werbemaßnahme einen Sinn für die Verantwortlichkeit sowohl dem
Verbraucher als auch der Gesellschaft gegenüber zu entwickeln. Rule 1.6 zufolge „marketing communications must respect the principles of fair competition generally accepted in
business“. Rule 1.9 bestimmt, dass „marketers should deal fairly with consumers“.
Ob Werbemaßnahmen mit den Codes im Einklang stehen, wird von der ASA teils
eigeninitiativ, teils aufgrund von eingehenden Beschwerden überprüft. Die Entscheidung darüber, ob eine Werbemaßnahme gegen den Code verstößt, trifft der derzeit aus
15 Mitgliedern bestehende ASA Council. Ist der Verstoß geringfügig oder rechtlich
eindeutig, wird dem Werbenden nahegelegt, seine Werbung zurückzuziehen oder zu
ändern (informal resolution). In allen anderen Fällen folgt ein formelles Untersuchungsverfahren (formal investigation process), im Zuge dessen der Werbende nachzuweisen hat, dass die Werbemaßnahme dem Code entspricht.117 Bei der Rechtsdurchsetzung kann die ASA auf ein weitreichendes Sanktionensystem zurückgreifen, welches nicht nur die wöchentliche Veröffentlichung der Entscheidungen des Council
auf der Website, sondern als ultima ratio die Einschaltung des OFT bzw. des Office of
Communications (Ofcom) umfasst.118
2. Ablehnung eines unfair competition-Tatbestands durch die
englische Rechtsprechung
Anders als die kontinentaleuropäischen Staaten haben es die englischen Gerichte
stets abgelehnt, eine lauterkeitsrechtliche Generalklausel zu entwickeln.119 Die Gründe sind vielfältig. Sie liegen sowohl in den Eigenarten des englischen Rechts an sich,
welches in Präjudizien und Fallgruppen denkt und der Entwicklung generalisierender
Konzepte misstrauisch gegenüber steht, als auch in der noch immer nachwirkenden
viktorianisch-liberalistischen Zurückhaltung der Gerichte, sich in das Kräftespiel des
Marktes einzumischen. Eine erste Gelegenheit, sich mit der Abgrenzung zwischen erlaubtem und unerlaubtem Wettbewerb auseinanderzusetzen, bekamen die Gerichte in
der Sache Mogul Steamship Co. Ltd. v. McGregor, Gow & Co Ltd.120 Es ging um den
115
116
117
118
119
120
Richtlinie 89/552 /EG des Rates vom 3. Oktober 1989 zur Koordinierung bestimmter Rechtsund Verwaltungsvorschriften der Mitgliedstaaten über die Ausübung der Fernsehtätigkeit,
ABl. EG Nr. L 298 vom 17.10.1989, S. 23.
So auch Ohly, 56 f.
Insbesondere kann eine ungerechtfertigt verzögerte Beantwortung von Nachfragen durch die
ASA als Verstoß gegen die Codes gewertet, vgl. rules 1.7, 3.7 CAP Code.
Näher zum Sanktionensystem unten, III.
Zum Ganzen Ohly, 74 ff.; de Vrey, 5.2; Davis, 183 (194 ff.).
The Mogul Steamship Co. Ltd. v. McGregor, Gow & Co. Ltd and Others (1889) Q.B.D. 598;
[1892] A.C. 25; ausführlich zu diesen Urteilen Ohly, 75 ff.
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I. Rechtliche Grundlagen
Streit zwischen mehreren Reedereien, die im Teehandel zwischen China und Europa
tätig waren. Die Beklagten hatten sich auf eine Aufteilung der gesamten anfallenden
Fracht in Quoten verständigt und zur Ausschaltung von Außenseitern vereinbart, die
Preise der Konkurrenz systematisch zu unterbieten, Händlern, die ausschließlich
Schiffe der Beklagten benutzten, Preisnachlässe zu gewähren sowie Agenturen, die
für die Konkurrenz tätig waren, keine Aufträge mehr zu erteilen. Nachdem die Reederei Mogul Steamship Company vergeblich versucht hatte, dem Kartell beizutreten,
klagte sie wegen conspiracy und unreasonable restraint of trade. Zwei der drei Richter des
Court of Appeal qualifizierten das Verhalten der Beklagten, die lediglich Wettbewerbshandlungen vorgenommen hätten, ohne sich darüber hinausgehender rechtswidriger
Mittel zu bedienen, als rechtmäßig: „This seems to assume that, apart from fraud, intimidation, molestation, or obstruction, of some personal right in rem or ad personam, there is
some natural standard of ‚fairness‘ or ‚reasonableness‘ (to be determined by the internal consciousness of judges and juries) beyond which competition ought not in law to go. There seems
to be no authority, and I think, with submission, that there is no sufficient reason for such a
proposition. It would impose a novel fetter upon trade“.121 Nach Fry L.J. „to draw a line
between fair and unfair competition, between what is reasonable and unreasonable, passes
the power of the courts. Competition exists when two or more persons seek to possess or to
enjoy the same thing: it follows that the success of one must be the failure of another, and no
principle of law enables us to interfere with or to moderate that success or that failure so long as
it is due to mere competition“.122 Demgegenüber stellte Lord Esher M.R. in seinem abweichenden Votum darauf ab, dass der reguläre Wettbewerb ein fairer Wettbewerb sei:
„The ordinary competition of trade is fair competition, not a secret persuasion of others to do
wrong“, weshalb „any act, though of the nature of competition in trade, but which is an act
beyond the limits of fair trade competition, and which is therefore not an act of any real course
of trade at all, and the immediate and necessary effect of which is such an interference with a
rival’s right to free course of trade as prevents him from exercising his full right to a free course
of trade (…) is actionable if injury ensue (…)“.123 Dieser Argumentation trat das House of
Lords entgegen: „My Lords, after all, what can be meant by the ‚out of the ordinary course of
trade’? I should rather think as a fact, that it is very commonly within the ordinary course of
trade so to compete for a time as to render trade unprofitable to your rival in order that when
you have got rid of him you may appropriate the profits of the entire trade to yourself“.124 Die
Entscheidung des Court of Appeal wurde einstimmig bestätigt und in der Folgezeit namentlich in den Fällen Allen v. Flood125 und Quinn v. Leathem126 zum Maßstab erhoben.
121
122
123
124
125
126
The Mogul Steamship Co. Ltd. v. McGregor, Gow & Co. Ltd and Others (1889) Q.B.D. 598
(615) per Bowen L.J.
The Mogul Steamship Co. Ltd. v. McGregor, Gow & Co. Ltd and Others (1889) Q.B.D. 598
(625 f.).
The Mogul Steamship Co. Ltd. v. McGregor, Gow & Co. Ltd and Others (1889) Q.B.D. 598
(608 f.).
The Mogul Steamship Co. Ltd. v. McGregor, Gow & Co. Ltd and Others [1892] A.C. 25 (37) per
Lord Halsbury.
Allen v. Flood [1898] A.C. 1.
Quinn v. Leathem [1901] A.C. 495.
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Gleichwohl ist die Frage, ob es wünschenswert wäre, im englischen Recht über
einen einheitlichen unfair competition-Tatbestand zu verfügen, wie er sich in den
U.S.A. mit dem Urteil des Supreme Court in International News Services v. Associated
Press127 etabliert hat, von den Gerichten immer wieder reflektiert worden. Besonders
deutlich zum Ausdruck kommen diese Überlegungen in den Urteilen, welche die Ausarbeitung der äußeren Grenzen des passing off zum Gegenstand haben. Ein instruktives
Beispiel bildet das Diktum von Lord Diplock im Advocaat-Fall, in dem er fünf Kriterien
für das Vorliegen von passing-off aufstellt, zugleich jedoch davor warnt, allzu sehr mit
Begrifflichkeiten zu operieren: „In seeking to formulate general propositions of English law,
however, one must be particularly careful to beware of the logical fallacy of the undistributed
middle. It does not follow that because all passing off actions can be shown to present these
characteristics, all factual situations which present these characteristics give rise to a cause of
action for passing off. True it is that their presence indicates what a moral code would censure
as dishonest trading, based as it is upon deception of customers and consumers of a trader’s
wares but in an economic system which has relied on competition to keep down prices and to
improve products there may be practical reasons why it should have been the policy of the
common law not to run the risk of hampering competition by providing civil remedies to every
one competing in the market who has suffered damage to his business or goodwill in consequence of inaccurate statements of whatever kind that may be made by rival traders about
their own wares. The market in which the action for passing off originated was no place for the
mealy mouthed; advertisements are not on affidavit; exaggerated claims by a trader about the
quality of his wares, assertions that they are better than those of his rivals even though he
knows this to be untrue, have been permitted by the common law as venial ‚puffing‘ which
gives no cause of action to a competitor even though he can show that he has suffered actual
damage in his business as a result“.128 Dass sich an dieser Auffassung auch in den letzten
Jahren nichts geändert hat, zeigt das 2008 ergangene Diktum von Jacob L.J. in L’Oréal
SA v. Bellure NV: „The rejected complaint shows just how anti-competitive a law of unfair
competition would or might be. What one man calls ‚unfair‘ another calls ‚fair‘. (…) So I
think the real difficulty in formulating a clear and rational line between that which is fair and
that which is not, once one goes outside the requirement of no deception“.129 Abgesehen von
diesen Abgrenzungsschwierigkeiten sei es nicht Aufgabe der Gerichte, Ersatzausschließlichkeitsrechte zu schaffen: „It is not for the judges to step in and legislate into exist127
128
129
International News Services v. Associated Press (248) U.S. 215 (1918); zu diesem Urteil sowie
der Parallelentscheidung des High Court of Australia in Victoria Parc Racing v. Taylor (1937) 58
C.L.R. 479; eingehend Ohly, 81 ff.
Erven Warnink Besloten Vennootschap and Another v. J. Townend & Sons (Hull) Ltd. and
Another [1979] A.C. 731 (742). Entsprechend äußerte sich Lord Scarman in der Pub SquashEntscheidung: „But competition must remain free; and competition is safeguarded by the necessity
for the plaintiff to prove that he has built up an ‚intangible property right‘ in the advertised descriptions
of his product, or, in other words, that he has succeeded by such methods in giving his product a
distinctive character accepted by the market. A defendant however, does no wrong by entering a
market created by another and there competing with its creator. The line may be difficult to draw; but,
unless it is drawn, competition will be stifled“, Cadbury-Schweppes Pty. Ltd. v. Pub Squash Pty.
Ltd. [1981] 1 W.L.R. 193 (200).
L’Oréal SA v. Bellure NV [2008] R.P.C. 196 (236).
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I. Rechtliche Grundlagen
ence new categories of intellectual property rights. And if they were to do so they would be
entering wholly uncertain territory“.130
Mit Blick auf die verbraucherschützende „große“ Generalklausel in reg. 3(1) CPRs
sowie die „kleine“ Generalklausel betreffend irreführende Werbung in reg. 3(1) BPRs
ist es für die Gerichte heutzutage so einfach wie nie zuvor, etwa über breach of statutory
duty oder interference with business by unlawful means das Tor zu einem unfair competition-Tatbestand zu öffnen. Bemerkenswert in diesem Zusammenhang ist das Diktum
von Eady J. in Tiscali UK Ltd. v. British Telecommunications vom Dezember 2008. Die
Beklagte hatte Briefe versandt, in denen sie den Kunden der Klägerin empfahl, zu ihr
zu wechseln, weil eine Übernahme der Klägerin bevorstehe, welche die Weitererbringung der von dieser angebotenen Breitbanddienstleistungen gefährde. Tatsächlich
hatte es im Vorfeld zwar Übernahmegespräche, allerdings keinerlei Anhaltspunkte
dahingehend gegeben, dass der Breitband-Service der Klägerin danach nicht mehr
zur Verfügung stehen würde. Nachdem der Klagegrund defamation gescheitert war, berief sich die Klägerin auf interference with business by unlawful means und argumentierte,
das Verhalten der Beklagten verstoße gegen die CPRs und die BPRs. Eady J. ließ dieses
Vorbringen zu und konstatierte: „There is no reason to suppose that if the Claimant succeeds in establishing an infringement of these new regulations, aimed at the protection of consumers and businesses, this could not serve as ‚unlawful means‘ for the purpose of establishing
that tort“.131 Angesichts der Reichweite dieser Vorschriften wären die Konsequenzen
einer solchen Entscheidung nahezu unübersehbar. Dieser Verantwortung ist sich Flaux
J. im 2009 entschiedenen Fall Phillip McGuffick v. The Royal Bank of Scotland,132 in dem
sich der Kläger nicht nur auf die Vorschriften des Consumer Credit Act 1974, sondern
darüber hinaus auf die CPRs berufen hatte, bewusst. Er spricht den CPRs jedweden
individualschützenden Charakter ab. Geschützt werde der „average consumer“, und
zwar im Wege der offences, deren Verfolgung dem OFT und den anderen in den CPRs
genannten enforcement authorities obliege.133 Auch reg. 29, wonach Verträge, die gegen
die CPRs verstoßen, wirksam und durchsetzbar blieben, weise in diese Richtung.134
Überdies habe der Gesetzgeber bewusst darauf verzichtet, individuelle Klagerechte
in die CPRs aufzunehmen.135 Flaux J. verweist dabei auf das Explanatory Memorandum
des Department of Business, Enterprise & Regulatory Reform,136 in dem die Aufnahme
zivilrechtlicher Rechtsbehelfe in die CPRs als eine von mehreren Optionen diskutiert,
letztlich aber die Law Commission um eine Stellungnahme ersucht wird.137 Die Law
Commission hat daraufhin im November 2008 eine priliminary advice herausgegeben,
in der sie zu einer sorgfältigen Abwägung des Für und Wider individueller Klagerechte
anhält und zu bedenken gibt, die neu gewonnene Übersichtlichkeit des Verbraucher-
130
131
132
133
134
135
136
137
L’Oréal SA v. Bellure NV [2008] R.P.C. 196 (236).
Tiscali UK Ltd. v. British Telecommunications Plc. [2008] WL 5263950, Rn. 5.
Phillip McGuffick v. The Royal Bank of Scotland Plc. [2009] WL 2958770.
Phillip McGuffick v. The Royal Bank of Scotland Plc. [2009] WL 2958770, Rn. 89 f.
Phillip McGuffick v. The Royal Bank of Scotland Plc. [2009] WL 2958770, Rn. 89.
Phillip McGuffick v. The Royal Bank of Scotland Plc. [2009] WL 2958770, Rn. 91 f.
Abrufbar unter www.opsi.gov.uk.
Explanatory Memorandum, S. 35.
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schutzregimes könne durch die Einführung privater Klagerechte konterkariert werden.138
II. Die wichtigsten Sachprobleme
Literatur: Bodewig, Das Recht des unlauteren Wettbewerbs in Großbritannien: Ein Dreiklang von
Fallrecht, Gesetzesrecht und Selbstkontrolle, GRUR Int. 2004, 543; Carey, Comparative Advertising
– European Harmonisation [2000] Ent.L.R. 21; Cornish, Der Geheimnisschutz im englischen Recht,
GRUR Int. 1975, 153, Cornish/Llewelyn, Intellectual Property: Patents, Copyright, Trade Marks and
Allied Rights, 6. Auflage, London 2007; Kebbedies, Vergleichende Werbung, Die europäischen
Harmonisierungsbemühungen im deutschen und englischen Lauterkeitsrecht, Göttingen 2005; Müller, Risikoverteilung im Verlagsvertrag nach deutschem und englischem Recht – aus dienstleistungsrechtlicher Perspektive –, Köln 2010; Obermair, Der Schutz des Verbrauchers vor unlauterer Werbung in Deutschland und Großbritannien, Berlin 2004; Ohly, Richterrecht und Generalklausel im
Recht des unlauteren Wettbewerbs, Ein Methodenvergleich des englischen und des deutschen
Rechts, Köln 1997; Ohly/Spence, Vergleichende Werbung: Die Auslegung der Richtlinie 97/55/
EG in Deutschland und Großbritannien, GRUR Int. 1991, 681.
1. Unzulässige Einflussnahme auf Abnehmer
a) Irreführende Werbung
Reg. 3 BPRs normiert in Gestalt einer „kleinen Generalklausel“ ein allgemeines Verbot irreführender Werbung im B2B-Verhältnis. In den das B2C-Verhältnis regelnden
CPRs rangieren die in regs. 5 und 6 normierten irreführenden Handlungen und Unterlassungen sowie irreführenden Praktiken, die in Anhang 1 aufgeführt sind, gemäß regs.
3(4)(a), (b), (d) als unlautere Geschäftspraktiken im Sinne der „großen Generalklausel“ in reg. 3(1) CPRs. Referenzperson ist entsprechend den europäischen Vorgaben
der angemessen gut informierte, angemessen aufmerksame und kritische Durchschnittsverbraucher, reg. 2(b) CPRs.
Da der Verstoß gegen diese Vorschriften bislang lediglich straf- bzw. verwaltungsrechtliche Sanktionen auslöst, sind Mitbewerber, die sich gegen irreführende Geschäftspraktiken ihrer Konkurrenten wehren wollen, auf das fragmentarische law of
tort angewiesen, wobei abhängig von der Art der Irreführung und dem Eindruck, den
diese beim Adressaten hinterlässt, die Klagegründe passing off, malicious falsehood und
defamation in Betracht kommen.
Überaus detaillierte Regelungen betreffend irreführende Werbung enthalten die
Advertising Codes, bei deren Auslegung die CPRs und die BPRs ausdrücklich zu berücksichtigen sind. Rule 3.1 stellt den Grundsatz auf, dass „marketing communications must
not materially mislead or be likely to do so“. Offenkundige Übertreibungen („puffery“)
werden auch hier aus dem Anwendungsbereich ausgenommen.139 Entsprechend den
138
S. insbesondere die Conclusions auf S. 33 ff. der Preliminary Advice „A private right of redress for
unfair commercial practices?“, abrufbar unter www.lawcom.gov.uk.
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II. Die wichtigsten Sachprobleme
Regelungen der CPRs und der BPRs verboten ist es nicht nur, den Adressaten der Werbung aktiv zu täuschen, sondern gleichermaßen, ihm die für seine Entscheidung relevanten Informationen vorzuenthalten oder auf unklare, unverständliche, doppeldeutige Weise oder nicht rechtzeitig bereitzustellen.140 Hierzu gehört auch, Werturteile als
objektiv nachprüfbare Tatsachen darzustellen.141 Rules 3.7 CAP Code, 3.9 BCAP Code
verpflichten den Werbenden, vor der Veröffentlichung einer Werbung für alle darin
enthaltenen objektiv nachprüfbaren Behauptungen schriftliche Beweise bereit zu halten, die er der ASA auf Nachfrage hin zur Verfügung zu stellen hat. Kommt der Werbende dieser Substantiierungslast nicht nach, kann die ASA die betreffenden Angaben
als irreführend werten.
Von jeder Substantiierung unabhängige, absolute Verbote besonders verwerflicher
Irreführungspraktiken enthalten rules 3.14-3.16 CAP Code bzw. 3.16-3.17 BCAP Code.
In jedem Fall untersagt sind danach Behauptungen, Produkte könnten Gewinnchancen bei Glücksspielen erhöhen, Hinweise gegenüber dem Verbraucher, sein Arbeitsplatz oder Lebensunterhalt seien gefährdet, wenn er das beworbene Produkt nicht erwerbe, sowie Schneeballsysteme (pyramid promotional schemes). All diese Tatbestände
sind auch in der „schwarzen Liste“ unlauterer Praktiken in Anhang 1 der Richtlinie
2005/29 /EG bzw. Anhang 1 CPRs enthalten. Obwohl diese mit „prohibited claims“
überschriebenen Werbepraktiken besonders herausstechen, finden sich jedoch auch
andere Tatbestände des Anhang 1 CPRs in den Codes wieder. Dies gilt etwa für Werbung, welche den Verbrauchern gesetzlich zugestandene Rechte als Besonderheit des
Angebots des Werbenden präsentiert und in den Codes als Fallgruppe der übertreibenden Werbung eingeordnet wird.142 Weiterhin im der irreführenden Werbung gewidmeten Teil 3 der Codes enthalten sind Regelungen betreffend die Werbung mit Preisangaben,143 die missbräuchliche Verwendung des Wortes „free“,144 Lockvogelangebote,145 vergleichende Werbung,146 Empfehlungen147 sowie Angaben hinsichtlich Garantien und Kundendienst.148 Irreführungsverbote finden sich ferner in den bereichsund adressatenspezifischen Regeln der Codes, beispielsweise für Umweltwerbung149 sowie Werbung für Nahrungsmittel, Diät- und Gesundheitsprodukte.150
139
140
141
142
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147
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150
Rules 3.2 CAP Code, 3.4 BCAP Code.
Rules 3.3-3.5 CAP Code bzw. 3.2-3.3, 3.6 BCAP Code.
Rules 3.6 CAP Code, 3.5 BCAP Code.
Rules 3.12 CAP Code, 3.13 BCAP Code.
Rules 3.17-3.22 CAP Code, 3.18-3.24 BCAP Code.
Rules 3.23-3.26 CAP Code, 3.25-3.27 BCAP Code.
Rules 3.27-3.32 CAP Code, 3.28-3.32 BCAP Code.
Rules 3.33-3.44. Zur vergleichenden Werbung noch unten, II. 2.
Rules 3.45-3.52 CAP Code bzw. 3.45-3.48 BCAP Code.
Rules 3.53-3.57 CAP Code bzw. 3.49-3.53 BCAP Code.
Vgl. rules 11.1 ff. CAP Code, 9.1 ff. BCAP Code.
Vgl. rules 15.1 ff. CAP Code, 11.1 ff. BCAP Code.
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Länderbericht England
b) Verkaufsförderung (sales promotions)
Maßnahmen, die dem Kunden bestimmte Vorteile in Aussicht stellen, um einen zusätzlichen Kaufanreiz zu schaffen, werden unter dem Begriff „sales promotions“ zusammengefasst. Hierzu zählen Rabatte, Zugaben und anderes Verkaufsförderungsmaterial
sowie besondere Verkaufsaktionen; als nicht abschließende Beispiele im CAP Code
genannt sind „‚two for the price of one‘ offers, money-off offers, text-to-wins, instant-wins,
competitions and prize draws“. Sales promotions sind im englischen Recht prinzipiell zulässig.151 Beschränkungen ergeben sich vornehmlich aus dem Verbot unlauterer Geschäftspraktiken in reg. 3 CPRs sowie dem CAP Code, welcher in rules 8.1 ff. ausführlich regelt, wie derartige Verkaufsförderungsmaßnahmen durchzuführen sind.
Gemäß rule 8.1 CAP Code ist der Gewerbetreibende für alle Aspekte und Stadien
der Verkaufsförderungsmaßnahme verantwortlich. Rule 8.2 mahnt einen respektvollen und fairen Umgang mit (potentiellen) Kunden an, insbesondere sollen diese nicht
unnötig enttäuscht werden. Mit Fragen der Verbrauchersicherheit im weitesten Sinne
befassen sich rules 8.3-8.7. Der Gewerbetreibende hat danach nicht nur diejenige
Sorgfalt an den Tag zu legen, die vernünftigerweise erwartet werden kann, um die Sicherheit von Verkaufsförderungsmaßnahmen, insbesondere von Warenproben, für
den Verbraucher und sein Eigentum zu gewährleisten,152 sondern auch darauf zu achten, dass diese nicht zu exzessivem Konsum oder einem unverantwortlichen Umgang
mit den überlassenen Artikeln angeregt werden.153 Dies gilt ganz besonders, wenn sich
die Verkaufsförderungsmaßnahme an Kinder richtet oder an Erwachsene verteilte Artikel in deren Hände gelangen könnten.154 Nach rules 8.9-8.13 hat der Gewerbetreibende dafür zu sorgen, dass er den ausgelösten Bedarf auch befriedigen kann, insbesondere soll die Wendung „subject to availability“ ihn nicht von seiner Pflicht entbinden,
Enttäuschungen beim Kunden möglichst zu vermeiden.155 Rules 8.14-8.16 verpflichten
den Gewerbetreibenden, Vorkehrungen für eine hinreichende personelle, sachliche
und zeitliche Organisation der Verkaufsförderungsmaßnahme zu treffen. Rules 8.178.18 enthalten Transparenzvorgaben hinsichtlich der Teilnahmebedingungen von
Verkaufsförderungsveranstaltungen. Der Werbung mit Preisausschreiben (prize promotions) sind rules 8.19-8.28 gewidmet. Sog. front-page flashes sind in rule 8.29 normiert.156
Rules 8.30-8.32 betreffen Verkaufsförderung für den Zwischenhandel. Rules 8.33-8.34
stellen Transparenzkriterien für Verkaufsförderungsmaßnahmen auf, die an Wohltätigkeitsprojekte gebunden sind.
151
152
153
154
155
156
Vgl. auch Bodewig, GRUR Int. 2004, 543 (555 f.).
Rule 8.3 CAP Code.
Rule 8.5 CAP Code.
Rule 8.8 CAP Code.
Rule 8.10 CAP Code.
Die Vorschrift verpflichtet Zeitschriftenverlage, die auf dem Cover mit Vorteilen wie beispielsweise Zugaben werben, auf für die Kaufentscheidung relevante Bedingungen der Inanspruchnahme des Vorteils hinzuweisen, insbesondere auch darauf, ob weitere Ausgaben der
Zeitschrift erworben werden müssen. S. hierzu auch die Help Note on Front Page Flashes
des CAP.
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II. Die wichtigsten Sachprobleme
c) Getarnte Werbung
Auch mit dem Phänomen der getarnten Werbung befassen sich vornehmlich die Advertising Codes. Nach rule 2.1 CAP Code muss Werbung derart gestaltet sein, dass ihr
Werbecharakter offen zutage tritt; insbesondere darf die Werbung nicht nahelegen,
dass der Werbende aus nicht kommerziellen Motiven heraus handelt. Unverlangt zugesandte Werbe-E-Mails müssen als solche erkennbar sein, ohne dass sie geöffnet werden müssen.157
Bei Werbung in den Massenmedien ist darauf zu achten, dass Werbung und redaktioneller Teil für den Adressaten unterscheidbar sind. Derart als Information getarnte
Werbung (advertorial) ist als in jedem Falle unlautere Geschäftspraktik gemäß reg.
3(4)(d), Ziff. 11 Anhang 1 CPRs anzusehen, wenngleich der Verstoß gegen diese Vorschrift ausweislich reg. 12 CPRs keinen Straftatbestand erfüllt. Rule 2.4 CAP Code
schreibt vor, dass Verleger und Gewerbetreibende, etwa indem sie die Überschrift „advertisement feature“ wählen, deutlich machen sollen, dass es sich bei redaktionell aufbereiteten Anzeigen um Werbung handelt. Entsprechende Regelungen enthalten
rules 2.1-2.5 BCAP Code für den Bereich der Radio- und Fernsehwerbung. Auch das
Product Placement in Radio und Fernsehen ist im BCAP Code ausführlich geregelt. Darüber hinaus zu beachten sind der Ofcom Code on the Scheduling of Television Advertising
sowie der Ofcom Broadcasting Code.158
d) Gefühlsbetonte Werbung
Gefühlsbetonte Werbung wird im englischen Recht nicht als einheitliche Fallgruppe
aufgefasst. Werbung, die an die Gefühle potentieller Kunden appelliert, kann zum einen als unlauter im Sinne der CPRs zu werten sein. Zum anderen sind verschiedenste
Formen im weitesten Sinne gefühlsbetonter Werbung in den Advertising Codes geregelt.159
Rule 4.1 des CAP Code statuiert unter der Überschrift „harm and offence“ ein allgemeines Verbot anstößiger Werbung.160 Insbesondere soll vermieden werden, im Hinblick auf Rasse, Religion, Geschlecht, sexuelle Orientierung, Behinderungen oder Alter ernsthaft oder weitverbreitet Anstoß zu erregen. Klargestellt wird jedoch auch, dass
nicht jede geschmacklose Werbung den Verbotstatbestand erfüllt. Dass insbesondere
humorvolle Übertreibungen eine Werbebotschaft entschärfen könne, zeigt die im Mai
2009 ergangene Entscheidung der ASA bezüglich eines vielfach als sexistisch beanstandeten TV-Spots des Unternehmens Homepride Ltd. In dem Spot wird ein Mann
– verfolgt von den missbilligenden Blicken seiner schwangeren Frau – bei der Hausarbeit gezeigt; die Benutzung des beworbenen Ofenreinigers wird wiederholt mit dem
Slogan „so easy, even a man can do it“ kommentiert. Der Spot endet mit den Worten
„no men were harmed during the making of this commerical“. Die ASA befand, der darin
157
158
159
160
Rule 2.2 CAP Code.
Beide Codes sind abrufbar unter www.ofcom.org.uk.
Zu den einzelnen Fallgruppen auch Obermair, 74 ff.
Entsprechend Rule 4.2 BCAP Code.
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zum Ausdruck kommende Humor sei vielleicht nicht jedermanns Sache, doch seien
die Spielszenen derart unglaubwürdig und übertrieben, dass sie nicht geeignet seien,
ernsthaft Ärgernis zu erregen.161
Gemäß Rule 4.2 sollen werbliche Kommunikationen nicht ohne guten Grund
Angst oder Besorgnis auslösen, insbesondere nicht, wenn es nur darum geht, Aufmerksamkeit zu erregen. Dies gilt ganz besonders, wenn sich die Werbung an Kinder oder
Jugendliche richtet.162 Nur ein Beispiel bildet der im Jahr 2009 mit am häufigsten beanstandete Volkswagen-Werbespot, in dem ein Volkswagendesigner unter dem Claim
„Sometimes the only one you have to beat is yourself“ gegen zahlreiche Klone kämpft.
Wegen der exzessiven Gewaltdarstellungen wurde der Spot durch die ASA ins Spätprogramm verbannt.163
Rules 15.1 ff. BCAP Code stellen gesonderte Vorgaben in puncto Religion und
Weltanschauung auf. Beide Codes enthaltenen ferner Vorschriften über die Werbung
mit karitativem Engagement164 sowie über Umweltwerbung,165 wobei der Fokus allerdings auf Transparenzkriterien liegt. Nach Rule 18.1 soll Werbung nicht zum übermäßigen Alkoholkonsum anregen. Insbesondere soll Werbung weder den Eindruck vermitteln, dass Trinken selbstbewusster oder beliebter mache166 noch einen Schlüsselfaktor für den Erfolg einer persönlichen Beziehung oder eines sozialen Ereignisses darstelle.167 Ebenso wenig soll suggeriert werden, dass das Trinken von Alkohol eine
Herausforderung sei,168 den Konsumenten sexuell anziehender oder sonst attraktiver
erscheinen lasse,169 dabei helfe, Langweile, Einsamkeit oder andere Probleme zu bewältigen170 oder gar therapeutischen Zwecken diene.171 Ähnliche Regelungen enthalten die Codes bezüglich der Werbung für Zigarettenpapier und Filter.172
e) Direktmarketing
Für den Bereich des Direktmarketing173 sind zunächst die gesetzlichen Vorschriften zu
beachten, welche die europäischen Richtlinien über Haustürgeschäfte,174 Fernabsatz175 und E-Commerce176 umsetzen, nämlich die Consumer Protection (Cancellation
161
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Entscheidung vom 20.05.2009, abrufbar unter www.asa.org.uk.
Vgl. Rules 5.1 ff. CAP Code, BCAP Code.
Entscheidung vom 1.4.2009, abrufbar unter www.asa.org.uk. Auch die berühmte BenettonSchockwerbung ist mehrfach Gegenstand von Entscheidungen der ASA gewesen, vgl. Bodewig, GRUR Int. 2004, 543 (553).
Vgl. vornehmlich Rules 16.1 ff. BCAP Code, 8.33 f. CAP Code.
Rule 11 CAP Code bzw. Rule 9 BCAP Code.
Rules 18.2 CAP Code; 19.3 BCAP Code.
Rules 18.3 CAP Code, 19.4 BCAP Code.
Rules 18.4 CAP Code; 19.5 BCAP Code.
Rules 18.5 CAP Code; 19.6 BCAP Code.
Rules 18.6 CAP Code; 19.7 BCAP Code.
Rules 18.7 CAP Code; 19.8 BCAP Code.
Rules 21.2 ff. CAP Code; 10.3 ff. BCAP Code.
Zum Ganzen Bodewig, GRUR 2004, 543 (554 f.).
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II. Die wichtigsten Sachprobleme
of Contracts Concluded Away from Business Premises) Regulations 1987, die Consumer
Protection (Distance Selling) Regulations 2000 sowie die Electronic Commerce (EC) Regulations 2002. In puncto Selbstkontrolle wird der durch die ASA und die Advertising
Codes vermittelte Schutz durch zwei weitere Akteure und die für deren Mitglieder verbindlichen Verhaltenskodizes ergänzt. Es handelt sich zum einen um die 1992 gegründete Direct Marketing Association (DMA), deren Code of Practice vornehmlich durch die
unabhängige Direct Marketing Authority durchgesetzt wird, und zum anderen um die
seit 1965 bestehende Direct Selling Association (DSA), welche zwei Verhaltenskodizes
aufgestellt hat: den DSA Consumer Code of Practice sowie den DSA Code of Business
Conduct.
Für Haustürgeschäfte gelten die Consumer Protection (Cancellation of Contracts
Concluded Away from Business Premises) Regulations 1987. Entsprechend den europäischen Vorgaben sind sie auf Verträge anwendbar, welche von einem Verbraucher während eines vom Gewerbetreibenden außerhalb von dessen Geschäftsräumen organisierten Ausflugs oder in einer Privatwohnung bzw. am Arbeitsplatz geschlossen wurden, ohne dass er dies initiiert hätte,177 und räumen ihm insbesondere ein siebentägiges Widerrufsrecht ein.178
Die Zusendung unbestellter Waren unterliegt reg. 24 der Consumer Protection (Distance Selling) Regulations 2000, ehemals s. 1 Unsolicited Goods and Services Act 1971.
Danach darf der Empfänger „as between himself and the sender, use, deal with or dispose
of the goods as if they were an unconditional gift to him“. Dies gilt nach reg. 24(1)(b)
allerdings nur, wenn er keinen vernünftigen Grund hatte anzunehmen, diese seien
ihm für den Erwerb im Rahmen seiner beruflichen Tätigkeit geliefert worden. Nach
reg. 24(4), (5) macht sich der Versender strafbar, wenn er den Verbraucher vorsätzlich
oder fahrlässig unberechtigt zur Zahlung auffordert oder gar mit der Einleitung rechtlicher Schritte droht.
Regelungen betreffend unbestellte Telefonanrufe, Faxe, SMS-Nachrichten und
E-Mails sind in den Privacy and Electronic Communications (EC Directive) Regulations
2003 (PECR) enthalten.179 Deren Durchsetzung obliegt dem Office of the Information
174
175
176
177
178
179
Richtlinie 85/577/EG des Rates vom 20. Dezember 1985 betreffend den Verbraucherschutz
im Falle von außerhalb von Geschäftsräumen geschlossenen Verträgen, ABl. EG Nr. L 372
vom 31.12.1985, S. 31.
Richtlinie 97/7/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 20. Mai 1997 über den
Verbraucherschutz bei Vertragsabschlüssen im Fernabsatz, ABl. EG Nr. L 144 vom 4.6.
1997, S. 19.
Richtlinie 2000/31/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 8. Juni 2000 über
bestimmte rechtliche Aspekte der Dienste der Informationsgesellschaft, insbesondere des
elektronischen Geschäftsverkehrs, im Binnenmarkt („Richtlinie über den elektronischen
Geschäftsverkehr“), ABl. EG Nr. L 178 vom 17.07.2000, S. 1.
Reg. 3.
Reg. 4.
Diese dienen der Umsetzung der Richtlinie 2002/58/EG des Europäischen Parlaments und
des Rates vom 12. Juli 2002 über die Verarbeitung personenbezogener Daten und den Schutz
der Privatsphäre in der elektronischen Kommunikation (Datenschutzrichtlinie für elektronische Kommunikation), ABl. EG Nr. L 201 vom 31.07.2002, S. 37.
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Commissioner, wobei die DMA und die ASA auch hier vorgeschaltet sind. Für sog. individual subscribers, zu denen auch Verbraucher rechnen,180 gehen die PECRs im Hinblick auf unverlangte E-Mails, automatisierte Anrufe und Faxe vom opt-in-System aus.
E-Mails müssen ihren Absender erkennen lassen, eine gültige Adresse angeben, bei der
man verlangen kann, in Zukunft verschont zu werden sowie ihren Werbecharakter
auch ohne Öffnen offenbaren.181 Demgegenüber normiert reg. 21 PECRs für unverlangte Telefonanrufe ein opt-out-System. Entsprechendes gilt gemäß s. 11 Data Protection Act 1998 für herkömmliche unverlangte Werbepost. Die Robinson-Listen werden
von sog. Preference Services der DMA geführt.182
f) Aggressive Geschäftspraktiken
Schutz vor aggressiven Geschäftspraktiken gewährt das Deliktsrecht nur im Einzelfall,
und zwar hauptsächlich über die allgemeinen Klageformen trespass to land bzw. trespass
to goods und nuisance.183 Eine Regelung erfahren haben aggressive Geschäftspraktiken
mit den CPRs. Als aggressiv gelten entsprechend den europäischen Vorgaben Geschäftspraktiken, die geeignet sind, die Entscheidungs- oder Verhaltensfreiheit des
Durchschnittsverbrauchers in Bezug auf das Produkt durch Belästigung, Nötigung oder
unzulässige Beeinflussung erheblich zu beeinträchtigen und ihn dazu veranlassen, eine
geschäftliche Entscheidung zu treffen, die er sonst nicht getroffen hätte. Treten aggressive Geschäftspraktiken im Zuge des Direktmarketing auf, sind die insoweit geltenden
Regeln zu beachten.
2. Vergleichende Werbung
Großbritannien gilt als Land, in dem die vergleichende Werbung schon vor Umsetzung der Richtlinie über vergleichende Werbung184 weitestgehend erlaubt war. Dieser
Eindruck mag darauf zurückzuführen sein, dass sich ein wettbewerbsspezifischer Begriff
der vergleichenden Werbung nur bedingt herauskristallisiert hatte185 und die Regelung
der als solche bezeichneten Konstellationen überaus komplex und unübersichtlich war
und ist.186 Ein Verbot vergleichender Werbung kann sich sowohl aus dem Markenrecht
180
181
182
183
184
185
Vgl. Reg. 2 e) PECRs.
Regs. 22, 23; 19; 20 PECRs.
Zu unterscheiden sind derzeit der Mailing Preference Service (MPS), der Baby MPS, der Telefone
Preference Service (TPS), der Corporate Telefone Preference Service (CTPS), der Fax Preference
Service (FPS) und der E-Mail Preference Service (E-MPS); vgl. www.dma.org.uk.
Bodewig, GRUR Int. 2004, 543 (552).
Richtlinie 97/55/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 6. Oktober 1997 zur
Änderung der Richtlinie 84/450 /EG über irreführende Werbung zwecks Einbeziehung der
vergleichenden Werbung, ABl. EG Nr. L 290 vom 23.10.1997, S. 18; nunmehr Richtlinie
2006/114 /EG über irreführende und vergleichende Werbung (s. oben, Fn. 110).
Aus deutscher Sicht Kebbedies, 86; Carey [2000] Ent.L.R. 21 ff.
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II. Die wichtigsten Sachprobleme
und dem allgemeinen Deliktsrecht als auch aus den strafrechtlichen Regelungen der
BCRs und der CPRs sowie den Vorschriften der Advertising Codes ergeben.187
a) Grundsätzlicher Ausschluss von der Markenrechtsverletzung
Soweit es um Werbevergleiche geht, in denen eine fremde Marke erwähnt wird,
kommt heutzutage eine Markenrechtsverletzung im Sinne von s. 10 Trade Marks Act
1994 in Betracht. Allerdings ist die Benutzung der Marke gemäß s. 10(6) Trade Marks
Act 1994 zulässig, sofern sie der Bezeichnung der Waren oder Dienstleistungen des
Markeninhabers oder eines Lizenznehmers dient, es sei denn, dass die Benutzung mit
den anständigen Gepflogenheiten in Handel und Gewerbe nicht in Einklang steht
und den guten Ruf oder die Unterscheidungskraft der Marke ohne sachlichen Grund
in unlauterer Weise ausbeutet oder schädigt.188 Es handelt sich um eine Vorschrift, die
weder in der Markenrichtlinie noch in der Gemeinschaftsmarkenverordnung eine
Entsprechung findet und neben die in s. 11(2) Trade Marks Act 1994 nach den Vorgaben der Markenrichtlinie ausgestalteten Verteidigungsgründe tritt.189 Zweck der Regelung ist es, lautere vergleichende Werbung zu erlauben. Die Beweislast dafür, dass die
vergleichende Werbung nicht den Anforderungen von s. 10(6) Trade Marks Act 1994
entspricht, trägt der Markeninhaber.190 Ausweislich der Entscheidung Barclays Bank v.
RBS Advanta beurteilt sich die Lauterkeit danach, was von den angesprochenen Verkehrskreisen vernünftigerweise erwartet werden kann. Dabei ist zu berücksichtigen,
dass viele Werbeaussagen in der Öffentlichkeit als Übertreibungen erkannt werden:
„The Act does not impose on the courts an obligation to try to enforce, through the back door
of trade mark legislation, a more puritanical standard“.191
b) Vergleichende Werbung und economic torts
Für einen Mitbewerber, der in einem Werbevergleich identifiziert wird, hält das allgemeine Deliktsrecht drei Klageformen bereit. Da der Werbevergleich regelmäßig darauf zielen wird, die Waren oder Dienstleistungen des Werbenden gegenüber denjenigen des Mitbewerbers als besser herauszustellen, wird eine Herkunftstäuschung, wie sie
186
187
188
189
190
191
Ausführlich zur vergleichenden Werbung im englischen Recht Kebbedies, 86 ff.; zur Rechtslage im Vorfeld der Umsetzung der Richtlinie über vergleichende Werbung in Großbritannien Ohly/Spence, GRUR Int. 1999, 681 ff.
Ohly/Spence, GRUR Int. 1999, 681 ff.
Demgegenüber waren Werbevergleiche, in denen eine fremde Marke erwähnt wurde, vor der
Umsetzung der Markenrichtlinie weitgehend verboten, vgl. s. 4(1) Trade Marks Act 1938;
Bismag v. Amblins (Chemists) Ltd. [1940] R.P.C. 209.
Der Anwendungsbereich von s. 10(6) kann sich dabei namentlich mit demjenigen von s.
11(2)(b) überschneiden, vgl. British Sugar v. James Robertson & Sons [1996] R.P.C. 281 (283);
British Airways v. Ryanair [2001] 541 (546).
Barclays Bank v. RBS Advanta [1996] R.P.C. 307 (318).
Barclays Bank v. RBS Advanta [1996] R.P.C. 307 (315) per Laddie J.
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passing off erfordert, in aller Regel ausscheiden. Beinhaltet der Vergleich eine Ehrverletzung, kommt die defamation-Klage in Betracht, wobei hier zu berücksichtigen ist,
dass grundsätzlich Geschworenengerichte entscheiden und dem Beklagten diverse
Verteidigungsgründe zur Verfügung stehen. Die größte praktische Relevanz dürfte daher der malicious falsehood-Klage zukommen.
Sofern der Kläger Markeninhaber ist, hat der malicious falsehood-Tatbestand – wie
von Jacob J. in Cable & Wireless v. BT herausgearbeitet – seine eigenständige Bedeutung jedoch mit dem Trade Marks Act 1994 weitgehend verloren: “They were also suing
for malicious falsehood. I could not see what the latter cause of action could possibly add to
trade mark infringement. It merely adds the burden (and costs) of proof of malice and involves
the difficulties of the ‘one meaning rule’. It is difficult to imagine a case where, given a valid
trade mark registration covering the goods or services concerned, a claim of malicious falsehood can add anything”.192 Was die aus dem defamation-Recht herrührende single meaning rule betrifft, wonach sich das Gericht auf eine einzige von mehreren in Betracht
kommenden Bedeutungen aus Sicht des Durchschnittsempfängers festlegen muss,
nimmt Jacob J. auf sein ein Jahr vorher ergangenes Urteil in der Sache Vodafone v.
Orange Bezug, in welchem er die Anwendbarkeit der single meaning rule auf Fälle von
malicious falsehood bezweifelt, diese jedoch aufgrund des insoweit übereinstimmenden
Parteiwillens anwendet.193 Wenngleich der Court of Appeal der Anwendbarkeit der
single meaning rule auf den malicious falsehood-Tatbestand im Juni 2010 in Ajinomoto
Sweeteners Europe SAS v. Asda Stores Ltd. eine klare Absage erteilt hat,194 ist das Diktum nach wie vor insoweit zutreffend, als die Beweisanforderungen im Rahmen der
malicious falsehood-Klage regelmäßig höher ausfallen dürften als im Markenrecht.
Unabhängig davon, ob der Kläger Markeninhaber ist oder nicht, ist darüber hinaus
zu beachten, dass sich die streitgegenständliche Angabe nicht selten als außertatbestandliche marktschreierische Anpreisung (hyperbolic puffing) darstellen wird.195 Ist
192
193
194
195
Cable & Wireless v. British Telecommunications [1998] F.S.R. 383 (385).
„As a comparative stranger to this branch of the law I find the ‚one meaning rule‘ strange, particularly
for malicious falsehood. (…) The reasons for the libel rule in part relates to the entitlement of jury trial
for libel (…) So it by no means follows that the historical reason for the rule in libel should apply to
malicious falsehood. Another reason for the rule relates to the function of a jury in awarding damages
for defamation: unless one has settled on a particular meaning one cannot judge the extent of the
defamation. But in malicious falsehood damages are rather different: they are essentially compensatory for pecuniary loss as for most other torts. So again it does not seem necessarily to follow that the
libel rule should apply to the tort. However, as I say, the parties were agreed that I should proceed on
the basis that I am a notional jury identifying the single meaning of the words complained of“,
Vodafone v. Orange [1997] F.S.R. 34 (38).
Ajinomoto Sweeteners Europe SAS v. Asda Stores Ltd. [2010] EWCA Civ. 609; insbesondere sei
die Regel als solche „anomalous, frequently otiose and, where not otiose, unjust“ (Rn. 31 per
Sedley L.J.).
Ein frühes Beispiel bildet der Fall White v. Mellin [1895] A.C. 154, in dem der Hersteller eines
Kindernahrungsmittels erfolglos dagegen geklagt hatte, dass ein Händler die klägerische
Ware mit der Empfehlung eines Konkurrenzproduktes versah, welches weitaus nahrhafter
und gesünder sei als alles bisher dagewesene. Das Urteil Hubbuck & Sons Ltd. v. Wilkinson,
Heywood & Clark [1899] 1 Q.B. 86 befasst sich mit der Veröffentlichung eines Vergleichs-
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dies zu bejahen, kommt der malicious falsehood-Tatbestand selbst dann, wenn alle Voraussetzungen vorliegen, von vornherein nicht zur Anwendung.196 Abzugrenzen ist die
reklamehafte Übertreibung von der tatbestandsrelevanten Werbeaussage ausweislich
der Entscheidung De Beers v. International General Electric danach, „whether a reasonable man would take the claim being made as being a serious claim or not“.197 Referenzperson
ist der „Durchschnittsverbraucher“ wie er dem europäischen Verbraucherleitbild entspricht, wobei zugrunde zu legen ist, dass „the average consumer has been exposed from
birth to advertising. People get case hardened to it. They expect hyperbole and puff“.198 Nur
bei Werbeaussagen, die hinreichend substantiiert sind, insbesondere den Anschein
eines wissenschaftlichen Hintergrundes vermitteln, wird der Kläger eine reelle Chance haben, einen auf malicious falsehood gestützten Prozess zu gewinnen.199
c) Strafrechtliche Regelungen in den BPRs und den CPRs
Reg. 4 der BPRs entspricht im Wesentlichen Art. 4 der Richtlinie über irreführende
und vergleichende Werbung. Die Durchsetzung der Vorschrift obliegt dem OFT sowie
den lokalen Trading Standard Services. Sofern die Werbung nicht als irreführend im
Sinne von reg. 4(a), 3 BPRs oder reg. 4(b) BPRs, 5, 6 CPRs zu werten ist, erfüllt sie,
wie sich im Rückschluss aus reg. 6 BPRs ergibt, jedoch keinen Straftatbestand.
196
197
198
199
tests, wonach die Farben des Beklagten besser seien als die des Klägers. Aus der Fülle der
Rechtsprechung ferner De Beers v. International General Electric [1975] All. E.R. 599; McDonalds v. Burgerking [1986] F.S.R. 45; Compaq v. Dell [1992] F.S.R. 93; Vodafone v. Orange [1997]
F.S.R. 34; Cable & Wireless v. British Telecommunications [1998] F.S.R. 383; British Airways Plc.
v. Ryanair Ltd. [2001] F.S.R. 32; DSG Cable v. Comet [2002] F.S.R. 899. Zu dieser Fallkonstellation auch Kebbedies, 93 ff.
Rückblickend bereits Lindley M.R. in Hubbuck & Sons Ltd. v. Wilkinson, Heywood & Clark
[1899] 1 Q.B. 86 (92): „From this point of view the case is undistinguishable from Evans v. Harlow
and Young v. Macrae, where malice, falsehood, and damage were all alleged, and yet it was held that
what the defendant there published was not actionable. The ground of the decision in both cases was
that for a person in trade to puff his own wares and to proclaim their superiority over those of his rivals
is not actionable“.
De Beers v. International General Electric [1975] All. E.R. 599 (604 f.) per Walton J.
British Airways Plc. v. Ryanair Ltd. [2001] F.S.R. 541 (552) per Jacob J.
So etwa in De Beers v. International General Electric [1975] All. E.R. 599, wo es um einen
angeblich auf einem unabhängigen wissenschaftlichen Test basierenden Vergleich natürlicher und synthetischer Diamantschleifköpfe ging. Ähnlich lag der Fall Compaq v. Dell [1992]
F.S.R. 93, in dem die Beklagte in Werbeanzeigen Preise, Speicherkapazitäten und Zugriffszeiten der von den Parteien vertriebenen Computersysteme unter Bezugnahme auf Umfrageund Testergebnisse in Computerzeitschriften gegenübergestellt hatte.
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d) Werbevergleiche in den Advertising Codes
Der CAP Code und der BCAP Code widmen der vergleichenden Werbung den Abschnitt „comparisons“, welcher systematisch jeweils in den mit „misleading advertising“
überschriebenen Teil 3 eingegliedert ist. Der Begriff des Vergleichs wird denkbar weit
verstanden. Während reg. 2(b) BPRs vergleichende Werbung gemäß den europäischen
Vorgaben als jede Werbung definiert, welche unmittelbar oder mittelbar einen Mitbewerber oder die von einem solchen angebotenen Produkte erkennbar macht, umfassen die comparisons im Sinne der Codes auch allgemein gehaltene Vergleiche und
Eigenvergleiche. Als vergleichende Behauptungen gegenüber sämtlichen Konkurrenzprodukten werden namentlich Spitzenstellungsbehauptungen gewertet, welche, sofern
es sich nicht erkennbar um marktschreierische Anpreisungen handelt, einen nachprüfbaren Tatsachengehalt aufweisen müssen.
Vergleiche, die den Mitbewerber erkennbar machen, sind in rules 3.33-3.37 der
Codes geregelt, wobei hier dieselben Kriterien gelten wie sie die BPRs aufstellen. Insbesondere darf die vergleichende Werbung den Verbraucher weder über das beworbene Produkt noch über das des Mitbewerbers täuschen, die Produkte müssen demselben
Bedarf dienen oder dieselbe Zwecksetzung verfolgen, der Vergleich muss objektiv gehalten sein, darf keine Verwechslungsgefahr hervorrufen und muss sich bei Waren mit
Ursprungsbezeichnung auf Waren mit der gleichen Bezeichnung beziehen. Mit rufausbeutender, anschwärzender und verunglimpfender Werbung befassen sich rules 3.413.44. Rule 3.38 statuiert ein Irreführungsverbot für Werbung, welche den Mitbewerber
nicht erkennbar macht; rules 3.39-3.40 befassen sich mit Preisvergleichen. Spezielle
Regelungen für Werbevergleiche in bestimmten Branchen sind über die specific sector
rules verteilt, so etwa für den Bereich der vergleichenden Umweltwerbung (rules 11.3
CAP Code, 9.4 BCAP Code), Nährwertangaben (rules 15.3 CAP Code, 13.5 BCAP
Code) und Angaben hinsichtlich des Alkoholgehalts (rules 18.9 CAP Code, 19.10
BCAP Code).
3. Ausnutzen fremder Leistungen, insbesondere: Nachahmungsschutz
Entsprechend seiner wettbewerbsfreundlichen Grundhaltung geht das englische
Recht vom Grundsatz der Nachahmungsfreiheit aus: „There is no tort of copying. There
is not tort of taking a man’s market or customers. Neither the market nor the customers are the
plaintiff’s to own. There is no tort of making use of another’s goodwill as such. There is no tort
of competition“.200 Dies schließt nicht aus, dass ein Unternehmer, der sich im konkreten
Fall weder auf eine Marke noch auf ein Patent oder design right berufen kann, bei Hinzutreten besonderer Umstände erfolgreich gegen den Nachahmer vorgehen kann. Eine
Grundlage hierfür bietet das allgemeine Deliktsrecht, das mit der passing off-Klage ein
Instrument zum Schutz gegen Herkunftstäuschung bereithält. Erlangt der Beklagte die
für die Nachahmung erforderlichen Kenntnisse durch Vertrauensbruch, greift der Tatbestand breach of confidence. Daneben erfüllt das englische Urheberrecht mit seinem
gegenüber den kontinental-europäischen Rechtsordnungen verhältnismäßig weiten
200
Hodgkinson & Corby Ltd. v. Wards Mobility Services Ltd. [1994] 1 W.L.R. 1564 (1569 f.).
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II. Die wichtigsten Sachprobleme
Verständnis von „copyright“ in nicht unerheblichem Maße leistungsschützende Funktionen.
a) Nachahmungsschutz über passing off
Sofern die Nachahmung bei den angesprochenen Verkehrskreisen eine Fehlvorstellung über die betriebliche Herkunft des Produktes hervorruft, kommt eine Klage wegen passing off in Betracht. Dass hierbei strikt darauf zu achten ist, die Grenzen des
sondergesetzlichen Schutzes nicht auszuhebeln, ist von den Gerichten frühzeitig herausgearbeitet worden. Exemplarisch verwiesen sei auf den sog. Dolly Blue-Fall. Die
Kläger veräußerten Bleichmittel in einfachen, nicht mit einer Marke versehenen Beuteln mit eingesetztem Stil, der eine Gebrauchsfunktion erfüllte, wenn die Beutel ins
Wasser getaucht wurden. Das hierfür erteilte Patent wurde widerrufen. Die Beklagten
ahmten die Beutel mit Stil nach, versahen diese aber mit ihrem Namen. Die Richter
des Court of Appeal sahen die Klage als unbegründet an. Eine besondere Rolle spielte
dabei die vor allem in dem Urteil J. B. Williams v. Bronnley201 aufgeworfene Unterscheidung zwischen der tatbestandsrelevanten „Aufmachung“ und dem „Gegenstand
selbst“, dem allenfalls immaterialgüterrechtlicher Schutz zukommen könne: „I do not
think a useful part of an article, as distinguished from an ornamental addition, can be regarded
as part of the get-up of the article. No length of exclusive user can entitle a man to a monopoly
in the manufacture and sale of a useful combination not protected by patent“.202 Anders
entschied später das House of Lords mit der Begründung, dass sich die Ware der Beklagten letztlich nur unzureichend von derjenigen des Klägers unterscheide. 203 Mittlerweile scheint die Rechtsprechung die nur schwer durchzuführende Abgrenzung zwischen Aufmachung und Produkt endgültig überwunden zu haben.204 Der argumentative Akzent liegt nunmehr auf dem Tatbestandsmerkmal der Irreführung. Anführen
lässt sich der Fall Hodgkinson & Corby v. Wards Mobility Services, in dem die Beklagte
ein von der Klägerin vertriebenes Rollstuhlkissen nachgeahmt hatte, dessen Verwechselung mit dem teureren Original seitens des bei der Anschaffung stets eingeschalteten
201
202
203
204
J. B. Willams Co. v. H. Bronnley & Co. Ltd. (1909) R.P.C. 765 (773): „The get-up of an article
means a capricious addition to the article itself, – the colour, or shape, it may be, of the wrapper, or
anything of that kind; but I strongly object to look at anything, that has a value in use, as part of the
get-up of the article. Anything which is in itself useful appears to me rightly to belong to the article
itself“ per Fletcher Moulton J.
William Edge & Sons Ltd. v. William Niccolls & Sons [1911] 1 Ch. 5 (10) per Cozens-Hardy M.R.
William Edge & Sons Ltd. v. William Niccolls & Sons [1911] A.C. 693.
Lord Oliver of Aylmerton lässt die Differenzierung im Jif Lemon-Fall dahinstehen, da jedenfalls keiner der Beteiligten mit Plastikzitronen gehandelt habe: „The deception alleged lies not in
the sale of the plastic lemons or the dimpled bottles, but in the sale of lemon juice or whisky, as the case
may be, in containers so fashioned as to suggest that the juice or the whisky emanates from the source
with which the containers of those particular configurations have become associated in the public mind
(…) Neither the appellants nor the respondents are in the business of selling plastic lemons“, Reckitt
& Colman Products Ltd. v. Borden Inc. [1990] 1 W.L.R. 491 (504).
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medizinischen Fachpersonals jedoch ausgeschlossen werden konnte.205 Im Fall Whirlpool Corporation v. Kenwood Ltd. 206 erwies sich die Klage des Herstellers des Mixers
„KitchenAid“ gegen die Vermarktung des Konkurrenzproduktes „kMix“ weder unter
dem Aspekt der Markenrechtsverletzung noch aus passing off als erfolgreich. Die Tatsache allein, dass das Design des Konkurrenzproduktes an das Original erinnere, genüge nicht, um die tatbestandsrelevante Verwechslungsgefahr zu begründen.207 In Numatic v. Qualtex hatte die Beklagte Staubsauger auf den Markt gebracht, welche dem von
der Klägerin vertriebenen und in Großbritannien weit verbreiteten Staubsauger-Modell „Henry“ nachempfunden waren. Das Besondere an diesem Staubsauger sind das an
der roten Vorderseite angebrachte lachende Gesicht und der schwarze Deckel, der an
eine Melone erinnert. Andere Farbzusammenstellungen sind in Gestalt der Modelle
„Hetty“, „Charles“ und „George“ erhältlich. Das Konkurrenzmodell der Beklagten
wies zwar kein Gesicht auf und war in den Farben schwarz / blau gehalten, doch stimmte es im Hinblick auf Ausmaße und Form, insbesondere hinsichtlich des charakteristischen schwarzen Deckels, mit dem Produkt des Klägers weitgehend überein. Floyd J.
gelangte daher zu dem Ergebnis, eine Verwechslung beider Produkte könne nicht ausgeschlossen werden, zumal es sich bei der angesprochenen Zielgruppe – anders als im
Fall Hodgkinson & Corby v. Wards Mobility Services – nicht um Experten, sondern um
Laien handele, die beim Kauf eines Alltagsgegenstandes schon einmal flüchtig agierten.208
Problematisch sind Fälle, in denen es um sog. look-alikes geht. Regelmäßig handelt
es sich um Produkte des Niedrigpreissegments, deren Gestaltung der Verpackung eines
Markenprodukts gerade so weit angenähert ist, dass der Käufer es nicht für das Original, sondern für eine preisgünstige Imitation hält. Eine Herkunftstäuschung scheidet
dann von vornherein aus. Dass eine solche im Rahmen des passing off-Tatbestands jedoch unverzichtbar ist, stellte Lord Scarman in der Pub Squash-Entscheidung ausdrücklich klar: „It is only if a plaintiff can establish that a defendant has invaded his ‚intangible property right‘ in his product by misappropriating descriptions which have become recognized by the market as distinctive of the product that the law will permit competition to be
restricted. Any other approach would encourage monopoly. The new, small man would increasingly find his entry into an existing market obstructed by the large traders already well
known as operating in it“.209 Entsprechend äußert sich Jacob J. im Fall Hodgkinson &
Corby v. Wards Mobility Services: „Never has the tort shown even a slight tendency to stray
beyond cases of deception. Were it to do so it would enter the field of honest competition,
declared unlawful for some reason other than deceptiveness. Why there should be any such
reason I cannot imagine. It would serve only to stifle competition“.210 Abgesehen von Fällen
wie United Biscuits (U.K.) Ltd. v. Asda Stores Ltd., wo die Verbraucher immerhin hätten vermuten können, dass der von der beklagten Supermarktkette vertriebene „Puf-
205
206
207
208
209
210
Hodgkinson & Corby Ltd. v. Wards Mobility Services Ltd. [1994] 1 W.L.R. 1564 (1575 ff.).
Whirlpool Corporation and others v. Kenwood Ltd. [2008] EWHC 1930 (Ch).
Whirlpool Corporation and others v. Kenwood Ltd. [2008] EWHC 1930 (Ch) Rn. 81.
Numatic International Ltd. v. Qualtex UK Ltd. [2010] EWHC 1237 (Ch) Rn. 81 ff.
Cadbury-Schweppes Pty. Ltd. v. Pub Squash Co. Pty. [1981] 1 W.L.R. 193 (205).
Hodgkinson & Corby Ltd. v. Wards Mobility Services Ltd. [1994] 1 W.L.R. 1564 (1570).
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II. Die wichtigsten Sachprobleme
fin-Keks“ vom selben Hersteller produziert werde wie der Original „Penguin-Keks“,
wird die gegen look-alikes gerichtete passing off-Klage daher im Allgemeinen an der
fehlenden Irreführung scheitern. Auch eine Verwechslungsgefahr im Sinne von s.
10(2) Trade Marks Act 1994 dürfte regelmäßig ausscheiden. Allerdings lassen sich lookalikes nicht selten als vergleichende Werbung auffassen, welche, da sich das look-alike
als Imitation des Markenprodukts darstellt und dessen guten Ruf und Unterscheidungskraft ausnutzt, nach reg. 4(h), (i) BPRs unzulässig ist. Zwar gewähren die BPRs
dem Konkurrenten kein individuelles Klagerecht, doch wird er sich auf den Bekanntheitsschutz von s. 10(3) Trade Marks Act 1994 berufen können, wobei die Unlauterkeit
der Rufausbeutung gerade auf den Verstoß gegen die BPRs gestützt werden kann. Diesen Weg über das Markenrecht ist der Court of Appeal in der Sache L’Oréal SA v. Bellure NV211 gegangen, wo die Beklagte sog. „smell-alikes“, d.h. Düfte, die u.a. den bekannten Parfums „Trésor“, „Miracle“ und „Noa“ nachgebildet waren, unter Offenlegung dieser Tatsache anhand von Vergleichslisten, auf denen die Marken der Klägerin
abgebildet waren, veräußert hatte. Passing off scheidet hier zwar aufgrund der mangelnden Irreführung aus; wie sich aus der auf die Vorlage des Court of Appeal hin ergangenen EuGH-Entscheidung212 ergibt, kann eine derartige Vorgehensweise jedoch gegen
s. 10(1), (3) Trade Marks Act 1994 verstoßen.
b) Geheimnisschutz über breach of confidence
Der Schutz von Unternehmensgeheimnissen erfolgt in erster Linie213 über breach of
confidence. Relevant ist dies vor allem, wenn es um noch nicht zum Patent angemeldete Erfindungen oder nicht patentierbares „know-how“ geht. Während das Patentrecht dem Erfinder, der seine Erfindung angemeldet und damit der Öffentlichkeit offenbart hat, ein Ausschließlichkeitsrecht gewährt, setzt breach of confidence voraus,
dass der Täter gegen eine Pflicht zur Vertraulichkeit verstößt, indem er die ursprünglich geheime Information in unredlicher Weise nutzt. Wie beim passing off erfolgt die
Abgrenzung zum Immaterialgüterrecht mithin auch hier nicht über die Zugrundelegung eines Regel-Ausnahme-Verhältnisses, sondern anhand der verschiedenen
Schutzrichtungen beider Regelungsmaterien. 214
Vertrauliche Informationen sind ein flüchtiges Gut. Mit der Situation, dass der
Kläger selbst dafür sorgt, dass die streitgegenständliche Information an die Öffentlichkeit gelangt, hatten sich die Gerichte in der Entscheidung Mustad & Sons v. Dosen zu
befassen. Indem die Kläger ihr Verfahren zur Herstellung von Angelhaken noch wäh211
212
213
214
L’Oréal SA v. Bellure NV [2008] R.P.C. 196.
EuGH, Urteil vom 18.6.2009 – C-487/07 (L’Oréal/Bellure).
Beschäftigte des Unternehmens werden regelmäßig besonderen Vertraulichkeitsvereinbarungen unterliegen. Hat ein Mitbewerber zum Geheimnisverrat beigetragen, kommt je
nach den Umständen des Einzelfalls eine Haftung wegen inducement of breach of contract,
conspiracy oder interference with business by unlawful means in Betracht.
Instruktiv – wenngleich zum Verhältnis zwischen breach of confidence und copyright – das
Diktum von Hirst J. in Fraser and Others v. Thames Television Ltd. and Others [1984] Q.B.
44 (60).
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rend des Prozesses zum Patent anmeldeten, entzogen sie ihrer Klage das Fundament:
„The secret as a secret, had ceased to exist“.215 In Cranleigh v. Bryant hatte der Beklagte als
Geschäftsführer der Klägerin Kenntnis vom Patent eines Konkurrenzunternehmens
(„Bischoff-Patent“) betreffend Swimmingpoolumrandungen erhalten, dessen Lehren
sich mit der im klägerischen Unternehmen vorherrschenden Konstruktionsweise teilweise deckten. Als der Beklagte aus dem Unternehmen ausschied, erwarb er das Bischoff-Patent und machte der Klägerin fortan Konkurrenz. Obgleich der Beklagte vortrug, weite Teile der als vertraulich behandelten Konstruktionspläne seien bereits
durch das Bischoff-Patent ins Allgemeingut übergegangen, bejahte Roskill J. das Vorliegen von breach of confidence. 216 Eine maßgebliche Rolle spielte dabei, dass der Beklagte nicht nur über die technischen Gegebenheiten bestens informiert gewesen war,
sondern kraft seiner Kenntnis der Verkaufszahlen und Preisgestaltung auch genau gewusst hatte, wie er die Klägerin preislich unterbieten konnte.217
Häufig wird die vertrauliche Information nicht durch eine Patentanmeldung, sondern schlicht dadurch allgemein zugänglich, dass sie, ist das Originalprodukt erst einmal auf dem Markt, im Wege des reverse engineering herausgefunden werden kann. Um
dem Beklagten diesen Einwand abzuschneiden, haben die Gerichte die sog. springboard
doctrine entwickelt, wonach „a person who has obtained information in confidence is not
allowed to use it as a springboard for activities detrimental to the person who made the confidential communication, and springboard it remains, even when all the features have been
published or can be ascertained by actual inspection by any member of the public“.218 Ein
schönes Beispiel für die Anwendung der springboard doctrine ist das Urteil Seager v.
Copydex.219 Nachdem ein Nachbarskind über einen verrutschten Teppich gestolpert
war und sich dabei verletzt hatte, entwickelte der Kläger, einst Uhrmacher, den Teppichhalter „Klent“, den er patent- und markenrechtlich schützen ließ und 1961 im
Rahmen des Wettbewerbs „Get Ahead“ im Fernsehen vorstellte. Die Beklagte wurde
215
216
217
218
219
Mustad & Sons v. Dosen (1928) [1964] 1 W.L.R. 109 (111) per Lord Buckmaster. Entsprechend schon der Court of Appeal, unreported, aber auszugsweise wiedergegeben in Cranleigh
Precision Engineering Ltd. v. Bryant [1995] 1 W.L.R. 1293 (1316): „But the plaintiffs having by
their own act made public that which was the essential part of the trade secret which they seek to
restrain Dosen from communicating to Allcocks, by applying for a patent, it seems to me that they
have destroyed the foundation of their action“ per Lawrence L.J.
Cranleigh Precision Engineering Ltd. v. Bryant [1995] 1 W.L.R. 1293 (1319): „Applying the law as
I conceive it to be, I have no doubt that Bryant acted in grave dereliction of his duty to the plaintiffs in
concealing from the plaintiff’s board the information which he received from the plaintiff’s patent
agents, and in taking no steps whatsoever to protect the plaintiffs against the possible consequences of
the existence and publication of the Bischoff Patent. I also have no doubt that Bryant acted in breach
of confidence in making use, as he did as soon as he left the plaintiffs, of the information regarding the
Bischoff patent which he had acquired in confidence and about its various effects on the plaintiffs‘
position, for his own advantage and for that of the defendant company“ per Roskill J.
Cranleigh Precision Engineering Ltd. v. Bryant [1995] 1 W.L.R. 1293 (1313).
Terrapin Ltd. v. Builders‘ Supply (Co) Hayes Ltd. [1960] R.P.C. 128 (130) per Roxburgh J.;
bestätigt in Cranleigh Precision Engineering Ltd. v. Bryant [1965] 1 W.L.R. 1293 (1317 f.); Seager
v. Copydex [1967] F.S.R. 211; dazu auch Cornish, GRUR Int. 1975, 153 (155).
Seager v. Copydex Ltd. [1967] F.S.R. 211.
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II. Die wichtigsten Sachprobleme
durch die Sendung auf den Kläger aufmerksam. Die Parteien begannen, über die Produktion des Teppichhalters zu verhandeln, wobei der Kläger der Beklagten seine Idee
für einen günstiger zu produzierenden Teppichhalter, der mit anders geformten Spikes
versehen war („Invisigrip“), offenbarte. Kurze Zeit nachdem die Verhandlungen gescheitert waren, brachte die Beklagte den „Invisigrip“ auf den Markt. Die Richter
des Court of Appeal bestätigten die springboard doctrine und gaben dem Begehren des
Klägers statt, wobei Lord Denning im Verhältnis zum Patentrecht klarstellte: „They
thought that, as long as they did not infringe his patent, they were exempt. In this they were
in error. They were not aware of the law as to confidential information. They were not at
liberty to make use of any confidential information he gave them without paying for it“.220
Bemerkenswert sind auch seine Bemerkungen zur dogmatischen Einordnung des
breach of confidence-Tatbestands: „The law on this subject does not depend on any implied
contract. It depends on the broad principle of equity that he who has received information in
confidence shall not take unfair advantage“.221
Um den Umständen des Einzelfalls Rechnung zu tragen und namentlich die immaterialgüterrechtlichen Schutzfristen nicht zu unterlaufen, ist der durch die springboard doctrine gewährte Schutz allerdings zeitlich begrenzt: „Although a man must not use
such information as a springboard to get a start over others, nevertheless that springboard does
not last for ever. If he does use it, a time may come when so much has happened that he can no
longer be restrained“.222 Eine entscheidende Rolle spielt dabei namentlich, in welchem
Umfang die Information an die Öffentlichkeit gelangt ist, wie wahrscheinlich es ist,
dass der Beklagte von selbst auf die Idee gekommen wäre, sowie ob der Kläger davon
ausging, dass die Information noch nicht im Allgemeingut vorhanden war. 223
c) Nachahmungsschutz durch copyright
Ein gewisses Maß an wettbewerbsrechtlichem Nachahmungsschutz gewährleistet auch
das Urheberrecht. 224 Als grundlegend erweist sich dabei, dass das englische copyright
law als Vertreter des anglo-amerikanischen Copyright-Ansatzes eine völlig andere Auffassung von der Stellung des Urhebers vertritt als die vom Droit d’auteur-Denken geprägten kontinental-europäischen Rechtsordnungen. 225 Das copyright wird als reines
Vermögensrecht begriffen, das den Mechanismen des Marktes unterworfen ist. Ziel
ist es weniger, die Schöpferpersönlichkeit für ihr besonderes kulturelles Schaffen zu
belohnen, als vielmehr Angriffe auf das Werk und die diesem zugrunde liegenden Investitionen abzuwehren. Dementsprechend niedrig ist die durch das Kriterium der originality markierte Schutzschwelle. Das Werk darf nicht die Kopie eines anderen sein;
dass es sich durch überdurchschnittliche Kreativität auszeichnet, insbesondere die
„Handschrift“ des Urhebers trägt, ist nicht erforderlich. Als – mit Vorsicht zu behan220
221
222
223
224
225
Seager v. Copydex Ltd. [1967] F.S.R. 211 (221).
Seager v. Copydex Ltd. [1967] F.S.R. 211 (220).
Potters-Ballotini v. Weston Baker [1977] R.P.C. 202 (205) per Lord Denning.
Cornish/Llewelyn, Rn. 8-14 m.w.N.
Zu dieser Funktion des englischen Urheberrechts Ohly, 153 ff.; Müller, Rn. 112 ff.
Zu den Strukturprinzipien des englischen Urheberrechts Müller, Rn. 107 ff.
203
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delnde – Faustregel gilt: „what is worth copying is prima facie worth protecting“.226 Diese
Grundhaltung führt dazu, dass Gegenstände am urheberrechtlichen Schutz teilnehmen, obgleich die geschützte Leistung an sich kaufmännischer oder technischer Natur
ist. Dies gilt namentlich für den Schutz von Zusammenstellungen (compilations) sowie
technischer Konstruktionszeichnungen gegen dreidimensionalen Nachbau. 227
Nach s. 3(1)(a) Copyright, Designs and Patents Act 1988 zählen Zusammenstellungen („tables or compilations“) ausdrücklich zu den schutzfähigen literarischen Werken.
Von der Rechtsprechung als schutzfähig anerkannt wurden Branchenverzeichnisse,228
Warenkataloge,229 Fußballtoto-Tippscheine,230 Fernsehprogramme231 und der Spielplan einer Fußballliga. 232 Der Schutz durch copyright wird dabei als Ausschnitt des allgemeinen Leistungsschutzes begriffen, nämlich in dem Sinne, dass sich niemand durch
die Ausnutzung der Leistung eines anderen einen ungerechtfertigten Vorsprung verschaffen darf. Bezeichnend für diese Haltung ist das Diktum von Lord Goff in Elanco
Products v. Mandops, wo es darum ging, den Beklagten mittels einstweiliger Verfügung
daran zu hindern, eine Gebrauchsanweisung für ein Unkrautvernichtungsmittel zu
veröffentlichen: „in my view it plainly is an arguable case that the respondents having started
off, if I may put it that way, on the wrong foot by making what I think will be found to be a
deliberate copy, did not sufficiently cure the position by working from that copy instead of
going to the whole of the publicly available information and starting from scratch“.233
Umfassenden wettbewerbsrechtlichen Leistungsschutz gewährte die Rechtsprechung unter dem Copyright Act 1956 auch für technische Konstruktionszeichnungen,
und zwar unabhängig davon, ob der Nachbau unmittelbar anhand der Zeichnung oder
mittelbar im Wege des reverse engineering bewerkstelligt wurde.234 Im 1964 ergangenen
Urteil Dorling v. Honnor Marine235 bejahte der Court of Appeal ein copyright infringement
an Konstruktionsplänen für ein Segelboot, das der Beklagte nachgebaut hatte. Um den
patent- und musterrechtlichen Schutz nicht generell durch die urheberrechtliche
Schutzfrist von damals 50 Jahren post mortem auctoris zu unterlaufen, sah der Copyright Act 1956 vor, dass urheberrechtlicher Schutz nicht in Betracht komme, wenn eine
Registrierung als design oder eine industrielle Anwendung erfolgte.236 Diese Klausel
wurde jedoch mit dem Design Copyright Act 1968 aufgehoben. In Entscheidung L.B.
(Plastics) v. Swish Products237 von 1979, in der es um den Schutz von Konstruktionszeichnungen für ein Schubladensystem ging, stellte das House of Lords die Möglichkeit
226
227
228
229
230
231
232
233
234
235
236
237
University of London Press, Ltd. v. University Tutorial Press, Ltd. [1916] 2 Ch. 601 (610) per
Peterson J.
Ausführlich hierzu Ohly, 153 ff.
Speziell hinsichtlich der Überschriften Lamb v. Evans [1893] 1 Ch. 218.
Collins v. Cater (1898) 78 L.T. 613; Purefoy v. Sykes Boxall [1955] R.P.C. 89 (95).
Ladbroke v. William Hill [1964] 1 All E.R. 465.
Independent Television Publications v. Time Out [1984] F.S.R. 64.
Football League v. Littlewoods [1959] Ch. 637.
Elanco Products v. Mandops [1980] R.P.C. 213 (228).
Umfassend zur alten Rechtslage Ohly, 155 ff.
Dorling v. Honnor Marine Ltd. [1965] 1 Ch. 1.
S. 10 Copyright Act 1956.
L.B. (Plastics) v. Swish Products [1979] R.P.C. 551.
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II. Die wichtigsten Sachprobleme
urheberrechtlichen Nachahmungsschutzes für ästhetische und technische Gestaltungen denn auch nicht in Frage. Dies änderte sich mit der Entscheidung British Leyland v.
Armstrong, in der das House of Lords die Schutzfähigkeit von Konstruktionszeichnungen eines Automobilherstellers zwar im Ergebnis bejahte, das damit drohende Monopol auf Ersatzteile für die von ihm produzierten Fahrzeuge jedoch verhinderte, indem
es die aus dem Patentrecht stammende spare parts exception anwendete, wonach der
Käufer eines Produktes im Rahmen von Reparaturarbeiten implizit lizenziert sei, Teile
des Produktes zu reproduzieren bzw. ein solches Teil bei einem unabhängigen Händler
zu erwerben. 238
Unter dem Copyright, Designs and Patents Act 1988 ist der copyright-Schutz ästhetischer und technischer Gestaltungen zwar nach wie vor möglich, doch ist sein Anwendungsbereich stark zusammengeschrumpft. Gemäß s. 17(3)(a) Copyright, Designs and
Patents Act 1988 kann das copyright an Zeichnungen zwar nach wie vor durch deren
Übertragung in eine dreidimensionale Form verletzt werden. Doch beschränkt s. 51
Copyright, Designs and Patents Act 1988 diesen Schutz auf Kunstwerke und Schriftzeichen. Geschlossen wird die dadurch entstandene Schutzlücke im Bereich nicht eingetragener industrieller Gestaltungen durch das im dritten Teil des Copyright, Designs and
Patents Act 1988 geregelte British Unregistered Design Right, welches gemäß s. 213(3)(b)
Copyright, Designs and Patents Act 1988 wiederum eine Ausnahme für sog. must matchund must fit-Teile vorsieht. Nach wie vor zur Anwendung gelangt das artistic copyright
im Bereich der – wohl auch im englischen Recht eine gewisse Gestaltungshöhe voraussetzenden239 – angewandten Kunst (artistic craftsmanship) und der sonstigen in s. 4
Copyright, Designs and Patents Act 1988 legaldefinierten artistic works, zu denen auch
Schnitzereien und Gravuren (engravings) gehören.240 Entsprechendes gilt in Fällen, in
denen es um das Oberflächendekor geht, welches dem Begriff des design gemäß s. 51(3)
entzogen ist. Sind diese Werke jedoch erst einmal industriell gefertigt und im Vereinigten Königreich vermarktet worden, wird die Schutzdauer des daran bestehenden
copyright durch s. 52(2) Copyright, Designs and Patents Act 1988 auf 25 Jahre begrenzt.
238
239
240
So ausdrücklich Lord Templeman, British Leyland v. Armstrong [1986] A.C. 577 (643).: „Every
owner of a car has the right to repair it. That right would be useless if suppliers of spare parts were not
entitled to anticipate the need for repair“. Im Anschluss hieran der Privy Council in Canon
Kabushiki Kaisha v. Green Cartridge Co. (Hong Kong) Ltd. [1997] 728 bezüglich Konstruktionsplänen von Kartuschen für Drucker und Fotokopierer unter der Copyright (Hong Kong) Order
1972.
Vgl. hierzu namentlich die divergierenden Ansichten im House of Lords in George Hensher
Ltd. v. Restawile Upholstery (Lancs) Ltd. [1975] R.P.C. 31.
Vgl. etwa das Urteil Hi-Tech Autoparts Ltd. v. Towergate Two Ltd. (No. 2) [2002] F.S.R. 270, in
dem es um Metallplatten ging, welche als Abdruckformen benutzt wurden, um rutschsichere
Fußmatten für Automobile herzustellen.
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4. Behinderungswettbewerb
a) Anschwärzung und Herabsetzung
Gegen das gezielte Anschwärzen und Herabsetzen können Mitbewerber die defamation- oder die malicious falsehood-Klage erheben. Davon abgesehen werden Herabsetzung und Anschwärzung primär im Recht der vergleichenden Werbung relevant. Reg.
4(f) BPRs erklärt vergleichende Werbung, was den Vergleich betrifft, für unzulässig,
sofern sie Marken, Handelsnamen oder andere Unterscheidungszeichen, Produkte,
Tätigkeiten oder Umstände eines Mitbewerbers herabsetzt oder verunglimpft. Dieser
Regelung entspricht rule 3.42 des CAP Code bzw. des BCAP Code.
b) Unberechtigte Schutzrechtsverwarnung
Auch unberechtigte Schutzrechtsverwarnungen (threats to sue) können eine Behinderung im Wettbewerb darstellen. 241 Ein Ausschnitt dieser Fallgruppe ist mittlerweile
gesetzlich geregelt. Gemäß s. 70(1), (3) Patents Act 1977 kann derjenige, der sich damit konfrontiert sieht, dass ein angeblicher Schutzrechtsinhaber mündlich oder
schriftlich damit droht, ihn oder Dritte, beispielsweise seine Abnehmer, wegen Patentverletzung in Anspruch zu nehmen, auf Feststellung der Unrechtmäßigkeit der Verwarnung, Unterlassung und/oder Schadensersatz klagen. Ob eine solche Drohung vorliegt, ist aus der Sicht eines durchschnittlichen Empfängers zu beurteilen. 242 Zwar ist es
nach s. 70(5)(a) Patents Act 1977 nicht als Drohung in diesem Sinne anzusehen, wenn
lediglich auf das Bestehen eines Patents hingewiesen wird, doch kann sich der tatbestandsrelevante Charakter der Äußerung aus den Begleitumständen ergeben, etwa
wenn auf von Dritten abgegebene Unterlassungsverpflichtungserklärungen oder bereits gegen diese eingeleitete Verletzungsverfahren verwiesen wird. 243 Nach s. 70(4)
aus dem Schutzbereich ausgenommen sind Verwarnungen hinsichtlich direkter Verletzungshandlungen wie dem Herstellen oder Einführungen von Produkten zum Verkauf oder der Nutzung eines Verfahrens. Der Rechtsbehelf steht folglich nur Personen
zur Verfügung, die als mittelbare Patentverletzer in Betracht kommen, wie Lieferanten
und Zwischenhändler; diesen gegenüber kann sich der Beklagte allerdings damit verteidigen, dass er ergebnislos versucht hat, die Identität des direkten Verletzers aufzudecken, s. 70(6) Patents Act 1977. Weiterhin kann sich der Beklagte gemäß s. 70(2A)
241
242
243
Zum Ganzen Cornish/Llewelyn, Rn. 2.93 ff., Ulmer /von Westerholt, Rn. 297.
In Bezug auf die Parallelvorschrift s. 21 Trade Marks Act 1994 Lightman J. in L’Oréal v. Johnson
& Johnson [2000] F.S.R. 686 (693 f.): „The test is whether the communication would be understood
by the ordinary recipient in the position of the claimant as constituting a threat of proceedings for
infringement“.
L’Oréal v. Johnson & Johnson [2000] F.S.R. 686 (695). Vgl. auch den Fall Jaybeam Ltd. v. Abru
Aluminium Ltd. [1975] F.S.R. 334, in dem die Beklagte eine Vertriebspartnerin der Klägerin
nicht nur darauf hingewiesen hatte, ihr stehe das copyright an Zeichnungen bezüglich der zu
veräußernden Trittleiter, sondern darüber hinaus auch ein eingetragenes design-Recht zu, was
der Verwarnung, so Whitford J., eine ganz andere Qualität verleihe.
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II. Die wichtigsten Sachprobleme
Patents Act 1977 damit verteidigen, dass das Schutzrecht zum maßgeblichen Zeitpunkt
wirksam gewesen ist oder er zumindest keinen vernünftigen Grund hatte, an der Wirksamkeit zu zweifeln. Ähnliche Regelungen enthalten s. 26 Registered Designs Act 1949
und für das British Unregistered Design Right s. 253 Copyright, Designs and Patents Act
1988 sowie für eingetragene Marken s. 21 Trade Marks Act 1994. Keine gesetzlichen
Regelungen existieren für das copyright, vertrauliche Informationen im Sinne des
breach of confidence-Tatbestands sowie für nicht eingetragene Marken und sonstige
Kennzeichen, die im Tatbestandsradius der passing off-Klage liegen.
Soweit es an spezialgesetzlichen Regelungen fehlt und die Verwarnung nicht als
defamation aufzufassen ist, bleibt nur der Rückgriff auf die Klage wegen malicious falsehood. Die falsehood liegt dann darin, dass die behauptete Rechtsposition nicht, noch
nicht oder nicht mehr besteht oder sie zwar besteht, aber nicht verletzt wurde. Das
Risiko dieser Inzidentprüfung trifft den Kläger. Selbst wenn ihm der Nachweis der falsehood gelingt, obliegt ihm nach wie vor die Darlegungs- und Beweislast dafür, dass der
Beklagte mit malice gehandelt hat.
c) Sonstige Formen des Behinderungswettbewerbs
Bei sonstigen Formen des Behinderungswettbewerbs stehen dem Gewerbetreibenden
verschiedenste economic torts zur Seite. Das Abwerben von Kunden und Arbeitnehmern erfüllt regelmäßig den Tatbestand inducement of breach of contract. Als problematisch erweisen können sich die Merkmale der Kenntnis des Vertrages (knowledge) und
des Vorsatzes (intention), die sich häufig gegenseitig indizieren. Anführen lässt sich in
diesem Zusammenhang der Fall Unique Pub Properties Ltd. v. Beer Barrels & Minerals
(Wales) Ltd.,244 in dem die beklagte Getränkeherstellerin Gaststätten beliefert hatte,
obwohl diese Ausschließlichkeitsbindungen an die klagende Verpächterin unterlagen.
Die Klägerin versuchte diese Ausschließlichkeitsbindungen im Außenverhältnis zu
sichern, indem sie an Getränkehersteller Listen versandte, auf denen die gebundenen
Gaststätten aufgeführt waren. Von den Mitarbeitern der Beklagten wurden Lieferaufträge telefonisch entgegengenommen, wobei man sich lediglich mündlich versicherte,
dass keine Ausschließlichkeitsbindung bestehe. Ein Abgleich mit den Listen fand
nicht statt. Während der High Court die begehrte Unterlassungsverfügung erteilte, gelangte der Court of Appeal zu der Auffassung, es fehle an der erforderlichen Kenntnis
der Ausschließlichkeitsbindung. Der Beklagten sei nicht einmal vorzuwerfen, die Augen vor dem drohenden Vertragsbruch verschlossen zu haben.245 Aus der verneinenden Antwort auf die Frage, ob Ausschließlichkeitsbindungen bestünden, hätte die Beklagte schließen dürfen, dass der Besteller nicht auf der Liste verzeichnet sei; zudem sei
der Listenabgleich mit Blick auf die sich fortlaufend ändernden Bindungen kein effek244
245
Unique Pub Properties Ltd. v. Beer Barrels & Minerals (Wales) Ltd. [2004] WL 1060631.
„This is not a ‚blind eye‘ case; where the defendant has chosen not to search for what he knows is there
to be found“, [2004] WL 1060631 Rn. 36 per Chadwick L.J., bezunehmend auf das Diktum von
Lord Denning in Emerald Construction Ltd. v. Lowthian [1966] 1 W.L.R. 691 (700): „Even if
they did not know of the actual terms of the contract but had the means of knowledge which they
deliberately disregarded, that would be enough. Like the man who turns a blind eye“.
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tives Mittel gewesen, um Verletzungen der Ausschließlichkeitsbindung vorzubeugen.246
Eine weitere Fallgruppe des Behinderungswettbewerbs bildet das Verleiten zum
Geheimnisverrat, welches je nach Situation als inducement of breach of contract, unlawful interference with trade oder conspiracy klagbar sein kann. Schließlich ist an Konstellationen des Boykotts zu denken. Erfolgt die Boykottmaßnahme mit rechtswidrigen
Mitteln, greift unlawful conspiracy. Setzen die Täter keine verbotenen Mittel ein, ist
der Tatbestand nur erfüllt, wenn sie nicht in erster Linie eigene Interessen, sondern
vorrangig das Ziel verfolgen, den Dritten zu schädigen. Indem das House of Lords in
Mogul Steamship v. McGregor, Gow & Co.247 das Gewinnstreben im Wettbewerb als
legitimen Beweggrund anerkannt hat, hat es allerdings die Basis dafür geschaffen, dass
Boykottmaßnahmen häufig zulässig sein werden.248
5. Rechtsbruch
Das englische Recht kennt eine ganze Reihe auch wettbewerbsrelevanter Rechtsbruchstatbestände. Dies betrifft nicht nur breach of statutory duty und interference with
business by unlawful means, sondern im weiteren Sinne auch inducement of breach of
contract als akzessorische Beteiligung an einem fremden Vertragsbruch. Gewissermaßen einen Sonderfall des Rechtsbruchs bilden grenzüberschreitende Verstöße gegen
EU-Richtlinien, welchen mittels sog. Stop Now Orders nach dem Enterprise Act 2002
begegnet werden kann. Denkbar allgemein bestimmt rule 1.1 des CAP-Code, dass
„marketing communications should be legal“.
Zu beachten ist jedoch, dass Verbraucher- und Konkurrentenschutz nicht als zwei
Facetten derselben Sache betrachtet werden, sondern der Kläger, gleich welcher Gruppe er angehört, separat darlegen muss, dass er von der betreffenden Norm unmittelbar
tatbestandlich erfasst ist. Der Gedanke, dass sich derjenige, der zielgerichtet gegen
gesetzliche Vorschriften verstößt, gegenüber seinen gesetzestreuen Konkurrenten einen unlauteren Vorsprung verschafft, hat sich in England als Argumentationsprinzip
nicht durchgesetzt. Besonders deutlich wird dies anhand derjenigen Fälle, in denen
sich Mitbewerber, etwa im Rahmen einer passing off-Klage, gegen verbrauchertäuschende Praktiken ihrer Konkurrenten wehren. Worin die gegenüber dem Kläger relevante Tathandlung liegt und warum dieser neben den Verbrauchern einen Schaden
erleidet, hat den Gerichten nicht selten erheblichen Begründungsaufwand abverlangt.249 Auch in den wettbewerbsrechtlichen Fällen, in denen der Tatbestand des
246
247
248
249
Unique Pub Properties Ltd. v. Beer Barrels & Minerals (Wales) Ltd. [2004] WL 1060631 Rn. 36 f.
The Mogul Steamship Co. Ltd. v. McGregor, Gow & Co. Ltd and Others [1892] A.C. 25.
Ohly, 36.
Vgl. auch Ohly, 46, der insoweit die englische Advocaat-Entscheidung dem deutschen Fall
OLG Köln GRUR 1992, 323 – „Holländischer Advocaat“ gegenüberstellt. Während das OLG
Köln lediglich den Verstoß gegen das deutsche Lebensmittelrecht feststellen und sodann den
Vorsprungsgedanken anwenden konnte, erforderte die Begründung der Voraussetzungen des
passing off-Tatbestands seitens des House of Lords erheblichen Argumentationsaufwand, Even
Warnink Besloten Vennootschap v. J. Townend & Sons (Hull) Ltd. [1979] A.C. 731 (739 ff.).
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III. Rechtsdurchsetzungsinstrumente
breach of statutory duty bislang diskutiert wurde, ist der argumentative Brückenschlag
vom Verbraucher- zum Konkurrentenschutz bislang, soweit ersichtlich, ausgeblieben.
Der Grund hierfür mag nicht nur in der systematischen Trennung von Verbraucherund Mitbewerberschutz liegen, welche auf der traditionsreichen Überzeugung basiert,
dass Verbraucherschutz am effektivsten mit den Mitteln des Straf- und Verwaltungsrechts gewährleistet werden kann, sondern auch in der Zurückhaltung der Gerichte
gegenüber generalklauselartigen Erweiterungen individueller Klagerechte.
III. Rechtsdurchsetzungsinstrumente
Literatur: Bodewig, Das Recht des unlauteren Wettbewerbs in Großbritannien: Ein Dreiklang von
Fallrecht, Gesetzesrecht und Selbstkontrolle, GRUR Int. 2004, 543; McGregor, McGregor on Damages, 18. Auflage, London 2009; Müller, Risikoverteilung im Verlagsvertrag nach deutschem und
englischem Recht – aus dienstleistungsrechtlicher Perspektive –, Köln 2010; Obermair, Der Schutz
des Verbrauchers vor unlauterer Werbung in Deutschland und Großbritannien, Berlin 2004; Spry,
The Principles of Equitable Remedies: Specific Performance, Injunctions, Rectification and Equitable
Damages, 5. Auflage, Sydney 1997.
1. Zivilrechtliche Sanktionen
Bei Verwirklichung von economic torts kann der Kläger regelmäßig Schadensersatz fordern. Neben dem kompensatorischen Schadensersatz ist dem englischen Recht auch
der Strafschadensersatz (exemplary damages) geläufig. Mit der grundlegenden Entscheidung des House of Lords in der Sache Rookes v. Barnard250 hat Lord Devlin die Anordnung von exemplary damages freilich auf drei Fallgruppen begrenzt, nämlich erstens als
Sanktionierung willkürlichen Verhaltens von Amtsträgern, zweitens als Instrument
der Abschreckung, um bei lukrativen Delikten zu verhindern, dass der Schädiger das
Risiko des Schadensersatzes mit Blick auf den erwartungsgemäß darüber liegenden Gewinn bewusst in Kauf nimmt, sowie drittens auf den Fall gesetzlicher Anordnung. 251
Gerade in Fällen der defamation wird es nicht selten auch darum gehen, dem Schädiger
zu demonstrieren, „that tort does not pay“.252 Ohne weiteres möglich sind im Kern kompensatorische aggravated damages253 sowie anstelle des Schadensersatzes die Anordnung eines Bereicherungsausgleichs (account of profits), welche als equitable remedy
250
251
252
253
Rookes v. Barnard [1964] 1 All E.R. 367.
Rookes v. Barnard [1964] 1 All E.R. 367 (410 f.).
Rookes v. Barnard [1964] 1 All E.R. 367 (411) per Lord Devlin.
Diese werden verstanden als „award of damages which, while awarded with a view to compensating
the claimant for his loss, has regard to the injury to the plaintiff’s proper feelings of pride and dignity,
humiliation, distress, insult, or pain caused by the circumstances of the defendant’s conduct“,
Nottinghamshire Healthcare National Health Service Trust v. News Group Newspapers Ltd.
[2002] WL 340243 Rn. 33; dazu, insbesondere im Hinblick auf defamation und malicious
falsehood, McGregor, Rn. 39-039 ff.
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im Ermessen des Gerichts liegt. 254 In Betracht kommt ferner die Anordnung der Veröffentlichung des Urteils (publication order).
Von größtmöglicher praktischer Relevanz im wettbewerbsrechtlichen Kontext ist
die Unterlassungsklage (injunction), und zwar in Gestalt der einstweiligen Verfügung
als interim oder interlocutory injunction. 255 Im Gegensatz zu einer interlocutory injunction,
welche in einem frühen Stadium des Prozesses gewährt wird und bis zur Hauptverhandlung andauert, kann eine interim injunction schon vor Einreichung der Klage ergehen. 256 Ist eine Rechtsverletzung zu befürchten, aber noch nicht eingetreten, kann
die quia timet injunction vorbeugenden Rechtsschutz leisten, sofern der Antragsteller
darlegt, dass die Rechtsverletzung wahrscheinlich eintreten wird. 257
Die Voraussetzungen einer injunction im Wege einstweiligen Rechtsschutzes werden heutzutage dem Urteil des House of Lords in der Sache American Cyanamid v. Ethicon aus dem Jahre 1974 entnommen. Die Antragstellerin, American Cyanamid, hatte
eine interlocutory injunction gegen ihre Konkurrentin Ethicon erwirken wollen, um diese an der Verletzung ihres Patents an einem chemisch produzierten, sterilen resorbierbaren Operationsgarn zu hindern. Nachdem die Erteilung der injunction vom Court of
Appeal mit der Begründung abgelehnt worden war, es liege kein für den einstweiligen
Rechtsschutz erforderlicher prima facie-Fall258 vor, gewährte das House of Lords den
Rechtsbehelf, wobei es – wohl mit der Intention, den Charakter der interlocutory injunction als Schnellverfahren zu stärken259 – dessen Voraussetzungen auf den ersten
254
255
256
257
258
259
Umfassend dazu McGregor, Rn. 12-007 ff.
Zum Rechtsbehelf der injunction im englischen Recht Müller, Rn. 481 ff.
Spry, 505.
Hinsichtlich des zu fordernden Grades der Wahrscheinlichkeit haben sich unterschiedliche
Ansichten herausgebildet. So spricht Chitty J. in Attorney-General v. Manchester Corporation
[1893] 2 Ch. 87 (92) davon, der Kläger „must shew a strong case of probability that the apprehended mischief will, in fact, arise“; Pearson J. ist in Fletcher v. Bealey der Auffassung, „there
must, if no actual damage is proved, be proof of imminent danger, and there must also be proof that the
apprehended damage will, if it comes, be very substantial. I should almost say it must be proved that it
will be irreparable, because, if the danger is not proved to be so imminent that no one can doubt that, if
the remedy is delayed, the damage will be suffered, I think it must be shewn that, if the damage does
occur at any time, it will come in such a way and under such circumstances that it will be impossible for
the Plaintiff to protect himself against it if relief is denied to him in a quia timet action“, (1885) 28 Ch.
D. 688 (698). Spry gibt zu bedenken, dass es sich um keinen festen Maßstab handele; der Grad
der Wahrscheinlichkeit hänge vielmehr von den Umständen des Einzelfalls ab, 380.
Vgl. nur Page One Records Ltd. v. Britton [1968] 1 W.L.R. 157 (164); rückblickend auf vor
American Cyanamid v. Ethicon ergangene Urteile Lord Denning in Fellowes & Son v. Fisher
[1976] Q.B. 122 (130).
Bis zu diesem Zeitpunkt hatte der Antragsteller nicht nur darzulegen, es handele sich um
einen prima facie-Fall, vielmehr war maßgeblicher Teil der discretion, die Erfolgsaussichten
beider Parteien in der Hauptsache einander gegenüberzustellen. Im Nachhinein Laddie J. in
Series 5 Software Ltd. v. Philip Clarke: „The warning contained in the second of the quoted sentences
is to avoid courts at the interlocutory stage engaging in mini-trials, which is what happened at least in
the Court of Appeal in American Cyanamid itself. Interlocutory applications are meant to come on
quickly and to be disposed of quickly“, [1996] F.S.R. 273 (285).
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III. Rechtsdurchsetzungsinstrumente
Blick auf eine neue Grundlage stellte:260 Der Antragsteller müsse keinen prima facieFall mehr vorweisen, sondern lediglich darlegen, dass eine wesentliche Frage entschieden werden muss.261 Sodann müsse die „balance of convenience“ für die interlocutory
injunction sprechen. Dabei sei in erster Linie zu prüfen, ob Schadensersatz im Falle
des Erfolgs der Hauptsache ein adäquater Rechtsbehelf wäre. Sofern dies zu bejahen
sei und der Antragsgegner zudem in der Lage wäre, den Schadensersatz zu zahlen,
scheide eine interlocutory injunction aus. Stelle sich hingegen heraus, dass dem Antragsteller mit Schadensersatz nicht hinreichend gedient wäre, sei umgekehrt zu fragen, ob
für den Fall, dass der Antragsgegner in der Hauptsache obsiegt, ein vom Antragsteller
zu leistender Schadensersatz ausreichen würde, um den infolge der injunction eingetretenen Schaden auszugleichen. Herrsche insoweit Unklarheit, richte sich die Erteilung
der injunction nach der „balance of convenience“, d.h. es sei unter Abwägung aller Umstände des Einzelfalls (Marktposition, Eintritt irreparabler Schäden, Bereitschaft zur
Abgabe von Unterwerfungserklärungen) zu fragen, welche Nachteile dem Antragsteller entstünden, wenn das Gericht die injunction nicht erteilte, sich die Klage jedoch als
erfolgreich herausstellte, sowie welche Nachteile dem Antragsgegner entstünden,
wenn die injunction erteilt, die Klage indessen später abgewiesen würde. Eine Gegenüberstellung der Erfolgsaussichten beider Parteien in der Hauptsache – bis dahin ein
Schwerpunkt im Rahmen der discretion – solle zwar nach wie vor möglich sein, jedoch
nicht zu einer derart umfassenden Prüfung ausarten, dass der Charakter des Schnellrechtsschutzes konterkariert werde. 262 Erwiesen sich beide Positionen als ausgeglichen,
bestünde der sicherste Weg darin, den status quo aufrecht zu erhalten.
Die mit der Entscheidung American Cyanamid v. Ethicon verbundene Veränderung
der Akzente bei der discretion ist kurz darauf als mit der Rechtsprechung des House of
Lords grundsätzlich unvereinbarer Rechtsprechungswandel scharf kritisiert worden.263
260
261
262
263
Die nachfolgenden Ausführungen stammen aus dem Diktum von Lord Diplock, American
Cyanamid v. Ethicon [1975] A.C. 396 (408).
„The use of such expressions as ‚a probability‘, ‚a prima facie case,‘ or ‚a strong prima facie case‘ in
the context of the exercise of a discretionary power to grant an interlocutory injunction leads to
confusion as to the object sought to be achieved by this form of temporary relief. The court no doubt
must be satisfied that the claim is not frivolous or vexatious; in other words, that there is a serious
question to be tried. It is no part of the court’s function at this stage of the litigation to try to resolve
conflicts of evidence on affidavit as to facts on which the claims of either party may ultimately depend
nor to decide difficult questions of law which call for detailed argument and mature considerations.
These are matters to be dealt with at the trial“, [1975] A.C. 396 (407).
American Cyanamid v. Ethicon [1975] A.C. 396 (409): „… it may not be improper to take into
account in tipping the balance the relative strength of each party’s case as revealed by the affidavit
evidence adduced on the hearing of the application. This, however, should be done only where it is
apparent upon the facts disclosed by evidence as to which there is no credible dispute that the strength of
one party’s case is disproportionate to that of the other party. The court is not justified in embarking
upon anything resembling a trial of the action upon conflicting affidavits in order to evaluate the
strength of either party’s case“.
In diesem Sinne etwa Lord Denning in Fellowes & Son v. Fisher [1976] Q.B. 122 (132): „I find it
impossible to reconcile this statement with the statements in the House 10 years ago in J. T. Stratford
& Son Ltd. v. Lindley [1965] A.C. 269. Yet the House did not even mention J. T. Stratford & Son
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Allerdings haben die Gerichte Wege gefunden, die neue Entscheidung als mit der alten Rechtsprechung in Einklang stehend zu interpretieren. So gebe es Fälle, in denen
die in American Cyanamid v. Ethicon entwickelten Prinzipien nicht anwendbar seien,
namentlich solche, in denen von vornherein nicht zu erwarten sei, dass es noch zu
einer Verhandlung in der Hauptsache kommt, eine umfassendere Prüfung inklusive
mündlicher Verhandlung mithin wünschenswert wäre.264 In den letzten Jahren zitieren die Gerichte daher häufig ergänzend die 1995 ergangene Entscheidung der Chancery Division des High Court of Justice in der Sache Series 5 Software Ltd. v. Philip
Clarke,265 in welcher Laddie J. die Voraussetzungen für die Erteilung einer interlocutory
injunction nochmals wie folgt zusammenfasste:266 Erstens handele es sich um eine Frage
der discretion, wobei sämtliche Umstände des Einzelfalls zu berücksichtigen seien. Um
eine Flexibilität des Rechtsbehelfs zu gewährleisten, gebe es zweitens keine festen Regeln; komplexe Tatsachen- oder Rechtsfragen sollten im Schnellverfahren jedoch
grundsätzlich nicht geprüft werden. Drittens seien folgende Punkte zu beachten: die
Frage, ob und inwieweit Schadensersatz ein angemessener Rechtsbehelf wäre und ob
die gegnerische Partei gegebenenfalls in der Lage sei, zu zahlen, der „balance of convenience“-Test, die Erhaltung des status quo sowie die eindeutig höhere Chance einer
Partei in Relation zur anderen, in der Hauptsache zu obsiegen. 267
264
265
266
267
Ltd. v. Lindley. I do not like to suggest that this was per incuriam. When I last made so bold as to make
such a suggestion in Broome v. Cassell & Co. Ltd. [1971] 2 Q.B. 354; [1972] A.C. 1027, it was
regarded as a piece of lèse-majesté. The House of Lords never does anything per incuriam. So what are
we to do with two statements of principle by the House which are not reconcilable the one with the
other?“
„Where then is the reconciliation to be found? Only in this: the House did say, at p. 409: ‚there may
be many other special factors to be taken into consideration in the particular circumstances of individual cases.‘ That sentence points the way. These individual cases are numerous and important.
They are all cases where it is urgent and imperative to come to a decision. The affidavits may be
conflicting. The questions of law may be difficult and call for detailed consideration. Nevertheless, the
need for immediate decision is such that the court has to make an estimate of the relative strength of
each party’s case. If the plaintiff makes out a prima facie case, the court may grant an injunction. If it
is a weak case, or is met by a strong defence, the court may refuse an injunction. Sometimes it means
that the court virtually decides the case at that stage. At other times it gives the parties such good
guidance.(…) The courts invariably assess the relative strength of each party’s case and grant or
refuse an injunction accordingly. They give their reasons and that is the end of the matter. Look at
these cases (…). All were decided on applications for interlocutory injunctions: and never went to
trial“, Fellowes & Son v. Fisher [1976] Q.B. 122 (133) per Lord Denning.
S. etwa Barclays Bank Plc. v. RBS Advanta [1996] R.P.C. 307; Antec International Ltd. v. South
Western Chicks (Warren) Ltd. [1997] F.S.R. 278; Barnsley Brewery Co. Ltd. v. RBNB [1997]
F.S.R. 462; Intelsec System Ltd. v. Grech-Cini [2001] 1 W.L.R. 1190; Wyeth Holdings Corporation v. Alpharma [2003] EWHC 3196 (Pat).
Series 5 Software Ltd. v. Philip Clarke [1996] F.S.R. 273 (286).
Der durch American Cyanamid v. Ethicon zurückgedrängte Gesichtspunkt der Erfolgsaussichten in der Hauptsache scheint damit wieder verstärkt an Gewicht zu gewinnen. Dieser
Eindruck wird durch das Diktum von Robert Walker L.J. in Guardian Media Group Plc. v.
Associated Newspapers Ltd. bestätigt, wonach „The American Cyanamid principles have a degree
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III. Rechtsdurchsetzungsinstrumente
2. Straf- und verwaltungsrechtliche Sanktionen
Die strafrechtliche Verfolgung von Verstößen gegen die CPRs obliegt gemäß reg. 19
den in reg. 2(1) genannten enforcement authorities, mithin dem OFT, den TSS sowie
dem Department of Enterprise, Trade and Investment in Northern Ireland. In diesem Zusammenhang sehen regs. 20 ff. bestimmte behördliche Eingriffsbefugnisse (investigation
powers) vor, etwa das Recht, Testkäufe vorzunehmen (reg. 20) sowie Grundstücke zu
betreten, Waren in Augenschein zu nehmen und ggf. zu beschlagnahmen (reg. 21).
Darüber hinaus erklärt reg. 26 CPRs Teil 8 des Enterprise Act 2002 für anwendbar.
Während das Gesetz überwiegend dem Kartellrecht gewidmet ist, enthält Teil 8 („Enforcement of certain consumer legislation“) verbraucherschützende Regelungen, welche
weite Teile des Fair Trading Act 1973 sowie die in Umsetzung der Unterlassungsklagenrichtlinie268 ergangenen Stop Now Orders (EC Directive) Regulations 2001 ersetzt haben. Entsprechend dieser Genese unterscheidet das Gesetz zwischen domestic infringements (s. 211) und community infringements (s. 212). Ein community infringement setzt
voraus, dass gegen eine im Anhang 13 des Enterprise Act 2002 aufgelistete europäische
Richtlinie oder Ausführungsbestimmungen, die einen gegenüber dem von der Richtlinie vorgesehenen Minimumstandard erhöhten und in den Grenzen der Richtlinie
zulässigen Schutz vermitteln, verstoßen wird, und dadurch kollektive Verbraucherinteressen beeinträchtigt werden. Hierzu zählen auch Verstöße gegen die in Anhang 13
Ziff. 9C aufgeführte Richtlinie über irreführende Geschäftspraktiken gegenüber Verbrauchern, welche durch die CPRs umgesetzt wird. Zentrales Durchsetzungsinstrument
ist die gerichtliche Enforcement Order, welche durch eines der vom Gesetz bestimmten
Durchsetzungsorgane beantragt werden kann. Als enforcers in Betracht kommen gemäß s. 213 auch insoweit das OFT, die TSS und das Department of Enterprise, Trade
and Investment in Northern Ireland als sog. general enforcers, staatlich gesondert bestimmte Durchsetzungsorgane (designated enforcers) sowie die durch die Unterlassungsklagenrichtlinie begünstigten qualifizierten Einrichtungen zum Schutze von Verbraucherinteressen (community enforcers). Während die general enforcers gemäß s. 215(2)
bezüglich jeder Art von infringement antragsberechtigt sind, trifft dies für community
enforcers nur im Hinblick auf community infringements zu, s. 215(4). Sachlich zuständig
für Verfahren gegen Antragsgegner, die ihren Geschäftssitz in England, Wales oder
Nordirland haben, sind gemäß s. 215(5) der High Court oder die county courts.
Bevor die enforcement order beantragt werden kann, muss dem potentiellen Verletzer die Möglichkeit gegeben werden, das beanstandete Verhalten abzustellen. S. 214
Enterprise Act 2002 sieht daher eine vierzehntägige (bzw. im Falle einer interim enforcement order im Sinne von s. 218 siebentägige, ausnahmsweise auch gänzlich verzichtbare) Frist vor, die Sache außergerichtlich zu regeln. Wird innerhalb dieses Zeitraums
eine Unterlassungsverpflichtungserklärung abgegeben, ist dies dem OFT mitzuteilen,
268
of flexibility and they do not prevent the court from giving proper weight to any clear view which the
court can form at the time of the application for interim relief (and without the need of a mini-trial on
copious affidavit evidence) as to the likely outcome at trial“, [2000] W.L. 331035, Rn. 18.
Richtlinie 98/27/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 19.05.1998 über Unterlassungsklagen zum Schutz von Verbraucherinteressen, ABl. EG Nr. L 166 vom 11.06.
1998, S. 51.
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vgl. s. 219. Erfolgt keine Reaktion, ist das OFT davon in Kenntnis zu setzen, dass nunmehr gerichtliche Schritte eingeleitet werden. Auch gegenüber dem Gericht kann
eine Unterlassungsverpflichtungserklärung abgegeben werden, s. 217(9), 218(10). Geschieht dies nicht und gibt das Gericht dem Antrag statt, ergeht eine enforcement order.
Der Verstoß gegen die order kann als contempt of court mit Freiheits- oder Geldstrafe
geahndet werden. Unabhängig davon, wer den Antrag gestellt hatte, ist für die Verfolgung von Verstößen gegen die order oder die gegenüber dem Gericht abgegebene
Unterlassungsverpflichtungserklärung nunmehr in jedem Fall auch das OFT zuständig,
s. 220(2). Im Rahmen des dem OFT in s. 6 Enterprise Act 2002 zugewiesenen Auftrags,
die Öffentlichkeit über Verbraucherschutzthemen zu unterrichten, werden Informationen zu den unter Teil 8 des Enterprise Act 2002 behandelten Fällen auf der Internetseite des OFT veröffentlicht. 269
Ein ähnliches Durchsetzungsregime sehen die auf das B2B-Verhältnis abzielenden
BPRs vor. Durchsetzungsorgane sind auch hier das OFT, die TSS und das Department of
Enterprise, Trade and Investment in Northern Ireland. Neben der in reg. 6 vorgesehenen
strafrechtlichen Verfolgung von Verstößen gegen das Verbot irreführender Werbung
steht ihnen bei sämtlichen Arten von Verstößen nach s. 15 BPRs die Möglichkeit offen, ein gerichtliches Unterlassungsklageverfahren anzustrengen. Die Abgabe einer
Unterlassungsverpflichtungserklärung stellt auch hier eine Option dar, reg. 16. Gemäß
reg. 20 treffen das OFT auch hinsichtlich dieser Verfahren Publikationspflichten.
Da sie weder zu den gesetzlich bestimmten Durchsetzungsorganen zählen noch
über den Umweg eines economic tort als klagebefugt anzusehen sind, haben Verbraucher und Konkurrenten bislang, soweit ersichtlich, keine Möglichkeit, die Durchsetzung der CPRs und der BPRs in die Hand zu nehmen.270 Allerdings können ausweislich
s. 6 Prosecution Offences Act 1985 auch Privatpersonen Strafverfahren anstrengen und
das Gericht in einfachen Fällen eine Entschädigung des Verletzten anordnen.271
3. Sanktionen im Rahmen der Werbeselbstkontrolle
Wird ein Verstoß gegen die Advertising Codes festgestellt und nicht freiwillig beseitigt,
kann die ASA auf ein weitreichendes Spektrum an Sanktionen zurückgreifen,272 welche überwiegend durch das CAP koordiniert werden. Dieses kann beispielsweise an
seine Mitglieder sog. Ad Alerts versenden, um zu verhindern, dass die regelwidrige
Werbung veröffentlicht wird. Privilegien, die dem Verletzer von Mitgliedern der im
CAP zusammengeschlossenen Unternehmen eingeräumt wurden (etwa der Massenrabatt für Postwurfsendungen der Royal Mail) können aufgehoben oder suspendiert werden. Von wiederholt in Erscheinung getretenen Verletzern kann verlangt werden, dass
sie neue Werbematerialien zur Prüfung vorlegen, bevor diese veröffentlicht werden.
Schließlich kann die ASA das OFT einschalten, welches namentlich dann, wenn das
Verhalten nicht nur gegen den Code, sondern zugleich gegen die CPRs oder die BPRs
269
270
271
272
So namentlich auf der Consumer Regulations Website www.crw.gov.uk.
Dazu sowie zu den Überlegungen, individuelle Klagerechte einzuführen, schon oben, I. 2.
So auch Bodewig, GRUR Int. 2004, 558.
Dazu auch Obermaier, 167 ff.
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verstößt, weitergehende Schritte einleiten kann. Im Anwendungsbereich des BCAPCode ist ferner eine Einschaltung des OfCom möglich, welches Bußgelder erheben
oder sogar Sendelizenzen widerrufen kann.
Besonders unter Druck gesetzt werden potentielle Verletzer dadurch, dass die Entscheidungen des ASA-Council wöchentlich auf der Website der ASA publiziert werden.
Unternehmen haben daher mitunter versucht, Entscheidungen der ASA unter Berufung auf die durch Art. 10 der Europäischen Menschenrechtskonvention garantierte
Meinungsäußerungsfreiheit zu kippen. 273 Ob und inwieweit Entscheidungen der ASA
überhaupt gerichtlich überprüfbar sind, scheint nicht abschließend geklärt. 274 Darüber
hinaus ist mit wechselndem Erfolg versucht worden, die Veröffentlichung von Entscheidungen der ASA im Wege einstweiligen Rechtsschutzes zu verhindern. 275
Mit diesem Sanktionensystem, welches primär auf dem Druckmittel negativer Publicity basiert, verzeichnet die ASA beträchtliche Erfolge. So sind im Jahr 2009 bei der
ASA 28.929 Beschwerden im Hinblick auf 13.995 Werbekampagnen eingegangen. Die
durchschnittliche Bearbeitungszeit betrug 13 Tage. 276 Auf Druck der ASA wurden
2.397 Werbeanzeigen bzw. -kampagnen geändert oder zurückgenommen. 277 Die Compliance-Raten fallen mit durchschnittlich 98 % außerordentlich hoch aus.278
273
274
275
276
277
278
Obermaier, 170 f.
Ablehnend die Entscheidung R. v. ASA ex parte DSG Retail Ltd. [1996] EWHC (Admin) 315;
anders R. v. ASA ex parte Matthias Rath BV [2001] E.M.L.R. 581 (595), wobei die Advertising
Codes jedoch als gesetzlich vorgesehene Einschränkungen der Meinungsäußerungsfreiheit im
Sinne von Art. 10 II EMRK qualifiziert wurden; zu diesen Entscheidungen Obermair, 170.
Abgelehnt wurde die injunction namentlich in R. v. ASA ex parte Vernons Organisation Ltd.
[1993] 2 All E.R. 202 (205 f.) mit der Begründung, bei den Entscheidungen der ASA handele
es sich um Meinungsäußerungen, welche von den Gerichten nur in Ausnahmefällen beschränkt werden dürften. Mit Blick auf das hohe Schadenspotential und den gerichtsähnlichen Charakter von Entscheidungen der ASA stattgegeben wurde dem Antrag auf injunction
hingegen in R. v. ASA ex parte Direct Linie Financial Services [1997] EWHC (Admin) 770;
hierzu auch Obermair, 171. Vgl. ferner die Entscheidung des High Court in R. (on the application of Debt Free Direct Group plc.) v. ASA [2007] E.W.H.C. 1337, in der Sullivan J. die
Ansicht vertrat, in die quasi-judizielle Tätigkeit einer öffentlichen Institution wie der ASA
dürfe nur in extremen Ausnahmefällen eingegriffen werden; darüber hinaus habe der Antragsteller die ihm zur Verfügung stehenden Möglichkeiten nicht ausgeschöpft, da er es versäumt
habe, zuvor den Independent Reviewer of ASA adjudications einzuschalten.
Annual Report 2009, 12.
Annual Report 2009, 12 f.
Annual Report 2009, 30 f.
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Länderbericht Estland
Martin Käerdi
I. Historische Entwicklung
Historisch bedingt ist das estnische Wettbewerbsrecht jung. Das erste estnische Wettbewerbsgesetz wurde am 16.06.1993 verabschiedet und ist am 1.10.1993 in Kraft getreten. Seitdem ist das Gesetz zweimal gründlich novelliert worden und ist jetzt gültig
in der Fassung des 3. Wettbewerbsgesetzes (konkurentsiseadus) vom 5.6.2001. Das Wettbewerbsgesetz regelt primär das Recht der Wettbewerbsbeschränkungen, enthält aber
auch allgemeine Bestimmungen über das Unlauterkeitsrecht. Die Regelungen des
Lauterkeitsrechts im Wettbewerbsgesetz sind im Laufe der Zeit geschrumpft, vor allem
durch die zunehmende Zahl von Sondergesetzen, die die Einzeltatbestände des unlauteren Wettbewerbs übernommen haben, etwa durch das Markengesetz (kaubamärgiseadus) vom 22.5.2002, Werbungsgesetz (reklaamiseadus) vom 12.3.2008, und das Gesetz
über den elektronischen Geschäftsverkehr (infoühiskonna teenuste seadus) vom 14.4.
2004. Außerhalb von den genannten Sondergesetzen haben der Gesetzgeber und die
Praxis das Unlauterkeitsrecht ein wenig stiefmütterlich behandelt. Vor allem in den
Turbulenzen der marktwirtschaftlichen Reformen und des Wandels der Wirtschaftsstrukturen haben sich die Grundtatbestände des Lauterkeitsrechts erst sehr mühsam in
das Rechtsbewußtsein der Normadressaten eingearbeitet. Das Verständnis, daß es innerhalb des wirtschaftlichen Wettbewerbs gute Sitten gibt, die rechtlich den Handlungsspielraum eines Unternehmers einschränken können, hat sich erst nachträglich
befestigt. Diese Vorgeschichte wirkt zweierlei. Erstens hat es selbstverständlich Einfluß
auf dem Inhalt der guten Sitten im Wirtschaftsverkehr. Zweitens ist die Bereitschaft
sich gegen angebliche Sittenverstoße rechtlich zu verteidigen immer noch relativ gering.
II. Rechtliche Grundlagen
1. Gesetzliche Regelungen
Die zentralen Regelungen des estnischen Unlauterkeitsrechts befinden sich im Wettbewerbsgesetz (konkurentsiseadus), dessen 7. Kapitel allgemeine Vorschriften über das
„unlautere Wettbewerb“ (kõlvatu konkurents) enthält (§§ 50-53). Von Struktur und
Regelungstechnik her sind die §§ 50-53 des WettbG ähnlich aufgebaut wie das deutsche UWG. So enthält § 50 Abs. I eine Generalklausel, die an die unlautere Handelspraktiken und gute Sitten des Handelsverkehrs anknüpft und entsprechende
sittenwidrige Handlungen verbietet (§ 50 Abs. II WettbG). Im § 51 erfolgt eine kleine
Generalklausel in Form eines Irreführungsverbots. In § 52 werden einzelne unlautere
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Länderbericht Estland
Wettbewerbshandlungen wie das Ausnutzen eines Betriebs- oder Geschäftsgeheimnisses eines Mitbewerbers oder das Ausnutzen der Mitarbeiter eines Mitbewerbers aufgeführt. Durch die zunehmende Anzahl von Sondergesetzen ist der Katalog der
Einzeltatbestände im WettbG allerdings im Laufe der Zeit erheblich kürzer geworden.
So hat das neue Markengesetz die Schutzvorschriften über die nicht eingetragenen
berühmten Marken übernommen. Durch das Werbungsgesetz, das Sonderregelungen
über irreführende und vergleichende Werbung enthält um die Vorgaben der Richtlinien 84/450 / EWG und 97/55/EG umzusetzen wurden entsprechende Tatbestände
aus dem allgemeinen lauterkeitsrechtlichen Irreführungsverbot ausgegliedert. Das Gesetz über den elektronischen Geschäftsverkehr regelt in Anlehnung an die Richtlinie
2000/31/EG bestimmte Handelspraktiken im elektronischen Geschäftsverkehr, vor allem hinsichtlich der „kommerziellen Kommunikation“ und der E-Mail Werbung. Bestimmte unlautere Handlungen zwischen den Mitwerbern werden im Schuldrechtsgesetz (võlaõigusseadus) als Sonderdelikte konzipiert, etwa die Veröffentlichung unrichtiger Tatsachenbehauptungen (§ 1047 SchRG) oder der Eingriff in den Gewerbebetrieb,
der auch durch eine widerrechtliche Drohung, z.B. durch eine unberechtigte Schutzrechtswarnung oder Boykott erfolgen kann (so § 1049 SchRG). Das Verbraucherschutzgesetz dehnt schließlich den Schutzbereich des Lauterkeitsrechts mittelbar aus,
indem es bestimmte unlautere Handelspraktiken im Allgemeininteresse auch gegenüber der Verbraucher verbietet.
2. Geschützter Personenkreis
Das estnische Lauterkeitsrecht ist Sonderprivatrecht und regelt deshalb primär das
zivilrechtliche Verhältnis zwischen den Mitbewerbern (so § 53 WettbG). Schutzsubjekt des estnischen Lauterkeitsrechts sind demnach die Mitbewerber und die sonstigen
betroffenen Marktteilnehmer. In den Fällen in denen gegen die Grundsätze des lauteren Wettbewerbs verstoßen wird, hat der betroffene Marktteilnehmer deliktsrechtliche Schadenersatz- und Unterlassungsansprüche gegen den Handelnden. Anspruchsberechtigt ist demnach nur ein im Rahmen eines konkreten Wettbewerbsverhältnisses
unmittelbar betroffener Gewerbetreibender. Verbands- und Sammelklagen sind nicht
zugelassen, entsprechende Ansprüche können auch nicht von den Interessenverbänden geltend gemacht werden.
Reiner Mitbewerberschutz gilt allerdings nur für die im WettbG geregelten Tatbestände sowie für die im Schuldrechtsgesetz geregelte unerlaubte Handlungen, die mit
den wettbewerbsrechtlichen Deliktsansprüchen konkurrieren. Wie im deutschen
Recht limitiert sich der Schutzzweck des Lauterkeitsrechts nicht auf Schutz der Mitbewerber, so daß als Schutzsubjekt, zumindest in bestimmten Konstellationen auch die
Allgemeinheit, die Verbraucher oder der Leistungswettbewerb als solcher im Betracht
kommen. Die Aufgabe des Wettbewerbsrechts wird auch darin gesehen, auch die nicht
gewerblich handelnde Personen und die Öffentlichkeit vor die Störungen des freien
Wettbewerbs zu schützen (so Staatsgerichtshof, Urt. vom 18.2.2002, 3-3-1-66-02).
Hinsichtlich der Verbraucher ist dies auch in § 12 Abs. 1 des Verbraucherschutzgesetzes (tarbijakaitseseadus) positiviert, der den Gewerbetreibenden gegenüber den Verbrauchern verpflichtet, bei seinen Vertriebsmethoden und -praktiken die guten Sitten
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II. Rechtliche Grundlagen
des Handelsverkehrs zu beachten und redlich zu handeln. Dadurch wird der Schutzumfang des obersten Gebots des Lauterkeitsrechts auf die Verbraucher ausgedehnt.
Höchstrichterlich nicht geklärt ist die Frage, ob ein einzelner geschädigter Verbraucher auf der Grundlage des § 12 Abs. I VerbrSchG individuelle Ersatzansprüche
gegen den sittenwidrig handelnden Unternehmer geltend machen kann. Es würden
vor allem deliktsrechtliche Ansprüche aus §§ 1043, 1045 Abs. I Nr. 7 wegen der
Schutzgesetzverletzung in Betracht kommen. Insoweit als zwischen dem Unternehmer
und den Geschädigten direkte Vertragsbeziehungen bestehen, werden die konkurrierenden Deliktsansprüche nach dem non cumul Gebot in § 1044 Abs. II SchRG ausgeschlossen. Bestehen keine Vertragsbeziehungen, wäre bei einer Schutzgesetzverletzung
danach zu fragen, ob das Schutzgesetz für dem Geschädigten auch Individualschutz vor
entsprechende Vermögensnachteile gewähren wollte (so § 1045 Abs. III SchRG). Ob
die Gerichte hier ein rechtspolitisches Bedürfnis für die Gewährung eines deliktischen
Vermögensschutzes für den individuellen Verbraucher anerkennen wollen bleibt abzuwarten.
Die praktisch wichtigste Konsequenz der Regelung des § 12 Abs. I VerbrSchG ist
die daraus wachsende aktive Eingriffsbefugnis der Verbraucherschutzbehörde, die, insoweit als die Kollektivinteressen der Vielzahl von Verbrauchern betroffen sind, eine
Unterlassung der unlauteren Vertriebsmethoden anordnen und weitere Zuwiderhandlungen mit Zwangsgeld sanktionieren kann (§ 41 VerbrSchG). Bestimmte lauterkeitsrechtliche Sonderregelungen sollen auch offensichtlich Schutz für die Allgemeinheit
gewähren. So etwa das Werbungsgesetz oder das Gesetz über den elektronischen Geschäftsverkehr, deren erklärte Zielsetzung der Allgemeinschutz ist, so daß die zuständige Aufsichtsbehörde von Amts wegen in Allgemeininteresse tätig werden kann um
die rechtswidrige Handlungen durch verwaltungs- und ordnungsrechtliche Mittel abzuwehren.
3. Sanktionsmöglichkeiten
Das estnische Lauterkeitsrecht ist Sonderdeliktsrecht. Es enthält meistens (nur) Verbotsnormen, knüpft daran allerdings keine direkten Rechtsfolgen. Wird gegen eine
solche Verbotsnorm verstoßen, d.h. eine unerlaubte Handlung begangen, hat der im
Rahmen eines konkreten Wettbewerbsverhältnisses unmittelbar betroffene Gewerbetreibende gewöhnliche deliktsrechtliche Ansprüche gegen den Verletzter. Primär
steht ihm ein Schadenersatzanspruch aus § 1043 des Schuldrechtsgesetzes zu. Dies setzt
eine widerrechtliche und schuldhafte Schadenszufügung voraus. Die Widerrechtlichkeit des Eingriffs folgt in der Regel aus § 1045 Abs. I Nr. 7 (Verstoß gegen ein Schutzgesetz) zusammen mit der relevanten Verbotsnorm. Im Unlauterkeitsrecht sind zudem
auch einzelne Sondertatbestände der deliktischen Widerrechtlichkeit von Bedeutung,
etwa § 1047 SchRG (Widerrechtlichkeit der Verbreitung irreführenden Angaben),
§ 1049 SchRG (Eingriff in den Gewerbebetrieb) oder § 1045 Abs. I Nr. 8 (vorsätzliche
sittenwidrige Schädigung). Bei Tatbestandsmäßigkeit wird das Verschulden, also ein
Verstoß gegen die Innere- und Äußere Sorgfalt vermutet, der Schädiger muß sich entlasten (so § 1050 I SchRG). Neben dem Schadenersatzanspruch hat der Betroffene
auch deliktische Unterlassungsansprüche aus § 1055 SchRG. Der Unterlassungsan219
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spruch richtet sich in der Regel gegen konkrete Verletzungshandlugen und setzt eine
andauernde rechtswidrige Verletzung oder zumindest die Widerholungsgefahr voraus
(§ 1055 Abs. I 1. Fall SchRG). Daneben kommen aber auch vorbeugende Unterlassungsansprüche in Betracht. Der vorbeugende Unterlassungsanspruch setzt eine Erstbegehungsgefahr, vor allem durch eine entsprechende „Drohung mit einer rechtswidrigen Schadenszufügung“, voraus (§ 1055 Abs. I 2. Fall SchRG). Das Verschulden des
Verletzers ist nicht erforderlich. In den Fällen, in denen wegen der Veröffentlichung
irreführender oder unrichtiger Tatsachenbehauptungen gehaftet wird, kommt zudem
ein deliktischer Beseitigungsanspruch in Form des Widerrufs in Betracht (§ 1047 Abs.
IV SchRG). Insoweit als die Unrichtigkeit der veröffentlichten Angaben feststeht, ist
der Widerrufsanspruch auch dann gegeben, wenn die Veröffentlichung selbst nicht
rechtswidrig war. Der deliktische Rechtsschutz wird durch bestimmte bereicherungsrechtliche Ansprüche ergänzt. Vor allem in den Fällen, in denen für das Ausnutzen
fremder Leistungen gehaftet wird, kann dies von Bedeutung sein, insbesondere wenn
der Eingriff durch das Ausnutzen keinen Schaden bei den Berechtigten verursacht.
Durch die Eingriffskondiktion nach § 1037 SchRG kann bei fehlendem Schaden zumindest die Herausgabe des durch eine rechtswidrige Handlung Erlangten verlangt
werden, der Anspruch geht auf die Herausgabe des gemeinen Werts (so § 1037 Abs. I
SchRG). Bei Bösgläubigkeit des Verletzers entsteht zudem ein Gewinnherausgabeanspruch nach § 1039 SchRG. Neben den schuldrechtlichen Ansprüchen kommen in
bestimmten Konstellationen auch straf- und verwaltungsrechtliche Sanktionsmöglichkeiten in Betracht. Bestimmte unlautere Wettbewerbshandlungen werden strafrechtlich sanktioniert. Strafbar ist zum Beispiel die Veröffentlichung und die unberechtigte Benutzung eines Betriebsgeheimnisses (§ 377 Strafgesetzbuch (karistusseadustik) StGB). Gegen eine unberechtigte Benutzung strafrechtlich geschützt sind auch
die schon entstandenen Patent-, Gebrauchsmuster-, Geschmacksmuster- und Markenrechte (§ 226 StGB) und urheberrechtlich geschützte Werke (§§ 219-225 StGB) sowie
die technischen Erfindungen oder Geschmacksmuster, die noch geheim sind (§ 228
StGB). Strafbar ist auch der Vertrieb gefälschter Waren (§ 227 StGB) und die unberechtigte Benutzung gewerblich geschützter geographische Herkunftsangaben (§ 230
StGB). Die Veröffentlichung einer irreführenden, sittenwidrigen, verleumdenden
oder verbotenen Werbung kann zu einer Ordnungswidrigkeit nach § 33 oder § 34 des
Werbungsgesetzes führen. Gleiches gilt nach § 15 des Gesetzes über den elektronischen Geschäftsverkehr dann, wenn gegen das Verbot der E-Mail-Werbung verstoßen
wird. Ordnungswidrig handelt auch, wer über die Eigenschaften, den Preis oder die
Herkunft der von ihm angebotenen Waren oder Dienstleistungen bewußt falsche Angaben an den Verbraucher übermittelt oder richtige Angaben verschweigt (§ 47 Abs. I
Nr. 3 und Abs. II Verbraucherschutzgesetz). Das gleiche gilt wenn gegen die gesetzlichen Kennzeichnungs- oder Informationspflichten hinsichtlich solcher Eigenschaften
der Waren oder Dienstleistungen verstoßen wird (§ 45 Verbraucherschutzgesetz). Ein
Verstoß gegen bestimmte Vorschriften des Verbraucherschutzgesetzes, des Werbungsgesetzes oder des Gesetzes über den elektronischen Geschäftsverkehr kann zudem veranlassen, dass die zuständige Behörde durch einen Verwaltungsakt Unterlassung entsprechende Tätigkeiten anordnet oder Beseitigung der Störung verlangt. Entsprechende Verfügungen der Aufsichtsbehörden können regelmäßig mit einem Zwangsgeld
oder der Androhung einer behördlichen Ersatzvornahme verbunden werden.
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III. Schutz gegen das Ausnutzen fremder Leistung
III. Schutz gegen das Ausnutzen fremder Leistung
Die Rechtslage hinsichtlich des wettbewerbsrechtlichen Leistungsschutzes ist grundsätzlich ähnlich zu der in Deutschland. In den Fällen, in denen es um die mittelbare
oder unmittelbare Übernahme fremder Leistungen oder um ihre Nachahmung geht,
muß grundsätzlich geprüft werden, inwieweit das Wettbewerbsrecht im Spannungsverhältnis zwischen sondergesetzlichen Ausschließlichkeitsrechten und Nachahmungsfreiheit einen ergänzenden, wettbewerbsrechtlichen Leistungsschutz gewähren kann.
Insoweit als der Sonderrechtsschutz, vor allem die immaterialgüterrechtliche Schutzrechte, nicht eingreift, muß man auch im estnischen Recht von der Grundsatz der
Nachahmungsfreiheit ausgehen.
Die grundsätzliche Nachahmungsfreiheit kann allerdings durch wettbewerbsrechtliche Mittel eingeschränkt werden, etwa wenn Nachahmung zu Irreführung führt oder
wenn die Übernahme fremder Leistungen gegen die guten Sitten des Handelsverkehrs
verstößt und deshalb unter den Verbotstatbestand des § 50 WettbG fällt.
1. Durch Irrtum
In den Fällen, in denen in den fremden Zuweisungsgehalt dadurch eingegriffen wird,
daß fremde Leistungen durch Irrtum für eigene Erwerbszwecke ausgenutzt werden, stehen dem Berechtigten grundsätzlich alle klassischen zivilrechtlichen Abwehransprüche zur Verfügung. Regelmäßig ausgeschlossen wird ein Anspruch auf Schadenersatz,
weil dieser ein Verschulden des Handelnden voraussetzt. Allerdings ist im estnischen
Recht zu berücksichtigen, daß bei außervertraglichen Ersatzansprüchen das Verschulden durch die Tatbestandsmäßigkeit indiziert wird, so daß der Handelnde sich entlasten muß (so § 1050 Abs. I SchRG). Neben den allgemeinen zivilrechtlichen Ansprüchen kommen häufig spezialgesetzliche Regelungen in Betracht, die als lex specialis
vorrangig sind. Solche Spezialregelungen sind vor allem im Bereich der gewerblichen
Schutzrechte oder des Urheberrechts zu finden. Die praktisch wichtigste Bedeutung
für die Fälle, in denen wegen der Ähnlichkeit zur fremden Ausstattung eine Verwechslungsgefahr entsteht, haben das Markengesetz und das Geschmacksmustergesetz. Es ist
zu berücksichtigen, daß das estnische Markengesetz neben den eingetragenen auch
nicht eingetragenen, bekannten Marken Markenschutz gewährt (s. gleich unten 2. a)).
Insoweit als eine Marke wegen der Eintragung oder Bekanntheit Markenschutz genießt, ist die Benutzung eines mit der Marke identischen Zeichens für Waren oder
Dienstleistungen, die mit denjenigen identisch sind, für die Markenschutz besteht,
verboten (§ 14 Abs. I Nr. 1 MarkenG). Bei Ähnlichkeit des Zeichens mit der Marke
und der Identität oder Ähnlichkeit der durch die Marke und das Zeichen erfaßten
Waren oder Dienstleistungen gilt das gleiche, wenn für das Publikum die Gefahr von
Verwechslungen besteht, einschließlich der Gefahr, daß das Zeichen mit der Marke
gedanklich in Verbindung gebracht wird (§ 14 Abs. I Nr. 2 MarkenG). Sind die Waren
oder Dienstleistungen, für die ein mit der Marke ähnliches Zeichen benutzt wird, nicht
denen ähnlich, für die die Marke Schutz genießt, kann die Zeichenbenutzung nur dann
untersagt werden, wenn es sich bei der Marke um eine im Inland bekannte Marke
handelt und die Benutzung des Zeichens die Unterscheidungskraft oder die Wertschät221
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zung der bekannten Marke ohne rechtfertigenden Grund in unlauterer Weise ausnutzt
oder beeinträchtigt (§ 14 Abs. I Nr. 1 MarkenG). Ähnliche Ausschließlichkeitsrechte
entstehen auch aus anderen gewerblichen Schutzrechten oder aufgrund des Urheberrechts.
Werden fremde, durch gewerbliche Schutzrechte oder Urheberrechte geschützte
Leistungen ohne Berechtigung ausgenutzt und gelingt dem Handelnden der Entlastungsbeweis nach § 1050 Abs. I SchRG, stehen dem Berechtigten lediglich Unterlassungsansprüche zu. Die Anspruchsgrundlage ist regelmäßig in dem entsprechenden
Sondergesetz zu finden, teilweise verweisen die immaterialgüterrechtlichen Sondergesetze auch auf die allgemeinen deliktischen Unterlassungsansprüche in § 1055 SchRG
oder enthalten entsprechende eigene Anspruchsgrundlagen, so etwa § 57 Abs. I Nr. 1
MarkenG (Unterlassungsanspruch). Daneben können auch bereicherungsrechtliche
Ansprüche auf die Herausgabe des Erlangten nach § 1037 Abs. I SchRG bestehen
(Eingriffskondiktion). War der Handelnde gutgläubig, kann er sich allerdings auf eine
mögliche Entreicherung berufen (§ 1038 S. 1 SchRG). Bei der Feststellung der Entreicherung wird allerdings das Entgelt nicht berücksichtigt, das für den Erwerb des Erlangten aufgewendet wurde (§ 1038 S. 2 SchRG). Bei einem gutgläubigen Eingriff
kann der Geschädigte den Störer zunächst Abmahnen und zur Unterlassung der Störung auffordern. Bleibt die Abmahnung erfolglos, entstehen neben den Ansprüchen
auf Unterlassung auch Schadenersatzansprüche. Der bösgläubige Störer ist zudem bereicherungsrechtlich zur Gewinnherausgabe nach § 1039 SchRG verpflichtet. Soweit
der Schutzbereich der gewerblichen Schutzrechte nicht betroffen ist und lediglich
„sonstige“ fremde Leistungen ausgenutzt werden, wird der Betroffene regelmäßig keine
Abwehransprüche gegen den Handelnden besitzen. Solche Ansprüche würden vor allem voraussetzen, daß der Anspruchsberechtigte nachweisen kann, daß die Übernahme fremder Leistungen gegen die guten Sitten des Handelsverkehrs im Sinne des § 50
WettbG verstößt. Dies setzt allerdings voraus, daß nachgewiesen werden kann, daß es
sich um eine bewußte Leistungsübernahme in Wettbewerbsabsicht handelte (dazu
gleich unten 2).
2. In anderer Weise
a) Schutz berühmter Marken
Der Markenschutz ist im Markengesetz (kaubamärgiseadus) geregelt. Es gewährt Markenschutz sowohl für die eingetragenen als auch für die bekannten Marken. Markenschutz für nicht eingetragene bekannte Marken wurde durch das neue Markengesetz
vom 22.5.2002 eingeführt (in Kraft getreten am 1.5.2004). Zwar haben auch die früheren Markengesetze angedeutet, daß die nicht eingetragenen, bekannten Marken unter bestimmten Voraussetzungen markenrechtlich geschützt werden, vor allem insoweit als es nötig war um der Verpflichtungen aus der Pariser Verbandsübereinkunft
nachzukommen (so auch Staatsgerichtshof, Urt. vom 23.2.05, 3-2-1-168-04 und
Ostrat, Juridica 2002, 380 (381)), eine genauere Regelung hat jedoch gefehlt. Als bekannt werden die Marken angesehen, die im Inland bekannt im Sinne des Art. 6(bis)
der Pariser Verbandsübereinkunft zum Schutz des gewerblichen Eigentums sind (§ 5
222
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III. Schutz gegen das Ausnutzen fremder Leistung
Abs. I Nr. 1 MarkenG). Die Bekanntheit wird nach den in § 7 Abs. III MarkenG aufgezählten Kriterien festgestellt. Entscheidend ist, ob die Marke im Inland für eine
überwiegende Teil der eigentlichen oder Potentiellen Verbraucher oder Vertreiber
der Waren oder Dienstleistungen oder für die Gewerbetreibenden der entsprechender
Branche bekannt ist. Nicht alle bekannten Marken genießen Markenschutz. Die §§ 9
und 10 des MarkenG zählen absolute und relative Schutzhindernisse auf, die die Gewährung des Markenschutzes für ein Zeichen oder eine Marke ausschließen können.
Die genannten Schutzhindernisse gelten auch für die nicht eingetragenen Marken (so
§ 5 Abs. II MarkenG). Damit soll das mala fide Ausnutzen der Markenbekanntheit,
insbesondere in Wettbewerbssituation unterbunden werden (so Ostrat, Juridica 2002,
380 (383)). Deshalb wird Markenschutz trotz Bekanntheit insoweit versagt, als die
Marke einer früheren registrierten oder bekannten Marke identisch oder ähnlich ist,
so daß Verwechslungsgefahr besteht, weil die Waren oder Dienstleistungen, für die
Markenschutz beansprucht wird, mit den Waren oder Dienstleistungen identisch sind,
für die die frühere Marke eingetragen ist oder, in Falle der bekannten Marken, benutzt
wird (§ 10 Abs. I Nr. 2 MarkenG). Markenschutz für eine bekannte Marke wird auch
untersagt, wenn sonst ein sonstiges früheres Recht, etwa das Namens-, Firmen-, Urheber oder Musterrecht, beeinträchtigt werden könnte (§ 10 Abs. I Nr. 4 u 5 MarkenG).
Gleiches gilt, wenn die bekannte Marke, deren Rechtsschutz beansprucht wird, mit
einer früheren eingetragenen Marke, die für andere Waren oder Dienstleistungen eingetragen worden ist oder einer Marke die der überwiegenden Mehrheit im Inland bekannt ist, identisch oder dieser ähnlich ist und deshalb die Gefahr besteht, daß durch
die spätere Marke der Ruf oder die Unterscheidungskraft der früheren Marke ausgenutzt werden kann. Dadurch hat der Gesetzgeber von der in Art 4 Abs. IV lit. a, b, c
und f der Richtlinie 89/104 EWG genannten Möglichkeit Gebrauch gemacht.
b) Wettbewerbsbehinderung durch Kennzeichenverwendung, Benutzung und
Registrierung bekannter ausländischer Marken
Die Fälle der Wettbewerbsbehinderung durch die Verwendung fremder Marken und
sonstiger Geschäftszeichen werden markenrechtlich reguliert. In Ausnahmefällen, wo
die sachliche oder territoriale Reichweite des Markenrechts überschritten ist, kommt
allerdings auch ein ergänzender wettbewerbsrechtlicher Zeichenschutz in Betracht.
Problematisch sind Fallgruppen, in denen es um die Anmeldung und Eintragung von
Sperrzeichen und die Benutzung nicht eingetragener nicht berühmter Marken, vor
allem im Inland nicht bekannter ausländischer Marken, geht.
Die ausländischen Marken werden in Estland insoweit markenrechtlich geschützt,
als sie nach dem Protokoll zum Madrider Abkommen über die internationale Registrierung von Marken Schutz beanspruchen können oder insoweit sie im Inland im
Sinne des Art. 6(bis) der Pariser Verbandsübereinkunft bekannt sind. Außerdem besteht Schutz für die Gemeinschaftsmarken.
Eine Schutzlücke würde allerdings dann bestehen, wenn die Verletzungshandlung
sich gegen eine nicht eingetragene und nicht im Inland bekannte Marke richtet. Solche Marken können entweder durch Benutzung oder durch die Anmeldung und Eintragung einer (Sperr-)Marke verletzt werden. Gegen die Benutzung kann sich der aus223
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ländische Markeninhaber durch die Eintragung der eigenen Marke zu Wehr setzen.
Insoweit als die Bösgläubigkeit des inländischen Benutzers nachgewiesen werden
kann, wären die Eintragung und die Geltendmachung der daraus resultierenden Rechte auch dann nicht gehindert, wenn die inländische Nachahmung Bekanntheit erworben hat, weil insoweit die relative Schutzhindernis des § 10 Abs. I Nr. 7 MarkenG
Markenschutz hinsichtlich bösgläubig erworbener bekannter Marken ausschließen
würde. Neben den markenrechtlichen Maßnahmen würden dem geschädigten Markeninhaber grundsätzlich auch wettbewerbsrechtliche Ansprüche zustehen. Zwar ist
die Regelung des MarkenG in ihrem Anwendungsbereich abschließend. Insoweit als
es um die Abwehransprüche eines nicht im Inland markenrechtlich geschützten ausländischen Markeninhabers geht, ist der ausschließliche Anwendungsbereich des
MarkenG überschritten. Stammt die Verletzungshandlung von einem Mitbewerber
und stehen die Betroffenen in einem potentiellen Wettbewerbsverhältnis zueinander,
wäre der Anwendungsbereich des WettbG und damit des § 50 Abs. I WettbG grundsätzlich geöffnet. Die Sittenwidrigkeit im Sinne des § 50 Abs. I WettbG wäre allerdings wohl nur dann zu bejahen, wenn die Verletzungshandlung vorsätzlich, also mit
Absicht den ausländischen Markenbenutzer zu schädigen, begangen wurde. Daneben
könnte auch die Anwendung des § 51 WettbG in Betracht kommen, weil die durch die
Vorschrift verbotene Irreführung sich auch auf die Herkunft der Ware beziehen kann
(so § 51 Abs. III WettbG). Sind die Voraussetzungen des § 50 Abs. I bzw. des § 51
WettbG erfüllt, wäre die entsprechende Verletzungshandlung wegen der Schutzgesetzverletzung rechtswidrig (§ 1045 Abs. I Nr. 7 SchRG). Dies würde dem Geschädigten
den Weg für deliktische Schadenersatz- (§ 1043 SchRG) und Unterlassungsansprüche
(§ 1055 Abs. I SchRG) eröffnen. Etwas anders gestaltet sind Fälle, wo die Verletzung
einer ausländischen Marke durch die Anmeldung und Eintragung eines Sperrzeichens
geschieht. Um seine Rechte zu wahren, muß der ausländische Markeninhaber gegen
den Inhaber einer Sperrmarke gerichtlich durch eine Nichtigkeitsklage vorgehen. Die
Eintragung eines Sperrzeichens könnte gemäß § 52 Abs. I MarkenG für nichtig erklärt
werden, wenn festgestellt werden kann, daß bei Eintragung ein relatives Schutzhindernis nach § 10 Abs. I Nr. 7 MarkenG vorlag. Nach § 10 Abs. I Nr. 7 MarkenG ist eine
Marke, die mit einer ausländischen Marke identisch oder dieser ähnlich ist, nicht
schutzfähig, wenn die Marke mit einer Marke verwechselt werden kann, die zum Zeitpunkt der Einreichung der Anmeldung im Ausland benutzt wurde und weiterhin dort
benutzt wird, wenn der Anmelder die Anmeldung „bösgläubig“ eingereicht hat. Dadurch hat der Gesetzgeber von der in Art 4 Abs. IV lit. g der Richtlinie 89/104 EWG
genannten Möglichkeit Gebrauch gemacht. Die Bösgläubigkeit der Anmeldung setzt
Kenntnis über die ausländische Marke und eine Behinderungs- bzw. Schädigungsabsicht voraus. Bei Bösgläubigkeit des Anmelders ist die Nichtigkeitsklage nicht zeitlich
begrenzt (so § 52 Abs. V S. 2 MarkenG).
Wiederum anders gelagert sind Fälle, in denen die inländische Eintragung einer
Marke die Benutzung einer früheren nicht eingetragenen und nicht bekannten inländischen Marke oder eines sonstigen Geschäftszeichens begrenzt oder ausschließt.
Auch hier ist grundsätzlich denkbar, daß der Geschädigte sich, gestützt auf das Verbot
des Rechtsmißbrauchs, durch eine Nichtigkeitsklage wehren darf. § 9 Abs. I Nr. 10
MarkenG enthält ein markenrechtliches Rechtsmißbrauchsverbot wonach eine Marke nicht Schutzfähig ist, wenn der Anmelder die Marke „bösgläubig“ angemeldet hat
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III. Schutz gegen das Ausnutzen fremder Leistung
oder wenn er die Marke bösgläubig benutzt. Gleichwohl ist zu erwarten daß bei nicht
bekannten inländischen Marken die Bösgläubigkeit sich nur in Ausnahmefällen beweisen läßt.
Die Verwendung fremder Marken in Domänennamen ist Markenrechtlich verboten und kann gleichzeitig gegen das Irreführungsverbot des § 51 WettbG stoßen, dies
gilt auch wenn der Domänenname lediglich eine der Marke ähnliche Bezeichnung
enthält (Staatsgerichtshof, Urt. vom 30.3.06 3-2-1-4-06 über die Unterlassung der
Benutzung der Domännenname „www.gulfoilestonia.com“).
c) Sklavische Nachahmung
In der Rechtspraxis kommen die Nachahmungsfälle fast ausschließlich im Bereich der
marken-, geschmacksmuster- und urheberrechtlichen Verletzungen in Betracht, insbesondere in Verbindung mit Vertrieb gefälschter Waren. Nach §§ 224, 227 StGB ist
der Vertrieb der Piraterieerzeugnisse oder gefälschter Waren strafbar. Entsprechende
Erzeugnisse können auch im Rahmen des Strafverfahrens von Amts wegen beschlagnahmt werden (§§ 224 Abs. III, 227 Abs. III StGB). Auch die sonstigen Verletzungen
des Urheberrechts oder eines gewerblichen Schutzrechts führen häufig zur Strafbarkeit
der Handlung, entsprechende Straftatbestände sind im 14. Kapitel des StGB (§§ 219230) ausgeführt. In der Praxis werden deshalb in Nachahmungsfällen überwiegend
strafrechtliche Rechtsschutzmöglichkeiten bevorzugt. Im Rahmen des Strafverfahrens
kann auch über eventuelle Schadenersatzansprüche des Geschädigten rechtskräftig
entschieden werden. Rein zivil- oder lauterkeitsrechtliche Streitigkeiten über die
Nachahmungen sind demnach selten. Insoweit als die eventuellen Sonderregelungen,
vor allem aus dem Bereich gewerblicher Schutzrechte, nicht greifen, können die
Nachahmungsfälle eines fremden Produkts unter den Tatbestand einer sittenwidrigen
unlauteren Wettbewerbshandlung im Sinne des § 50 Abs. I WettbG fallen, wenn die
Nachahmungen von einem Mitbewerber stammen. Gleichzeitig kann die Nachahmung eines fremden Produktes gegen das Irreführungsverbot des § 51 WettbG stoßen,
vor allem wenn Verwechslungsgefahr hinsichtlich der Produktherkunft (§ 51 Abs. III
WettbG) entstehen kann. Bekannt geworden ist der Fall, in dem der Redaktion einer
Lokalzeitung nach der Fusion zweier Zeitungen gekündigt wurde. Die gekündigten
Mitarbeiter gründeten eine neue Zeitung mit ähnlichem Namen und identischer Konzeption. Auf dem Titelblatt wurden der gleiche Jahrgang und die Ausgabenummer angegeben die dem der alten Zeitung entsprochen hätten. Die gegründete Zeitung wurde
zudem gezielt als die „richtige Nachfolgezeitung“ vermarktet, so daß ein Teil der Kunden der Altzeitung zu der neunen wechselten. Im nachfolgenden Rechtstreit wurde die
Sittenwidrigkeit bejaht, allerdings wurde dies vor allem durch die Verletzung des Irreführungsverbots begründet. Insoweit als die Unlauterkeit nach § 50 Abs. I WettbG
feststeht, würden dem Geschädigten nach dem geltenden Recht deliktische Schadenersatz- und Unterlassungsansprüche zustehen. Bereicherungsrechtlich könnte der Geschädigte die Herausgabe des Erlangten bzw. auf die Herausgabe des gemeinen Werts
des Erlangten verlangen (§ 1037 SchRG), bei Bösgläubigkeit des Verletzers besteht
zudem ein bereicherungsrechtlicher Gewinnherausgabeanspruch (§ 1030 SchRG).
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d) Betriebsgeheimnisse
Die Veröffentlichung und die unberechtigte Benutzung eines Betriebsgeheimnisses
sind strafrechtlich verboten (§ 377 StGB). Das StGB enthält keine Legaldefinition
des Betriebsgeheimnisses, darunter sollen jedoch alle Tatsachen fallen, die mit der
Unternehmenstätigkeit verbunden sind und die für eine begrenzte Anzahl von Personen bekannt sind, wenn der Wille des Unternehmens, solche Tatsachen geheim zu
halten, dokumentiert oder zumindest offensichtlich erkennbar ist (Sootak/Pikamäe
StGB § 377 Nr. 2.2). Deshalb kommen zunächst alle Personen als Normadressaten
in Betracht, denen das Betriebsgeheimnis anvertraut worden ist (so auch Sootak/Pikamäe StGB § 377 Nr. 3). In der Rechtsprechung nicht geklärt ist die Frage, ob der Straftatbestand des § 377 StGB nur hinsichtlich solcher Personen angewandt werden soll,
bei denen die Geheimhaltungspflicht sich aus dem Gesetz ergibt – etwa bei Vorstandsoder Aufsichtsratsmitgliedern einer juristischen Person, bei Arbeitnehmern oder bei
Wirtschaftsprüfern, Rechtsanwälten etc. Insoweit als diese Voraussetzungen nicht erfüllt sind, etwa wenn die Geheimhaltungspflicht bloß vertraglich vereinbart ist, muß
man die Strafbarkeit wohl verneinen.
Strafbar sind sowohl die „Veröffentlichung“ als auch die „unberechtigte Benutzung“ eines Betriebsgeheimnisses. Für die Veröffentlichung genügt die Veröffentlichung an eine bestimmte Person (Sootak/Pikamäe StGB § 377 Nr. 4.1). Die Benutzung
setzt ein Eigeninteresse aus. Für die Strafbarkeit ist es deshalb erforderlich dass die
Benutzung für eigene Erwerbszwecke vorliegt oder vollzogen wird um den anderen zu
schädigen. Sind die Voraussetzungen der §§ 377, 378 StGB erfüllt, verstößt eine entsprechende Handlung zugleich gegen ein gesetzliches Verbot im Sinne des § 1045 Abs.
I Nr. 7 SchRG und ist deshalb auch rechtswidrig im deliktsrechtlichen Sinne. Folglich
entstehen deliktische Schadenersatz- und Unterlassungsansprüche. Bereicherungsrechtlich kann die Herausgabe des Erlangten bzw. ihr gemeiner Wert verlangt werden,
nach § 1039 SchRG besteht auch ein Gewinnherausgabeanspruch. Aus der Rechtsprechung sind vor allem Fälle bekannt, in denen die Mitarbeiter oder Vorstandsmitglieder gleichzeitig für das Konkurrenzunternehmer tätig waren und dabei die Kundendaten und -aufträge an den Mitbewerber weitergeleitet haben. Dabei ging es allerdings
nicht primär um die strafrechtliche Haftung für die Veröffentlichung und um die Schadenersatzansprüche gegen den Veröffentlichter sondern um die Frage, inwieweit der
Unternehmer, der das Betriebsgeheimnis veröffentlicht und die entsprechende Daten
ausgenutzt hat um sein Wettbewerbsposition zu verbessern, gegenüber dem geschädigten Mitbewerber ersatzpflichtig sein kann. In den Rechtstreitigkeiten ging es vornehmlich um Ersatz des entgangenen Gewinns, der dem Geschädigten zugestanden
hätte (Staatsgerichtshof, Urt. vom 14.2.97 3-2-1-22-97, Urt. vom 16.1.03 3-2-1-1-03,
Stadtgericht Tallinn, Urt. vom 8.4.4 2/25-11847/03). Von Bedeutung war dabei auch
der Sondertatbestand in § 50 Abs. I Nr. 2 WettbG, wonach der Mißbrauch der Betriebsgeheimnisse und das Ausnutzen der Mitarbeiter oder Repräsentanten eines Mitbewerbers sittenwidrig ist. Das „Ausnutzen“ im Sinne des § 50 Abs. I Nr. 2 WettbG
geschieht vor allem mit dem Zweck, geheime Informationen über den Mitbewerber zu
erlangen, insbesondere über seinen Kundenstamm und mögliche Aufträge (Staatsgerichtshof, Urt. vom 21.3.07 3-2-1-22-07). Nach der Rechtsprechung war für die Bejahung der Sittenwidrigkeit unerheblich, ob die Mitarbeiter, die bestimmte Betriebs226
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III. Schutz gegen das Ausnutzen fremder Leistung
geheimnisse an den Mitbewerber weitergeleitet haben, ihrerseits gegen die rechtlichen Geheimhaltungspflichten verstoßen oder rechtswidrig gehandelt haben. Nach
der höchstrichterlicher Rechtsprechung ist der Sittenwidrigkeitstatbestand des § 50
Abs. I Nr. 2 WettbG nicht nur dann erfüllt, wenn ein Unternehmer gezielt die Mitarbeiter eines Mitbewerbers angeht und diese zu einer Parallelbeschäftigung oder -tätigkeit für sich selbst veranlaßt (Staatsgerichtshof, Urt. vom 14.2.97 3-2-1-22-97),
sondern auch dann, wenn die schon gekündigten Mitarbeiter eines Mitbewerbers mit
dem Zweck angestellt werden, daß diese den Kundenstamm ihres alten Arbeitgebers
oder einen Teil davon mitbringen (Staatsgerichtshof, Urt. vom 16.1.03 3-2-1-1-03).
Soweit die unlautere Ausnutzung des fremden Betriebsgeheimnisses nachweisbar war,
hat die höchstrichterliche Rechtsprechung bislang keine allzu hohe Anforderungen
für die Beweisführung hinsichtlich des entstandenen Schadens gestellt (so vor allem
Staatsgerichtshof, Urt. vom 16.1.03 3-2-1-1-03).
e) Publicity Rights
Im estnischen Zivilrecht ist der Schutz von Persönlichkeitsrechten anerkannt. Die
frühere Rechtsprechung des Staatsgerichtshofs leitete die Persönlichkeitsrechte direkt
aus dem Grundgesetz ab und ordnete insoweit die Drittwirkung der in § 17 des Grundgesetzes (põhiseadus) angesiedelten Grundrechte an (so Staatsgerichtshof, Urt. vom
30.10.97, 3-2-1-123-97). § 17 des GG schützt die Ehre und die Würde eines Menschen,
vor allem vor die ehrenverletzenden Äußerungen. Die entsprechenden Veröffentlichungen durch die Presse bildeten den Kernbereich dieser Rechtsprechung, im Laufe
der Zeit wurden auch die sonstigen Persönlichkeitsrechte herausgebildet. Diese Rechtsprechung wurde ins Schuldrechtsgesetz übernommen und präzisiert. Nach § 1046
Abs. I SchRG ist die Verletzung der Ehre, unter anderem durch ein unsachliches Werturteil, die unberechtigte Benutzung des Namens oder eines Bildnisses einer Person
oder die Verletzung der Privatsphäre oder eines sonstigen „persönlichen Rechts“
rechtswidrig. Eine entsprechende rechtswidrige Handlung führt zu einer deliktischen
Schadenersatzanspruch nach § 1043 SchRG. Der Anspruch zielt auf Ersatz des immateriellen Schadens, und ist nach § 134 Abs. II SchRG nur dann zuzubilligen, wenn dies
durch die Schwere der Zuwiderhandlung, insbesondere durch die entstandenen seelischen „Schmerzen“ gerechtfertigt ist. Die höchstrichterliche Rechtsprechung hat zwar
vor kurzem anerkannt, daß die Entstehung des immateriellen Schadens bereits durch
die Verletzung eines Rechtsguts, die typischerweise immaterielle Schäden zur Folge
haben kann, indiziert wird (Staatsgerichtshof, Urt. vom 13.1.10 3-2-1-152-09). Die
Entstehung des Schadens muss trotzdem glaubhaft gemacht werden. In den Fällen
der Verletzung von publicity rights könnte eine solche Beweisführung schwierig sein,
vor allem bei Personen, die ihr Ansehen häufig gewinnbringend einsetzen, etwa in
Rahmen einer öffentlichen Werbung. Für die juristischen Personen werden keine Ersatzansprüche des immateriellen Schadens zugebilligt. Diese Schwächen des deliktischen Schadensrechts kann man durch die konkurrierenden Bereicherungsansprüche
ausgleichen. Dabei kommt vor allem die Eingriffskondiktion aus § 1037 I SchRG in
Betracht. Sie setzt voraus, daß ohne Zustimmung des Berechtigten das Eigentum, ein
sonstiges Recht oder der Besitz eines Anderen durch eine Verfügung, Benutzung, Ver227
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brauch, Verbindung, Vermischung, Umbildung oder in sonstiger Weise verletzt wird.
Als ein sonstiges Recht im Sinne des § 1037 I SchRG kommen auch die Persönlichkeitsrechte des Betroffenen in Betracht, etwa das Namensrecht oder das Recht am
eigenen Bild. Der Anspruch aus § 1037 I SchRG geht auf die Vergütung des gemeinen
Werts des durch die Verletzung Erlangten. Soweit die publicity rights betroffen sind,
könnte der Anspruch auf die gewöhnliche Vergütung bzw. Lizenzgebühr für ein solches
Benutzungsrecht gerichtet sein. Der bösgläubige Verletzer ist zudem zur Gewinnherausgabe verpflichtet (§ 1039 SchRG). War der Verletzer gutgläubig, kann er sich
auf den Wegfall der Bereicherung berufen, die Aufwendungen, die er für den Erwerb
des Erlangten tätigen mußte, bleiben dabei unberücksichtigt (§ 1038 SchRG). Wie die
höchstrichterliche Rechtsprechung die Fälle der Verletzung von publicity rights behandeln wird und ob sie die schadensrechtliche oder die bereicherungsrechtliche Lösung
bevorzugen wird (so Staatsgerichtshof, Urt. vom 13.12.06 3-2-1-124-06), bleibt noch
abzuwarten. Für die bereicherungsrechtliche Lösung spricht, daß der Anspruchsberechtigte keinen Schadensnachweis führen muß. Allerdings muß im Falle der Eingriffskondiktion dargetan werden, daß das Erlangte, etwa die Nutzungsmöglichkeit
des Namens oder des Bildnisses einen Vermögenswert gehabt hat. Bei den Personen
des öffentlichen Lebens ist dies häufig zu bejahen. Der gemeine Wert des Erlangten ist
dann nach der entgangenen (hypothetischen) Lizenzgebühr festzustellen. Bei den
sonstigen Personen bleibt es bei einem möglichen deliktischen Schadenersatzanspruch aus § 1043 SchRG, es muß jedoch der tatsächlich entstandene immaterielle
Schaden nachgewiesen werden. Neben den Ersatzansprüchen aus §§ 1043 bzw. 1037
Abs. I SchRG kommen auch negatorische Abwehransprüche aus § 1055 SchRG in
Betracht. Diese Ansprüche sind auf Unterlassung gerichtet und setzen einen andauernden Eingriff in die fremde Rechtssphäre voraus.
IV. Schutz gegen Rufschädigung
1. Verleumdung
Das Lauterkeitsrecht und das allgemeine Deliktsrecht enthalten einige Sondertatbestände, die den Betroffenen vor unrichtigen oder verleumdenden Äußerungen eines
anderen schützen, die den Ruf oder den goodwill des Betroffenen Unternehmens schädigen können. Die gesetzlichen Vorschriften und die Rechtsprechung unterscheiden
dabei zwischen den unrichtigen Tatsachenbehauptungen dessen Wahrheitsgehalt
nachprüfbar ist und den bloßen herabsetzenden Werturteilen (so Staatsgerichtshof,
Urt. vom 1.12.97, 3-2-1-99-97). Diese Fallgruppen werden rechtlich unterschiedlich
bewertet.
a) Unrichtige Tatsachenbehauptungen
Die Verbreitung unwahre Tatsachenbehauptungen ist schon nach dem allgemeinen
deliktsrecht grundsätzlich rechtswidrig (§ 1047 SchRG) und löst gewöhnliche deliktische Abwehransprüche aus. Neben den Schadenersatz- und Unterlassungsansprü228
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IV. Schutz gegen Rufschädigung
chen stehen dem Geschädigten auch besondere Beseitigungsansprüche zu, die den
Schädiger zu Widerruf oder Berichtigung verpflichten. Deliktsrechtlich werden die
unwahre Tatsachenbehauptungen über einen Unternehmer, als Unterfall des Eingriffs
in das Gewerbebetrieb betrachtet (so § 1047 Abs. I SchRG). Insoweit als die Angaben
von einem Mitbewerber stammen die im Wettbewerbsverhältnis zu dem Betroffenen
steht, enthält die kleine Generalklausel im § 51 WettbG einen gesonderten Verbotstatbestand. Dadurch werden die unrichtigen Tatsachenbehauptungen über einen Mitbewerber als Unterfall des lauterkeitsrechtlichen Irreführungsverbots betrachtet. Neben irreführenden Angaben über eigene Leistungen und über das eigene Unternehmen verbietet § 51 auch die Veröffentlichung irreführender Angaben über den Mitbewerber, insbesondere über ihre Wahren, Arbeitsgeräte, Finanzlage oder sonstigen
Eigenschaften. Wird gegen das wettbewerbsrechtliche Irreführungsverbot des § 51
WettbG gestoßen, stehen dem Geschädigten auch deliktische Ansprüche zu, diese beruhen allerdings auf der Verletzung eines Schutzgesetzes (§ 1043, 1045 Abs. I Nr. 7
(Schutzgesetzverletzung) SchRG i.V.m. § 50 Abs. I Nr. 1 WettbG).
Grundsätzlich kann der geschädigte Unternehmen zwischen wettbewerbsrechtlichen und allgemeinen Deliktsansprüchen wählen, insoweit besteht Anspruchskonkurrenz. Beweisrechtlich können die allgemeinen deliktischen Ansprüche aus §§ 1043,
1047 SchRG dem Geschädigten allerdings günstiger sein. Nach § 1047 Abs. I SchRG
führt die Veröffentlichung unrichtiger Tatbestandsbehauptungen oder die unvollständige oder irreführende Veröffentlichung solcher Angaben zu einem rechtswidrigen
Eingriff in den Gewerbebetrieb eines anderen, es sei denn, daß der Verletzer nachweisen kann, daß er die Unrichtigkeit der Angaben nicht kannte und auch nicht kennen
mußte. Generell muß der Anspruchsberechtigte also die Unrichtigkeit der veröffentlichten Tatsachenbehauptungen nachweisen. Insoweit als die veröffentlichten Angaben „wirtschaftlich schädigend“ sind, also nach objektiver Betrachtung den geschäftlichen Ruf des betroffenen Unternehmers negativ beeinflussen können, verschärft
sich die Haftung des Verletzers. Nach § 1047 Abs. II ist die Veröffentlichung solcher
Angaben grundsätzlich rechtswidrig, es sei denn, der Verletzer kann nachweisen, daß
die veröffentlichten Angaben der Wahrheit entsprechen, die Beweislast ist folglich
umgekehrt. Insoweit als die unrichtigen Tatsachenbehauptungen durch die Presse veröffentlicht worden sind, sind allerdings einige Besonderheiten zu beachten. Die allgemeine, im Grundgesetz festgeschriebene Pressefreiheit führt zu einer gewissen Privilegierung der Presse gegenüber den sonstigen Störern. Dieser Grundsatz geht auch aus
§ 1047 Abs. III SchRG hervor. Danach könnte eine nach § 1047 Abs. I oder II rechtswidrige unwahre Tatsachenbehauptung oder Rufschädigung als nicht rechtswidrig gelten, wenn der Störer ein berechtigtes Interesse für die Veröffentlichung gehabt hat und
nachweisen kann, daß er die Behauptungen oder die Tatsachen sorgfältig und mit gebotener Rücksicht auf die mögliche Folgen der Veröffentlichung geprüft hat. Ein solches berechtigtes Interesse würde insbesondere der Tagespresse zukommen. Dies wäre
dann zu bejahen wenn die Presseveröffentlichung durch eine aktuelle und öffentliche
Diskussion ausgelöst worden ist und dabei das öffentliche Interesse gegenüber bestimmten wirtschaftlichen Verhältnissen befriedigt wird oder zum Schutz der Verbraucher beigetragen wird (so Stadtgericht Tallinn, Urt. vom 5.12.03, 2/243-9397/02).
Entsprechendes könnte auch für die Verbraucherschutzverbänden gelten. Wer bei einer unrichtige Tatsachenbehauptungen enthaltener Presseveröffentlichung als Störer
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anzusehen ist, bleibt umstritten. Die deliktischen Ansprüche gegen den Herausgeber
sind unproblematisch. Strittig ist allerdings ob in den Fällen, in denen die unrichtigen
Angaben nachweisbar von einem Mitbewerber des Geschädigten stammten und die
Presse diese übernommen hat, auch der Mitbewerber selbst, dem die Veröffentlichung
mittelbar zuzurechnen ist, als Störer in Betracht kommt. Das Bezirksgericht Tallinn
hat dies in einem Fall verneint, in dem es um einen Zeitungsartikel ging in dem Zweifel
geäußert wurden daß ein Medikament eines bekannten Herstellers „korruptionsverdächtig“ auf die Liste der Arzneimittel genommen wurde, die von der Krankenkasse
vergütet werden, obwohl das Medikament für Kinder untauglich sei (Bezirksgericht
Tallinn, Urt. vom 29.3.05, 2-2/348/05). Diese Informationen stammten von einem
Mitbewerber, der eine entsprechende Strafanzeige der Presse zugespielt hat. Das Gericht hat dabei angenommen, daß für die Veröffentlichung unrichtiger Angaben nur
derjenige haften kann, der die Kontrolle über die Veröffentlichung gehabt hat, d.h.
wer entscheiden kann, ob und im welchen Umfang die Veröffentlichung stattfindet
und aus den unterschiedlichen Informationsquellen diejenigen aussuchen kann, die
wiedergeben werden, so daß er die Textaufbau und -gestaltung kontrollieren kann.
b) Rufschädigung durch herabsetzende Werturteile (Verleumdung im engeren Sinne)
Für den Verleumdungstatbestand im engeren Sinne bleiben folglich nur die Fälle, in
denen die Rufschädigung eines anderen durch negative Werturteile hervorgerufen
wird. Nach allgemeinem Deliktsrecht führen die herabsetzenden Werturteile über einer Person zur Verletzung seines allgemeinen Persönlichkeitsrechts. Die Rufschädigung durch ein herabsetzendes Werturteil ist zwar nach § 1046 SchRG in der Regel
rechtswidrig. Die Rechtsprechung neigt allerdings dazu, daß die durch § 1046 SchRG
geschützten Persönlichkeitsrechte den juristischen Personen nicht zustehen, so daß
eine bloße Rufschädigung die nicht mit unwahren Tatsachenbehauptungen verbunden ist, generell keine deliktische Abwehransprüche einer „geschädigten“ juristischen
Person auslösen kann (so Stadtgericht Tallinn, Urt. vom 5.12.03, 2/243-9397/02). In
einem solchen Fall bleibt allerdings noch die Möglichkeit, sich auf den Auffangtatbestand des § 1045 Abs. I Nr. 8 (Vorsätzliche sittenwidrige Schädigung) zu berufen.
Sollten die zur Rufschädigung führenden herabsetzenden Werturteile von einem
Mitbewerber des Geschädigten stammen, werden die entsprechenden Handlungen allerdings unter den Tatbestand der geschäftlichen Verleumdung des § 50 I Nr. 1 4. Fall
WettbG fallen und demnach rechtswidrig sein. Die Verleumdung eines Mitbewerbers
oder seiner Ware (so § 50 I Nr. 1 4. Fall WettbG) ist deshalb wettbewerbsrechtlich
verboten (§ 50 Abs. II WettbG). Durch die entsprechende Schutzgesetzverletzung
würde der Geschädigte zu deliktischen Abwehransprüchen kommen. Die Anspruchsgrundlage wäre §§ 1043, 1045 Abs. I Nr. 7 (Schutzgesetzverletzung) i.V.m. § 50 Abs. II
WettbG. Weil die Rechtsprechung bislang einer juristischen Person keine Ersatzansprüche auf immaterielle Schäden zuerkannt hat, wäre der Geschädigte allerdings auf
die Unterlassungsansprüche aus § 1055 SchRG begrenzt. Auch ein Beseitigungsanspruch durch ein Widerruf kommt nach der höchstrichterlichen Rechtsprechung nur
bei unwahren Tatsachenbehauptungen in Betracht (Staatsgerichtshof, Urt. vom 1.12.
97, 3-2-1-99-97).
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IV. Schutz gegen Rufschädigung
Einen Sondertatbestand der geschäftlichen Verleumdung enthält § 3 Abs. 4 Nr. 9
des Werbungsgesetzes. Es verbietet Werbung die eine bestimmte Person, Tätigkeit
oder Tätigkeitsbereich, Produkt, Dienstleistung, Gewerbe oder Veranstaltung durch
ein herabsetzendes, negatives Werturteil oder in sonstiger Weise verunglimpft. Ein
Verstoß gegen den Verbotstatbestand des § 3 Abs. 4 Nr. 9 WerbG kann zu einem deliktischen Schadenersatz- (§ 1043 i.V.m. § 1045 Abs. I Nr. 7) oder Unterlassungsanspruch wegen des Verstoßes gegen ein Schutzgesetz führen. Die Veröffentlichung einer
herabsetzenden Werbung führt zudem zu einer Ordnungswidrigkeit nach § 33 WerbG.
Die zuständige Aufsichtsbehörde kann die Veröffentlichung auch von Amts wegen
durch eine entsprechende Verfügung verbieten (§ 32 WerbG).
2. Unberechtigte Schutzrechtsverwarnung
Die Fälle einer unberechtigten Schutzrechtswarnung haben bislang keine Bekanntheit
erworben, die entsprechende Rechtsprechung fehlt. Wie die Fälle rechtlich zu behandeln sind, ist deshalb nicht geklärt. Insoweit als die Schutzrechtswarnung von einem
Mitbewerber stammt und mit Kenntnis ihrer Unrechtmäßigkeit mit Schädigungsabsicht abgegeben wird könnte man eine sittenwidrige Handlung im Sinne des § 50
WettbG annehmen. Der Betroffene könnte sich dann durch einen deliktischen Schadenersatzanspruch aus §§ 1043 SchRG, 1045 Abs. I Nr. 7 (Schutzgesetzverletzung)
wehren. Vor allem könnte er auch einen deliktischen Unterlassungsanspruch aus
§ 1055 SchRG geltend machen. Neben den wettbewerbsrechtlichen Deliktsansprüchen wären in Falle eines Boykottaufrufs allerdings auch deliktische Ansprüche wegen
des Eingriffs in den Gewerbebetrieb denkbar. Der § 1049 SchRG schützt den Gewerbebetrieb eines Unternehmers vor bestimmten betriebsbezogenen Schädigungen. Unter
anderem handelt nach § 1049 SchRG rechtswidrig, wer durch eine rechtswidrige Drohung den Gewerbebetrieb eines Anderen für eine nicht unerhebliche Zeit vollständig
oder zum Teil zum Erliegen bringt und die Drohung unmittelbar zum Erreichen dieses
Zwecks eingesetzt wurde. Dann entstehen deliktische Schadenersatz- (§ 1043 SchRG)
und Unterlassungsansprüche (§ 1055 Abs. I SchRG).
3. Vergleichende Werbung
Die Grundsätze über die Zulässigkeit und Grenzen einer vergleichenden Werbung werden in § 5 des WerbG geregelt. Systematisch stellt die Regelung in § 5 des WerbG eine
Konkretisierung des Tatbestandsmerkmals der Sittenwidrigkeit in § 50 WettbG für die
Fälle der vergleichenden Werbung dar. Die Vorgaben der Richtlinie 55/97/EG werden
im § 5 WerbG umgesetzt. § 5 Abs. I des WerbG enthält den Begriff der vergleichenden
Werbung. Dies entspricht grundsätzlich den Begriff im Art. 2 Nr. 2a der Richtlinie 84/
450/ EWG. Allerdings hat der estnische Gesetzgeber die Bedingung, daß der Vergleich
sich auf die Waren oder Dienstleistungen „für den gleichen Bedarf oder dieselbe
Zweckbestimmung“ beziehen muß zum Begriffsmerkmal der vergleichenden Werbung
gemacht. In der Regel wird dies nicht zu einem von der Richtlinie abweichenden Ergebnis führen weil auch das Merkmal des Mitbewerbers im Art. 2 Nr. 2a der Richtlinie
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84/450 / EWG verlangt, daß der Vergleich sich auf die Waren oder Dienstleistungen
gleicher oder verwandter Art auf demselben Markt bezieht. Problematisch wird der
Wortlaut des § 5 Abs. I WerbG allerdings dann, wenn ungleichartige Produkte als substituierbar hingestellt werden. Ein solcher Vergleich soll nach der Richtlinie unzulässig
sein. Ein Ergebnis nach dem nationalen Recht, wonach keine vergleichende Werbung
vorliegt, wäre folglich nicht hinnehmbar. Die etwaigen Probleme sind durch die richtlinienkonforme Auslegung zu beseitigen. Nach dem WerbG ist die vergleichende Werbung grundsätzlich erlaubt. § 5 Abs. II und III des WerbG legen lediglich Voraussetzungen fest, unter denen eine grundsätzlich erlaubte vergleichende Werbung unzulässig ist, insoweit ähnelt es der Systematik des § 2 des deutschen UWG a.F. Die Regelungen entsprechen weitgehend dem Wortlaut von Art. 3a der Richtlinie 84/450 /
EWG. Die Veröffentlichung einer verbotenen vergleichenden Werbung kann zu einer
deliktischen Schadenersatzpflicht nach § 1043 i.V.m. § 1045 Abs. I Nr. 7 SchRG
(Schutzgesetzverletzung) führen. Ein ersetzbarer Schaden wird allerdings selten vorliegen oder nicht nachweisbar sein. Etwas mehr Bedeutung haben demnach deliktische Unterlassungsansprüche aus § 1055 SchRG. Insoweit als der Vergleich auch unwahre Tatsachenbehauptungen beinhaltet ist auch ein Anspruch auf Widerruf nach
§ 1047 Abs. IV SchRG denkbar (s. dazu oben unter IV. 1. a)). Die Veröffentlichung
einer verbotenen vergleichenden Werbung führt zudem zu einer Ordnungswidrigkeit
nach § 33 WerbG und kann mit eine Geldbuße geahndet werden. Die zuständige Behörde kann die Veröffentlichung einer solchen Werbung auch von Amts wegen durch
eine Verfügung verbieten (§ 32 WerbG).
V. Sonstige Eingriffe (Boykott)
Die Boykottaufrufe sind in der Praxis selten hervorgetreten, demnach fehlt auch die
Rechtsprechung. Ein Boykottaufruf kann im estnischen Recht rechtlich unterschiedlich bewertet werden. Insoweit als die Aufforderung zu einer Boykottmaßnahme von
einem Mitbewerber stammt könnte man eine sittenwidrige Handlung im Sinne des
§ 50 WettbG annehmen. Der Betroffene hätte dann die Möglichkeit sich durch einen
deliktischen Schadenersatzanspruch aus §§ 1043 SchRG, 1045 Abs. I Nr. 7 (Schutzgesetzverletzung) zu wehren. Ihm würde auch ein deliktischer Unterlassungsanspruch
aus § 1055 SchRG gegen den Auffordernden zustehen. Neben den wettbewerbsrechtlichen Deliktsansprüchen wären im Falle eines Boykottaufrufs allerdings auch deliktische Ansprüche wegen des Eingriffs in den Gewerbebetrieb denkbar. Der § 1049
SchRG schützt den Gewerbebetrieb eines Unternehmers vor bestimmten betriebsbezogenen Schädigungen. Ein rechtswidriger Angriff ist nach § 1049 SchRG auch dann
zu bejahen, wenn der Gewerbebetrieb eines anderen durch einen „unerlaubten Boykott“ für eine nicht unerhebliche Zeit vollständig oder zum Teil zum Erliegen gebracht
wird und der Boykottaufruf unmittelbar zum Erreichen dieses Zwecks eingesetzt wird.
Dann entstehen deliktische Schadenersatz- (§ 1043 SchRG) und Unterlassungsansprüche (§ 1055 Abs. I SchRG). Das Gesetz gibt keinen ausdrücklichen Anhaltspunkten, wann ein Boykott „unerlaubt“ ist. Aus dem Zweck der Regelung ist allerdings zu
entnehmen, daß man für einen erlaubten Boykott einen besonderen Rechtfertigungs-
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VI. Schutz gegen Irreführung
grund benötigt, die gegenteiligen Interessen sind dann gegeneinander wertend abzuwiegen.
VI. Schutz gegen Irreführung
Ähnlich zum § 3 UWG a.F. enthält § 51 WettbG eine kleine Generalklausel die verschiedene Irreführungstatbestände zusammenfaßt.
§ 51 WettbG schütz vor irreführende Angaben. Angaben im Sinne des § 51
WettbG sind Tatsachenangaben, d.h. inhaltlich Nachprüfbare Aussagen über bestimmte geschäftliche Verhältnisse. Solche Verhältnisse sind nach § 51 Abs. III insbesondere die Angaben über die Herkunft, Eigenschaften, Herstellungsart, Art des Bezugs oder die Bezugsquellen der einzelnen Waren, über den Preis, Preislisten und Rabatte, über den Besitz von Auszeichnungen, über den Anlaß oder Zweck des Verkaufs
oder über die Menge der Vorräte sowie über die Finanzlage oder sonstige Eigenschaften
des Anbieters oder eines Mitbewerbers. Ob die Angaben irreführend sind entscheidet
sich nach der Auffassung eines durchschnittlichen Verkehrsteilnehmers (§ 51 Abs. I
WettbG). Die Veröffentlichung irreführenden Angaben ist gemäß § 51 Abs. II
WettbG verboten.
Das Irreführungsverbot des § 51 WettbG enthält zwei unterschiedlichen Verletzungstatbestände. Die verbotenen irreführenden Angaben im Sinne des § 51 WettbG
können sich auf die eigene Produkte oder Dienstleistungen des Unternehmers beziehen oder über die Eigenschaften seines eigenen Unternehmens gemacht werden. Sie
können aber auch über die entsprechenden Eigenschaften eines Produktes oder einer
Dienstleistung eines Mitbewerbers oder über die Eigenschaften seines Unternehmens
gemacht werden. Die Fälle in denen die Irreführung sich auf den Mitbewerber bezieht,
wurden oben unter IV. 1. als Unterfall der verbotenen Rufschädigung behandelt. Die
Irreführungstatbestände im engeren Sinne beziehen sich auf die eigene Leistungen
oder Eigenschaften des Unternehmers.
§ 51 WettbG unterscheidet grundsätzlich nicht wie die irreführenden Angaben
veröffentlicht werden und an welche Personen sie gerichtet sind. Die irreführenden
Angaben können gegenüber der Allgemeinheit oder gegenüber einer bestimmten Einzelperson gemacht werden.
Einen Sondertatbestand des Irreführungsverbots enthält § 4 des WerbG. Es regelt
die „irreführende Werbung“, d.h. die irreführende Angaben die im Rahmen einer öffentlichen Werbung über eigene Produkte oder Dienstleistungen des Unternehmens
oder über die Eigenschaften seines Unternehmens öffentlich gemacht werden. Die irreführende Werbung ist gemäß § 4 Abs. I S. 2 WerbG verboten.
Von den Angaben im Sinne des § 51 WettbG sind die Äußerungen zu unterscheiden deren Wahrheitsgehalt objektiver Nachprüfung nicht zugänglich ist. Solche
Werturteile und die Verbreitung entsprechende Äußerungen wird nicht unter das Irreführungsverbot des § 51 WettbG fallen, sie können allerdings den Tatbestand der
geschäftlichen Verleumdung des § 50 Abs. I Nr. 1 4. Fall WettbG erfüllen.
Die Veröffentlichung von irreführenden Angaben kann unterschiedliche Rechtsfolgen auslösen. Insoweit als die Irreführung nach § 51 WettbG bzw. nach § 4 WerbG
verboten war, entstehen deliktsrechtliche Ansprüche wegen der Verletzung des
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Schutzgesetzes. Anspruchsberechtigt ist der Mitbewerber, der in einem Wettbewerbsverhältnis zu dem Unternehmer steht, der die irreführenden Angaben veröffentlicht
hat. § 51 WettbG bezweckt den Mitbewerberschutz, die Feststellung des geschützten
Personenkreises ist wichtig, weil bei einer Schutzgesetzverletzung nach § 1045 Abs. III
die deliktischen Ansprüche nur den nach dem Gesetzeszweck individuell geschützten
Personen zustehen. Die möglichen Ansprüche gehen primär auf Schadenersatz
(§§ 1043, 1045 Abs. I Nr. 7 SchRG), ein konkreter Schaden wird allerdings regelmäßig schwer nachweisbar sein. Wichtiger sind deshalb die Unterlassungsansprüche aus
§ 1055 SchRG.
1. Herkunftsangaben, andere Eigenschaften der Sachen
Nach § 51 Abs. III sind irreführende Herkunftsangaben über die Waren grundsätzlich
verboten. Ein ähnliches Verbot hinsichtlich der Werbung ist im § 4 WerbG enthalten.
Die Herkunftsangaben können vor allem hinsichtlich des Herstellungsortes (§ 4
Abs. II Nr. 1 WerbG) oder hinsichtlich der Person des Herstellers (§ 4 Abs. II Nr. 5
WerbG) irreführend sein. Aus der Rechtspraxis ist der oben unter III. 2. c) genannte
Fall bekannt wo die gekündigten Mitarbeiter einer fusionierten Zeitung die von ihnen
herausgegebene neue Zeitung gezielt als Rechtsnachfolger der alten Zeitung vermarktet haben, was bei einem Durchschnittsleser einen irreführenden Eindruck über den
Herausgeber und Herkunft erwecken könnte. Auch andere Angaben über die Eigenschaften der angebotenen Waren oder Leistungen dürfen nicht irreführend sein. § 51
WettbG verbietet insbesondere die Irreführung hinsichtlich der Eigenschaften, Herstellungsart, Art des Bezugs oder die Bezugsquellen. Allgemeine Ettiketierungspflichten hinsichtlich der Verbrauchsgüter werden im § 5 des Verbraucherschutzgesetzes aufgelistet, es gibt auch sondergesetzliche Regelungen über Lebensmittel, Tabakerzeugnisse, Arzneimittel und alkoholische Getränke. Allgemein müssen die Bezeichnung
und die Art der Ware sowie die Angaben über den Hersteller angegeben werden. Die
Bezeichnung muß die Identifikation der Ware ermöglichen und die möglichen Verwendungszwecke andeuten. Die Warenmenge muß eindeutig angegeben werden. Werden die Angaben auf der Verpackung gemacht, kann in Einzelfall fraglich sein, ob es
sich um irreführende Angaben im Sinne des § 51 WettbG oder um irreführende Werbung handelt (in einem Fall wo eine 100ml Zahnpastatube mit 75ml + 25ml extra
bezeichnet wurde, wurde Werbungscharakter angenommen, so Verwaltungsgericht
Tallinn, Urt. vom 25.1.02, 3-210/2002).
2. Preisverschleierung
Die Regelungen über die Preisangaben und Preisgestaltung sind nicht sehr umfangreich. Allgemein bestimmt § 51 WettbG, daß die Angaben über Preise, Preislisten
und Rabatte nicht irreführend sein dürfen. Genauere Anforderungen für die Preisangaben enthalten die §§ 7 und 8 des Verbraucherschutzgesetzes. Die Vorschriften
schreiben allerdings lediglich vor, daß beim Anbieten von Waren an den Endverbraucher die Endpreise anzugeben sind. In der Regel muß der Endpreis zusammen mit dem
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VII. Probleme der Rechtsdurchsetzung
Preis der Leistungseinheit angegeben werden (§ 7 VerbrSchG). Hinsichtlich der Leistungen muß entweder der Leistungspreis oder der Preis für eine Leistungseinheit bzw.
die Preisliste angegeben werden (§ 8 VerbrSchG). Das Anwerben der Kunden mit Rabatt- oder Sonderpreisen ist nur dann erlaubt, wenn der Preis für Waren oder Dienstleistungen tatsächlich herabgesetzt wurde und der tatsächliche alte Preis angegeben
wird (§ 12 Abs. IV VerbrSchG). Ein Verstoß gegen die genannten Vorschriften führt zu
einer Ordnungswidrigkeit. Sonstige allgemeine Beschränkungen bestehen nicht.
VII. Probleme der Rechtsdurchsetzung
Hinsichtlich der Rechtsdurchsetzung sind keine besonderen Probleme auszuführen.
Vor allem dann, wenn der Geschädigte verwaltungs- oder strafrechtliche Maßnahmen
veranlassen kann, ist schneller und effektiver Rechtsschutz zu erwarten. Problematisch
ist, daß wegen der Kleinheit der Rechtsordnung und relativer Neuheit der Gesetze die
Anzahl der Höchstrichterlich entschiedenen Fälle gering ist. Dies führt sicherlich zu
einer gewissen Rechtsunsicherheit und manchmal zu Rechtstreitigkeiten mit schwer
voraussehbarem Ergebnis. Auch im Lauterkeitsrecht sind einige wichtige Fragen noch
ungelöst. An der Qualität der höchstrichterlichen Entscheidungen ist allerdings
grundsätzlich nichts auszusetzen.
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Länderbericht Frankreich
Dr. Agnès Lucas-Schloetter
Literatur: Auguet, Droit de la concurrence (droit interne), Paris 2002; Azéma, Le droit français de
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Paris 1997; ders., Domaine de l’action en concurrence déloyale, J-Cl. Concurrence-Consommation,
Fasc. 240, 1998; Picod/Davo, Droit de la consommation, Paris 2005; Raymond, Droit de la consommation, Paris 2008; Roubier, Droit de la propriété industrielle, Paris 1952; Serra, Concurrence
déloyale, Rép. com. Dalloz, 1994; Serra (Hrsg.), La concurrence déloyale. Permanence et devenir,
Paris 2001; Sonnenberger/Autexier, Einführung in das französische Recht, 3. Aufl. Heidelberg 2000;
Sonnenberger/Dammann, Französisches Handels- und Wirtschaftsrecht, 3. Aufl., Frankfurt a.M.
2008; Szönyi, Die Neufassung der französischen Verordnung vom 1. Dezember 1986 zum Kartellund Wettbewerbsrecht – Ein Schlag gegen den Großvertrieb?, GRUR Int. 1998, 35 ff.; Szönyi, Die
Neufassung des Kartell- und Wettbewerbsrechts in Frankreich, GRUR Int. 2002, 105 ff.; Victor-Granzer, Das Wettbewerbsrecht in Frankreich, in: Heidelberger Kommentar zum Wettbewerbsrecht,
2. Aufl. Heidelberg 2005; Vogel, Französisches Wettbewerbs- und Kartellrecht, Heidelberg 2003.
I. Einführung
Im Vergleich zu den meisten europäischen Rechtsordnungen ist das französische Recht
dadurch gekennzeichnet, dass es keine einheitliche Regelung zur Bekämpfung des unlauteren Wettbewerbs kennt. Aus den allgemeinen Regeln des zivilrechtlichen Deliktsrechts haben die französischen Gerichte eine richterrechtliche Ausgestaltung
des unlauteren Wettbewerbsrechts entwickelt, welche unmittelbar nur dem Schutz
der Wettbewerber dient.1 Daneben kennt das französische Recht zahlreiche Gesetze,
Verordnungen und Erlasse, die den Schutz der Verbraucher verfolgen und die sich seit
1993 im Code de la consommation befinden. Diese strikte Trennung zwischen dem
1
Im Schrifttum wird in der letzten Zeit dafür plädiert, das Recht des unlauteren Wettbewerbs
gesetzlich zu reglementieren. S. z.B. Picod, Plaidoyer pour une consécration législative de la
concurrence déloyale, in: FS Serra, Paris 2006, S. 360.
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Länderbericht Frankreich
Recht des unlauteren Wettbewerbs einerseits und dem Verbraucherschutzrecht andererseits stellt die erste Besonderheit des französischen Rechts dar.2
Darüber hinaus wird in Frankreich traditionell zwischen unlauterem und rechtswidrigem Wettbewerb unterschieden. Der unlautere Wettbewerb (concurrence déloyale) betrifft die Ausübung einer zulässigen Tätigkeit unter unlauteren Bedingungen.
Unter rechtswidrigem Wettbewerb (concurrence illégale) versteht man dagegen die
Ausübung einer unzulässigen Tätigkeit. Die Unterscheidung ist eine formale. Wird
ein Verhalten als solches gesetzlich untersagt – sei es der Verkauf unter Einstandspreis,
die Vornahme irreführender Werbung usw. – stellt es rechtswidrigen Wettbewerb dar. 3
Die von Roubier4 vorgeschlagene Unterscheidung spielt jedoch in der Praxis keine
Rolle, da die Klage wegen unlauteren Wettbewerbs nicht dadurch ausgeschlossen wird,
dass ein Verhalten gesetzlich untersagt ist.5 Manche Autoren vertreten daher die Ansicht, diese Unterscheidung müsse aufgegeben werden.6
Ferner sei darauf hingewiesen, dass unter dem Begriff droit de la concurrence lange
Zeit nur das Kartellrecht im eigentlichen Sinn verstanden wurde. In den letzten Jahren
hat sich aber die Auffassung durchgesetzt, dass der Begriff des Wettbewerbsrechts sowohl die von der Rechtsprechung entwickelte Theorie des unlauteren Wettbewerbs
wie auch wettbewerbswidrige Verhaltensweisen (pratiques anticoncurrentielles) betreffende Vorschriften umfasst. Denn „in einem weiteren Sinne sichert das Wettbewerbsrecht sowohl die Freiheit als auch die Lauterkeit des Wettbewerbs“.7 Dennoch bleibt
das französische Recht so ausgestaltet, dass die den Wettbewerb betreffenden gesetzlichen Vorschriften und richterrechtlichen Regeln je nach Schutzzweck an unterschiedlichen Orten zu finden sind: diejenigen, die dem Schutz der Verbraucher dienen, sind
im Code de la consommation enthalten; diejenigen, die den Schutz der Wettbewerber
verfolgen, bilden die auf der Grundlage des zivilrechtlichen Deliktsrechts entwickelte
Theorie des unlauteren Wettbewerbs; diejenigen, die auf den Schutz des Marktes abzielen, befinden sich im 4. Buch des Code de commerce Über die Freiheit der Preise und
des Wettbewerbes. Der Begriff des Lauterkeitsrechts als solcher ist dem französischen
Recht unbekannt und daher schwer ins Französische zu übersetzen.
2
3
4
5
6
7
Im Gegensatz etwa zum deutschen Recht geht der französische Gesetzgeber nicht von einer
Schutzzwecktrias aus, wonach das Recht des unlauteren Wettbewerbs Verbraucher, Wettbewerber und Allgemeinheit gleichberechtigt schützt. Zum „dualistischen Ansatz“ des französischen Rechts, s. Piper /Ohly/Sosnitza, Unlauterer Wettbewerb-Gesetz, 5. Aufl. 2010,
Einl. Rdnr. 38.
Ferrier, Concurrence déloyale et concurrence illégale, in: Serra (Hrsg.), La concurrence
déloyale. Permanence et devenir, Paris 2001, S. 50.
Roubier, Le droit de la propriété industrielle, Bd. 1, Paris 1952, S. 482.
Sonnenberger/Dammann, IV, 145, wonach die Verletzung einer Wettbewerbsbestimmung
auch auf dem Wege der action en concurrence déloyale geahndet werden könne, obwohl der
Gesetzgeber Spezialmaßnahmen, oftmals eine strafrechtliche Verfolgung, vorsieht.
S. z.B. Picod, a.a.O.
Vogel, Rdnr. 1 S. 15.
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II. Historische Entwicklung
II. Historische Entwicklung
Das französische Wettbewerbsrecht beruht auf dem Grundsatz der Gewerbefreiheit (liberté du commerce et de l’industrie). Dieser Grundsatz wurde erstmals gesetzlich durch
den sogenannten Décret d’Allarde vom März 1791 verankert. Die daraus folgende
Wettbewerbsfreiheit herrschte fast unbegrenzt während des ganzen 19. Jahrhunderts.
Es wurden aber im Laufe der Zeit verschiedene gesetzliche Vorschriften erlassen, die
Konkurrenten vor bestimmten Missbräuchen im Wettbewerb und das Publikum vor
Täuschung schützen sollten. Unter Strafe gestellt wurde zum Beispiel durch ein Dekret
von 1803 das Nachahmen hinterlegter Marken und durch ein Gesetz von 1824 das
Anbringen falscher Angaben über den Namen des Herstellers oder des Ortes der Herstellung auf Waren. 8
Ergänzend zu diesen sondergesetzlichen Vorschriften entwickelte die Rechtsprechung schon früh einen zivilrechtlichen Schutz vor Missbrauch von Kennzeichen. Dabei wurde dieser richterrechtliche Schutz vor allem beim Vorliegen einer Verwechslungsgefahr gewährt, mit dem Argument, es widerspreche dem geschäftlichen Anstand (loyauté commerciale), Verwechslungen mit einem Konkurrenten hervorzurufen. 9
Selbst der „geheiligte Grundsatz der Handelsfreiheit“ berechtigte nicht zur Anwendung von Mitteln, die man nicht billigen kann und die bei anständigen Geschäftsleuten nicht gebräuchlich sind.10 Über das Hervorrufen einer Verwechslungsgefahr hinaus wurde im Laufe der Zeit weiteres unlauteres Wettbewerbsverhalten von der
Rechtsprechung sanktioniert, wie z.B. die Herabsetzung des Erzeugnisses eines Konkurrenten, das Machen falscher Angaben über die Beschaffenheit von Erzeugnissen,
der Missbrauch von Betriebs- oder Geschäftsgeheimnissen, die Abwerbung von Mitarbeitern, die sklavische Nachahmung von Erzeugnissen und Werbemitteln oder der
Boykott.11
In der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts wurde die Wettbewerbsfreiheit aufgrund
von Kriegen und Krisen durch eine „kleinliche und interventionistische gesetzliche
Regelung fast vollständig erstickt“.12 Durch ein Dekret von 1953, das auf der Preisgesetzgebung von 1945 aufbaut, wurden wettbewerbsbeschränkende Vereinbarungen
und Maßnahmen reglementiert und weitgehend verboten. Die Missbräuche marktbeherrschender Stellungen wurden durch das Gesetz vom 2.7.1963 geregelt, und eine
Kontrolle von Unternehmenszusammenschlüssen durch das Gesetz vom 19.7.1977
eingeführt. Die meisten dieser gesetzlichen Vorschriften hat jedoch die Verordnung
vom 1.12.1986 über die Preisgestaltung und die Wettbewerbsfreiheit13 aufgehoben,
die als die zentrale Säule der damaligen neuen liberalen Wirtschaftsordnung präsentiert wurde.14 „Mit der Verordnung vom 1.12.1986 wurde das Wettbewerbsrecht neu
8
9
10
11
12
13
14
Krasser, Rdnr. 3 S. 3.
So z.B. Cour d’appel Lyon 15. 1. 1851, D.P. 1854, 2, 138.
So die Cour d’appel Paris 29. 12. 1852, D.P. 1853, 2, 163. S. dazu Krasser, Rdnr. 4 S. 3.
Krasser, Rdnr. 4 S. 4.
Vogel, Rdnr. 2 S. 19.
Ordonnance Nr. 86-1243 relative à la liberté des prix et de la concurrence, JO 9.12.1986,
14773.
Vogel, Rdnr. 2 S. 19.
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239
Länderbericht Frankreich
strukturiert und der Begriff des Wettbewerbs als Grundwert einer liberalen Wirtschafts- und Gesellschaftsordnung eingeführt. Sie löste die Verordnung vom 30.6.1945
ab, die das Wettbewerbs- und Kartellrecht noch völlig unter die Kuratel staatlicher
Preiskontrolle stellte, um inflationäre Tendenzen zu bekämpfen“.15
Neben echten kartellrechtlichen Vorschriften enthielt die Verordnung vom 1.12.
1986 in ihrem Titel IV zahlreiche Vorschriften, die nach deutscher Systematik jedenfalls z.T. Tatbestände unlauteren Verhaltens verwirklichen.16 Diese Vorschriften betreffen zum einen eine Reihe von beschränkenden und dem Transparenzgebot widersprechenden Praktiken, zum anderen wettbewerbsbeschränkende Handlungen (pratiques restrictives de concurrence) wie z.B. den Verkauf unter Einstandspreis (revente à
perte), die Preisbindung (prix imposés) und bestimmte Formen der Ausnutzung eines
Abhängigkeitsverhältnisses. Sie sind nunmehr in den Art. L. 420 bis L. 443 des Code
de commerce einheitlich geregelt und wurden durch das Gesetz über die Lauterkeit von
Geschäftsbeziehungen vom 1.7.1996 (sog. Loi Galland)17, das Gesetz über die neuen
Wirtschaftsregelungen vom 15.5.2001 (sog. Loi NRE)18, das Gesetz zugunsten kleiner
und mittelständischer Unternehmen vom 2.8.2005 (sog. Loi Dutreil)19, das Gesetz zur
Förderung des Wettbewerbs zugunsten der Verbraucher vom 3.1.2008 (sog. Loi Chatel)20 und das Gesetz zur Modernisierung der Wirtschaft vom 4.8.2008 (sog. LME)21
modifiziert.
Die Verordnung vom 1.12.1986 enthielt auch zahlreiche verbraucherschützende
Vorschriften, die 1993 in den Code de la consommation eingefügt wurden. Der Code
de la consommation fasst viele Gesetze zusammen, die im Laufe der Zeit zum Schutz
der Interessen der Verbraucher erlassen wurden, wie z.B. das Gesetz vom 1.8.1905 gegen den Warenbetrug (fraudes et falsifications), das Gesetz vom 22.12.1972 über Haustürgeschäfte (démarchage à domicile), den Art. 44 des Gesetzes vom 27.12.1973 betreffend die irreführende Werbung (publicité trompeuse), das Gesetz vom 10.1.1978 über
Verbraucherkredite (crédit à la consommation), das Gesetz vom 10.1.1978 über missbräuchliche Vertragsbestimmungen (clauses abusives), die Artikel 28, 29 und 30 der
Verordnung vom 1.12.1986 über Preiswahrheit (publicité des prix), Zugaben (ventes avec
primes) und Verkaufsverweigerung (refus de vente), das Gesetz vom 5.1.1988 über die
Klagebefugnis von Verbraucherverbänden, das Gesetz vom 6.1.1988 über Fernabsatz15
16
17
18
19
20
21
Kessler/Micklitz, S. 91.
Sonnenberger/Autexier, Rdnr. 144 S. 210.
Loi Nr. 96-588 sur la loyauté et l’équilibre des relations commerciales, JO 3.7.1996, 9983.
Loi Nr. 2001-420 relative aux nouvelles régulations économiques, JO 16.5.2001, 7776. S.
dazu Szönyi, Die Neufassung des Kartell- und Wettbewerbsrechts in Frankreich, GRUR Int.
2002, 105 ff. – Großerichter/Rageade, Französische Gesetzgebung und Rechtsprechung zum
Handels- und Wirtschaftsrecht im Jahr 2001, RIW 2002, 866 ff.
Loi Nr. 2005-882 en faveur des petites et moyennes entreprises, JO 3.8.2005, 12639.
Loi Nr. 2008-3 pour le développement de la concurrence au service des consommateurs, JO
4.1.2008, 258.
Loi Nr. 2008-776 sur la modernisation de l’économie, JO 5.8.2008, 12471. S. dazu Vilmart/
Leguin, La loi de modernisation de l’économie, JCP 2008 ed. E, 1997; Chagny, Une (r)évolution du droit français de la concurrence? A propos de la loi LME du 4 août 2008, JCP 2008,
I, 196.
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II. Historische Entwicklung
geschäfte (vente à distance) und das Gesetz vom 31.12.1989 über die Verschuldung der
Privatleute (surendettement des particuliers).
Im zweiten Titel des ersten Buchs des Code de la consommation werden Geschäftspraktiken gesetzlich geregelt, die entweder als „gesetzlich reglementiert“ oder als
„rechtswidrig“ eingestuft werden. Während bestimmte Absatzmethoden wie Werbung, Versandkauf, Haustürgeschäfte, Direktvertrieb, Verkauf oder Dienstleistungsvertrieb mit unentgeltlichen Zugaben und Werbelotterien zulässig bleiben (sog. pratiques commerciales réglementées), sind andere wie Verkaufs- und Dienstleistungsverweigerung, Koppelungsgeschäfte, Verkauf unbestellter Waren, Verkauf im „Schneeballsystem“ und schließlich Missbrauch von Schwäche und Unerfahrenheit schlichtweg
verboten (sog. pratiques commerciales illicites).22
Eine entscheidende Reform hat dieser Teil des Code de la consommation mit der
Umsetzung der Richtlinie vom 11.5.2005 über unlautere Geschäftspraktiken23 durch
die schon erwähnten Gesetze vom 3.1.2008 (Loi Chatel) und 4.8.2008 (LME) erfahren.24 Eingefügt wurde zuerst ein einleitendes Kapitel (chapitre préliminaire) über unlautere Geschäftspraktiken im Allgemeinen (pratiques commerciales déloyales), welches
aus einem einzigen Artikel besteht. Dieser Art. L. 120-1 C. cons. verwirklicht das generelle Verbot unlauterer Geschäftspraktiken aus Art. 5 UGP-RL, dessen Wortlaut er
übernimmt. 25 Allerdings enthält die Vorschrift keinen Hinweis auf die Folge eines
Verstoßes, sodass die Frage aufgeworfen wurde, ob sie einen eigenen Tatbestand normiert oder lediglich einen allgemeinen Grundsatz ausspricht, der bei der Auslegung
aller nachfolgenden Vorschriften über Geschäftspraktiken berücksichtigt werden
muss.26 Im Zuge der ergänzenden Reform durch das Gesetz vom 4.8.2008 zur Modernisierung der Wirtschaft wurde jedoch dem Art. L. 120-1 C. cons. einen zweiten Absatz (II) hinzugefügt, wonach die aufgezählten Praktiken nicht abschließend sind.
Handlungen, die nicht unmittelbar im Gesetz aufgeführt sind, können daher durch
22
23
24
25
26
Szönyi, GRUR Int. 1996, 87.
Richtlinie 2005/29 /EG über unlautere Geschäftspraktiken im binnenmarktinternen Geschäftsverkehr zwischen Unternehmen und Verbrauchern. Im Folgenden UGP-RL.
S. dazu Raymond, Les modifications au droit de la consommation apportées par la loi n820083 du 3 janvier 2008 pour le développement de la concurrence au service des consommateurs,
CCC 2008, Etude 3. – Cannarsa, La réforme des pratiques commerciales déloyales par la loi
Chatel – Le droit commun à la rencontre du droit de la consommation, JCP 2008, I, 180. –
Fournier, De la publicité fausse aux pratiques commerciales trompeuses, Droit pénal 2008/2,
étude 4. – Fenouillet, Loi de modernisation de l’économie du 4 août 2008 et réforme des
pratiques commerciales déloyales, RDC 2009/1, 128. – Henning-Bodewig, Die Bekämpfung
unlauteren Wettbewerbs in den EU-Mitgliedstaaten: eine Bestandsaufnahme, GRUR Int.
2010, 273, 276. – Rinke, Die Umsetzung der Richtlinie über unlautere Geschäftspraktiken in
Frankreich – Eine Reform des Verbraucherschutzes?, Actualités DFJ – 2/2008, 4.
Danach ist eine Geschäftspraktik unlauter, wenn sie den Erfordernissen der beruflichen
Sorgfalt widerspricht und in Bezug auf ein Produkt oder eine Dienstleistung das wirtschaftliche Verhalten des Durchschnittsverbrauchers (consommateur normalement informé et raisonnablement attentif) wesentlich beeinflusst oder dazu geeignet ist, es wesentlich zu beeinflussen.
Raymond, S. 12. – Fournier, Rdnr. 3.
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241
Länderbericht Frankreich
eine Auslegung anhand der Generalklausel der Art. L. 120-1 C. cons. als unlauter beurteilt werden.27
Die in Art. 6 UGP-RL beschriebenen irreführenden Geschäftspraktiken (pratiques
commerciales trompeuses) sind in den schon bestehenden Art. L. 121-1 C. cons. integriert worden, der bislang lediglich der irreführenden Werbung gewidmet war. Wie
vom Gemeinschaftsgesetzgeber gefordert werden Irreführungen durch aktives Handeln und durch Unterlassen unterschieden. Erstere finden auch im B2B-Verhältnis
Anwendung, während der neu eingefügte Tatbestand der Irreführung durch Unterlassen auf Geschäfte mit Verbrauchern beschränkt ist (Art. L. 121-1 III C. cons.).28 Letztlich ist die Umsetzung der Art. 8 UGP-RL bezüglich aggressiver Geschäftspraktiken in
das rechtswidrige Geschäftspraktiken (pratiques commerciales illicites) betreffende 2. Kapitel (Art. L. 122-11 bis L. 122-15 C. cons.) erfolgt. Die Rechtsfolgen unlauterer Geschäftspraktiken sind der französischen Rechtstradition nach vorwiegend strafrechtlicher Natur. Allerdings ist auch die Nichtigkeit des im Folge des Einsatzes aggressiver
Geschäftspraktiken zustande gekommenen Vertrags vorgesehen (Art. L. 122-5 C.
cons.). In jedem Fall von unlauteren Geschäftspraktiken kann auch die Einstellung
der Handlung angeordnet werden. Auf diese Neuerungen wird noch im Zusammenhang mit den einzelnen Tatbeständen eingegangen.
Die Umsetzung der UGP-RL durch das Gesetz vom 3.1.2008 (sog. Loi Chatel) ist
von der Europäischen Kommission als unzureichend erachtet worden und daher durch
das am 4.8.2008 verabschiedete Gesetz zur Modernisierung der Wirtschaft (sog. LME)
ergänzt worden.29 Zusätzlich zu einer Klarstellung der Begriffsbestimmungen der irreführenden (Art. L. 121-1 C. cons.) und aggressiven (Art. L. 122-11 C. cons.) Geschäftspraktiken30 schafft das Gesetz vom 4.8.2008 zwei neue Vorschriften hinsichtlich Geschäftspraktiken, die unter allen Umständen als irreführend (Art. L. 121-1-1 C. cons.)
bzw. aggressiv (Art. L. 122-11-1 C. cons.) gelten. Die Übernahme des Anhangs I der
UGP-RL (sog. schwarze Liste) ist nahezu wörtlich erfolgt. Allerdings wurde die im
Anhang der Richtlinie unter Nr. 14 ausgeführte, Schneeballsysteme betreffende Geschäftspraktik31 nicht übernommen. Schließlich hat die Übernahme des Anhangs in
zwei unterschiedlichen Vorschriften und nicht ungeteilt wie in der Richtlinie stattgefunden.
27
28
29
30
31
Rinke, S. 6. – Fenouillet, 128.
Henning-Bodewig, GRUR Int. 2010, 277.
Rinke, S. 7.
Es handelt sich um die Berücksichtigung der Umstände für die Beurteilung des irreführenden
oder aggressiven Charakters einer Handlung und die Anwendung der Vorschrift zu irreführenden Handlungen auf Kaufeinladungen (invitation à l’achat). S. kritisch dazu Fenouillet,
S. 128.
S. Nr. 14 des Anhangs I zur UPG-RL, wonach die Einführung, der Betrieb oder die Förderung
eines Schneeballsystems zur Verkaufsförderung, bei dem der Verbraucher die Möglichkeit vor
Augen hat, eine Vergütung zu erzielen, die hauptsächlich durch die Einführung neuer Verbraucher in ein solches System und weniger durch den Verkauf oder Verbrauch von Produkten zu erzielen ist, unter allen Umständen als irreführend und daher unlauter gilt.
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III. Rechtliche Grundlagen
III. Rechtliche Grundlagen
1. Gesetzliche Vorschriften
Wie bereits erwähnt gibt es in Frankreich kein besonderes Gesetz gegen den unlauteren Wettbewerb. Stattdessen hat sich auf den deliktischen Generalklauseln des Code
civil ein umfangreiches Richterrecht aufgebaut,32 das hauptsächlich auf den Individualschutz der Mitbewerber abzielt. Hingegen werden die Interessen der Verbraucher
in erster Linie durch die Vorschriften des Code de la consommation geschützt. Anders
als zum Beispiel in Deutschland stellt das Verbraucherschutzrecht in Frankreich eine
eigene Rechtsmaterie dar. Die meisten Vorschriften des Code de la consommation sind
straf- und verwaltungsrechtlicher Natur. Von besonderer Bedeutung für den unlauteren Wettbewerb sind vor allem diejenigen über irreführende Geschäftspraktiken (Art.
L. 121-1 bis L. 121-7), vergleichende Werbung (Art. L. 121-8 bis L. 121-14), Zugaben
(Art. L. 121-35), Lotterien (Art. L. 121-36 und L.121-37), Warenbetrug (Art. L. 2131), Herkunftsangaben und Ursprungsbezeichnungen (Art. L. 115-1 bis L. 115-18) und
das Klagerecht der Verbraucherverbände (Art. L. 421-1 ff).
Das 4. Buch des Code de commerce (C. com.) enthält Vorschriften, die früher Gegenstand der Verordnung vom 1.12.1986 zum Kartell- und Wettbewerbsrecht waren
und die zum Teil nach deutscher Systematik in den Bereich des Wettbewerbsrechts
fallen. So betreffen zum Beispiel die Art. L. 310-1 bis L. 310-3 C. com. besondere Verkaufsveranstaltungen wie Saisonschluss- oder Räumungsverkäufe, Art. L. 441-2 Rabatte, Art. L. 442-2 den Verkauf unter Einstandspreis und Art. L. 420-5 das Verbot
missbräuchlich niedriger Verkaufspreise.
Der Code de la propriété intellectuelle (CPI) regelt das ganze Immaterialgüterrecht
und enthält vor allem eine Regelung des Urheber-, Patent-, Marken-, Gebrauchsmuster- und Geschmacksmusterrechts. Das Recht der Herkunftsangaben und Ursprungsbezeichnungen, das traditionell einen Teil des gewerblichen Rechtsschutzes bildet,
wird heute überwiegend im Code de la consommation geregelt. 33 Desgleichen findet
man im CPI eine Bestimmung über den strafrechtlichen Schutz von Betriebsgeheimnissen (Art. L. 621-1 CPI), die wiederum einen Verweis auf die Regelung im Code du
travail darstellt. Von Interesse für das Recht des unlauteren Wettbewerbs sind jedoch
die Vorschriften des markenrechtlichen Teils des Code de la propriété intellectuelle
über markenfähige Zeichen (Art. L. 711-4 CPI) einerseits und den Schutz berühmter
Marken (Art. L. 713-5 CPI) andererseits.
2. Anwendungsbereich der Klage wegen unlauteren Wettbewerbs
Wie bereits erwähnt, besteht der Schutz gegen unlauteren Wettbewerb primär aus Regeln, die von der Rechtsprechung auf der Grundlage des zivilrechtlichen Deliktsrechts
entwickelt wurden. Gemäß Art. 1382 C. civ. ist derjenige, der einem anderen einen
Schaden zufügt, zum Ersatz dieses Schadens verpflichtet. Art. 1383 C. civ. erstreckt
32
33
Köhler/Bornkamm, UWG, 28. Aufl. 2010, Einl., VII. Frankreich.
S. unten S. 298.
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diese Haftung auf fahrlässig herbeigeführte Schäden. Auf der Grundlage dieser Generalklausel hat die französische Rechtsprechung einen Schutz gegen unlauteren Wettbewerb entwickelt. 34 Da die Klage wegen unlauteren Wettbewerbs (action en concurrence déloyale) auf den Artikeln 1382 und 1383 C. civ. beruht, setzt sie ein fehlerhaftes
Verhalten des Beklagten (faute), einen Schaden (préjudice) und einen zwischen den
beiden bestehenden kausalen Zusammenhang (lien de causalité) voraus.
Der Schaden muss grundsätzlich die vom allgemeinen Recht vorgeschriebenen Voraussetzungen erfüllen.35 Er muss unmittelbar und bestimmt sein.36 Die Klage wegen
unlauteren Wettbewerbs wird daher zurückgewiesen, wenn kein Schaden nachgewiesen wird.37 Der Schaden kann zuerst materieller Natur sein und wird meistens in der
Entziehung von Kunden (perte de clientèle) gesehen. Der Begriff umfasst sowohl Absatzund Umsatzverluste (diminution du chiffre d’affaires), wie auch Abbestellungen38 oder
den Verlust von Verträgen (perte de contrats).39 Die Wettbewerbsklage ist aber auch
ohne Entziehung von Kunden begründet. Der materielle Schaden kann in der Entwertung (dépréciation) eines Kennzeichens40 oder eines anderen immateriellen Rechtsgutes wie des Know-how41 liegen. Wie nach allgemeinem Deliktsrecht kann der Schaden
auch rein immateriell (dommage moral)42 oder immateriell und materiell43 sein.
Die Rechtsprechung hat den Begriff des Schadens seit Ende der 80er Jahre erweitert, indem sie diese Voraussetzung der Wettbewerbsklage für erfüllt hält, wenn nur ein
trouble commercial44 vorliegt.45 Diese Erweiterung des Begriffs des Schadens ist von einer Entwicklung begleitet worden, die zu einer Beweiserleichterung geführt hat. Französische Gerichte nehmen an, dass das Vorhandensein des Schadens sich notwendigerweise aus einem unlauteren Verhalten ergibt. 46 Liegt also der Beweis eines Verschul34
35
36
37
38
39
40
41
42
43
44
45
Harte-Bavendamm/Henning-Bodewig, Einl. E, Rdnr. 172, S. 315.
Cass. com. 19.7.1976, JCP 1976, II, 18507. – S. dazu Le Tourneau, De la spécificité du préjudice
concurrentiel, RTD com. 1998, 83 ff.
Vogel, Rdnr. 16 S. 40. – Passa, J-Cl. Concurrence-Consommation, Fasc. 240, Rdnr. 70 S. 20.
Cass. civ. 3.3.1982, D. 1983, inf. rap., 98. – Cass. com. 10.1.1989, JCP 1989, IV, 91; D. 1990,
somm., 75. – Cass. com. 25.2.1992, JCP 1992, IV, 136. – Cass. com. 9.3.1999, PIBD 1999, III,
299. – Cass. com. 30.5.2000, D. 2001, jur., 2587; CCC 2000, comm. 161. – CA Paris 15.6.
1983, D. 1983, jur., 570. – CA Pau 22.5.1985, D. 1986, inf. rap., 339. – CA Paris 12.2.1988, D.
1988, inf. rap., 75. – CA Versailles 24.11.1994, D. 1995, somm., 258.
Cass. com. 17.7.2001, PIBD 2001, III, 549.
CA Paris 21.6.1989, RDPI 1990, n828, p. 52.
S. für eine Marke, CA Paris 25.11.1998, PIBD 1999, III, 114. S. für eine Ursprungsbezeichnung, CA Paris 15.12.1993, D. 1994, jur., 145. S. für eine Geschäftsbezeichnung, CA Paris
29.3.1993, D. 1994, somm., 223.
CA Paris 27.9.2000, D. 2001, somm., 1309.
Cass. com. 6.1.1987, D. 1988, somm., 211. – Cass. com. 27.2.1996, D. 1997, somm., 104. –
Cass. com. 25.4.2001, PIBD 2001, III, 451.
Cass. crim. 23.10.1980, JCP 1981, IV, n89. – CAVersailles 11.3.1993, D. 1993, somm., 244. –
CA Paris 15.12.1994, D. 1996, jur., 489.
Picod, Plaidoyer pour une consécration législative de la concurrence déloyale, FS Serra, Paris
2006, S. 369.
Cass. com. 10.1.1989, D. 1990, somm., 75. – Cass. com. 29.6.1993, D. 1995, somm., 211.
244
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III. Rechtliche Grundlagen
dens vor, so schließt man daraus automatisch auf das Vorhandensein eines Schadens.47
Daher ist es nicht notwendig, den Beweis einer Entziehung der Kundschaft zu erbringen.48 Der Schaden wird also vermutet, die Vermutung ist aber widerlegbar. 49
Weitere Voraussetzung der Wettbewerbsklage ist im Prinzip der Beweis eines ursächlichen Zusammenhangs zwischen faute und Schaden. Dies ergibt sich daraus, dass
das Recht des unlauteren Wettbewerbs seine Rechtsgrundlage im allgemeinen Deliktsrecht hat. Die Rechtsprechung erinnert manchmal an dieses Tatbestandmerkmal.50
Jedoch spielt es in der Praxis keine große Rolle. In den meisten Fällen begnügen sich
die Richter damit, die Entwicklung des Umsatzes des Klägers zu beobachten, um den
ursächlichen Zusammenhang zwischen dem unlauteren Wettbewerbsverhalten und
dem erlittenen Schaden zu bejahen.51 Infolge der bezeichneten Entwicklung, wonach
das Bestehen des Schadens sich notwendigerweise aus einem unlauteren Verhalten
ergibt, ist es ohnehin nicht mehr notwendig, den lien de causalité darzulegen. Beide
Tatbestandsmerkmale (Schaden und ursächlicher Zusammenhang) werden letztlich
vermutet. Daher kommt es in der Praxis bei der Beurteilung der Begründetheit der
Wettbewerbsklage fast ausschließlich auf die faute an.
Aus dem Grundsatz der Wettbewerbsfreiheit folgt, dass jedes Unternehmen sich
die Kundschaft seiner Mitbewerber aneignen kann. Der Markt untersteht dem Gesetz
von Angebot und Nachfrage und die Unternehmen können derselben Kundschaft
gleichartige Waren und Dienstleistungen anbieten. Das Aneignen der Kundschaft
eines Konkurrenten ist als solches nicht rechtswidrig, sofern es nicht von einem unlauteren Wettbewerbsverhalten begleitet wird,52 da ein Unternehmen kein ausschließliches Recht auf seine Kundschaft hat. „Die Kundschaft gehört dem, der sie
zu erobern und für sich einzunehmen weiß und es kann keine Klage geben, die darauf
abzielt, den Kundenstamm zu garantieren. Im wirtschaftlichen Kampf gibt es nur gewisse Mittel, die als unlauter und tadelbar angesehen werden“.53
Die Beeinträchtigung der Interessen eines Mitbewerbers ist als solche wettbewerbseigen. Unlauter ist ein Wettbewerbsverhalten erst dann, wenn die jeweiligen Umstände oder die verwendeten Mittel der Verkehrssitte widersprechen. Wie es in
46
47
48
49
50
51
52
53
Ständige Rechsprechung seit Cass. com. 22.10.1985, D. 1986, somm., 339. – Cass. com. 9.2.
1993, CCC 1993, comm. 49; JCP ed. E 1994, II, 545. – Cass. com. 27.2.1996, D. 1997, somm.,
104. – Cass. com. 25.1.2000, PI 2002, n83, 103. – Cass. com. 22.2.2000, CCC 2000, comm.
81. – Cass. com. 25.4.2001, PIBD 2001, 726, III, 451. – Cass. com. 9.10.2001, CCC 2002,
comm., 6. – Cass. com. 1.7.2003, prop. ind. 2003, comm. 96. – CA Paris 24.5.1995, D. 1996,
somm., 252. – CA Paris 29.4.1998, D. 1999, somm., 99.
Vogel, Rdnr. 16 S. 41.
CA Paris 8.4.1993, PIBD 1993, III, 471. – CA Paris 3.4.1995, D. 1996, somm., 254. – CA Paris
24.5.1995, D. 1996, somm., 252.
Cass. com. 10.1.1989, D. 1990, somm., 75. – CA Paris 18.10.1994, D. 1996, somm., 250.
Cass. com. 30.1.2001, D. 2001, jur., 1939; CCC 2001, comm. 58. – CA Paris 13.3.2002, D.
2002, AJ, 1752. – CA Paris 3.11.2004, D. 2005, 2464.
Serra, Rdnr. 116 S. 23. – Auguet, S. 63.
CA Paris 26.2.1991, D. 1991, inf. rap., 101. – CA Paris 27.5.1992, D. 1993, somm., 155. – CA
Paris 27.3.1996, RJDA 1996, Nr. 999.
Roubier, Bd. 1, Rdnr. 606 S. 493.
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245
Länderbericht Frankreich
Art. 10bis PVÜ zum Ausdruck kommt, werden in erster Linie die anständigen Gepflogenheiten als Maßstab der Unlauterkeit herangezogen. Das fehlerhafte Verhalten (faute) im Bereich des Rechts des unlauteren Wettbewerbs wurde daher lange Zeit lediglich als jedes Verhalten definiert, das den Handelsbräuchen und den anwendbaren
Gesetzen und Regelungen entgegensteht. Neuerdings hat sich jedoch die Meinung
durchgesetzt, dass es auch Aufgabe des Wettbewerbsrechts ist, für die Gleichheit zwischen Mitbewerbern in der Ausübung ihrer Gewerbetätigkeit zu sorgen. Daher wird
auch ein Wettbewerbsverhalten als unlauter eingestuft, das die Chancengleichheit
zwischen Mitbewerbern verletzt.54
Setzt die Wettbewerbsklage das Vorhandensein einer faute im Sinne eines unlauteren Verhaltens voraus, ist allerdings nicht erforderlich, dass diese vorsätzlich begangen worden ist. Nach den allgemeinen Grundsätzen des Deliktsrechts ist auch die bloße Fahrlässigkeit (imprudence, négligence) haftungsbegründend. Dies wird regelmäßig
für den Bereich des Rechts des unlauteren Wettbewerbs von den französischen Gerichten betont.55 Ob fahrlässig oder vorsätzlich, die faute muss vom Kläger bewiesen werden. Die Klage wegen unlauteren Wettbewerbs basiert nicht auf einer Verschuldensvermutung,56 auch nicht – wie vereinzelt entschieden57 – auf einem Bündel von Vermutungen (faisceau de présomptions).58
Traditionell ist es für die Wettbewerbsklage wesentlich, dass die Parteien in einem
Wettbewerbsverhältnis stehen und dem beanstandeten Verhalten ein Wettbewerbszweck zugrunde liegt.59 Lange Zeit haben daher französische Gerichte die Klage wegen
unlauteren Wettbewerbs nur unter der Bedingung zugelassen, dass das Bestehen einer
Kundschaft und die Gemeinsamkeit dieser Kundschaft zwischen den Parteien bewiesen wurden. Diese beiden Voraussetzungen wurden jedoch im Laufe der letzten 30 Jahren so weit ausgelegt, dass sie mittlerweile als aufgegeben betrachtet werden.60 Das
Erfordernis des Bestehens einer Kundschaft diente ursprünglich dazu, den Begriff der
Wettbewerbshandlung zu umschreiben. Gewinnerzielungsabsicht und Rechtsform, in
der das Unternehmen betrieben wird, spielten dabei eine Rolle.61 Diese Rechtsprechung wurde jedoch aufgegeben und die Wettbewerbsklage auch bei Vereinen zugelassen.62 In einem Urteil vom 30.5.2000 hat die Cour de cassation ausgesprochen, dass
die Wettbewerbsklage unabhängig von der Rechtsform des Beklagten erhoben werden
54
55
56
57
58
59
60
61
62
Serra, Rdnr. 85 S. 17. – Passa, Rdnr. 19 S. 6.
Cass. com. 6.5.1986, D. 1986, inf. rap., 339. – Cass. com. 6.11.1990, D. 1992, somm., 49; CCC
1991, comm. 33. – Cass. com. 3.5.2000, D. 2001, somm., 1312. – Cass. com. 16.1.2001, PI
2002, n83, 103. – CA Paris 11.2.1991, D. 1992, somm., 49. – CA Paris 8.10.1992, D. 1994,
somm., 223. – CA Paris 3.4.1998, D. 1999, somm., 95.
Vogel, Rdnr. 14 S. 39. – Auguet, S. 56. – Serra, Rdnr. 91 ff. S. 18.
Cass. com. 23.10.1967, Bull. civ. III Nr. 336. – Cass. com. 12.10.1993, D. 1994, jur., 124.
Cass. com. 30.11.1983, Bull. civ. IV Nr. 331. – Cass. com. 7.11.1984, D. 1985, inf. rap. 383. –
Cass. soc. 30.4.1987, D. 1988, somm., 213. – CA Paris 11.2.1991, D. 1992, somm., 49. – Cass.
com. 9.3.1999, D. 2000, somm., 321. – CA Paris 18.10.2000, D. 2001, jur., 850.
S. Krasser, Rdnr. 64 S. 52 und die dort gemachten Ausführungen zur früheren Rechtslage.
Serra, Rdnr. 73 ff. S. 15. – Auguet, S. 55.
Cass. com. 14.10.1963, D. 1964, somm., 62.
Cass. com. 8.11.1994, D. 1995, somm., 209. – CA Versailles 16.12.2004, D. 2005, 2465.
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III. Rechtliche Grundlagen
kann.63 Auch im Schrifttum wird heute überwiegend die Ansicht vertreten, dass die
Wettbewerbshandlung nicht das Bestehen einer Kundschaft voraussetzt.64
Auch hinsichtlich des Wettbewerbsverhältnisses hat sich die Rechtslage weitgehend verändert. Die Gerichte haben zuerst ein Wettbewerbsverhältnis in den Fällen
angenommen, in denen der Kundenkreis der beteiligten Unternehmen sich nur teilweise deckt.65 Dann wurde von der Rechtsprechung als unerheblich erachtet, dass die
Beteiligten auf unterschiedlichen Wirtschaftsstufen tätig sind, sofern sie dieselbe Zielkundschaft haben, wie z.B. ein Hersteller und ein Händler.66 Letztlich wurde die Klage
wegen unlauteren Wettbewerbs sogar für zulässig erklärt, wenn überhaupt kein Wettbewerbsverhältnis zwischen den Beteiligten bestand.67 In einem Urteil vom 21.11.
2000 hat die Cour de cassation klar ausgedrückt, dass „das Wettbewerbsverhältnis zwischen den Beteiligten keine Voraussetzung der Wettbewerbsklage“ sei.68 Dieselbe Ansicht wird auch in der Literatur vertreten.69
In Anlehnung an die von Roubier erstellte Typologie unlauterer Wettbewerbshandlungen70 wurden vier Fallgruppen von der Lehre entwickelt. Danach sind unlautere Wettbewerbshandlungen in folgende Tatbestandsgruppen eingeteilt.71 1. Anschwärzung (dénigrement); 2. Hervorrufen von Verwechslungen (confusion); 3. Störung
der Betriebsordnung eines Konkurrenten bzw. des Marktes (désorganisation); 4. Ausbeutung fremder Leistung (parasitisme).
3. Geschützter Personenkreis: die Aktivlegitimation
Die Klage wegen unlauteren Wettbewerbs, die sich auf das allgemeine Deliktsrecht
stützt, kann von jedem erhoben werden, der durch das unlautere Verhalten geschädigt
63
64
65
66
67
68
69
70
71
Cass. com. 30.5.2000, D. 2001, jur., 2587; CCC 2000, comm. 161.
S. z.B. Serra, Rdnr. 74 S. 15.
CA Paris 6.11.1990, D. 1990, jur., 564. – CA Paris 9.12.1992, D. 1994, somm., 223.
CAVersailles 4.3.1987, D. 1988, somm., 211. – CAVersailles 12.2.1990, D. 1990, jur., 264. –
CA Paris 20.2.1992, D. 1993, somm., 155. – CA Paris 25.10.1994, D. 1995, inf. rap., 22.
Cass. com. 8.11.1994, D. 1995, somm., 209; CCC 1995, comm. 6. – Cass. com. 30.1.1996, D.
1997, somm., 232; CCC 1996, comm. 41 – CA Paris 24.9.1996, D. 1997, somm., 235. – Cass.
com. 25.1.2000, CCC 2000, comm. 63.
Cass. com. 21.11.2000, RJDA 2/2001, 248. – Cass. com. 12.2.2008, CCC 2008, comm. 103. S.
jedoch CA Paris 13.4.2005, D. 2005, 2465.
Serra, Rdnr. 80 S. 16. – Azéma, S. 124. – Picod, Plaidoyer pour une consécration législative de
la concurrence déloyale, in: FS Serra, Paris 2006, S. 368.
Roubier, Théorie générale de l’action en concurrence déloyale, RTD com. 1948, 541 ff. – ders.,
Le droit de la propriété industrielle, Bd. 1, Rdnr. 110 S. 504 ff.
Während Roubier und das ältere Schrifttum innerhalb des Tatbestands der désorganisation
zwischen Störung der inneren Organisation eines Konkurrenzunternehmens (désorganisation
d’une entreprise concurrente) einerseits und Störung des Marktes im allgemeinen (désorganisation générale du marché) andererseits unterschied, werden heute alle Fällen der désorganisation zusammengefasst und eine vierte Tatbestandgruppe hinzugefügt, die erst in den letzten
30 Jahren an Bedeutung gewonnen hat: der parasitisme.
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247
Länderbericht Frankreich
ist.72 Aufgabe des Rechts des unlauteren Wettbewerbs ist in Frankreich lediglich der
Schutz der Mitbewerber, nicht aber der Verbraucher oder der Allgemeinheit.73 Anspruchsberechtigt im Rahmen der Wettbewerbsklage sind daher entweder einzelne
Mitbewerber oder zuständige Verbände, nicht aber Verbraucher oder Verbraucherverbände. Die vom Wettbewerbsverstoß betroffene Person kann sowohl eine natürliche
wie auch eine juristische Person sein.74 Das unlautere Verhalten kann aber auch die
Interessen entweder einer Gruppe von Mitbewerbern oder eines ganzen Berufs- oder
Gewerbezweigs beeinträchtigen. In diesem Fall sind die zuständigen Berufsverbände
im Gesamtinteresse des Berufsstandes (intérêt collectif de la profession) zur Erhebung der
Wettbewerbsklage befugt.75 Die Klagebefugnis der Berufsverbände (syndicats professionnels) beruht auf Art. L. 2132-3 Code du travail.
Auch wenn weder einzelne Verbraucher noch ihre Verbände eine Klage wegen
unlauteren Wettbewerbs erheben können, sind sie jedoch befugt, die Vorschriften
des Code de la consommation bzw. des Code de commerce in Anspruch zu nehmen76. Ist
also das in Frage stehende unlautere Verhalten gesetzlich verboten, insbesondere strafrechtlich sanktioniert, wie zum Beispiel bei irreführender Werbung, kann die Klage
sowohl von den Mitbewerbern und Berufsverbänden,77 wie auch von Verbrauchern
oder Verbraucherverbänden78 erhoben werden.79
4. Sanktionsmöglichkeiten
Da die Klage wegen unlauteren Wettbewerbs auf die allgemeine Deliktsnorm des
Art. 1382 Code civil gestützt ist, ist sie ihrem Wesen nach eine Klage auf Wiedergutmachung (réparation).80 Dabei wird in Frankreich zwischen Naturalrestitution (réparation en nature), die in dem Ausspruch gerichtlicher Gebote oder Verbote besteht (injonctions) und réparation par équivalent, die zu einer Verurteilung zum Schadensersatz in
Geld führt, unterschieden. Einen selbständigen, vom Schaden unabhängigen Unterlassungsanspruch kennt das französische Recht nicht. Vielmehr wird die vom Gericht
angeordnete Beseitigung oder Unterlassung unlauteren Wettbewerbsverhaltens nach
72
73
74
75
76
77
78
79
80
Krasser, Rdnr. 121 S. 94.
S. oben S. 237.
Serra, Rdnr. 209 S. 41 und die dort zitierte Rechtsprechung.
Krasser, Rdnr. 127 S. 97. S. aus der Rechtsprechung CAVersailles 4.11.1993, Gaz. Pal. 1994, 2,
somm., 746. – CA Versailles 17.5.1994, Gaz. Pal. 1995, 1, jur., 49. – CA Versailles 10.5.1995,
Gaz. Pal. 1996, 1, somm., 147; D. 1996, somm., 249. – Cass. com. 1.12.1998, D. 1999, jur., 331.
– Cass. crim. 25.1.2005, D. 2005, 2461.
Calais-Auloy, Concurrence déloyale et protection des consommateurs, in: FS Serra, Paris
2006, S. 64.
S. jedoch Cass. com. 24.11.2009, CCC 2010, comm. 48; PI 2010, n835, 782.
Zur Aktivlegitimation der Verbraucherverbände gemäß Art. L. 421-1 ff. C. cons., s. unten
S. 319.
Zur Geltendmachung zivilrechtlicher Ansprüche im Falle strafbarer Handlungen, s. unten
S. 318.
Krasser, Rdnr. 136 S. 104.
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IV. Schutz gegen das Ausnutzen fremder Leistungen
französischer Rechtssystematik als eine Art Wiedergutmachung verstanden, die zum
allgemeinen Deliktsrecht gehört. Darüber hinaus sind viele unlautere Verhaltensweisen, die gegen Vorschriften des Code de la consommation oder des Code de commerce
verstoßen, strafrechtlich sanktioniert. 81 Aus deutscher Sicht zeichnete sich das französische Recht des unlauteren Wettbewerbs durch eine verwirrende Vielzahl von unterschiedlichen, sich teilweise überschneidenden Sanktionsmöglichkeiten aus.82
IV. Schutz gegen das Ausnutzen fremder Leistungen
1. Hervorrufen einer Verwechslungsgefahr
Das Hervorrufen einer Verwechslung bzw. Verwechslungsgefahr stellt den ersten und
häufigsten Fall dar, in dem das französische Recht einen wettbewerbsrechtlichen
Schutz gegen das Ausnutzen fremder Leistungen gewährt. Die unter dem Begriff confusion behandelte Tatbestandsgruppe entspricht etwa der vermeidbaren Herkunftstäuschung des deutschen Rechts.
a) Schutz der Unternehmenskennzeichen
Das Ausnutzen fremder Leistungen kann zunächst durch die Benutzung des Kennzeichens eines Mitbewerbers erfolgen. Im Gegensatz etwa zum deutschen Recht83 ist der
Kennzeichenschutz in Frankreich mit Ausnahme des Markenrechts integraler Bestandteil des Wettbewerbsrechts, nicht des Rechts des geistigen Eigentums. Dabei ist
zu beachten, dass hier nur auf den wettbewerbsrechtlichen Schutz, nicht dagegen auf
die markenrechtlichen Vorschriften des Code de la propriété intellectuelle eingegangen
wird. Daher kommen vornehmlich der Handelsname (nom commercial), die Geschäftsbezeichnung (enseigne) und der Domainname (nom de domaine) in Betracht.
Unter dem Handelsnamen (nom commercial) versteht man die Bezeichnung des
kaufmännischen Unternehmens, den Namen, unter dem ein Unternehmen seine geschäftlichen Aktivitäten ausübt. Er ist zu unterscheiden von der Bezeichnung der Person oder der Gesellschaft (dénomination sociale), die das Unternehmen betreibt und
entspricht daher nicht der Firma des deutschen Rechts. Zwar kann ein und dieselbe
Bezeichnung gleichzeitig beide Funktionen erfüllen, es können aber von vornherein
verschiedene Bezeichnungen benutzt werden.84
Der Handelsname kann grundsätzlich frei gewählt werden. 85 Der Namen eines
Dritten darf nur mit dessen Zustimmung in den Handelsnamen aufgenommen werden.
81
82
83
84
85
S. dazu unten S. 315.
Harte-Bavendamm- Henning-Bodewig, Einl. E, Rdnr. 221 S. 327.
S. Länderbericht Deutschland in diesem Band 80 f.
Krasser, Rdnr. 277 S. 202.
Vgl. § 18 Abs. 2 HGB, wonach die Firma keine Angaben enthalten darf, die geeignet sind,
über geschäftliche Verhältnisse, die für die angesprochenen Verkehrskreise wesentlich sind,
irrezuführen.
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249
Länderbericht Frankreich
Der Handelsnamen geht im Falle der Veräußerung auf den Erwerber über.86 Er kann
nicht vom Unternehmen getrennt, sondern nur zusammen mit ihm übertragen werden. Sofern es sich nicht um Personennamen handelt, setzt die Schutzfähigkeit des
Handelsnamens voraus, dass er unterscheidungskräftig ist,87 woran die Rechtsprechung jedoch keine strengen Anforderungen stellt.
Die Geschäftsbezeichnung (enseigne) ist das am Geschäftslokal angebrachte
Kennzeichen, das graphische Zeichen, unter welchem das Unternehmen nach außen
auftritt. Sie stellt daher, wie der Handelsname mit dem sie übereinstimmen kann, ein
Zeichen dar, das die Kundschaft an das Unternehmen bindet (signe de ralliement de la
clientèle). Im Gegensatz zum Handelsnamen kann sie aus einer bildlichen Darstellung
(emblème) bestehen. Im Übrigen unterliegt sie denselben Regeln wie der Handelsname.88
Außer durch den begrenzten strafrechtlichen Schutz des Art. L. 217-1 C. cons.
(früher Gesetz vom 28. Juli 1824)89 ist der Handelsname zivilrechtlich durch die Klage
wegen unlauteren Wettbewerbs geschützt. Unlauter ist die Benutzung des Handelsnamens eines Mitbewerbers, um sich dessen Kundschaft anzueignen. Dabei kann es sich
um die Benutzung einer sowohl übereinstimmenden (reproduction) wie auch nur ähnlichen (imitation) Bezeichnung handeln. Ob die Benutzung des Handelsnamens vorsätzlich oder zufällig ist, spielt dabei keine Rolle.90 Darüber hinaus erstreckt sich der
Schutz gegen die unlautere Benutzung eines Handelsnamens oder einer Geschäftsbezeichnung auf Fälle, in denen die Bezeichnung nicht nur als Handelsname oder Geschäftsbezeichnung eines Konkurrenten gebraucht wird, sondern auch als Domainname.91 Die Wettbewerbsklage setzt in all diesen Fällen die Erstbenutzung des streitigen
Handelsnamens und das Hervorrufen einer Verwechslung oder einer Verwechslungsgefahr voraus.
Hinsichtlich des sachlichen Schutzbereichs setzt die Verwechslungsgefahr zwischen zwei Unternehmen voraus, dass der Handelsname in gleichartigen Tätigkeitsbereichen durch Unternehmen benutzt wird, die ähnliche oder vergleichbare Waren
oder Dienstleistungen anbieten. Daher dürfte zum Beispiel ein Immobilienmakler die
Bezeichnung „Moulin rouge“ als Geschäftsbezeichnung,92 oder ein Hersteller von Le86
87
88
89
90
91
Dagegen bedarf nach deutschem Recht gemäß § 22 Abs. 1 HGB die Fortführung der Firma,
die den Namen des früheren Geschäftsinhabers enthält, der Einwilligung des letzteren oder
dessen Erben.
Serra, Rdnr. 128 S. 25. – Cass. com. 23.1.2007, prop. ind. 2007, comm. 35. – CA Versailles
5.12.1991, D. 1993, somm., 153. S. jedoch Cass. com. 26.5.2004, prop. ind. 2005, comm. 10. –
Cass. com. 10.5.2006, Gardian c. Le Gardien, PIBD 2006, 834, III, 514; PI 2006, n821, 498: „le
caractère original ou distinctif d’une dénomination sociale, d’une enseigne ou d’un nom
commercial (n’est) pas une condition du succès de l’action en concurrence déloyale, mais
seulement un critère éventuel d’appréciation de la faute et du risque de confusion“. S. kritisch
dazu Passa, Anm. PI 2006, n821, 500.
Krasser, Rdnr. 280 S. 204.
S. unten S. 303.
Serra, Rdnr. 130 S. 26.
Cass. com. 7.7.2004, aff. Rennesimmo.com, prop. ind. 2004, comm. 94; CCE 2004, comm.
111; PI 2004, n813, 971.
250
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IV. Schutz gegen das Ausnutzen fremder Leistungen
bensmitteln die Bezeichnung „Negresco“ als Handelsnamen93 benutzen. Dem berühmten Pariser Restaurant „La Tour d’argent“ ist es nicht gelungen, einem Süßwarenhändler zu verbieten, seine Waren unter dieser Bezeichnung zu verkaufen,94 wohl aber einem anderen Restaurant zu untersagen, das sich ebenfalls als Luxus-Restaurant vorstellte, denselben Handelsname zu benutzen, da eine Irreführung der Kunden zu befürchten war.95 Dagegen konnte sich das Restaurant-spectacle „L’éléphant bleu“ nicht
dagegen wehren, dass ein thailändisches Restaurant in Paris die Bezeichnung „Blue
Elephant“ benutzte, da die beiden Restaurants sich nicht an die selbe Kundschaft
wandten, nicht die gleichen Spezialitäten anboten und sich nicht in benachbarten
Stadtvierteln befanden. 96
Dieses letzte Argument betrifft den örtlichen Schutzbereich, der sich auf das Gebiet beschränkt, innerhalb dessen die Benutzung einer übereinstimmenden oder ähnlichen Bezeichnung zu einer Verwechslung der Unternehmen führen kann. Entscheidend sind dabei der Charakter des Unternehmens, der Umfang seines Kundenkreises
und der Bereich seiner Bekanntheit.97 So kann sich der Schutz einer Bezeichnung auf
ganz Frankreich erstrecken,98 der einer anderen auf eine Stadt oder sogar einen Stadtteil beschränken.99 Manche Bezeichnungen, die weltweit berühmt sind, genießen sogar einen quasi absoluten Schutz.100 Ohnehin können sich Unternehmen von vornherein Schutz in ganz Frankreich sichern, indem sie eine Bezeichnung als Marke eintragen.101
Auch wenn die Bezeichnung nicht als Marke eingetragen wurde, bietet das Markenrecht dem Erstbenutzer einen mittelbaren Schutz seines Handelsnamens oder seiner Geschäftsbezeichnung. Art. L. 711-4 CPI schreibt im Hinblick auf markenfähige
Zeichen vor, dass ein Zeichen, das ältere Rechte verletzt, als Marke nicht verwendet
werden kann, „und zwar insbesondere (c) Handelsnamen oder Geschäftsbezeichnungen, die im gesamten Staatsgebiet bekannt sind, wenn für das Publikum Verwechslungsgefahr besteht“.
All diese Lösungen gelten ohne Einschränkungen für Sach- oder Phantasiebezeichnungen. Die Frage stellt sich aber, ob es dem Zweitbenutzer eines Handelsnamens
verboten werden kann, diese Bezeichnung für seine gewerbliche Tätigkeit zu führen,
wenn sie mit seinem bürgerlichen Namen übereinstimmt. Die französischen Recht92
93
94
95
96
97
98
99
100
101
T. civ. Seine 29.6.1954, D. 1954, jur., 599.
Cass. com. 28.4.1987, JCP 1987, IV, 225.
CA Paris 11.7.1973, RTD com. 1974, 84.
Cass. com. 16.6.1992, Gaz. Pal. 19.7.1992, flash.
CA Paris 28.2.1997, RDPI 1997, n873, 57.
Krasser, Rdnr. 288 S. 209.
CA Lyon 25.5.1976, JCP 1977, IV, 43.
CA Aix-en-Provence 2.5.1962, Ann. prop. ind. 1963, 240. – CA Rouen 17.4.1969, RTD com.
1969, 481, n815. – CA Orléans 3.2.1972, RTD com. 1972, 622. – CA Dijon 20.12.1972, JCP
1973, IV, 291. – TGI Lyon 9.5.1994, PIBD 1994, III, 432. – Cass. com. 7.2.1995, RJDA 1995/
6, 794.
Cass. com. 2.11.1966, Gaz. Pal. 1967, 1, 45, „Maxim’s“. – CA Paris 27.11.1959, RIPIA 1960,
33, „Ritz“.
Krasser, Rdnr. 288 S. 210.
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251
Länderbericht Frankreich
sprechung und Lehre gehen davon aus, dass es jedermann frei bleibt, seinen eigenen
Namen als Handelsnamen oder Geschäftsbezeichnung zu benutzen, selbst wenn ein
Mitbewerber den gleichen oder einen verwechselbar ähnlichen Handelsnamen bereits
früher in Gebrauch genommen hat.102 Dies setzt aber voraus, dass der Gebrauch des
bürgerlichen Namens als Handelsnamen nicht dazu bestimmt ist, eine Verwechslung
hervorzurufen oder sich den vom Erstbenutzer erlangten Ruf anzueignen.103 Ist dies der
Fall, wird das Verhalten als unlauter eingestuft und dem Zweitbenutzer der Gebrauch
seines bürgerlichen Namens als Handelsnamen verboten.104
In den Fällen, in denen an der Benutzung des bürgerlichen Namens als Handelsnamen trotz der Benutzungspriorität eines Konkurrenten nichts zu beanstanden ist,
verlangen die französischen Gerichte, dass Vorkehrungen getroffen werden, um eine
Verwechslung zu verhindern. So wird zum Beispiel der Zweitbenutzer aufgefordert,
seinen Vornamen, Angaben über den Ort des Betriebs oder Zeit und Ort der Gründung
des Unternehmens beizufügen.105
Diese Regeln zum Schutz des Handelsnamens gelten auch für die dénomination sociale, d.h. die Bezeichnung der Gesellschaft, die das Unternehmen betreibt.106 Was die
Marke betrifft, setzt die Geltendmachung der Wettbewerbsklage voraus, dass eine zusätzliche, von der Schutzrechtsverletzung unabhängige unlautere Handlung besteht.107
Ein spezieller zivilrechtlicher Schutz besteht allerdings für bekannte Marken.108
In den letzten Jahren haben sich Domainnamen109 als neue Unternehmenskennzeichen durchgesetzt und die Anzahl diesbezüglicher gerichtlicher Entscheidungen hat
102
103
104
105
106
107
108
109
CA Paris 11.10.1990, D. 1993, somm., 116, Revillon.
Krasser, Rdnr. 295 S. 214. – TGI Paris 18.12.1987, D. 1988, jur. 383, bestätigt durch CA Paris
30.5.1988, RDPI 1988, n819, 83. – CA Paris 10.7.1986, Rothschild, JCP 1986, II, 20712. – S.
Agostini, Les agissements parasitaires en droit comparé. Le cas Helmut Rothschild, JCP 1987,
I, 3284.
CA Paris 28.3.1985, Michel Leclerc c. Edouard Leclerc, D. 1986, inf. rap., 86. – CA Paris 3.5.
1993, D. 1995, somm., 212. – CA Aix-en-Provence 19.5.1994, D. 1995, somm., 212.
Cass. com. 17.10.1984, D. 1985, jur., 396. – Cass. com. 5.11.1985, D. 1987, jur., 22. – CA
Colmar 2.3.1990, PIBD 1990, III, 427. – CA Paris 11.10.1990, D. 1990, inf. rap., 265. – CA
Paris 10.11.1992, D. 1995, somm., 213. – Cass. com. 14.1.2003, PIBD 2003, 769, III, 397.
S. z.B. CA Paris 18.4.1989, D. 1993, somm., 117. – Cass. com. 9.3.1999, PIBD 1999, III, 298. –
CA Agen 16.10.2006, prop. ind. 2007, comm. 45. – Le Bihan/Julien-Raes, Etude sur un objet
de propriété intellectuelle malmené: la dénomination sociale, PI 2004, n818, 749.
S. unten S. 264.
S. unten S. 258.
S. Loiseau, Nom de domaine et internet: turbulences autour d’un nouveau signe distinctif, D.
1999, chr., 245. – Roques, Le nom de domaine: un nouveau signe distinctif inquiétant pour les
titulaires de marques, PI 2002, n83, 13. – Tardieu-Guigues, La protection des noms de domaine,
Cah. dr. entr. 2003, n83, 14, und die dort zitierte Rechtsprechung. – Bouvel, La clarification du
régime juridique des noms de domaine, PI 2006, n819, 128. – ders., Actualité du droit des
noms de domaine, prop. ind. 2006, étude 15. – Marino, Internet et concurrence déloyale, CCE
2007, étude 27. – ders., Un an de droit des noms de domaine, CCE 2008, chron. 11 und CCE
2009, chron. 10. – Bouvel/Sardain, Actualité des noms de domaine: le droit tenté par la
diversité, PI 2009, 216. – Dreyfus, La défense des droits de marque face aux nouvelles exten-
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IV. Schutz gegen das Ausnutzen fremder Leistungen
zugenommen. Da der Domainname (noch) keinen immaterialgüterrechtlichen Schutz
im französischen Recht genießt, muss sein Inhaber Schutz gegen eine spätere Benutzung eines gleichen oder ähnlichen Zeichens durch Dritte auf der Grundlage des unlauteren Wettbewerbs suchen. Im Grunde stellt der Domainname ein Kennzeichnen
gleicher Natur wie der Handelsnamen oder die Geschäftsbezeichnung dar und unterliegt daher denselben Regeln.
Zuerst setzt der Schutz des Domainname voraus, dass dieser unterscheidungskräftig
ist. Auch ein nicht unterscheidungskräftiger Domainname kann zwar benutzt und verwertet werden, seine Übernahme seitens eines Konkurrenten kann jedoch nicht untersagt werden, wenn er für die ausgeübte Tätigkeit nur beschreibender Natur (descriptif) ist.110 In dieser Hinsicht besteht derzeit eine Diskrepanz der Rechtsprechung des
14. und 4. Senats der Cour d’appel de Paris. Während der 14. Senat, der für Verfügungsverfahren (référé) zuständig ist, den Schutz für nicht unterscheidungskräftige
Domainname verneint, gewährt der für Hauptsacheverfahren zuständige 4. Senat
den gleichen Zeichen öfter Schutz.111
Der wettbewerbsrechtliche Schutz der Domainnamen beruht, wie der aller geschäftlichen Kennzeichen, darauf, das Hervorrufen einer Verwechslung oder Verwechslungsgefahr zu verhindern. Das Vorhandensein einer Verwechslungsgefahr setzt
aber voraus, dass die in Frage stehenden Zeichen in gleichen oder zumindest ähnlichen
Tätigkeitsbereichen (principe de spécialité, sachlicher Schutzbereich) und im selben
geographischen Bereich (principe de territorialité, örtlicher Schutzbereich) benutzt werden.
Bei der Bestimmung des sachlichen Schutzbereichs hat die französische Rechtsprechung zwei verschiedenen Ansichten vertreten: manche Gerichte vertraten zunächst
die Auffassung, alle Domainname hätten denselben Tätigkeitsbereich (spécialité): das
Internet.112 Dies entspricht einem „abstrakten“ Bestimmungsverfahren, das den Inhalt
der Webseite nicht berücksichtigt, auf die der Domainname hinweist. Dem folgte allerdings die Cour de cassation in ihrer Entscheidung vom 13.12.2005 nicht, die dem
„konkreten“ Bestimmungsverfahren des sachlichen Schutzbereichs den Vorzug gibt.
110
111
112
sions de noms de domaine, CCE 2009, étude 11. – Haas, Un an de jurisprudence française sur
les noms de domaine, prop. ind. 2009, chron. 4. – Savary/Dubuisson, Le régime du nom de
domaine, Defrénois 2009, 38921.
S. z.B. Bouvel, La clarification du régime juridique des noms de domaine, PI 2006, n819, 133. S.
aus der Rechtsprechung CA Douai 9.9.2002, PIBD 2003, 766, III, 332; PI 2003, n89, 451: kein
Schutz für den Domainname boistropicaux.com gegen bois-tropicaux.com, da beide Domainname eine Website kennzeichnen, die dem Handel von Tropenholz gewidmet sind.
S. z.B. den Fall tarif-douanier.com c. tarifdouanier.com (nur ein Bindestrich macht den
Unterschied), CA Paris 14e ch. 5.3.2003, SA Tracing Server c. stéConex, D. 2004, somm.,
1158 (Schutz verwehrt); contra CA Paris 4e ch. 15.2.2006, SA Tracing Server c. stéConex,
PIBD 2006, 829, III, 345 (Schutz zugesagt). S. auch CA Paris 28.1.2004, prop. ind. 2004,
comm. 72: lhotellerie.fr et hotellerie.fr, pour des activités hôtelières.
TGI Bordeaux 5.1.1999, PIBD 1999, 672, III, 126. – TGI Paris 25.5.1999, PIBD 1999, 685, III,
451. – TGI Nanterre 18.1.1999, PIBD 1999, 673, III, 147. – TGI Nanterre 10.1.2000, D.
2000, 117.
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Länderbericht Frankreich
Danach müssen die Produkte und Dienstleistungen berücksichtigt werden, die die
Webseite fördert, auf die der Domainname hinweist.113
Was den örtlichen Schutzbereich betrifft, bereitet auch der Domainname mehr
Schwierigkeiten als andere geschäftlichen Kennzeichen. So wurde zuerst die Ansicht
vertreten, der Domainname sei überall zu schützen, wo die Webseite, auf die er hinweist, von Internetbenutzern zugänglich ist.114 In dem berühmten Fall Hugo Boss hat
aber die Cour de cassation auf das von der Webseite angesprochene Publikum abgestellt und somit einem restriktiven und objektiven Beurteilungskriterium den Vorrang
gewährt.115
b) Anlehnung an andere Merkmale der Mitbewerber
Über die Kennzeichen hinaus können auch Verwechslungen zwischen den Unternehmen durch Anlehnung an andere Merkmale wie zum Beispiel die Aufmachung entweder des Geschäftslokals oder der angebotenen Waren hervorgerufen werden. Die
Aufmachung des Unternehmens übt oft einen entscheidenden Einfluss auf die Kundschaft aus. Wird sie von einem Konkurrenten imitiert, so kann diese Nachahmung
wettbewerbsrechtlich sanktioniert werden. Dies setzt erstens voraus, dass die Aufmachung wettbewerbliche Eigenart aufweist. So wurde zum Beispiel die Wettbewerbsklage in einem Fall zurückgewiesen, in dem die äußere Erscheinung von zwei Restaurants
sich aus Tendenzen der Mode ergab.116 Die Schutzfähigkeit eines Dekors wurde von
den Gerichten davon abhängig gemacht, dass es „charakteristisch genug“ ist.117 Der
wettbewerbsrechtliche Schutz der Aufmachung setzt zweitens voraus, dass die Ähnlichkeit ausreichend ist, um eine Irreführung der Kundschaft zu schaffen.118 Die Nach113
114
115
116
117
118
Cass. com. 13.12.2005, sté Soficar c. sté Le tourisme moderne, D. 2006, 63; CCE 2006, comm.
21; prop. ind. 2006, comm. 26; PIBD 2006, 824, III, 149. Hinsichtlich der Frage, ob die
Benutzung einer Bezeichnung als Domainname das Recht des Markeninhabers verletzt,
der diese Bezeichnung als Marke eingetragen hat, hat die Cour de cassation ausgeführt:
„un nom de domaine ne peut contrefaire par reproduction ou imitation une marque antérieure (…) que si les produits et services offerts sur ce site sont soit identiques, soit similaires à
ceux visés dans l’enregistrement de la marque“. S. auch TGI Paris 23.3.1999, D. 2000, 131. –
CA Versailles 14.9.2000, PIBD 2000, 709, III, 579. – TGI Nanterre 2.4.2001, RIPIA 2001,
n8204, 28. – CA Paris 28.11.2001, RJDA 2002, n8827.
Cass. civ. 9.12.2003, Roederer, CCE 2004, comm. 40; D. 2004, 276; JCP 2004, II, 10055. S.
auch TGI Nanterre 13.10.1997, JCP ed. E 1999, I, 954. – Cass. com. 7.3.2000, CCE 2000,
comm. 75. – TGI Créteil 2.3.2004, PIBD 2004, 788, III, 361. – TGI Paris 4.2.2005, CCE 2005,
comm. 117; prop. ind. 2005, comm. 31; PI 2005, n815, 206; D. 2005, 1037.
Cass. com. 11.1.2005, Hugo Boss, CCE 2005, comm. 37; D. 2005, 429; PI 2005, n815, 203. S.
auch TGI Paris 11.2.2003 und11.3.2003, CCE 2003, comm. 118. – TGI Paris 28.3.2003, JCP
ed. E 2003, 1170. – TGI Paris 26.5.2004, PIBD 2004, 793, III, 528.
CA Paris 7.5.1986, D. 1997, somm., 263.
CA Paris 30.11.1983, Ann. prop. ind. 1983, 162.
CA Paris 24.10.1964, D. 1965, jur., 248. – CA Paris 21.10.1987, PIBD 1988, III, 111. – TGI
Paris 21.2.1996, FNAC c. Centres Leclerc, D. 1997, somm., 107; CCC 1996, comm. 42.
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IV. Schutz gegen das Ausnutzen fremder Leistungen
ahmung kann auch die innere Aufmachung (présentation intérieure) des Geschäfts betreffen.119
Nicht nur die Aufmachung des Geschäfts, sondern auch die der angebotenen Waren kann von einem Konkurrenten nachgeahmt werden. Es handelt sich meistens um
die Nachahmung der Etiketten120 oder der Verpackung,121 aber auch um die äußere
Aufmachung des Produktes im allgemeinen.122 Die bloße Verwendung einer ähnlichen
Farbe für Waren, die sich an den gleichen Verbraucherkreis wenden reicht dagegen
nicht aus, um unlauteres Wettbewerb zu begründen.123
Letztlich stellt die Werbung ein wichtiges Mittel dar, um die Aufmerksamkeit der
Kundschaft anzuziehen. Unter Werbemitteln versteht man nicht nur Werbesprüche
(slogans), sondern auch Plakate124, Prospekte125 und Kataloge126. Unabhängig von einem möglichen urheberrechtlichen127 oder markenrechtlichen128 Schutz kann die
Nachahmung von Werbemitteln wettbewerbsrechtlich sanktioniert werden. Es muss
aber vom Grundsatz ausgegangen werden, dass die Werbeidee als solche nicht schutzfähig ist129. Die französische Rechtsprechung hält daher die Nachahmung von Werbemitteln für unlauter, wenn sie dazu bestimmt ist, eine Verwechslung mit konkurrieren-
119
120
121
122
123
124
125
126
127
128
129
CA Paris 25.6.1997, PIBD 1997, III, 596.
CA Paris 25.2.1983, JCP 1985, IV, 169. – Cass. com. 10.2.1987, D. 1987, inf. rap., 39. – CA
Paris 22.10.1987, D. 1988, somm., 396. – Cass. com. 11.10.1988, D. 1988, inf. rap., 246. – CA
Paris 9.6.1993, PIBD 1993, 553, III, 627. – TGI Paris 17.2.1993, PIBD 1993, 547, III, 407. –
Cass. com. 23.11.1993, JCP 1994, IV, 272. – CA Colmar 13.5.1994, D. 1995, jur., 96. – TGI
Bordeaux 23.6.1997, RDPI 1997, n879, 44. – CA Paris 20.10.2000, PIBD 2001, III, 358.
Cass. com. 17.10.1984, D. 1985, jur., 396. – CA Paris 26.2.1985, D. 1986, inf. rap., 91. – TGI
Paris 3.7.1987, D. 1988, somm., 396. – CA Paris 18.5.1989, JCP ed. E 1989, I, 18706. – CA Paris
17.5.1993, PIBD 1993, 550, III, 522. – CA Paris 20.9.1993, PIBD 1993, 556, III, 713. – Cass.
com. 12.7.1993, PIBD 1993, 555, III, 686; D. 1994, somm., 78. – CA Paris 1.12.1994, PIBD
1995, III, 155. – CA Paris 17.10.1997, PIBD 1998, III, 91. – CA Paris 10.12.1997, PIBD 1998,
III, 181. – CA Paris 3.4.1998, D. 1999, somm., 95. – Cass. com. 17.3.2004, Bridel c. Danone,
prop. ind. 2004, comm. 83; JCP 2004 ed. E, 1739. – Cass. com. 10.5.2006, PIBD 2006, 834,
III, 515.
Cass. com. 12.7.1993, D. 1994, somm., 79 – CA Paris 27.9.1993, D. 1994, somm., 77. – CA
Paris 22.2.1995, D. 1996, somm., 250. – CA Paris 3.4.1998, D. 1999, somm., 95. – Cass. com.
19.9.2006, PIBD 2006, 842, III, 835.
Cass. com. 3.10.2006, PIBD 2006, 842, III, 832.
CA Paris 29.9.1995, Guerlain c. Bosch, D. 1996, somm., 251.
CA Paris 27.1.1982, Gaz. Pal. 1982, 2, somm., 300.
Cass. com. 26.2.1985, JCP 1985, IV, 169.
Lucas/Lucas, Traité de la propriété littéraire et artistique, 3. Aufl. 2006, Rdnr. 107 S. 91.
Corone, La protection du slogan publicitaire par les marques, Légicom 1997/15, 73. Vgl. Passa,
Titres et slogans: entre marque et droit d’auteur, PI 2005, 31 ff.
CA Paris 28.11.1958, Ann. prop. ind. 1959, 186. – Cass. com. 16.6.1964, Ann. prop. ind. 1965,
279. – Cass. civ. 18.10.1977, RTD com. 1978, 566. – CA Versailles 24.11.1994, D. 1995,
somm., 262.
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Länderbericht Frankreich
den Unternehmen oder Produkten hervorzurufen.130 Der wettbewerbsrechtliche
Schutz setzt zuerst voraus, dass das Werbemittel eine gewisse Eigenart aufweist.131 Zudem stellt die Übernahme des Werbemittels ein unlauteres Wettbewerbsverhalten nur
insoweit dar, als eine Irreführung der Kundschaft vorliegt.132 Letztlich wird ein Schutz
gegen technisch bedingte Übereinstimmungen nicht gewährt.133 In Fällen, wo die Kläger nicht in einem Wettbewerbsverhältnis stehen, wird der Schutz gegen die Nachahmung von Werbemitteln auf der Grundlage des parasitisme134 gewährt, da die Nachahmung in diesem Fall bezweckt, von Werbekampagnen eines anderen Kosten sparend
zu profitieren.135
c) Nachahmung fremder Leistungen
Ausgangspunkt der Diskussion ist der Grundsatz der Nachahmungsfreiheit, der sich
aus der Gewerbefreiheit ergibt. Danach stellt die Nachahmung einer fremden Leistung, die nicht durch ein sondergesetzliches Ausschließlichkeitsrecht geschützt ist,
als solche keine Handlung unlauteren Wettbewerbs dar.136 Vielmehr bedarf die Wettbewerbsklage zu ihrem Erfolg des Nachweises zusätzlicher Umstände, die auf ein unlauteres Verhalten hinweisen.137 In den meisten Fällen ergibt sich die Unlauterkeit aus
einer durch die Nachahmung hervorgerufenen Verwechslungsgefahr. Als Maßstab einer solchen Verwechslung dient der durchschnittlich aufmerksame Käufer, der nicht
gleichzeitig beide Produkte vor Augen hat.138 So wurde zum Beispiel eine Verwechslung zwischen Flaschen,139 Uhren,140 Parfums,141 Zelten,142 Zeitschriften,143 Fernseh130
131
132
133
134
135
136
137
138
139
Cass. com. 19.7.1965, D. 1965, jur., 763. – CA Paris 29.10.1981, PIBD 1982, III, 124. – CA Paris
27.6.1994, D. 1995, somm., 213. – CA Paris 24.5.1995, D. 1996, somm., 252. – CA Paris 29.9.
1995, D. 1996, somm., 251. – CA Paris 26.6.1996, D. 1997, somm., 236.
CA Paris 22.4.1969, JCP 1970, II, 16148; D. 1970, jur., 214. – CA Paris 17.11.1992, JCP ed. E
1993, II, 418.
CAVersailles 24.11.1994, D. 1995, somm., 262. – Cass. com. 27.6.1995, D. 1996, somm., 251.
CA Paris 9.10.1954, Ann. prop. ind. 1954, 220. S. jedoch Cass. com. 19.92006, PIBD 2006,
842, III, 833, ergangen in einem Fall, wo die Cour d’appel d’Amiens die Ähnlichkeiten der
Werbung des Konkurrenten für technisch bedingt gehalten hatte. Die Entscheidung wird mit
der Begründung aufgehoben, die Cour d’appel hätte prüfen sollen, ob die beanstandeten
Ähnlichkeiten eine Verwechslungsgefahr zwischen beiden Konkurrenten hervorrufen.
S. unten S. 260.
Cass. com. 30.1.1996, D. 1997, jur., 232.
Serra, Rep. com. Dalloz, 2004, Rdnr. 140. – Passa, Propos dissidents sur la sanction du
parasitisme économique, D. 2000, chr., 297.
CA Versailles 29.3.2001, D. 2002, somm., 1259. – CA Lyon 8.1.2004, prop. ind. 2004,
comm. 67.
Cass. com. 29.11.1960, Ann. prop. ind. 1961, 309. – Cass. com. 14.6.1976, Ann. prop. ind.
1977, 235. – Cass. com. 4.10.1977, Ann. prop. ind. 1979, 96. – Cass. com. 4.2.1979, Ann.
prop. ind. 1980, 276. – Cass. com. 4.1.1984, Ann. prop. ind. 1984, 93. – CA Paris 27.9.1993, D.
1994, somm., 78. – Cass. com. 3.7.2001, PIBD 2001, 731, III, 612.
Cass. com. 31.3.1965, Bull. civ. III Nr. 245.
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IV. Schutz gegen das Ausnutzen fremder Leistungen
sendungen,144 Schuhen145 oder kosmetischen Produkten146 bejaht und die Nachahmung in diesen Fällen als unlautere Wettbewerbshandlung angesehen. Dabei spielt
es keine Rolle, ob die Verwechslungsgefahr bewusst hervorgerufen wurde oder ob der
Nachahmer nichts unternommen hat, um die Verwechslung zu verhindern. Das Verschulden im Sinne einer Fahrlässigkeit ergibt sich hier schon aus der Tatsache, dass ein
Konkurrent ein Produkt auf den Markt bringt, ohne sich zuvor zu vergewissern, ob ein
solches Produkt in identischer Form bereits angeboten wird und er dadurch eine Verwechslungsgefahr erzeugt.147
Die auch sklavische Nachahmung eines Produkts stellt aber keinen unlauteren
Wettbewerb dar, wenn sie aus einer zweckmäßigen oder technischen Notwendigkeit
hervorgeht.148 Das gleiche gilt wenn die Ähnlichkeit auf eine Standardisierung von
Produkten zurückzuführen ist, da diese geschäftliche Praxis als solche nicht unlauter
ist.149 Dass die für das Produkt eines Konkurrenten hergestellten Teile durch andere
eines vergleichbaren Produkts ersetzt werden können, stellt für sich allein kein unlauteres Wettbewerbsverhalten dar. So kann ein Hersteller seine Produkte in einer Art
und Weise entwerfen, dass sie uneingeschränkt zusammen mit Produkten eines anderen Unternehmens verwendet werden können (sog. Einschieben in eine fremde Serie).150 Die Cour de cassation hat in diesem Zusammenhang im Fall Lego 1994 entschieden, dass das Streben nach einer Vereinbarkeit (compatibilité) zwischen den eigenen Produkten und denen eines Konkurrenten als solches keine unlautere Wettbewerbshandlung darstellt.151 Diese Entscheidung ist umso interessanter, als dieser
Rechtsstreit auch in Deutschland ausgetragen wurde und zu einer abweichenden Entscheidung des BGH führte.152 Die Frage, ob das gezielte Herbeiführen von Kompatibilität mit den Produkten anderer Anbieter unter wettbewerbsrechtlichen Gesichts140
141
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145
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149
150
151
152
Cass. com. 4.1.1984, Bull. civ. IV Nr. 8.
Cass. com. 6.5.1991, RJDA1991, n8571.
Cass. com. 16.1.2001, CCC 2001, comm. 59.
CA Paris 14.5.1992, D. 1993, somm., 154.
CA Versailles 11.3.1993, Gaz. Pal. 1993, 1, 141.
CA Paris 27.9.1993, D. 1994, somm., 78.
CA Paris 3.4.1998, D. 1999, somm., 95.
Knöbl, Alternative Schutzmöglichkeiten für die urheberrechtliche „kleine Münze“ in Frankreich, UFITA 2002 /I, S. 73. S. z.B. Cass. com. 12.11.1986, D. 1988, somm., 212. – CA Paris
22.10.1987, D. 1987, inf. rap., 230. – CA Paris 27.9.1993, D. 1994, somm., 78.
CA Paris21.1.1977, Ann. prop. ind. 1978, 113. – Cass. com. 27.2.1990, RTD com. 1990, 386. –
Cass. com. 6.4.1999, PIBD 1999, 678, III, 251. – Cass. com. 16.5.2000, D. 2001, somm., 1309;
CCC 2000, comm. 160.
Cass. com. 7.3.1989, D. 1990, somm., 76.
Vogel, Rdnr. 34, S. 61. S. z.B. Cass. com. 16.5.2000, JCP ed. E 2000, 1112; D. 2001, somm.,
1309; JCP ed. E 2001, 1189.
Cass. com. 29.3.1994, Lego c. Tomy France, GRUR Int. 1995, 505. S. auch CA Versailles
25.11.1998, Ann. prop. ind. 1999, 239. – CA Paris 12.2.1999, PIBD 1999, III, 290. – CA Paris
17.9.1999, CCC 1999, comm. 176. – CA Paris 19.4.2000, PIBD 2000, III, 461. – CA Paris
18.10.2000, D. 2001, 850. – Cass. com. 16.5.2000, Bull. IV Nr. 103; D. 2001, somm., 1309.
BGH 7.5.1992, Klemmbausteine II, GRUR 1992, 619.
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Länderbericht Frankreich
punkten zu beanstanden ist, wird also in Frankreich anders als in Deutschland beantwortet.153
2. Wettbewerbslicher Leistungsschutz ohne Verwechslungsgefahr
a) Schutz berühmter Marken154
Berühmte Marken haben immer die Begehrlichkeit unredlicher Unternehmen angezogen. Sie sind dadurch gekennzeichnet, dass sie einem breiten Teil des Publikums
bekannt sind und eine eigene Anziehungskraft unabhängig von den Waren und
Dienstleistungen, die sie kennzeichnen, besitzen. Ein Schutz gegen ihre Verwendung
für Waren und Dienstleistungen, die in der Eintragung nicht aufgeführt sind, steht dem
Grundsatz der spécialité entgegen. Danach beschränkt sich der Markenschutz grundsätzlich auf den Bereich der Waren- und Dienstleistungskategorien, für welche durch
die Eintragung eine ausdrückliche Inanspruchnahme der Marke erfolgt ist. Jedoch gewähren französische Gerichte schon lange dem Inhaber einer bekannten Marke oder
eines bekannten Handelsnamens auch dann wettbewerbsrechtlichen Schutz, wenn die
Benutzung ihres Kennzeichens durch einen Nichtwettbewerber erfolgt.155 Damit genießen berühmte Marken einen erweiterten Schutz gegen die Ausnutzung ihrer Unterscheidungskraft oder Wertschätzung.156
153
154
155
156
S. dazu Kur, Wettbewerbsrechtlicher Nachahmungsschutz gegen kompatible Produkte?
GRUR Int. 1995, 469. S. jedoch BGH 2.12.2004, Klemmbausteine III, GRUR 2005, 349,
wo ein ergänzender Leistungsschutz als solche nicht verneint wurde, der Frist aber im Streitfall abgelaufen war.
Bonet, La protection des marques notoires dans le Code de la propriété intellectuelle, FS
Foyer, Paris 1997, S. 189. – Laporte-Legeais, Clair-obscur sur la marque renommée: 10 ans
d’application de la loi du 4 janvier 1991, JCP 2001 ed. E, 1514. – Pollaud-Dulian, Marques de
renommée; histoire de la dénaturation d’un concept, PI 2001, n81, 43 ff. – Bouvel, Principe de
spécialité et signes distinctifs, Paris 2004, S. 357 ff. – Bonet, Des cigarettes aux parfums,
l’irrésistible ascension de l’appellation d’origine Champagne vers la protection absolue, PI
2004, n813, 853. – Meunier-Coeur, Notoriété et renommée de la marque, prop. ind. 2006,
Etude 12. – Münch, Rufbeeinträchtigung – Rufausnutzung – Verwässerung von Marken. Der
erweiterte Schutz bekannter Marken in Frankreich und Deutschland in rechtsvergleichender
Perspektive, 2007. – Lachacinski/Fajgenbaum, Quelle marque notoire ou renommée au XXIe
siècle?, Légicom 2010, n844, 39 ff.
Krasser, Rdnr. 256 S. 187. S. aus der älteren Rechtsprechung CA Paris 24.11.1959, RIPIA
1960, 33. – CA Paris 3.11.1958, Ann. prop. ind. 1959, 17; GRUR Int. 478. – CA Aix-enProvence 12.5.1964, Gaz. Pal. 1964, 2, 404. – TGI Paris 25.10.1969 und CA Paris 19.10.1970,
Mazda, Ann. prop. ind. 1971, 4. – CA Versailles 4.3.1986, Vuitton, D. 1987, somm., 59.
Zahlreiche Entscheidungen aus den 80er Jahren stellten aber noch auf die Verwechslungsgefahr ab. S. z.B. CA Paris 13.6.1980, Gaz. Pal. 1980, 2, jur., 776, Pastis 51 und Pastis 69. – CA
Paris 21.2.1989, D. 1989, inf. rap., 90, American Business Company c. American Express
Company.
CA Versailles 3.11.1988, D. 1993, somm., 116.
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IV. Schutz gegen das Ausnutzen fremder Leistungen
Das neue französische Markengesetz vom 4.1.1991 hat diese Rechtsprechung bestätigt: gemäß Art. L. 713-5 CPI begründet die Verwendung einer bekannten Marke
(marque jouissant d’une renommée) für Waren und Dienstleistungen, die nicht denen
ähnlich sind, für die die Marke eingetragen ist, die zivilrechtliche Haftung des dafür
Verantwortlichen, wenn sie geeignet ist, dem Markeninhaber Schaden zuzufügen oder
wenn diese Verwendung eine ungerechtfertigte Ausnutzung der Marke darstellt. Diese Regelung wird in Abs. 2 auf notorisch bekannte Marken im Sinne des Art. 6bis PVÜ
erstreckt. Damit hat sich der französische Gesetzgeber dafür entschieden, den Tatbestand der Markenrechtsverletzung nicht auszudehnen, sondern dem Inhaber einer bekannten Marke eine deliktsrechtliche Klage gegenüber demjenigen zu gewähren, der
diese Marke ungerechtfertigt verwendet. Trotz seiner Regelung im Markengesetz handelt es sich also hier nicht um einen markenrechtlichen, sondern um einen wettbewerbsrechtlichen bzw. zivilrechtlichen Schutz.157
Mit dieser Regelung hat der französische Gesetzgeber auch von der in Art. 5 Nr. 2 der
Richtlinie 89/104 / EWG des Rates vom 21.12.1988 zur Angleichung der Rechtsvorschriften der Mitgliedstaaten über die Marken eröffneten Möglichkeit Gebrauch gemacht. Wie kürzlich vom EuGH entschieden, ist diese Vorschrift dahin auszulegen, dass
das Vorliegen einer unlauteren Ausnutzung der Unterscheidungskraft oder der Wertschätzung der Marke im Sinne dieser Bestimmung das Bestehen einer Verwechslungsgefahr nicht voraussetzt. Nach Ansicht des EuGH handele es sich um eine unlautere
Ausnutzung der Unterscheidungskraft oder Wertschätzung einer Marke durch einen
Dritte, wenn die Benutzung der Marke bzw. eines ähnlichen Zeichens darauf abzielt, sich
in den Bereich der Sogwirkung dieser Marke zu begeben, um ohne eigene Anstrengungen von ihrer Anziehungskraft, ihrem Ruf und ihrem Ansehen zu profitieren.158
Die Auslegung des Art. L. 713-5 CPI bereitet aber Schwierigkeiten, wie die im Fall
Olymprix ergangenen Entscheidungen zeigen. Kläger war das Comité national olympique
et sportif français (CNOSF), Inhaber der berühmten Marke „Jeux olympiques“, das sich
gegen die Benutzung der Bezeichnung „Olymprix“ durch eine Supermarktkette wehrte. Sowohl in erster wie in zweiter Instanz wurde der Klage des CNOSF auf der Grundlage des Art. L. 713-5 CPI stattgegeben.159 Die Cour de cassation hob jedoch das Urteil
des Berufungsgerichts mit dem Argument auf, Art. L. 713-5 beträfe die Benutzung nur
einer gleichartigen (emploi), nicht aber einer bloß ähnlichen (imitation) Bezeichnung.160 Nach Verweisung (renvoi) bestätigte die Cour d’appel de Paris diese Ansicht,
wies aber auch die zusätzliche wettbewerbsrechtliche Klage (action en responsabilité
pour parasitisme) zurück, da Art. L. 713-5 CPI eine spezifische Haftungsklage vorsähe,
die die Anwendung der allgemeinen Wettbewerbsklage auf der Grundlage des
Art. 1382 C. civ. für den gleichen Sachverhalt (d.h. ohne zusätzliche, eine solche Klage begründenden Umstände) ausschließe.161 Nachdem erneut Revision eingelegt wur157
158
159
160
161
CA Paris 29.9.1995, Guerlain, D. 1996, somm, 251. Zum Schutz der berühmten Marke gegen
deren Verwendung als Domainname, s. z.B. CAVersailles 27.4.2006, Milka B. c. Kraft Foods,
PIBD 2006, 834, III, 505.
EuGH 18.6.2009 C-487/07 – L’Oréal c. Bellure, GRUR 2009, 759.
CA Versailles 15.1.1997, PIBD 1997, 644, III, 654.
Cass. com. 29.6.1999, PIBD 1999, 683, III, 387.
CA Paris aud. sol. 8.11.2000, JCP ed. E 2001, 227; PI 2001, n81, 85; CCE 2001, comm. 4.
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de, äußerte sich die Cour de cassation zum zweiten Mal zu diesem Sachverhalt. Sie
folgte der Cour d’appel, Art. L. 713-5 CPI sei nur auf Fälle einer Verwendung der Marke (emploi), nicht aber einer imitation anwendbar. Sie hob aber die Entscheidung der
Cour d’appel im Hinblick auf die zweite Frage auf: die imitation einer berühmten Marke
sei ein „fait distinct“ und begründe daher eine andere Klage auf der Grundlage der
allgemeinen Haftungsvorschriften.162
Diese Rechtsprechung wurde im Schrifttum kritisiert, weil sie mit derjenigen des
EuGH nicht vereinbar sei. Denn in seiner Entscheidung „Adidas I“ vom 23.10.2003
hat der EuGH ausgesprochen, dass der in Art. 5 Nr. 2 der Markenrechtsrichtlinie 89/
104 / EWG vorgesehene, wenn auch von den Mitgliedsstaaten nicht zwingend zu übernehmende Schutz der bekannten Marke sich auf die Benutzung sowohl einer übereinstimmenden als auch nur ähnlichen Bezeichnung erstrecke.163 Die Kritik blieb nicht
ohne Einfluss auf die Rechtsprechung. Gerichte sowohl der ersten wie auch der zweiten Instanz gewährten in später ergangenen Entscheidungen den Schutz des Art. L.
713-5 CPI gegen die Benutzung einer nur ähnlichen Bezeichnung164. In einem die Marke Cartier betreffenden Fall hat die Cour de cassation neuerdings diese Ansicht bestätigt und ihre frühere Rechtsprechung Olymprix damit aufgegeben165.
b) Schutz gegen Rufausbeutung und Investitionsschutz: parasitisme
Die Nachahmung fremder Leistungen wird in Frankreich auch unabhängig von dem
Hervorrufen einer Verwechslungsgefahr wettbewerbsrechtlich sanktioniert. Das unlautere Verhalten besteht in diesen Fällen in der Aneignung der Anstrengungen eines
anderen, die zu einer Durchbrechung der Wettbewerbsgleichheit und einer Störung
des freien Wettbewerbs führt.166 Die Unlauterkeit wird also nicht nur bei Entstehen
162
163
164
165
166
Cass. com. 11.3.2003, prop. ind. 2003, comm. 56; CCE 2003, comm. 105; PI 2003, n87, 229,
und nach Zurückverweisung CA Orléans aud. sol. 2.7.2004, PI 2004, n813, 973; CCE 2004,
comm. 101; GRUR Int. 2005, 855, bestätigt durch Cass. com. 31.10.2006, prop. ind. 2006,
comm. 3. S. dazu Fajgenbaum, Fin de partie et médaille d’or pour le Comité olympique et
sportif français dans l’affaire Olymprix, PI 2007, n822, 10 ff. – Vilmart, La marque renommée,
mieux protégée par la Cour de cassation contre les imitations par le droit commun que par
l’article L. 713-5 du CPI, prop. ind. 2003, chr. 13.
EuGH 23.10.2003, C – 408/01 Adidas, GRUR 2004, 58. S. dazu Passa, La Cour de justice
sonne le glas de la jurisprudence Olymprix, D. 2004, jur., 341. – Buffet Delmas d’Autane, La
protection des marques renommées à l’épreuve de la jurisprudence de la Cour de cassation, D.
2000, jur., 185. – Bonet, L’arrêt Adidas de la Cour de justice: du nouveau sur la protection de la
marque renommée, PI 2004, n811, 593.
CA Paris 30.6.2004, PIBD 2004, 794, III, 560; PI 2005, n816, 362. – TGI Paris 5.11.2004, PI
2005, n816, 362. S. schon von der letzten Entscheidung der Cour de cassation im Fall Olymprix, CA Paris 23.5.2001, PIBD 2001, 731, III, 594. – CA Paris 27.3.2002, D. 2003, jur., 1428.
Cass. com. 12.7.2005, sté Cartier c. sté Oxipas, CCE 2005, comm. 151; PI 2005, n817, 475;
prop. ind. 2005, comm. 75; D. 2005, 2074. – S. auch in diesem Sinn Cass. com. 20.2.2007,
prop. ind. 2007, comm. 58.
Serra, Rep. com. Dalloz 2004, Rdnr. 145.
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IV. Schutz gegen das Ausnutzen fremder Leistungen
einer Verwechslungsgefahr anerkannt, sondern auch dann, wenn jemand sich durch
eine sklavische Nachahmung Mühe, Kosten oder Forschungsarbeiten erspart, um auf
diese Weise einen ihm nicht zustehenden Wettbewerbsvorsprung zu erlangen.167
Diese Fallgruppe der parasitären Imitation wurde in den 70er Jahren durch die
Rechtsprechung vor allem im kennzeichenrechtlichen Bereich entwickelt168 und entsprach am Anfang etwa der Rufausbeutung durch Anlehnung des deutschen Wettbewerbsrechts. Dieselbe Rechtsprechung wurde auch in der ersten Zeit zum Schutz gegen
das Nachpressen von Schallplatten angewandt, als es zugunsten der Schallplattenhersteller noch kein urheberrechtliches verwandtes Schutzrecht gab.169 Das Nachpressen
von Schallplatten wurde auch ohne Verwechslungsgefahr von den Gerichten als unlautere Wettbewerbshandlung angesehen, da es sich um eine nichtgenehmigte Nutzung von geistigen und finanziellen Anstrengungen eines anderen handelte.170
Die wettbewerbsrechtliche Sanktionierung der parasitären Imitation wurde dann
im Laufe der 80er Jahre auf die Nachahmung von Produkten und Leistungen aller Art
ausgedehnt.171 Französische Gerichte hielten die (auch nicht sklavische) Nachahmung immer dann für ein parasitäres Verhalten, wenn sie darauf abziele, Kosten und
Zeit zu sparen.172 Seit den 90en Jahren ist der Begriff des parasitisme im französischen
Recht fest verankert: er kommt in zahlreichen gerichtlichen Entscheidungen zur Anwendung, die durch die herrschende Meinung bestätigt werden.173 Die Cour de cassation hält für parasitär und daher unlauter jede Handlung, durch welche sich ein wirtschaftlicher Akteur der Leistungen eines anderen bedient, um das geschaffene Knowhow für sich zu nutzen, ohne selbst entsprechende Aufwendungen zu machen.174 Die
167
168
169
170
171
172
173
174
Buydens, Produktpiraterie und unlauterer Wettbewerb, GRUR Int. 1995, 21.
CA Paris 19.10.1970, Ann. prop. ind. 1971, 1. – CA Paris 9.12.1980, PIBD 1981, III, 100.
Die verwandten Schutzrechte wurden durch die Urheberrechtsnovelle von 1985 eingeführt.
Buydens, S. 22. – CA Paris 5.5.1969, JCP 1970, II, 16386. – TGI Paris 7.4.1977, RIDA 1979,
Nr. 99, 182. – CA Paris 6.10.1978, Ann. prop. ind. 1980, 37. – CA Paris 10.5.1979, Ann. prop.
ind. 1981, 218. – TGI Paris 19.3.1980, RIDA 1980, Nr. 106, 132. – Cass. com. 6.5.1981, Bull.
civ. IV Nr. 211.
Cass. com. 18.1.1982, Bull. civ. IV Nr. 19. – CA Paris 25.3.1982, D. 1983, inf. rap., 97. – Cass.
com. 3.6.1986, D. 1988, inf. rap., 212. – CA Paris 26.10.1987, D. 1988, somm., 396. – CA Lyon
26.10.1989, D. 1992, somm., 313. – CA Paris 23.11.1989, D. 1990, somm., 188. – CA Paris
20.12.1989, D. 1991, somm., 91. – CA Paris 14.5.1990, D. 1992, somm., 313. – CA Paris 15.5.
1990, D. 1992, somm., 312. – CA Paris 14.5.1992, D. 1993, somm., 154. – CA Paris 25.2.1992,
D. 1993, somm., 154. – CA Versailles 26.9.1991, D. 1992, somm., 344.
CA Paris 24.11.1988, PIBD 1989, 455, III, 276. – CA Paris 16.2.1989, PIBD 1989, 459, III, 398.
– CA Paris 18.5.1989, D. 1990, jur., 340.
Le Tourneau, Le parasitisme, Litec 1998. – Burst, Concurrence déloyale et parasitisme, Dalloz
1993. – Izorche, Les fondements de la sanction de la concurrence déloyale et du parasitisme,
RTD com. 1998, 17. – ders., Concurrence déloyale et parasitisme économique, in: Serra
(Hrsg.), La concurrence déloyale. Permanence et devenir, Paris 2001, 27 ff. – Malaurie-Vignal,
Le parasitisme des investissements et du travail d’autrui, D. 1996, chr., 177.
Cass. com. 26.1.1999, D. 2000, jur., 87. See auch CA Aix-en-Provence 17.4.2002, prop. ind.
2004, comm. 19. – CA Paris 14.6.2006, PI 2006, n821, 463. – CA Paris 9.4.2009, PI 2009,
n833, 444.
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Rechtsprechung zum parasitären Wettbewerb geht davon aus, dass es unlauter ist, unentgeltlich von kreativen, werbemäßigen oder finanziellen Anstrengungen eines anderen zu profitieren.175 Dies gelte auch dann, wenn kein Wettbewerbsverhältnis zwischen den beiden Betroffenen besteht.176
Ende der 90er Jahre wurde aber diese sehr weitgehende Anwendung des parasitisme
durch die französischen Gerichte von einem Teil der Literatur stark kritisiert. Der
Hauptvorwurf dieser Autoren bestand darin, dass es dem Willen des Gesetzgebers zuwiderliefe, Leistungen, die nicht oder nicht mehr immaterialgüterrechtlich geschützt
sind, gleichwohl Schutz zu gewähren. Außerhalb des Bereichs der gewerblichen
Schutzrechte und des Urheberrechts gewährleiste das Recht auf Gewerbefreiheit die
freie Nachahmung und Nutzung durch jedermann. Nur unter besonderen Umständen,
wie z.B. das Hervorrufen einer Verwechslungsgefahr, könne daher die Nachahmung
einer immaterialgüterrechtlich nicht geschützten Leistung als unerlaubte Handlung
angesehen werden.177
Diese Kritik blieb nicht ohne Einfluss auf die Rechtsprechung. In zwei Entscheidungen vom 15.1.1997 und 29.9.1999 erinnerte die Cour d’appel de Paris deutlich daran, dass die sklavische Nachahmung eines nicht geschützten Models als solche keine
Handlung unlauteren Wettbewerbs darstelle.178 In dem zweiten Lego Fall wiederholte
sie ein Jahr später diese Lösung und entschied, dass allein der Umstand, dass jemand
die Leistung eines anderen kopiert, keine unlautere Wettbewerbshandlung darstelle.
Denn eine Leistung, die nicht oder nicht mehr Gegenstand eines gewerblichen
Schutzrechts ist, könne frei reproduziert werden.179 Seitdem wurde dieser Grundsatz
öfter bestätigt.180
Gleichwohl ist die französische Rechtslage bezüglich der Zulässigkeit der zu keiner
Verwechslungsgefahr führenden Nachahmung nicht eindeutig.181 Denn, neben abwei175
176
177
178
179
Buydens, S. 21.
S. z.B. Cass. com. 7.4.2009, PI 2009, n833, 443 „le parasitisme, comportement fautif qui
consiste à se placer dans le sillage d’un agent économique pour récupérer, à bon compte et sans
son consentement, les fruits des efforts que ce dernier a pu déployer antérieurement, ne
nécessite pas que cet agent économique se situe dans une relation de concurrence directe
avec celui qu’il qualifie de parasite“.
Passa, Contrefaçon et concurrence déloyale, Paris 1997, Rdnr. 99 ff. – ders., Propos dissidents
sur la sanction du parasitisme économique, D. 2000, doct., 297 ff. – Pollaud-Dulian, De
quelques avatars de l’action en responsabilité civile dans le droit des affaires, RTD civ. 1997,
377. – Schmidt-Szalewski, Anm. unter CA Paris 19.10.2005, prop. ind. 2006, comm. 20. – S.
bereits in den 80er Jahren, Lucas, Anm. zu CA Rouen 13.1.1981, D. 1983, jur., 54, und Droit
de l’informatique, Paris 1987, Rdnr. 303. – Azéma, droit français de la concurrence, JCP ed. E
1989, I, 15611, n83. – See auch in Belgien Buydens, La protection de la quasi-création (droits
belge, allemand et français), Bruxelles 1993, S. 678 ff. und in der Schweiz, Golaz, L’imitation
servile des produits et de leur présentation, étude comparée des droits français, allemand,
belge et suisse, Genève 1992, S. 105 ff.
CA Paris 15.1.1997, RDPI 1997, n873, 39. – CA Paris 29.9.1999, PIBD 2000, 691, III, 76. S.
auch mit ähnlichen Wortlaut, CA Paris 17.9.1999, PIBD 2000, 690, III, 52. – CA Paris 30.6.
2000, JCP 2000, II, 10441. – CA Paris 20.10.2000, PIBD 2001, 723, III, 358.
CA Paris 18.10.2000, D. 2001, 850, Anm. Passa.
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IV. Schutz gegen das Ausnutzen fremder Leistungen
chenden Entscheidungen der Cour d’appel de Paris182, wurde die soeben dargestellte
zweitinstanzliche Rechtsprechung durch die Cour de cassation in mehreren Entscheidungen in Frage gestellt.183 Zwar hat die Cour de cassation in der gleichen Zeit dem
ergänzenden wettbewerbsrechtlichen Leistungsschutz mehrmals eine Absage erteilt
und entschieden, dass die bloße Kommerzialisierung von Produkten, die identisch
mit denen eines Konkurrenten sind, als solche kein fehlerhaftes Verhalten (faute)
sei.184 Diese Lösung wurde auch in mehreren Entscheidungen der Instanzgerichte185
bestätigt, ohne jedoch als herrschende Meinung betrachtet werden zu können.186
180
181
182
183
184
185
186
CA Versailles 29.3.2001, D. 2002, somm., 1259. – CA Paris 27.4.2001, PIBD 2001, 732, III,
642. – CA Paris 20.6.2001, PI 2002, n83, 112. – CA Paris 7.11.2001, PIBD 2001, 750, III, 448.
– CA Paris 10.4.2002, prop. ind. 2002, comm. 47. – CAVersailles 6.6.2002, PI 2002, n85, 103.
Passa, PI 2009, n830, 109: „la jurisprudence actuelle est, sur l’importante question du parasitisme économique, marquée par la plus grande incertitude et, pour tout dire, une franche
incohérence“. – Sonnenberger/Dammann, Rdnr. 151 S. 325, wonach die Rechtsprechung
nicht eindeutig sei und die Gerichte rein kasuistisch entscheiden.
CA Paris 13.12.2002, PIBD 2003, 768, III, 370. – CA 14.2.2003, PIBD 2003, 770, III, 426. S.
auch CAVersailles 28.9.2006, prop. ind. 2006, comm. 101. – CA Paris 26.3.2008, PIBD 2008,
878, III, 456; PI 2009, n830, 111. – CA Paris 13.6.2008, PIBD 2008, 882, III, 567; PI 2009, n830,
111. – CA Paris 12.9.2008, PI 2009, n830, 111. – CA Paris 7.11.2008, PIBD 2008, 886, III, 679.
Cass. com. 30.1.2001, D. 2001, jur., 1939; JCP 2001, I, 340. S. dazu Großerichter/Rageade,
Französische Gesetzgebung und Rechtsprechung zum Handels- und Wirtschaftsrecht im Jahr
2001, RIW 2002, 871. – Cass. com. 22.10.2002, Metro c. Cartier und Cass. com. 22.10.2002,
Go sport c. Décathlon, JCP 2003, II, 10038; PI 2003, n86, 85. – Cass. com. 8.7.2003, PI 2003,
n86, 448. – Cass. com. 1.7.2008, PIBD 2008, 882, III, 585; PI 2009, n830, 112. – Cass. civ. 1ère
22.10.2009, PI 2010, n835, 776.
Cass. com. 9.7.2002, PI 2003, n86, 82. S. auch Cass. com. 18.6.2002, PI 2003, n86, 82. – Cass.
com. 9.7.2002, prop. ind. 2004, comm. 10. – Cass. com. 9.6.2004, PI 2004, n813, 964; PIBD
2005, 800, III, 67. – Cass. com. 14.11.2006, PI 2007, n822, 118. – Cass. com. 8.4.2008, PI
2008, n828, 359. – Cass. com. 27.1.2009, n8 08-10991, www.legifrance.gouv.fr. – Cass. com.
9.3.2010, PI 2010, n835, 777. S. auch Cour de cassation, Rapport annuel 2007, 427: „copier la
production non protégée d’autrui, ou le signe sous lequel ce dernier fait commerce, ne caractérise pas, en soi, une faute (…), ni l’imitation, ni la reproduction, même servile, ne
suffisent à engager la responsabilité civile de leur auteur; il faut encore qu’elles soient fautives,
puisqu’il n’existe pas de droit exclusif, et donc point d’interdiction de copie“.
CA Paris 15.12.2004, PI 2005, n815, 220. – CA Aix-en-Provence 18.11.2004, PI 2005, n815,
221. – CA Paris 9.3.2005, PI 2005, n817, 360. – CA Aix-en-Provence 4.4.2005, PI 2006,
n818, 88. – CA Paris 22.6.2005, PIBD 2005, 816, III, 604. – CA Paris 25.10.2006, PI 2007,
n822, 122. – CA Paris 21.5.2008, PIBD 2008, 878, III, 451; PI 2009, n830, 111. – CA Paris 3.12.
2008, PIBD 2009, 892, III, 885; PI 2009, n833, 445. – CA Paris 5.12.2008, PI 2009, n833, 445.
– CA Paris 4.9.2009, PI 2009, n835, 776: „le simple fait de copier la prestation d’autrui ne
constitue pas comme tel un acte de concurrence fautif, le principe étant qu’une prestation qui
ne fait pas l’objet de droits de propriété intellectuelle peut être librement reproduite (…);
l’économie réalisée par celui qui imite un produit du domaine public ne constitue pas une
faute dès lors que cette imitation est licite“.
S. o. Fußn. 173.
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c) Verhältnis zum Recht des geistigen Eigentums
Der Tatbestand des parasitisme, der zu einem wettbewerbsrechtlichen Leistungsschutz
auch ohne Verwechslungsgefahr führt, wirft die Frage des Verhältnisses des Wettbewerbsrechts zu den Sonderschutzrechten auf.187 Ist die nachgeahmte Leistung patent-,
urheber-, muster- oder markenrechtlich geschützt, so kann der Inhaber dieses sondergesetzlichen Ausschließlichkeitsrechts die Verletzungsklage (action en contrefaçon) geltend machen. Als spezielle Klage müsste die Verletzungsklage, soweit sie erhoben werden kann, die Wettbewerbsklage ausschließen. Überblickt man die neuere Rechtsprechung, so wird aber deutlich, dass die Mehrzahl der Kläger in ein und demselben
Rechtsstreit sowohl die Verletzung gewerblicher Schutzrechte als auch unlauteres
Wettbewerbsverhalten als Klagegrund angeben.188 Das Verhältnis der beiden Klagen
untereinander bleibt also unklar, obwohl sich sowohl Literatur wie auch Rechtsprechung schon lange mit diesem Thema beschäftigen.
Aus theoretischem Blickwinkel sind die Klage wegen Verletzung gewerblicher
Schutzrechte und Urheberrechte (action en contrefaçon) und die Klage wegen unlauteren Wettbewerbs (action en concurrence déloyale) stark voneinander zu trennen. Während die erste vom Inhaber eines Rechts des geistigen Eigentums betrieben wird, um
die Verletzung seines Ausschließlichkeitsrechts zu verfolgen, gründet sich die zweite
nicht auf eine Rechtsverletzung, sondern hat einen unangemessenen Gebrauch der
Wettbewerbsfreiheit zum Gegenstand.189 Daher dürfte die Wettbewerbsklage neben
der Schutzrechtsverletzungsklage nur dann Erfolg haben, wenn sie sich auf zusätzliche,
von der Schutzrechtsverletzung unabhängige unlautere Handlungen stützen kann190.
Das Hervorrufen einer Verwechslungsgefahr kann sicherlich eine solche zusätzliche
unlautere Handlung darstellen,191 ebenso wie die Verwendung einer unlauter erlangten Information.192
Fragwürdig erscheint es aber, ob dies auch beim Vertrieb verletzender Produkte zu
Preisen, die niedriger sind als diejenigen des Rechtsinhabers, der Fall ist. Die Rechtsprechung ist früher teilweise davon ausgegangen, dass ein niedrigerer Verkaufspreis
ausreicht, um die zusätzlich zu der Verletzungsklage erhobene Wettbewerbsklage zu
begründen.193 Diese Auffassung wurde aber von der Cour de cassation angegriffen:
187
188
189
190
191
192
S. dazu Schmidt-Szalewski, Der Unterschied der Klage wegen Verletzung gewerblicher Schutzrechte und der Wettbewerbsklage in der französischen Rechtsprechung, GRUR Int. 1997, 1 ff.
Schmidt-Szalewski, S. 2.
Krasser, Rdnr. 37 S. 34.
Cass. com. 20.2.2007, CCC 2007, comm. 101; prop. ind. 2007, comm. 26. – Cass. com. 6.11.
2007, PI 2008, n827, 263. – Cass. com. 1.7.2008, PI 2009, n833, 440. – Cass. com. 21.10.2008,
n807-11546, www.legifrance.gouv.fr. – Cass. com. 16.12.2008, PIBD 2009, 891, III, 855; PI
2009, n833, 443. – Cass. com. 9.6.2009, PI 2009, n833, 446. – Cass. com. 15.6.2010, n80820999, www.legifrance.gouv.fr. – Cass. com. 19.1.2010, CCC 2010, comm. 101.
Cass. com. 14.1.2003, PI 2003, n87, 227. – Cass. com. 25.4.2006, PIBD 2006, 839, III, 718. –
Cass. civ. 4.4.2006, PIBD 2006, 839, III, 719. – Cass. com. 28.11.2006, PI 2007, n822, 120.
Cass. civ. 13.12.2005, PI 2006, n819, 226; CCE 2006, comm. 18; prop. ind. 2006, comm. 27. –
Cass. civ. 5.7.2006, PI 2006, n821, 502. – Cass. com. 20.3.2007, prop. ind. 2007, comm. 68; PI
2007, n824, 359. S. dazu Passa, Anm. PI 2006, n821, 503.
264
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IV. Schutz gegen das Ausnutzen fremder Leistungen
der Verkauf des sonderrechtsverletzenden Produkts zu einem niedrigeren Preis stelle
kein für einen ergänzenden wettbewerbsrechtlichen Leistungsschutz zusätzlich erforderliches Unlauterkeitsmerkmal, sondern nur einen verschlimmernden Faktor des aus
der Verletzung des Sonderrechts ergangenen Schadens dar.194 Seitdem hat sich die
Cour d’appel de Paris dieser Rechtsauffassung angeschlossen und weist die Wettbewerbsklage zurück, die zusammen mit einer Klage wegen Verletzung eines gewerblichen Schutzrechts geltend gemacht wird und darauf gestützt ist, dass ein niedrigerer
Preis praktiziert oder Material von minderwertiger Qualität benutzt wird.195 Das gleiche gilt für die Tatsache, dass es sich um eine sklavische Nachahmung (copie servile)
handelt.196
3. Unternehmensgeheimnisse
Der Missbrauch von Betriebs- oder Geschäftsgeheimnissen wird in Frankreich als unlautere Wettbewerbshandlung unter dem Begriff der Störung der inneren Organisation
eines Konkurrenzunternehmens (désorganisation) erörtert, die eine der vier von Roubier ausgearbeiteten Fallgruppen des unlauteren Wettbewerbsrechts darstellt.197 Nach
französischem Recht muss unterschieden werden zwischen dem Betriebsgeheimnis auf
der einen Seite, das einen strafrechtlichen Schutz genießt (a), und dem weiteren Begriff des Unternehmensgeheimnisses auf der anderen Seite, das zivil- und wettbewerbsrechtlich geschützt werden kann (b).
193
194
195
196
197
Cass. com. 18.1.1982, Ann. prop. ind.1982, 262. – Cass. com. 29.11.1994, PIBD 1995, 582, III,
95. – S. jedoch CA Paris 22.10.1992, PIBD 1993, 537, III, 106. – TGI Paris 18.1.2000, PIBD
2001, 716, III, 130.
Cass. com. 17.6.2003, PI 2003, n89, 447; prop. ind. 2004, comm. 9. S. auch Cass. civ. 3.4.
2001, PI 2001, n81, 94. – Cass. com. 28.9.2004, prop. ind. 2005, comm. 11. – Cass. com. 23.1.
2007, PIBD 2007, 849, III, 258; PI 2007, n824, 358. – Cass. com. 23.1.2007, PI 2007, n824, 357.
– Cass. com. 21.10.2008, n807-11546, www.legifrance.gouv.fr. – Cass. com. 2.12.2008, PI
2009, n833, 441. – Vgl. Cass. com. 17.3.2004, Cecop c. Waterman, prop. ind. 2004,
comm. 101.
CA Paris 25.6.2003, CA Paris 2.7.2003, CA Paris 25.3.2003, PI 2003, n89, 401. – CA Paris
28.1.2004, PIBD 2004, 785, III, 276. – CA Paris 9.6.2004, PIBD 2004, 795, III, 596. – CA Paris
15.12.2004, CA Paris 4.2.2005, CA Paris 21.1.2005, PI 2005, n815, 214. – CA Paris 17.10.
2008, PI 2009, n833, 441. – CA Paris 25.9.2009, PI 2010, n835, 779. – Cass. com. 27.1.2009,
n808-10991, www.legifrance.gouv.fr.
CA Paris 27.10.2004, CA Paris 10.11.2004 und CA Paris 26.1.2005, PI 2005, n815, 213. – CA
Paris 4.3.2005 und 16.3.2005, PI 2005, n815, 214. – CA Paris 8.6.2005, prop. ind. 2005,
comm. 81. – CA Paris 1.1.2006, PI 2006, n821, 462. – Cass. com. 14.11.2006, PI 2007, n822,
118. S. jedoch contra CA Paris 19.11.2004, PIBD 2005, 805, III, 219.
Zu den von der Lehre entwickelten Fallgruppen, s. oben S. 247.
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Länderbericht Frankreich
a) Strafrechtlicher Schutz
Der Begriff des Betriebsgeheimnisses (secret de fabrique) wird vom französischen Gesetzgeber nicht definiert. Rechtsprechung und Lehre gehen jedoch davon aus, dass es
sich um jedes Herstellungsverfahren von praktischem oder kommerziellem Interesse
handelt, das von einem Unternehmer benutzt und von ihm vor seinen Konkurrenten
geheim gehalten wird und diesen vor der Mitteilung unbekannt war.198 Bis zum Inkrafttreten des Code de la propriété intellectuelle 1992 war der Geheimnisverrat
durch Arbeitnehmern strafrechtlich durch Art. 418 Code pénal sanktioniert. Die Vorschrift wurde durch Art. L. 1227-1 Code du travail199 neugefasst, wobei der Tatbestand
von Art. 418 Code pénal weitgehend übernommen wurde.
Gemäß Art. L. 1227-1 C. trav. ist die versuchte oder vollendete Enthüllung (nicht
mehr die „Mitteilung an Dritte“) von Betriebsgeheimnissen durch Leiter und Angestellte (directeur ou salarié) eines Unternehmens strafbar. Eine strafbare Offenbarung
eines Geheimnisses liegt aber nicht vor, wenn das Geheimnis vom Täter lediglich zum
eigenen Vorteil verwertet wird, ohne dass hiermit zugleich eine Kenntnisnahme Dritter verbunden ist.200 Als Täter kommt jede beliebige Person in Betracht, die in einem
Dienstverhältnis zu dem betreffenden Unternehmen steht. Um ein Arbeitsverhältnis
muss es sich hierbei zwar nicht handeln, gleichwohl ist erforderlich, dass zwischen dem
Geheimnisinhaber und dem Täter ein Unterordnungsverhältnis besteht. Unternehmensfremde Dritte kommen dagegen nicht als Täter in Frage.201 Selbst nach dem Ausscheiden aus dem Betrieb kann sich eine der genannten Personen durch eine Enthüllung strafbar machen, wenn sie das Geheimnis zur Zeit ihrer Anstellung erfahren hat;
die Rechtsprechung hat die Worte „in dem er angestellt ist“ also nicht in der Weise
ausgelegt, dass die Person noch zur Zeit der Mitteilung angestellt sein muss. 202 Das
Delikt der Offenbarung eines Betriebsgeheimnisses ist ein vorsätzliches Begehungsdelikt. Der Täter muss den geheimen Kenntnisstand in betrügerischer Absicht (intention
frauduleuse) verraten. Er muss wissen, dass es sich bei der verratenen Tatsache um ein
Betriebsgeheimnis handelt und er muss sich über seine geheimnisschädigende Offenbarung bewusst sein. 203
198
199
200
201
202
203
Ständige Rechtsprechung seit Cass. crim. 31.12.1931, Gaz. Pal. 1932, 1, jur., 333. S. dazu Burst,
S. 72. – Chavanne/Burst, Droit de la propriété industrielle, 5. Aufl., Rdnr. 644 S. 362.
Art. L. 621-1 CPI über Betriebsgeheimnisse enthält nur ein Verweis auf Art. L. 1227-1 C.
trav., der die eigentliche Regelung enthält.
Schlötter, Der Schutz von Betriebs- und Geschäftsgeheimnisse und die Abwerbung von Arbeitnehmern. Eine rechtsvergleichende Untersuchung des englischen, französischen und
deutschen Rechts, 1997, S. 80. – Chavanne/Burst, Rdnr. 646 S. 364.
Schlötter, S. 82.
von Lewinski, Andere Rechtsgebiete, in: Dreier/Krasser, Das französische Gesetzbuch des
geistigen Eigentums, 1994, S. 79.
Schlötter, S. 84. – Chavanne/Burst, Rdnr. 646 S. 364. Zu der (seltenen) Anwendung des Art. L.
1227-1 (früher L. 152-7) C. trav. durch die Rechtsprechung, s. neuerdings Cass. crim. 19.9.
2006, prop. ind. 2007, comm. 15.
266
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IV. Schutz gegen das Ausnutzen fremder Leistungen
b) Zivilrechtlicher Schutz
Über diesen strafrechtlichen Schutz des Betriebsgeheimnisses hinaus, bietet die französische Rechtsordnung einen weitgehenden zivilrechtlichen Geheimnisschutz. Dieser ist sowohl vertraglicher als auch delikts- und wettbewerbsrechtlicher Natur.
Innerhalb bestehender Arbeitsverhältnisse unterliegt der Arbeitnehmer einer Geheimhaltungspflicht von Geschäfts- und Betriebsgeheimnissen, die sich als Nebenpflicht des Arbeitsvertrags aus dem arbeitsrechtlichen Treuegedanken ergibt. Während der Dauer des Beschäftigungsverhältnisses ist es daher einem Arbeitnehmer arbeitsvertraglich untersagt, Unternehmensinterna, von denen er aufgrund seiner
Betriebszugehörigkeit Kenntnis erlangt hatte, Dritten mitzuteilen.204 Aus der arbeitsrechtlichen Treuepflicht205 entnimmt auch die Rechtsprechung ein Konkurrenzverbot, das für den Geheimnisschutz von Bedeutung ist. Denn die in Betriebs- und Geschäftsgeheimnissen verkörperten Unternehmenswerte werden nicht nur durch einen
Arbeitnehmerverrat an Dritte bedroht. Eine Gefährdung kann sich ebenso aus der
Aufnahme einer eigenen Konkurrenztätigkeit eines Beschäftigten und aus einer Nebentätigkeit bei einem Mitbewerber des Arbeitgebers ergeben. 206
Diese Gefahr droht dem Arbeitgeber in weiterem Maße nach dem Ende des Arbeitsverhältnisses. Das französische Recht geht aber davon aus, dass nach Vertragsbeendigung grundsätzlich keine Pflicht zur Geheimhaltung mehr besteht. Denn nach
allgemeiner Ansicht macht es die Berufs- und Wettbewerbsfreiheit erforderlich, dass
Beschäftigte mit dem Ende ihres Arbeitsvertrags ihre volle Unabhängigkeit wiedererlangen.207 Dieser wird eine Grenze nur durch das Gebot, sich im Wettbewerb lauter zu
verhalten, gezogen. Der Grundsatz gilt auch hinsichtlich der erworbenen Kenntnis
von Unternehmensinterna. Früheren Beschäftigten ist daher grundsätzlich freigestellt,
die Kenntnisse, die sie durch ihr früheres Beschäftigungsverhältnis erworben haben,
im Rahmen eines eigenen Konkurrenzunternehmens oder zugunsten eines neuen Arbeitgebers zu verwerten, solange es sich hierbei nicht um ein Betriebsgeheimnis handelt.208
Daher werden häufig in Arbeitsverträgen mit Arbeitnehmern, die Zugang zu Geschäftsgeheimnissen haben, entweder Geheimhaltungsklauseln (clause de confidentialité) oder ein Konkurrenzverbot (clause de non-concurrence) eingefügt. Erstere bereiten
keine allzu großen Schwierigkeiten, da sie den früheren Arbeitnehmer nicht hindern,
eine ähnliche berufliche Aktivität entweder selbständig oder für einen anderen Arbeitgeber auszuüben. 209 Probleme ergeben sich jedoch bei der Abgrenzung zwischen
Unternehmensgeheimnissen und beruflichen Kenntnisse und Erfahrungen des Beschäftigten. 210 Denn nur erstere können Gegenstand einer Geheimhaltungsklausel
204
205
206
207
208
209
210
Schlötter, S. 97.
Seit dem Gesetz Nr. 2002-73 vom 17.1.2002 (loi de modernisation sociale) ist die arbeitsrechtliche Treuepflicht in Art. L. 1222-1 (früher L. 120-4) C. trav. gesetzlich verankert.
Schlötter, a.a.O.
Vogel, Rdnr. 41 S. 72. – Serra, Rdnr. 180.
Schlötter, S. 100.
CA Dijon 6.4.2000, D. 2002, somm., 1271.
Serra, Rdnr. 187.
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267
Länderbericht Frankreich
sein. Unzulässig ist daher eine Geheimhaltungsklausel, die dem Beschäftigten die weitere Verwertung sämtlicher, bei seinem früheren Arbeitgeber erworbener Kenntnisse
untersagt. 211
Die Zulässigkeit der Vereinbarung eines Konkurrenzverbots ist dagegen strengen
Voraussetzungen unterworfen. Eine solche Vereinbarung darf die wirtschaftliche bzw.
berufliche Handlungsfreiheit des früheren Arbeitnehmers nicht übermäßig beschränken, und der Arbeitgeber muss ein berechtigtes Schutzinteresse daran haben. Da solche Vereinbarungen jedoch nicht speziell den Schutz der Betriebs- und Geschäftsgeheimnissen betreffen, werden sie bei der Frage der Abwerbung von Arbeitnehmern
behandelt. 212
Wurde keine Geheimhaltungsklausel vereinbart und ist die Offenbarung des Geheimnisses nicht strafbar, kann gegen die Aneignung und Verbreitung von Unternehmensgeheimnissen wettbewerbsrechtlich vorgegangen werden. Indem sie die Gleichheit der Mittel im Wettbewerb zerstört, kann die Enthüllung von Unternehmensgeheimnissen ein unlauteres Wettbewerbsverhalten darstellen. Das Thema wird in
Frankreich unter dem Oberbegriff des Know-how (savoir-faire) diskutiert, das sowohl
technische wie auch kaufmännische Kenntnisse erfasst. Das Geschäftsgeheimnis hat
sich als Rechtsbegriff nicht durchsetzen können.213
Beim Know-how handelt es sich um „eine Gesamtheit von Informationen, von
Kenntnissen, die aus der Erfahrung des Unternehmens resultieren. Es ist die Frucht
der Arbeit anderer und seine Aneignung ist unlauter, falls die Umstände eine Aufhebung der Gleichheit der Mittel im Wettbewerb oder parasitäre Verhaltensweisen hervorbringen“. 214 Jede Weitergabe oder Verwertung anvertrauter Unternehmensgeheimnisse gegen den Willen des Geheimnisinhabers ist grundsätzlich unlauter.215 Dagegen
dürfen die erworbenen beruflichen Kenntnisse und Erfahrungen frei verwertet werden.
Wie bei der Beurteilung der Zulässigkeit von Geheimhaltungsklauseln ist hier die Abgrenzung zwischen Betriebsgeheimnissen auf der einen und dem Erfahrungswissen auf
der anderen Seite schwer durchzuführen. Die Entscheidung hängt davon ab, welche
Auswirkungen die Geheimhaltungspflicht für das berufliche Fortkommen des früheren
Beschäftigten hat. Kann der jeweilige erworbene Kenntnisstand nicht mehr von den
individuellen beruflichen Fähigkeiten und Kenntnissen unterschieden werden, darf er
weitergegeben und verwertet werden.216
211
212
213
214
215
216
Cass. soc. 7.1.1988, D. 1988, somm., 261.
S. unten S. 279.
Schlötter, S. 110.
Vogel, Rdnr. 50 S. 81.
S. z.B. Cass.com. 11.2.2003 und 25.2.2003, PI 2003, n89, 449.
Schlötter, S. 115.
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V. Schutz gegen Rufschädigung
V. Schutz gegen Rufschädigung
1. Anschwärzung
Die Anschwärzung (dénigrement) besteht darin, die Person eines Mitbewerbers, sein
Unternehmen, seine Waren oder Leistungen in Misskredit zu bringen. 217 Sie ist unter
bestimmten Voraussetzungen wettbewerbswidrig und kann also mit der Wettbewerbsklage verfolgt werden. Die Anschwärzung stellt eine der vom Schrifttum entwickelten
vier Fallgruppen unlauteren Wettbewerbs dar. Dabei unterscheidet sie sich von der
Verleumdung (diffamation) und der Beleidigung (injure), die sich nur gegen – natürliche oder juristische – Personen richten können und strafrechtlich sanktioniert werden. 218 Verleumdungen oder Beleidigungen, die öffentlich geäußert werden, werden
von den Vorschriften des Gesetzes vom 29. Juli 1881 über die Pressefreiheit erfasst.
Der Hauptunterschied zur Anschwärzung besteht in der Möglichkeit einer Entlastung
durch den Wahrheitsbeweis (exceptio veritatis). Geschieht die Verleumdung oder Beleidigung nicht öffentlich (diffamation et injure non publiques), ist sie nach Art. R. 621-1
und 621-2 Code pénal als Übertretung strafbar. Bei herabsetzenden Äußerungen, die
eine Person in ihrer Ehre verletzten, können Anschwärzung und Verleumdung oder
Beleidigung zusammentreffen.
Der wettbewerbsrechtliche Tatbestand der Anschwärzung bereitet vor allem
Schwierigkeiten bei der Abgrenzung zur bloßen Kritik, die ohne weiteres zulässig ist. 219
Denn aus dem Recht zur freien Meinungsäußerung folgt grundsätzlich für jedermann
das Recht, sich über Produkte oder Leistungen auch negativ zu äußern. Daher entscheiden die französischen Gerichte, dass eine Äußerung als Kritik und nicht als Anschwärzung zu werten ist, wenn sie sachlich, neutral und begründet ist.220 In diesem
Zusammenhang wurde die Frage aufgeworfen, inwieweit herabsetzende Äußerungen
durch eine exception de caricature gerechtfertigt sein können, nach welcher satirische
und parodistische Äußerungen hinzunehmen wären. In dem bekannten Fall „les guignols de l’info“ hat die Cour de cassation entschieden, dass es nicht verboten sei, Satire
über ein Unternehmen oder eine Marke zu verbreiten, sofern keinerlei Gefahr der
Verwechslung mit der Realität bestehe. 221 Im Bereich der Markenparodie sind in den
letzten Jahren verschiedene ähnliche Entscheidungen ergangen, wonach die der Meinungsäußerung dienende Parodie, die nicht geschäftlich erfolgt und keine Verwechslungsgefahr für das Publikum hervorruft, gegen das Markenrecht nicht verstößt. 222 In
217
218
219
220
221
222
Roubier, Bd. 1, Rdnr. 120 S. 544. – CA Versailles 9.9.1999, D. 2000, somm., 311.
Zur Unterscheidung zwischen dénigrement und diffamation, s. Cass. com. 5.12.2006, CCC
2007, comm. 54.
Vogel, Rdnr. 21 S. 47.
TGI Nanterre 21.7.1993, D. 1995, somm., 269. – TGI Lyon 18.3.1994, D. 1994, inf. rap., 149. –
CA Paris 12.2.1999, D. 2000, somm., 311. – CA Versailles 9.9.1999, D. 2000, somm., 311.
Ass. Plen. 12.7.2000, D. 2000, somm., 463; D. 2001, jur., 259.
CA Paris 26.2.2003, Greenpeace c. Esso und SPCEA c. Greenpeace, D. 2003, jur., 1831. – CA
Paris 30.4.2003, Association Le Réseau Voltaire pour la liberté d’expression c. Danone, D.
2003, AJ, 1760. – TGI Paris 9.7.2004, SPCEA c. Greenpeace France, CCE 2004, comm. 31. –
TGI Paris 30.1.2004, Esso c. Greenpeace France, D. 2004, 879; GRUR Int. 2005, 162 ff, Anm.
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269
Länderbericht Frankreich
einem diesen Fällen wurde jedoch der Tatbestand der Anschwärzung für begründet
gehalten.223 Die Cour de cassation hat kürzlich die Anschwärzung auch in einem Fall
bejaht, wo es sich nicht um eine Markenparodie, sondern die Parodie eines Produktes
handelte. 224
Während die französische Rechtsprechung sich großzügig verhält, was die Karikatur und Parodie betrifft, bleibt sie dagegen sehr streng im Hinblick darauf, welche Bedeutung der Wahrheit der angegriffenen Äußerung beizumessen ist. Nach ständiger
Rechtsprechung spielt es keine Rolle für das Vorliegen einer unlauteren Anschwärzung, ob die Äußerung wahr ist oder nicht. Anders formuliert können herabsetzende
Äußerungen selbst dann als Anschwärzung mit der Wettbewerbsklage verfolgt werden,
wenn sie erweislich wahr sind. 225 Demgemäß kann auch der gute Glaube an die Wahrheit einer Äußerung deren Unlauterkeit nicht beseitigen. 226
Die Beantwortung der Frage, ob eine unlautere Anschwärzung vorliegt hängt also
nicht von der Unwahrheit sondern vom Inhalt der Aussage ab, die in Bezug auf den
betroffenen Konkurrenten gemacht wird, und von der Art und Weise, wie sie erfolgt. 227 Eine Anschwärzung kommt nur in Betracht, wenn eine kritische, abwertende
Aussage vorliegt. 228
Unerlässlich für das Vorliegen einer Anschwärzung ist weiterhin eine öffentliche
Verbreitung der Äußerung. Denn eine vertrauliche, wenn auch herabsetzende Aussage
kann den guten Ruf des Mitbewerbers, seines Unternehmens oder seiner Waren und
Leistungen nicht beeinträchtigen229. Indessen verliert ein internes Dokument eines
Unternehmens seinen vertraulichen Charakter, wenn es unter dessen Angestellten
verbreitet wird, damit sie der Kundschaft die verunglimpfenden Äußerungen, die es
enthält, weitergeben. 230 Die Rechtsprechung stellt jedoch keine strengen Anforderungen hinsichtlich der öffentlichen Verbreitung der angegriffenen Äußerung und nimmt
sogar an, dass eine unlautere Anschwärzung auch dann vorliegt, wenn der die herabsetzende Äußerungen beinhaltende Brief an einen einzigen Kunden des Konkurrenten
geschickt wurde.231
223
224
225
226
227
228
229
230
231
Well-Szönyi. – CA Paris 16.11.2005, Esso, prop. ind. 2006, comm. 4. – Cass. civ. 19.10.2006,
CCC 2007, comm. 22 .
TGI Paris 9.9.2004, SCPEA c. Greenpeace France, prop. ind. 2004, comm. 78, bestätigt durch
CA Paris 17.11.2006, Expertises 2007, Nr. 312, 109: Die Kritik an der Umweltpolitik eines
Unternehmens auf der Internetseite von Greenpeace wurde als herabsetzend angesehen, weil
sie das Unternehmen mit dem Tod verglich.
Cass. com. 30.1.2007, prop. ind. 2007, comm. 34; CCC 2007, comm. 103.
Cass. com. 19.7.1973, D. 1973, jur., 587. – Cass. com. 23.3.1999, D. 2000, somm., 319. – CA
Paris 21.6.1984, Gaz. Pal. 1985, 2, somm., 256. – CA Paris26.9.1991, D. 1992, somm., 341. –
Cass. com. 23.3.1999, D. 2000, somm., 319.
Krasser, Rdnr. 402 S. 290.
Serra, Rdnr. 151 S. 30. S. z.B. CA Paris 1.7.1991, D. 1992, somm., 341.
Krasser, Rdnr. 395 S. 284.
CA Paris 27.2.1984, Ann. prop. ind. 1984, 209. – CA Paris 3.7.1991, D. 1992, somm., 341. –
CA Paris 1.12.2004, Nestlé c. Blédina, D. 2005, 2463.
Vogel, Rdnr. 25 S. 51.
Cass. com. 20.6.1972, Bull. civ. IV Nr. 197.
270
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V. Schutz gegen Rufschädigung
Die anschwärzenden Äußerungen können auf verschiedene Weise an die Öffentlichkeit gelangen,232 wobei die Werbekampagne das am häufigsten benutzte Mittel
ist.233 Die Anschwärzung kann durch mündliche Äußerungen im Gespräch mit Kunden,234 durch öffentliches Ausrufen, durch Rundfunksendungen235, durch bildliche
Darstellungen ebenso begangen werden, wie durch schriftliche Äußerungen wie
Rundschreiben236, Zeitungsanzeigen237 und -artikel,238 Plakate oder Prospekte.239 Die
öffentliche Verbreitung der Anschwärzung kann auch über das Internet erfolgen. 240
Die Unlauterkeit der Anschwärzung setzt weiterhin voraus, dass die betroffene Person oder das betroffene Unternehmen hinreichend bezeichnet ist. Der Betroffene
braucht aber nicht namentlich genannt zu sein. Es genügt unterdessen, dass er leicht
erkennbar oder identifizierbar ist.241 Herabsetzende Äußerungen über eine Ware, die
diese unter ihrer Marke nennen, bezeichnen gleichzeitig mit aller Deutlichkeit den
betroffenen Hersteller.242 Durch Äußerungen, die sich mit der Werbung eines Konkurrenten befassen, wird dieser als Betroffener dann hinreichend erkennbar gemacht,
wenn die Werbesätze oder -bilder beim Publikum als Werbung eines bestimmten Unternehmens bekannt sind. 243 Auch der Hinweis auf geschäftliche Verhältnisse oder
den Heimatstaat eines Unternehmens kann für die Individualisierung des Betroffenen
genügen.244
Das Opfer der Anschwärzung ist oft ein Konkurrent, aber ein enges und unmittelbares Wettbewerbsverhältnis ist keine Voraussetzung für den Erfolg der Wettbewerbsklage. Die französische Rechtsprechung geht davon aus, dass eine gemeinsame Zielkundschaft ausreicht. 245 Es wurde sogar entschieden, dass eine Anschwärzung wettbewerbsrechtlich verfolgt werden kann, auch wenn die ausgeübten Tätigkeiten völlig
unterschiedlich sind. 246 Allgemein gehaltene herabsetzende Äußerungen, die sich
nicht auf bestimmte Mitbewerber beziehen, sondern auf alle Angehörigen eines bestimmten Handels- oder Industriezweiges oder alle Hersteller einer bestimmten Ware,
232
233
234
235
236
237
238
239
240
241
242
243
244
245
246
Serra, Rdnr. 163 S. 33.
Serra, Dénigrement d’un concurrent par voie de publicité, D. 1990, jur., 264.
CA Paris 5.11.1981, Gaz. Pal. 1982, 1, somm., 82.
CA Versailles 12.2.1990, D. 1990, jur., 264.
CA Paris 3.4.1995, D. 1996, somm., 254.
CA Paris 24.9.1996, D. 1997, somm., 235.
CA Paris 20.2.1992, D. 1993, somm., 155.
T. com. Paris 23.2.1990, D. 1990, inf. rap., 112. – CA Versailles 14.3.1995, PIBD 1995, III,
307. – CA Paris 19.5.1994, D. 1995, somm., 214.
TGI Paris 9.5.2001, RJDA 2002/1, 112.
TGI Paris 19.5.1994, D. 1995, somm., 214. – CA Paris 15.12.1994, D. 1995, somm., 261. – CA
Dijon 12.9.1995, CCC 1997, comm. 16. – CA Paris 14.2.1996, D. 1997, somm., 234.
Krasser, Rdnr. 397 S. 285.
CA Paris 5.3.1987, D. 1987, inf. rap., 82. – CA Paris 12.2.1988, D. 1988, inf. rap., 75. – CA
Paris 15.12.1994, D. 1995, somm., 261.
Krasser, a.a.O.
CA Versailles 12.2.1990, D. 1990, jur., 264.
CA Paris 24.9.1996, D. 1997, somm., 235.
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271
Länderbericht Frankreich
können als Kollektivanschwärzung (dénigrement collectif) wettbewerbswidrig sein.247
Das Klagerecht steht dann dem Verband zu, der die Interessen des betroffenen Berufstandes vertritt. 248 Als allgemeine Regel gilt, dass die Anschwärzung unlauteren Wettbewerb begründet, sobald sie darauf abzielt, das Bild oder den Ruf eines Unternehmens
im besonderen oder den Ruf eines bestimmten Berufsstandes insgesamt zu verletzen.249
Die Anschwärzung ist unmittelbar, wenn sie sich auf einen bestimmten Mitbewerber oder seine Waren und Leistungen bezieht,250 zum Beispiel indem diese ausdrücklich als schlecht, minderwertig oder unbrauchbar bezeichnet oder durch Angaben über
ihre Herkunft oder Herstellungsweise beim Publikum verdächtig gemacht werden. 251
Dagegen spricht man von einer mittelbaren Anschwärzung (dénigrement indirect oder
dénigrement par omission) wenn es sich um Äußerungen handelt, die sich nur indirekt
mit dem Unternehmen, der Waren oder Leistungen des Konkurrenten befassen. Dies
ist zum Beispiel der Fall bei der Behauptung, dass das eigene Unternehmen oder die
eigene Ware oder Leistung bestimmte Eigenschaften besitzt, wenn dabei implizit zu
verstehen gegeben wird, dass das Unternehmen, die Ware oder die Leistungen des
Konkurrenten diese Eigenschaften nicht besitzen. 252
Die Anschwärzung kann sich zunächst auf die Person oder das Unternehmen des
Konkurrenten beziehen. Es kann sich um Äußerungen handeln, die seine Berufstüchtigkeit,253 seine Ehrenhaftigkeit254 oder seine Ehrlichkeit255 bezweifeln. Als Anschwärzung der Person des Konkurrenten wird es angesehen, wenn diesem ein unseriöses Geschäftsgebaren oder unlauterer Wettbewerb vorgeworfen wird. Vor allem dann, wenn
ein Unternehmer Erfolge auf dem Markt zu verzeichnen hat, sieht er sich häufig dem
Vorwurf ausgesetzt, er habe diese nicht in einwandfreier Weise errungen. 256 Es ist auch
247
248
249
250
251
252
253
254
255
256
Krasser, Rdnr. 404 S. 291. – CA Bordeaux 3.5.1971, Gaz. Pal. 1971, 2, 398. – CA Paris 9.12.
1992, D. 1994, somm, 223. – Cass. com. 21.5.1996, D. 1997, somm., 85. – CA Paris 24.9.1996,
D. 1997, somm., 235. – CA Paris 19.3.2008, Gaz. Pal. 6.12.2008, n8341, 25.
Serra, Rdnr. 154 S. 31. – CA Lyon 20.1.1976, Ann. prop. ind. 1976, 66. – CA Versailles 15.3.
1991, D. 1992, somm., 56. – CAVersailles 10.5.1995, D. 1996, somm., 249. S. dazu Toporkoff,
Le rôle des associations professionnelles dans la défense des intérêts de leurs membres contre
le dénigrement collectif, PA 2008, n8226, 4.
Vogel, Rdnr. 22 S. 49.
Passa, J.Cl. Concurrence-Consommation, Fasc. 240, Rdnr. 44.
Krasser, Rdnr. 414 S. 300.
Cass. com. 6.3.1978, JCP 1978, II, 19001. – CA Paris 17.11.1970, D. 1972, jur., 78. – CA Paris
21.6.1984, Gaz. Pal. 1985, 2, somm., 256. – CA Paris 9.4.1992, D. 1993, somm., 152. – CA
Versailles 10.5.1995, D. 1996, somm., 249. – CA Douai 2.10.1995, D. 1996, jur., 99. – TGI
Paris 6.12.1996, PIBD 1997, III, 193. – CA Rennes 29.9.2009, CCC 2010, comm. 136.
Cass. com. 5.1.1961, Bull. civ. III Nr. 10.
CA Paris 7.7.1954, D. 1954, jur., 668. – Cass. com. 21.2.1995, RJDA 1995/7, 925. – CA Paris
9.2.1989, Ann. prop. ind. 1990, 130. – CA Paris 26.9.1991, D. 1992, somm., 342. Zur unberechtigten Schutzrechtsverwarnung s. unten S. 273.
CA Paris 14.4.1995, RJDA 1995/10, 919.
Krasser, Rdnr. 408 S. 294.
272
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V. Schutz gegen Rufschädigung
unlauter, den Mitbewerber durch ungünstige Äußerungen über seine wirtschaftliche
Lage in Misskredit zu bringen.257
Die Anschwärzung betrifft aber häufiger die Waren und Leistungen des Konkurrenten, sei es, dass diese als von schlechter Qualität,258 als gefährlich für den Benutzer259 oder als der gesetzlichen Regelung nicht entsprechend260 bezeichnet werden. Eine Anschwärzung kann auch darin liegen, den Preis der Produkte des Konkurrenten
herabzusetzen261. Es wurde aber entschieden, dass ein Kaufmann hervorheben darf,
„noch billiger als die anderen“ zu sein, solange er nicht deutlich auf einen bestimmten
Konkurrenten oder seine Produkte abzielt. 262 Zur vergleichenden Werbung, s. unten c).
2. Unberechtigte Schutzrechtsverwarnung/Urteilsveröffentlichung263
Der Vorwurf der Patent-, Muster- oder Markenverletzung oder die Bezeichnung der
Konkurrenzware als Nachahmung der eigenen Ware stellt grundsätzlich eine unlautere
Anschwärzung der Person des Konkurrenten dar.264 Der Schutzrechtsinhaber, der sein
Recht für verletzt hält, darf sich zu dessen Verteidigung nur an die Gerichte wenden.
Darauf, ob die behauptete Rechtsverletzung wirklich vorliegt, kommt es nicht an. Es
ist dem Inhaber eines gültigen Schutzrechts nicht erlaubt, zum Zwecke der Kundenwerbung wahrheitsgemäß darauf hinzuweisen, dass ein Konkurrent dieses Schutzrecht
verletzt hat. Es gilt hier der Grundsatz, dass niemand berechtigt ist, sich zum Richter in
eigener Sache zu machen.265 Da die Unlauterkeit der Anschwärzung die öffentliche
Verbreitung der herabsetzenden Äußerung voraussetzt, kann eine – begründete oder
257
258
259
260
261
262
263
264
265
CA Paris 7.5.1982, Gaz. Pal. 1982, 2, somm., 378. – CA Paris 16.11.1983, Gaz. Pal. 1984, 1,
somm., 186. – Cass. com. 19.1.1988, RDPI 1988, n817-18, 96 .
Cass. com. 2.10.1978, D. 1979, jur., 19. – CA Paris 4.11.1976, D. 1977, jur., 405. – Cass. com.
5.10.1982, D. 1983, somm., 210. – CA Paris 5.3.1987, D. 1987, inf. rap., 82. – CA Paris 12.2.
1988, D. 1988, inf. rap., 75. – CA Versailles 10.3.1995, D. 1996, jur., 489 .
CA Paris 14.2.1958, JCP 1958, II, 10535. – CA Paris 4.3.1959, D. 1960, jur., 20. – CA Paris
20.12.1990, CCC 1991, comm. 215.
Cass. com. 22.11.1965, Bull. civ. III Nr. 591. – Cass. com. 21.2.1967, Bull. civ. III Nr. 82.
CA Paris 5.11.1981, Gaz. Pal. 1982, 1, somm., 82. – Cass. com. 23.10.1984, JCP 1985, IV, 3. –
CA Paris 21.6.1984, Gaz. Pal. 1985, 2, somm., 256. – CA Rouen 30.1.1997, RDPI 1997,
n875, 43.
CA Riom 5.2.1992, JCP 1992, IV, 2737.
Bertrand, Le dénigrement par la menace d’une action en justice ou par la publicité donnée à
une action en justice ou à une décision de justice, RDPI 1997, n872, 9.
CA Paris 9.2.1989, Ann. prop. ind. 1990, 130. – CA Paris 25.4.1989, Ann. prop. ind. 1990,
187. – CA Paris 26.9.1991, D. 1992, somm., 342. – CA Paris 3.11.1993, PIBD 1994, 559, III, 45.
– CA Paris 3.4.1995, D. 1996, somm., 254. – CA Paris 10.6.1995, JCP 1995 ed. E, pan, 257. –
Cass. com. 12.5.2004, PI 2005, n816, 365. – CA Paris 16.6.2004, PI 2005, n816, 365. – CA
Paris 20.4.2005, PI 2005, n816, 367. – CA Paris 23.9.2009, CCC 2010, comm. 49. – CA Paris
25.11.2009, CCC 2010, comm. 138.
Krasser, Rdnr. 409 S. 295. – Roubier, Bd. I, Rdnr. 120 S. 545.
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273
Länderbericht Frankreich
unbegründete – Schutzrechtverwarnung, die sich nur an die als Verletzter in Betracht
kommende Person richtet, keine Anschwärzung sein.266
In diesem Zusammenhang wurde die Frage aufgeworfen, ob die Veröffentlichung
einer gegen den Konkurrenten ergangenen gerichtlichen Entscheidung zulässig ist,
wenn sie nicht vom Gericht selbst angeordnet wurde. Die herrschende Meinung, sowohl im Schrifttum267 wie auch in der Rechtsprechung,268 geht davon aus, dass in der
Vornahme einer Urteilsveröffentlichung grundsätzlich kein unlauterer Wettbewerb
liegt, solange sie innerhalb der Grenze der objektiven Information des Publikums, ohne Änderung oder Zusatz bleibt. Die Zulässigkeit der Urteilsveröffentlichung auf der
eigenen Webseite wurde kürzlich bejaht, obwohl es sich in dem Fall um eine nicht
rechtskräftige Entscheidung handelte, die verkürzt wiedergegeben wurde. 269 Die Veröffentlichung einer gerichtlichen Entscheidung ist jedoch unlauter, wenn diese in einem Prozess ergangen ist, an dem der Mitbewerber, der die Entscheidung veröffentlicht, nicht beteiligt war.270
3. Vergleichende Werbung271
Obwohl nicht ausdrücklich verboten, wurde die vergleichende Werbung in Frankreich
lange Zeit als grundsätzlich unlauter angesehen. Die Rechtsprechung war der Auffassung, dass sie eine Erscheinungsform der Anschwärzung bildet und durch die Wettbewerbsklage verfolgt werden kann.272 1986 wurde diese Rechtsprechung teilweise
266
267
268
269
270
271
272
Krasser, Rdnr. 411 S. 296. – Cass. com. 23.5.1964, Ann. prop. ind. 1964, 226.
Roubier, Bd. I, Rdnr. 120 S. 546. – Burst, Rdnr. 110 S. 62. – Le Tourneau, Rdnr. 266. – Passa,
Concurrence – Responsabilité civile, Chronique, PI 2005, n816, 366. – Malaurie-Vignal,
Anm. zum CA Paris 23.9.2009, CCC 2010, comm. 49.
CA Paris 30.4.1958, JCP 1958, II, 10533. – CA Aix-en-Provence 13.3.1997, JCP 1997, IV,
2305.
CA Colmar, réf., 3.9.2002, prop. ind. 2003, comm. 7; PIBD 2003, 766, III, 329.
Krasser, Rdnr. 412 S. 297. – CA Paris 14.2.1958, Ann. prop. ind. 1959, 99 f.
Luby, Propos critiques sur la légalisation de la publicité comparative, D. 1993, chr., 53. –
Gunther, Harmonisation de la publicité comparative en Europe, CCC 1998, chr., n82. – Fabre,
Les nouvelles pratiques de la publicité comparative au regard de la directive européenne
d’octobre 1997, Cah. dr. entr. 1999, n82, 13. – Brunet, Publicité comparative, concurrence et
consommation, Gaz. Pal. 1999, 2, doct., 2009. – Neu, Die vergleichende Werbung in Frankreich und Deutschland im Lichte der EG-Richtlinie 97/55, ZeuP 1999, 123. – de Candé,
Publicité comparative notamment dans le domaine du médicament, état des lieux, D. 2000,
chr., 33. – Laurent, La publicité comparative harmonisée, CCC 2001, études, n816. – Passa,
Brève présentation du droit de la publicité comparative après la transposition de la directive
communautaire, PI 2002, n83, 32. – Heister, Harmonisierung des Rechts der vergleichenden
Werbung durch die Richtlinie 97/55/EG? Eine vergleichende Untersuchung des englischen,
deutschen und französischen Rechts, 2004. – Boulet, Publicité comparative d’assortiments de
produits: comparons les interprétations européenne et française, CCE 2007, Etude 24.
CA Paris 20.6.1933, Ann. prop. ind. 1935, 359. – Cass. com. 19.7.1973, D. 1973, jur., 587. –
Cass. com. 28.1.1981, Bull. civ. IV Nr. 41. – Cass. com. 19.10.1983, Bull. civ. IV Nr. 270.
274
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V. Schutz gegen Rufschädigung
durchbrochen, indem die Cour de cassation erstmals die Zulässigkeit der vergleichenden Werbung unter bestimmten Voraussetzungen annahm: Die Werbung, die sich auf
den Vergleich von Preisen beschränkt, zu denen identische Waren zu gleichen Bedingungen von verschiedenen Händlern verkauft werden, sei nicht rechtswidrig. Sie träge
vielmehr dazu bei, die Transparenz eines dem Wettbewerb unterliegenden Marktes zu
gewährleisten. 273 Der Vergleich durfte aber lediglich Preise zum Gegenstand haben, er
musste identische Produkte betreffen, und diese Produkte mussten unter vergleichbaren Umständen verkauft werden. 274 Eine weitere Entscheidung aus dem Jahr 1989 präzisierte die Grenzen, in denen vergleichende Werbung für zulässig erachtet wurde:
Demzufolge musste der Vergleichspreis korrekt angegeben sein, und durfte weder nach
dem Erscheinen der vergleichenden Werbung angehoben werden, noch in den Tagen
zuvor gesenkt worden sein. 275 Die vergleichende Werbung, die sich auf die Eigenschaften von Waren oder Dienstleistungen bezog, blieb weiterhin unzulässig.
Mit Art. 10 des Verbraucherschutzgesetzes vom 18.1.1992 (sog. Loi Neiertz),276 also
vor Verabschiedung der Richtlinie 97/55/EG,277 wurde die vergleichende Werbung in
Frankreich grundsätzlich gestattet, wenn auch zahlreichen Voraussetzungen unterworfen. Die Regelung wurde dann in Art. L. 121-8 bis L. 121-14 Code de la consommation
unverändert übernommen. Diese Vorschriften wurden 2001 bei der Umsetzung der
Richtlinie 97/55/EG angepasst,278 ohne dass jedoch dadurch die frühere Regelung
grundlegend geändert wurde.
Art. L. 121-8 C. cons., der den Wortlaut der Richtlinie weitgehend übernimmt und
daher dem § 6 Abs. 1 des deutschen UWG ähnlich ist, definiert vergleichende Werbung als „Werbung, die Waren oder Dienstleistungen vergleicht und dabei unmittelbar
oder mittelbar einen Mitbewerber oder die von einem Mitbewerber angebotenen Waren oder Dienstleistungen erkennbar macht“. Allgemeine Vergleiche, bei denen der
oder die Mitbewerber279 nicht namentlich genannt oder sonst erkennbar gemacht werden, sind daher keine Werbevergleiche im Sinne dieser Vorschrift. 280 Dagegen ist der
Anwendungsbereich von Art. L. 121-8 C. cons. nicht auf die vergleichende Werbung
gegenüber dem Verbraucher beschränkt, sondern gilt auch für gewerbliche Abneh273
274
275
276
277
278
279
280
Cass. com. 22.7.1986, D. 1986, jur., 436; JCP ed. E 1986, II, 14901; GRUR Int. 1987, 598.
Dreier /v. Lewinski, Rdnr. 108, S. 57.
Cass. com. 29.3.1989, D. 1989, jur., 408. Zu weiteren Fällen, s. TGI Paris 23.9.1991, Gaz. Pal.
1991, 2, jur., 576. – TGI Paris 18.1.1989, Gaz. Pal. 1989, 1, somm., 203.
Loi Nr. 92-60 renforçant la protection des consommateurs, JO 21.1.1992.
Richtlinie 97/55/EG vom 6.10.1997 über irreführende Werbung zwecks Einbeziehung der
vergleichenden Werbung, die die Richtlinie 84/450 / EWG vom 10.9.1984 über irreführende
Werbung geändert hat. Konsolidierte Fassung durch die Richtlinie 2006/114 /EG vom 12.12.
2006 über irreführende und vergleichende Werbung.
Ordonnance Nr. 2001-741 vom 23.8.2001 portant transposition des directives communautaires et adaptation au droit communautaire en matière de droit de la consommation, JO 25.8.
2001.
Zum Erfordernis eines Wettbewerbsverhältnisses, s. CA Paris 19.3.2008, Gaz. Pal. 2008,
n8341, 25.
Saßmann, Das Binnenmarktrecht der vergleichenden Werbung, Baden-Baden 2002, S. 45.
Aus der Rechtsprechung, s. z.B. CA Paris 17.3.1998, D. 1998, inf. rap., 119.
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275
Länderbericht Frankreich
mer.281 Letztlich hängt die Anwendung der Art. L. 121-8 ff. C. cons. nicht davon ab, in
welcher Form die Werbung stattfindet und erstreckt sich daher auch auf Werbung im
Internet.282
Die Zulässigkeit der vergleichenden Werbung ist an verschiedene Voraussetzungen
gebunden. Art. L. 121-8 C. cons. nennt die „positiven“ Voraussetzungen, Art. L. 121-9
C. cons. die „negativen“. Unter den positiven Voraussetzungen fordert das französische Gesetz erstens, dass die vergleichende Werbung richtig, d.h. „nicht irreführend“
ist. Dieses Verbot der Irreführung ist selbstverständlich und gilt für jede Art von Werbung.283 Speziell für die vergleichende Werbung gilt aber die Beweisregel des Art. L.
121-12 C. cons., wonach der Werbende die Richtigkeit seiner Angaben und Behauptungen innerhalb einer kurzen Frist nachweisen muss.284
Die zwei weiteren Voraussetzungen des Art. L. 121-8 C. cons. für die Zulässigkeit
der vergleichenden Werbung sind ihrem Wortlaut nach der Richtlinie entnommen.
Die vergleichende Werbung muss sich zuerst „auf Waren oder Dienstleistungen für den
gleichen Bedarf oder dieselbe Zweckbestimmung“ beziehen.285 Es dürfen nur Produkte
verglichen werden, die aktuell auf dem Markt erhältlich sind. 286 Der Vergleich muss
letztlich „objektiv auf eine oder mehrere wesentliche, relevante, nachprüfbare und
typische Eigenschaften dieser Waren oder Dienstleistungen“ bezogen sein.287 Die französische Rechtsprechung legt im Gegensatz zum EuGH288 beide Voraussetzungen restriktiv aus289 und fordert unter anderem, dass die angesprochenen Verkehrskreise in
der Lage sind, die in dem Werbevergleich angeführten Eigenschaften zu überprüfen.290
281
282
283
284
285
286
287
288
289
Harte-Bavendamm/Henning-Bodewig, Rdnr. 190 S. 321. Diese Frage wurde unter der früheren Rechtslage heftig bestritten: de Candé, Publicité comparative notamment dans le domaine du médicament, état des lieux, D. 2000, chr., 33. S. aus der Rechtsprechung CAVersailles
10.9.1998 und CAVersailles 18.2.1991, JCP ed. E 1999, 697. – CAVersailles 11.5.2000, Gaz.
Pal. 2000, 2, somm., 2739. – CA Aix-en-Provence 21.12.2001, CCC 2002, comm. 83.
S. z.B. CA Colmar 13.5.2008, Gaz. Pal. 2009, n824, 42. – CA Paris 19.3.2008, RG 07/2506,
aufgehoben durch Cass. com. 24.11.2009, Bull. IV Nr. 150. – Cass. com. 19.1.2010, n80819814, www.legifrance.gouv.fr.
S. Art. L. 121-1 C. cons. über irreführende Geschäftspraktiken.
Passa, S. 37. – Cass. com. 18.5.1993, JCP 1994, II, 22243.
Cass. com. 31.10.2006, Lidl c. Leclerc, Bull. IV Nr. 207; CCC 2007, comm. 32; PI 2007,
n822, 112.
Aye, Verbraucherschutz im Internet nach französischem und deutschem Recht, 2005, 145. –
Harte-Bavendamm/Henning-Bodewig, Rdnr. 193 S. 321.
Passa, PI 2002, n83, 34. S. aus der Rechtsprechung Cass. com. 31.10.2006, Lidl c. Leclerc,
Bull. IV Nr. 207; CCC 2007, comm. 32; PI 2007, n822, 115. – Cass. com. 18.12.2007, Bull. IV
Nr. 269. – Cass. com. 26.3.2008, Bull. IV Nr. 71. – CA Colmar 13.5.2008, Gaz. Pal. 2009,
n824, 42.
EuGH 25.10.2001 C-112/99 – Toshiba, GRUR 2002, 354. – EuGH 19.6.2006 C-356/04 – Lidl
Belgium, D. 2006, 2394; PI 2007, n822, 114; CCC 2006, comm. 240. – EuGH 19.4.2007
C-381/05 – de Landtsheer Emmanuel, D. 2007, 1418.
Lepage, Un an de droit pénal de la consommation (mars 2007 – avril 2008), Droit pénal 2008/
5, chron. 4.
276
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V. Schutz gegen Rufschädigung
Art. L. 121-8 C. cons. fügt hinzu, dass der Preis eine Eigenschaft darstellt, auf die
sich der Vergleich beziehen kann.291 Das zuvor verlangte Merkmal der Produktidentität beim Preisvergleich ist daher entfallen: In der ursprünglichen Fassung von 1992
ließ Art. L.121-8 C. cons. einen Preisvergleich nur bei identischen Waren oder Dienstleistungen zu, die unter gleichen Bedingungen verkauft werden. Allerdings wird der
Preisvergleich von den französischen Gerichten streng gehandhabt, die unter anderem
verlangen, dass ähnlichen Verkaufsbedingungen vorliegen und der Zeitraum für das
Preisangebot deutlich und unmissverständlich angegeben wird. 292 Sammelvergleiche
bezüglich eines Sortiments (sog. pratique des caddies comparatifs), bei denen die verglichenen Produkte in ihrer Zusammensetzung, Qualität oder Herkunft unterschiedlich
sind, sind unzulässig.293
Vor der Umsetzung der Richtlinie in 2001 enthielt das französische Gesetz eine
weitere positive Voraussetzung für die Zulässigkeit der vergleichenden Werbung: Der
Werbetreibende musste jede vergleichende Werbung den betroffenen Gewerbetreibenden rechtzeitig vor ihrer Verbreitung bekannt geben. Damit sollte erreicht werden, dass
sich der Betroffene auf die vergleichende Werbung einstellen oder aber gerichtliche
Maßnahmen gegen die beabsichtigte vergleichende Werbung unternehmen konnte.294
Diese Voraussetzung der Mitteilungspflicht des beabsichtigten Vergleichs gegenüber
dem betroffenen Mitbewerber ist durch die 2001 erfolgte Neuregelung entfallen.295
Art. L. 121-9 C. cons. enthält seinerseits negative Voraussetzungen der Zulässigkeit der vergleichenden Werbung, die Verbote darstellen. Erstens darf die vergleichende Werbung die Wertschätzung der von einem Mitbewerber verwendeten Marke, des
Handelsnamens oder sonstigen Kennzeichens sowie der geographischen Herkunftsangabe eines Produktes des Mitbewerbers nicht in unlauterer Weise ausnutzen. 296 Zweitens darf die vergleichende Werbung nicht zur Herabsetzung oder Anschwärzung von
Marken, Handelsnamen, sonstigen Kennzeichen, Waren, Dienstleistungen, Tätigkeiten oder Verhältnissen eines Mitbewerbers führen.297 Drittens darf die vergleichende
290
291
292
293
294
295
296
297
Cass. com. 1.7.2008, n807-15839, www.legifrance.gouv.fr. – Cass. crim. 4.3.2008, Bull. crim.
Nr. 57. – Cass. com. 2.2.2010, n809-13242, www.legifrance.gouv.fr.
Cass com. 31.10.2006, Lidl c. Leclerc, Bull. IV Nr. 207; CCC 2007, comm. 32; PI 2007, n822,
115, wonach der Preisvergleich unzulässig sei, wenn die Werbung sich ausschließlich auf die
Preise des Mitbewerbers bezieht, ohne die verglichenen Produkte hinreichend zu identifizieren.
Henning-Bodewig, Rdnr. 194 S. 321.
CA Pau 15.6.2004, CCC 2006, comm. 252. – CA Agen 23.5.2005, CCC 2006, comm., 40. –
Cass. crim. 9.5.2007, CCC 2007, comm. 314. S. dazu Boulet, Rdnr. 4. – Lepage, Rdnr. 54.
Dreier /von Lewinski, Rdnr. 111 S. 59.
Henning-Bodewig, Rdnr. 195 S. 321. – Picod, L’obligation de communication préalable à
l’épreuve de la directive communautaire sur la publicité comparative, D. 2002, chr., 914.
Zur Rechtsprechung, s. CA Paris 5.4.1993, CCC 1993, comm. 169. – CA Paris 1.7.1998, D.
1998, inf. rap., 197. – CA Versailles 15.11.2001, JCP ed. E 2002, 349.
Vgl. § 6 Abs. 2 Nr. 4 deutschen UWG.
Vgl. § 6 Abs. 2 Nr. 5 deutschen UWG. S. CA Douai 2.10.1995, D. 1996, jur., 99. – CA Paris
5.6.1996, CCC 1997, comm. 16. – CA Paris 24.9.1996, D. 1996, somm., 235. – TGI Paris 31.5.
1996, D. 1998, somm., 131.
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277
Länderbericht Frankreich
Werbung nicht zur Verwechslung zwischen dem Werbenden und einem Mitbewerber
oder zwischen den Marken, Handelsnamen, sonstigen Kennzeichen, Waren oder
Dienstleistungen des Werbenden und denjenigen eines Mitbewerbers führen.298 Viertens darf der Werbetreibende nicht eine Ware oder Dienstleistung als Imitation oder
Nachahmung einer unter einer geschützten Marke oder einem Handelsnamen vertriebenen Ware oder Dienstleistung darstellen. 299 Damit sind insbesondere die sog. tableaux de concordance unzulässig, mit denen die Hersteller generischer Parfums in
Frankreich immer wieder auf die Übereinstimmung des Duftes ihrer Erzeugnisse mit
dem bekannter Markenparfums hinweisen.300
Schließlich dürfen vergleichende Angaben nach Art. L. 121-11 C. cons. weder auf
der Verpackung noch auf Rechnungen, Fahrkarten, Zahlungsmitteln, Eintrittskarten
zu Veranstaltungen oder öffentlich zugänglichen Plätzen angebracht werden.301 Dieses
Verbot, dessen Begründung unklar bleibt, scheint mit der Richtlinie nicht vereinbar zu
sein,302 wurde jedoch im Zuge der Reform 2008 nicht gestrichen.
Art. L. 121-14 C. cons. sieht keine speziellen Sanktionen für Fälle vor, in denen die
vergleichende Werbung den Anforderungen der Art. L. 121-8 ff C. cons. nicht genügt,
sondern verweist auf die allgemeinen Regeln der zivilrechtlichen Haftung (art. 1382
C. civ.) sowie die auch strafrechtliche Sanktionen der irreführenden Geschäftspraktiken (art. L. 121-1 bis 121-7 C. cons.) und der Markenrechtsverletzung (art. L. 716-9
und L. 716-12 CPI).303 Daher kann eine Wettbewerbsklage – wenn nötig als einstweilige Verfügung – erhoben werden, damit der Werbetreibende seine Werbung einstellt
und zum Schadenersatz verurteilt wird.304
VI. Schutz gegen individuelle Behinderung
Unter den Tatbestand der Störung der Organisation des Mitbewerbers (désorganisation
de l’entreprise concurrente)305 fallen mehrere unterschiedliche Wettbewerbshandlungen, durch die bestimmte Mitbewerber betroffen sind. Diese Fallgruppe umfasst alle
unlauteren Wettbewerbsverhalten, die weder eine Verwechslung hervorrufen, noch
eine Anschwärzung oder Parasitismus darstellen. Innerhalb dieser Kategorie wird
meistens zwischen Desorganisation des Personals (Abwerbung, Nichtbeachtung eines
298
299
300
301
302
303
304
305
Vgl. § 6 Abs. 2 Nr. 3 deutschen UWG.
Vgl. § 6 Abs. 2 Nr. 6 deutschen UWG.
Dreier /von Lewinski, Rdnr. 112 S. 60.
CA Aix-en-Provence 21.12.2001, PI 2002, n85, 113; CCC 2002, comm. 83.
Calais-Auloy/Steinmetz, Rdnr. 136 S. 158. – Gunther, Harmonisation de la publicité comparative en Europe, CCC 1998, chr. 2.
CA Paris 10.9.1999, NRJ c. Europe 1, D. 1999, jur., 30. – CAVersailles 15.11.2001, JCP ed. E
2002, 349.
Calais-Auloy/Steinmetz, Rdnr. 138 S. 159. S. aus der Rechsprechung CA Paris 1.7.1998, D.
1998, inf. rap., 197. – CA Versailles 10.9.1998, JCP ed. E 1999, 697. – Trib. com. Paris 15.1.
2002, CCE 2002, comm. 100.
Die Störung der Organisation des Konkurrenten stellt einen der vom Schrifttum entwickelten vier Fallgruppen des unlauteren Wettbewerbs; s. oben S. 247.
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VI. Schutz gegen individuelle Behinderung
Wettbewerbsverbots), Desorganisation der Produktion (Betriebsgeheimnisse, Knowhow) und Desorganisation der geschäftlichen Tätigkeit des Konkurrenzunternehmens
unterschieden.
1. Abwerbung von Arbeitnehmern
Das Recht auf freie Berufswahl und freie Berufsausübung berechtigt jeden nicht
(mehr) vertraglich gebundenen Arbeitnehmer ein Arbeitsverhältnis auch mit einem
Konkurrenten seines ehemaligen Arbeitgebers einzugehen. Den Mitbewerbern wird
also das Recht zugesprochen, frühere Beschäftigte eines Konkurrenten einzustellen. 306
Die Cour de cassation hat neuerdings mehrmals darauf hingewiesen, dass die Einstellung (embauche) eines ehemaligen Beschäftigten eines Konkurrenzunternehmens ohne weiteres zulässig sei.307
Das Abwerben von Beschäftigten ist ebenfalls grundsätzlich zulässig und wird erst
als unlauter angesehen, wenn besondere Begleitumstände vorliegen. 308 Die frühere
Rechtsprechung hatte drei Arten der rechtswidrigen Abwerbung herausgearbeitet:309
Die massive oder systematische Abwerbung der Arbeitnehmer des Konkurrenten,310
das Abwerben im Hinblick auf die Aneignung des Know-hows des Konkurrenten311
und die konzentrierte Abwerbung, die sich durch den gleichzeitigen Abgang mehrerer
Arbeitnehmer offenbart. 312 Bedeutsam waren die Anzahl und die Bedeutung der dem
Konkurrenten abspenstig gemachten Mitarbeiter, ihre berufliche Qualifikation, die
Dauer ihrer Betriebszugehörigkeit und die Größe des betroffenen Unternehmens. 313
In der Regel nahmen die Gerichte eine Gesamtbetrachtung aller Umstände vor; auch
wenn die verschiedenen Einzelumstände für sich genommen nicht unlauter waren,
konnte eine Abwerbung im Ergebnis unlauter sein.314 In ihrer jüngsten Entwicklung
neigt jedoch die Rechtsprechung dazu, das Abwerben – wenn auch massiv315 und in
306
307
308
309
310
311
312
313
314
315
Serra, Rdnr. 171 S. 34.
Cass. com. 1.6.1999, D. 2000, somm., 325. – Cass. com. 9.3.1999, D. 2000, somm., 321. –
Cass. com. 25.1.2000, CCC 2000, comm. 62. – Cass. com. 11.2.2003, D. 2003, 692. – Cass.
com. 25.4.2006, PIBD 2006, 839, III, 718.
Schlötter, Der Schutz von Betriebs- und Geschäftsgeheimnissen und die Abwerbung von
Arbeitnehmern, 1997, S. 118. – Labarthette, Le débauchage de personnel, parent pauvre de
l’action en concurrence déloyale, D. 2005, chr., 1231.
Vogel, Rdnr. 49 S. 80.
CAVersailles 2.3.1989, D. 1990, somm., 76. – CA Paris 29.9.1994, D. 1995, somm., 210. – CA
Paris 16.6.2000, LPA 22.3.2001.
CA Paris 29.9.1994, D. 1995, somm., 210. – CA Paris 10.4.1995, D. 1996, somm., 248. – CA
Paris 15.1.1997, D. 1998, somm., 217.
CA Paris 14.2.1991, D. 1992, somm., 49. – CA Paris 17.2.1993, D. 1994, somm., 223. – CA
Paris 22.9.2000, D. 2002, somm., 1271.
Schlötter, S. 120.
Schlötter, S. 119. – CA Dijon 5.11.1998, D. 2000, somm., 321.
Cass. com. 10.11.2009, CCC 2010, comm. 10.
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279
Länderbericht Frankreich
einem kurzen Zeitraum – ehemaliger Arbeitnehmer eines Konkurrenten als solches für
nicht unlauter anzusehen. 316
Das Angebot höheren Lohnes wird grundsätzlich als ein legitimes Mittel der Abwerbung betrachtet. 317 Jedenfalls wird mit diesem Umstand allein die Annahme unlauteren Wettbewerbs nicht begründet.318 Besonders wichtig für die wettbewerbsrechtliche Beurteilung der Abwerbung ist das Ausmaß der dadurch bewirkten Störung der
inneren Organisation des betroffenen Unternehmens. 319 Die Gerichte ziehen hier sowohl die Anzahl als auch die Bedeutung der dem Konkurrenten entzogenen Mitarbeiter in Betracht.320
Die Lage stellt sich anders dar, wenn es sich um die Einstellung eines ehemaligen
Beschäftigten handelt, der einem Wettbewerbsverbot unterliegt. Der neue Arbeitgeber haftet wegen seiner Beteiligung am Vertragsbruch des neueingestellten Arbeitnehmers, wenn er von dem Wettbewerbsverbot Kenntnis hatte.321 Auch wenn der neue
Arbeitgeber erst nach dem Abschluss des Arbeitsvertrags erfährt, dass eine entgegenstehende vertragliche Bindung des Eingestellten besteht, handelt er unlauter, wenn er
den Arbeitnehmer weiterbeschäftigt. 322 Hinsichtlich der Frage, wem der Beweis obliegt, dass der neue Arbeitgeber von der Wettbewerbsverbotsklausel Kenntnis hatte,
ist die französische Rechtsprechung widersprüchlich. Manche Entscheidungen verlangen vom neuen Arbeitgeber, dass er sich erkundigt, ob und inwieweit der Arbeitnehmer gebunden ist.323 Andere gehen im Gegenteil davon aus, dass es dem früheren Arbeitgeber obliegt, den Nachweis zu erbringen, dass der neue Arbeitgeber von dem
Wettbewerbsverbot Kenntnis hatte.324
316
317
318
319
320
321
322
323
Cass. com. 24.3.1998, D. 1999, somm., 105. – Cass. com. 9.3.1999, D. 2000, somm., 321. –
Cass. com. 25.1.2000, CCC 2000, comm. 62. – Cass. com. 8.10.2002, n800-19178, Cass. com.
21.1.2004, n802-10328, Cass. com. 23.6.2004, n802-17635, Cass. com. 25.4.2006, n80415694, www.legifrance.gouv.fr. – Cass. com. 26.9.2006, CCC 2007, comm. 23. – Cass. com.
23.10.2007, n805-17155, www.legifrance.gouv.fr. – CA Rennes 5.5.2009, CCC 2010,
comm. 56.
S. jedoch Cass. com. 10.11.2009, CCC 2010, comm. 10: une offre de salaires exceptionnellement élevée pour attirer les salariés vers l’entreprise concurrente est déloyale, à condition
de prouver l’anormalité du salaire.
Krasser, Rdnr. 379 S. 272.
Cass. com. 20.5.2003, n801-11212, Cass. com. 3.6.2003, n801-02684, Cass. com. 31.10.2006,
n805-12064, Cass. com. 20.2.2007, n805-14624, Cass. com. 3.6.2008, n807-12437, Cass. com.
16.12.2008, n807-19848, www.legifrance.gouv.fr. – Cass. com. 29.1.2008, Bull. IV Nr. 22.
Krasser, Rdnr. 382 S. 274.
Schlötter, S. 123. – Serra, Rdnr. 176 S. 35. – Cass. com. 5.2.1991, D. 1992, somm., 54. – Cass.
com. 18.1.1994, D. 1996, somm., 253. – Cass. com. 13.6.1995, D. 1997, somm., 105. – CA
Versailles 29.6.2000, D. 2001, somm., 1234. – CA Paris 25.10.2000, D. 2001, somm., 1311. –
CA Paris 10.1.2001, D. 2001, somm., 1311. – Cass. com. 22.2.2000, CCC 2000, comm. 81. –
Cass. com. 18.12.2001, D. 2003, somm., 1029.
Serra, Rdnr. 177 S. 35.
Cass. com. 7.2.1995, D. 1997, somm., 105; JCP 1995, II, 22411. – CA Paris 25.10.2000, D.
2001, somm., 1311. – CAVersailles 29.6.2000, D. 2001, somm., 1234. – CA Paris 10.12.2001,
D. 2001, somm., 1311.
280
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VI. Schutz gegen individuelle Behinderung
2. Konkurrenztätigkeit des früheren Arbeitnehmers
Wie schon bei der Frage der Betriebsgeheimnisse erwähnt, erlangt der Arbeitnehmer
am Ende des Arbeitsverhältnisses seine volle Unabhängigkeit wieder. Nach Ablauf
seines Arbeitsvertrages325 genießt der Arbeitnehmer die ganze Wettbewerbsfreiheit
auch gegenüber seinem ehemaligen Arbeitgeber.326 Es bleibt ihm daher unbenommen,
eine berufliche Tätigkeit auszuüben, die mit derjenigen seines früheren Arbeitgebers
in Konkurrenz steht. Dafür kann er eine Gesellschaft gründen oder sich an der Gründung einer Gesellschaft beteiligen, die den gleichen Zweck wie diejenige seines ehemaligen Arbeitgebers hat.327 Das neue Unternehmen darf aber seine Kundschaft nicht
durch die Anwendung rechtswidriger Methoden gewinnen. 328 Als schuldhaftes Verhalten wird angesehen, sich als das andere Unternehmen auszugeben,329 eine Irreführung der Kundschaft zu unterhalten330 oder den ehemaligen Arbeitgeber schlecht zu
machen.331
Die freie Ausübung einer konkurrierenden Tätigkeit durch den früheren Arbeitnehmer wird häufig durch eine Wettbewerbsverbotsklausel eingeschränkt. Als eine
Begrenzung der Berufsfreiheit muss eine solche Klausel eng ausgelegt werden.332 Die
Zulässigkeit einer Wettbewerbsverbotsklausel setzt voraus, dass sie zeitlich und räumlich begrenzt333 und für den Schutz der legitimen Interessen des Arbeitgebers unerlässlich ist. 334 Die Wirksamkeit eines Konkurrenzverbots hing langer Zeit nicht von der
Vereinbarung einer Karenzentschädigung (indemnité compensatrice) ab, sofern tarifver324
325
326
327
328
329
330
331
332
333
334
Cass. com. 19.10.1999, LPA 19.7.2000, n8143, 19. – Cass. com. 18.12.2001, D. 2003, somm.,
1029.
Während des ganzen Arbeitsverhältnisses unterliegt jedoch der Arbeitnehmer einer Treuepflicht (obligation de loyauté). S. Cass. com. 31.3.2009, n808-12554, www.legifrance.gouv.fr,
wonach die Teilnahme des Arbeitnehmers an der Gründung eines Unternehmens während
der Kündigungsfrist ein unlauteres Wettbewerbsverhalten darstellt.
Vogel, Rdnr. 41 S. 72.
Serra, Rdnr. 185 S. 36. – Vogel, Rdnr. 41 S. 72. – CA Paris 11.5.1989, D. 1989, inf. rap., 188. –
CA Paris 21.9.1989, D. 1990, somm., 81. – CA Paris 23.11.1989, D. 1990, somm., 335. – Cass.
com. 6.3.1990, D. 1990, somm., 333. – CA Versailles 29.3.1990, D. 1990, somm., 335. – CA
Paris 24.2.1994, D. 1995, somm., 206.
Vogel, Rdnr. 42 S. 73.
CA Versailles 14.10.1999, D. 2000, somm., 315.
CA Paris 15.11.1996, D. 1996, somm., 248.
CA Versailles31.3.1994, D. 1995, somm., 207. – CA Paris 15.11.1995, D. 1996, somm., 248.
Cass. soc. 29.6.1999, D. 2000, somm., 318. – Cass. soc. 27.6.2007, n806-41393 und Cass. soc.
26.5.2010, n808-43105, www.legifrance.gouv.fr: „une clause de non-concurrence qui apporte
une restriction au principe de la liberté du travail est d’interprétation stricte et ne peut être
étendue au-delà de ses prévisions“.
CA Paris 20.6.1991, D. 1992, somm., 344. – CA Paris 25.10.1994, D. 1995, somm., 207. – CA
Douai 30.11.1994, D. 1995, somm., 259. – CA Paris 31.1.1995, D. 1996, somm., 259. – Cass.
com. 9.2.1999, D. 2000, somm., 323.
Cass. soc. 14.5.1992, D. 1992, jur., 350. – Cass. soc. 1.3.1995, D. 1996, jur., 205. – Cass. soc.
18.12.1997, D. 1997, somm., 214. – Cass. civ. 16.11.2004, CCC 2005, comm. 41.
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281
Länderbericht Frankreich
traglich nichts Abweichendes vereinbart wurde. 335 In drei Grundsatzurteilen vom
10.7.2002 hat jedoch die Cour de cassation ihre Rechtsprechung geändert und lässt
die Wettbewerbsverbotsklausel jetzt nur unter der Bedingung zu, dass der Arbeitgeber
dem Arbeitnehmer eine Gegenleistung in Geld leistet. 336
3. Verletzung von Vertriebsbindungssystemen337
Die Zulässigkeit von Ausschließlichkeitsverträgen und Vertriebsbindungen unterliegt
kartellrechtlichen Voraussetzungen, auf die hier nicht weiter eingegangen werden
kann.338 Die Rechtswirksamkeit solcher Verträge spielt jedoch insoweit für die wettbewerbsrechtliche Beurteilung von Verstößen gegen Ausschließlichkeitsverträge und
Vertriebsbindungen durch Dritte eine Rolle, als ein kartellrechtlich unzulässiger Vertrag keinen wettbewerbsrechtlichen Schutz erfährt: Nur ein gültiges Vertriebssystem
kann beanspruchen, auch von Drittpersonen respektiert zu werden. 339
Wie bei der Einstellung eines Beschäftigten, der einem Wettbewerbsverbot unterliegt,340 stellt sich hier die Frage, ob die Haftung des Dritten begründet ist, der gegen
335
336
337
338
339
Schlötter, S. 105. – Cass. soc. 9.10.1985, D. 1986, jur., 420. – Cass. soc. 18.12.1986, D. 1987,
somm., 268. – CA Paris 25.5.1990, D. 1990, somm., 334.
Cass. soc. 10.7.2002, D. 2002, 2491; JCP 2002, II, 10162. S. dazu Serra, Tsunami sur la clause
de non-concurrence en droit du travail, D. 2002, 2492 ff. S. aus der neuen Rechtsprechung
Cass. soc. 17.12.2004, CCC 2005, comm. 44. – Cass. soc. 11.1.2006, Bull. V Nr. 8. – Cass. soc.
25.1.2006, RLDA 2006/3, 144. – Cass. soc. 15.2.2006, RLDA 2006/3, 150. – Cass. soc. 22.3.
2006, Bull. V Nr. 21. – Cass. soc. 28.6.2006, Bull. V Nr. 231. – Cass. soc. 15.11.2006, CCC
2007, comm. 21; JCP 2007, II, 10039. – Cass. soc. 7.3.2007, D. 2007, 1708. – Cass. soc. 21.4.
2010, n808-45023, www.legifrance.gouv.fr.
Jourdain, Les réseaux de distribution et la responsabilité des tiers revendeurs hors réseaux, D.
1990, chr., 43. – Burst, La protection de la distribution sélective par l’action en contrefaçon et
l’action en concurrence déloyale, Cah. dr. entr. 1991, n81, 35. – Jéol, La protection des réseaux
de distribution sélective: faut-il désespérer de la justice?, JCP 1992, I, 3588. – Goyer, Distribution sélective: étanchéité des réseaux et preuve de la concurrence déloyale, Cah. dr. entr.
1997, n81, 1. – Romy/Gautier, Responsabilité au sein du réseau de distribution exclusive et
sélective, FS Dessemontet, Lausanne 1998, 382 ff. – Thalmann, La protection des réseaux de
distribution contre le commerce parallèle, Genève 2001. – Passa, Distribution et usage de
marque, 2002, Rdnr. 34 ff., S. 40 ff. – Chagny, Droits et obligations du promoteur d’un réseau
de distribution à l’épreuve du droit de la concurrence, RLDI 2007/33, 1126. – de Senilhes/
Roux, Distribution sélective et commerce électronique: une révolution inachevée, RJDA
2010/5, chron., 447.
Zu den Gültigkeitsvoraussetzungen für selektive Vertriebssysteme, s. Baudenbacher/Klauer,
Der Tatbestand der „concurrence déloyale“ des französischen Rechts und der Vertrieb selektiv gebundener Ware durch einen Außenseiter, GRUR Int. 1991, 800: die Auswahl der
gebundenen Händler muss nach objektiven und qualitativen Kriterien erfolgen, darf keine
ungerechtfertigte quantitative Beschränkung beinhalten und muss es dem gebundenen
Händler gestatten, auch weiterhin konkurrierende Produkte zu vertreiben.
Baudenbacher/Klauer, S. 801.
282
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VI. Schutz gegen individuelle Behinderung
Ausschließlichkeitsverträge oder Vertriebsbindungen verstößt. Dagegen, dass die
Missachtung einer fremden Vertragsbeziehung durch einen Dritten ein schuldhaftes
Verhalten darstellen kann, spricht der im Art. 1165 C. civ. festgelegte Grundsatz der
effet relatif des contrats. Dieser Grundsatz besagt, dass ein vertragliches Schuldverhältnis nur die Vertragsbeteiligten berechtigt und verpflichtet. Er wird jedoch in Frankreich so ausgelegt, dass die rechtlichen Wirkungen eines Vertrags zwar auf die Vertragsparteien beschränkt sind, der Vertragsschluss jedoch als tatsächliches Ereignis berücksichtigt werden muss. Daher können die Vertragsbeteiligten von Dritten zumindest
verlangen, dass sie die Existenz ihrer rechtlichen Vereinbarung respektieren (opposabilité du contrat).341 Rechtwirksame Vereinbarungen müssen also auch von nicht am
Vertrag beteiligten Dritten beachtet werden, sofern diese nur Kenntnis vom Vertrag
haben. Dabei wird in Frankreich nicht zwischen dem Verleiten zu einem Vertragsbruch einerseits und dessen Ausnutzen andererseits unterschieden. Beide Erscheinungsformen werden einheitlich als Beteiligung an einem Vertragsbruch betrachtet,
ohne dass der Umfang der Drittbeteiligung besonders berücksichtigt würde:342 Außenseiter, die lediglich fremden Vertragsbruch ausnutzen, handeln wettbewerbswidrig. Die
zunächst für die Abwerbung von Arbeitnehmern entwickelte Rechtsprechung zur opposabilité wurde dann auf Ausschließlichkeitsverträgen erstreckt und schließlich auch
auf Selektivvertriebsbindungen angewendet. 343
Lange Zeit ist die französische Rechtsprechung davon ausgegangen, dass die bloße
Tatsache des Verkaufs von Produkten außerhalb des Vertriebsnetzes für sich ein unlauteres Verhalten darstelle. Die rechtliche Zulässigkeit eines exklusiven oder selektiven
Vertriebssystems reichte also aus, um einen Außenseiter, der von dem Bindungssystem
wusste und dennoch gebundene Waren verkaufte, wegen unlauteren Wettbewerbs zu
verurteilen. 344 Die Cour de cassation hat jedoch diesen Ansatz der Untergerichte
schon 1983 hinsichtlich Ausschließlichkeitsbindungen beanstandet und im berühmten
Fall Mitsubishi Schutz gegen Außenseitervertrieb nur noch bei Vorliegen besonderer
Umstände zugesprochen. 345 Die verschiedenen Vertikalbeschränkungen wurden sodann vorübergehend unterschiedlich behandelt. Denn der Parallelverkauf durch einen
Außenseiter im Fall von selektiven Vertriebssystemen wurde weiterhin von den Untergerichten als unlauteres Verhalten angesehen.346 Die Cour de cassation dehnte aber in
einer Reihe von Urteilen vom 13.12.1988 ihre außenseiterfreundliche Rechtspre340
341
342
343
344
345
346
S. oben S. 280.
Schlötter, S. 121. – Cass. com. 1.7.2003, D. 2003, 2427; JCP ed. E 2003, 1622. – Cass. com. 11.1.
2005, Auchan c. Levi-Strauss, CCC 2005, comm. 89.
Schlötter, S. 122.
Baudenbacher/Klauer, S. 802.
Baudenbacher/Klauer, S. 802.
Cass. com. 12.6.1983, Mitsubishi, Bull. civ. IV Nr. 69. – Cass. com. 12.7.1983, D. 1984, jur.,
489. – Cass. com. 27.5.1986, D. 1987, somm., 264. – Cass. com. 1.3.1994, D. 1995, somm., 211.
– Cass. com. 9.7.1996, D. 1997, somm., 56. – Cass. com. 7.10.1997, D. 1997, inf. rap., 222.
CA Paris 24.3.1987, D. 1988, somm., 212. – CA Versailles 4.3.1987, D. 1988, somm., 211. –
CA Paris 5.3.1987, JCP 1987, II, 20797; JCP 1987 ed. E, II, 14931. – CA Paris 28.4.1988, D.
1988, somm., 211. – CAVersailles 10.6.1987, Gaz. Pal. 1988, 1, somm., 101. – CA Paris 17.2.
1988, RDPI 1988, n816, 90. – CA Paris 28.4.1988, D. 1988, inf. rap., 158.
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283
Länderbericht Frankreich
chung zu den Ausschließlichkeitsbindungen auch auf den Selektivvertrieb aus347 und
entschied, dass das bloße Vertreiben von Ware, die aus einem selektiven Vertriebssystem stammt, als solches nicht unlauter sei. 348 Diese von der Praxis des EuGH beeinflusste Rechtsprechung wurde seitdem mehrmals bestätigt.349
Der Eingriff in selektive oder exklusive Vertriebssysteme durch Parallelimport begründet daher grundsätzlich nur bei Vorliegen besonderer Umstände ein unlauteres
Wettbewerbsverhalten. Die Cour de cassation verlangte ursprünglich vom Kläger
den Nachweis, dass der nicht autorisierte Händler seine Waren unrechtmäßig erworben hat.350 Dabei genügte die Weigerung des nicht autorisierten Händlers, seine Bezugsquellen offenzulegen, um die Rechtswidrigkeit des Bezugs nachzuweisen und eine
Klage wegen unlauteren Wettbewerbs zu begründen. 351 Einen weiteren Schritt ist die
Cour de cassation 1999 gegangen, indem sie die Beweislast dem Parallelhändler auferlegte, dass er seine Produkte rechtmäßig erworben hat.352 Allerdings muss er nicht
nachweisen, dass sein eigener Lieferant die Produkte selbst rechtmäßig bezogen hat.353
Außer der Rechtswidrigkeit der Beschaffung354 stellen ebenfalls die widerrechtliche
Benutzung der Bekanntheit der Marke355 oder die Praxis der Lockvogelmarke356 besondere Umstände dar, bei denen ein unlauteres Wettbewerbsverhalten vorliegt. 357
347
348
349
350
351
352
353
354
Baudenbacher/Klauer, S. 804.
Von den am 13.12.1988 dreizehn ergangenen Entscheidungen der Cour de cassation wurden,
soweit ersichtlich, nur drei veröffentlicht: Cass. com. 13.12.1988, Goguet c. Courrèges und
Centre Leclerc c. Société française de soins et de parfums, D. 1990, somm., 104. – Cass. com.
13.12.1988, Givenchy c. Centre Leclerc, D. 1989, somm., 269; D. 1989, jur., 427; Gaz. Pal.
1989, 1, jur., 419; GRUR Int. 1991, 818.
Cass. com. 10.1.1989, 31.1.1989, 21.3.1989 und 10.5.1989, D. 1989, jur., 427 ff. – Cass. com.
27.10.1992, Bull. IV Nr. 322; D. 1992, jur., 505. – Cass. com. 1.3.1994, D. 1995, somm., 211. –
Cass. com. 15.3.1994, Bull. IV Nr. 108; D. 1995, somm., 208. – Cass. com. 18.10.1994, D. 1996,
jur., 311. – Cass. com. 7.10.1997, D. 1998, jur., 206. – Cass. com. 10.2.1998, D. 1998,
somm., 331.
Cass. com. 21.3.1989, D. 1989, jur., 427.
Cass. com. 27.10.1992, Bull. IV Nr. 322; D. 1992, jur., 505. – Cass. com. 15.3.1994, Bull. IV
Nr. 108; D. 1995, somm., 208. – Cass. com. 19.5.1998, Bull. IV Nr. 157; PIBD 1998, 659, III,
408. – CA Bordeaux 21.9.2009, CCC 2010, comm. 55.
Cass. com. 26.1.1999, D. 1999, somm., 241. – Cass. com. 11.1.2005, Auchan c. Levi Strauss,
CCC 2005, comm. 89. Zum Vertrieb vom Parfums auf Internetseiten außerhalb des selektiven
Vertriebssystems, s. CA Paris 18.4.2008, PMC Distribution c. Pacific Création, www.legalis.
net: „en l’absence d’un approvisionnement licite, la revente sur le site internet du produit
litigieux en connaissance du réseau de distribution sélective existant, caractérise la concurrence déloyale“.
Cass. com. 19.10.1999, D. 2000, jur., 341; CCC 2000, comm. 6. – Cass. com. 25.4.2001, D.
2001, jur., 1946; RiW 2002, 870.
Vgl. CA Paris 5.9.2003, aff. Rue du Commerce, www.foruminternet.org: le fait pour un distributeur hors réseau de proposer sur Internet des produits que le fabricant réserve à son réseau
de distribution sélective constitue un trouble manifestement illicite, indépendamment de la
régularité des approvisionnements du distributeur hors réseau et de leur provenance.
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VI. Schutz gegen individuelle Behinderung
Die zum Teil als zu liberal empfundene Rechtsprechung ist jedoch in der französischen Auto- und Luxusgüterindustrie, die vornehmlich ihren Verkauf in Form von
exklusiven und selektiven Vertriebssystemen organisierte, auf Kritik gestoßen. 358 Das
Gesetz vom 1.7.1996 (Loi Galland) hat daher in den Art. 36 der Verordnung vom 1.12.
1986359 – nunmehr Art. L. 442.6 I 68 Code de commerce – einen neuen Absatz eingefügt, der eine deliktische Haftung im Falle des Verstoßes gegen Vertriebssystemen vorsieht. Danach ist schadensersatzpflichtig, wer direkt oder indirekt an der Verletzung
des Verbotes teilnimmt, das einem autorisierten, durch einen selektiven oder exklusiven Vertriebsvertrag gebundenem Vertragshändler auferlegt ist, Produkte an Händler
außerhalb des Vertriebsnetzes weiterzuverkaufen.
4. Störung der geschäftlichen Tätigkeit des Mitbewerbers
Unter dem Begriff der Störung der geschäftlichen Tätigkeit des Mitbewerbers werden
hauptsächlich, zusätzlich zu dem soeben dargestellten Eingriff in exklusive und selektive Vertriebssysteme, Wettbewerbshandlungen wie die Behinderung der Werbung
und die Unterschlagung von Bestellungen oder Kundenlisten zusammengefasst.
Das Unterdrücken der Werbung (suppression de publicité) des Mitbewerbers zählt
ohne Zweifel zu den unlauteren Verhalten, die eine Wettbewerbsklage begründen.
Die französische Rechtsprechung bietet zahlreiche Beispiele der Beseitigung und Beschädigung, aber auch des Versteckens oder Verdeckens der Werbemittel eines Mitbewerbers.360 In all diesen Fällen besteht das unlautere Verhalten darin, dass das Publikum an der Wahrnehmung von Plakaten, Schildern, Anzeigen und anderen Hinweisen auf das Konkurrenzunternehmen gehindert wird.361
Das klassische Mittel, um die Kundschaft des Mitbewerbers abzuwerben, besteht
aber darin, die Listen, Verzeichnisse, Dateien – oftmals mit der Hilfe eines früheren
Arbeitnehmers des Konkurrenten – zu entwenden, die die Kunden oder die Lieferan355
356
357
358
359
360
361
Cass. com. 18.10.1994, D. 1996, jur., 311. – CA Paris 17.2.1993, D. 1995, somm., 83. – CA
Paris 24.3.1994, D. 1995, somm., 83.
Cass. com. 23.2.1993, D. 1993, inf. rap., 84. – CA Bourges 3.7.1989, D. 1990, somm., 371. Zur
Praxis der Lockvogelmarke, s. unten S. 311.
Vogel, Rdnr. 53 S. 85.
Victor-Granzer, Das Wettbewerbsrecht in Frankreich, in Heidelberger Kommentar zum Wettbewerbsrecht, 2. Aufl. 2005, Rdnr. 21 S. 873.
Verordnung 86-1243 vom 1.12.1986, JO 9.12.1986, reformiert durch Gesetz 96-588 vom 1.7.
1996, JO 3.7.1996; deutsche Übersetzung in WuW 1/1998, S. 38 ff. – Szönyi, Die Neufassung
der französischen Verordnung vom 1. Dezember 1986 zum Kartell- und Wettbewerbsrecht –
ein Schlag gegen den Großvertrieb?, GRUR Int. 1998, 30 ff.
Cass. com. 29.5.1967, D. 1967, somm., 110. – Cass. com. 22.3.1982, JCP 1982, IV, 201. – Cass.
com. 22.7.1986, Gaz. Pal. 1986, 2, pan., 278. – CA Grenoble 7.7.1980, JCP 1981, IV, 361. – CA
Paris 2.3.1987, D. 1987, inf. rap., 69. – T. com. Paris 11.2.1991, RJDA 1991/11, n8 988, 823. –
CAVersailles 12.3.1998, Gaz. Pal. 1998, 2, somm., 628. – CA Paris 28.1.1998, Gaz. Pal. 1998,
2, somm., 628.
Krasser, Rdnr. 434 S. 314, und die dort zitierte Beispiele aus der älteren Rechtsprechung.
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285
Länderbericht Frankreich
ten des Unternehmens aufführen. Die Entwendung und Benutzung solcher Dateien
stellt ein unlauteres Verhalten dar, das die Wettbewerbsklage begründet.362 Unlautere
Eingriffe in die Beziehungen des Konkurrenten zur Kundschaft können auch durch das
Entziehen von Aufträgen (détournement de commandes) erfolgen.363 Unlauter ist die
Ausführung eines Auftrages durch einen Kaufmann, wenn ihm bewusst ist, dass er
für einen Mitbewerber bestimmt ist364 oder die Mitnahme von Aufträgen, die dem
früheren Arbeitgeber erteilt wurden, zu einer Konkurrenzgesellschaft. 365
Diese Wettbewerbshandlungen stellen unlautere Mittel der Kundenaneignung dar.
Die Kundenentziehung (détournement de clientèle) als solche ist aber nicht unlauter,
solange nicht „besondere Umstände“ hinzutreten. 366 Es findet sich in den französischen Gerichtsentscheidungen oft der Satz, dass „Unternehmen kein ausschließliches
Recht an ihrer Kundschaft haben“. Daher ist die Abwerbung (démarchage) der Kunden
eines Mitbewerbers grundsätzlich erlaubt, auch wenn sie von einem früheren Arbeitnehmer dieses Mitbewerbers verursacht wird.367 Die Kundenabwerbung wird aber als
unlauter angesehen, wenn sie systematisch erfolgt. 368 In diesem Zusammenhang wurde
die Frage aufgeworfen, ob die Praxis des couponnage électronique rechtswidrig ist. Diese
Praxis besteht darin, einen Mikrocomputer mit der Kasse eines Geschäfts zu verbinden, um beim Lesen des Strichcodes eines Produktes ein Gutschein für ein Konkurrenzprodukt auszugeben. In erster Instanz wurde der couponnage électronique als unlauter angesehen,369 während das Berufungsgericht entschieden hat, dass daran nichts zu
beanstanden sei.370 Diese Entscheidung wurde aber von der Cour de cassation aufgehoben mit der Begründung, ein solches Vorgehen stelle eine unlautere Kundenentziehung dar.371
362
363
364
365
366
367
368
369
370
Cass. soc. 27.1.1972, Bull. civ. V Nr. 72. – Cass. com. 6.12.1977, Bull. civ. IV Nr. 290. – Cass.
com. 28.1.1980, JCP 1980, I, 19533. – Cass. com. 25.6.1991, D. 1992, jur., 249. – Cass. soc.
22.5.1995, RJDA 1995/8-9, n81066. – CA Paris 1.3.1984, Gaz. Pal. 1984, 2, somm., 433. – CA
Paris 24.2.1994, RJDA 1994/5, n8612. – CA Douai 1.7.1996, PIBD 1997, III, 129. – CA Lyon
16.1.1997, PIBD 1997, 631, III, 235. – CA Versailles 19.2.1998, RJDA 1998, n8811.
Krasser, Rdnr. 444, S. 321.
Cass. com. 16.6 1965, Bull. civ. III Nr. 378. – Cass. com. 28.4.1980, JCP 1982, II, 19791. – Cass.
com. 2.3.1982, D. 1983, somm., 53.
CA Paris 20.2.1974, Ann. prop. ind. 1974, 292. – CA Paris 20.3.1987, D. 1988, somm., 175.
Cass. civ. 18.1.2005, CCC 2005, comm. 88.
CA Paris 4.11.1981, Gaz. Pal. 1982, 1, somm., 82. – CA Paris 5.3.1987, D. 1988, somm., 180. –
Cass. com. 9.11.1987, D. 1988, somm., 213. – CA Paris 26.2.1991, D. 1992, somm., 50. – CA
Paris 30.9.1992, Gaz. Pal. 1993, 2, somm., 360. – CA Paris 17.4.1996, Gaz. Pal. 1996, 2,
somm., 495. – CA Paris 3.11.2004, D. 2005, 2464.
CA Paris 1.3.1984, Gaz. Pal. 1984, 2, somm., 433. – CA Paris 24.5.1984, Gaz. Pal. 1985, 1,
somm., 103. – Cass. com. 6.6.1984, D. 1985, inf. rap., 156. – Cass. civ. 29.10.1985, D. 1986,
somm., 340. – Cass. com. 6.5.1986, D. 1986, inf. rap., 339. – Cass. com. 13.2.1990, JCP 1990,
IV, 140.
T. com. Marseille 2.2.1995, RJDA 1995/5, 672.
CA Aix-en-Provence 30.6.1995, D. 1996, somm., 178; D. 1997, jur., 39; Ann. prop. ind. 1996,
122. – Gautier, la propriété intellectuelle „fait ses courses“. De l’utilisation du code barre
d’autrui, JCP 1995, I, 3860. – Cas, Du couponnage électronique, D. 1996, chr., 60.
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VII. Schutz gegen Irreführung
VII. Schutz gegen Irreführung
Traditionell gehört in Frankreich der Schutz vor Irreführung zur Aufgabe des Verbraucherschutzrechts (droit de la consommation), nicht aber des Rechts des unlauteren
Wettbewerbs (concurrence déloyale). Das Hervorrufen einer Verwechslungsgefahr mit
den Erzeugnissen oder den Kennzeichen eines Mitbewerbers372 stellt die einzige Irreführung dar, die mit Hilfe der Klage wegen unlauteren Wettbewerbs geahndet wird.
Weitere Irreführungen sind auf der Grundlage des Code de la consommation bzw. Code
de commerce zu beanstanden.
In dieser Hinsicht kannte das französische Recht bis zur Umsetzung der UGPRichtlinie (über den Schutz geographischer Herkunftsangaben, den Warenbetrugstatbestand und die Regelung von Verkaufsförderungsmaßnahmen hinaus) lediglich das
Verbot der irreführenden „Werbung“. Das Umsetzungsgesetz vom 3.1.2008 hat den
Irreführungstatbestand neu gefasst, der sich jetzt auf „irreführende Geschäftspraktiken“ erstreckt. Daher stellt jetzt die irreführende Werbung nur noch eine Art verbotener irreführender Geschäftspraktiken dar. Gleichwohl ist die frühere Fassung des
Tatbestands der irreführenden Werbung immer noch von Bedeutung, da die meisten
Merkmale in den neuen Irreführungstatbestand übernommen wurden. Daher wird zuerst der frühere Tatbestand der irreführenden Werbung erörtert, bevor auf den neuen
Tatbestand der irreführenden Geschäftspraktiken eingegangen wird.
1. Von der irreführenden Werbung zu den irreführenden Geschäftspraktiken
(Art. L. 121-1 C. cons.)
a) Geschichtliche Entwicklung
Schon früh begannen sich im französischen Recht Spezialgesetze strafrechtlicher Natur
zu entwickeln, die den Schutz gegen Irreführung bezweckten. Der allgemeine Betrugstatbestand (escroquerie) des Art. 405 a.F. C. pénal ist die historisch früheste Strafnorm,
die neben der zivilrechtlichen Haftung des Art. 1382 C. civ. zur Bekämpfung der täuschenden Werbung angewandt wurde.373 Die Anwendung war aber selten, da der Betrug
den Nachweis sogenannter „betrügerischer Machenschaften“ (manœuvres frauduleuses)
verlangte, von denen die werbliche Lüge begleitet sein musste. Diese Vorschrift, die
nunmehr Art. 313-1 n.F. Code pénal bildet, hat ihre Bedeutung seit der Einführung der
speziellen Regelung zum Verbot irreführender Angaben weitgehend verloren.
Die wichtigste Vorschrift zur Bekämpfung irreführender Angaben ist langer Zeit
der Warenbetrugstatbestand (tromperie) des Gesetzes vom 1.8.1905 geblieben. Bei diesem Gesetz ging es weniger um die Lauterkeit des Wettbewerbs als vielmehr um den
Schutz der Verbraucher, denn nicht jede Täuschung schlechthin, sondern nur diejenige im Zusammenhang mit einem Vertrag, war strafbar.374 Während der Warenbe371
372
373
374
Cass. com. 18.11.1997, JCP 1998, II, 10026; D. 1998, jur., 260, CCC 1998, comm., 15.
S. oben S. 249 ff.
Dreier /von Lewinski, Rdnr. 30 S. 26.
Dreier /von Lewinski, Rdnr. 35 S. 28.
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287
Länderbericht Frankreich
trugstatbestand lediglich den Schutz des Einzelkäufers bezweckte, wurde das anonyme
Publikum gegen die täuschende Werbung als solche erstmals mit Art. 5 des Finanzgesetzes vom 2.7.1963 geschützt, das das Irreführungsdelikt einführte. Diese Norm erwies
sich allerdings von ihrer Reichweite und Effizienz her mit der Zeit als unbefriedigend,375 und wurde zehn Jahre später durch Art. 44 des Gesetzes vom 27.12.1973 (sog.
Loi Royer) ersetzt. Diese Vorschrift, die primär verbraucherschützenden Charakter
hat,376 wurde 1993 in Art. L. 121-1 bis Art. L. 121-7 C. cons. aufgenommen. Eine Umsetzung der Richtlinie 84/450 / EWG vom 10.9.1984 über irreführende Werbung377 ist
in Frankreich nicht erfolgt, da das französische Recht den Mindeststandard der Richtlinie mehr als erfüllte.
b) Der frühere Tatbestand der irreführenden Werbung (Art. L. 121-1 ff. a.F. C. cons)
Nach Art. L. 121-1 a.F. C. cons. hängt der Tatbestand der irreführenden Werbung in
materieller Hinsicht von drei Voraussetzungen ab: Es muss Werbung vorliegen, die
Werbung muss falsche oder zur Irreführung geeignete Angaben enthalten und diese
Angaben müssen sich auf mindestens eines aufgezählte Elemente beziehen.378 In subjektiver Hinsicht bedarf der Tatbestand darüber hinaus eines Verschuldenselements.
aa) Das Vorliegen einer Werbung
Grundvoraussetzung des Irreführungsdelikts in seiner früheren Fassung ist das Vorliegen einer Werbung, wobei das französische Recht keine gesetzliche Definition der
Werbung enthält. Rechtsprechung und Lehre legen den Begriff jedoch weit aus. Die
Cour de cassation versteht darunter „jedes Informationsmittel, das darauf abzielt, dem
potentiellen Kunden zu ermöglichen, sich eine Meinung über die Eigenschaften der
ihm angebotenen Waren oder Dienstleistungen zu bilden“379 Danach ist das Ziel der
375
376
377
378
Fischer, Das französische Rechtsschutzsystem gegen irreführende Werbung im Vergleich mit
dem deutschen Recht, 1998, S. 7.
Dreier /von Lewinski, Rdnr. 37 S. 29.
Kodifiziert durch die Richtlinie 2006/114 /EG vom 12.12.2006 über irreführende und vergleichende Werbung, ABl. 2006, Nr. L 376, S. 21.
Art. L. 121-1 a.F. C. cons. hatte folgenden Wortlaut: „Verboten ist jede Werbung, gleich in
welcher Form sie stattfindet, die falsche oder zur Irreführung geeignete Behauptungen, Angaben oder Aufmachungen enthält, wenn diese sich auf eines oder mehrere der folgenden
Merkmale beziehen: Existenz, Natur, Zusammensetzung, wesentliche Eigenschaften, Gehalt
wertvoller Bestandteile, Sorte, Herkunft, Menge, Herstellungsweise und -datum, Eigenart,
Preis und Verkaufsbedingungen von Gütern oder Dienstleistungen, die Gegenstand der
Werbung sind, Anwendungsbedingungen, Ergebnisse, die von der Benutzung erwartet werden können, Motive und Methoden des Verkaufs oder des Angebots von Dienstleistungen,
Tragweite der vom Werbenden übernommenen Verpflichtungen, Identität, Eigenschaften
oder Fähigkeiten des Herstellers, der Wiederverkäufer, der Werbeveranstalter oder der
Dienstleistungsbetriebe“.
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VII. Schutz gegen Irreführung
Absatzförderung, wie von Art. 2-1 der Richtlinie 84/450/ EWG über irreführende Werbung gefordert, im französischen Recht nicht notwendig. Diese sehr weite Auslegung
des Begriffs, die keinen Unterschied zur bloßen Information mehr macht, ist allerdings
im Schrifttum umstritten.380
Erfasst ist Werbung „gleich in welcher Form sie stattfindet“, was zunächst bedeutet,
dass die Art des Werbeträgers keine Rolle spielt. Dabei kann es sich um einen Katalog,381 ein Telefonbuch382 oder sogar die Speisekarte eines Restaurants383 handeln. Die
Werbeangaben können auch auf Verpackungen,384 Etiketten385 oder dem Produkt386
selber angebracht werden. Unter Werbung fällt nicht nur geschriebene oder gesprochene387 Werbung, sondern auch die Werbung im Fernsehen, Radio oder Kino. 388 Unerheblich ist weiterhin, ob die Werbung sich auf Waren, Immobilien389 oder Dienstleistungen bezieht. Die Vorschrift findet auch auf Werbung für unentgeltliche Verträge
und für einseitige Rechtsgeschäfte Anwendung, was insbesondere die Teilnahme an
kostenlosen Lotterien betrifft.390
Der persönliche Anwendungsbereich des Art. L. 121-1 a.F. C. cons. ist nicht auf
Gewerbetreibende beschränkt, sondern erstreckt sich auch auf Privatpersonen391 und
379
380
381
382
383
384
385
386
387
388
389
390
391
Cass. crim. 23.3.1994, Bull. crim. Nr. 114. – Cass. crim. 14.10.1998, Bull. crim. Nr. 262; JCP
1999, II, 10066; CCC 1999, comm. 32. – Cass. crim. 19.10.2004, Bull. crim. Nr. 245; PI 2005,
n815, 223.
S. dagegen Fourgoux, Anm. zu Cass. crim. 25.6.1984, D. 1985, jur., 80. S. dafür Calais-Auloy/
Steinmetz, Rdnr. 129 S. 143. S. dazu Aye, Verbraucherschutz im Internet nach französischem
und deutschem Recht, 2005, 139.
CA Douai 14.10.1992 und CA Paris 9.6.1993, CCC 1993, comm. 223. – CA Paris 24.9.2003,
CCC 2004, comm. 68. – Cass. crim. 3.9.2002, CCC 2003, comm. 51.
CA Paris 16.12.1987, JCP ed. E. 1989, II, 15601.
CA Paris 28.2.1995, CCC 1995, comm. 96. – Trib. corr. Evreux 27.5.1982, Cah. dr. entr. 1983,
Nr. 6, 23.
CA Paris 24.3.1987, D. 1987, inf. rap., 103. – CA Paris 16.6.1987, D. 1987, inf. rap., 201. –
Cass. crim. 24.11.1992, CCC 1993, comm. 36. – Cass. crim. 3.9.1992, Bull. crim. Nr. 281. –
Cass. crim. 3.9.2002, CCC 2003, comm. 50.
Cass. crim. 25.6.1984, D. 1985, jur., 80 – Cass. crim. 15.5.2001, Bull. crim. Nr. 122, JCP ed. E
2001, 1364.
Cass. crim. 28.11.1983, Gaz. Pal. 1984, 1, jur., 258.
Cass. crim. 13.12.1982, Bull. crim. Nr. 285. – CA Aix-en-Provence 23.2.1994, CCC 1995,
comm. 17. – CA Paris 19.3.1999, D. 1999, inf. rap., 150. – Cass. crim. 28.3.1996, Dr. pén. 1996,
comm. 223.
Cass. crim. 21.5.1984, D. 1985, jur., 105.
CA Paris 24.5.1982, D. 1983, jur., 11. – Cass. crim. 27.3.1996, Bull. crim. Nr. 139.
Cass. crim. 8.3.1990, JCP 1990, II, 21542. – Cass. crim. 5.4.1995, JCP 1995, IV, 1695. – Cass.
crim. 28.5.1997, Bull. crim. Nr. 211; JCP 1997, IV, 1912; CCC 1997, comm. 172. – Cass. crim.
1.10.1997, JCP 1998, IV, 1273; CCC 1997, comm. 124. – CA Bourges 5.10.1998, JCP 1999, IV,
2473.
Cass. crim. 24.3.1987, JCP ed. E 1988, II, 15321. – Cass. crim. 13.6.1991, D. 1992, jur., 430. –
Cass. crim. 27.3.1996, Bull. crim. Nr. 139; JCP 1996, IV, 1518 . S. dazu die Kritik von CalaisAuloy/Steinmetz, Fßn. 1 S. 144. – Fischer, S. 43, wonach die von einer Privatperson ausgehen-
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Länderbericht Frankreich
sogar auf Vereine.392 Die Werbung muss sich nicht an Verbraucher richten, sondern
kann auch an Kaufleute393 oder Fachleute394 adressiert sein. Allerdings scheint erforderlich, dass die Äußerung an mehrere Personen gerichtet ist, zumindest finden in der
Literatur einige Entscheidungen Erwähnung, denen zufolge ein individueller und persönlicher Brief an einen Kunden keine Werbung i.S.d. Gesetzes ist.395
bb) Falsche oder zur Irreführung geeignete Angaben
Die zweite Voraussetzung des Tatbestands der irreführenden Werbung besteht darin,
dass die Werbung falsche oder zur Irreführung geeignete Angaben enthält. Der Begriff
der Angaben ist vom Gesetz mit „Behauptungen, Angaben oder Aufmachungen“ (allégations, indications ou présentations) bewusst weit gefasst. 396 Durch Erfassen nicht nur
objektiv falscher (publicité fausse), sondern auch zur Irreführung geeigneter Werbung
(publicité de nature à induire en erreur) als subjektives Element, hat der Tatbestand der
irreführenden Werbung mit der Loi Royer eine entscheidende Ausweitung gegenüber
dem Gesetz von 1963 erhalten,397 das nur präzise falsche Werbeangaben sanktionierte.
Art. L. 121-1 a.F. C. cons. ist in seiner Anwendbarkeit also nicht auf solche Werbeangaben beschränkt, die nachweisbar unrichtig sind, sondern erfasst auch jene, deren
Inhalt mehrdeutig ist, und die gerade aufgrund dieser Mehrdeutigkeit und ihrer suggestiven Wirkung zur Irreführung geeignet sind.398 Im Gegensatz zur früheren Rechtslage setzt Art. L. 121-1 C. cons. nicht voraus, dass nachgewiesen wird, dass tatsächlich
eine Täuschung beim Verbraucher eingetreten ist. Die Gefahr einer Irreführung reicht
aus.399 Daher ist eine nachträgliche Aufklärung der Verbraucher bzw. eine nachträgliche Richtigstellung der Werbung irrelevant, wenn die Werbung im Zeitpunkt der
Verbreitung dazu geeignet ist, einen Irrtum herbeizuführen. 400 Die Cour de cassation
ist der Ansicht, dass die „Angaben einer werblichen Anpreisung für sich selbst und
unter Maßgabe des Zeitpunkts, in dem sie veröffentlicht wurden, beurteilt werden
392
393
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395
396
397
398
399
400
de Annonce zu eigenen Zwecken und ohne wettbewerbliche Erheblichkeit, die vom deutschen Irreführungsverbot nicht mehr erfasst ist, sehr wohl unter den französischen Begriff der
Werbung falle.
Cass. crim. 10.12.1997, JCP 1998, IV, 1823. – Cass. Ass. Plen. 8.7.2005, Bull. A.P. Nr. 2; D.
2005, 1997.
CA Paris 11.1.1995, CCC 1995, comm. 95. – Cass. crim. 14.11.2000, Dr. pén. 2001,
comm. 34.
CA Versailles 29.3.2001, RJDA 2001, n8821. – CA Paris 30.4.2003, CCC 2004, comm. 32.
Calais-Auloy/Steinmetz, Rdnr. 129 S. 144. – Dreier /von Lewinski, Rdnr. 41 S. 31. – Fischer, S. 45.
Dreier /von Lewinski, Rdnr. 47 S. 32.
Fischer, S. 46.
Dreier /von Lewinski, Rdnr. 47 S. 33. S. Calais-Auloy/Steinmetz, Rdnr. 129 S. 144.
Dreier /von Lewinski, Rdnr. 50 S. 33. S. Calais-Auloy/Steinmetz, Rdnr. 129 S. 145. S. aus der
Rechtsprechung Cass. crim. 8.12.1987, Bull. crim. Nr. 450; D. 1988, inf. rap., 43. – Cass. crim.
14.10.1998, JCP 1999, II, 10066.
Fischer, S. 62.
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VII. Schutz gegen Irreführung
müssen, ungeachtet der Tatsache, dass sie später durch zusätzliche Hinweise präzisiert
werden“.401 In diesem Zusammenhang wird von einem délit instantané gesprochen, was
bedeutet, dass das Delikt bereits mit der Verbreitungshandlung vollendet ist.402
Die Feststellung, wann eine Werbeangabe im Einzelfall geeignet ist, einen Irrtum
herbeizuführen, bleibt den Gerichten überlassen. Dabei werden offensichtliche Übertreibungen oder Angaben, deren Unwahrheit allgemein bekannt ist, nicht sanktioniert.403 Als Beispiel für letztere sei der Slogan „la pile Wonder ne s’use que si on s’en
sert“ genannt. 404 Das Gericht qualifizierte diese wissenschaftlich nicht haltbare Angabe als „karikaturistisch“, da niemand ein Produkt kaufe, um es nicht zu benutzen. Der
Slogan erinnere lediglich an das evidente Prinzip, dass jeder Gegenstand sich um so
mehr abnutze, je mehr man ihn gebraucht. Dadurch werde aber der allein schutzwürdige Durchschnittsverbraucher nicht getäuscht. 405 Ein Beispiel zur emphatischen Werbung stellt die immer wieder zitierte Entscheidung „valises Samsonite“ der Cour de
cassation aus dem Jahre 1984 dar.406 Hierbei ging es um einen Werbespot, in dem Bulldozer mit einem Samsonite-Koffer Fußball spielten. Der Koffer blieb dabei trotz der
harten und ungewöhnlichen Prüfung, der er unterzogen wurde, unversehrt. Für die
Erstellung des Filmspots waren zahlreiche Fehlversuche vonnöten gewesen, bei deren
Verlauf mehrere Koffer beschädigt wurden. Die Cour de cassation bestätigte das Berufungsurteil,407 wonach die übertriebene Werbung, die sich in Form der Parodie oder der
Emphase äußert, nicht verboten sei, wenn festgestellt werde, dass die bildhafte Überspitzung oder die Übertreibung der Werbung letztlich niemanden täuschen könne.408
cc) Das Verbraucherleitbild
Ob eine Werbung im konkreten Fall ernst genommen wird oder irreführend ist, hängt
von der Verkehrsauffassung ab. Maßstab hierfür ist seit 1973 nicht mehr der konkret
getäuschte, sondern der durchschnittliche Verbraucher. 409 Das Verbraucherleitbild
wird aber im Einzelfall unter Berücksichtigung der Zielgruppe der Werbung be401
402
403
404
405
406
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408
409
Cass. crim. 30.5.1989, D. 1989, inf. rap., 226 und 246. – CA Paris 21.5.2002, RJDA 2003/1, 82.
Calais-Auloy/Steinmetz, Rdnr. 129 S. 146.
Calais-Auloy/Steinmetz, Rdnr. 129 S. 145.
Trib. corr. Paris 13.4.1983, Gaz. Pal. 1983, 1, jur., 343, aufrechterhalten durch Cass. crim.
15.10.1985, unveröffentlicht.
Fischer, S. 48.
Cass. crim. 21.5.1984, Bull. crim. Nr. 185; D. 1985, jur., 105. Ebenso Cass. crim. 15.10.1985, D.
1986, somm., 397. – Cass. crim. 5.4.1990, D. 1990, inf. rap., 145. – CA Paris 2.12.1992, JCP
1993, IV, 1186. S. jedoch CA Paris 26.9.1991, D. 1992, somm., 342.
CA Paris 12.4.1983, Gaz. Pal. 1983, 1, jur., 341.
Fischer, S. 54.
Dreier /von Lewinski, Rdnr. 64 S. 39. S. aus der Rechtsprechung CA Paris 1.3.1993, CCC 1993,
comm. 7. – TGI Paris 11.12.1996, CCC 1997, comm. 72. – CA Bourges 5.10.1998, JCP 1999,
IV, 2473. – TGI Paris 14.4.1999, JCP 2000, II, 10233. – Cass. crim. 14.2.1996, Dr. pén. 1996,
comm. 137. – Cass. crim. 28.5.1997, JCP 1997, IV, 1912. – Cass. crim. 1.10.1997, CCC 1997,
comm. 124. – Cass. crim. 4.6.2002, CCC 2002, comm. 179.
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Länderbericht Frankreich
stimmt.410 So wurde zum Beispiel in mehreren Fällen, in denen die Werbung sich auf
Schildern am Straßenrand befand, an Autofahrer gerichtet war und kleingedruckte
Passagen enthielt, die auf die Schnelle nicht wahrnehmbar waren, auf die besondere
Situation der speziell angesprochen Autofahrer Rücksicht genommen. 411 Weiterhin
wurde auch bei einer Werbung für Filzstifte mit angeblich auswaschbarer Tinte darauf
abgestellt, dass die streitgegenständlichen Angaben an den Durchschnittsverbraucher
und speziell an Familienmütter gerichtet waren, in deren Vorstellung die Tinte „unter
normalen Umständen“ auswaschbar sei.412 Tatsächlich war sie nur auf bestimmten Materialien und nicht auf Textilien auswaschbar.413
Bei einer an Gewerbetreibende gerichteten Werbung berücksichtigt die Rechtsprechung gegebenenfalls, dass es sich bei den Angesprochenen um ein aufgeklärtes
Publikum handelt, das wegen seiner besonderen Fachkenntnisse die Werbung kritischer beurteilen kann als ein Verbraucher.414 Richtet sich die Werbung gleichzeitig
an Gewerbetreibende und Verbraucher und besteht für letztere eine Irreführungsgefahr, für erstere aber nicht, sind bei der Ermittlung der Irreführungsgefahr die Verbraucherinteressen maßgeblich.415 Richtet sich die Werbung direkt an Gewerbetreibende
und nur indirekt an den Verbraucher, so hindert dies eine Verurteilung wegen Irreführungsgefahr für die indirekt betroffenen Verbraucher nicht. 416 Beweiserhebungen
durch demoskopische Umfragen, wie sie im deutschen Recht stattfinden, werden im
französischen Recht grundsätzlich nicht vorgenommen.417 Französische Richter beurteilen die Irreführungsgefahr kraft eigener Sachkunde. Daher besteht auch kein Bedürfnis nach Feststellung eines Prozentsatzes getäuschter Verbraucher, dessen Überschreiten Voraussetzung für die Annahme der Irreführungsgefahr ist.418 Es wird auch
nicht gesondert untersucht, ob der irreführenden Werbung zugleich auch eine anlockende Wirkung zukommt.419
dd) Die Bezugspunkte der Werbeangabe
Die dritte Voraussetzung des Tatbestands der irreführenden Werbung besteht darin,
dass die falsche oder zur Irreführung geeignete Werbeangabe sich auf eines oder mehrere der in Art. L. 121-1 a.F. C. cons. genannten Elemente beziehen muss. Die Aufzäh410
411
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413
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417
418
419
Fischer, S. 51. S. Calais-Auloy/Steinmetz, Rdnr. 129 S. 145.
Fischer, S. 55. S. z.B. Trib. corr. Lyon 26.4.1984, Gaz. Pal. 1985, 1, somm., 116. – Cass. crim.
27.11.1990, Dr. pén. 1991, comm. 83. – CA Angers 2.2.1993, CCC 1993, comm. 140.
CA Paris 16.6.1987, D. 1987, inf. rap., 201.
Fischer, S. 55. S. auch CA Rouen 10.8.1994, CCC 1995, comm. 137.
Fischer, S. 56. S. z.B. Trib. corr. Nanterre 24.2.1977, Gaz. Pal. 1977, 1, jur., 240. – CA Paris
4.10.1977, JCP 1979, II, 19164.
Cass. crim. 26.3.1984, D. 1984, inf.rap. 390. – CA Bordeaux 30.6.1998, JCP 1999, IV, 1639. –
CA Pau 5.10.1994, CCC 1995, comm. 138. – CA Versailles 29.3.2001, RJDA 2001, 821.
Cass. crim. 28.2.1984, D. 1984, inf. rap., 284. – Cass. crim. 2.10.1980, D. 1981, inf.rap., 292.
Fischer, S. 50.
Dreier /von Lewinski, Rdnr. 66 S. 40.
Dreier /von Lewinski, Rdnr. 67 S. 41. S. auch Fischer, S. 65.
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VII. Schutz gegen Irreführung
lung ist so vollständig, dass keine Regelungslücken zu befürchten sind.420 Darüber hinaus neigen die Gerichte dazu, die einzelnen Begriffe in den Grenzen des Wortlautes
sehr weit auszulegen. In ihrer praktischen Anwendung ist die Vorschrift daher von
einer Generalklausel kaum zu unterscheiden. 421 Die zahlreichen aufgezählten Elemente lassen sich in folgende Gruppen zusammenfassen:
Die irreführende Werbung ist strafbar, wenn sie die Güter oder Dienstleistungen
selber betrifft, was den häufigsten Fall darstellt.422 Es kann sich zunächst um Angaben
über ihre Existenz423 oder ihre Natur handeln. Unter Natur der Ware versteht die
Rechtsprechung ihre substantielle Beschaffenheit. In der Praxis fallen hierunter häufig
Fälle falscher Angaben bzw. der Täuschung über die Beschaffenheit von Textilfasern
oder unzutreffender Holzbezeichnungen bei Möbeln. 424 Es kann sich aber auch um
Angaben handeln, die die Zusammensetzung,425 die wesentlichen Eigenschaften oder
den Gehalt wertvoller Bestandteile betreffen. Der Begriff der wesentlichen Eigenschaften (qualités substantielles) wird von der Rechtsprechung weit ausgelegt. 426 Die
falsche oder irreführende Angabe kann sich auch auf die Herstellungsweise427 oder
das Herstellungsdatum, auf Menge,428 Sorte oder Herkunft429 der Waren beziehen. Irreführende Werbung ist auch strafbar, wenn sie sich auf Verkaufsbedingungen430 der
angebotenen Waren oder Dienstleistungen, vor allem ihren Preis,431 bezieht. Schließlich können sich die strafbaren falschen oder irreführenden Angaben auf die „Identität, Eigenschaften oder Fähigkeiten des Herstellers, der Wiederverkäufer, der Werbe420
421
422
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424
425
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428
429
430
431
Calais-Auloy/Steinmetz, Rdnr. 129 S. 147.
Dreier /von Lewinski, Rdnr. 52 S. 34.
Calais-Auloy/Steinmetz, Rdnr. 129 S. 146.
TGI Paris 1.3.1982, Gaz. Pal. 1982, 1, somm., 100, wonach die Ware nicht nur überhaupt,
sondern auch in ausreichender Menge vorrätig sein müsse. – CA Paris 10.9.2008, Gaz. Pal.
2008, n8311, 41. – Cass. crim. 24.3.2009, n808-86530, www.legifrance.gouv.fr.
Dreier /von Lewinski, Rdnr. 55 S. 35.
Cass. crim. 29.1.1997, CCC 1997, comm. 90. – Cass. crim. 12.10.1999, JCP 2000, IV, 1274. –
Cass. com. 25.4.2001, CCC 2001, comm. 147. – Cass. crim. 6.2.2001, Dr. pén. 2001,
comm. 78.
Dreier /von Lewinski, Rdnr. 56 S. 36.
CA Paris 28.9.1976, JCP 1978, II, 18846. – Cass. crim. 16.6.1980, D. 1980, inf. rap., 444. –
Cass. crim. 5.9.1989, D. 1989, inf. rap., 277.
Cass. crim. 5.5.1977, D. 1977, jur., 502. – Cass. crim. 27.3.1996, JCP 1996, IV, 1518.
CA Grenoble 29.3.2000, JCP 2000, IV, 1716. – Cass. crim. 26.6.1996, CCC 1996, comm. 209.
– CA Agen 15.1.1998, JCP 1998, IV, 3232. – Cass. crim. 7.10.1998, Dr. pén. 1999, comm. 60. –
CA Grenoble 29.3.2000, JCP 2001, IV, 1716. – CA Douai 28.10.2003, CCC 2004, comm. 88.
– Cass. crim. 19.10.2004, JCP 2004, IV, 3422.
Cass. crim. 9.11.1992, CCC 1993, comm. 97.
CA Rennes 16.1.1976, JCP 1977, II, 18703. – Cass. crim. 14.10.1998, JCP ed. E. 1999, 462. –
Cass. crim. 18.9.1996, CCC 1997, comm. 37. – CA Paris 14.5.1993, CCC 1993, comm. 222. –
CA Limoges 13.10.1993, CCC 1994, comm. 59. – CA Paris 4.5.1994, CCC 1994, comm. 238.
– CA Aix-en-Provence 27.10.1998, CCC 1999, comm. 102. – CA Paris 21.3.1997, CCC 1998,
comm. 14. – Cass. crim. 17.12.1997, CCC 1998, comm. 67. – Cass. crim. 15.10.2002, RJDA
2003/2, 201.
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Länderbericht Frankreich
veranstalter oder der Dienstleistungsbetriebe“ beziehen. 432 Dies ist zum Beispiel der
Fall bei einer Werbung, die den „Expert“-Titel einer Person erteilt, die keine besondere
Sachkenntnis besitzt.433
ee) Rechtsfolgen der irreführenden Werbung
Die Frage, ob das französische Irreführungsdelikt einen Vorsatz erfordert, führte nach
Erlass der Loi Royer zu einer großen Rechtsunsicherheit, nachdem das im Gesetz von
1963 noch enthaltene Bösgläubigkeitserfordernis (mauvaise foi) vom Gesetzgeber
nicht in den neuen Gesetzestext des Art. 44-I der Loi Royer übernommen wurde. 434
Die Cour de cassation hat sich jedoch klar dafür ausgesprochen, dass der böse Glaube
keine Voraussetzung für die Verwirklichung des Tatbestands mehr darstelle. 435 Es handelt sich also bei dem Verbot der irreführenden Werbung um ein délit non intentionnel,
das keinen Vorsatz erfordert. Gleichwohl bedarf es, wie jedes strafbare Delikt, eines
subjektiven Elements, das als Fahrlässigkeit (imprudence ou négligence) bezeichnet werden kann.436 Die Strafbarkeit einer irreführenden Werbung setzt also voraus, dass der
Angeklagte die Richtigkeit der Angabe vor ihrer Verbreitung nicht geprüft hat.437 Dabei obliegt dem Werbetreibenden, der sich bei Durchführung der Werbung eines Dritten bedient, eine Sorgfaltspflicht, den Inhalt der Werbeaussage auf ihre Richtigkeit
und fehlende Täuschungseignung hin selbst zu überprüfen. Verletzt er diese Pflicht,
so kann er sich nicht auf seine Unkenntnis berufen. 438
Strafrechtlich verantwortlich ist nach Art. L. 121-5 Abs. 1 C. cons. in erster Linie
der Werbende (annonceur) selbst, d.h. der Anbieter der beworbenen Produkte oder
Dienstleistungen. Er hat dafür zu sorgen, dass seine Werbung nicht irreführend ist
und wird nicht dadurch entlastet, dass die Werbedokumente von einem Dritten entworfen wurden.439 Die Rechtsprechung neigt jedoch dazu, unter einem „Werbenden“
nicht nur denjenigen zu verstehen, dessen Produkte oder Dienstleistungen beworben
432
433
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436
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438
439
Cass. crim. 18.10.1995, Dr. pén. 1996, comm. 43. – Cass. crim. 14.5.1997, Bull. crim. Nr. 183. –
Cass. crim. 15.10.1997, Bull. crim. Nr. 338. Vgl. Cass. civ. 2e 17.12.2009, Bull. civ. II Nr. 292,
über die falsche Behauptung des Werbenden, er sei Inhaber eines Patents.
Cass. crim. 15.2.1982, D. 1983, jur., 275. – Cass. crim. 22.6.1982, D. 1983, jur., 215. – CA Paris
25.1.1983, D. 1983, inf. rap., 504.
Fischer, S. 130, und die dort zusammengefassten vertretenen Ansichten in der Literatur.
Cass. crim. 4.12.1978, D. 1979, inf. rap., 180. – Cass. crim. 13.3.1979, JCP ed. E 1979, I, 13104.
– Cass crim.12.2.1982, D. 1983, jur., 275. – Cass. crim.3.1.1984, JCP ed. E 1984, I, 13188. –
Cass. crim. 8.12.1987, Bull. crim. Nr. 450. – Cass. crim. 5.4.1995, Bull. crim. Nr. 151; JCP
1995, IV, 1695.
Cass. crim. 17.12.1997, CCC 1998, comm. 67. – Cass. crim. 19.10.2004, PI 2005, n815, 223.
Cass. crim. 14.12.1994, Bull. crim. Nr. 415; JCP 1995, IV, 764. – Cass. crim. 26.10.1999, Bull.
crim. Nr. 233.
Dreier /von Lewinski, Rdnr. 63 S. 39.
Calais-Auloy/Steinmetz, Rdnr. 131 S. 148. S. aus der Rechtsprechung Cass. crim. 3.9.1992, JCP
ed. E 1992, pan., 1237. – Cass. crim. 27.3.1996, D. 1996, inf. rap., 168.
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werden sollen, sondern auch andere Personen, die an der Durchführung der Werbung
beteiligt waren. Es kann sich also auch um die Werbeagentur,440 um einen Franchisenehmer441 oder um denjenigen handeln, der den Auftrag zum Veröffentlichen einer
Anzeige, etwa als Makler im Auftrag eines Dritten, gibt.442 Damit können durchaus
mehrere als Mittäter einer irreführenden Werbung in Betracht kommen. 443 Handelt es
sich bei dem Werbenden um eine juristische Person, so ist deren Geschäftsführer (dirigeant) gemäß Art. L. 121-5 Abs. 1 C. cons. strafrechtlich verantwortlich. 444 Die Rechtsprechung legt allerdings diesen Begriff weit aus und erfasst darunter jeden, der gesetzliche oder aber nur faktische Leitungsfunktionen ausübt. 445
Gemäß Art. L. 121-6 i.V.m Art. L. 213-1 C. cons. bestehen die Sanktionen in einer
Gefängnisstrafe von zwei Jahren446 und/oder einer Geldstrafe von 37.500 J. Als Nebenstrafe sieht Art. L. 121-4 C. cons. die Urteilsveröffentlichung vor, die im Fall einer
Verurteilung zwingend auszusprechen ist. Fakultativ hingegen ist die Verurteilung zur
Veröffentlichung einer richtigstellenden Werbemaßnahme,447 die in der Praxis selten
ausgesprochen wird. 448 Der Untersuchungsrichter oder das mit der Sache befasste Gericht kann nach Art. L. 121-3 C. cons. die Einstellung der irreführenden Werbung
verfügen. Die Wirkung der Maßnahme erlischt, wenn der Angeklagte freigesprochen
wird. 449
Gemäß Art. L. 121-2 C. cons. sind die Beamten der Direction générale de la concurrence, de la consommation et de la répression des fraudes (DGCCRF) mit der Feststellung
und Verfolgung irreführender Werbeangaben betraut. Dazu können sie vom Werbetreibenden verlangen, dass er alle für die Beurteilung der betreffenden Werbemaßnahme wesentlichen Unterlagen und Informationen zur Verfügung stellt. 450 Bei einem
begründeten Verdacht geben die Beamten der DGCCRF die Sache an die Staatsanwaltschaft weiter. Das Verfahren vor den Strafgerichten kann auch durch die Erhe-
440
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450
Die Strafbarkeit der Agentur für die Teilnahme am Irreführungsdelikt wird meistens als
Gehilfe (complices) begründet. S. z.B. CA Lyon 14.5.1976, Gaz. Pal. 1976, 2, jur., 547. S. auch
Cass. crim. 15.2.1982, D. 1983, jur., 275. – Cass. crim. 22.12.1986, D. 1987, jur., 286. S. a.A.
Dreier /von Lewinski, Rdnr. 81 S. 45, wonach die Strafbarkeit des Gehilfen die positive Feststellung des Verschuldens voraussetzt.
Cass. crim. 27.11.1990, D. 1991, inf. rap., 35.
Cass. crim. 5.5.1977, D. 1977, jur., 502. – T. corr. Paris 10.5.1984, Gaz. Pal. 1985, 2,
somm., 317.
Dreier /von Lewinski, Rdnr. 79 S. 45.
Cass. crim. 18.5.1994, D. 1994, inf. rap., 179.
Dreier /von Lewinski, Rdnr. 80 S. 45. – Calais-Auloy/Steinmetz, Rdnr. 131 S. 149.
Eine Freiheitsstrafe wird in der Praxis selten verhängt. S. jedoch Cass. crim. 18.9.1996, JCP
ed. E 1997, pan., 11.
Dreier /von Lewinski, Rdnr. 74 S. 43.
Calais-Auloy/Steinmetz, Rdnr. 131 S. 150. S. jedoch Cass. civ. 9.3.2004, D. aff. 2004, jur., 1727.
Dreier /von Lewinski, Rdnr. 73 S. 43.
Dreier /von Lewinski, Rdnr. 76 S. 43. S. auch Calais-Auloy/Steinmetz, Rdnr. 131 S. 149. S. aus
der Rechtsprechung CA Paris 5.12.1997, CCC 1998, comm. 154.
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Länderbericht Frankreich
bung einer action civile des Geschädigten451 oder, bezüglich des kollektiven Schadens,
der Verbraucherverbände in Gang gesetzt werden. 452
c) Der neue Tatbestand der irreführenden Geschäftspraktiken
(Art. L. 121-1 ff. n.F. C. cons.)453
aa) Umsetzung der UGP-Richtlinie
Bei der Umsetzung der UGP-Richtlinie hat sich der französische Gesetzgeber dafür
entschieden, den früheren Tatbestand der irreführenden Werbung duch denjenigen
der irreführenden Geschäftspraktiken zu ersetzen. Damit hat er auf den ersten Blick
lediglich den Anwendungsbereich erweitert, ohne die oben dargestellte Rechtsprechung zur irreführenden Werbung in Frage zu stellen. Allerdings sind manche Tatbestandsmerkmale des früheren Irreführungsdelikts nicht mehr mit der neuen Fassung
des Art. L. 121-1 C. cons. vereinbar. Zum einen erstreckt sich nun das Irreführungsverbot auf Angaben, die nach dem Vertragsabschluss gemacht worden sind, was unter
der früheren Rechtslage nicht der Fall war.454 Zum anderen dürfte jetzt der persönliche
Anwendungsbereich des Art. L.121-1 C. cons. auf Gewerbetreibende beschränkt sein.
Die frühere Ansicht, wonach die Vorschrift auch Angaben von Privatpersonen und
gemeinnützigen Vereine umfasst, wird aufgegeben werden müssen.455 Zwar enthält der
französische Gesetzestext keine Definition der Geschäftspraktik. Der Begriff muss aber
im Einklang mit der UGP-Richlinie als jede Handlung oder Unterlassung eines Gewerbetreibenden, die unmittelbar mit der Absatzförderung, dem Verkauf oder der Lieferung eines Produkts oder einer Dienstleistung an Verbraucher zusammenhängt, verstanden werden. 456
Die Neufassung des Art. L. 121-1 C. cons. dient der Umsetzung der Art. 6 und 7
UGP-Richtlinie in die französische Rechtsordnung. Dabei hat sich der nationale Ge451
452
453
454
455
456
S. dazu unten S. 318.
Harte-Bavendamm/Henning-Bodewig, Einl. E, Rdnr. 223 S. 328. Zur Aktivlegitimation der
Verbraucherverbände, S. unten S. 319.
Fournier, De la publicité fausse aux pratiques commerciales trompeuses, Droit pénal 2008/2,
étude 4. – Raymond, Les modifications au droit de la consommation apportées par la loi
n82008-3 du 3 janvier 2008 pour le développement de la concurrence au service des consommateurs, CCC 2008, Etude 3. – Cannarsa, La réforme des pratiques commerciales déloyales par la loi Chatel – Le droit commun à la rencontre du droit de la consommation, JCP 2008,
I, 180. – Fenouillet, Loi de modernisation de l’économie du 4 août 2008 et réforme des
pratiques commerciales déloyales, RDC 2009/1, 128. – Passa, L’imbroglio créé par le nouvel
article L. 121-1 C. cons. issu de la loi du 3 janvier 2008 pour le développement de la concurrence au service des consommateurs, PI 2008, n827, 255. – Rinke, Die Umsetzung der Richtlinie über unlautere Geschäftspraktiken in Frankreich – Eine Reform des Verbraucherschutzes?, Actualités DFJ – 2/2008, 4.
Cass. crim. 31.1.1989, Bull. crim. Nr. 40.
Raymond, Rdnr. 19. – Fournier, Rdnr. 8.
Art. 2 d) UGP-RL.
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VII. Schutz gegen Irreführung
setzgeber keineswegs damit begnügt, die gemeinschaftsrechtliche Vorschrift wörtlich
zu übernehmen.457 Zwar hat er die Unterscheidung zwischen irreführenden Handlungen (Art. 6 UGP-RL) und Unterlassungen (Art. 7 UGP-RL) vorgenommen. Erstere
sind im Art. L. 121-1 I C. cons. gesetzlich geregelt, der auch im B2B-Verhältnis Anwendung findet, während letztere im Art. L. 121-1 II verankert sind und sich auf Geschäfte mit Verbraucher beschränken. 458 Der französische Gesetzestext weist allerdings
Unterschiede zum gemeinschaftsrechtlichen Vorbild auf.
bb) Irreführende Handlungen
Art. L. 121-1 I C. cons. unterscheidet drei Arten irreführender Geschäftspraktiken
durch Handeln, die sich nur teilweise mit den Angaben des Art. 6 UGP-RL decken:
18 Wenn die Geschäftspraktik eine Verwechslung mit einem anderen Produkt oder
einer Dienstleistung, einer Marke, einem Handelsnamen oder einem sonstigen Unternehmenskennzeichen eines Mitbewerbers herbeiführt.
28 Wenn sie auf falschen Behauptungen, Angaben oder Darstellungen beruht oder
auf solchen, die zu täuschen geeignet sind und sich auf eines der folgenden Merkmale
bezieht: das Vorhandensein, die Verfügbarkeit oder die Art des Produkts oder der
Dienstleistung (a); seine/ihre wesentlichen Eigenschaften insbesondere Zusammensetzung, Zubehör, Menge, Verfahren und Zeitpunkt der Herstellung, Verwendung,
Zwecktauglichkeit, die von der Verwendung zu erwartenden Ergebnisse sowie die Ergebnisse und wesentlichen Merkmale von Tests und Untersuchungen, denen das Produkt oder die Dienstleistung unterzogen wurde (b); der Preis, die Art der Preisberechnung, die Verkaufs-, Zahlungs- und Lieferbedingungen (c); der Kundendienst, die Notwendigkeit einer Leistung, eines Ersatzteils, eines Austauschs oder einer Reparatur (d);
Umfang der Verpflichtungen des Werbenden, die Art, das Verfahren oder die Beweggründe für den Verkauf oder der Dienstleistung (e); die Identität, die Eigenschaften,
die Fähigkeiten oder die Rechte des Gewerbetreibenden (f); das Beschwerdeverfahren
und die Rechte des Verbrauchers (g).
38 Wenn die Person, für deren Rechnung gehandelt wird, nicht klar zu identifizieren ist.
cc) Irreführende Unterlassungen
Art. L. 121-1 II C. cons. enthält seinerseits die Regelung irreführender Unterlassungen, die ebenfalls vom Wortlaut des Art. 7 UGP-RL abweicht. Danach ist eine Geschäftspraktik auch irreführend, wenn sie unter Berücksichtigung der Beschränkungen
des benutzten Kommunikationsmediums und der Umstände eine wesentliche Information vorenthält, verheimlicht oder auf unverständliche, zweideutige Weise oder
457
458
Die Übernahme des Anhangs der UGP-RL in Art. L. 121-1-1 C. cons. ist dagegen nahezu
wörtlich erfolgt.
Dabei stellt sich die Frage, ob dieser in Art. L. 121-1 III festgelegte unterschiedliche Anwendungsbereich mit der UGP-RL vereinbar ist.
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Länderbericht Frankreich
nicht rechtzeitig bereitstellt oder wenn sie ihren kommerziellen Zweck nicht kenntlich macht, sofern er sich nicht unmittelbar aus den Umständen ergibt. Im Falle der
Aufforderung zum Kauf, die dem Verbraucher bestimmt ist und den Preis und die
Merkmale des angebotenen Produkts oder Leistung angibt, gelten folgende Informationen als wesentlich: die wesentlichen Merkmale des Produkts oder der Leistung (18);
Anschrift und Identität des Gewerbetreibenden (28); der Preis einschließlich aller
Steuer und der dem Verbraucher zur Last fallenden Lieferkosten oder die Art der Berechnung, wenn sie nicht im Voraus berechnet werden können (38); die Zahlungs-,
Liefer-, und Leistungsbedingungen sowie das Verfahren zum Umgang mit Beschwerden, sofern sie von denen abweichen, die üblicherweise in dem betroffenen Geschäftsfeld praktiziert werden (48); das Bestehen eines Rücktrittsrecht, wenn es gesetzlich
vorgesehen ist (58).
dd) Rechtsfolgen irreführender Geschäftspraktiken
Die Folgen des Einsatzes irreführender Geschäftspraktiken sind in den Art. L. 121-2 bis
L. 121-7 C. cons. geregelt, die keine wesentliche Änderung durch die Umsetzung der
UGP-Richtlinie erfahren haben. Danach sind bestimmte Verwaltungsbehörde für die
Feststellung und Verfolgung irreführender Geschäftspraktiken zuständig (Art. L. 121-2
C. cons.), kann die Einstellung der Handlung durch den Ermittlungsrichter oder das
angerufene Gericht auf Antrag der Staatsanwaltschaft oder von Amts wegen angeordnet werden (Art. L. 121-3 C. cons.), muss als Nebenstrafe die Urteilsveröffentlichung
im Fall einer Verurteilung ausgesprochen werden (Art. L. 121-4 C. cons.), ist der Werbende strafrechtlich verantwortlich, dessen Produkte oder Dienstleistungen beworben
werden (Art. L. 121-5 C. cons.), sind die zu verhängende Strafe diejenige des Art. L.
213-1 C. cons. (Art. L. 121-6 C. cons.) und kann das Gericht die Mitteilung aller erforderlichen Unterlagen einfordern (Art. L. 121-7 C. cons.).459
2. Der Schutz gegen Irreführung über die geographische Herkunft460
a) Begriffsbestimmungen und gesetzliche Vorschriften
Der Schutz gegen Irreführung über die geographische Herkunft hat eine lange Tradition in Frankreich. Erzeugnisse aus den traditionellen Anbaugebieten (terroirs) werden
als Bestandteil des nationalen Kulturerbes angesehen. Das französische Recht unterscheidet zwischen Ursprungsbezeichnungen (appellations d’origine) und Herkunfts459
460
S. dazu oben S. 295 zum früheren Tatbestand der irreführenden Werbung.
Obergfell, Der Schutz geographischer Herkunftsangaben in Europa, ZeuP 1997, 677 ff. –
Baumgärtel, Der Schutz geographischer Bezeichnungen in Frankreich und Deutschland –
Der Konflikt zweier Schutzsysteme, Osnabrück 2002. – Olszak, Actualité du droit des signes
d’origine et de qualité (appellations d’origine, labels), prop. ind. 2006, étude 18. – ders.,
Actualité du droit des signes d’origine (indications géographiques, labels), prop. ind. 2007,
étude 18.
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VII. Schutz gegen Irreführung
angaben (indications de provenance). Nur erstere sind gesetzlich im Art. L. 115-1 C.
cons. definiert: „Die Benennung eines Landes, einer Region oder Ortschaft zur Bezeichnung eines Produktes, das dorther stammt und dessen Qualität oder Eigenarten
durch die geographische Umgebung einschließlich natürlicher und menschlicher Faktoren bedingt sind, stellt eine Ursprungsbezeichnung dar“. Eine Ursprungsbezeichnung liegt also nur vor, wenn ein geographischer Name auf ein Produkt angewandt
wird, das seine spezifische Beschaffenheit den natürlichen und menschlichen Verhältnissen am Ursprungsort verdankt. 461 Dagegen ist die Herkunftsangabe jeder Hinweis
auf die geographische Herkunft eines Produktes, gleichgültig, in welcher Form er erfolgt und welcher Art das Produkt ist.462 Produktbenennungen, die aktuell zwar noch
an den Herkunftsort erinnern, jedoch nur noch das Herstellungs- oder Verarbeitungsverfahren bezeichnen, sind zum Allgemeingut oder zu Gattungsangaben geworden463
und können daher keine Ursprungsbezeichnungen darstellen. 464 Gemäß Art. L. 643-1
Code rural et de la pêche maritime können jedoch Ursprungsbezeichnungen niemals zum
Allgemeingut oder als Gattungsbezeichnung angesehen werden. 465
Traditionell bildet das Recht der Herkunftsangaben und Ursprungsbezeichnungen
in Frankreich einen Teil des gewerblichen Rechtsschutzes. 466 Doch die meisten Vorschriften zum Schutz der Herkunftsangaben und Ursprungsbezeichnungen wurden
1993 in den Code de la consommation übernommen, da deren Ziel hauptsächlich im
Schutz der Verbraucher gegen Täuschungen besteht. Diese Vorschriften sind hauptsächlich strafrechtlicher Natur, lassen jedoch eine zivilrechtliche Klage auf der Grundlage des allgemeinen Deliktrechts zu. In manchen Fällen wurde eine Klage wegen un461
462
463
464
465
466
S. aus der älteren Rechtsprechung CA Paris 19.3.1929, D. 1929, 2, 257; Ann. prop. ind. 1930,
257, wonach die Bezeichnung „Moutarde de Dijon“ nicht als Ursprungsbezeichnung geschützt werden könne, da die für das Erzeugnis verwendeten Rohstoffe nicht ausschließlich
aus dem angegebenen Ursprungsgebiet stammen und kein besonderes Herstellungsverfahren
erforderlich sei. – CA Orléans 20.1.1926, S. 1926, 2, 45, wonach die Bezeichnung „Camembert“ keine Ursprungsbezeichnung sei, da die Erzeugung des so bezeichneten Käses von
keinem organischen Element des in der Normandie gelegenen Gebiets von Camembert
und Umgebung abhängt. – CA Grenoble 25.5.1926, S. 1927, 2, 119 und Cass. Req. 24.10.
1928, D. 1928, 541; Ann. prop. ind. 1929, 113, wonach die Bezeichnung „Nougat de Montélimar“ nicht als Ursprungsbezeichnung geschützt werden könne, da es dem Erzeugnis an
besonderen, vom Boden, der Gegend oder alten, redlichen und ständigen Gebräuchen bedingten Eigenschaften fehlt. – CA Pau 8.3.1957, JCP 1957, II, 10247 und Cass. civ. 12.11.
1958, JCP 1959, II, 10927, wonach „Linge basque“ keine geschützte Ursprungsbezeichnung
sei, da es an redlichen, ständigen Ortsgebräuchen, die diese Bezeichnung den Erzeugnissen
eines bestimmten Gebietes vorbehielten, fehlt, und die Herstellung des Erzeugnisses nicht
mit einem bestimmten geographischen Gebiet verbunden ist.
Krasser, Rdnr. 505 S. 366. – CA Paris 6.2.1986, Ann. prop. ind. 1986, 11.
Dreier /von Lewinski, Frankreich, in: Schricker (Hrsg.), Recht der Werbung, 1995, Rdnr.
84 S. 47.
Chavanne/Burst, Rdnr. 1404 S. 856. – Krasser, Rdnr. 534 S. 381. – Baumgärtel, S. 39. – Obergfell, S. 677.
CA Paris 12.9.2001, D. 2002, jur., 1894; PIBD 2002, 735, III, 57; prop. ind. 2002, comm. 32.
CA Paris 15.12.1993, JCP 1994 ed. E, II, 540; D. 1994, jur., 145.
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lauteren Wettbewerbs bei der Benutzung von über die geographische Herkunft täuschenden Zeichen stattgegeben467 oder jedenfalls für zulässig erachtet. 468 Jedoch wird
der Schutz gegen Täuschungen über die geographische Herkunft nach französischem
Recht nicht dem traditionellen Anwendungsbereich des Wettbewerbsrechts zugerechnet. Darstellungen des Schutzes gegen unlauteren Wettbewerb enthalten meistens unter dem Begriff der Irreführung nur Kommentare über Täuschungen über die betriebliche Herkunft, nicht aber die geographische Herkunft.469
Der Code de la propriété intellectuelle enthält auch Vorschriften, die für die Frage
der markenrechtlichen Schutzfähigkeit geographischer Namen relevant sind. Die Zulässigkeit der Eintragung einer geographischen Angabe als Marke bemisst sich anhand
Art. L. 711-1 in Verbindung mit Art. L. 711-4 CPI.470 Zwar können „geographische
Namen“ gemäß Art. L. 711-1 Abs. 2 a) CPI als Marken geschützt werden. Nach Art. L.
711-4 d) darf allerdings eine „geschützte Ursprungsbezeichnung“ als Marke nicht verwendet werden. So wurde zum Beispiel die Eintragung der Marke „Brazil“ für Kaffee471
oder „Aoste“ für Schinken472 abgelehnt. In beiden Fällen wurde darauf abgestellt, ob in
der benutzten Bezeichnung überhaupt ein geographischer Herkunftshinweis liegt. Das
französische Patent- und Markenamt INPI spielt dabei eine präventive Rolle, indem es
die Anmeldung irreführender Marken ablehnt. Die Rechtsprechung hat den Schutz
auf ausländische Ursprungsbezeichnungen erstreckt. 473
467
468
469
470
471
472
473
Trib. com. Limoges 14.3.1962, RIPIA 1962, 87: der Gebrauch des Namens „Limoges“ für
Porzellanerzeugnisse, die nicht in dieser Stadt hergestellt waren, wurde auf Klage der Union
de Fabricants de Porcelaine de Limoges als unlauter Wettbewerb untersagt. – TGI Seine 10.1.
1962, Ann. prop. ind. 1962, 219: im Fall der von einem Pariser Uhrengeschäft geführten
Geschäftsbezeichnung Geneva wurde unlauterer Wettbewerb angenommen. – TGI Paris 31.3.
1981, PIBD 1981, 288, III, 218. – Cass. com. 11.10.1988, JCP 1990 ed. E, II, 15662; Ann. prop.
ind. 1989, 153.
Cass. com. 29.3.1994, PIBD 1994, 570, III, 381. – Cass. com. 11.1.2005, PIBD 2005, 809, III,
351. – Cass. com. 28.11.2006, PI 2007, n824, 362. – Cass. com. 12.12.2006, prop. ind. 2006,
comm. 24; PI 2007, n824, 363.
S. z.B. Passa, JCl. Concurrence-Consommation, Fasc. 240, Rdnr. 32-42. – Auguet, S. 64-67. –
Vogel, Droit de la concurrence déloyale, 2004, S. 55 ff. S. jedoch Bouvel, principe de spécialité
et signes distinctifs, Paris 2004, Rdnr. 514 S. 257. S. auch schon Roubier, Bd. 2, Rdnr. 319
S. 811.
Bonet, La marque constituée par un nom géographique en droit français, JCP 1990, II, 15931. –
Kaci, Marques géographiques, appellations d’origine, indications de provenance, RDPI 1996,
n867, p. 32. – Thrierr, Les conflits entre indications géographiques et marques, prop. ind.
2007, étude 14.
CA Paris 16.6.1988, D. 1989, jur., 282.
Cass. com. 31.1.2006, INPI c. Aoste, Bull. IV, n826; prop. ind. 2006, comm. 32; PIBD 2006,
826, III, 214. – CA Lyon 10.5.2007, PIBD 2007, III, 482. Contra CA Paris 22.10.1979, Ann.
prop. ind. 1980, 178.
Cass. com. 29.3.1994, PIBD 1994, 570, III, 381. – CA Paris 4.7.1985, Ann. prop. ind.
1986, 226.
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VII. Schutz gegen Irreführung
b) Geschichtliche Entwicklung
Der aktuelle Schutz von Herkunftsangaben und Ursprungsbezeichnungen beruht auf
Vorschriften, die heute im Code de la consommation enthalten sind474, ihren Ursprung
jedoch in verschiedenen älteren Gesetze haben, deren Bestimmungen zum Teil übernommen wurden. Die gesetzliche Geschichte der geographischen Herkunftsangaben
beginnt in Frankreich mit dem Gesetz vom 28. 7. 1824 gegen den Missbrauch von Handelsnamen und Ortsnamen.475 Im Laufe des 20. Jahrhunderts wurden aber zahlreiche
andere Gesetze und Verordnungen erlassen, die den Schutz gegen Täuschungen über
die geographische Herkunft bezweckten, so zum Beispiel das Gesetz vom 1.8.1905 gegen den Warenbetrug,476 das Gesetz vom 6.5.1919 über den Schutz der Ursprungsbezeichnungen, geändert und ergänzt durch das Gesetz vom 6.7.1966,477 das Gesetz vom
30.7.1935 über kontrollierte Ursprungsangaben für Wein und Spirituosen, die Verordnung vom 7.12.1984 über die Verpackung und Aufmachung von Lebensmitteln und
das Gesetz vom 2.7.1990 über kontrollierte Ursprungsbezeichnungen (AOC) der landwirtschaftlichen Produkten und Lebensmittel. 478
Durch das Gesetz vom 2.7.1990 wurde die französische Regelung der Ursprungbezeichnungen wesentlich geändert. Vor Inkrafttreten dieses Gesetzes bestand ein allgemeines Schutzsystem der Ursprungsbezeichnungen (AO) für Produkte jeder Art (sowohl Agrar- wie auch Industrieerzeugnisse) und ein spezielles Schutzsystem der kontrollierten Ursprungsbezeichnungen (AOC) für Weine und Schnäpse und für Käse.
Mit dem Gesetz 1990 wurde dieses System der AOC auf alle Agrarerzeugnisse und
Lebensmittel erweitert, der Schutz der einfachen Ursprungsbezeichnungen also auf
die Industrie- und Handwerkserzeugnisse beschränkt.
Mit dem Gesetz vom 3.1.1994479 wurde die europäische Verordnung 2081/92,480 die
sich nur auf Agrarerzeugnisse und Lebensmittel, nicht aber auf Industrieerzeugnisse
bezieht, in das französische Recht umgesetzt. Dafür wurde ein neuer Abschnitt in
den Code de la consommation eingefügt, der die Regelung der AOP (appellations d’origine
protégées) und IGP (indications géographiques protégées) enthält. Die Verordnung vom
474
475
476
477
478
479
480
Manche Vorschriften des Code de la consommation zum Schutz der Ursprungsbezeichnungen
enthalten allerdings nur einen Verweis auf entsprechenden Bestimmungen des Code rural et
de la pêche maritime. So z.B Art. L. 115-5, L. 115-6, L. 115-7.
Heute Art. L. 217-1 C. cons.
Deren Vorschriften in verschiedenen Artikeln des Code de la consommation übernommen
wurden (Art. L. 212-1, 213-1 bis 213-5, 214-1 bis 214-3, 215-2bis 215-9, 216-1 bis 216-9 C.
cons.).
Deren Art. 1 bis 9 in Art. L. 115-1 ff. C. cons. übernommen wurden.
Loi n890-558 relative aux appellations d’origine contrôlée des produits agricoles ou alimentaires, JO 6.7.1990, 7912.
Loi n894-2 relative à la reconnaissance de qualité des produits agricoles et alimentaires, JO
4.1.1994, 131.
EG-Verordnung Nr. 2081/1992 vom 14.7.1992 zum Schutz von geographischen Angaben
und Ursprungsbezeichnungen für Agrarerzeugnisse und Lebensmittel, abgedruckt in GRUR
Int. 1992, 750 ff. S. dazu Schmidt-Szalewski, La protection des noms géographiques en droit
communautaire, JCP 1997 ed. E, I, 703.
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301
Länderbericht Frankreich
7.12.2006,481 die unter anderem der Umsetzung der EG-Verordnung 510/2006482 diente, hat diese Regelung zum Teil geändert. Art. L. 115-21 C. cons. verweist jetzt auf Art.
L. 641-10 Code rural et de la pêche maritime für die AOP und auf Art. L. 641-11 desselben
Code für die IGP.
c) Der Schutz von Ursprungsbezeichnungen
Der Schutzbereich von Ursprungsbezeichnungen (appellations d’origine) kann sowohl
durch Verordnung als auch durch eine Gerichtsentscheidung festgelegt werden. Hier
hat das Gesetz vom 2.7.1990 allerdings auch Änderungen mit sich gebracht, indem es
das gerichtliche Abgrenzungsverfahren483 auf einfache Ursprungsbezeichnungen beschränkte.484 Für landwirtschaftliche Produkte und Lebensmittel, für die jetzt lediglich
eine kontrollierte Ursprungsbezeichnung (AOC) in Frage kommt, bleibt nach Art. L.
115-5 C. cons. 485 nur noch die Bestimmung des Schutzbereichs durch Verordnung
möglich, die das Produktionsgebiet geographisch abgrenzt und die Bedingungen für
die Herstellung und für die Zulassung des Produktes bestimmt. 486
Art. L. 115-8 und L. 115-9 C. cons., die nicht auf kontrollierte Ursprungsbezeichnungen anwendbar sind, also landwirtschaftliche Produkte und Lebensmittel nicht
betreffen, enthalten Bestimmungen über mögliche Klagen auf Unterlassung seitens
rechtmäßiger Inhaber von Ursprungsbezeichnungen. Klageberechtigt ist gem. Art. L.
115-8 Abs. 1 C. cons. jede Person, die behauptet, dass eine Ursprungsbezeichnung unberechtigterweise dergestalt verwendet wird, dass ihr daraus unmittelbar oder mittelbar ein Schaden entsteht.487 Diese aktivlegitimierte Person kann eine unberechtigte
Benutzung einer Ursprungsbezeichnung verbieten lassen, wenn diese Bezeichnung
481
482
483
484
485
486
487
Ordonnance n82006-1547 vom 7.12.2006 relative à la valorisation des produits agricoles,
forestiers ou alimentaires et des produits de la mer.
EG-Verordnung Nr. 510/2006 vom 20.3.2006 zum Schutz von geographischen Angaben und
Ursprungsbezeichnungen bei Agrarerzeugnisse und Lebensmittel, die die Verordnung
Nr. 2081/1992 aufgehoben hat.
Das gerichtliche Abgrenzungsverfahren ist in den Art. L. 115-8 bis L. 115-15 beschrieben.
Wenn der Schutzbereich der einfachen Ursprungsbezeichnung durch Gerichtsentscheidung
nicht bestimmt wurde, weil keine Klage erhoben wurde, kann er durch Dekret festgelegt
werden. S. dazu Art. L. 115-2 C. cons.
Der auf die Art. L. 641-5, L. 641-6 und L. 641-7 Code rural et de la pêche maritime verweist.
Dreier /von Lewinski, Rdnr. 90 S. 49. S. Art. L. 641-7 C. rural et de la pêche maritime: „La
reconnaissance d’une appellation d’origine contrôlée est prononcée par un décret qui homologue un cahier des charges où figurent notamment la délimitation de l’aire géographique de
production de cette appellation ainsi que ses conditions de production“.
Nach Art. L. 115-8 Abs. 2 C. cons. steht diese Klagemöglichkeit auch derjenigen Verbänden
(syndicats et associations) hinsichtlich der Rechte zu, deren Verteidigung sie sich zum Ziel
gesetzt haben, soweit ihre Gründung mindestens sechs Monaten zurückliegt. – S. Krasser,
Rdnr. 546 S. 390, wonach jedermann, der daran ein Interesse hat, insbesondere jeder durch
die Täuschung verletzte Verbraucher, Händler oder Hersteller befugt sei, die Verfolgung des
Delikts zu betreiben.
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VII. Schutz gegen Irreführung
entgegen des tatsächlichen Ursprungs des Erzeugnisses benutzt wird oder das bezeichnete Erzeugnis unter Missachtung der ständigen und redlichen Ortsgebräuche hergestellt wird. Gemäß Art. L. 115-9 Abs. 1 C. cons. kann die Klage die Unterlassung jeglicher irreführender Angabe auf den Produkten oder ihrer Verpackung zum Ziel haben.
Art. L. 115-6 C. cons. 488 verbietet weiterhin die Benutzung der Bezeichnung selbst
oder einer Angabe, die an diese Bezeichnung erinnert, für vergleichbare Produkte einerseits,489 für alle Produkte und Dienstleistungen andererseits, wenn dadurch die Bekanntheit der Ursprungsbezeichnung verwässert oder geschwächt werden kann.490
Art. L. 115-16 C. cons. enthält strafrechtliche Bestimmungen, die für alle Ursprungsbezeichnungen gelten. Gemäß Abs. 1 Nr. 4 dieser Vorschrift ist es beispielsweise strafbar, auf Naturprodukten oder hergestellten Produkten, die im Verkauf oder
für den Verkauf bestimmt sind, Ursprungsbezeichnungen anzubringen oder durch Hinzufügung oder Streichung491 erscheinen zu lassen, von denen man sich bewusst ist, dass
sie falsch sind492. Über diesen speziellen Schutz der Art. L. 115-1 bis L. 115-18 C. cons.
hinaus sind Ursprungsbezeichnungen auch auf der Grundlage von allgemeinen Vorschriften geschützt. Die Benutzung einer falschen Ursprungsbezeichnung kann zum
einen als tromperie nach Art. L. 213-1 C. cons., zum anderen als irreführende Werbung
bzw. irreführende Geschäftspraxis nach Art. L. 121-1 I 28 b) C. cons. strafbar sein.
d) Der Schutz von Herkunftsangaben
Da der Code de la consommation keine speziell für Herkunftsangaben (indications de
provenance) geltende Vorschrift enthält, kommt ein Schutz nur auf der Grundlage
von allgemeinen Vorschriften in Frage. Zusätzlich zu den soeben hinsichtlich der Ursprungsbezeichnungen erwähnten Art. L. 121-1 und Art. L. 213-1 C. cons., bestimmt
Art. L. 217-1 Abs. 1 C. cons. (früher Art. 1 des Gesetzes vom 28. 7. 1824), dass sich
strafbar macht, wer auf hergestellten Waren den Namen eines anderen Ortes als denjenigen der Herstellung anbringt oder erscheinen lässt. Ebenfalls unter Strafe gestellt
488
489
490
491
492
Der auf Art. L. 643-1 und L. 643-2 Code rural et de la pêche maritime verweist.
S. aus der Rechtsprechung Cass. com. 9.11.1981, JCP 1982, II, 19797; Ann.prop. ind. 1982,
118, Cru du Fort Médoc. – Cass. com. 1.12.1987, Bull. IV Nr. 256; JCP 1988, II, 21081,
Romanée-Conti. – Cass. com. 26.10.1993, D. 1995, jur., 58, Fourme de Bresse.
S. aus der Rechtsprechung TGI Bordeaux 30.6.1981, PIBD 1982, 293, III, 8. – TGI Paris 5.3.
1984, PIBD 1984, 352, III, 200; Ann. prop. ind. 1985, 161. – CA Paris 15.12.1993, D. 1994,
jur., 145; JCP 1994, II, 22229; GRUR Int. 1994, 621. – TGI Paris 23.6.1999, PIBD 1999, 685,
III, 441, bestätigt durch CA Paris 12.9.2001, D. 2002, jur., 1894 und Cass. com. 18.2.2004,
PIBD 2004, 787, III, 331; PI 2004, n813, 853. S. dazu Bonet, Des cigarettes aux parfums,
l’irrésistible ascension de l’appellation d’origine Champagne vers la protection absolue, PI
2004, n813, 853 ff.
Krasser, Rdnr. 542 S. 388, wonach dies der Fall sei, wenn von der Ware richtig stellende
Zusätze entfernt werden, die darauf angebracht waren. S. aus der Rechtsprechung, CA Angers 29.5.1962, JCP 1962, II, 12681: Beseitigung der Angabe des französischen Ursprungs auf
den Etiketten von Teppichen, deren Aussehen orientalischen Ursprung vermuten lässt.
S. z.B. TGI Paris 14.12.2005, PIBD 2006, 826, III, 235.
Dr. 
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