Vollkommene Zahlen Man betrachte zu einer natürlichen Zahl a alle ihre Teiler außer der Zahl a selbst. Ist die Summe dieser Teiler gleich a, so heißt a „vollkommen“. Die 6 ist eine vollkommene Zahl, denn 1 + 2 + 3 = 6 ; sie ist die kleinste vollkommene Zahl. Die nächstgrößere vollkommene Zahl ist die 28, denn 1 + 2 + 4 + 7 + 14 = 28 . Je größer die Zahlen werden, desto schwieriger sind die vollkommenen unter ihnen zu finden. Die dritte ist die 496, die vierte die 8.128, die fünfte die 33.550.336 und die sechste die 8.589.869.056. Die mathematische Vollkommenheit der Zahlen 6 und 28 war für verschiedene Kulturen von Bedeutung, die z. B. beobachteten, dass der Mond die Erde in 28 Tagen umkreist, und erklärten, Gott habe die Erde in 6 Tagen erschaffen. Der heilige Augustinus verkündete im Gottesstaat, Gott hätte die Welt zwar in einem Augenblick erschaffen können, er habe sich jedoch für die 6 Tage entschieden, um die Vollkommenheit des Universums darzutun. Augustinus traf die wichtige Feststellung, die 6 sei nicht deshalb vollkommen, weil Gott sie gewählt habe, vielmehr sei ihr diese Vollkommenheit wesenseigen. „Die 6 ist an und für sich eine vollkommene Zahl, doch nicht weil Gott alle Dinge in 6 Tagen erschaffen hätte. Das Gegenteil ist wahr: Gott schuf alle Dinge in 6 Tagen, weil diese Zahl vollkommen ist. Und sie würde vollkommen bleiben, selbst wenn das Werk der 6 Tage nicht existierte.“ Pythagoras und der pythagoreische Bund haben sich gerne und intensiv mit vollkommenen Zahlen beschäftigt. Sie konnten etliche elegante Eigenschaften vollkommener Zahlen aufzeigen. Z. B. sind die vollkommenen Zahlen immer eine Summe aufeinander folgender Zahlen, z. B.: 6 = 1 + 2 + 3 , 28 = 1 + 2 + 3 + 4 + 5 + 6 + 7 , 496 = 1 + 2 + 3 + 4 + 5 + 6 + ... + 30 + 31 . Pythagoras entdeckte, dass die Zweierpotenzen nicht ganz vollkommen sind; die Summe ihrer Teiler außer der Zahl selbst ergibt immer nur 1 weniger als die Zahl selbst: 22 = 4 Teiler: 1, 2 Summe: 3 23 = 8 Teiler: 1, 2, 4 Summe: 7 2 4 = 16 Teiler: 1, 2, 4, 8 Summe: 15 25 = 32 Teiler: 1, 2, 4, 8, 16 Summe: 31 Zwei Jahrhunderte später entdeckte Euklid an den vollkommenen Zahlen, dass sie immer das Produkt zweier Zahlen sind, die eine davon eine Zweierpotenz, die andere die jeweils nächsthöhere Zweierpotenz minus 1: 6 = 21 ⋅ ( 22 − 1) , 28 = 22 ⋅ ( 23 − 1) , 496 = 24 ⋅ ( 25 − 1) , 8128 = 26 ⋅ ( 27 − 1) . Quelle: Singh, Simon. 1998. Fermats letzter Satz. München, Wien: Carl Hanser Verlag. Die Geschichte der vollkommenen Zahlen überspannt Jahrtausende, mit einer bemerkenswerten Zusammenarbeit zwischen Euklid und Euler: In den Elementen des Euklid (Buch IX, Proposition 36) findet sich 300 Jahre vor Christus die Beobachtung und der Beweis, dass die Zahlen 2 p −1 (2 p − 1) vollkommen sind – unter der Bedingung, dass 2 p − 1 eine Primzahl ist. Primzahlen der Form 2 p − 1 sind „Mersenne-Primzahlen“. Offenbar hat Euklid schon über sie nachgedacht, lange bevor sich der Mönch Marin Mersenne (1588– 1648) die Namensgebung auf die Fahne schreiben konnte. Die ist also denkbar fragwürdig. Die Mersenne-Primzahlen 3, 7, 31 und 127 liefern die vollkommenen Zahlen 6 = 2 ⋅ 3 , 28 = 4 ⋅ 7 , 496 = 16 ⋅ 31 und 8128 = 64 ⋅127 . Leonhard Euler wiederum hat eine Umkehrung des Resultats von Euklid bewiesen: Jede gerade vollkommene Zahl entsteht aus einer Mersenne-Primzahl 2 p − 1 nach dem Rezept 2 p −1 (2 p − 1) . Andere gerade vollkommene Zahlen gibt es nicht. Das größere Mysterium bilden aber die ungeraden vollkommenen Zahlen. Gibt es die überhaupt? Das weiß keiner. So eine Zahl ist nie gesichtet worden. Quelle: Ziegler, Günter M. 2010. Darf ich Zahlen? Geschichten aus der Mathematik. München: Piper. (Hier: S. 126–127).