This is my father, und das bin ich

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Dienstag, 21. Juni 2005
ZÜRICHSEE
Zürichsee-Zeitung Rechtes Ufer
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«This is my father, und das bin ich»
Region: Neues Fremdsprachenkonzept – fünf Pioniergemeinden haben mit Frühenglisch gute Erfahrungen gemacht (zweiter Teil)
dentin Sylvia Zwicky nicht daran,
dass die Primarschüler überfordert
seien, wenn sie Englisch und Französisch lernen müssen. Sollte ein Kind
aber tatsächlich überfordert sein,
müsse individuell nach Lösungen gesucht, allenfalls das Kind von einer
Sprache befreit werden, sagt Zwicky.
«Aber die Chance, früh zwei Sprachen lernen zu können, müssen wir
bieten.»
Etwas zurückhaltender äussert
sich die Horgner Schulpräsidentin
Irene Schneider. Sie begrüsst zwar,
dass man den Versuch wagt, zwei
Fremdsprachen an der Primarschule
zu unterrichten. Sehr genau müsse
aber beobachtet werden, ob dies
funktioniere. «Sollte sich zeigen,
dass viele überfordert sein werden,
muss Französisch auf die Oberstufe
verlegt werden», findet Schneider.
Die meisten Schulen in der Region
Zürichsee haben die Einführung von
Frühenglisch noch vor sich («ZSZ»
vom 16. Juni). Was kommt auf sie
zu? Können Zweit- respektive Drittklässler mit einer Fremdsprache etwas anfangen? Lehrerinnen aus Oberrieden und Uetikon wissen es: Sie haben Frühenglisch bereits letzten
Sommer eingeführt.
ANDREAS SCHÜRER
Manchen Primarschülern ist das
Englisch näher als das Schweizerdeutsch. «Du bisch en Luuser», sagt
Cécile Hälg zu einem Schüler. Er entgegnet: «Nein, ich habe in der Pause
das Fussballspiel gewonnen.» Er hat
verstanden, die Lehrerin halte ihn für
einen «Looser», einen Verlierer.
Dass die Kinder einen guten Zugang zum Englisch haben, wird in
der Lektion von Cécile Hälg rasch
deutlich. Die 22 Uetiker Kinder sitzen in ihrem Klassenzimmer im
Kreis und zeigen sich mitgebrachte
Familienfotos. Die Lehrerin fragt:
«Who is this?» Ein Schüler antwortet: «This is my father, und das hier
bin ich.» Dann ahmen die Zweitklässler die Frage der Lehrerin nach
und erklären, wer wer ist auf den Fotos – unbekümmert, munter Deutsch
und Englisch mischend.
Auch die Begabten fördern
Meinung über Frühenglisch geändert
«Die Erfahrungen sind gut» – dies
vermelden auch die anderen vier
Schulgemeinden am Zürichsee, die
Frühenglisch bereits im Sommer
2004 eingeführt haben: Oberrieden,
Herrliberg, Zollikon und Stäfa. Bewährt hat sich das neue Primarschulfach auch im Adliswiler Schulhaus
Sonnenberg, das an einem Pilotversuch teilgenommen hat und Frühenglisch nun weiterführt.
Stefanie Ulrich, Primarlehrerin in
Oberrieden, sagt: «Zu Beginn war ich
gegen Frühenglisch. Inzwischen habe ich meine Meinung geändert.» Die
Kinder seien begeistert. Da Englisch
auf dieser Stufe kein Leistungsfach
sei, würden sich auch schwächere
Schüler wohl fühlen. Richtig findet
Ulrich inzwischen auch, dass Frühenglisch im Kanton Zürich bereits in
der zweiten Klasse beginnt – ein Jahr
früher als in den Kantonen St. Gallen
und Schwyz, die der Empfehlung der
Schweizerischen Erziehungsdirektorenkonferenz folgen und erst in der
dritten Klasse beginnen. Eine Kollegin habe probeweise in der dritten
Klasse Englisch unterrichtet, erzählt
Ulrich. Diese älteren Kinder hätten
Angst vor Fehlern gehabt, seien nicht
Kurzweiliger Englischunterricht: Die Uetiker Zweitklässler von Lehrerin Cécile Hälg erzählen einander auf Englisch, wie alt
ihre Eltern sind und wie viele Geschwister sie haben. Reto Schneider
so unbekümmert ans Werk gegangen
wie ihre Zweitklässler.
«Es läuft irrsinnig gut», berichtet
auch Monika Gloor, die eine zweite
Klasse in Zollikerberg unterrichtet.
Zugute komme ihr, dass es für den
Englischunterricht viel Material gebe: Verse, Lieder und Bilderbücher.
«Das fasziniert die Kinder in diesem
Alter.»
In den zwei wöchentlichen Englischstunden wird oft gespielt, gesungen und gebastelt – aber lernen die
Schüler auch etwas? Die Stäfner Primarlehrerin Barbara Camenzind
meint: «Sicher. Spiele werden gezielt
eingesetzt, um bestimmte Lerninhalte zu vermitteln. Dies funktioniert
gut – die Kinder machen rasch Fortschritte. Insbesondere die Aussprache nehmen sie gut an.»
Auf das Deutsch wirke sich der frühe Englischunterricht nicht negativ
aus, ist Camenzind überzeugt. Ein
Problem könne aber der Ausbau der
Stundentafel sein: «In der 3. Klasse
haben die Schüler zwei Stunden
mehr als früher. Dies wird für die einen zu Beginn etwas viel sein.»
Probleme in der fünften Klasse?
Die Uetiker Lehrerin Cécile Hälg
spricht während der Lektion an diesem Donnerstag nur Englisch, langsam und verständlich. Perfektioniert
hat sie ihre Aussprache in Irland. An
einer dortigen Schule hat sie den im
Rahmen der Ausbildung vorgeschriebenen Einsatz im englischsprachigen Raum geleistet, drei Wochen lang. Mit dem Start des Frühenglisch ist sie zufrieden. Skeptisch
steht sie aber dem Ansinnen des
Kantons gegenüber, Französisch weiterhin an der Primarschule zu belassen: «Wenn ich daran denke, dass einige meiner Schüler in der fünften
Klasse auch noch Französisch lernen
müssen, sehe ich Probleme auf sie
zukommen», sagt Hälg.
Keine Bedenken hat diesbezüglich
die Schule Zumikon. Sie führt nach
den Sommerferien Frühenglisch ein
– nicht Jahrgang um Jahrgang wie
die meisten anderen Schulen, sondern ab der zweiten in allen Klassen.
Die Fünftklässler werden also gleich
zwei neue Fremdsprachen in Angriff
nehmen. Im Gegensatz zu vielen
Lehrern, die sich für die Zürcher
Volksinitiative «Nur eine Fremdsprache an der Primarschule» stark machen, glaubt die Zumiker Schulpräsi-
Im St. Gallischen Linthgebiet sind
diese Fragen weniger drängend – die
Einführung von Frühenglisch ist erst
auf das Schuljahr 2008/09 geplant.
Gleichwohl liegen sich die Regierung
und die Lehrer bereits in den Haaren.
Viele sind skeptisch. Sylvia Zweifel,
Schulratspräsidentin in Schänis,
sagt: «Wir sind mit immer mehr Kindern konfrontiert, die aus dem Rahmen fallen. Was geschehen wird,
wenn noch eine Erschwernis dazukommt, ist offen.»
Keinen Grund zur Sorge sieht Peter
Hediger, Präsident der Primarschule
Wollerau. Er unterstützt das Modell
des Schwyzer Erziehungsrats, Englisch ab der dritten und Französisch
ab der fünften Klasse zu unterrichten. Hediger begründet: «Wir fördern
heute die weniger Begabten sehr gut.
Für die Begabten machen wir weniger. Gerade im Primarschulalter können diese aber in den Fremdsprachen
rasch Fortschritte machen.»
Vom Fremdsprachenstreit merkt
man nichts im Klassenzimmer der
Lehrerin Cécile Hälg in Uetikon. Es
ist ein ausgebauter Dachstock im alten Schulhaus, mit Seeblick. An den
Wänden hat Hälg englische Wörter
auf farbigen Blättern aufgehängt,
ausgeschriebene Zahlen zum Beispiel: One, two, three. Ob die Schüler
in der fünften Klasse tatsächlich
auch noch Französisch lernen werden, ist unklar. Es kümmert sie nicht.
Sie stehen im Kreis und bewegen
sich so, wie es Hälg vorgibt: «You put
your left foot in, you put your right
foot in.» Nach der Stunde können die
Zweitklässler nach Hause gehen: Es
ist Mittag. Stolz kommt ein Mädchen
zur Lehrerin, schüttelt ihre Hand und
sagt: «Bye bye, Frau Hälg.»
Keine Ruhe im Sprachenstreit
Viel Kredit für Englisch
Region: Lehrer wehren sich gegen zwei Fremdsprachen an der Primarschule
Zürich: Erfahrungen der Pädagogischen Hochschule
Die Einführung von Frühenglisch
wird weitherum begrüsst. Für hitzige Diskussionen sorgt aber die Frage, ob Primarschüler eine oder zwei
Fremdsprachen lernen sollen. In der
Region Zürichsee fordern die Lehrer
vehement, dass das Französisch auf
die Oberstufe verschoben wird.
Die Lehrer gehen auf die Barrikaden. Rolf Saurenmann (Männedorf),
Pressebeauftragter des Verbandes
SekZH, begründet: «Für das Gros
der Schüler wären zwei Fremdsprachen eine Überforderung. Wir warnen davor, dass viele Schüler vom
Französisch- oder Englischunterricht dispensiert werden müssten –
und somit die Selektion schon in der
Primarschule stattfände.»
Urs Keller (Wädenswil), Präsident
des Zürcher Lehrerinnen- und Lehrerverbandes, ärgert sich: «Den
Schülern wird ein weiteres Fach zugemutet, aber es wird nichts weggelassen. Das geht nicht.»
Der Entscheid, Französisch trotz
der Einführung von Frühenglisch
Seite 5
ZSR
weiterhin ab der 5. Klasse zu unterrichten, sei nicht fachlich, sondern
politisch begründet, kritisiert Saurenmann. Der welschen Schweiz
werde so ein Zückerchen gegeben –
und vielen überforderten Kindern
eine bittere Pille.
Die Empfehlung des Verbandes
SekZH lautet: Englisch ab der 3.
Klasse, Französisch ab der Oberstufe. Dies käme auch dem Französischen zugute, meint der pensionierte Sekundarlehrer Saurenmann:
«Die Deutsch- und Englischkenntnisse sind dann konsolidiert.»
Schwyzer Lehrer lobbyieren
Die Schwyzer Lehrer vertreten die
gleiche Position. Dass nach den Sommerferien in den 3. Klassen Englisch
eingeführt wird, begrüsst Lora Ruoss
(Pfäffikon SZ), Präsidentin des Vereins Lehrerinnen und Lehrer des
Kantons Schwyz. Sie und ihre Vereinskollegen setzen aber alles daran,
dass der Kantonsrat, der Französisch
auf die Oberstufe verlegt hat, bei der
definitiven Abstimmung im Herbst
2006 nicht zurückkrebst. «Wir wer-
den fleissig Überzeugungsarbeit leisten», sagt Ruoss.
Ähnlich tönt es im Kanton St. Gallen. Seit Monaten postuliert der
kantonale Lehrerinnen- und Lehrerverband: «Neben Deutsch ist eine weitere Fremdsprache genug für
die Primarschule.»
Daniel Stotz, Dozent und Forscher
an der Pädagogischen Hochschule
Zürich, teilt diese Auffassung nicht.
«Erfahrungen mit Pilotklassen haben gezeigt, dass den Schülern in der
5. Klasse der Zugang zum Französischen leichter fällt, wenn sie zuvor
schon Englischunterricht hatten.»
Eine Einschränkung macht Stotz allerdings: «Wenn die Lehrerschaft
nicht dahinter steht, wird es schwierig. Es braucht motivierte Lehrer.»
Dass an der Primarschule Englisch
und Französisch unterrichtet wird,
befürwortet auch Thomas Rüegg, Joner Primarschulpräsident und Präsident des Verbands St. Galler Volksschulträger: «In diesem Alter lernen
die meisten Kinder Sprachen gut. Sie
sollten nicht von den schwächeren
Schülern gebremst werden.» (asü)
Die Pädagogische Hochschule Zürich nimmt Erfahrungen der Gemeinden mit Frühenglisch auf. Erstes Fazit: Die Kinder sind mit Elan bei der
Sache, merken aber bald, dass sie
nicht nur mit Spielen und Singen
Englisch lernen – bei manchen
dämpft das die Freude.
16 Gemeinden im Kanton Zürich
haben bereits nach den Sommerferien 2004 Englisch an der Primarschule eingeführt. Daniel Stotz, Dozent und Forscher an der Pädagogischen Hochschule Zürich (PHZH),
hat in Hearings die Erfahrungen
dieser Schulgemeinden zusammengetragen.
Der
Tenor:
Die
meisten Kinder sind mit viel Elan
bei der Sache. Allerdings hat Stotz
auch erfahren: «Manche Schüler
finden den Englischunterricht zuerst spannend, merken dann aber,
dass das Erlernen einer Fremdsprache mit Arbeit verbunden ist
und Konzentration braucht – und
die anfängliche Begeisterung legt
sich etwas.»
Für die Lehrer bedeute die Neuerung einen beträchtlichen Mehraufwand. Die Lehrmittel seien zwar
ansprechend, aber nicht einfach zu
handhaben. Dennoch: «Die Lehrpersonen geben dem Englischen
viel Kredit», hat Stotz festgestellt.
Und er fügt hinzu: «Unser Anliegen
ist, dass dieser Kredit gut genutzt
wird.»
Internetplattform für Lehrer
Um die Schulen in der Einführung von Frühenglisch zu unterstützen, führt die PHZH im Auftrag
der Bildungsdirektion ein Beratungsprojekt durch.Vor wenigen Tagen ist im Internet eine «Wissensdrehscheibe und Austauschplattform» aufgeschaltet worden, die
sich an Lehrpersonen und Schulen
richtet. Das Internet-Angebot bietet
unter anderem eine Beantwortung
häufiger Fragen, von Experten moderierte Foren und einen Austausch
von Materialien. (asü)
Die neue Internetplattform der Pädagogischen Hochschule Zürich: http://educanet2.ch/pec.
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