DIE ROLLE DER THEORIE IN DER

Werbung
Helmut Eschrig
Leibniz-Institut für Festkörper- und Werkstoffforschung Dresden
DIE ROLLE DER THEORIE IN DER
MATEIALFORSCHUNG
am Beispiel der Supraleitung
•
•
•
•
Was ist Supraleitung
Historische Entwicklung
Technische Anwendungen
Meissner-Effekt und kritisches
Magnetfeld
• London-Theorie und
Flussquantisierung
• Josephson-Tunneln und SQUIDs
• Zwei Typen von Supraleitern
• Theorien vom Ginsburg und Landau,
Abrikosov, Bean, Kim und Anderson
• Starkstromanwendungen und
Magnete
• Hochtemperatur-Supraleiter
• Stand und Ausblick
MAN FRAGT MICH,
WAS IST THEORIE?
WENN’S GEHEN SOLL
UND GEHT DOCH NIE!
UND PRAXIS IST,
FRAG’ NICHT SO DUMM,
WENN’S GEHT,
UND KEINER WEISS WARUM.
Ferdinand Porsche
NUR DIE THEORIE ENTSCHEIDET,
WAS GEMESSEN WERDEN KANN.
Albert Einstein
UNTER ÜBERABZÄHLBAR VIELEN
FALSCHEN THEORIEN
STIMMEN ABZÄHLBAR VIELE
MIT DEM EXPERIMENT ÜBEREIN.
Niels Bohr
WAS IST SUPRALEITUNG
Die elektrische Leitung:
I
U
R = U/I
U
I
1 Ohm =
1Volt
1Ampere
Die den elektrischen Strom tragenden Elektronen werden durch die Spannung U
angetrieben, und ihre Geschwindigkeit und damit der Strom wird durch
‘Reibung’ an den Atomen begrenzt. Je höher die Temperatur, um so höher der
Widerstand in Metallen.
R
T
Der ‘Restwiderstand’ bei T = 0 Kelvin hängt von der Reinheit ab.
1908 gelang Heike Kammerlingh Onnes
im Tieftemperatur-Laboratorium in
Leiden die Verflüssigung von Helium
(bei -268.93oC = 4.22 Kelvin).
Als das damals am reinsten darstellbare
Metall untersuchte er 1911 Quecksilber
und erlebte eine Überraschung, die ihm
den Nobel-Preis eintrug:
Als technisch veranlagter Physiker dachte Onnes sehr schnell über den Bau von
Magnetspulen für sehr hohe Magnetfelder nach.
B
I
L
r
I = LB/µ0, U ≈ Iρ2πr/(Lr) = 2πρB/µ0
P = U I ≈ 2πρL(B/µ0)2
Mit dem spezifischen Widerstand reinen Kupfers bei Raumtemperatur ergibt sich
für ein Magnetfeld von B = 10 Tesla eine elektrische Leistungsaufnahme
P ≈ 2 Megawatt bei 20 cm Spulenlänge. Diese Leistung heizt die
Spulenwicklung und muss als Wärme abgeführt werden.
Eine supraleitende Spule hat keine elektrische Leistungsaufnahme.
Die von Onnes untersuchten reinen Metalle verloren allerdings in Magnetfeldern
kleiner als 50 Millitesla (etwa die Feldstärke eines Magnetclips) die supraleitende
Eigenschaft. Onnes glaubte, dieses Problem schnell lösen zu können.
Eine teilweise Lösung (gegenwärtig bis zu 20 Tesla technisch realisiert) wurde
mehr als 50 Jahre später gefunden.
Onnes hat sie nicht mehr erlebt. Er starb 1926, gerade als die Quantentheorie
von Heisenberg und Schrödinger gefunden worden war, die sich später als
Schlüssel zum Verständnis der Supraleitung erwies.
Jede klassische
Bewegung ist mit
Reibung verbunden
und kommt nach
endlicher Zeit zur
Ruhe in einem Zustand
niedrigster Energie:
Die Bewegungsenergie
wird in Wärme
verwandelt, die Wärme
wird abgestrahlt.
Der die Erde umkreisende Mond
produziert Gezeitenströme der
Ozeane die die Bewegungsenergie
des Mondes aufbrauchen.
Eine Kugel in einer Schale
I
Ein in einem Kupferring induzierter Strom
erzeugt Ohmsche Wärme und kommt
schnell zur Ruhe
B
In der Quantenphysik
der Atome verbleibt im
Zustand tiefster
Gesamtenergie
(Grundzustand) eine
von Null verschiedene
Bewegungsenergie, die
prinzipiell nicht
verbraucht werden
kann.
Al+
-
Das 3p-Valenzelektron eines Aluminiumatoms hat im
Grundzustand des Atoms einen Drehimpuls 1·~ und
seine Rotation um den Atomrumpf erzeugt ein magnetisches
Moment, das nie abnimmt.
B
I
Der supraleitende Strom in einem Ring z.B. aus Blei ist ein makroskopischer
Quanteneffekt. Er fließt im quantenphysikalischen Grundzustand des Bleirings.
Im 1962 durchgeführten Dauerstromversuch wurde mit Kernresonanz mit einer
Genauigkeit von 10−5 nach einem Jahr keine Änderung des vom Superstrom in
einem Ring erzeugten Magnetfeldes gemessen.
Die Messgenauigkeit des auf viele Jahre angesetzten Versuchs in Argonne wurde durch einen
Streik der Truckerfahrer begrenzt, der nach einem Jahr die Heliumzufuhr unterbrach.
Historische Entwicklung
180
160
Hg−1223
140
Tc(K)
Tl−2223
120
Bi−2223
100
Y−123
80
60
40
20
Hg
1900
Pb
NbN
Nb NbC
1920
(La−Ba)−214
Nb3Ge
Nb3Sn
V Si Nb−Al−Ge
3
1940
1960
YEAR
1980
2000
Onnes
HTSL
Techn. Anwendung
Josephson-Theorie
Eliashberg-Theorie
BCS-Theorie
Abrikosovs Typ-II
Ginsburg-Landau-Theorie
London-Theorie
1900
Technische Anwendungen supraleitender Materialien wurden nach den
theoretischen Vorarbeiten von Abrikosov und Josephson möglich.
2000
Technische Anwendungen
• Seit etwa 1965 werden Labormagnete für hohe Felder von 5–10 Tesla als
Spulen mit supraleitender Wicklung aus Niob-Zirkon- und vor allem
Niob-Titan-Legierungen hergestellt.
• Seit etwa 1975 werden solche Spulen großindustriell für die großen
Beschleunigeranlagen der Elementarteilchenforschung gefertigt.
• Seit etwa 1985 gehören Kernspintomographen mit supraleitenden
Nb-Ti-Magneten zum Stand der klinischen Medizintechnik.
• Seit wenigen Jahren werden kommerziell Hochfeldspulen bis 20 Tesla mit
Wicklungen aus Nb3Sn-Multifilamentleitern vertrieben.
• Seit etwa 1965 ist das Superconducting Quantum Interference Device
(SQUID) das genaueste Messgerät für Magnetfelder.
• Seit 1965 gibt es Pläne, aber erst in den letzten Jahren Realisierungen in
großem Maßstab (z.B. HASYLAB Hamburg, ELBE Rossendorf), supraleitende
Hohlraumresonatoren aus Reinstniob für Linearbeschleuniger einzusetzen.
• Höchstempfindliche Strahlungsmesser (Bolometer) nutzen die große
Wiederstandsänderung am Supraleitungsübergang bei kleinsten
Temperaturschwankungen.
• Japanisch Magnetschwebebahn-Projekte sehen supraleitende Spulen zur
Erzeugung des Levitationsfeldes vor.
• Seit wenigen Jahren können Massiv-Dauermagnete mit beträchtlicher
Feldstärke aus Yttrium-Barium-Kupfer-Oxyd hergestellt werden. Der
Weltrekord wurde jahrelang mit 16 Tesla bei 24 Kelvin vom IFW Dresden
gehalten. Er steht jetzt bei 17.2 Tesla. (Der stärkste herkömmliche
Dauermagnet aus einer Eisen-Neodym-Bor-Verbindung erzeugt eine
Feldstärke von 1.2 Tesla.)
Meissner-Effekt und kritisches Magnetfeld
Meissner und Ochsenfeld entdeckten 1933 ein bemerkenswertes Verhalten im
Magnetfeld, das ausschließlich bei Supraleitern auftritt:
B
T > Tc
B
T < Tc
Dieser Effekt kann bis zu einem kritischen Magnetfeld B c beobachtet werden,
wobei die Übergangstemperatur mit zunehmendem Feld absinkt. In einem
Magnetfeld größer als B c tritt bei reinen Metallen keine Supraleitung mehr auf.
Die kritischen Felder sind allgemein sehr gering. Sie liegen bei einigen bis einigen
10 Militesla.
London-Theorie und Flussquantisierung
B
1935 lieferten Fritz und
Heinz London die erste
richtige Theorie für die
magnetischen
Eigenschaften der
Supraleiter, die ihren
quantenmechanischen
Charakter berücksichtigte.
Al+
-
Das 3p-Valenzelektron eines Aluminiumatoms hat im
Grundzustand des Atoms einen Drehimpuls 1·~ und
seine Rotation um den Atomrumpf erzeugt ein magnetisches
Moment, das nie abnimmt.
B
I
1950 sagte F. London voraus, dass der magnetische Fluss Φ = BA durch einen
supraleitenden Ring, der die Fläche A einschließt, quantisiert ist:
Φ = nΦ0,
Φ0 = 2.07 · 10−15Tesla · m2.
Josephson-Tunneln und SQUIDs
Die Flussquantisierung wurde 1961 experimentell bestätigt, genau 50 Jahre nach
der Entdeckung der Supraleitung.
Sie ist Folge des Zusammenhangs zwischen magnetischem Fluss und der Phase
der quantenphysikalischen Wellenfunktion des Superstromes.
1962 fand B. D. Josephson theoretisch Konsequenzen dieses Zusammenhangs
für den Tunnelstrom durch zwei Supraleiter trennende dünne Isolationsschichten.
SL 1
SL 2
B
I
I
1
2
3
4
5
6
Φ/Φ0
Dies wurde bereits im selben Jahr experimentell bestätigt, und in kurzer Zeit
wurden Messgeräte entwickelt, die es z.B. heute ermöglichen, die Magnetfelder
von Gehirnströmen zu messen:
Superconducting QUantum Interference Device
SQUID
Zwei Typen von Supraleitern
Shubnikov entdeckte 1937, dass sich supraleitende Blei-Indium- und
Blei-Tallium-Legierungen im Magnetfeld anders verhalten als reines Blei:
Typ-I-Supraleiter (z.B. Pb):
B
B
SL
NL
B < Bc
B > Bc
Typ-II-Supraleiter (z.B. Pb-Tl, Nb-Ti):
B
B
B
SL
SL
NL
B < B c1
B c1 < B < B c2
B > B c2
Die Arbeit Shubnikovs erschien 1937 und blieb bis etwa 1960 ohne große
Beachtung. Shubnikov selbst, dem wir eine Reihe wesentlicher Entdeckungen in
der Festkörperphysik verdanken, wurde im August 1937 verhaftet und im
November 1937 erschossen.
Theorien von Ginsburg und Landau, Abrikosov, Bean, Kim
und Anderson
Ginsburg und Landau entwickelten 1950 eine phänomenologische Theorie für den
Übergang in den supraleitenden Zustand, die es gestattet, räumlich veränderliche
Strukturen zu analysieren.
Die Ginsburg-Landau-Theorie ist heute die Standardtheorie allgemein für
Phasenübergänge 2. Ordnung.
1955 gelang es Abrikosov, mit Hilfe der Ginsburg-Landau-Theorie die Struktur
des sogenannten ‘gemischten Zustands’ der Supraleiter für Bc1 < B < Bc2 zu
berechnen. Er konnte zeigen, dass die Grenzflächenenergie zwischen
supraleitenden und normalleitenden Bereichen in Typ-I-Supraleitern positiv und
in Typ-II-Supraleitern negativ ist und dass das Magnetfeld einen
Typ-II-Supraleiter in Form von Flussfäden durchdringt, von denen jeder den Fluss
Φ0 enthält und die ein Gitter bilden.
B
Typ-IISupraleiter
Haftzentren
Flussfadengitter
1962 wurde die Arbeit von Abrikosov durch Goodman in der westlichen Welt
bekanntgemacht und bildete nun die Grundlage für die schnell einsetzenden
Starkstromanwendungen der Supraleitung.
Das Flussfadengitter wurde 1964 erstmals mit Neutronenstreuung im
Beugungsbild und 1967 direkt durch Dekorieren mit Kobalt-Nanoteilchen und
elektronenmikroskopische Aufnahme beobachtet.
Für die Entwicklung leistungsfähiger Supraleiterwerkstoffe war aber noch ein
Theorieschritt notwendig:
Durch elektromagnetische Wechselwirkung entsteht zwischen Suprastrom und
Flussfäden eine Kraft. Wenn das Flussfadengitter von dieser Kraft durch den
Festkörper bewegt wird, entsteht Reibung und Wärme. Nur wenn das
Flussfadengitter im Festkörper verankert werden kann, ist ein verlustfreier
Suprastrom möglich.
Die Verankerung geschieht an Haftzentren, die als Strukturdefekte gezielt in das
supraleitende Material eingebaut werden müssen. Diese Überlegungen bilden die
Grundlage der 1962-63 entwickelten Theorie des kritischen Stromes von Bean,
Kim und Anderson, des maximalen Suprastromes, der verlustfrei transportiert
werden kann. Dieser hängt vom Magnetfeld und von der Temperatur ab.
Starkstromanwendungen und Magnete
1961 wurde mit einer Nioblegierung die erste supraleitende 1.5 Tesla
Magnetspule gebaut und damit eine Aufgabe erstmals gelöst, die Onnes 1911 in
wenigen Monaten zu lösen hoffte.
Im gleichen Jahr gelang es, aus der sehr spröden intermetallischen Verbindung
Nb3Sn ein verarbeitbares Leitermaterial herzustellen, aus dem heute (nach
jahrelanger Werkstoffoptimierung) Magnetspulen bis zu 20 Tesla kommerziell
gefertigt werden.
Nb3Sn wird unterhalb von 20 Kelvin (-253o Celsius) supraleitend. Alle
supraleitenden Magnetspulen werden bis heute im flüssigen Helium betrieben.
Mit den technischen Anwendungen setzte eine intensive Suche nach Materialien
mit höheren Übergangstemperaturen ein. Keine der existierenden Theorien
lieferte eine obere Grenze für diese Übergangstemperatur.
Als ein ‘Zufall des Tüchtigen’ gelang 1986 Alex Müller und Georg Bednorz der
Durchbruch.
Hochtemperatur-Supraleiter
Elementarzelle des Kristallgitters
von
YBa2Cu3O7(Y-123):
Die Struktur enthält
CuO2-Ebenen und
CuO3-Ketten:
Elementarzelle des Kristallgitters von
(Bi,Pb)2Ca2Sr2Cu3O11 (Bi-2223):
Die Struktur enthält Dreifachschichten
von CuO2, getrennt durch
Ca-Schichten:
Ausblick
Supraleitende Dauermagnete
Felder bis zu 16 Tesla
Supraleitende Schichten
Schichtaufbau
RABITS-Band aus Nickel
Verlustfreier Stromtransport
Motoren
mit supraleitenden Komponenten
Supraleitende Magnetschwebebahn
Levitation mit Massivsupraleitern:
F
Magnetfeld
SL
N
S
S
N
N
S
N
S
S
N
SL
N
S
N
S
S
N
N
S
Magnetschiene
SL
N
S
S
N
SL
N
S
F
S
N
N
S
SL
N
S
N
S
F
S
N
N
S
Herunterladen