Brandes, Holger (2010). Ersatzmuttis oder tolle Spielkameraden: Was bringen Männer in die Erziehung ein? erschienen in Erziehung & Unterricht, Österreichische Pädagogische Zeitschrift, 160, Heft 5-6/2010, 484-496. Summary: Vor dem Hintergrund eines veränderten Männerbildes und der Forderung nach mehr männlichem Engagement in der frühkindlichen Erziehung wird ein Überblick über Forschungen zu geschlechtsspezifischen Erziehungshaltungen gegeben und hinsichtlich Frage, ob es einen spezifisch männlichen Interaktionsstil in der Erziehung gibt, diskutiert. Wenn gegenwärtig in der Diskussion um die Beteiligung von Vätern in der Früherziehung oder Männern als pädagogisches Personal in Kindertageseinrichtungen die Frage nach der Rolle von Männern in der Erziehung von Kindern aufkommt, dann haben wir es, wie fast immer bei der Geschlechterfrage, mit der Gefahr von Klischeebildungen und vorschnellen Verallgemeinerungen im Sinne von „typisch männlich“ oder „typisch weiblich“ zu tun. Angesichts von R. W. Connells (1995, 30) Feststellung, dass es „einen Abstieg ins Absurde“ bedeutet, wenn man „über Männlichkeit als ein und dasselbe Wesen quer durch die Unterschiede von Ort und Zeit“ zu reden versucht, ist es deshalb zuerst einmal sinnvoll, sich zumindest kurz zu vergewissern, von welchem Männlichkeitsverständnis wir auszugehen haben, und wie es eigentlich dazu kommt, dass thematisiert wird, ob es einen spezifisch männlichen Beitrag in der Erziehungstätigkeit insbesondere gegenüber jüngeren Kindern gibt. Zum Wandel des Vater- und Männerbildes in der Gesellschaft In unserer abendländischen, besonders auch der deutschen Tradition trat bis weit in die Industrialisierungsphase der Vater „de jure seiner Frau, seinen Kindern und den Hausbediensteten als politische Obrigkeit, als Richter und als Stellvertreter Gottes auf Erden“ gegenüber (Mies 1987, 26). Dass dabei die Kinder in einem Atemzug mit dem Bediensteten genannt werden, steht keineswegs im Widerspruch dazu, dass auch die in der Rolle der Obrigkeit gefangenen Väter oft eine tiefe Verantwortung gegenüber ihren Kindern verspürten. Diese Verantwortung drückte sich aber mehr darin aus, dass besonders die Söhne hart angefasst wurden, um ihnen so das Rüstzeug zu vermitteln, damit sie später selbst hart und gerecht die obrigkeitlichen Funktionen ausfüllen konnten. Neben diesem jahrhundertealten Verständnis vom Vater als Obrigkeit gab es aber auch immer die Tradition des Vaters als Lehrer, als dessen, der fundamentale Umgangsweisen mit den Dingen des täglichen Lebens, der Handwerk und Kriegshandwerk an den Sohn vermittelt. Hierauf bezieht sich noch in den 60er Jahren Alexander Mitscherlich, wenn er in seinem Klassiker „Auf dem Weg in die vaterlose Gesellschaft“ schreibt: „Vom Vater kann man lernen, man kann von ihm eingeführt werden in die Praxis des Umgangs mit den Dingen, oder man entbehrt ihn dabei“ (1963, 178). Bis in diese Zeit, sogar bis weit in die 1980er Jahre, war es sowohl vom Alltagsverständnis wie auch in der Psychologie und Pädagogik üblich, bei der Thematisierung der erzieherischen Rolle des Vaters in erster Linie an das ältere Kind zu denken. Bezogen auf jüngere Kinder wurde selbstverständlich und unhinterfragt sowohl im Alltag, wie auch in der Wissenschaft immer nur an die Beziehung der Mutter zum Kind gedacht. Beispielhaft hierfür ist die Position Sigmund Freuds, nach dessen Auffassung der Vater erst mit der ödipalen Phase, also mit vier bis fünf Jahren entwicklungsrelevant ins Leben des Kindes eintritt, wobei ganz im Sinne des patriarchalen Familienmodells seine Bedeutung vornehmlich in der Vermittlung gesellschaftlicher Werte und der Moral gesehen wird – die Identifikation mit ihm wird als Voraussetzung für die Herausbildung des Über-Ichs gedacht. Wie lange diese Auffassung in der Psychoanalyse nachwirkt, kann man exemplarisch an der prominenten französischen Psychoanalytikerin Françoise Dolto festmachen, die noch 1988 schreibt: „… dass ein Vater sich um sein Kind, solange es ein Baby ist, nicht kümmert, ist völlig normal: es ist keine Aufgabe für einen Mann“ (zit. n. Le Camus 2001). Dieses Zitat ist um so bemerkenswerter, als es bereits in eine Zeit fällt, in der veränderte Arbeits- und Lebensbedingungen und der Einfluss der Frauenbewegung in den Industrienationen dazu führen, dass qualifizierte Berufstätigkeit von Frauen und Müttern zur Normalität wird und traditionelle Geschlechtsrollenbilder und Familienmodelle unter Druck geraten. Dennoch kommen auch Metz-Göckel und Müller in einer repräsentativen deutschen Befragung von 1986 noch zu dem Schluss: „Männer bestehen unerschütterlich auf der Unersetzbarkeit der Mutter und damit, so müssen wir folgern, auf ihrer eigenen Entlastung von der Kinderbetreuungsarbeit... Die Gretchenfragen im Verhältnis der Geschlechter lautet also: Wie hältst Du’s mit den kleinen Kindern“ (1986, 88f). In der Folgezeit schreitet dieser Prozess weiter voran und findet seinen Ausdruck in einer immer deutlicheren Veränderung der Männlichkeitsideale in fast allen gesellschaftlichen Schichten und Milieus. In der internationalen Forschungslandschaft ist dies am deutlichsten für Österreich und Deutschland dokumentiert durch einer Reihe von repräsentativen Befragungen, die Paul Zulehner mit wechselnden Partnern durchgeführt hat (Zulehner & Slama 1994; Zulehner & Volz 1998; Zulehner 2003; Zulehner & Volz 2009). Danach nehmen zwischen 1992 und 2008 in beiden Ländern traditionelle männliche Einstellungen, deren Kern die Auffassung ist, dass der Mann für die finanzielle Versorgung der Familie zuständig sei und im Beruf seine Erfüllung finde, während Haushalt und Kinder Sache der Frau seien, kontinuierlich ab. Dagegen nimmt die Verbreitung eines modernen, partnerschaftlichen Männlichkeitsmodells zu, bei dem sich der Mann mit seiner möglichst berufstätigen Frau den Haushalt teilt und es als Bereicherung ansieht, sich in der Betreuung seiner kleinen Kinder zu engagieren. Ein weiteres Indiz für diese deutliche Einstellungsveränderung ist, dass in Deutschland nach der Reform des Elterngeldes als Ausgleich für Einkommensverluste durch Betreuung im ersten Lebensjahr des Kindes der Anteil der Männer, die dieses in Deutschland anteilig in Anspruch nimmt, in wenigen Jahren von ca. 1,8% auf über 10% dramatisch angewachsen ist. Die Denaturalisierung des Bezugs zum Kleinkind Im Zuge dieser Veränderungen in den Geschlechtsrollenstereotypen kommt im Alltagsverständnis auch die traditionelle Überzeugung ins Wanken, dass eigentlich und „von Natur aus“ die Mütter zur Betreuung und Erziehung besonders kleiner Kinder prädestiniert seien. Trotzdem sehen sich Männer, die sich als Väter oder pädagogische Fachkräfte verantwortlich im Kleinkinder kümmern, zumindest unterschwellig weiterhin dem Verdacht ausgesetzt, sie könnten traditionell als weibliche verstandene Tätigkeiten lediglich ansatzweise und bestenfalls als quasi „Ersatzmutti“ wahrnehmen. Entsprechend ist der Anteil männlichen Fachpersonals in Kindertageseinrichtungen umso niedriger, je jünger die jeweils betreuten Kinder sind (vgl. Rohrmann 2007) Dabei hat die wissenschaftliche Forschung in Ethologie und Psychologie eigentlich schon recht früh begonnen, Mutterschaft zu „denaturalisieren“, indem der als evident unterstellte Zusammenhang zwischen biologischer Ausstattung (insbesondere Schwangerschaft und Stillfähigkeit) und einer damit auch als naturgegeben unterstellten Kompetenz von Frauen im Umgang mit Kleinkindern in Frage gestellt wurde. Insbesondere die bahnbrechenden Arbeiten des Ethologen Harlowe in den 50er Jahren und hieran anschließend der Bindungsforscher um John Bowlby relativierten grundsätzlich und überzeugend die für die Psychoanalyse noch fundamentale Bedeutung des Stillens. Sie konnten nachweisen, dass es ein im Kind angelegtes biologisch angelegtes Bedürfnis nach sozialer Bindung gibt, das nicht nur für die emotionale und soziale Entwicklung von höchster Bedeutung ist, sondern auch das Explorationsverhalten des Kindes und damit dessen kognitive Entwicklung wesentlich beeinflusst. Parameter wie Kontaktfähigkeit und Feinfühligkeit der Erwachsenen, die zumindest prinzipiell und mit biologischen Argumenten auch Vätern nicht abzusprechen sind, rückten damit in den Mittelpunkt der Aufmerksamkeit. Dennoch war anfänglich auch in der Bindungsforschung ausschließlich nur von der Bindung des Kindes an die Mutter die Rede. Als schließlich begonnen wurde, in das experimentelle Setting der „fremden Situation“ auch Väter einzubeziehen und den Einfluss von Müttern und Vätern auf die Bindungsmuster der Kinder zu vergleichen, war man aufgrund der geringen zeitlichen Betreuungsanteile der Väter wenig erstaunt, dass ihr Einfluss auf das Bindungsverhalten der Kinder in der Regel schwächer war als der der Mütter. Inzwischen verfügen wir über eine Vielzahl belastbarer empirischer Belege (Lamb 1997a, Day & Lamb 2004) dafür, dass die aufgrund von Schwangerschaft und Stillfähigkeit größere biologische Nähe der Mutter zum Kind nicht automatisch zu einer höheren Fähigkeit zur Betreuung und Versorgung kleiner Kinder führt. Vielmehr zeigt sich, dass Fürsorge und Erziehung von beiden Eltern im Alltag quasi „on the job“ (Lamb) gelernt werden. Zwar zeigen häufig Mütter eine höhere Sensibilität und Reaktionsbereitschaft in Bezug auf das Schreien ihrer Säuglinge, dies lässt sich aber darauf zurückführen, dass sie schlichtweg mehr Umgang mit diesen haben. Bestätigt wird der Befund durch Untersuchungen, die z.B. zeigen, dass die Teilnahme von Vätern an der Geburt ihrer Kinder und der unmittelbare Kontakt nach der Geburt, das spätere Engagement und die Feinfühligkeit der Väter ebenso positiv beeinflusst wie gezielte Pflegekurse für Väter (Le Camus 2001, 104). Auch Untersuchen, die zu verschiedenen Aspekten der „intuitiven Elternschaft“ (Papousek & Papousek 1995) durchgeführt wurden, z.B. Untersuchungen zur intuitiven Anwendung der sog. „Babysprache“ und der kommunikativen Mimik gegenüber Säuglingen, haben keine relevanten geschlechtsspezifischen Unterschiede belegen können. Man geht zwar durchaus davon aus, dass diese Fähigkeiten eine biologische Grundlegung (im Sinne eines angelegten Programms) besitzen, ein Unterschied zwischen Männern und Frauen lässt sich hierbei aber nicht nachweisen. Der französische Psychologe Jean Le Camus fasst den gegenwärtigen Forschungsstand dahingehend zusammen, dass die Kommunikation zwischen Eltern und Kleinkind „auf der Grundlage von Merkmalen stattfindet, die vom Elternstatus des Gegenüber unabhängig sind. Mutter und Vater stellen sich beinahe auf gleiche Weise auf das Entwicklungsniveau des Babys ein: auf gleiche Weise sprechen sie auf einem hohen Tonregister und auf gleiche Art reden sie mit ihm in vereinfachter Sprache“ (2001, 58). Dem entspricht Michael Lambs Schlussfolgerung aus verschiedenen Studien, dass Väter und Mütter ihre Kinder eher in ähnlicher Weise beeinflussen, als dass deutliche geschlechtsspezifische Unterschiede nachzuweisen sind. Seiner Ansicht nach zeigt sich, dass „elterliche Wärme, Fürsorge und Nähe unabhängig vom Geschlecht der Eltern verbunden sind mit positiven Effekten auf Seiten des Kindes. Die wichtigsten Dimensionen elterlichen Einflusses sind also solche, die generell mit Eigenschaften der Eltern zu tun haben und weniger mit geschlechtsabhängigen Charakteristika“ (Lamb 1997b, 13, Übers. HB). Und noch ein anderes Ergebnis ist bemerkenswert: Die bloße Zeit, die Väter mit ihren Kindern verbringen, ist dabei weniger bedeutsam als, was sie in dieser Zeit tun und wie sie oder andere Bezugspersonen die Beziehung zum Kind in dieser Zeit gestalten. Bringen Männer etwas anderes in die Erziehung ein als Frauen? Wenngleich die gerade angeführten Forschungsergebnisse eher für geschlechtsunabhängige Faktoren gelingender Erziehungsund Betreuungstätigkeit gegenüber Kindern sprechen, muss das noch nicht zwangsläufig heißen, dass Männer und Frauen gegenüber Kindern das Gleiche mit der gleichen Absicht und in genau der gleichen Art und Weise tun. V. Jeffery Evans (2004, XII) spricht dies an, wenn er mit Bezug auf das auch in den USA sich verändernde männliche Selbstverständnis und aus Sicht des renommierten amerikanischen National Institute of Child Health and Human Development (NICHD) formuliert: „Es ist wahrscheinlich ein Fehler, zu meinen, Väter wollten Mütter ersetzen. Moderne, gebildete Väter wollen zweifelsohne die reiche interpersonale Beziehung mit ihren Kindern erfahren, die traditionell die Mütter genießen. Aber sie wollen dieses Interaktionen unter ihren eigenen Bedingungen ... Aber wir wissen nicht wirklich, ob väterspezifische Verhaltensweisen existieren oder was sie sind“. Die Suche nach solchen väter- oder männerspezifischen Verhaltensweisen im Umgang mit kleinen Kindern hat seit den 1990er Jahren die Entwicklungspsychologie unter dem Vater-Kind-Aspekt zunehmend beschäftigt. Schon im sogenannten vorsprachlichen Bereich scheint es Unterschiede zwischen mütterlichem und väterlichem Verhalten zu geben. Es gibt Hinweise darauf, dass das Kind bei engagiertem Vater bereits in den ersten Monaten mit zwei teilweise unterschiedlichen nonverbalen Kommunikationsweisen konfrontiert ist. So scheinen Mütter mehr die visuelle, regulierende Stimulation des Säuglings zu bevorzugen, Väter starker die taktile und kinästhetische, anregende Stimulation. Die Interaktion der Babys mit ihren Vätern wird als im Unterschied zu den Müttern stärker rhythmisches Geschehen mit größeren Höhepunkten und längeren Phasen beschrieben (Brazelton & Cramer 1994) und Le Camus (2001, 98) spricht vom tonisch-emotionalen Dialog von Mutter und Kind im Unterschied zum mehr phasisch-motorischen Dialog zwischen Vater und Kind. Kommen die Kinder in das Sprechalter (zwischen 1,5 und 2 Jahren) werden weitere Unterschiede deutlich: Väter scheinen gegenüber kleinen Kinder dann dazu zu neigen, „weniger vertraute Wörter zu verwenden als die, welche im Grundmuster der Sprechweise von Müttern vorkommen“ (Le Camus 2001, 59). Sie passen sich in der Begriffswahl weniger dem Kind an und benutzen auch ungewöhnlichere Worte, weshalb Le Camus sie auch als die für das Kind „schwierigeren Gesprächspartner“ bezeichnet. Dabei sieht er dies aber durchaus positiv: „Wegen ihrer höheren Forderungen wirken Väter als ‚sprachliche Brücke’ zwischen der frühen dyadischen Sprache und der späteren polyadischen (d.h. mit mehreren Gesprächspartnern), wie es im gesellschaftlichen Umfeld der Fall ist“ (2001, 60). Zeigen lässt sich auch, dass Väter direktiver sind und in ihrem Sprachcode häufiger Handlungsaufforderungen enthalten sind, während Mütter häufiger expressive Botschaften, die eine Emotion beschreiben, benutzen. Insgesamt finden wir in verschiedenen Untersuchungen konsistent in die gleiche Richtung gehende Ergebnisse, wobei Väter im Vergleich zu Müttern im Spiel als stärker handlungs- und lösungsorientiert, die kindliche Selbstregulation fördernd, Fähigkeiten des Kindes herausfordernd und bei älteren Kindern als eher aufgabenbezogen charakterisiert werden (Lamb 1997c). Auch für Martin Dornes, der in Deutschland für seine Überblicksarbeiten zur frühen Kindheit bekannt wurde, ist „der am besten gesicherte Befund zum differenziellen Umgang ..., dass Mütter stärker pflegerische, Väter stärker spielerische Aktivitäten im Umgang mit ihren Kindern entfalten und beide sich auch in der Art des Spielens unterscheiden. Mütter spielen sanfter, Väter rauer, und zwar sowohl mit Mädchen als auch mit Jungen, wobei sie sich von den Mädchen im Laufe der Zeit zu sanfterem Spiel erziehen lassen... Das vor allem mit Jungen praktizierte grobmotorische, körperbetonte Spiel (Hochwerfen; akzentuierte Wechsel zwischen aktiven und passiven Phasen) hat verschiedenen Untersuchungen zufolge (….) einen Effekt auf die Fähigkeit zum gekonnten Umgang mit Aggressionen“ (Dornes 2006, 294). Auch die Bindungsforschung hat, nachdem sie anfänglich nur die Mutter-KindBeziehung im Blick hatte, in den letzten Jahren beeindruckend konkretes Material zum väterlichen Interaktionsverhalten vorgelegt. Ausgangspunkt hierfür war ein veränderter experimenteller Zugang. Unterstellt wurde, dass das experimentelle Setting einer standardisierten Trennungssituation für 12-18 Monate alte Kinder (die sog. „Fremde Situation“) für alltägliche Vater-KindInteraktionen eher untypisch sei und deshalb den väterlichen Einfluss auf die Bildungsqualität und Entwicklung des Kindes nur unzureichend abbilde. Grossmann & Grossmann (2004, 221) verweisen dabei auf die „unterschiedlichen Interaktionserfahrungen…, die ein Säugling im Laufe des ersten Jahres mit seinem Vater macht, die meistens nicht im Rahmen von Versorgungen durch den Vater geschehen, sondern eher im spielerischen Zusammensein“. Im Rahmen der Bielefelder Längsschnittstudie wurde daraufhin versucht, den spezifisch männlichen Beitrag zur Entwicklung des Kindes in einem anderen experimentellen Arrangement qualitativ zu untersuchen. Grundlage wurden jetzt Spielsituationen zwischen dem zweijährigen Kind und dem Vater, wobei die Väter ihre Kinder mit einem unvertrauten Spielmaterial vertraut machen sollten. Dieses veränderte experimentelle Design veränderte auch den Beobachtungsfokus und zentrierte ihn auf die„väterlichen Vermittlungsgüte“, wobei neben „sensitiver Herausforderung“ auch die „gewährende“ Komponente der Feinfühligkeit auf einer Einstufungsskala wurde. „Als hohe Vermittlungsgüte wurde es angesehen, wenn es dem Vater gelang, auf kindliche Signale einzugehen, sowie dem Kind in einer adäquaten Weise den Umgang mit dem Spielmaterial zu vermitteln. Aktives Fördern und vertrauensvolles Gewährenlassen sollten sich dabei im Gleichgewicht befinden. Dieser Beschreibung entsprach beispielsweise ein Vater, der seinem Kind zu Beginn der Spielsituation grundlegende Formen des Umgangs mit dem Material vermittelte (Rollen, Kneten). Einhergehend mit der Bewältigung dieser väterlichen Anforderungen entstand eine hohe gemeinsame Spielfreude bei Vater und Kind. Im Anschluss wiederholte das Kind mehrmals weitgehend eigenständig und nur im Bedarfsfall mit Unterstützung des Vaters das Rollen von Knete. Mit nachlassendem Interesse an dieser Aktivität gelang es dem Vater, das Kind in ein komplexes Spiel (Bau einer Figur) einzubeziehen“ (Kindler, Grossmann & Zimmermann 2002, 713). Die Befunde dieser Untersuchungen führen die Autoren zu der Interpretation, der spezifisch mütterlichen Feinfühligkeit als Hauptfaktor für gelingendes Bindungsverhalten die spezifisch männliche Qualität eines „sensitiv herausfordernden“ Interaktionsstils gegenüber zu stellen: „Wir sehen als Gemeinsamkeit in den aufgezählten väterlichen im Vergleich zu mütterlichen Verhaltensweisen, dass Väter sich eher als Herausforderer kindlicher Kompetenzen zu verstehen scheinen, indem sie mehr von ihren Kindern in den Bereichen Selbstregulation, Exploration, Kommunikation, Verhaltenskontrolle und Selbständigkeit verlangen“ (Kindler, Grossmann & Zimmermann 2002, 710). Dabei sehen sie den einfühlsam herausfordernden Interaktionsstil des Vaters einhergehen „mit der Bereitschaft und dem Selbstvertrauen, durch eine gedankliche Exploration von Schwierigkeiten zu Lösungen zu gelangen (...). In den Modellvorstellungen der Bindungstheorie entspricht dies einer Förderung der explorativen Seite der BindungsExplorations-Balance durch einen sensitiv herausfordernden Vater“ (Kindler, Grossmann & Zimmermann 2002, 718). Dieses Ergebnis aus der Bindungsforschung stützt auch eine andere Studie zum elterlichen Umgang mit problemlösenden Kindern (Puzzle), über die Le Camus (2001, 71) berichtet: „Es wurde festgestellt, dass die Väter deutlich mehr nach einer Lösung verlangen; sie sind weniger als die Mütter bereit, eine schnell umsetzbare Hilfe zu leisten; sie weigern sich öfter als die Mütter, das Problem an der Stelle des Kindes zu lösen“ Diese Ausrichtung des väterlichen Verhaltens wird als „stärkerer Anreiz zur Eigenständigkeit“ beschrieben, was dem bindungstheoretischen Konstrukt von der „sensitiven Herausforderung“ sehr nahe kommt. Zusammenfassend legen diese Studien zum Spielverhalten die Interpretation nahe, dass zwar Vater wie Mutter gleichermaßen zum Bindungs- und Erkundungsverhalten der Kinder beitragen, dabei aber das Bindungsverhalten der Kinder stärker durch die Mütter und das Erkundungsverhalten der Kinder stärker durch die Väter beeinflusst wird. Folgt man Le Camus in seiner Argumentation, wäre damit ein eigenständiger und wichtiger männlicher Beitrag zur kindlichen Entwicklung identifiziert. „Alles sieht danach aus, als ob die anregende Wirkung der Väter derjenigen der Mütter überlegen ist, anders gesagt, als sei das Kind im Bereich der Anregung aufgeschlossener gegenüber dem Vater als der Mutter“ (Le Camus 2001, 91). Dass dieser väterliche Beitrag auch langfristige Auswirkungen auf die weitere kindliche Entwicklung hat, zeigt die Bindungsforschung (Grossmann & Grossmann 2004) durch den Beleg eines deutlichem Zusammenhangs zwischen frühen Spielerfahrungen mit dem Vater und zehn Jahre später nachweisbaren sozialen Kompetenzen des Kindes im Umgang mit Gleichaltrigen. Dieser Zusammenhang ist stärker als für die Kind-MutterBindungsqualität. Dieser für Mütter und Väter unterschiedliche Zusammenhang verweist er darauf, dass Vätern, die alltägliche Interaktionssituationen für einfühlsam spielerische Anforderungen an ihr Kind nutzen, sowohl unter kognitivem wie sozialem Aspekt eine hohe Bedeutung für die kindliche Entwicklung zukommt. Theoretische Nachfragen zur Konzeptualisierung geschlechtsspezifischer Erziehungsbeiträge in der gegenwärtigen Entwicklungspsychologie Auf den ersten Blick erscheint es unmittelbar evident und bestätigt viele Alltagserfahrungen, wenn die Bindungsforschung der „einfühlsamen Mutter“ den „herausfordernden Vater“ gegenüber stellt oder wenn Le Camus (2001, 99) trotz des von ihm nicht bestrittenen Trends zur Angleichung der Geschlechterrollen auf den verbleibenden Unterschied hinweist und betont, dass trotz aller individueller Unterschiede im Durchschnitt „Mütter sich als flexibler, beschützender, sanfter, auch vorhersehbarer und die Väter als körperlicher, grober, störender, idiosynkratischer erweisen“. Auch kann man sich kaum gewichtigere Argumente für engagierte Väter oder männliches Fachpersonal in Kindertageseinrichtungen vorstellen als die von Grossmann & Grossmann als Resultat der Vaterforschung zusammengestellte Liste der väterlichen oder männlichen Funktion - „als interessanter, weil andersartiger Interaktionspartner, der andere und oft aufregendere Dinge mit dem Kind macht als die Mutter, und zwar schon im Säuglingsalter…; - als Herausforderer, der das Kind auffordert, Neuartiges zu tun, das es sich ohne seine Hilfe nicht zutrauen würde…; - als Vermittler von Bereichen der Umwelt, die ohne seine sorgsame Umsicht für das Kind gefährlich wären, z.B. Feuer, Wasser, Abgründe und Höhen… - als Vermittler von Spielen und Festivitäten der jeweiligen Kultur…; - als Lehrer und Mentor…“ (Grossmann/Grossmann 2004, 223). Die scheinbare Evidenz dieser Forschungsergebnisse kann aber auch Skepsis provozieren und ein Nachdenken darüber, was mit ihnen eigentlich abgebildet wird, entsprechen sie doch auffallend dem, was wir heute intuitiv und spontan Männern zuschreiben würden. Werden hierdurch übergreifend gültige und im Geschlecht angelegte Tendenzen abgebildet und müssen wir eventuell in unserem Denken weibliche und männliche Verhaltensweisen wieder „renaturalisieren“, d.h. in einen vornehmlich evolutionären Zusammenhang einordnen? Oder haben wir es mit Artefakten aus Forschungssettings zu tun, die mitnichten grundlegende und zeitunabhängige geschlechtsspezifische Unterschiede abbilden, sondern lediglich eine Momentaufnahme spezifischer sozialer Arrangements zwischen Männern und Frauen in Industriegesellschaften liefern? In den USA gibt es bereits eine derartige Diskussion über die Einordnung dieser Forschungsergebnisse zur männlichen Rolle in der Erziehung. Einen bemerkenswerten Beitrag hierzu hat Catherine Tamis-Tamis-LeMonda (2004) geliefert, die auf das grundsätzliche Problem hinweist, dass die meisten Forschungsansätze zumeist jeweils entweder nur Männer oder Frauen in den Blick nehmen bzw. auf lediglich eine Dimension des Erziehungshandelns fokussieren. Dabei würden beispielsweise die frühen herausfordernden Spiele der Mütter mit ihren Säuglingen übersehen oder auch die pflegenden und bindungsbezogenen Qualitäten, die Männer zeigen, die viel Zeit mit ihren Neugeborenen verbringen. Sie betont deshalb, dass Spielaktivitäten nur ein Teil des komplexen „Puzzles“ der Erziehungstätigkeit umfasst und „Väter viel mehr sind als Herausforderer, wie auch Mütter viel mehr als Pflegende“ (Tamis-LeMonda 2004, 224, Übers. HB). Tamis-LeMonda beharrt zudem auf dem Argument, dass es von großer Bedeutung sei, dass Mütter beispielsweise erheblich mehr Zeit mit ihren kleinen Kindern verbringen als Väter und dass dies für beide Elternteile von erheblicher Auswirkung auch auf ihr Spielverhalten ist. So führe die geringere Zeit, die Männer in westlichen Industrienationen mit ihren Kindern verbringen können, beispielsweise dazu, dass sie sich im Spiel in einer Weise engagieren, die zu kürzeren Rhythmen führt und zum schnellen Appell an die Kinder. Tamis-LeMondas Argumentation zielt darauf ab, dass alle relevanten Dimensionen elterlicher Erziehungsfunktion prinzipiell von beiden Elternteilen ausgefüllt werden können. Deshalb hält sie die Charakterisierung von Vätern als in erster Linie herausfordernde Spielkameraden für historisch und kulturell einseitig. Bei den meisten Elternpaaren zeige sich vielmehr so etwas wie eine intuitive, weitgehend unbewusst praktizierte Arbeitsteilung auch im konkreten Erziehungshandeln, weshalb sie es für notwendig hält, die väterlich und mütterlich Beiträge hierzu immer im „Tandem“ zu untersuchen, d.h. aus einer konsequent systemischen Perspektive: „Eltern und andere Betreuer konstituieren ein System von interagierenden Partnern, jeder von ihnen beeinflusst andere und ist von ihnen beeinflusst. Deshalb sind die Beiträge der Familienmitglieder komplementär und werden kontinuierlich ausgehandelt (Tamis-LeMonda 2004, 225, Übers. HB). Tamis-LeMondas Argumentation steht nicht grundsätzlich im Widerspruch zur Bindungsforschung, insofern auch diese „postuliert, dass sich optimalerweise Eltern in ihren Rollen und Aufgaben hinsichtlich der Entwicklung des Kindes ergänzen“ (Grossmann & Grossmann 2004, 224). Dies zeigt sich auch darin, dass Grossmann & Grossmann ihre oben zitierte Auflistung väterlicher Funktionen durch den Hinweis ergänzen: „All das tun auch engagierte Mütter, besonders alleinerziehende Mütter…, aber wenn ein engagierter Vater diese Aufgabe übernimmt, ist es für das Kind eine Bereicherung und für die Mutter eine Entlastung“ (2004, 224). Tamis-LeMonda deckt aber insofern eine grundlegende Schwachstelle auch der Bindungsforschung auf, als die unterschiedlichen experimentellen Settings für Mütter und Väter (Fremde Situation und Spielsituation) in ihrer ganzen Anlage eine spezifische zeit- und kulturabhängige familiäre Arbeitsteilung abbilden und deshalb in ihrer Ergebnissen auch letztlich mehr über Effekte dieser Arbeitsteilung aussagen als über isoliert betrachtbare und übergreifend gültige geschlechtsspezifische Muster. Das heißt nicht, dass wir nicht immer wieder auf Merkmale im erzieherischen Handeln von Männern und Frauen stoßen, die die bindungstheoretischen Forschungsergebnisse idealiter widerspiegeln, aber vermutlich treffen wir genauso auf Männer mit ausgeprägt führsorglichem und sanftem Bindungsverhalten wie auf Frauen mit deutlich herausforderndem Spielverhalten. An den anfänglichen Hinweis R. W. Connells anknüpfend könnte man sagen: Weder gibt es die Väter, noch zeigen sie über Kultur und Zeit die gleichen pädagogischen Eigenschaften. Heute wird in westlichen Industriegesellschaften die Rolle des Mannes als Spielgefährte und Herausforderer des Kindes betont und die vorliegenden Forschungsergebnisse bestätigen, dass ein zunehmend großer Teil der Väter diesen Erwartungen entspricht und sie in ihr eigenes Selbstbild mit aufnimmt. Dabei liefert die Bindungsforschung Hinweise auf einen Zusammenhang zwischen der sozialen Schichtzugehörigkeit der Familie und der väterlichen Vermittlungsgüte. Mit gehobener sozialer Schicht nimmt die sensitive Herausforderungsqualität des Vaters im Spiel mit dem Kind zu. Dies kann als Einfluss des sozialen Milieus auf die Ausgestaltung der Vaterrolle interpretiert werden, wobei offenbar „das Leitbild eines spielerisch auf das Kind eingehenden Vaters in höheren sozialen Schichten bislang eine weitere Verbreitung erfahren hat“ (Kindler, Grossmann & Zimmermann 2002, 714f.).1 Darüber hinaus zeigt sich auch für Väter und deren Fähigkeit zur 1 Zu diesem Befund passt, dass Zulehner in seinen oben referierten repräsentativen Studien zu männlichen Einstellungsmustern die jeweils stärkste Verbreitung eines „modernen“ „sensitiven Herausforderung“ ein ähnlicher intergenerationeller Zusammenhang wie für die „Feinfühligkeit“ auf weiblicher Seite. Hier wie dort spielt eine große Rolle, welche Erfahrungen die Eltern in ihrer eigenen Kindheit gemacht haben und welche Haltung sie vor diesem Hintergrund gegenüber ihren „eigenen Erfahrungen mit Bedürfnissen nach Fürsorge und Schutz“ einnehmen (Kindler, Grossmann & Zimmermann 2002, 716). Alles in Allem sind wir folglich vermutlich gut beraten, die Qualität des „sensitiven Herausforderers“ nicht als geschlechtsspezifisches Wesensmerkmal im Kontrast etwa zur nährenden und pflegenden Haltung von Müttern misszuverstehen. Vielmehr gibt es gute Gründe für die Annahme, dass die Qualität und Effekte väterlichen Erziehungsverhaltens in hohem Maße Produkt des Geschlechterarrangements beider Eltern, d.h. ihrer gemeinsamen Interpretation von Mann- und Frausein und der Qualität ihrer Paarbeziehung sind. Hierzu passt, dass erwerbstätige Mütter in ihrem Spielverhalten mit dem Kind dem väterlichen Muster ähnlicher sind als nicht erwerbstätige Mütter (Lamb 1997b). Wenn seit Mitte der 80er Jahre der Nachweis geführt wird, dass erhöhte väterliche Beteiligung die kindliche Entwicklung sowohl bezogen auf kognitive Leistungsfähigkeit, wie Moralentwicklung und Geschlechtsrollenorientierung positiv beeinflusst (Fthenakis 1988), so ist auch dies mitnichten ein eindeutiges Resultat isoliert betrachtbaren väterlichen Erziehungsverhaltens, sondern geht mit hoher Wahrscheinlichkeit ebenfalls auf einen „systemischen Effekt“ zurück, nämlich die simple Tatsache, dass in Familien mit engagierten Vätern auch die Mütter zumeist ein besonders einfühlendes Erziehungsverhalten zeigen. Lamb (1997b, 12) unterstreicht dies durch den Beleg, dass die Kinder engagierter Vätern besonders hinsichtlich ihrer kognitiven und sozialen Kompetenz davon profitieren, dass sie zwei hoch beteiligte Eltern haben. Dabei gehen derart positive „systemische Effekte“ vermutlich weniger darauf zurück, dass die Eltern sich in ihre Erziehungsqualitäten angleichen, sondern vielmehr darauf, dass sie sich in diesen ergänzen. Jedenfalls liefert die Forschungsgruppe um Le Camus Belege dafür, „dass die für die soziale Entwicklung des Kindes günstigste Familienkonstellation diejenige ist, bei der die Erziehungsfunktion des Vaters sowohl ausreichend vorhanden ist als sich auch genügend von der Mutter unterscheidet“ (Le Camus 2001, 48). Mehr als „Väterlichkeit im Beruf“ – Männer als pädagogische Fachkräfte Pädagogische Berufe sind immer durch die Reduzierung auf geschlechtsspezifische Alltagsmuster in ihrer Professionalität und damit ihrer gesellschaftlichen Wertung gefährdet. Insofern hat sowohl in der Sozialarbeit wie im Erzieherberuf und in der Grundschule die Unterstellung einer „natürlichen, intuitiven Mütterlichkeit“ als wesentliches Element des Erziehungshandelns Professionalisierungsstrategien behindert und auch dazu geführt, dass in diesen Bereichen Männer heute durchgehend unterrepräsentiert sind. Folglich wäre es hoch problematisch (und würde auch den faktischen männlichen Selbstbildes ebenfalls in akademisch gebildeten Mittelschichtsmilieus gefunden hat. Anforderungen nicht entsprechen) professionelles Erziehungshandeln auf „Väterlichkeit als Beruf“ zu verkürzen. männliches Meine vorhergehende Argumentation versteht sich lediglich vor dem Hintergrund des Vorurteils, dass der Umgang mit kleinen Kindern unmännlich sei. Haben wir dieses Vorurteil aber erst einmal beiseite geschafft, beginnt eigentlich erst das Nachdenken über ein professionelles männliches Profil in diesem Berufsfeld. Dabei sollte die obige Diskussion um einen spezifisch männlichen Erziehungsbeitrag aber auch deutlich gemacht haben, dass es verkürzt wäre, Männern Kompetenzen zuzusprechen, die nicht prinzipiell auch Frauen realisieren könnten. Zwar lassen sich unterschiedlich akzentuierte Haltungen im Sinne von z.B. feinfühlig haltenden und sensitiv herausfordernden Qualitäten unterscheiden und wir können feststellen, dass Frauen eher erstere und Männer letztere zeigen, dennoch gibt es keinen Beleg dafür, dass Männer und Frauen nicht prinzipiell beides und damit die ganze Spannbreite entwicklungsfördernder Impulse realisieren könnten. Bei der Forderung nach männlichen Fachkräften in Institutionen der Vorschulund Grundschulbildung kann es also nicht darum gehen, ein wie auch immer geartetes Defizit in pädagogischen Grundhaltungen (z.B. bezüglich herausfordernder Haltungen) bei den weiblicher Fachkräfte auszugleichen. Es gibt aus der Forschung zu geschlechtsspezifischen Erziehungshaltungen aber durchaus Hinweise, dass die historisch gewachsene Überrepräsentanz von Frauen in frühkindlichen Erziehungsinstitutionen und Grundschulen alles andere als optimal ist und „das System den Bedürfnissen des Kindes eher gerecht würde, wenn den Kindern neben den Mutterfiguren mehr Vaterfiguren zur Verfügung stünden.“ (Le Camus 2001, 161). Dabei haben besonders Jungen/Burschen damit zu kämpfen, dass sie in ihren ersten Jahren vornehmlich von weiblichen Erziehungspersonen umgeben sind und diese sich nicht immer frei zeigen von einer gewissen Distanz gegenüber jungenüblichen Bedürfnissen und Ausdrucksformen. So stellen auch die wenigen Studien, die sich auf die Auswirkung von Erzieherverhalten in Kindertageseinrichtungen beziehen und den Geschlechtsaspekt berücksichtigen, fest, dass die Betreuungsangebote von Erzieherinnen häufig von eigenen (geschlechtsspezifischen) Leitbildern getragen sind. Deshalb nimmt beispielsweise Lieselotte Ahnert an, „dass Erzieherverhalten und –erwartungen deutlicher durch Geschlechtsstereotype geprägt sind als ursprünglich angenommen“ (2004, 272). In einer MetaAnalyse verschiedener Untersuchungen stellt sie fest, dass diese „häufiger sichere Erzieherinnen-Mädchen-Bindungen als sichere Erzieherinnen-JungenBindungen“ ausweisen (ebd.). Dabei kommt sie zu der bemerkenswerten Feststellung, dass die geschlechtsstereotypen Tendenzen besonders in der Gruppenarbeit zum Tragen kommen, weil Jungen im Gruppenkontext stärker zu Dominanzverhalten und physischer Aktivität neigen, während Mädchengruppen eher egalitäre Strukturen ausbilden und empathisches und prosoziales Verhalten zeigen. Erzieherinnen reagieren auf diese unterschiedlichen Verhaltensweisen oft wertend und es fällt ihnen schwer, diese geschlechtsstereotypen Tendenzen der Kinder in der Gruppenarbeit auszubalancieren. Deshalb hält es Ahnert für nachvollziehbar, „wenn Jungen kaum sichere Bindungen aufbauen und auch dann noch schwieriger zu betreuen sind, wenn sie sich in ihre Peer-Gruppe zurückziehen. Beobachtungen in KiTas lassen manchmal Erzieherinnen erkennen, die Jungen-Gruppen hilflos gegenüberstehen – vor allem, wenn sie aggressiv entgleiten, dies jedoch aufgrund der sozialen Subkultur der Gruppe positiv verstärkt wird“ (Ahnert 2004, 273). Dies sind dies Hinweise darauf, dass die Anwesenheit von Männern in Kindertageseinrichtungen (und für Schulen ist es vermutlich ähnlich) es zumindest erleichtern kann, geschlechtsstereotype Interaktionsformen von Mädchen und Jungen besser auszubalancieren. Dabei scheint es in der Tat wichtig zu sein, auch in der Forschung nicht immer nur auf den Erwachsenen und das einzelnen Kind zu schauen, sondern die besondere Dynamik von Kindergruppen in den Blick zu nehmen. Hier gibt es mit Ausnahme des gerade zitierten, derzeit noch ein gewaltiges Defizit. Darüber hinaus scheint es mir überhaupt eine der wichtigsten Schlußfolgerungen aus der theoretischen Debatte um die Einordnung einschlägiger Forschungen z.B. zur Qualität „sensitiver Herausforderung“ zu sein, dass auch bezogen auf pädagogische Institutionen eine systemische Perspektive einzufordern ist. Aus einer solchen Perspektive geht es weniger um Alternativen, als um Ergänzungen und bezogen auf die Kinder darum, beide Geschlechter als pädagogische Bezugspersonen zu erfahren und dabei Differenzerfahrungen machen zu können. Dabei können wir davon ausgehen, dass Kinder im Vorschul- und Grundschulalter Unterschiede zwischen Männern und Frauen im Umgang mit ihnen sehr sensibel registrieren. Es gibt gute Gründe, sich um mehr Männer im Erzieher- und Lehrerberuf zu bemühen. Dies aber weniger wegen spezifisch männlicher Erziehungsqualitäten, sondern vor allem auch, weil allein durch die Repräsentanz des anderen Geschlechts innerhalb von Teams und Kollegien geschlechtsspezifisch „blinde Flecken“ sichtbar werden und die Reflexion über geschlechterstereotype Wahrnehmungen und Haltungen angeregt wird. Entsprechendes gilt natürlich auch schon für die Ausbildungsinstitutionen, Fachschulen oder Hochschulen, des pädagogischen Personals. Darüber hinaus sind Männer durch ihre anderen Erfahrung im Management von Prozessen und Institutionen nach meiner Beobachtung sehr hilfreich sind und die Bereitschaft und Fähigkeit zur Innovation und zum Umbau vorhandener Erziehungs- und Bildungsangebote erhöhen. Häufig bringen sie neuen Wind und ungewohnte Perspektiven ein. . Literatur: Ahnert, L. (2004): Bindungsbeziehungen außerhalb der Familie: Tagesbetreuung und Erzieherinnen-Kind-Bindung. In: Ahnert, L. (Hg.): Frühe Bindung. Entstehung und Entwicklung. München und Basel: Ernst Reinhardt, 256-277 Brazelton, T.B. & Cramer, B.G. (1994): Die frühe Bindung. Stuttgart: KlettCotta Conell, R. W. (1995): „The Big Picture“: Formen der Männlichkeit in der neueren Weltgeschichte. In: Widersprüche, H. 56/57, 23-45 Day, R. D. & Lamb, M. E. (Hg.) (2004): Conceptualizing and Measuring Father Involvement. Mahwah, New Jersey: Lawrence Erlbaum Associates Dornes, M.(2006): Die Seele des Kindes. Frankfurt/M.: Fischer TB Evans, V. J. (2004): Foreword. In: Day, R. D. & Lamb, M. E. (Hg.), a.a.O., IXXIII Fthenakis, W. E. (1988): Väter, Bd. 1: Zur Psychologie der Vater-KindBeziehung. München: DTV Grossmann, K.& Grossmann, K.(2004): Bindungen – das Gefüge psychischer Sicherheit. Stuttgart: Klett-Cotta Kindler, H.& Grossmann, K. (2004): Vater-Kind-Bindung und die Rollen von Vätern in den ersten Lebensjahren ihrer Kinder. In: Ahnert, L. (Hg.): Frühe Bindung. Entstehung und Entwicklung. 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