Bochumer Forschergruppe der starken Wechselwirkung auf der Spur

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Bochumer Forschergruppe der
starken Wechselwirkung auf der Spur
3+3+5 = 938
Dass ein Proton rund neunzigmal soviel
wiegt wie die Summe seiner Quarks, ist
nicht das einzige Rätsel, das Experimentalphysiker der Ruhr-Universität lösen wollen. In einem internationalen Team von
450 Wissenschaftlern aus 17 Ländern versuchen sie, die Bausteine der Materie zu
verstehen. Das PANDA-Experiment, das
als Teil des FAIR-Projektes am GSI Helmholtzzentrum für Schwerionenforschung
in Darmstadt bis 2016 aufgebaut wird, soll
Licht in das Teilchendunkel werfen.
Uns Menschen sind vier Wechselwirkungen zwischen Teilchen bekannt, wenn-
gleich wir nur zwei davon im Alltag erfahren können. Die Gravitation sorgt dafür,
dass sich Massen anziehen, wodurch die
Planeten um die Sonne kreisen. Die elektromagnetische Wechselwirkung bewirkt
zum Beispiel, dass sich Atomhüllen abstoßen. Gäbe es sie nicht, würde etwa ein
Wasserglas im Tisch versinken oder dieses
Magazin dem Leser durch die Finger gleiten. Außerdem gibt es noch die schwache
Wechselwirkung, die in der Sonne die
Kernfusion erst möglich macht, indem sie
Protonen in Neutronen umwandelt. Rätsel gibt uns noch die starke Wechselwirkung auf. Sie wirkt zwischen Quarks, den
Abb.1: Teilchenspuren – in einer sog. Blasenkammer
hinterlassen geladene Teilchen ihre Spuren in flüssigem Wasserstoff, die dann fotografisch festgehalten werden. Die gekrümmten Bahnen der geladenen
Teilchen entstehen unter dem Einfluss des sie umgebenden Magnetfeldes.
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Abb. 2: Ein Teilchen, ein sog. J/, bestehend aus
zwei Quarks, zerfällt hier in ein Elektron-PositronPaar. Die Rekonstruktion der Impulse beider Teilchen ergibt mithilfe von Energie- und Impulserhaltungssätzen für J/ eine Masse von 3,1 GeV/c2.
Anzahl der Elektron-Positron-Paare
rubin | sonderheft 10
300
250
200
150
100
50
0
3.07
3.075
3.08
3.085
3.09
3.095
3.1
3.105
3.11
3.115
3.12
Invariante Elektron-Positron-Masse / GeV / c2
kleinsten Bausteinen der uns bekannten
Materie, aus denen Protonen und Neutronen aufgebaut sind.
Der gesunde Menschenverstand sagt
uns, dass ein Kuchen soviel wiegt wie seine Zutaten. Ein Proton besteht aus zwei
sog. up- und einem down-Quark mit den
Massen 3 MeV/c² bzw. 5 MeV/c² (Megaelektronenvolt/Lichtgeschwindigkeit zum
Quadrat). Eine Milchmädchenrechnung
führt also zu einer Masse von etwa 11 MeV/
c² für das Proton. Doch Messungen erge-
info 1
FAIR-Zukunftsprojekt
Das FAIR-Projekt wird bis 2016 am GSI Helmholtzzentrum für Schwerionenforschung
in Darmstadt entstehen. Es wird durch das Bundesforschungsministerium (BMBF) sowie Finanzmittel aller beteiligten Länder mit etwa 1,2 Milliarden Euro gefördert. FAIR
stellt dann Teilchenstrahlen in bisher unerreichter Qualität und Intensität bereit, die
für Experimente aus der Hadronenphysik über Atomphysik bis hin zur Plasmaphysik
genutzt werden können.
http://www-panda.gsi.de/
FAIR
PANDA
HESR
ben mit 938 MeV/c² neunzigmal mehr. Offenbar ist eine fundamentale Frage offen:
Woher kommt der Großteil der Protonenoder Neutronenmasse, wenn nicht aus den
Quarks?
Die Teilchen, die die starke Wechselwirkung von einem Quark zum anderen tragen, nennt man Gluonen. Weil sie selbst
anfällig für die starke Wechselwirkung
sind, stellt sich die Frage: Gibt es gebundene Teilchen, die nur aus Gluonen bestehen, ohne dass Quarks beteiligt sind? Zudem kann man Quarks nie einzeln, sondern nur in Zweier- oder Dreiergruppen
beobachten. Weshalb sind sie so „scheu“?
Hier scheint die zugrundeliegende Physik
noch nicht gänzlich verstanden.
Diese fundamentalen Fragen soll das
PANDA-Experiment (antiProton ANnihilation at DArmstadt, s. Info 2), welches
Bestandteil des FAIR-Projektes ist, klären
helfen. FAIR (Facility for Antiproton and
Ion Research) wird modernste Teilchenbeschleuniger sowie eine Vielzahl von Experimenten umfassen (s. Info 1).
Um die Welt im Kleinsten zu verstehen,
benötigt die Forschung riesige Maschinen
(s. Info 1/2). Die neuen Teilchenbeschleuniger von FAIR werden große Mengen Antiprotonen erzeugen. Nicht so viele, dass
es für ein Dan Brownsches Szenario mit
einer Antimateriebombe reichen könnte,
aber genug, um Experimentalphysiker
zu begeistern. Die Antiprotonen werden
gesammelt und in einem hochenergetischen Strahl gebündelt, der im Hochenergie-Speicherring (HESR, s. Info 1) wie
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Abb. 3: Kristalle aus dem High-Tech-Material Bleiwolframat sind glasklar und senden beim Durchgang eines
geladenen Teilchens oder eines Photons einen Lichtblitz aus.
auf einer Stadionrennbahn kreist. An einer
geraden Seite der 574 Meter langen Bahn
steht der etwa zwölf Meter lange PANDADetektor, der rundherum um ein Teilstück
dieses Strahls aufgebaut ist (s. Info 2). Indem dann winzige Wasserstoff-Kügelchen
senkrecht durch den Antiprotonenstrahl
fallen, können die Antiprotonen mit den
Protonen des Wasserstoffs kollidieren: Die
Teilchen vernichten sich gegenseitig vollständig und setzen die mitgebrachte Energie frei.
Diese Energie erzeugt nun viele verschiedene Teilchen, von Elektronen und
Photonen bis zu sehr exotischen wie Pionen, Kaonen und Myonen. Je nach physikalischer Reaktion entstehen diese Teilchen aus der schieren Energie und rasen
in die Detektoren. Indem wir die Eigenschaften der Teilchen wie die Teilchensorte, die Richtung, den Impuls oder die Energie messen, können wir den Anfangszustand bestimmen, aus dem die Teilchen stammen (Abb. 2). In diesem Prozess, an dem sechs Quarks beteiligt sind
(drei vom Proton, drei vom Antiproton)
und damit viele Gluonen zwischen den
Quarks ausgetauscht werden, spielt die
starke Wechselwirkung die Hauptrolle.
Sie zu studieren wird möglicherweise das
Rätsel um die „fehlende“ Masse des Protons, und inwiefern die Gluonen daran
beteiligt sind, lösen helfen.
Der PANDA-Detektor ist ein komplexes
Instrument. Er besteht aus vielen einzelnen Teildetektoren, deren Aufgabe es ist,
die Teilchenflugrichtung, die Energie oder
die Identität der Teilchen zu bestimmen.
Die Bochumer PANDA-Gruppe arbeitet
an einem sog. elektromagnetischen Kalorimeter (EMC), einem Detektorteil, der
die Energie von Photonen und Elektronen
misst.
Das EMC nutzt die Eigenschaft bestimmter Kristalle, bei Durchflug eines
geladenen Teilchens oder Photons einen
Lichtblitz auszusenden, dessen Intensität proportional zur Energie des einschlagenden Teilchens ist. Auch wenn die Lichtmenge sehr klein und der Blitz nur einige
Nanosekunden kurz ist, lässt sich die im
Kristall erzeugte Lichtmenge detektieren
und damit auf die Teilchenenergie schließen. Weil das EMC aus vielen einzelnen
Kristallen (etwa 16000) mit bekannter Position besteht, können wir außerdem den
Ort des Teilcheneinschlags bestimmen.
Die Kristalle bestehen aus einem HighTech-Material namens Bleiwolframat
(PbWO4), welches bislang weltweit nur von
der Firma Bogoroditsk Plant of Technochemical Products (Russland) in der benötigten Qualität hergestellt wird. Es ist transparent wie Glas, hat aber eine etwa dreimal
so hohe Dichte (s. Abb. 3). Bleiwolframat
sendet umso mehr Licht pro Teilchenener-
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rubin | sonderheft 10
info 2
gie aus, je kälter es ist. Mit abnehmender
Temperatur nimmt aber die Anfälligkeit
für Strahlung zu: Die Kristalle werden
dann intransparent und absorbieren ihr eigenes Licht, dass dann nicht mehr gemessen werden kann. Einen guten Kompromiss zwischen ausreichender Lichtmenge pro Energie und akzeptabler Strahlenresistenz findet man bei -25 °C, was etwa
der Temperatur eines herkömmlichen Eisfaches entspricht.
Das EMC wiegt ungefähr 20 Tonnen und
muss möglichst gleichmäßig und zeitstabil
bis auf 0,05 °C genau temperiert sein. Nur
dann bleibt das Verhältnis zwischen Lichtmenge und Teilchenenergie konstant. Ein
technisch äußerst anspruchsvolles Ziel:
Der Aufbau muss isoliert werden, damit
sich an der Grenze zur Raumluft keine
Eisschicht bildet. Dabei muss die Isolierschicht noch genügend Platz für die ringsum befindlichen Detektoren lassen. Hinzu kommt die kontinuierliche Temperaturmessung an den Kristallen, um die Temperaturstabilität zu kontrollieren. Daher
arbeiten wir momentan zugleich an einer
effizienten Isolierung und auch an extrem
dünnen Temperatursensoren. Mit einer Dicke von nur 60 Mikrometern (etwa zwei
Haarbreiten) passen sie zwischen die Kristalle. Dieser Sensortyp nutzt die Temperaturabhängigkeit des elektrischen Widerstandes von Platin: Wenn dieser gemessen
PANDA-Experiment – das Forschungsumfeld
Das PANDA-Experiment steht im Mittelpunkt der Bochumer Forschung unter Leitung
von Prof. Dr. Ulrich Wiedner (Lehrstuhl für Experimentalphysik I). Wiedner ist zugleich
Sprecher der PANDA-Kollaboration, die sich einfügt in das im Herbst dieses Jahres offiziell startende internationale Zukunftsprojekt FAIR.
Mit dem Prototypen eines elektromagnetischen Kalorimeters (EMC) entwickeln die
Bochumer Physiker quasi den Schlüsseldetektor für eine neue Physik der Teilchen,
die aus Gluonen bestehen. Während sich eine Gruppe insbesondere dem Aufbau des
Experiments widmet, sind die zukünftigen Tests und damit verbundene Computersimulationen schon heute Forschungsgegenstand der zweiten Gruppe. Dabei kooperiert
der Bochumer Lehrstuhl mit dem Pekinger BES-III-Experiment (Beijing Spectrometer),
das im Gegensatz zum PANDA-Experiment kollidierende Elektronen und Positronen
nutzt, um neuartige Teilchenzustände zu entdecken. Jan Schulze, der sich in seiner
Doktorarbeit vor allem mit dem Aufbau des PANDA-Experiments, insbesondere mit
der sog. Vorwärtsendkappe, der rechten inneren Detektorfläche des EMC, beschäftigt, hat dabei immer auch die späteren Tests im Blick.
H2
AntiprotonenStrahl
Wechselwirkungspunkt
elektromagnetisches
Kalorimeter
Abb.: Der PANDA-Detektor besteht aus vielen Teildetektoren, die unterschiedliche Teilcheneigenschaften messen. Der Antiprotonenstrahl im elektromagnetischen Kalorimeter (EMC) trifft am
Wechselwirkungspunkt (weiß) mit den Protonen des Wasserstoffs zusammen. Die dabei freiwerdende Energie erzeugt neue Teilchen, die in alle Richtungen fliegen und durch die verschiedenen
Detektoren vermessen werden.
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wird, kann auf die Temperatur geschlossen werden. Zur Zeit prüfen wir zwei Optionen: Wir legen entweder dünnen Platindraht (25 Mikrometer dünn) in engen
Wendeln zwischen zwei Folien oder bedampfen eine dünne Folie mit einer noch
dünneren Schicht Platin.
Auch der mechanische Aufbau ist nicht
simpel: eine Kristallgruppe von 16 Kristallen wiegt etwa 18 Kilogramm. Dieses Gewicht wird aber ausschließlich von einer
Kohlefaserhülle getragen, die einen Fünftel Millimeter dick ist (s. Abb. 4). Dickere
Halterungsstrukturen würden die sensitive
Fläche des Detektors verringern, weil Teilchen durch Halterungsmaterial den Detektor „ungesehen“ verlassen könnten. Diese Kohlefaserhüllen wurden industriell für
das PANDA-Experiment maßgeschneidert
und besitzen eine sehr hohe Belastungsfähigkeit: Unter Schichten von Bleiziegeln
getestet gab eine Kohlefaserhülle erst bei
440 Kilogramm nach.
Die Bochumer Gruppe entwickelt maßgeblich einen EMC-Prototypen und testet
seine Komponenten für den späteren Aufbau. Wie die Lichtdetektoren oder die Platin-Temperatursensoren entstehen viele
dieser Komponenten eigens für das PANDA-Experiment. Doch zunächst müssen
sie im Test bestehen: Im Frühjahr 2011
kommen alle Komponenten in einem ersten Prototypen unter Teilchenbeschuss.
Ab 2016 soll der PANDA-Detektor dann
Einblick in die Tiefen der Materie geben.
Und vielleicht erfahren wir ja dann, was die
Welt im Innersten zusammen hält.
Jan Schulze
Bochum Scientists in pursuit of strong interaction
Although the discovery of the proton already is about a hundred years old, little is known
about the origin of its mass. With the multi-million Euro PANDA-experiment (antiProton
ANnihilation at DArmstadt), a group of physicists from Bochum, along with a team of
450 scientists from 17 countries, constructs a high-end particle detector to investigate
the binding force between quarks, which form hadrons (particles made up of quarks)
and thus protons. To what extent does this force affect the mass of the proton?
Abb. 4: Dünne, jedoch äußerst belastbare Kohlefaserhüllen halten wie ein Container jeweils 16 Kristalle
mit einem Gewicht von 18 Kilogramm. Der gesamte
Innenraum des elektromagnetischen Kalorimeters
(EMC) ist mit diesen Kristallen ausgekleidet. Jan
Schulze überprüft hier eine Kohlefaserhülle, an
deren glatten Innenflächen sich sein Gesicht wie
in einem Kaleidoskop spiegelt.
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