Małgorzata Bogaczyk-Vormayr Aus den alten Texten für das heutige Leben lernen (Rede an die Gäste der Salzburger Hochschulwoche 2011) Sehr geehrte Damen und Herren, liebe Gäste! Ich freue mich, dass ich heute bei dieser feierlichen Gelegenheit ein paar Worte über das abgeschlossene Forschungsprojekt zu Patristik und Resilienz sagen darf. Das Projekt mit dem genauen Titel „Resilienz und altchristliche Literatur“ dauerte am ifz von Anfang 2009 bis Anfang 2011 und brachte in dieser Zeit junge Forscherinnen und Forscher aus mehreren Ländern und mehreren Disziplinen zusammen. Was verstehen wir unter „Resilienz“? Was ist der Sinn und das Ziel eines solchen Projektes, das die Texte der Kirchenväter in den Kontext der modernen Resilienzforschung – der Forschung zur Krisenbewältigung – stellt? Und haben wir dieses Ziel erreicht? Anfang 2009 trafen wir uns hier, junge Doktorandinnen und Doktoranden, um dieses interdisziplinäre Projekt auf die Beine zu stellen. Verschiedene Wege haben uns hierher geführt, wir kamen aber alle ans ifz mit dem gleichen, starken Bedürfnis, an einem Ort zu arbeiten, an dem die „Wissenschaft für Menschen“ die Basis bildet. Das heißt: Wir haben von Anfang an gewusst, dass wir die Themen und Ergebnisse unserer Forschung im Spiegel der heutigen Fragen und Probleme unserer Gesellschaft darstellen wollen. Die Resilienzforschung hat in den letzten Jahren sehr an Popularität gewonnen, international wie auch interdisziplinär. Auf die Resilienzforschung wurden auch im deutschsprachigen Raum einige Theolog/inn/en und Philosoph/inn/en aufmerksam, jedoch hörten wir im Laufe unserer Arbeit oft die Frage: Was ist der eigentliche Sinn dieses Dialogs zwischen der modernen Forschung zur Schicksalsresistenz und der Auseinandersetzung mit den Texten der Kirchenlehrer. Meine erste Antwort auf eine solche Frage ist die historische Bedeutsamkeit der Tradition, eine weitere Antwort wäre die Gegenwärtigkeit der Tradition. Das wissen wir alle: Wo immer die Humanwissenschaften jene Fragen zu beantworten 1 versuchen, welche den Sinn des menschlichen Daseins betreffen, stoßen sie auf Begriffe, Aussagen und Ratschläge, welche bereits in den klassischen Texten vorgebracht wurden – von griechischen, indischen, chinesischen Philosophen, Medizinern oder Künstlern, von lateinischen Staatstheoretikern oder, beispielsweise, von frühchristlichen Denkern, ersten Kirchenschriftstellern und Wüstenmönchen. In unserer Forschung wollten wir also jene Impulse herausarbeiten, die aus den Homilien, Briefen und theologisch-philosophischen Werken der ersten Christen für die moderne interdisziplinäre Forschung von Bedeutung sein könnten. Wir haben uns diesen Menschen aus den alten Traktaten angenähert – soweit es uns möglich war – und haben diese Frage nach dem Sinn und Ziel unserer Forschung jede für sich und auch gemeinsam beantwortet. Die altchristlichen Autoren sprachen in ihren Texten von den Kräften der Seele: Glaube, Hoffnung, Wille, Selbstwirksamkeit, Freiheit, Mitleid. Wir haben Resilienz als Seelenkraft definiert und den Resilienzprozess, d.h. einen komplexen Ablauf der Krisenbewältigung, als einen Prozess der Seelenstärkung bezeichnet. Unsere Vertiefung in die Texte der Kirchenväter förderte auch bei uns eine gewisse, wie das Augustinus nennt, Erforschung des Selbst. Ich spreche jetzt von meinen Arbeitskolleginnen, Freunden und von mir – wir haben in diesen zwei Jahren der Auseinandersetzung mit der Resilienzforschung und der Patristik wichtige Schritte in unserer Arbeit und in unserem Leben gemacht. Die Spuren davon findet man in unseren Aufsätzen und in unseren Beiträgen für den Sammelband „Patristik und Resilienz“. In diesem Buch, das im Akademie-Verlag erscheinen wird, werden erstens die Beiträge des Patristik-Kolloquiums veröffentlicht, das am ifz unter dem Titel „Über die Seelenkraft“ im November 2010 stattgefunden hat: Texte von Barbara Müller, Josef Rist und Wilhelm Blum. Zweitens stoßen Sie dort auf Texte von anerkannten Resilienzforschern verschiedener Disziplinen, wie Udo Manshausen und Clemens Sedmak. Und letztlich finden Sie darin Beiträge aus unserer Arbeitsgruppe: die Psychologin Linda van der Zijden setzt sich mit den Confessionen von Augustinus auseinander, die sie als autobiografische Art der Selbsterforschung und der resilienten Heilung betrachtet; der Philosoph David Lang vergleicht die altchristliche Akedia-(also Traurigkeits)-Lehre mit den modernen Auffassungen von Depression. Wir hoffen, mit dem Sammelband „Patristik und 2 Resilienz“ einerseits den an Resilienz Interessierten einige Hinweise auf bemerkenswerte patristische Texte geben zu können und andererseits die Theologen und Philosophen auf die Relevanz ihrer Disziplinen für die Resilienzforschung aufmerksam zu machen. Allerdings hat in unserer interdisziplinären Forschungsgruppe jeder von uns seine Hauptbereiche und besonderen Interessen an der Resilienzforschung gehabt. So möchte ich jetzt ein paar Worte mehr über die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter des ResilienzTeams sagen. Linda van der Zijden, eine holländische Psychologin (welche aus Wien nach Salzburg wechselte) und der Sozialanthropologe Åsmund Aamaas aus Norwegen haben sich auf so spezielle Fragen der Resilienzforschung wie Sinnkrise, Exil, Armut, Arbeit und Arbeitslosigkeit bezogen, und waren somit für die Organisation der Tagung „Salzburger Anstöße 2010: Resilienz und Arbeitslosigkeit“ verantwortlich. Der deutsche Philosoph David Lang beschäftigte sich hauptsächlich mit den philosophischen und anthropologischen Theorien des Optimismus. Ich selbst konzentrierte mich von Anfang an auf die Wirkungsgeschichte der patristischen Charakter- und Seelenkonzeptionen. Ich möchte hier auch jene Kolleginnen und Kollegen erwähnen, die uns bei diesem Projekt unterstützt haben: der Theologe Elias Stangl, der sich im Frühjahr 2009 mit der Lebensphilosophie der Wüstenmönche auseinandersetzte, Justine Allain Chapman, eine englische Theologin und Pastorin, die uns als Gastreferentin im Februar 2010 besuchte und für den Sammelband einen Beitrag über Johannes Cassianus schrieb, sowie Lyudmyla Osmak, eine ukrainische Theologin, die 2010 am ifz zum Thema der Menschenwürde und Kinderrechte im Markusevangelium arbeitete. Diese gute Zusammenarbeit wäre nie möglich gewesen ohne finanzielle, organisatorische und wissenschaftliche Unterstützung von sehr vielen Menschen. Der größte Dank geht an den Verein der Freunde des ifz; ein Dankeschön auch an die Koordination und das Präsidium des ifz. Wir wissen es sehr zu schätzen, auf dem Mönchsberg arbeiten zu dürften und empfinden diesen Menschen gegenüber viel Dankbarkeit. Unsere Arbeitsgruppe zwischenmenschlichen wurde Begegnung zu ebenso einem „Ort“, diente wie der einem einer prägenden, wissenschaftlichen Austausch. Wenn ich an diese vergangene Zeit denke, erinnere ich mich an eine 3 Geschichte aus der Sammlung Weisung der Altväter – einer Sammlung von MönchsGeschichten aus dem 2. bis 5. Jahrhundert. Diese Geschichte möchte ich Ihnen jetzt ganz kurz mit eigenen Worten erzählen und damit enden: Es gab einmal drei Freunde, die gemeinsam studiert hatten. Nach dem Studium entschlossen sich alle drei, den Menschen zu dienen. Jeder aber auf eine andere Art. Der erste sagte, er gehe zu den Menschen, die im Streit sind, um diese wieder zum Frieden zu bringen. Der zweite wollte den Kranken dienen und der dritte wollte als Mönch in die Wüste gehen. Der erste also arbeitete mit den Menschen, die in Konflikten waren, und er bemühte sich sehr und half vielen Menschen. Jedoch entstanden täglich neue Streitereien und Kämpfe und er musste jeden Tag von vorne anfangen. Er verstand, dass man nicht alle Streitereien der Welt auflösen kann. Er war müde und enttäuscht und entschloss sich aufzuhören und zu seinem Freund zu gehen, der in einem Lazarett tätig war. Die zwei arbeiteten zusammen und sahen täglich so viel Elend und Leid, dass es über ihre Kräfte ging. Sie entschlossen sich, einen Rat bei dem dritten Freund zu suchen und gingen in die Wüste. Sie saßen jetzt wieder zu dritt, allerdings in einem Kellion, in der Zelle einer Einsiedelei. Der Mönch hörte ihre Geschichten an und goss Wasser in ein Gefäß. Er sagte zu den Freunden, sie sollen jetzt hineinschauen. Am Anfang war das Wasser noch unruhig, aber dann bewegte sich nichts mehr und sie saßen ganz ruhig und sahen ihre Gesichter im Wasserspiegel. Der Mönch sagte: Erst in der Ruhe kann man die eigenen Fehler sehen und gute Lösungen finden und die Kräfte wiederaufbauen. Diese Geschichte erzählt erstens von der Resilienz. Zweitens zeigt sie die Bedeutung der Einsamkeit auf, der Zeit und vor allem der Ruhe, die bei jeder Auseinandersetzung mit einem Problem notwendig sind – auch in der wissenschaftlichen Arbeit. Drittens spricht sie von der Bedeutung der Gemeinschaft – Rat zu suchen, Rat zu geben, sich zu versammeln. Deswegen erinnert mich diese Geschichte so stark an die vergangene gemeinsame Zeit der Resilienz-Arbeitsgruppe hier am ifz. Ich danke Ihnen für Ihre Aufmerksamkeit! Salzburg, am 5. August 2011 4