ORIGINALARBEIT K. Hager K. Ziegler Stadien der Krankheitsverarbeitung nach einem Schlaganfall Stages of coping after stroke Persistenz der jeweiligen Abwehrmechanismen und Stadien ab. Das therapeutische Team kann diesen Prozeß durch ein therapeutisches Basisverhalten und stadiengerechte Interventionen fördern. Ein Mißlingen der Krankheitsverarbeitung kann zur hohen Prävalenz von psychischen Störungen nach einem Schlaganfall beitragen, von denen Depression und Angststörungen am häufigsten sind. Zusammenfassung Der Schlaganfall stellt für den Betroffenen eine Lebenskrise dar. Daraus resultierende psychische Probleme können Rehabilitationsergebnisse und Lebenszufriedenheit kurz- wie langfristig ebenso entscheidend beeinflussen wie die körperlichen Krankheitsfolgen selbst. Für den Patienten ist es deshalb wichtig, die neuen, durch die Erkrankung geschaffenen Realitäten in seinen Lebensplan zu integrieren. Im Zentrum dieses „Copings“ steht ein Trauerprozeß, der ähnlich verläuft wie bei anderen vitalen Bedrohungserlebnissen, z. B. der Auseinandersetzung mit dem eigenen Sterben. Stadien der Trauer wie das Nichtwahrhaben-Wollen, aufbrechende Emotionen, Suchen und Sich-Trennen sowie das Finden neuer Selbst- und Weltbezüge lassen sich auch beim Schlaganfallpatienten herausarbeiten. Ob ein Krankheitsverarbeitungsprozeß gelungen ist oder nicht, hängt nicht so sehr von der Art als vielmehr von der Eingegangen: 18. Juni 1996 Akzeptiert: 16. Januar 1997 PD Dr. K. Hager (✉) · K. Ziegler Klinik für medizinische Rehabilitation und Geriatrie der Henriettenstiftung Schwemannstraße 19 30559 Hannover Schlüsselwörter Schlaganfall – Krankheitsverarbeitung – Depression Summary People who suffer a stroke most often experience a major crisis in their lives. This leads to psychological problems which are likely to influence the patient’s life satifaction, long-term rehabilitation outcome, and quality of life as much as the physical consequences caused by the stroke. The patient’s ability to accept the new reality created by a disability as a part of their future life is therefore essential. This necessitates an individual coping strategy in the center of which is a mourning process, which unfolds in the same way as other experiences of vital threat, e.g. confrontation with one’s own dying. Different stages of mourning that can also be found in stroke patients are nonacceptance of the facts, erupting emotions, parting with the former and finding of a new self as well as new perspectives for one’s future. Whether a coping process is successful does not depend on the type of the defense mechanisms or stages, but essentially on their persistence. It is the task of the therapeutical team to support this process by applying a basic therapeutic behavior, stage-consistent interventions and a positive feedback. A failed process of coping may be one of the causes of the high prevalence of psychological disorders like depression and anxiety disorders in patients having suffered a stroke. Key words Stroke – coping – depression ZGG 759 Z Gerontol Geriat 31:9–15 (1998) © Steinkopff Verlag 1998 10 Zeitschrift für Gerontologie und Geriatrie, Band 31, Heft 1 (1998) © Steinkopff Verlag 1998 Einleitung Methoden Der Schlaganfall stellt für den Betroffenen ein schwerwiegendes Ereignis im Sinne einer Lebenskrise dar. Dies spiegelt sich selbst nach der Entlassung aus der Rehabilitationseinrichtung noch im Empfinden der Patienten wider. So wurden Patienten nach einem Schlaganfall im Rahmen eines Nachsorgeprojektes zu den zu Hause auftretenden Problembereichen befragt. In 48 % der Fälle wurden die Probleme von den Autoren der psychischen Dimension zugerechnet (12). Am häufigsten wurden ein durch Immobilität reduzierter Aktionsradius, Probleme bei der Krankheitsbewältigung, Überforderung der Angehörigen sowie Ängste genannt. Psychische Probleme können Krankheitsverlauf, Therapieergebnis und Lebenszufriedenheit des Patienten ebenso entscheidend beeinflussen wie die körperlichen Krankheitsfolgen selbst (32). Ein Teil der Arbeiten zu Ursachen psychischer Störungen nach einem Schlaganfall (Tab. 2) betont die organisch-psychische Komponente in Form der neuropsychologischen Störungen oder des Zusammenhangs zwischen der Lokalisation eines Schlaganfalls und den aufgetretenen psychischen Störungen. Ergebnisse solcher Untersuchungen sind detaillierte Gegenüberstellungen von neuropsychiatrischen Syndromen und damit assoziierten zerebralen Schädigungsgebieten (4). Diese strukturalistisch-lokalisatorischen Aspekte sollen im Folgenden ebensowenig im Mittelpunkt stehen wie Überlegungen, ob Persönlichkeitsstrukturen selbst einen Risikofaktor für den Schlaganfall darstellen können. Es sollen vielmehr die Erlebnisseite beim Patienten und die Folgen für seine Beziehungen zu anderen Menschen, also die Krankheitsverarbeitung, im Mittelpunkt stehen. Obwohl dies ein wichtiges Thema ist, sind Untersuchungen hierzu nur spärlich vorhanden. Im deutschsprachigen Raum befassen sich Arbeiten von Thomae und Kruse (34), Hauschild (15), Scheidt und Schwind (28) und Kallert (17) mit Aspekten der Krankheitsverarbeitung nach einem Schlaganfall. Aufgrund dieser beschränkten Zahl an Beiträgen wurde im Folgenden ein empirischer Ansatz gewählt. Aus der Sicht eines Internisten mit der Zusatzbezeichnung „Psychotherapie“ wurden Gespräche mit Schlaganfallpatienten einer Klinik für Geriatrie und Rehabilitation analysiert und mit einem Stadienmodell der Trauerreaktion verglichen. Von den 2209 Patienten, die vom zweiten Halbjahr 1993 bis zum ersten Halbjahr 1996 aufgenommen wurden, wiesen 916 die Erstdiagnose „Schlaganfall“ (ICD 430–438) auf. Die größte Altersgruppe stellten dabei die 75- bis 84jährigen. In mehr als der Hälfte der Fälle handelte es sich um Frauen. Die Rückkehr in die vor dem Schlaganfall bestehende Wohnsituation gelang bei etwa 80 % der Patienten, wobei diese Erfolgsrate allerdings mit zunehmendem Lebensalter sank (Tab. 1). Die Aktivitäten des täglichen Lebens wurden bislang in der Klinik mittels eines modifizierten Barthel-Index gemessen, der bei völliger Selbständigkeit maximal 135 Punkte erbringt, bei völliger Unselbständigkeit 0 Punkte. Dieser Index wird bei Aufnahme wie auch bei Entlassung von den Ergotherapeuten erhoben. Die Verbesserung an ADL-Punkten ist in allen Altersgruppen vergleichbar hoch (Tab. 1). Tab. 1 In der Klinik vom zweiten Halbjahr 1993 bis zum ersten Halbjahr 1996 behandelte Patienten mit Schlaganfall (ICD 430– 438), aufgeteilt in vier Altersgruppen Krankheitsverarbeitung Der gesunde Körper ist uns ein „stiller Begleiter“, er wird im täglichen Leben oft „vergessen“, doch fühlen wir uns im Regelfall eins mit ihm. Wir haben ein Körperschema (die Gesamtheit der sensomotorischen Repräsentation) und ein Körperbild (ein Körperselbst, ein Körper-Ich) entwickelt. Das Körperbild stellt ein um die psychische Dimension erweitertes Körperschema dar, in das unsere subjektiven Erfahrungen, Wünsche und Phantasien mit unserem Körper eingehen. Der Schlaganfall verändert plötzlich beides, das Körperschema, z. B. durch Oberflächen- und Tiefensensibilitätsstörungen, aber auch das Körperbild. Das Selbstbild z. B. von einem sportlichen, leistungsfähigen, gut funktionierenden Men- Altersgruppen (Jahre) –64 65–74 75–84 85– Anzahl durchschnittliches Alter (Jahre) Zahl relevanter Diagnosen Frauen (%) Männer (%) Pflegekategorie A3 bei Aufnahme (%) Pflegekategorie A3 bei Entlassung (%) ADL-Punkte bei Aufnahme* ADL-Punkte bei Entlassung* Zugewinn an ADL-Punkten* Rückkehr in die bisherige Wohnung (%) 167 57 ± 7 4,7 41 59 38 17 60 98 38 89 290 70 ± 3 5,35 49 51 52 29 54 88 34 80 323 80 ± 3 5,49 62 38 54 32 56 86 27 74 108 87 ± 2 5,02 64 36 58 38 52 83 33 69 *modifizierter Barthel-Index, bei völliger Selbständigkeit maximal 135 Punkte, bei Unselbständigkeit 0 Punkte K. Hager und K. Ziegler Krankheitsverarbeitung nach einem Schlaganfall Tab. 2 Ursachen für psychische Veränderungen nach einem Schlaganfall neuropsychologische Syndrome z. B. Aphasien, Apraxien, Störungen der räumlichen Leistung und des Körperschemas, Aufmerksamkeits- und Konzentrationsstörung, Lern- und Gedächtnisstörung organisch-psychische Störungen z. B. affektive Instabilität, pathologisches Lachen und Weinen, Angst- und Panikattacken, Demenz, Frontalhirnsyndrom reaktiv-psychische Störungen z. B. depressive Störung, Angststörung schen kann angesichts von Lähmungen nicht aufrechterhalten werden. Der Patient muß deshalb im Rahmen seiner Krankheitsverarbeitung bzw. eines Coping-Prozesses versuchen, die neuen, durch die Erkrankung geschaffenen Realitäten in seinen Lebensplan zu integrieren. Das Gelingen dieser Integration . . . in das Selbstkonzept entscheidet darüber, ob das psychische Selbst auch angesichts eines kranken Körpers intakt bleiben kann (9). Dem unvorhersehbaren und schmerzlosen Ereignis des Schlaganfalls geht keine Phase voraus, in der sich der Betroffene damit bereits auseinandersetzen und Bewältigungsstrategien entwickeln kann (28). Diese Krankheitsverarbeitung ist von vielen Variablen abhängig, von der körperlichen Erkrankung, Persönlichkeitsmerkmalen, früheren Krisenerfahrungen, den bisherigen Bewältigungsstrategien, dem sozialen Netzwerk, der Selbstwahrnehmung (17) und anderen Faktoren. Zusätzliche Störungen wie z. B. die Demenz können den Coping-Prozeß natürlich beeinflussen. Die Angehörigen werden, wie der Patient auch, in eine neue Lage gebracht, in der Verzicht geübt werden muß und neue Rollen erlernt werden müssen. So ist auch für die Angehörigen eine Krankheitsverarbeitung notwendig. Stadien der Trauer Im Zentrum der Krankheitsverarbeitung nach einem Schlaganfall steht deshalb meist ein Trauerprozeß. Dieser verläuft im Prinzip ähnlich wie bei anderen vitalen Bedrohungserlebnissen, z. B. wie die Bearbeitung des eigenen Sterbens (32). Der Trauerprozeß wurde immer wieder in unterschiedliche Phasen aufgeteilt, so u. a. von Kast (18) in ein Nicht-wahrhabenWollen, ein Stadium der aufbrechenden Emotionen, ein Suchen neuer und Sich-Trennen von alten Lebensinhalten sowie schließlich das Finden neuer Selbst- und Weltbezüge (Tab. 3). Jeder Bewältigungsprozeß verläuft individuell. Es Tab. 3 Stadien der Trauer (18) Nicht-wahrhaben-Wollen Aufbrechende Emotionen Suchen und Sichtrennen Neuer Selbst- und Weltbezug 11 müssen weder alle Stadien noch die gleiche Reihenfolge oder die gleiche Intensität der Phasen vorhanden sein. Die möglichen Abwehrstrategien des Patienten gegenüber der Wahrnehmung der körperlichen Defizite und ihrer Folgen für das zukünftige Leben verändern sich im Verlauf der Trauerstadien von Verleugnung, Verdrängung beim „Nicht-wahrhaben-Wollen“, hin zu Projektion und Spaltung beim Aufbrechen der Emotionen. Mit zunehmender Korrektur des Körperbildes nimmt die Abwehr ab, um im Idealfall in eine Akzeptanz des eingetretenen Zustandes zu münden. Wichtig ist, daß sich die Krankheitsverarbeitung in den Beziehungen des Patienten zu anderen Menschen widerspiegelt und dadurch z. B. die Behandlung stören kann. Nicht-wahrhaben-Wollen Der Patient mit einem frischen Schlaganfall scheint z. T. wie erstarrt, emotionsarm, apathisch oder im übertragenen Sinne „gelähmt“ zu sein. Es wird von einer initialen Schockphase gesprochen, von einer Katastrophenreaktion. Der Patient will und kann die möglichen Folgen seiner Erkrankung, den ganzen Umfang des eingetretenen Verlustes noch kaum wahrnehmen. Deshalb werden in der ersten Zeit zum eigenen Schutz Abwehrstrategien wie Verdrängen, Verleugnen und Bagatellisieren eingesetzt. „Ich bin nicht gelähmt, ich will den Arm jetzt nur nicht bewegen“, „Mit dem Arm werde ich schon fertig“ oder „Zu Hause klappt schon alles“. Ein Patient verließ z. B. sein Zimmer nicht mehr, um von anderen Patienten nicht an das eigene Leiden erinnert zu werden („Hier in der Klinik sind ja nur behinderte, alte Menschen.“). Diese Abwehrmechanismen tragen dazu bei, daß sich in einer Untersuchung bei Patienten mit ausgezeichneter und rascher Rückbildung nur die Hälfte der Betroffenen über das objektive Ausmaß der initialen Defizite und nur ein Viertel über das objektive Ausmaß der tatsächlichen Besserung im klaren waren (13). Es ist kaum sinnvoll, mit dem Patienten bereits zu einem frühen Zeitpunkt über mögliche bleibende Defizite zu sprechen. Sinnvoller ist es, dem Patienten das Gefühl zu geben, gut aufgehoben zu sein, ihm erste Fragen über die Erkrankung zu beantworten sowie Empathie und Akzeptanz zu signalisieren. Weniger sinnvoll ist es, die Verleugnung des Patienten zu stützen: „Jetzt gehen Sie erst einmal in die Rehabilitation. Dort werden Sie wieder völlig hergestellt.“ Aufbrechende Emotionen Muß dann doch anerkannt werden, daß sich die Lähmungen nicht im erträumten Maße bessern, so können Gefühle des Ärgers, der Wut, Enttäuschung, Hoffnungslosigkeit, Auflehnung und Verzweiflung geäußert werden. Diese Gefühle können sehr stark schwanken. Es werden immer auch Fragen 12 Zeitschrift für Gerontologie und Geriatrie, Band 31, Heft 1 (1998) © Steinkopff Verlag 1998 nach der Ursache gestellt: „Wer trägt die Schuld an meiner Lage?“ Diese Frage läßt sich u. a. auf eine depressive bzw. eine projektive Art verarbeiten (28). Beim depressiven Typ sucht der Patient die Schuld bei sich, beim projektiven Typ in der Umgebung, z. B. beim Arzt oder beim Pflegepersonal. Der Patient selbst, häufiger aber seine Angehörigen als „Delegierte“, richten im zweiten Fall ihre Wut gegen das Personal („Hätte mein Mann sofort Infusionen bekommen ...“, „Mein Mann hat ja nur drei Therapien am Tag bekommen, deshalb ist er noch nicht weiter.“). Die Identifikation mit dem leb- und funktionslosen Arm fällt mitunter schwer, der gelähmte Teil des Körpers wird deshalb gelegentlich „abgespalten“, als fremdes Objekt wahrgenommen („der böse Arm will nicht, wie ich will“), vielleicht bestraft („den Arm sollte man abschneiden“) oder nicht beachtet. Bei solchen Schuldzuweisungen ist es für den Arzt unumgänglich, Distanz zu eigenen negativen Affekten und Schuldgefühlen zu bewahren. Der Arzt muß die Beschuldigungen als vorübergehende Auseinandersetzung des Patienten mit seiner Krankheit akzeptieren lernen. Suchen und Sich-Trennen Das sich immer mehr konkretisierende Bewußtsein, daß einige der Lähmungen wohl bleibenden Charakter haben und daß deshalb in Zukunft auf einiges verzichtet werden muß, führt dazu, daß sich die Gedanken zunehmend mit möglichen neuen Lebensentwürfen beschäftigen. Dies wird anfänglich oft in einer depressiven Grundstimmung verarbeitet („Man hat sich im Leben so viel vorgenommen, und jetzt ist das vorbei.“). Nicht selten treten vorübergehend auch Tendenzen auf, sich von den Objektbeziehungen zurückzuziehen („So kann ich mich nicht mehr sehen lassen.“). Angst tritt hinzu: „Wie soll es in Zukunft weitergehen?“ Dabei wird auch mit dem Schicksal verhandelt („Wenn ich wenigstens wieder mein Bein bewegen könnte!“). Für den Arzt ist es hier wichtig, die realistische Sicht des Patienten von seiner Zukunft zu fördern, ihm dabei aber auch die Bereiche aufzuzeigen, in denen der Patient noch kompetent ist oder auf die er sich noch freuen kann („Was werden Sie in der ersten Zeit nach der Entlassung machen?“). Der Patient selbst muß jedoch die Entscheidung treffen, welches Leben er in Zukunft anstrebt. Weniger sinnvoll sind „gute“ Ratschläge („Sie sollten Briefmarken sammeln, das ist doch ein schöner Zeitvertreib.“). Tab. 4 Indikationen zur psychotherapeutischen Intervention (28) thematisches Haften an der äußeren Realität Affektblockierung Verleugnung der inneren und äußeren Realitäten depressive und projektive Formen der Krankheitsverarbeitung Rückzug von Objektbeziehungen ter der Äußerung „Wir wollen nach der Entlassung oft in unser Wochenendhaus fahren“. Der Patient zeigte mir daraufhin das Foto eines Bungalows in einem großen Garten. Hieraus ergeben sich konkrete Ansatzpunkte für das therapeutische Team. Der Hausbesuch wird auch im Wochenendhaus durchgeführt. Indikationen zur Psychotherapie Die genannten Abwehrmechanismen können zum Selbstschutz zumindest vorübergehend sinnvoll sein. Wichtig ist jedoch, daß der Patient nicht auf ein Muster und nicht auf die Abwehr fixiert bleibt. Ob ein Krankheitsverarbeitungsprozeß „gelungen“ ist oder nicht, hängt nicht so sehr von der Art als vielmehr vom Ausmaß und der Persistenz der jeweiligen Abwehrmechanismen ab. „Ich verlasse die Klinik erst, wenn ich wieder gehen kann“ signalisiert – bei Aufnahme geäußert – erste Zielvorstellungen, am Ende der Rehabilitation jedoch, daß ein neuer Lebensentwurf noch nicht gelungen ist. Hinweise auf eine problematische Krankheitsverarbeitung und Indikationen zur psychotherapeutischen Intervention sind deshalb (Tab. 4) das thematische Haften an der äußeren Realität („Mein Mann [ein komplett halbseitig gelähmter Patient] war immer noch nicht im Bewegungsbad. Das Bewegungsbad ist das einzige, was ihm hilft.“), das Ausbleiben von Affekten wie Wut und Ärger im Sinne einer Affektblockierung, das anhaltende Verleugnen der inneren und äußeren Realität oder fortgesetzte Schuldzuweisungen, Depression oder der Rückzug von Objektbeziehungen. Ein mißlungener Coping-Prozeß hat mannigfache Auswirkungen auf die Rehabilitation des Patienten. Eine Äußerung wie „Kann mein Mann nicht noch in eine andere Klinik kommen?“ kann zum Ausdruck bringen, daß Patient oder Angehörige sich angesichts des kranken Körpers keine sinnvolle Zukunft vorstellen kann und läutet möglicherweise Besuche mehrerer anderer Rehabilitationskliniken und das Ausprobieren immer neuer Therapiemethoden ein. Neuer Selbst- und Weltbezug Begleitung und Unterstützung Bei einer gelungenen Verarbeitung sollte der Patient seinem Zustand wieder positive Seiten abgewinnen, ein positiveres Selbstbild erwerben und Lebensmöglichkeiten erarbeiten, mit denen er sich identifizieren kann. Dies steckt wohl hin- Grundvoraussetzung für die Behandlung des Schlaganfallpatienten ist natürlich ein zeitgemäßes Behandlungskonzept sowie eine angemessene Therapieintensität. Sind diese äuße- K. Hager und K. Ziegler Krankheitsverarbeitung nach einem Schlaganfall Tab. 5 Möglichkeiten der psychischen Betreuung des Schlaganfallpatienten therapeutisches Verhalten Zugang zu aktuellen Gefühlen fördern stadiengerechtes Verhalten Phasen der Trauer zulassen realistische Wahrnehmung der Defizite zunehmend fördern Kränkung, Konfrontation mit den Defiziten vermeiden positive Verstärkung, Bestätigungen Einbeziehung der Angehörigen Eigenverantwortung fördern Erarbeiten von neuen Perspektiven (Angehörigen-)Beratung Gruppentherapie, Gruppenselbsterfahrung ren Realitäten nicht stimmig, so erleichtert dies dem Patienten die Fixierung auf Äußerlichkeiten und lenkt ihn von der eigenen Krankheitsverarbeitung ab. Zur erfolgreichen Bewältigung der Folgen des Schlaganfalls wirkt sich sicherlich positiv aus, wenn der Patient bereits frühzeitig mit der Krankheitsverarbeitung beginnt (28). Dazu können eine Reihe von Verhaltensweisen des therapeutischen Teams fördernd beitragen (Tab. 5). Voraussetzung ist ein therapeutisches Basisverhalten, gekennzeichnet z. B. von Empathie und Akzeptanz des Patienten mit all seinen Defiziten und Problemen. Mit Gesprächsangeboten wie „Hat sich durch den Schlaganfall viel in Ihrem Leben verändert?“ soll der Zugang zu den aktuellen Gefühlen gefördert werden (15). Die Maßnahmen müssen natürlich stadiengerecht erfolgen (Tab. 6). Ein Patient, der seine Defizite noch nicht akzeptiert hat, wird sich z. B. gegen die Verordnung eines Rollstuhles sträuben. Vorstellungen bei den Teamvisiten oder das frühzeitige Hinzuziehen der Lebenspartner zu den Therapien fördern die realistischere Einschätzung der Defizite. Es ist in der Gesprächsführung nicht hilfreich, z. B. ein Nicht-wahrhaben-Wollen in Form einer Konfrontation zu lösen. Beschuldigungen oder Drohungen („Wenn Sie nicht mitmachen, landen Sie im Pflegeheim.“) sind ineffektiv und verstärken die Abwehr des Patienten. Positive Verstärkungen, z. B. durch Loben, ein positives Feedback, z. B. durch erreichbare Wochenziele, ermöglichen dem Patienten wieder ein Erfolgserlebnis und stärken seine Motivation. Als weiteren Therapieansatz sehen wir die Infor- 13 mation über die Erkrankung, ihre Prognose und die Therapiemöglichkeiten, so daß wir dreimal pro Monat Angehörigengruppen mit beratendem Charakter durchführen. Die Thematisierung der aktuellen Gefühle im Rahmen einer Gruppentherapie erscheint ebenfalls nützlich (6, 30). Zu diesem Zweck finden in unserer Klinik zweimal wöchentlich Sitzungen mit depressiven Schlaganfallpatienten statt. In der Gruppe soll die soziale Isolation des einzelnen Patienten durchbrochen werden. Gefühle wie Angst, Wut oder Verzweiflung können geäußert werden. Die eigenen Sorgen werden durch die Probleme der Mitpatienten relativiert, Zukunftspläne können ausgetauscht werden. Dadurch sollen die Patienten angeregt werden, für sich Strategien der Bewältigung zu finden und ihr Selbstvertrauen wieder zurückzugewinnen (6, 25). Allzu regressive Tendenzen, die zum Verharren in der depressiven Stimmungslage führen könnten, werden hier therapeutisch aufgefangen. Problematisch ist die Bearbeitung des Krankheitsprozesses bei Patienten mit schwerwiegender Aphasie. Ein wichtiger Schritt in der Psychotherapie ist die Lösung vom Therapeuten. Auf die Rehabilitation übertragen bedeutet dies, daß der Patient gegen Ende der Behandlung nicht zu sehr in die Vorstellung einer Abhängigkeit von den Therapeuten gedrängt werden sollte, wodurch sein Empfinden, „krank“ zu sein, noch zusätzlich verstärkt würde. Die Förderung von Eigenverantwortung und Selbstvertrauen muß deshalb in die Behandlung integriert werden. Zur Begleitung der Krankheitsverarbeitung kann somit das gesamte geriatrische Team beitragen. Für die gezielte psychotherapeutische Intervention oder die Durchführung von Gruppentherapien ist jedoch die Beschäftigung von (Neuro-)Psychologen sinnvoll. Eine Unterstützung im emotionalen Bereich ist für das Therapieergebnis ähnlich erfolgreich wie formelle oder informelle Hilfen (11). Differentialdiagnose Die vielfältigen Verhaltensauffälligkeiten eines Patienten nach einem Schlaganfall können verschiedenen Ursachen zugerechnet werden: neuropsychologischen Syndromen, organisch-psychischen Störungen, schließlich reaktiv-psychi- Tab. 6 Stadien der Trauerarbeit, Emotion, Möglichkeit von Abwehr beim Patienten und Haltung seitens des therapeutischen Teams Stadium Gefühl vermutlich hilfreich vermutlich nicht hilfreich Nicht-wahrhaben-Wollen Mangel an Emotion, Apathie Ärger, Verzweiflung, Enttäuschung, Panik Hoffnungslosigkeit, depressive Stimmung Akzeptanz Geduld, Empathie, Akzeptanz Geduld, Empathie, Akzeptanz Information, Beratung, Hinweis auf bestehende Kompetenzen praktische Hilfen (Hilfsmittel, Wohnraumanpassung) Konfrontation mit den Defiziten Diskussionen über Schuld, Gefühl der Schuld beim Arzt „gute“ Ratschläge aufbrechende Emotionen Suchen und Sichtrennen neuer Selbst- und Weltbezug zu hohe Langzeitziele, fehlende Lösung vom Therapeuten 14 Zeitschrift für Gerontologie und Geriatrie, Band 31, Heft 1 (1998) © Steinkopff Verlag 1998 schen Störungen bzw. Anpassungsstörungen, von denen depressive Störungen und Angststörung am häufigsten sind. Vor der Annahme reaktiv-psychischer Veränderungen im Gefolge eines Schlaganfalls müssen organisch begründbare Ursachen ausgeschlossen worden sein. Eine klare Trennung ist jedoch schwierig, wenn nicht gänzlich unmöglich. „Der Patient, der (z. B. laut Schwester) kann, aber nicht will“, könnte statt einer mangelnden Motivation vielmehr eine Apraxie, eine räumliche Störung oder einen Neglect haben. Der „nichtmotivierte Patient“ könnte auch schwerhörig oder dement sein. Depression und Angst als wichtigste psychische Störungen Nach einem Schlaganfall können eine Vielzahl von psychischen Störungen entstehen (16), wobei Depression und Angstzustände führend sind. Die Depression zählt neben der Arthrose/Arthritis des Knies, dem Schlaganfall und Herzkrankheiten zu jenen Erkrankungen, die mit den größten Einbußen bei Aktivitäten des täglichen Leben alter Menschen einhergehen (14). Die Angaben zur Häufigkeit der „poststroke depression“ schwanken zwischen 20 und 60 % (2, 7, 24, 31, 36). Sie ist damit etwa vier- bis fünfmal häufiger als bei ähnlich stark behinderten orthopädischen Patienten (10). Depressive Symptome können bei alten Patienten untypisch sein, z. B. als Gewichtsabnahme, Appetitlosigkeit oder Adynamie imponieren und deshalb leicht übersehen werden. Für das Erkennen depressiver Patienten stehen eine Vielzahl von Assessment-Scores bereit, z. B. die Hamilton Rating Depression Scale, das Becks Depression Inventory oder die Geriatric Depression Scale. Die Prävalenz von Depressionen schwankt im Verlauf der Erkrankung. Eine schwere Depression trat in einer Studie im Akutstadium bei 25 % der Patienten auf, nach drei Monaten bei 31% und nach 12 Monaten nur noch bei 16 %. Der Anteil an betroffenen Patienten stieg dann jedoch im Verlauf eines weiteren Jahres auf 19 %, nach einem weiteren Jahr auf 29 % an, erreichte also wieder das Ausgangsniveau (2). Die Depression erweist sich demzufolge als ein sehr hartnäckiger Begleiter. Neben oder zusammen mit der Depression treten auch häufig Ängste auf. Angststörungen ergeben sich bei etwa 10 % der Männer und 20 % der Frauen nach einem Schlaganfall neu (8) bzw. bei 28 % der Betroffenen insgesamt (3). Der Langzeitverlauf der Angststörungen zeigt einen ähnlichen Verlauf wie bei der Depression (3). Die schwere Depression war initial vor allem mit Sprachstörungen, dem Leben allein sowie einer Schädigung im linkshirnigen, anterioren Bereich verbunden, nach drei Monaten mit geringer Selbständigkeit bei den täglichen Aktivitäten, nach zwei Jahren mit wenigen sozialen Kontakten, nach drei Jahren auch mit zerebraler Atrophie (2). Der objektivierbare neurologische Befund bildet sich bei depressiven Patienten in etwa ähnlichem Maße zurück wie bei nichtdepressiven (5). Allerdings schätzen Patienten mit depressiver Stimmung ihre neurologischen Ausfälle als schwerwiegender und ihren Rehabilitationserfolg als geringer ein (5). Ein höherer Grad an Depression geht mit einer längeren Aufenthaltsdauer in der Rehabilitation (29) einher. Die Korrelation mit den Aktivitäten des täglichen Lebens am Ende der Rehabilitationsbehandlung ist nur lose (36) oder statistisch nicht signifikant (33). Über einen längeren Nachbeobachtungszeitraum hinweg nimmt die Selbständigkeit aber ab (19). Dies war bei schweren Depressionen auch dann noch der Fall, wenn die Depression bereits abgeklungen war (24). Der bekannte Rückgang der Selbständigkeit nach der Entlassung aus der Rehabilitation, gerne der Überprotektion der Angehörigen zugeschrieben, könnte deshalb zum Teil auch durch Depressionen ausgelöst sein. Depression, funktionelle Defizite und ein nur loses soziales Netzwerk vermindern die Zufriedenheit des Schlaganfallpatienten (1). Dies bestätigt sich auch im Rahmen einer Multivarianzanalyse, nach der die Lebensqualität nach einem Schlaganfall zu einem großen Teil durch depressive Tendenzen bestimmt wird (23). Schwerwiegende Depressionen sind weiterhin mit einer höheren Mortalität im weiteren Verlauf korreliert (22, 35). Nach 10 Jahren ergab sich in einer Gruppe von depressiven Patienten eine Mortalität von 70 %, in der der nichtdepressiven jedoch nur von 41% (22); neben kardialen Erkrankungen, Risikofaktoren wie Diabetes mellitus oder hirnorganischem Psychosyndrom ist somit auch eine Depression bei der Entlassung ein negativer Prädiktor für das Überleben. Schlußfolgerungen Alle Patienten nach einem Schlaganfall müssen eine Krankheitsverarbeitung leisten, bei der eine Trauerreaktion häufig im Mittelpunkt steht. Diese kann die gesamte rehabilitative Therapie erheblich beeinflussen und sollte vom therapeutischen Team deshalb wahrgenommen und in den Teamkonferenzen besprochen werden. Durch ein therapeutisches Verhalten kann das Team den Patienten bei seiner Trauerarbeit in erheblichem Maße unterstützen. Inhalte, Intensität und Verlauf dieser Trauer sind individuell sehr unterschiedlich, so daß hier nur allgemeine Verhaltensregeln gegeben werden können. Das therapeutische Team sollte die Trauerphasen zulassen und Gefühle des Patienten wie Hoffnungslosigkeit, Niedergeschlagenheit oder Wut akzeptieren, ja den Zugang dazu durch gelegentliche Fragen fördern. Im weiteren Therapieverlauf sollte einerseits eine realistische Wahrnehmung der Defizite unterstützt werden, andererseits sind Kränkung oder eine intensive Konfrontation mit den Defiziten im Regelfall schädlich. Positive Verstärkung und Lob, vor allem das Vermitteln der Erfahrung vorhandener Fortschritte und die Einbeziehung der Angehörigen führen den Patienten aus seiner Bezogenheit auf seine Erkrankung und den damit verbundenen Verlust heraus. Das Fördern von Eigenverantwortung und K. Hager und K. Ziegler Krankheitsverarbeitung nach einem Schlaganfall das konkrete Hinarbeiten auf die neuen Lebensperspektiven sollen dem Patienten schließlich zu einer neuen Lebensorientierung verhelfen. Bei anhaltenden Copingstörungen, z. B. bei 15 depressiven Syndromen, können die zusätzliche psychotherapeutische Intervention bzw. die medikamentöse Behandlung hilfreich sein. Literatur 1. Aström M, Asplund K, Aström T (1992) Psychosocial function and life satisfaction after stroke. Stroke 23:527–531 2. Aström M, Adolfsson R, Asplund K (1993) Major depression in stroke patients. A 3year longitudinal study. Stroke 24:976–982 3. Aström M (1996) Generalized anxiety disorder in stroke patients. A 3-year longitudinal study. Stroke 27:270–275 4. Beckson M, Cummings JL (1991) Neuropsychiatric aspects of stroke. Int J Psychiatry in Medicine 21:1–15 5. Boné G, Ladurner G, Pichler M (1988) Klinische Prognosekriterien in der Rehabilitation von Insultpatienten. Rehabilitation 27: 59–62 6. 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