Predigten von Pastorin Andrea Busse Predigt am 19. Juli 2015 über Johannes 6,1-15 Wunderbare Brotvermehrung Gnade sei mit euch und Friede. Er gebe uns ein Herz für sein Wort und ein Wort für unser Herz. Er segne unser Reden und Hören. Amen. Liebe Gemeinde, 450.000, 450.000 Menschen werden wohl in diesem Jahr bundesweit einen Asylantrag stellen. Sie alle wollen in Deutschland bleiben; hier wohnen, essen, arbeiten. Fast eine halbe Million. Da braucht es schon ein Wunder, wenn man diese Menschen alle aufnehmen und integrieren will. Eine wundersame Wohnraum-Vermehrung, Arbeitsstellen-Vermehrung, eine wundersame Toleranz-Vermehrung. Da hob Jesus seine Augen auf und sieht, dass viele Menschen kommen. 450.000. Und Jesus spricht zu seinen Gemeinden: „Wo bringen wir die alle unter? Wie kriegen wir die alle satt?“ Und seine Nachfolger antworten: „Die paar Kirchenkaten und Flüchtlingsunterkünfte sind nicht genug. Das kann gar nicht funktionieren. Weder das Geld noch der Platz reichen.“ Jesus aber sprach: „Lasst die Leute sich lagern.“ Was Jesus da von seinen Jüngern verlangt! Sie sollen den 5000, den 450.000 sagen: Bleibt schön hier, macht es euch bequem. Das heißt ja im Endeffekt: Und wir kümmern uns dann schon, dass ihr nicht verhungert. Und das, obwohl sie ja gerade darüber gesprochen haben, wie unmöglich das ist. „Zweihundert Silbergroschen Brot ist nicht genug für sie, dass jeder nur ein wenig bekomme.“ Trotzdem machen die Jünger, was Jesus sagt. Sie lassen die Menschen sich lagern – auch auf die Gefahr hin, dann mit leeren Händen vor ihnen zu stehen und hilflos in hungrige Gesichter zu schauen. Wie viel leichter wäre es, sie wegzuschicken, ihnen von vorne herein zu erklären: Also ihr könnt jetzt nicht von uns erwarten, dass wir das hier alles organisieren, das überfordert nun wirklich unsere Kapazitäten. -2Manchmal habe ich das Gefühl, dass wir als Gemeinden auch so vor den Menschen stehen, die uns brauchen. Die Finanzen und vor allem die Man-Power reichen hinten und vorne nicht, um die Erwartungen zu erfüllen, um den Bedürfnissen gerecht zu werden. Und damit meine ich jetzt nicht nur Flüchtlinge. Viele Menschen haben ganz unterschiedliche Erwartungen an uns als Kirchengemeinde, viele wollen hier satt werden. Und wir sollen vor sie alle treten, sie zum Mahle laden - und keiner weiß, ob wir uns damit nicht zum Narren machen. Versprechen, was wir sowieso nicht halten können. Eines ist damit schon mal klar: Wir bleiben in unserem Tun immer abhängig von dem, was Jesus tut. Ohne Jesus ist ein Wunder unmöglich, wir können die Menschen nicht satt machen – allein schaffen wir es nicht. Aber alleine schafft auch Jesus das Wunder nicht. Einer muss – wie das Kind – seine 5 Brote und 2 Fische raus− rücken, auch auf die Gefahr, dann selbst zu kurz zu kommen, auch wenn es lächerlich wenig scheint, was wir anzubieten haben. Die Geschichte von der wundersamen Brotvermehrung ist eine Widerlegung der Rechner und eine Verheißung, dass Teilen niemals sinnlos ist. Und die große Erleichterung, dass es Jesus ist, der das Wunder wirkt und dass nicht wir Wunder wirken können und auch nicht müssen. Alles was wir tun können ist das, was das Kind tut: Unsere wenigen Brote und Fische hervorholen. Naiv darauf vertrauen, dass das Wenige, was wir bieten können, was verändern könnte. In den Händen Jesu. Ein Wunder – vielleicht. „Ich weiß, es wird einmal ein Wunder geschehn.“ Vielleicht haben Sie auch die rauchige Stimme von Zarah Leander im Ohr. Gesungen in eine Zeit, in der man sich mitten in den Erfahrungen und Entbehrungen des Krieges nach einem Wunder sehnte. In einer Zeit, in der hier in Deutschland Menschen nach einem Stück Brot hungerten. Eine Zeit, die glücklicherweise lange vorbei ist. Heute sind wir satt. Oft genug sogar übersättigt. Mal ehrlich: Wir, die wir nicht zu den 450.000 gehören, brauchen wir noch ein Wunder? Brauchen wir noch einen Wundertäter? Brauchen wir überhaupt Jesus? Jesus tritt in das satte Deutschland. Und die, die ihm folgen, hungern nicht. Jedenfalls nicht nach Brot und Fisch. Davon haben wir reichlich. Ein Hungergefühl ist trotzdem da. Eine Sehnsucht. Es ist nur nicht mehr so leicht zu fassen, wonach wir uns sehnen. Vielleicht doch nach dem, was auch die Leute damals wollten? Denn sie waren ja auch damals nicht gekommen, um zu essen. Sie waren gekommen, um zuzuhören. Wonach sie hungerten, das waren zuerst mal Jesu Worte. Worte, die neue Wege zeigen und Horizonte öffnen, Worte die mich mit mir selbst versöhnen können und mit anderen, die dem Leben Sinn geben, und die auf diese Weise Menschen verändern, heilen, sättigen. Worte eben, die Wunder wirken. -3Worte können Wunde wirken. Davon bin ich zutiefst überzeugt und habe es selbst schon erlebt: Eine ehrliche Aussprache z.B. über etwas, was immer totgeschwiegen wurde und die Atmosphäre vergiftet hat. Solche Gespräche können befreien und heilen. Manchmal sind es auch nur ganz wenige Worte. „Es tut mir leid“ eine ehrlich gemeinte Entschuldigung, die wahrnimmt und ernst nimmt, dass der andere verletzt wurde. Oder: „Das hast du super hingekriegt, was hätten wir ohne dich gemacht.“ Wertschätzung in Worte gefasst lässt kaum jemanden unberührt. Der Hunger nach Anerkennung, nach Gerechtigkeit, nach Liebe kann manchmal mit wenigen ernst gemeinten Worten gestillt werden. Also nur ein paar Worte – darum geht es? Und das soll reichen? Ein Danke? Ein „Gut gemacht“? Ist doch etwas naiv, oder? Ja, vermutlich genauso naiv wie das Kind, das glaubte, dass 5 Brot und 2 Fische reichen. Es geht ja nicht um irgendein Wort, mit dem wir die Welt retten oder besser machen, sondern um DAS Wort. Um das Wort, das Fleisch ward, und mitten unter uns wohnte. Um Jesus selbst. Das Wunder ist erst verstanden, wenn man begreift, dass Jesus nicht etwas gibt, sondern sich selbst. Sich als das Brot, als das Wort, als den Sinn. „Ich bin das Brot des Lebens. Wer zu mir kommt, den wird nicht hungern.“ so sagt Jesus von sich. Seine Worte – immer weiter geteilt und dadurch vermehrt. 12 Körbe noch übrig für uns. Taten und Worte Jesu eingesammelt in den Evangelien. Brot des Lebens. Unzählige Menschen hat es seitdem erreicht, mehr als 5000, mehr als 500.000. Paulus, die Heilige Katharina, Martin Luther sind satt geworden und haben es anderen weitergereicht, Ghandi hat davon gesessen, Mutter Theresa und Dietrich Bonhoeffer. Das Brot, das Wort wird weiter und weiter vermehrt und ausgeteilt – auch an uns und von uns. Indem wir als seine Gemeinde zusammen sind, auf sein Wort hören, für das tägliche Brot danken, Anteil aneinander nehmen, die Not der Welt zu unserer Sache machen und hoffen, dass er uns brauchen kann, damit sein Reich komme und sein Wille geschehe. Wie Brot und Fisch Grundnahrungsmittel sind, so ist das befreiende Wort Jesu Lebensmittel. Von ihm zu hören, kann satt machen und gesund. Und wo das geschieht, wo wir eben nicht abgespeist werden mit harten Brocken, an denen man sich die Zähne ausbeißt, wo Worte Sehnsucht stillen, ist es auch heute noch ein Wunder. Da hätte ich manchmal gerne ein bisschen mehr von, von diesem Wunder. Hätte gerne mehr Worte verfügbar, die satt machen, die ich weiterreichen kann, die wirklich Gehalt haben und nicht nur hohl klingen. Aber auch das erzählt die Geschichte: Wunder sind flüchtig. Auch die Brot−vermehrung ist ein sehr vorläufiges Wunder. Es ist eigentlich schon wieder nötig, kaum, dass es vollbracht ist. Die Menschen werden ein paar Stunden später auf dem Heimweg schon wieder hungrig sein. Es wird kein dauerhaftes Speisungswunder geben. So geht es uns auch immer wieder mit den Worten. Sie machen uns nicht ein für allemal satt – wir müssen sie immer wieder hören. Alte Worte, immer wieder neu, mal in vertrauter Form, mal verfremdet, damit sie wieder neu sättigen. Das hat Hunger so an sich – er kann nicht ein für allemal gestillt werden. Sattwerden bleibt eine flüchtige Erfahrung. Und noch was ist flüchtig: Jesus selbst. Am Ende – als die Menschen erlebt haben, was sie von ihm kriegen können - Wort und Brot, das sättigt, da wollen sie ihn für immer haben. Ihr König soll er sein. Immer wollen sie versorgt sein. Immer satt. Paradiesische Zustände. Und er – er flieht. Auf den Berg für sich allein. Entzieht sich, ist nicht mehr greifbar. Das entspricht unserer Erfahrung: Auch für uns ist er nicht verfügbar. -4Es gibt keine Garantie, dass ein Wunder geschieht, dass wir satt werden am Wort, das uns Sinn zuspricht. Manchmal geht es auch da rein, da raus, sagt uns gar nichts und ein schaler Nachgeschmack bleibt. Es sind besondere, es sind „wunder“-bare Momente, wenn uns Gott ein Wort für unser Herz gibt und ein Herz für sein Wort und seine Worte unser Herz verändern. Es gibt auch keine Garantie, dass wir sie satt kriegen die Menschen, die zu uns kommen mit ihrem Hunger, mit ihrem Hunger nach Brot und Sinn, nach Schutz und Heimat. Es wäre ein Wunder, wenn 450.000, die hier vorerst und vorrübergehend lagern dürfen, auch ein Zuhause fänden. Aber manchmal wirken auch da kleine Worte Wunder. Ein ernst gemeintes „Willkommen“ z.B. Und ich will nicht aufhören auf diese Wunder zu hoffen, so wie die Dichterin Hilde Domin sagt: „Nicht müde werden sondern dem Wunder leise wie einem Vogel die Hand hinhalten“ Amen.