35 Bochumer Forschergruppe der starken Wechselwirkung auf der Spur 3+3+5 = 938 Dass ein Proton rund neunzigmal soviel wiegt wie die Summe seiner Quarks, ist nicht das einzige Rätsel, das Experimentalphysiker der Ruhr-Universität lösen wollen. In einem internationalen Team von 450 Wissenschaftlern aus 17 Ländern versuchen sie, die Bausteine der Materie zu verstehen. Das PANDA-Experiment, das als Teil des FAIR-Projektes am GSI Helmholtzzentrum für Schwerionenforschung in Darmstadt bis 2016 aufgebaut wird, soll Licht in das Teilchendunkel werfen. Uns Menschen sind vier Wechselwirkungen zwischen Teilchen bekannt, wenn- gleich wir nur zwei davon im Alltag erfahren können. Die Gravitation sorgt dafür, dass sich Massen anziehen, wodurch die Planeten um die Sonne kreisen. Die elektromagnetische Wechselwirkung bewirkt zum Beispiel, dass sich Atomhüllen abstoßen. Gäbe es sie nicht, würde etwa ein Wasserglas im Tisch versinken oder dieses Magazin dem Leser durch die Finger gleiten. Außerdem gibt es noch die schwache Wechselwirkung, die in der Sonne die Kernfusion erst möglich macht, indem sie Protonen in Neutronen umwandelt. Rätsel gibt uns noch die starke Wechselwirkung auf. Sie wirkt zwischen Quarks, den Abb.1: Teilchenspuren – in einer sog. Blasenkammer hinterlassen geladene Teilchen ihre Spuren in flüssigem Wasserstoff, die dann fotografisch festgehalten werden. Die gekrümmten Bahnen der geladenen Teilchen entstehen unter dem Einfluss des sie umgebenden Magnetfeldes. 36 Abb. 2: Ein Teilchen, ein sog. J/, bestehend aus zwei Quarks, zerfällt hier in ein Elektron-PositronPaar. Die Rekonstruktion der Impulse beider Teilchen ergibt mithilfe von Energie- und Impulserhaltungssätzen für J/ eine Masse von 3,1 GeV/c2. Anzahl der Elektron-Positron-Paare rubin | sonderheft 10 300 250 200 150 100 50 0 3.07 3.075 3.08 3.085 3.09 3.095 3.1 3.105 3.11 3.115 3.12 Invariante Elektron-Positron-Masse / GeV / c2 kleinsten Bausteinen der uns bekannten Materie, aus denen Protonen und Neutronen aufgebaut sind. Der gesunde Menschenverstand sagt uns, dass ein Kuchen soviel wiegt wie seine Zutaten. Ein Proton besteht aus zwei sog. up- und einem down-Quark mit den Massen 3 MeV/c² bzw. 5 MeV/c² (Megaelektronenvolt/Lichtgeschwindigkeit zum Quadrat). Eine Milchmädchenrechnung führt also zu einer Masse von etwa 11 MeV/ c² für das Proton. Doch Messungen erge- info 1 FAIR-Zukunftsprojekt Das FAIR-Projekt wird bis 2016 am GSI Helmholtzzentrum für Schwerionenforschung in Darmstadt entstehen. Es wird durch das Bundesforschungsministerium (BMBF) sowie Finanzmittel aller beteiligten Länder mit etwa 1,2 Milliarden Euro gefördert. FAIR stellt dann Teilchenstrahlen in bisher unerreichter Qualität und Intensität bereit, die für Experimente aus der Hadronenphysik über Atomphysik bis hin zur Plasmaphysik genutzt werden können. http://www-panda.gsi.de/ FAIR PANDA HESR ben mit 938 MeV/c² neunzigmal mehr. Offenbar ist eine fundamentale Frage offen: Woher kommt der Großteil der Protonenoder Neutronenmasse, wenn nicht aus den Quarks? Die Teilchen, die die starke Wechselwirkung von einem Quark zum anderen tragen, nennt man Gluonen. Weil sie selbst anfällig für die starke Wechselwirkung sind, stellt sich die Frage: Gibt es gebundene Teilchen, die nur aus Gluonen bestehen, ohne dass Quarks beteiligt sind? Zudem kann man Quarks nie einzeln, sondern nur in Zweier- oder Dreiergruppen beobachten. Weshalb sind sie so „scheu“? Hier scheint die zugrundeliegende Physik noch nicht gänzlich verstanden. Diese fundamentalen Fragen soll das PANDA-Experiment (antiProton ANnihilation at DArmstadt, s. Info 2), welches Bestandteil des FAIR-Projektes ist, klären helfen. FAIR (Facility for Antiproton and Ion Research) wird modernste Teilchenbeschleuniger sowie eine Vielzahl von Experimenten umfassen (s. Info 1). Um die Welt im Kleinsten zu verstehen, benötigt die Forschung riesige Maschinen (s. Info 1/2). Die neuen Teilchenbeschleuniger von FAIR werden große Mengen Antiprotonen erzeugen. Nicht so viele, dass es für ein Dan Brownsches Szenario mit einer Antimateriebombe reichen könnte, aber genug, um Experimentalphysiker zu begeistern. Die Antiprotonen werden gesammelt und in einem hochenergetischen Strahl gebündelt, der im Hochenergie-Speicherring (HESR, s. Info 1) wie 37 Abb. 3: Kristalle aus dem High-Tech-Material Bleiwolframat sind glasklar und senden beim Durchgang eines geladenen Teilchens oder eines Photons einen Lichtblitz aus. auf einer Stadionrennbahn kreist. An einer geraden Seite der 574 Meter langen Bahn steht der etwa zwölf Meter lange PANDADetektor, der rundherum um ein Teilstück dieses Strahls aufgebaut ist (s. Info 2). Indem dann winzige Wasserstoff-Kügelchen senkrecht durch den Antiprotonenstrahl fallen, können die Antiprotonen mit den Protonen des Wasserstoffs kollidieren: Die Teilchen vernichten sich gegenseitig vollständig und setzen die mitgebrachte Energie frei. Diese Energie erzeugt nun viele verschiedene Teilchen, von Elektronen und Photonen bis zu sehr exotischen wie Pionen, Kaonen und Myonen. Je nach physikalischer Reaktion entstehen diese Teilchen aus der schieren Energie und rasen in die Detektoren. Indem wir die Eigenschaften der Teilchen wie die Teilchensorte, die Richtung, den Impuls oder die Energie messen, können wir den Anfangszustand bestimmen, aus dem die Teilchen stammen (Abb. 2). In diesem Prozess, an dem sechs Quarks beteiligt sind (drei vom Proton, drei vom Antiproton) und damit viele Gluonen zwischen den Quarks ausgetauscht werden, spielt die starke Wechselwirkung die Hauptrolle. Sie zu studieren wird möglicherweise das Rätsel um die „fehlende“ Masse des Protons, und inwiefern die Gluonen daran beteiligt sind, lösen helfen. Der PANDA-Detektor ist ein komplexes Instrument. Er besteht aus vielen einzelnen Teildetektoren, deren Aufgabe es ist, die Teilchenflugrichtung, die Energie oder die Identität der Teilchen zu bestimmen. Die Bochumer PANDA-Gruppe arbeitet an einem sog. elektromagnetischen Kalorimeter (EMC), einem Detektorteil, der die Energie von Photonen und Elektronen misst. Das EMC nutzt die Eigenschaft bestimmter Kristalle, bei Durchflug eines geladenen Teilchens oder Photons einen Lichtblitz auszusenden, dessen Intensität proportional zur Energie des einschlagenden Teilchens ist. Auch wenn die Lichtmenge sehr klein und der Blitz nur einige Nanosekunden kurz ist, lässt sich die im Kristall erzeugte Lichtmenge detektieren und damit auf die Teilchenenergie schließen. Weil das EMC aus vielen einzelnen Kristallen (etwa 16000) mit bekannter Position besteht, können wir außerdem den Ort des Teilcheneinschlags bestimmen. Die Kristalle bestehen aus einem HighTech-Material namens Bleiwolframat (PbWO4), welches bislang weltweit nur von der Firma Bogoroditsk Plant of Technochemical Products (Russland) in der benötigten Qualität hergestellt wird. Es ist transparent wie Glas, hat aber eine etwa dreimal so hohe Dichte (s. Abb. 3). Bleiwolframat sendet umso mehr Licht pro Teilchenener- 38 rubin | sonderheft 10 info 2 gie aus, je kälter es ist. Mit abnehmender Temperatur nimmt aber die Anfälligkeit für Strahlung zu: Die Kristalle werden dann intransparent und absorbieren ihr eigenes Licht, dass dann nicht mehr gemessen werden kann. Einen guten Kompromiss zwischen ausreichender Lichtmenge pro Energie und akzeptabler Strahlenresistenz findet man bei -25 °C, was etwa der Temperatur eines herkömmlichen Eisfaches entspricht. Das EMC wiegt ungefähr 20 Tonnen und muss möglichst gleichmäßig und zeitstabil bis auf 0,05 °C genau temperiert sein. Nur dann bleibt das Verhältnis zwischen Lichtmenge und Teilchenenergie konstant. Ein technisch äußerst anspruchsvolles Ziel: Der Aufbau muss isoliert werden, damit sich an der Grenze zur Raumluft keine Eisschicht bildet. Dabei muss die Isolierschicht noch genügend Platz für die ringsum befindlichen Detektoren lassen. Hinzu kommt die kontinuierliche Temperaturmessung an den Kristallen, um die Temperaturstabilität zu kontrollieren. Daher arbeiten wir momentan zugleich an einer effizienten Isolierung und auch an extrem dünnen Temperatursensoren. Mit einer Dicke von nur 60 Mikrometern (etwa zwei Haarbreiten) passen sie zwischen die Kristalle. Dieser Sensortyp nutzt die Temperaturabhängigkeit des elektrischen Widerstandes von Platin: Wenn dieser gemessen PANDA-Experiment – das Forschungsumfeld Das PANDA-Experiment steht im Mittelpunkt der Bochumer Forschung unter Leitung von Prof. Dr. Ulrich Wiedner (Lehrstuhl für Experimentalphysik I). Wiedner ist zugleich Sprecher der PANDA-Kollaboration, die sich einfügt in das im Herbst dieses Jahres offiziell startende internationale Zukunftsprojekt FAIR. Mit dem Prototypen eines elektromagnetischen Kalorimeters (EMC) entwickeln die Bochumer Physiker quasi den Schlüsseldetektor für eine neue Physik der Teilchen, die aus Gluonen bestehen. Während sich eine Gruppe insbesondere dem Aufbau des Experiments widmet, sind die zukünftigen Tests und damit verbundene Computersimulationen schon heute Forschungsgegenstand der zweiten Gruppe. Dabei kooperiert der Bochumer Lehrstuhl mit dem Pekinger BES-III-Experiment (Beijing Spectrometer), das im Gegensatz zum PANDA-Experiment kollidierende Elektronen und Positronen nutzt, um neuartige Teilchenzustände zu entdecken. Jan Schulze, der sich in seiner Doktorarbeit vor allem mit dem Aufbau des PANDA-Experiments, insbesondere mit der sog. Vorwärtsendkappe, der rechten inneren Detektorfläche des EMC, beschäftigt, hat dabei immer auch die späteren Tests im Blick. H2 AntiprotonenStrahl Wechselwirkungspunkt elektromagnetisches Kalorimeter Abb.: Der PANDA-Detektor besteht aus vielen Teildetektoren, die unterschiedliche Teilcheneigenschaften messen. Der Antiprotonenstrahl im elektromagnetischen Kalorimeter (EMC) trifft am Wechselwirkungspunkt (weiß) mit den Protonen des Wasserstoffs zusammen. Die dabei freiwerdende Energie erzeugt neue Teilchen, die in alle Richtungen fliegen und durch die verschiedenen Detektoren vermessen werden. 39 wird, kann auf die Temperatur geschlossen werden. Zur Zeit prüfen wir zwei Optionen: Wir legen entweder dünnen Platindraht (25 Mikrometer dünn) in engen Wendeln zwischen zwei Folien oder bedampfen eine dünne Folie mit einer noch dünneren Schicht Platin. Auch der mechanische Aufbau ist nicht simpel: eine Kristallgruppe von 16 Kristallen wiegt etwa 18 Kilogramm. Dieses Gewicht wird aber ausschließlich von einer Kohlefaserhülle getragen, die einen Fünftel Millimeter dick ist (s. Abb. 4). Dickere Halterungsstrukturen würden die sensitive Fläche des Detektors verringern, weil Teilchen durch Halterungsmaterial den Detektor „ungesehen“ verlassen könnten. Diese Kohlefaserhüllen wurden industriell für das PANDA-Experiment maßgeschneidert und besitzen eine sehr hohe Belastungsfähigkeit: Unter Schichten von Bleiziegeln getestet gab eine Kohlefaserhülle erst bei 440 Kilogramm nach. Die Bochumer Gruppe entwickelt maßgeblich einen EMC-Prototypen und testet seine Komponenten für den späteren Aufbau. Wie die Lichtdetektoren oder die Platin-Temperatursensoren entstehen viele dieser Komponenten eigens für das PANDA-Experiment. Doch zunächst müssen sie im Test bestehen: Im Frühjahr 2011 kommen alle Komponenten in einem ersten Prototypen unter Teilchenbeschuss. Ab 2016 soll der PANDA-Detektor dann Einblick in die Tiefen der Materie geben. Und vielleicht erfahren wir ja dann, was die Welt im Innersten zusammen hält. Jan Schulze Bochum Scientists in pursuit of strong interaction Although the discovery of the proton already is about a hundred years old, little is known about the origin of its mass. With the multi-million Euro PANDA-experiment (antiProton ANnihilation at DArmstadt), a group of physicists from Bochum, along with a team of 450 scientists from 17 countries, constructs a high-end particle detector to investigate the binding force between quarks, which form hadrons (particles made up of quarks) and thus protons. To what extent does this force affect the mass of the proton? Abb. 4: Dünne, jedoch äußerst belastbare Kohlefaserhüllen halten wie ein Container jeweils 16 Kristalle mit einem Gewicht von 18 Kilogramm. Der gesamte Innenraum des elektromagnetischen Kalorimeters (EMC) ist mit diesen Kristallen ausgekleidet. Jan Schulze überprüft hier eine Kohlefaserhülle, an deren glatten Innenflächen sich sein Gesicht wie in einem Kaleidoskop spiegelt.