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Anlagen Aktuell
Finanzmärkte im Blickpunkt
24. Juni 2016
Die Eurozone zieht Bilanz
Die Auswertung der Haushaltssalden für 2015 zeigt eine Verbesserung der fiskalischen Situation
in den meisten Euroländern. Angesichts des erfreulichen Wachstums in der Eurozone im Jahr
2015 wäre dies ein weiteres Indiz dafür, dass ihre Erholung auf einer soliden Basis steht. Allerdings haben nicht alle Länder ihre gegenüber der europäischen Kommission formulierten Ziele
erreicht, und bei der Verschuldungsquote ist keine Verbesserung in Sicht.
Haushaltsdefizite nehmen weiter ab
land und Luxemburg weisen Überschüsse auf. In Frankreich,
Die Staatsfinanzen der Eurozone sind spätestens seit der eu-
Portugal, Spanien und Griechenland ist das Haushaltsdefizit
ropäischen Schuldenkrise 2010 ein viel beachtetes Thema.
gar höher als das EU-Finanzstabilitätsziel von –3%. Fakt
Neben der Verschuldungsquote – d.h. den Staatsschulden im
bleibt, dass sich dank dem besseren BIP-Wachstum bzw.
Verhältnis zum Bruttoinlandprodukt (BIP) – gibt auch das
dank höheren Steuereinnahmen die Haushaltssalden der
Haushaltssaldo – die Differenz zwischen Einnahmen und
meisten Euroländer 2015 gegenüber 2014 mindestens verbes-
Ausgaben eines Staates im Verhältnis zur Leistungskraft
sert haben. Die Ausnahmen bilden Griechenland, die Slowa-
der jeweiligen Wirtschaft – Hinweise darüber, wie gut oder
kei, Estland und Luxemburg. Wobei es sich bei Estlands und
schlecht die einzelnen Volkswirtschaften zukünftige Heraus-
Luxemburgs Verschlechterung um eine Abnahme des Haus-
forderungen meistern werden. Die jüngsten Auswertungen
haltsüberschusses handelt (Grafik 1: Haushaltssalden in % des
zeigen, dass der grosse Teil der Euroländer immer noch nega-
BIP). Der allgemeine Rückgang der Haushaltsdefizite zeigt,
tive Haushaltssalden erwirtschaftet. Einzig Estland, Deutsch-
dass die verschiedenen Sparmassnahmen greifen und die De-
Grafik 1: Haushaltssalden in % des BIP
4
Grafik 2: Zinsen und Renditen Eurozone
6
2
5
0
–2
4
–4
3
–6
–8
2
Luxemburg
Deutschland
Estland
Litauen
Zypern
Österreich
Lettland
Malta
Niederlande
Eurozone
Irland
Italien
Belgien
Finnland
Slowenien
Slowakei
Frankreich
Portugal
Spanien
Griechenland
–10
■ 2015 ■ 2014
1
0
–1
2006
2008
2010
Reposatz Euro-Zone 2012
2014
2016
Euro-Staatsanleihen (10 J.)
Quellen: Zürcher Kantonalbank, Eurostat
Quellen: Zürcher Kantonalbank, OECD
fizite trotz Bankenrekapitalisierungen bzw. -abwicklungen
Budgetpläne der EU-Kommission zur Begutachtung vor –
reduziert werden konnten. Deutlicher sind die Sparbemühun-
noch bevor sie von den jeweiligen nationalen Parlamenten be-
gen aus der Optik der Primärdefizite ersichtlich – d.h. ohne
schlossen werden. Daraus folgen später die länderspezifischen
Berücksichtigung der Zinszahlungen. Italien und Portugal
Empfehlungen des Europäischen Rates betreffend Reformen
reihen sich dann neben Deutschland unter den Klassenbes-
und Stabilitäts- bzw. Konvergenzprogramme für die natio-
ten ein. Frankreich bildet dagegen punkto Staatsfinanzen die
nalen Haushalte. Diese haben konsultativen Charakter und
Ausnahme – weder werden die Haushalts- noch die Primärde-
müssen von den Ländern auch selten eingehalten oder um-
fizite massgeblich reduziert..
gesetzt werden. Dennoch lassen sich daraus Tendenzen ableiten. Auch heuer stehen haushaltspolitische Strategien zwecks
Ein weiteres Indiz dafür, dass strukturschwache Länder ihre
Ausgabensenkungen und Strukturreformen zur Erhöhung der
Sparbemühungen ernst nehmen, ist die abnehmende Staats-
Produktivität im Vordergrund der Empfehlungen des Rates
quote gemessen an den Staatsausgaben im Verhältnis zum
und der europäischen Kommission zur Wirtschaftspolitik des
BIP der jeweiligen Volkswirtschaften. Diese liegt für die Ge-
Euro-Währungsgebiets. Die Empfehlungen räumen aber auch
samteurozone bei rund 49%. Mit anderen Worten: Rund die
ein, dass 2016 angesichts der vorherrschenden Wachstumsri-
Hälfte des BIP der Eurozone wird benötigt, um die laufenden
siken ein neutraler haushaltspolitischer Kurs angemessen sei.
Staatsausgaben zu decken. In der Schweiz ist dies zum Ver-
Diese Freikarte für das Vernachlässigen der EU-Finanzsta-
gleich ein Drittel. Von den EU-Ländern mit Handlungsbedarf
bilitätsziele dürfte wohl mit dem aktuellen politischen Span-
erreichten Slowenien, Portugal (beide 47% bis 48%) und Spa-
nungsfeld in Europa zusammenhängen. So beansprucht die
nien (43%) durch gezielte Sparprogramme Quoten unterhalb
Bewältigung der Flüchtlingskrise an sich zusätzliche finan-
der Gesamteurozone. Spanien weist somit die gleiche Staats-
zielle Mittel aus den Staatskassen. Weiter haben die Terroran-
quote wie Deutschland auf. Andere Länder mit Handlungs-
schläge von Paris und Brüssel dazu geführt, dass europaweit
bedarf wie Belgien (54%), Finnland (59%) oder Frankreich
das Dispositiv an Militär und Polizei erhöht wurde. Es soll
(57%) zeigen sich dagegen als reformresistent und verharren
gemäss den jeweiligen Staatsoberhäuptern noch ausgeweitet
auf den bisherigen Niveaus.
werden. Und zu guter Letzt wollen die neu gewählte Regierung in Portugal und die noch wiederzuwählende Regierung
Höhere Staatsausgaben 2016 erwartet
in Spanien sowie Italien den Sparkurs der letzten Jahre etwas
2016 dürften die Haushaltssalden auf dem Niveau von 2015
ruhiger angehen. Erst eben erhielten die Defizitsünder Portu-
verharren oder sich tendenziell gar wieder verschlechtern.
gal und Spanien anstatt der angedrohten Geldbusse mehr Zeit
Wie alle Jahre legen die einzelnen EU-Mitgliedstaaten im
zum Erreichen der Defizitziele. Der Kampf gegen den Schul-
Rahmen des sogenannten «europäischen Semesters» ihre
denberg wird vor diesen Hintergründen auf 2017 vertagt.
gegenwärtig 0.7% (Grafik 2: Zinsen und Renditen Eurozone).
Grafik 3: Öffentliche Schulden in % vom BIP
Da die Inflation in der Eurozone um null liegt, ist auch der
140
Realzins bei 0.7%. Alles im grünen Bereich für die Eurozone,
120
könnte man denken. Diese vereinfachte Rechnung geht jedoch
100
nicht für alle Euroländer auf. Zum einen wachsen einige Eu-
80
roländer weniger stark als die Eurozone, zum anderen haben
60
sie schlechtere Refinanzierungskonditionen. Hinzu kommt,
dass je höher der anfängliche Schuldenstand ist, desto mehr
40
2012
Eurozone
Frankreich
Slowenien
2013
2014
Belgien
Irland
Spanien
2015
Deutschland
Österreich
Quellen: Zürcher Kantonalbank, Thomson Datastream
wird vom BIP-Wachstum für die Zinstilgung aufgebraucht.
Italien hat z.B. einen der höchsten konstanten Primärüberschüsse. Dieser reicht aber nicht aus, um die hohe Zinslast auf
den bestehenden Schulden zu decken. Das bescheidene BIPWachstum von 0.8% im Jahr 2015 hilft wenig. Spanien hingegen ist 2015 mit 3.2% zwar ordentlich gewachsen, kämpft aber
mit einem strukturellen Primärdefizit. Beide Länder mussten
Der Schuldenabbau zieht sich hin
neue Schulden machen, um die laufenden Ausgaben zu de-
Der Haushaltssaldo ist, obschon er mit einem Minus oder Plus
cken. Dass einige Länder es trotz Primärdefizit und mässigem
ausgewiesen wird, aus buchhalterischer Sicht immer ausgegli-
Wachstum dennoch schaffen, ihren Schuldenberg zumindest
chen. Die Frage ist nur, wie es dazu kommt: Während einige
nicht ansteigen zu lassen, hängt damit zusammen, dass ihre
Volkswirtschaften ihr Haushaltsdefizit mit zusätzlichen Kre-
kurz- bis mittelfristigen Refinanzierungskosten wie im Falle
diten ausgleichen müssen, erzielen andere einen Bilanzüber-
der Niederlande und Österreichs negativ sind und die anfäng-
schuss. Letztere können frei über diese zusätzlichen Mittel
liche Schuldenquote relativ tief ist. Die einzige richtige Er-
verfügen und z.B. Schulden abbauen – ein Wunschzustand
folgsgeschichte hinsichtlich der Staatsfinanzen der Eurozone
in der Eurozone. Die Mehrausgaben im Verhältnis zur volks-
ist Irland, das die Schuldenquote innerhalb der letzten zwei
wirtschaftlichen Leistungskraft von –2.1% für die Gesamteu-
Jahre von 120% auf 100% reduzieren konnte (Grafik 3: Öf-
rozone liegen zwar unter dem EU-Finanzstabilitätsziel von
fentliche Schulden in % vom BIP). Allerdings ist Irland im
3%, entsprechen aber dennoch einem Refinanzierungsbedarf
letzten Jahr auch um 7.2% gewachsen.
von 2.1%. Mit anderen Worten: Das Wachstum und der generierte Primärüberschuss reichen in der Eurozone nicht aus, um
Die Verschuldungsquote – definiert als alter Schuldenstand
die laufenden Zinszahlungen auf den bestehenden Schulden-
zuzüglich Zinszahlungen minus Primärsaldo in % des BIP –
stand zu decken, sodass sie neue Schulden machen muss. Ob
in der Eurozone verharrt seit der Schuldenkrise trotz einiger
der Schuldenstand weiter steigt oder sinkt, hängt massgeblich
Sparbemühungen bei über 90% des BIP. Das zweite EU-Fi-
vom Wachstum, von der Zinslast und vom Primärsaldo ab. Die
nanzstabilitätsziel, eine Verschuldungsquote von 60%, bleibt
Faustregel ist einfach: Solange die BIP-Wachstumsrate höher
somit vorerst in weiter Ferne. Eine Verschuldungsquote um
als der reale Zinssatz (Nominalzins minus Inflationsrate) ist,
die 60% weisen gegenwärtig nur die Niederlande, Malta,
kann der Schuldenberg auch ohne Primärüberschuss abgebaut
Finnland, die Slowakei, Litauen, Lettland, Luxemburg und
werden. Da die Eurozone gerade einmal um 1.5% wächst und
Estland auf. Das rote Warnsignal leuchtet dagegen in Portugal
auch über die nächsten zwei Jahre in diesem Umfang wachsen
(130%), Italien (133%) und Griechenland (177%) immer inten-
wird, braucht sie ein sehr tiefes Zinsumfeld, um ihre Schul-
siver. Die Verschuldungsquote der anderen Euro-Mitglieder
den finanzieren zu können und gleichzeitig den Schuldenberg
bewegt sich zwischen 70% und 110% des BIP (Grafik 3: Öf-
abzutragen, ohne die Steuereinnahmen zu erhöhen bzw. die
fentliche Schulden in % vom BIP).
Staatsausgaben zu senken – d.h., ohne einen Primärüberschuss ausweisen zu müssen. Das für 2016 erwartete Wachs-
Der Abbau einer hohen Verschuldungsquote ist deshalb wich-
tum ist mit 1.5% höher als die Rendite für eine generische
tig, weil diese die Kreditwürdigkeit des jeweiligen Staates
Euro-Anleihe mit einer Laufzeit von 10 Jahren – diese beträgt
belastet, die Investitionsaktivitäten hemmt und die wirtschaft-
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liche Anfälligkeit dieser Volkswirtschaften bei neuen Wirt-
im Umfang von 80 Milliarden Euro kaufen, was die Renditen
schaftskrisen erhöht – insbesondere dann, wenn die Staaten
für Staatsanleihen und somit die Refinanzierungskosten für
nicht über die eigene Währung bestimmen können. Um den
die Staaten tief hält.
Schuldenberg weiter zu reduzieren, müssen Euroländer mit
einer hohen Verschuldungsquote stärker wachsen sowie höhe-
Ausgehend vom allgemeinen Gesamteurofall ist die Tragbar-
re Primärüberschüsse generieren, und die EZB muss, solange
keit der Schuldenlast zwar mehrheitlich gewährleistet. Der
das Umfeld deflationär bleibt, weiterhin für ultratiefe Zinsen
Schuldenabbau zieht sich aber hin. Das deflationäre Umfeld
sorgen. Da das Wachstum angesichts des globalen Wirtschafts-
lässt nicht einmal das «Weginflationieren» des Schulden-
umfeldes bescheiden bleibt und weiteres Sparen vorerst nicht
bestands zu. In strukturschwächeren Ländern sind weitere
angesagt ist, ruht die Hoffnung vor allem auf der EZB. Ihre
Reformen zur Produktivitätssteigerung nötig. Das braucht
Unterstützung ist auch weitgehend umgesetzt. Die EZB hat
Geduld, und im Extremfall müssen die Schulden zwecks Ent-
im Rahmen ihrer unkonventionellen Geldpolitik entschieden,
lastung mit einem Schuldennachlass reduziert werden. Dage-
so lange wie nötig den Zins für Einlagen der Geschäftsbanken
gen ist der politische Widerstand der Gläubigerländer jedoch
bei der EZB bei –0.4% und den Hauptrefinanzierungssatz bei
hoch. Es bleibt als Lösung die Umstrukturierung der Schul-
0% zu halten (Grafik 2). Im Weiteren wird sie jeden Monat bis
den, d.h., deren Tilgung wird weiter in die Zukunft verscho-
März 2017, und falls nötig länger, Anleihen – hauptsächlich
ben. Und für die nötige tiefe Zinslandschaft sorgt die EZB
Staats-, aber auch Unternehmensanleihen von Nichtbanken –
solange wie nötig.
www.bekb.ch
Berner Kantonalbank AG / Banque Cantonale Bernoise SA
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