Zu den Arbeiten von Mariken Dumon Das zwar quantitativ noch nicht umfangreiche, dafür aber um so dichtere Werk Mariken Dumons zeugt von ungewöhnlicher symbolischer Kraft. Grundsätzlich fällt zweierlei spontan auf: Die Objekte tendieren dazu, die Wahrnehmung der Materialqualitäten zu irritieren. Der Prozeß der Deutung bleibt unabgeschlossen, so daß die Werke Dumons sich Werke zu immer neuer, dabei keineswegs redundanter Auseinandersetzung anbieten. Materie Mariken Dumon zeigt in ihren Installationen eine profunde Kenntnis der Materialeigenschaften insbesondere des Glases. Sie arbeitet diese spezifischen Qualitäten heraus, indem sie Glas mit anderen Materialien kombiniert, die jedoch äquivalente Eigenschaften aufweisen: Wasser hebt das Moment des Fließenden der in Bewegung erstarrten Glasmasse hervor; Nylonfäden, mit denen sie die Glasobjekte befestigt, verweisen auf dessen Transluzidität. Zugleich bilden die Materialien einen geradezu sinnlich wahrnehmbaren Kontrast, indem z.B. die Flüchtigkeit des Wassers die taktile Härte des Glases hervorhebt. Diese Dichotomie ist insofern Mittel, Materialqualitäten aus ihrem alltäglichen Kontext zu lösen und einer philosophisch metaphysischen Betrachtung zuzuführen, die ihren Anfang in einem Rekurs auf Heraklit nimmt (etwa in dessen ‚panta rhei’ oder der elementaren Bedeutung des Feuers). Gerade am Beispiel der bereits erwähnten Verbindung von Glas und Nylonfäden zeigt sich, wie Dumon die tradierte Ikonographie des Materials einsetzt: Glas, dem die mittelalterliche Aura des Alchemistischen anhängt, trifft auf die Massenware Nylon, in der sich die industrielle Moderne verdinglicht und symbolisiert. Diese Spannung - im Sinne einer Neudeutung des Materials - wird dann im Zusammenwirken von Objekt und Raum aufgenommen. Aufgrund ihrer Kargheit und der Konzentration auf spezifische physikalische Phänomene zeigen die Installationen eine Affinität zur Kunst der 1960er und 70er Jahre, wie sie etwa Künstler der Arte povera und Beuys schufen: Die plastischen Formationen sind im Eingehen auf die räumlichen Gegebenheiten temporär. Farbspuren und Anordnung der Objekte tragen den Aspekt des Kontingenten, Veränderbaren. Form Für ihre Installationen verwendet Dumon Glaskörper, die sie selbst am Ofen bläst. Ihre Formen rufen oft biologische Assoziationen hervor, sie ähneln Adern, Nervenbahnen, Pflanzen oder aber Gebilden gefrorenen Wassers. Auch die einfachen Kugeln, die sie für Installationen verwendet, scheinen gleichsam in natürlichen Prozessen ohne sichtbare äußere Manipulationen entstanden. Von der Decke herabhängend verstärkt sich in diesen Gebilden ein Moment des zur Form erstarrten Fließenden, Herabfallenden; eine imaginäre Flüssigkeit, in ihrer der Schwerkraft folgenden Bewegung, wurde scheinbar in der gleichmäßigen Bewegung aufgehalten und bildete Ausbuchtungen. Insbesondere der undefinierte Aggregatzustand der Glasmasse - zwischen fest und flüssig - unterstützt diese Formgebung. Dumon knüpft mit diesen Formen auch an Gestaltungsprinzipien an, die vor allem seit der Jahrhundertwende 1900 bildende wie angewandte Künste prägten, indem sie Strukturen der Biologie zum Ausgangspunkt neuer Formgebung nahmen. Diese Suche nach den in allen Erscheinungen des Lebens wiederkehrenden Urformen, Topos auch der modernen Kunst, nimmt gleichermaßen Gedanken der antiken Philosophie - etwa Platons auf. Raum Die Glasinstallationen Dumons kehren das Verhältnis von Raum und Inhalt gewissermaßen um. Nicht der Raum umschließt die Dinge, vielmehr durchdringen die Objekte die Raumhülle und lassen sie in der Installation aufgehen. Sie reagieren auf die räumlichen Gegebenheiten 1 und entkleiden sie ihrer gewöhnlichen Funktionen. Die Kunstobjekte entfalten eine geradezu biomorphe Existenz, nehmen gleich phototaktischen Pflanzen oder interessierten Lebewesen etwa Wasserdampf auf oder vollziehen die Bewegung von Fallrohren nach. Hier manifestiert sich zugleich eine äußerst suggestive narrative Ebene der Kunst Dumons. Eine andere, eher an die Minimal Art erinnernde Variante, auf den Raum einzugehen, bilden die auf den Grund aufgebrachten, oftmals kalligraphieartigen Tintenspuren, die aus Glaskugeln sickern. Die neutrale Bodenfläche wird zu einem Malgrund von spezifischer Materialqualität und wird so zu einem Bestandteil des Kunstwerkes. Sinnenhaftes und Erhabenes Als primäre Rezeptionsdimension der Werke Dumons ließe sich die Wahrnehmung mit Hilfe elementarer Erfahrungen der Naturwissenschaften definieren. Daneben tritt die metaphysische Ebene enigmatischer Zeichen und Symbole, die die Betrachtenden fast dazu nötigen, es mit Bedeutung zu versehen und ein Referenzsystem herzustellen. So dienen die Spuren farbiger Flüssigkeiten nicht nur dazu, Raum und Installation aufeinander zu beziehen. Vielmehr fungieren sie als runenartige Zeichen und verleihen auch den Glasobjekten den Status des Zeichens in Sinnen eines Behälters, der mit Bedeutung zu füllen ist. Die besondere Qualität der Arbeiten Dumons liegt m .E. im Spannungsverhältnis zwischen sinnlicher bzw. konkreter und metaphysischer Dimension, das ihre Werke ausdrücken. Dadurch gelingt es ihr, die Betrachtenden fast unausweichlich in die Installation zu involvieren und das Erlebnis des Erhabenen durch die sinnlichen Eindrücke zu initiieren. Dumon bezieht sich mit dem Terminus des Erhabenen vor allem auf Barnett Newman und Edmund Burke, letztlich auch auf Kant. Als Transzendenz im weitesten Sinne gilt das die gewöhnliche Erfahrung Übersteigende, die das betrachtende Subjekt auf sich selbst zurückwirft. Dies impliziert einen Moment des Selbstverlustes im existentiellen Staunen, das in den raumgreifenden Installationen der Künstlerin zum Tragen kommt. Kunst und Kunsthandwerk Ebenso fruchtbar scheint mir Dumons Bestreben, die Grenze zwischen Kunst und Kunsthandwerk, die gerade in Bereich der Glaskunst gezogen wurde, aufzulösen. Der Schaffensprozeß ist für sie ein wesentlicher Bestandteil des Kunstwerkes, da sich erst im Moment der Auseinandersetzung mit der Materie endgültige Formen der Gestaltung zeigen. Die eigentlich naheliegende Überzeugung, künstlerische Gestaltung mit Glas erfordere nicht nur theoretische Kenntnisse, sondern weitreichende Erfahrungen im Umgang mit dem Material, setzte sich im Zuge der Studioglas-Bewegung auch in Europa durch: Im Bereich der Glaskunst arbeiteten vorwiegend kunsthandwerklich geschulte KünstlerInnen. Kunstkritiker wie H. Ricke forderten, vor allem um eine künstlerische Stagnation der Glaskunst zu verhindern, die Ausführung der künstlerischen Entwürfen technisch versierten Handwerkern anzuvertrauen. An dieser Kontroverse wird vor allem deutlich, daß diese Differenzierung inzwischen zu einem Anachronismus geronnen ist. Möglicherweise liegt hier das entscheidende Kriterium im spezifischen Kunstwollen eines jeden Künstlers/einer jeden Künstlerin, doch erlegt eine nicht ausreichende Beherrschung der Technik den künstlerischen Ausdrucksmöglichkeiten in jedem Fall erhebliche Beschränkungen auf. Traditionelle wie innovative Glasbearbeitungen beeinflussen Entwurf und Gestaltung maßgeblich. Wie schon die Diskussionen um 1900 in vielen Breichen der Glaskunst und des Kunsthandwerks belegen, erfordert das Entwerfen umfassende praktische Kenntnisse der Materie. Mariken Dumon fertigte bisher alle Glasobjekte ihrer Installationen selbst. Materialqualitäten bilden eine wesentliche Dimension ihres Werkes. Sie demonstrieren eine große Sensibilität im Umgang mit den Werkstoffen wie auch in der daraus hervorgegangenen Formgebung. 2 Daher ist auch der Schaffensprozeß, der ein umfassendes Repertoire an Bearbeitungstechniken voraussetzt, von erheblicher Bedeutung für ihre Kunst. Dr. Katrin Holthaus August 2008 3