50 BZB März 14 Wissenschaft und Fortbildung Digitale Zahnmedizin – ein Update Von der Insellösung zum digitalen Workflow E i n B e i t r a g v o n P r o f . D r. D a n i e l E d e l h o f f u n d P r i v. - D o z . D r. F l o r i a n B e u e r, M ü n c h e n Das IDS-Jahr ist vorbei und es stellt sich wieder die Frage, welche die wichtigsten Neuerungen im Bereich der digitalen Zahnmedizin sind. Welches sind die Innovationen, die unseren Alltag in Zukunft prägen werden? Hat sich der digitale Workflow weiter verändert, der bei genauer Betrachtung zumindest bei komplexen Restaurationen immer noch ein hauptsächlich analoger Arbeitsablauf mit digitalen Inseln ist? Wir wollen nachfolgend drei Innovationen herausgreifen, die uns unsere tägliche Arbeit deutlich vereinfachen werden. Die Herstellung von implantatgetragenen Einzelkronen ist durch die Einführung eines LithiumDisilikat-Rohlings mit bereits industriell vorgefertigter Anschlussgeometrie auf Titanklebebasen für sämtliche Implantatsysteme wesentlich einfacher geworden. Was auf den ersten Blick wie ein kleiner Schritt aussieht, ist in Wirklichkeit ein sehr großer. Wollte man bisher eine keramische Restauration auf einem Einzelzahnimplantat in digitaler Technik herstellen, bei der auch die Kaufläche maschinell erstellt war, musste man zwingend ein Zirkonoxidabutment einsetzen [1,4-6,10,11,14,16]. Dieses besaß die Anschlussgeometrie zur Titanklebebasis. Weiterhin konnte dann eine digitale Lithium-Disilikat-Verblendung oder -Krone auf dem Zirkonoxidabutment gefertigt werden (Abb. 1). Beide Komponenten wurden bei der verschraubten Variante mit einem glaskeramischen Fügematerial verbunden (Abb. 2) oder es wurde als zementierte Variante die Lithium-Disililkat-Krone intraoral auf dem Zirkonoxidabutment befestigt [2,3]. Grundsätzlich stellt sich die Frage, ob eine implantatgetragene Versorgung verschraubt oder zementiert werden sollte. Diese Entscheidung wird regional sehr unterschiedlich beantwortet. Streng wissenschaftlich unterscheiden sich beide Verankerungsformen nur unwesentlich, wenn man die technischen Komplikationen betrachtet. So lag das Risiko für eine Schraubenlockerung bei einer Einzelkrone etwas über dem eines Retentionsverlusts [13]. Allerdings gilt zu bedenken, dass bei diesem systematischen Review nur Studien mit einer Beobachtungszeit von mehr als fünf Jahren aufgenom- Abb. 1: CAD/CAM-gefertigte Komponenten für implantatgetragene Einzelkrone: Klebebasis, Zirkonoxidabutment/-gerüst, Lithium-Disilkat-Verblendung (Metasilikat); (Zahntechnik: J. Schweiger, LMU München) men wurden und dabei hauptsächlich Implantatsysteme mit Außenverbindung zwischen Implantat und Abutment enthalten waren. Der Trend zu den Innenverbindungen schaffte es, die Komplikation der Schraubenlockerung deutlich zu reduzieren [12]. Bezogen auf biologische Komplikationen gilt zu bedenken, dass im Sulkus verbliebene Zementüberschüsse einen Hauptgrund für Entzündungen der periimplantären Gewebe darstellen [18]. So konnte Wilson in einer klinischen Untersuchung mithilfe der Endoskoptechnik zeigen, dass 81 Prozent der Fälle mit Zementresten im Sulkus auch Zeichen einer periimplantären Entzündung aufwiesen [18]. Nach der Entfernung der Überschüsse heilten 74 Prozent der Fälle wieder komplett aus. Um das Risiko dieser Überschüsse zu vermeiden, können Einzelkronen alternativ verschraubt werden. Der Vorteil der bedingten Entfernbarkeit muss jedoch mit dem okklusal liegenden Schraubenkanal erkauft werden. Weiterhin limitiert die Implantatachse manchmal die Möglichkeit der Verschraubung genau dann, wenn zum Beispiel der Schraubenkanal labial im Frontzahnbereich liegt. Wird eine verschraubte Versorgung präferiert, stellt sich weiterhin die Frage, ob für eine zahnfarbene beziehungsweise keramische Versorgung ein Gerüst aus Zirkonoxidkeramik erforderlich ist. Ein von den Autoren inzwischen standardmäßig durchgeführtes Verfahren stellt die Versorgung von Einzelzahn- Wissenschaft und Fortbildung BZB März 14 Abb. 2: Zirkonoxidabutment/-gerüst und Lithium-Disilikat-Verblendung nach dem Fügebrand vor dem Verkleben mit der Titanbasis (Zahntechnik: J. Schweiger, LMU München) Abb. 3: Lithium-Disilikat-Rohling mit vorgefertigtem Schraubenkanal Abb. 4: Bearbeiteter Lithium-Disilikat-Rohling, Ansicht von apikal, dadurch ist die Anschlussgeometrie zur Titanklebebasis mit Rotationsschutz sichtbar. Abb. 5: Bearbeiteter Lithium-Disilikat-Rohling vor finalem Brand auf Klebebasis aufgesetzt implantaten mit Lithium-Disilikat-Hybridkronen dar, die jedoch bisher nur in Presstechnik (IPS e.max Press, Ivoclar Vivadent) hergestellt werden konnten. Seit Mitte vergangenen Jahres ist diese Versorgungsform auch in der CAD/CAM-Variante erhältlich (Abb. 3). Die Anschlussgeometrie zur Titanklebebasis ist bereits werkseitig vorgefertigt, es wird lediglich die Außengeometrie im CAD/CAMSystem bearbeitet (Abb. 4). Bei diesen Hybridkronen wird auf das Abutment verzichtet und die Krone direkt auf der Klebebasis befestigt (Abb. 5). Durch die Verschlankung der Restauration stellt diese Form eine sehr effiziente Alternative zur herkömmlichen Vollkeramikkrone auf einem Abutment dar. Weiterhin gibt es keinen Übergang zwischen Abutment und Restauration, was neben dem positiven biologischen Effekt auch ästhetische Vorteile mit sich bringt, da nun bei eventuellen Rezessionen des Weichgewebes kein andersfarbiges Abutment sichtbar werden kann. Erst, wenn die Rezession bis auf die Implantatschulter hinabreicht, wäre der ästhetische Misserfolg gegeben. Die adhäsive Verbindung von Lithium-Disilikat und Titan ist unkomplizierter als bei der Verwendung von Zirkonoxid, da durch den Einsatz von fünfprozentiger Flusssäure über eine Kontaktzeit von 20 Sekunden sehr zuverlässig ein retentives Ätzmuster in dieser Keramik erzielt werden kann. Der bei Zirkonoxid erforderliche Strahlprozess ist dagegen aufgrund der spezifischen Geometrie der zu verklebenden Abutments nicht optimal einsetzbar. Die Möglichkeit, Lithium-Disilikat-Keramik zu ätzen, erlaubt weiterhin ein sicheres und sauberes Verschließen des Schraubenkanals mittels Komposit. Zu bedenken ist allerdings bei dieser Versorgungsform, dass Kronen- und Befestigungsmaterialien die Klebebasis maskieren müssen. Dies kann vor allem bei dünnen Schichtstärken durchaus schwierig werden. Für das Lithium-Disilikat-Kronenmaterial stehen allerdings verschiedene Opazitätsstufen des Rohlings zur Verfügung. Weiterhin gibt es ein speziell für diese Indikation optimiertes, chemisch härtendes Befesti- 51 52 BZB März 14 Wissenschaft und Fortbildung Abb. 6: CAD-Konstruktion der Aufbissschiene: Festlegen der Grenzen (Zahntechnik: J. Schweiger, LMU München) Abb. 7: Virtuelle Modelle mit konstruierter Schiene im Oberkiefer Abb. 8: Virtuelle Schiene nach der Simulation der dynamischen Okklusion (Protrusion und Laterotrusion nach links und rechts) mit angezeigten Kontakten Abb. 9: Schiene ausgefräst vor dem Abtrennen der Halteverbindungen gungskomposit (Multilink Hybrid Abutment, Ivoclar Vivadent), das durch seine hohe Opazität die graue Klebebasis in den meisten Fällen ausreichend maskiert. Die ästhetischen Ergebnisse sind als sehr gut und in den meisten Fällen anderen vollkeramischen Konzepten zumindest ebenbürtig oder überlegen zu beurteilen. Bei aller Euphorie muss allerdings bedacht werden, dass es nur Erfahrungsberichte einzelner Autoren zu diesem Konzept gibt und wissenschaftlich belastbare klinische Daten noch ausstehen. Auch sollte mittels Histologie die Reaktion der Weichgewebe im Durchtrittsbereich auf das Material Lithium-Disilikat untersucht und mit den heutigen Standardmaterialien Titan und Zirkonoxid verglichen werden. Das Wesentliche an dem neuen Rohling ist jedoch, dass jetzt eine definitive Sofortversorgung für Implantate in der Insertionssitzung möglich ist – in Kombination mit einem puderfreien Intraoralscanner. Vergleicht man dies jetzt mit dem konventionellen Arbeitsablauf, so verfährt man digital nicht nur ebenbürtig, sondern deutlich besser. Eine Präzisionsabformung einer offenen Wunde ist praktisch nicht möglich, ein puderfreies Scannen jedoch problemlos. CAD/CAM-gefertigte Schienen aus transparentem Polycarbonat Während sich die digitale Fertigung in der Vergangenheit hauptsächlich mit festsitzenden Versorgungen beschäftigte, geraten inzwischen auch herausnehmbare Restaurationen zunehmend in den Fokus. Ein Beispiel für die Erweiterung des Anwendungsspektrums eines vorhandenen CAD/CAM-Systems ist die einfache und kostengünstige Herstellung von Aufbissschienen. Nach der Digitalisierung der intraoralen Situation in indirekter (derzeit Standard) oder direkter Technik (derzeit noch experimentell) erfolgt die CAD-Konstruktion der Schiene (Zirkonzahn. Modellier, Zirkonzahn). Dabei werden die Unterschnitte ausgeblockt und die Grenzen der Schiene virtuell festgelegt (Abb. 6). Die virtuellen Modelle werden in einem virtuellen Artikulator montiert und es erfolgt ein Konstruktionsvorschlag für die Schiene nach den festgelegten Grenzen und Parametern (Abb. 7). Anschließend werden die statischen und dynamischen Kontakte im virtuellen Artikulator angezeigt und können verändert werden (Abb. 8). Die Daten werden durch die CAM-Software weiterverarbeitet und an die 5-Achs-Fräseinheit (M5, Zirkonzahn) gesendet. Dort wird aus einem trans- Wissenschaft und Fortbildung BZB März 14 Abb. 10: Schiene zur Überprüfung der Passung und Okklusion in den Artikulator eingesetzt Abb. 11: Die ausgearbeitete und polierte Schiene parenten Polycarbonat-Rohling (Temp Premium Flexible, transparent, Zirkonzahn) die Schiene ausgefräst (Abb. 9). Der verwendete Werkstoff eignet sich durch seinen relativ niedrigen Elastizitätsmodul für die Herstellung von Aufbissschienen und ermöglicht ein problemloses Ein- und Ausgliedern. Nach dem Abtrennen der Halteverbindungen der Schiene lassen sich die Passung und Okklusion im (reellen) Artikulator überprüfen (Abb. 10). Nach kurzer Politur (Abb. 11) kann die Schiene eingegliedert werden (Abb. 12a bis c). Nach einer Lernkurve konnten wir die Einstellungen der Software soweit optimieren, dass ein suffizienter Halt bei gleichzeitig guter Handhabung durch den Patienten gewährleistet war. Es ergeben sich die gleichen Vorteile, die man bereits von digital gefertigten Restaurationen kennt: hohe Materialqualität und Reproduzierbarkeit. Sollte die Schiene einmal verloren gehen, kann auf Knopfdruck problemlos eine formidentische zweite Version hergestellt werden. auch die damit verbundene neu gestaltete statische und dynamische Okklusion detailgetreu wiedergeben. Erste klinische Erfahrungen der Autorengruppe zeigen, dass eine sehr hohe Compliance der Patienten mit diesen zahnfarbenen Okklusionsschienen erzielt wird, da sie, vergleichbar mit einer herausnehmbaren provisorischen Versorgung, aufgrund des akzeptablen ästhetischen Erscheinungsbildes und der zahnähnlichen Morphologie auch im beruflichen und privaten Umfeld dauerhaft getragen werden können [15]. Lediglich bei der Nahrungsaufnahme sind diese Schienen aufgrund der insuffizienten Retention CAD/CAM-gefertigte Schienen aus zahnfarbenem Polycarbonat Zahnfarbenes Polycarbonat scheint sich ebenso als eine interessante Materialvariante für verschiedene Formen von CAD/CAM-gefertigten Schienen anzubieten [15]. Durch die gegenüber Polymethylmethacrylaten höhere Flexibilität sind Schienen aus Polycarbonat weniger frakturanfällig und können somit sehr dünn ausgearbeitet werden [17]. Dies ist für die Patienten von Vorteil, da die Materialeigenschaften eine weniger auftragende, der späteren Realmorphologie sehr nahe kommende Formgebung ermöglichen. Des Weiteren besteht bei ausgedehnten Veränderungen der Vertikaldimension der Okklusion (VDO) die Option, gleichzeitig zwei Schienen jeweils für den Ober- und den Unterkiefer einzusetzen, die das okklusale Relief eines Waxups und damit neben der neu definierten Bisslage a b c Abb. 12a bis c: In den Patientenmund eingesetzte Schiene 53 54 BZB März 14 Wissenschaft und Fortbildung Abb. 13: Ausgangssituation Lateralansicht: Der primär durch erosive Ursachen bedingte hohe Destruktionsgrad der Zähne hat bei einem 21-jährigen Patienten zu massiven funktionellen und ästhetischen Problemen geführt. Abb. 14: Ästhetische Evaluierung des Wax-ups: Die 0,5 mm starke diagnostische Schablone aus Polyester ist mit einem BisGMA-basierten Restaurationsmaterial gefüllt und kann von den zuvor mit dünnflüssiger Vaseline isolierten Zähnen problemlos wieder entfernt werden (Ztm. Marc Ramberger, LMU München). nicht einsetzbar, womit sie 23 Stunden am Tag getragen werden könnten. Zahnfarbene Schienen können zukünftig in verschiedenen Formen in den Behandlungsablauf von komplexen Fällen integriert werden. Das Autorenteam nutzt sie zurzeit vornehmlich um bei stark veränderten Okklusionsverhältnissen eine längerfristige funktionelle und ästhetische Evaluierung vorzunehmen (Abb. 13). Dazu wird nach der Erstellung eines analytischen Wax-ups zunächst eine erste ästhetische Evaluierung durch den Patienten mithilfe einer diagnostischen Schablone vorgenommen (Abb. 14). Anschließend kann, abhängig Abb. 15: Ansicht der Ronde aus Polycarbonat (Temp Premium Flexible, Zirkonzahn) nach Abschluss der Fräsung einer Ober- und Unterkieferschiene („ZweiSchienen-Konzept“); (Josef Schweiger, LMU München) vom Platzangebot, eine Übertragung des Wax-ups mit der rekonstruierten VDO in zwei zahnfarbene Repositionierungsschienen aus Polycarbonat für den Ober- und Unterkiefer durchgeführt werden (Abb. 15 bis 16d). Während der bis zu einjährigen ästhetischen und funktionellen Evaluierungsphase sind unter Berücksichtigung der Patientenwünsche noch Modifikationen an der Schiene möglich (Abb. 17). Anschließend kann eine segmentale Umsetzung in die definitiven Restaurationen vorgenommen werden, beispielsweise durch eine quadrantenweise Präparation und Übertragung der erprobten Kieferrelation-geteilten Okklusionschienen a b c d Abb. 16a bis d: Fertiggestellte Polycarbonat-Schienen nach der Ausarbeitung und Politur. Auffällig ist die grazile Schichtstärke. Die Morphologie gibt das im Wax-up festgelegte Okklusionsmuster wieder (Josef Schweiger, LMU München). Wissenschaft und Fortbildung BZB März 14 Abb. 17: Lateralansicht nach Eingliederung der Ober- und Unterkieferschiene Abb. 18: Okklusalansicht der eingegliederten Schiene im vierten Quadranten [7,8]. Bei dem dargestellten Patientenfall wurde das Material Temp Premium Flexible (Zirkonzahn) verwendet, das in den Einfärbungen A1-B1, A2-B2 sowie A3-B3 verfügbar ist (Abb. 18) [9]. Auch wenn Langzeiterfahrungen mit CAD/CAMgefertigten zahnfarbenen Okklusionsschienen aus Polycarbonat noch ausstehen, können aufgrund der ersten klinischen Erfahrungen des Autorenteams zahlreiche Vorteile für die funktionstherapeutische Vorbehandlungsphase herausgestellt werden. Sie erlauben eine zeitnahe und reversible Umsetzung funktioneller und ästhetischer Veränderungen und die damit verbundene Evaluierungsmöglichkeit. Es wird aufgrund eines restaurationsähnlichen Erscheinungsbildes eine hohe Compliance durch den Patienten erzeugt. Wir bezeichnen die zahnfarbene Schiene auch als „23-Stunden-Schiene“ oder als „herausnehmbares Provisorium“. Weiterhin wird das Vorgehen bei komplexen Rehabilitationen erheblich vereinfacht, indem eine segmentale Überführung in die definitiven Versorgungen ermöglicht wird. Dies gilt insbesondere bei der Verwendung des „Zwei-Schienen-Konzepts“ mit einer Ober- und einer Unterkieferschiene. Es besteht zudem die Option einer abgestuften Hinführung zum definierten Behandlungsziel durch verschiedene Modifikationen des digitalen Datensatzes. Danksagung Die Autoren danken Clemens Schwerin von der Firma Zirkonzahn/Italien für seine Unterstützung bei der softwaretechnischen Umsetzung der zahnfarbenen Okklusionsschienen. Korrespondenzadressen: Prof. Dr. Daniel Edelhoff Leitender Oberarzt Priv.-Doz. Dr. Florian Beuer Oberarzt Poliklinik für zahnärztliche Prothetik Ludwig-Maximilians-Universität München Goethestraße 70, 80336 München [email protected] [email protected] Literatur bei den Verfassern 55