Rückblick auf die „Stunde der Gartenvögel“ 2008 Was uns die Beobachtungen tausender Vogelfreunde über Deutschlands Gartenvögel sagen Das Pfingstwochenende im Mai war eines der schönsten nach einem bis dahin eher nasskalten Frühjahr und lockte viele hinaus aus den vier Wänden. Rund 45.000 Vogelfreunde waren deutschlandweit vom 9.-12. Mai mit Begeisterung dabei und hielten eine Stunde lang Ausschau nach Vögeln, die sie im eigenen Garten oder vom Balkon aus entdecken konnten. Wo gibt es noch die meisten Hausspatzen? In welchen Teilen Deutschlands sind Zaunkönig, Star oder Heckenbraunelle seltener als anderswo? Und wie kann ich meinen Garten in ein kleines Vogelparadies verwandeln? Solche Fragen stehen im Mittelpunkt der „Stunde der Gartenvögel“, einer Mitmach-Aktion des Naturschutzbundes NABU und seines bayerischen Partners, dem Landesbund für Vogelschutz (LBV). Es wurde eifrig gezählt, so dass am Ende die Beobachtungen von fast einer Million Vögeln aus insgesamt 26.371 Gärten ausgewertet werden konnten. Bei der „Stunde der Gartenvögel“ kann jeder mitmachen – eben ganz im Sinne von „Citizen Science-Projekten“, die in England und den USA schon länger großen Anklang finden. Dort stellte sich heraus: Die Ergebnisse solcher Zählungen zeigen oftmals erstaunliche Übereinstimmungen mit denen professioneller Bestandserfassungen. Im Vordergrund steht hier wie dort, die Kenntnisse über die eher häufigen Vögel in Städten und Dörfern zu verbessern. Denn gerade über diese Vogelarten wissen wir oft nur ungenau Bescheid. Was schaffen die Laien, was Fachleute nicht leisten können? Ihre Stärke liegt darin, mit einfachen Mitteln nahezu flächendeckend Momentaufnahmen über die Vorkommen häufigerer Vogelarten zu liefern. Mit den von ihnen gesammelten Daten lassen sich nicht zuletzt recht genaue Verbreitungskarten für ganz Deutschland erstellen. Die Datenmenge ist so groß, dass die relative Häufigkeit solcher Arten landkreisgenau dargestellt werden kann. NABU und LBV bieten den Teilnehmern an der Aktion Bestimmungshilfen, Materialien und Informationen rund um die Vogelwelt in Städten und Dörfern an. Der Meldebogen für die Beobachtungen ist Teil eines Faltblattes, das bereits die häufigsten Vogelarten abbildet. Dreh- und Angelpunkt der Mitmachaktion ist jedoch die Internetseite www.stunde-dergartenvoegel.de, wo die Beobachtungen auch online übermittelt werden konnten. Hier sind inzwischen sämtliche Ergebnisse der diesjährigen Zählung zu finden. Neben den interaktiven Verbreitungskarten der beobachteten Vogelarten ermöglichen Suchfunktionen nach Bundesländern, Landkreisen oder Postleitzahlen weitere Analysen. Die 10 häufigsten Vogelarten bei der "Stunde der Gartenvögel 2008" (n = 960.807 Beobachtungen) Sonstige 27% Haussperling 15% Am sel 13% Buchfink 4% Grünfink 4% Mauersegler 5% Elster Mehlschw albe 5% 6% Kohlm eise 8% Star 7% Blaum eise 6% Grafik 1: Die 10 häufigsten Vogelarten bei der "Stunde der Gartenvögel 2008 Als insgesamt häufigster Vogel in Städten und Dörfern entpuppte sich der Haussperling mit rund 135.000 Sichtungen. Durchschnittlich fünf Spatzen wurden pro Beobachtungsstunde gezählt. Sein Verbreitungsschwerpunkt liegt nach Auswertung dieser Zahlen in der östlichen Hälfte Deutschlands, vor allem in Brandenburg, MecklenburgVorpommern, Sachsen-Anhalt und Thüringen. Den Großstadtrekord verzeichnete Berlin mit mehr als sieben Spatzen pro Stunde. In den Ballungszentren von Nordrhein-Westfalen hingegen verwies die Amsel den Haussperling auf Platz zwei. Auch in den meisten westdeutschen Großstädten wie Hamburg, Frankfurt oder Stuttgart wurden mehr Amseln als Spatzen gezählt, in München reichte es dem Haussperling sogar nur für den fünften Platz. Hier wurden durchschnittlich nur noch 1,5 Spatzen pro Beobachtungsstunde gezählt. Auf den Plätzen drei bis fünf folgten bundesweit die Kohlmeise, der Star und die Blaumeise und damit weitere klassische Vertreter der Vogelwelt rund um Haus und Garten. Überraschend und erfreulich platzierte sich bereits im Anschluss die Mehlschwalbe - bundesweit erstmals an sechster Stelle. Nachdem ihre Zahlen in vielen Teilen Europas schon seit längerem zurückgehen, befinden sich die bevorzugt in Kolonien siedelnden „Hausschwalben“ möglicherweise bei uns wieder im Aufwind. Am weitesten hatten die Mehlschwalben in Hessen und Rheinland-Pfalz die Schnäbel vorn: Hier erreichten sie sogar Platz drei unter all den Arten, die von Flensburg bis Garmisch gemeldet wurden. Auf den Plätzen sieben bis zehn folgten schließlich Elster, Mauersegler, Grün- und Buchfink. Beinahe drei Viertel aller Beobachtungen entfielen auf die zehn häufigsten Arten. Unterhalb der „Top Ten“ sind die selteneren Besucher unserer Dörfer und Städte anzutreffen. Doch wurden auch Rotkehlchen oder Hausrotschwanz (Platz 11 und 12) durchschnittlich immerhin einmal pro Garten gesichtet oder gehört. Je mehr Daten bundesweit vorliegen, desto aussagekräftiger sind auch Verbreitungskarten, die die durchschnittlichen Individuenzahlen pro Landkreis zeigen. Sie machen deutlich, dass auch häufigere Vogelarten keineswegs gleichmäßig über Deutschland verteilt sind, sondern zum Teil ganz markante Schwerpunkte besitzen. So gibt es Arten, die sich besonders auf den Nordwesten Deutschlands konzentrieren. Hierzu zählen demnach Buchfink, Heckenbraunelle, Zaunkönig und Singdrossel. Auch Ringeltauben wurden nirgendwo sonst so häufig gemeldet wie im Norden und Westen von Nordrhein-Westfalen und Niedersachsen. Umgekehrt wurden nicht nur Haussperlinge, sondern auch Star, Bluthänfling, Feldsperling oder Pirol im Osten häufiger angetroffen. Auch Rauchschwalben sind demnach im (Nord-)Osten sowie in Teilen Schleswig-Holsteins zahlreicher vertreten als in den übrigen Teilen Deutschlands. Der Gartenrotschwanz erreichte seine Spitzenwerte innerhalb eines geschlossenen Areals, das sich über Mecklenburg-Vorpommern und das nördliche Brandenburg erstreckt. Auch der Kuckuck – Vogel des Jahres 2008 – scheint östlich einer Linie zwischen Lindau und Bremen geeignete Lebensbedingungen öfter vorzufinden. Girlitze wurden vor allem entlang eines Gürtels von Südwestdeutschland bis nach Sachsen gemeldet. Die hier entstandene Verbreitungskarte passt recht gut zur Ausbreitungsgeschichte der Art und anschließenden Rückzugstendenzen, wie sie aus atlantisch geprägten Regionen bereits dokumentiert worden sind. Viele dieser regionalen Unterschiede und Besonderheiten sind während der vierjährigen Laufzeit der „Stunde der Gartenvögel“ konstant geblieben. Man wird diese Übereinstimmung auch als Hinweis auf die Datenqualität werten dürfen. Nicht wenige Vogelfreunde, die sich an der Aktion beteiligten, schauten auch über die Baumwipfel ihrer Gärten hinaus und entdeckten dabei etliche „Überflieger“, die zwar kaum zu den „Gartenvögeln“ zählten, aber dennoch interessante Hinweise lieferten. So wurden unter anderem 1731 Rotmilane gemeldet, deren Herkunft die Kerngebiete des gabelschwänzigen Greifvogels zeigt, die im Süden der Magdeburger Börde, in Hessen, in Rheinland-Pfalz und am westlichen Bodensee liegen. Bei einer Aktion wie der „Stunde der Gartenvögel“ ist natürlich auch mit einigen Raritäten zu rechnen, die aber keineswegs gleich auf Fehlbestimmungen zurückgehen müssen. Der entflogene Kanarienvogel gehört hier ebenso dazu wie die Beobachtung exotischer Halsbandsittiche. Bekanntlich fühlen sich Halsbandsittiche schon seit Ende der 60er Jahre entlang des Rheins zu Hause, sowohl von Bonn über Köln bis Düsseldorf wie auch im Raum Mainz-Wiesbaden. Weitere Meldungen stammen aus der Umgebung von Heidelberg und Mannheim. Die Karte mit exakt 200 Sichtungen zeigt recht genau die wenigen Stellen, auf die sich die inzwischen wild lebenden Vorkommen der Halsbandsittiche in Deutschland heute konzentrieren. NABU und LBV führen die bundesweite „Stunde der Gartenvögel“ seit 2005 alljährlich durch. Da wird es zunehmend interessant, die Beobachtungsdaten auch einmal auf erste Trends zu untersuchen. Hinweise auf mögliche Veränderungen sind ebenso erkennbar wie einige regional unterschiedliche Entwicklungen. Gemessen an der durchschnittlichen Anzahl gemeldeter Individuen pro Garten deuten sich bei mehreren Vogelarten Zu- oder Abnahmen an. Zu den Arten, die im Laufe der vier Jahre häufiger gemeldet wurden, zählen unter anderem Rauch- und Mehlschwalbe, Rotkehlchen, Zaunkönig, Ringel- und Türkentaube, Dohle und Zilpzalp. Rückläufige Zahlen wurden dagegen beim Haussperling, bei Kohl- und Blaumeise, bei der Singdrossel und beim Buntspecht festgestellt. 2005 2006 2007 2008 mittl. Häufigkeit pro Garten 2,5 2,0 1,5 1,0 0,5 0,0 Ringeltaube Rauchschw albe Grafik 2: Einige der Vogelarten, die seit Beginn der "Stunde der Gartenvögel" häufiger gemeldet worden sind. 2005 2006 2007 2008 mittl. Häufigkeit pro Garten 6,0 5,0 4,0 3,0 2,0 1,0 0,0 Haussperling Kohlmeise Blaumeise Bunt specht Grafik 3: Bei manchen Arten weisen die Meldungen der letzten vier Jahre auf mögliche Bestandsrückgänge hin. Die ebenso populäre wie hilfreiche Aktion soll auch im nächsten Jahr fortgesetzt werden. NABU und LBV hoffen, dann von vielleicht noch mehr Teilnehmern Gartenvogelmeldungen zu erhalten. Denn nicht zuletzt liegt in der Menge eingesendeter Beobachtungen auch der Schlüssel zur Genauigkeit der Ergebnisse. So kann die „Stunde der Gartenvögel“ dazu beitragen, dass sich das Bild von der Vogelwelt in unseren Städten und Dörfern von Jahr zu Jahr weiter vervollständigt. Mindestens ebenso hoch zu bewerten ist aber, wie viele Menschen mit dieser Aktion auf die Natur in ihrer eigenen Umgebung aufmerksam gemacht werden, und wie viel Interesse und Begeisterung sich damit wecken lässt. Sollte sich auch die Zahl naturnah gestalteter Gärten in den kommenden Jahren erhöhen, wäre letztlich auch das vielleicht wichtigste Ziel der Aktion erreicht. von Markus Nipkow Verbreitungskarten: Haussperling: Der Haussperling - in den Ballungsräumen Nordrhein-Westfalens und westdeutschen Großstädten war er seltener zu sehen. Buchfink, Zaunkönig: Die Meldungen zeigen: Buchfinken und Zaunkönige sind vor allem im Nordwesten Deutschlands zu Hause. Star: Dem Star scheint es in den neuen Bundesländern (noch) deutlich besser zu gehen als etwa in Nordrhein-Westfalen. Rauchschwalbe (links), Kuckuck (rechts): Die meisten Rauchschwalben wurden im Nordosten Deutschlands gezählt. Das gilt auch für den Kuckuck, Vogel des Jahres 2008.