Prof. Walter Hagmann. Dozent Fachhochschule St.Gallen

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SBK – Oekonomie im Gesundheitswesen - (k) ein Widerspruch?
«Dann sind Sie auch einer von denen, die uns die Luft abschneiden» sagte die Leitende Aerztin auf
dem Notfall zu mir, als ich ihre Frage nach meinem Beruf mit «Gesundheitsökonom» beantwortete.
Dieses Beispiel zeigt, welches «spastische Verhältnis» viele im Gesundheitswesen Beschäftigte zur
Oekonomie haben. Auf der innerhospitalen Beliebtheitsskale ist die Oekonomie etwa in der
Kategorie Norovirus oder MRSA eingestuft. Ich werde Ihnen weder die Frage des Titels meines
Referats direkt beantworten, noch werden Sie von mir eine Powerpoint-Präsentation sehen, also
kein betreutes Folienlesen. Mein Ziel wäre es, dass Sie die Frage für sich beantworten können, dies
anhand einiger Beispiele aus dem Praxis-Alltag unseres Gesundheitswesens, besonders des hospitalen Alltags!
Etwas Theorie muss doch sein. Oekonomie leitet sich aus dem altgriechischen «oikonomia» ab und
hatte die Bedeutung von «Haushaltung, Verwaltung». Heute wird der Begriff eher verwendet im
Zusammenhang mit «ökonomisch», was sparsamer Gebrauch von etwas oder sparsamer Umgang
mit etwas bedeutet. Effizienz wäre mit möglichst wenig Aufwand ein Ergebnis/einen Nutzen oder
einen gewünschten Therapieerfolg zu erzielen. Oder Neudeutsch: eine gute Input/Output-Relation,
bei gleicher Qualität natürlich, zu erreichen. Durch Effektivität erreichen Sie zwar ihr angestrebtes
Ziel ebenfalls, aber ohne Beachtung der finanziell oder personell beschränkten Ressourcen, wie dies
auch in unserm Gesundheitswesen gilt. Da es sich bei Patienten aber nicht wie bei Toyota um
Motorenblöcke handelt, bei denen ein gegebener Input einen berechenbaren Output ergibt,
sprechen wir sinnvollerweise besser von Outcome, da das Ergebnis eines Therapieerfolges dynamisch
und patientenspezifisch zu sehen ist.
Praktisches Beispiel: Beim Dinner löschen Sie das durch eine umgefallene Kerze in Brand geratene
Tischtuch mit Champagner : das ist effektiv, der Brand ist gelöscht und somit das Ziel
«Brandlöschung» erreicht. Effizient = sie nehmen Mineralwasser, weil das weniger kostet als
Champagner und sie die Brandlöschung als Ziel auch so erreichen. Sie haben nicht nur den Effekt
«Brandlöschung» beachtet, sondern auch die Kosten «Ihrer qualitativ gleichwertigen Brandbehandlung». Im Gesundheitswesen wird richtigerweise auch der Evidenz eine grosse Bedeutung
zugemessen …das kennen Sie von evidence-based nursing = Berufserfahrung und beste verfügbare
wissenschaftliche Belege z. B. für einen zu wählenden Pflegepfad. Evident ja, aber vielleicht nicht
ökonomisch!
Während der Aufwand (Input) in Form von Kosten für Diagnostik, Pflege, OP, Physiotherapie, REHA,
Medikamente meist einfach zu bestimmen ist, ist die «Ertragsbestimmung/Nutzen» (=outcome) viel
komplexer und deshalb aufwendiger zu definieren! Aber auch die Kosten sind oft nur teilweise
berücksichtigt, z.B. als «Tarmed-Position», die der Hausarzt für die Konsultation verrechnet, nicht
«eingerechnet» aber Ihre Wartezeit im Warteraum als indirekte Kosten. Im Warteraum meines
Hausarztes habe ich in einem Buch mit dem Titel «Humor über Aerzte» folgendes gelesen: Die
Wartezeit beim Hausarzt und in Spitälern würde leicht dazu reichen, um ein Medizinstudium zu
absolvieren! Zitatende.
Ich stelle in der gesamten «gesundheitsökomischen Diskussion» immer wieder fest, dass vor allem
auf politischer Ebene, nur die «steigenden» Kosten im Gemeinde-, Kantons- oder Bundesbudget
betrachtet werden, aber nicht das mitberücksichtigt wird, was wir für diese Kosten als Gegenleistung
bekommen, als Outcome oder Nutzen für das Wohlergehen der Patientinnen und Patienten in der
Bevölkerung. Der Gesundheitsmarkt funktioniert nicht wie ein Konsumgütermarkt, wo es zu
Verdrängung durch Konkurrenz kommt, weil der Markt gesättigt ist und zwei für eins-Aktionen meist
funktionieren. Im Gesundheitsmarkt - weil noch ungesättigt - führt ein neues Angebot fast immer zu
mehr Nachfrage = als angebotsinduzierte Nachfrage bezeichnet. Und führt nicht zur «Verdrängung
eines Anbieters» , wie dies beispielsweise im Textilmarkt zu beobachten ist. Weil die Angebotspreise
z. B.im ambulanten Bereich durch Tarmed garantiert sind, besteht für den Anbieter auch kein Anreiz,
«Preissenkungen» zu gewähren, um die Nachfrage anzukurbeln!
Oder haben Sie schon eine Klinik-Aktion gesehen: Arthroskopische partielle Meniskektomie: 2 für 1??
Eine neue Arztpraxis führt gemäss Schätzungen zu mindestens 300000 - 500000 CHF Mehrkosten für
unser Gesundheitswesen. Die «Autoregulation durch Konkurrenz im Markt» - wie viele Politiker es
sich in ihrem liberalen, marktwirtschaftlichen Gedankengut wünschen, bleibt im Gesundheitsmarkt
sehr häufig reines Wunschdenken!
Eine ähnliche Sichtweise gilt für den Patienten, der nur die steigenden Krankenversicherungsprämien wahrnimmt, nicht aber das, was er als Gegenleistung im Falle von Krankheit oder Unfall an
medizinischer und pflegerischer Behandlung bekommt. Für die korrekte Beurteilung des Erfolgs oder
in Managementterminologie der Performance unseres Gesundheitssystems muss aber der
«Patientennutzen pro Kosteneinheit» zwingend in die Betrachtung mit einbezogen werden.
Input: Rund 11, 5 % des Bruttoinlandproduktes oder ca. 75 Mrd CHF als «Kosten» im schweizerischen
Gesundheitswesen stehen als Outcome gegenüber: eine beispielhafte Auswahl
-Rekordhohe Lebenserwartung der Schweizer Bevölkerung, viele sind bis ins hohe Alter in einem
guten Gesundheitszustand
-Betreuungsverhältnis Patienten zu Pflegefachperson 8:1 / im internationalen Vergleich, sehr gut
//DE 13:1 // NOR: 5:1. Hier wäre auch noch die hervorragende Position der Pflege auf der
Glaubwürdigkeitsskale für Professionen zu erwähnen: hinter Feuerwehr und Rettungssänität auf
Platz drei.
-Zugang zu medizinischer Versorgung ist ausgezeichnet: keine allzu langen Wartezeiten für
Konsultationen oder Therapie und sehr gute flächendeckende Verteilung / hohe Spitaldichte und
Bettenzahl, (2014: 11 Diagnosen und 7 Verordnungen pro Kopf)
-Hohe Zufriedenheit der Bevölkerung mit unserem Gesundheitssystem und seiner Leistungserbringer
wie Patientenzufriedenheitsanalysen vielfach bestätigen, 2014 über 82 %.
-Im europäischen Vergleich steht die Schweiz hinter Holland im EHCI-Index (EuroHealth Consumer
Index 2015) auf Rang 2
-Rettungsdienst des Kantons St. Gallen: 90/15 (= 90 % der Notfälle sollte die Ambulanz in 15 Minuten
vor Ort sein) es sind tatsächlich sogar 93 % aller Notfälle // Zunahme der gefahrenen Ambulanzen-km
2014/15 = 145'000 km!
-Und nicht vergessen: beinahe krisensichere Beschäftigung für rund 370000 Personen, also einer der
bedeutendsten Wirtschaftssektoren! Mit grossem Wachstumspotential!!
Bezüglich «Effizienz», als Input/Outcome – relation stehen wir weltweit «leider» nur auf Rang 14, wie
Vertreter unserer Krankenversicherungen gebetsmühlenhaft immer wieder hervorheben. Im OECDVergleich der nationalen Gesundheitswesen weisen wir in der Qualität – im Mittelfeld liegend –
Defizite auf (Sterblichkeit im Spital, nosokomiale Infektionen, Embolien, Thrombosen; und sehr
schlecht bei: « im Körper vergessene Gegenstände»).
«Oekonomisches» Verbesserungspotential in Form von kritischer Prüfung des «Inputs oder
Aufwandes» sehe an folgenden Sachverhalten: Auswahl an Beispielen…
-Brauchen wir in unsern Spitälern 8 verschiedene, nicht kompatible, Patientendatensysteme?
-In vielen Fällen ist ein «Projekt» das «Medikament der Wahl» zur Problemlösung. Aber es herrscht
pandemische Projektomanie in unsern Spitälern.. wer nicht weiter weiss, gründet einen Arbeitskreis!
Effizienz und Effektivität vielfach katastrophal! Siehe: Patientenmanagementsystem im Kanton St.
Gallen. Ehemalige Studierende von mir erinnern sich an meine Vorlesung «Projektmanagement»:
Aktive Sterbehilfe im Spital bei ineffizienten und ineffektiven Projekten ist erlaubt, aber wirklich nur
da!
-Ein Medizincontroller eines nicht naheliegenden Kantonsspitals hat festgestellt, dass innerhalb eines
Jahres Aerzte der Notfallstation 830000 CHF an erbrachten medizinischen Leistungen nicht erfasst
haben und damit keinen «entsprechenden Ertrag» fürs Spital generiert haben!
-Anschaffung eines MRI = mehr oder weniger «Abnahmegarantie = Auslastungsgarantie» // Zunahme
der MRI-Befunde in der Schweiz von 2013 auf 2014 = 100000
- Baby-TV, das heisst Ultraschalltests a gogo aufgrund von Risikoschwangerschaften! Sind wirklich 2/3
aller Schwangerschaften Risiko-Schwangerschaften, auch wenn Primipara heute im Schnitt etwa 31
Jahre alt sind. Aber «Alle profitieren»: Der Gynäkologe mehr Ertrag, die Schwangeren schwärmen,
wenn sie mehr Ultraschallbilder zeigen können und ev. auch persönliche Beruhigung finden in
hormonell schwierigen Zeiten.
-Tarmed-Preisgarantien für Ambulatorien und freie Aerzte ist ein Anreiz zur Mengenmaximierung;
Auslotung der Grenzen der Zahlungsbereitschaft der Krankenkassen. Creme-Schnitten-Effekt im
Zusammenhang mit DRG!
-In Spitälern (bes. seit Einführung von DRG = Ein Ziel war Kosteneindämmung!) wird zunehmend
mehr geplant, codiert, rapportiert, geleppt und dokumentiert, angeblich 20 % zu viel operiert (bes.
Orthopädie!) Aber es wird auch gepflegt.
Beispiel gefällig: Am einm Universitätsspital sind die
Personalkosten in der Administration von 2010 auf 2015 um 100 % gestiegen! Die Kosten für die
Pflege nur um 3 % , die der Medizin um 27 %!
-Die Krankenkassen sprechen davon, dass 10 % der Patienten falsch behandelt werden und ca. 20 %
der Operationen in der Orthopädie «unnötig» seien und wenig Therapieerfolg bringen!
-Personalrecruiting eines (anderen) Unispitals mit über 30 Kliniken = über 30 verschiedene
Personalsuche-Verfahren. Dies obwohl vom HR-Management für diesen Prozess «RecruitingStandards» vorgegeben werden, wollen viele Kliniken und Stationen nichts davon wissen. Nebst
wenig Professionalität auch unökonomisches Verhalten!
-Personalressourcen: Es erstaunt mich immer wieder, welchen Umgang Gesundheitsinstitutionen mit
ihren Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern pflegen, in Anbetracht der Knappheit der Ressource
Mensch. Hohe Fluktuation verursacht enorme Kosten für Recruiting, Einführung etc. von neuem
Personal. Natürlich sind Unternehmen im Gesundheitswesen nicht dazu da, jeden Wunsch ihrer
Mitarbeitenden zu erfüllen. Aber wohldosiertes Lob und Anerkennung wären ausgesprochen
«mitarbeiterbindend» und erst noch sehr ökonomisch. Magnetspital ist derzeit so ein viel missbrauchter «employer branding-Ausdruck»: Aber für ein wirkliches «Magnetspital» reicht eben ein
Magnetresonanztomograph im 1. Untergeschoss alleine nicht.
-REHA-Klinik: Der Neueintritt einer Patientin oder eines Patienten erfährt eine 8-fache Erfassung, als
gäbe es die Welt des Intranets noch nicht! Diese REHA-Klinik hatte im Jahre 2015 über 400 FallStornos (2014: 358 Fälle) für angemeldete Neu-Eintritten. Dies, weil die zuweisenden Kliniken
«Doppel- und Mehrfach-Reservationen» vorgenommen haben. Die Konsequenzen fürs
Bettenmanagement und die Pflegeplanung für «hochkomplexe Pflege» sind Ihnen sicher bewusst!
- Neueröffnung eines Dialysezentrums. Die Werbebotschaft: Das Dialysezentrum mit See- und
Bergsicht! Zu Beginn der Dialyse soll es Kaffee und Gipfeli (wie in andern Zentren auch) geben und
gegen Ende, um sich von der Konkurrenz abzuheben, Mini-Sandwiches für die Dialyse-Kundinnen –
und kunden. Ich gönne es ihnen. Essen ist für Patientinnen und Patienten sehr wichtig, wie die
Menukarten für die Privatabteilungen unserer Spitäler zeigen.
Sicher könnten Sie ebenfalls noch einige Beispiele aus Ihrem «Gesundheits-Alltag» beifügen, welche
teilweise wenig sparsamen Umgang mit beschränkten personellen und finanziellen Mitteln zeigen
würden.
-An einer Palliative-Care-Diskussion fragte mich vor einiger Zeit eine Pflegefachfrau äusserst zickig:
Und was meinen Sie als Gesundheitsökonom zu dieser Situation: Es ging um die Finalphase eines
Patienten. Als Oekonom antwortete ich: jeglichen Aufwand vermeiden! In einem solchen Fall die
Oekonomie ins Spiel bringen? Sicher nicht! Da muss die Oekonomie zwingend hinten anstehen, da
geht’s um Ethik und die Würde des Menschen!
Schlussfrage: Gesundheitswesen und Oekonomie (k) Widerspruch; haben Sie sich Ihre Meinung
gebildet? Tip für Ihre Zukunft im mit «Oekonomie kontaminierten Umfeld»: Versuchen Sie ein
möglichst nebenwirkungsfreies Verhältnis zur Oekonomie zu haben und seien Sie – besonders von
Seiten der Pflege offen gegenüber Veränderungen und ökonomischen «Anliegen und Forderungen»,
aber auch kritisch! Ohne Prophet zu sein wage ich folgende Prognose: die ökonomischen
Metastasierungen im Spitalalltag werden zunehmen, ebenso der Druck auf die «Produktivität und die
Steigerung der Qualität»!
Die Ideen von Lean Hospital Management sind derzeit in vielen Spitälern «angesagt», es handelt sich
dabei nicht um einen neuen Therapiepfad für adipöse Patienten. Nein dessen Leitideen sind:
Verschwendungen vermeiden (Muda) und Nivellierung/Ausgleich der Kapazitäten (Mura). Für
Pflegende und Aerztinnen und Aerzte ist die dritte Dimension des Lean Hospital ManagementAnsatzes besonders herausfordernd, es geht da um «Vermeidung von Ueberbelastung der
Mitarbeitenden (Muri)». Hoffen wir alle auf ein Gutes Gelingen.
Vergessen wir aber bei aller Oekonomie im Gesundheitswesen nicht: Letztlich muss gelten «salus
aegroti lex suprema esto» für Nichtlateiner: das Wohl des Patienten sei oberstes Gebot!
Und nicht vergessen: Unser Gesundheitswesen ist nie mehr so günstig wie heute!
30. November 2016 // Prof. Dr. Walter Hagmann
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