Ein ganz normales Kriegskind erinnert sich

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Bericht in der Rubrik „Kriegskinder von damals bis heute“: http://www.kriegskind.de/
Ein ganz normales Kriegskind
erinnert sich
Nein, Spektakuläres habe ich nicht zu erzählen, gar nichts Besonderes. Von den Schrecken
der Bombardierung Dresdens hörte ich erst lange nach dem Krieg; ich sah keine brennenden
Städte und erlebte keine Flucht. Dennoch ging der Krieg keineswegs spurlos an mir vorüber,
und im Nachhinein erschrecke ich über die Selbstverständlichkeit dessen, was ein Krieg,
jeder Krieg, hunderttausenden von Kindern im ganz normalen Alltag zumutet.
Zu meinen frühen Erinnerungen gehören nächtliche Luftalarmübungen; im Vier-ParteienHaus hatten sich alle Bewohner in einem Kellerraum einzufinden. Ob meine Elter davon
vorher Kenntnis hatten oder wie ich aus dem Schlaf gerissen wurden, das weiß ich nicht. Aber
jedenfalls war mir klar, dass es sich nur um Übungen handelte und es keinen Grund zur Angst
gab. Das muss kurz vor oder nach Beginn des Krieges gewesen sein.
Den ‚Ernst des Lebens’ erfährt die fast Sechsjährige, als sie eines Tages vom Einkauf im
nachbarlichen Lebensmittelgeschäft nach Hause kommt und freudestrahlend eine Handvoll
geschenkter ‚Klümpchen’ vorzeigt. Mit ernstem Gesicht wird sie vom Vater ermahnt, die
Bonbons keinesfalls alle auf einmal zu essen, sondern sie gut einzuteilen, denn „ wir haben
jetzt Krieg, und Klümpchen wird es bald nicht mehr geben.“ Das ist meine Erinnerung an den
1. September 1939. Mehrmals täglich wurden jetzt im ‚Volksempfänger’ die Nachrichten
gehört, und die Begleitmelodie vor und nach jeder ‚Sondersendung aus dem FührerHauptquartier’ sind mir noch heute im Ohr.
Schon der Januar 1940 sollte den ersten großen Abschiedsschmerz meines Leben bringen.
Meine Eltern betrieben eine Maßschneiderei; mit der Einführung der Kleiderkarte zu Beginn
des Krieges gab es bald nur noch Militärhosen zu nähen. Außerdem musste mein Vater,
Jahrgang 1904, über kurz oder lang mit einem Stellungsbefehl rechnen, so dass wohlwollende
Bekannte ihm nahe legten, sich Arbeit in einem kriegswichtigen Betrieb zu suchen. Diese gab
es bei den Focke-Wulf-Werken in Bremen, wo mein Vater am 1. Januar 1940 eine
Anstellung erhielt und in der Stadt „vorläufig“ ein möbliertes Zimmer bezog. Wir sollten bald
nachkommen, aber zunächst zog meine Mutter mit meiner drei Jahre jüngeren Schwester und
mir zu der verwitweten Großmutter, die nur wenige Häuser entfernt lebte. Das bedeutete
beengte Wohnverhältnisse bis weit in die Nachkriegszeit hinein, und meinen Vater sollte ich
für mehr als fünf Jahre nur noch als ‚Besuch’ erleben. „Jetzt habe ich gar keinen mehr, den
ich immer alles fragen kann“, soll ich zum Abschied gesagt haben. Ein paar Wochen später
vor meiner Einschulung gab es beim Gespräch mit dem Rektor eine peinliche Situation, weil
ich auf die Frage nach dem Beruf meines Vaters keine Antwort geben konnte; „SchneiderMeister“ stimmte doch nicht mehr, aber wie nannte man das nur, was er in Bremen tat?
Die ersten Kriegsjahre brachten mir wenig Aufregendes. Nach der Einschulung begann der
kirchliche Unterricht zur Vorbereitung auf die Erstbeichte und Erstkommunion; für diese
Feier im Mai 1943 wurden Lebensmittelmarken gespart, so dass es jedenfalls nicht an
Kuchen fehlte. Verwandte und Bekannte meiner Eltern brachten außer Tulpen und Flieder aus
den eigenen Gärten wohl auch die eine oder andere bescheidene Süßigkeit für mich mit, und
mein Vater konnte sich ein paar Urlaubstage nehmen. Allerdings waren Abteilungen der
Focke-Wulf-Werke wegen der Bombenangriffe auf Bremen inzwischen in den Spreewald
verlegt worden; mein Vater wurde nach Cottbus versetzt und kam noch seltener nach Hause.
Von einer Verknappung an Nahrungsmitteln spürten wir damals noch wenig, zumal
Geschwister meines Vaters im ländlichen Münsterland lebten, von denen meine Mutter als
Schneiderin geschätzt wurde und auch bei Schlachtfesten helfen durfte. Selbst verbrachte ich
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gern die Ferien dort auf dem Land, zumal meine Mutter damals so oft wie möglich nach
Bremen bzw. nach Cottbus fuhr.
Aber allmählich wurde häufiger unsere Nachtruhe durch Fliegeralarm gestört; britische und
amerikanische Bomber überflogen uns in Richtung Ruhrgebiet. Dann gingen wir entweder in
den eigenen Keller oder zum nächsten Eingang eines Bunkers, der sich in bombensicherer
Tiefe unter der Fläche der Fünftausend-Einwohner-Gemeinde hinzog.
Während ich im März 1943 für vier Wochen zur Erholung in einem NSV-Kinderheim im
Sauerland weilte, wären meine Mutter und meine Schwester beinahe Opfer des ersten
Luftangriffs auf Hamm geworden. Dort fielen am hellen Tag und völlig unerwartet Bomben
auf den Bahnhofsvorplatz; niemand hatte damit gerechnet, und nur wegen der zufällig noch
kalten Witterung hatten Mutter und Schwester, die auf einen Zug zur Rückfahrt warteten, den
warmen Bunker aufgesucht.
Bahnanlagen wurden verständlicherweise bald bevorzugte Ziele der alliierten Bombardierung.
So kann ich mir heute den Schrecken meiner Mutter vorstellen, als ich nach einer
‚Schnitzeljagd’ der Jungmädelgruppe nach Hause kam und erzählte, dass wir beim Alarm in
einer Bahnunterführung Zuflucht gesucht hatten. Aber mit einer solchen Situation war die
vielleicht 16jährige ‚Führerin’ gewiss weit überfordert.
Seit August 1944 war ich Fahrschülerin und fuhr jeden Tag zur Oberschule in die acht
Bahnkilometer entfernte Kreisstadt. Dort gehörte ein Splitterstollen zur Schule, groß genug,
um einige hundert Schülerinnen aufzunehmen. Anfangs konnten gewissenhafte Lehrpersonen
da auch ihren Unterricht fortsetzen. Ein Ernstfall war wohl nicht vorgesehen, bis sich
schließlich die Verantwortlichen doch darüber klar wurden, dass dieser Stollen kaum Schutz
bot. Nun wurden bei Alarm die Einheimischen nach Hause geschickt, nahmen mit
Einwilligung der Eltern wohl auch eine Freundin mit, so dass nur wenige Kinder im Stollen
verblieben. Selbst fand ich Unterschlupf im Haus einer Tante. Von hier aus sah man
gelegentlich in der Entfernung von einigen Kilometern eine brennende Ölraffinerie oder
Fabrikanlage. Mit Opfern der Bombenangriffe wurde ich zum ersten Mal unmittelbar
konfrontiert, als eine Klassenkameradin beide Eltern verlor. Sie waren wegen eines
Trauerfalls nach Dortmund gefahren, aber nicht wie geplant wenige Tage später
zurückgekommen. Kriegsbedingt konnte zunächst nicht einmal eine Telefonverbindung
hergestellt werden. Dann musste man erfahren, dass das Ehepaar auf dem Rückweg bei
Fliegeralarm die Straßenbahn verlassen hatte, um den Weg zu Fuß fortzusetzen. Der
Luftdruck einer Sprengbombe war angeblich Todesursache; die erst nach Tagen gefundenen
Leichen waren so entstellt, dass meine Mitschülerin auch die toten Eltern nicht mehr sehen
durfte.
Im Winter 1944/45 wurden Tiefflieger mit Bordwaffen zu einer wachsenden Bedrohung; da
hieß es dann, sich flach auf den Boden werfen und sich dann nicht bewegen. Das musste ich
wenigstens einmal auf dem Bahnhofsvorplatz meines Heimatortes erleben. Häufig hatten die
Züge Verspätungen, fielen auch mal aus, waren meistens überfüllt; dann konnte man
vielleicht noch auf dem Trittbrett mitfahren, eine heute undenkbare Möglichkeit! Einmal
wurde ich von einem freundlichen Bahnbeamten in die Lokomotive gesetzt, gleich neben den
Lokführer. Meine Mutter war allerdings wenig begeistert, als ich das freudestrahlend erzählte,
war doch die Lokomotive der am stärksten gefährdete Teil eines Zuges.
Schließlich verkehrten die Reichsbahn-Züge so unregelmäßig, dass ich morgens mit der
‚Zechenbahn’ zur Schule fuhr. Eine Betriebsbahn verband die Schachtanlagen der
Klöcknerwerke und damit meinen Heimatort mit einem Vorort der Kreisstadt. Gegen Ende
des Krieges nahm sie auch Nicht-Werksangehörige mit. Die im Winter morgens noch völlig
dunkle Straße führte zwischen dem Zechengelände auf der einen Seite und einem Lager
kriegsgefangener bzw. zwangsverpflichteter Ukrainer, Russen und Franzosen auf der anderen
Seite entlang, so dass meine Mutter darauf bestand, mich jeden Morgen zum Zug zu bringen.
Eigentlich hatten wir vor diesen Leuten keine Angst. Einige - Männer und Frauen - waren in
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der Landwirtschaft beschäftigt und wohnten auf den umliegenden Bauernhöfen. Die meisten
Männer jedoch lebten im Lager neben der Zeche, wo sie auch ihren Arbeitsplatz hatten. Eine
hohe Holzbrücke führte vom Lager direkt auf das Zechengelände, so dass die Zwangsarbeiter
die Straße nicht passierten. Sonntags allerdings hatten wohl viele Ausgang; in Scharen sah
man Männer und Frauen in der Nähe unserer Wohnung, wo ein ‚Eismann’ durch ein
Kellerfenster Speiseeis verkaufte – gefärbtes und mit Süßstoff versehenes gefrorenes Wasser.
Einmal kam es allerdings zu einer blutigen Tragödie: an einem der Lagerinsassen sollte im
Keller der örtlichen Polizeistation eine Strafmaßnahme vollstreckt werden – was auch immer
das sein mochte. Er erschoss den Polizisten mit dessen Dienstpistole und versuchte
anschließend, in der Polizeiuniform zu fliehen. Das musste selbstverständlich missglücken;
nach einer Stunde war der Gefangene gefasst und standrechtlich erschossen.
Den Heimweg nach der Schule legten wir im letzten Kriegswinter gewöhnlich per Anhalter
zurück; als Gruppe von vier, fünf Kindern standen wir an der Ausfahrtstraße der Kreisstadt.
Bei den wenigen privaten Pkw-Fahrern fand sich immer mal jemand, der aus Mitleid ein paar
frierende Kinder einlud. An der Ecke, wo wir unseren Standplatz hatten, gab es eine kleine
Gastwirtschaft; abwechselnd warteten einige von uns auf ein Auto, während die
Anderen sich mit einer ‚Bouillon’ stärkten, einem in kochendem Wasser aufgelösten
Brühwürfel. Aber so hatten wir doch etwas Heißes im Magen. Allmählich machte sich die
permanente Unterernährung bemerkbar; der etwa 40 Minuten lange Weg vom Zechenbahnhof
bis zur Schule fiel mir nicht immer leicht. Dazu kam, dass wir immer öfter Nachtstunden im
Bunker verbringen mussten.
Im Dezember 1944 wurde mein Bruder geboren; die kirchliche Tauffeier am Nachmittag des
Silvestertages musste wegen Fliegeralarm ganz schnell zu Ende gebracht werden. Nachts ging
es Richtung Bunker los, wenn der ‚Drahtfunk’ „Anflug auf den Raum Hamm – Unna –
Kamen“ meldete; meistens hörten wir dann auch schon das Brummen der Flugzeuge. Zum
Glück hatten wir nur wenige Gehminuten bis zum Bunkereingang; jeder schnappte sich sein
fertig vorbereitetes Gepäckstück mit etwas Wäsche, Kerzen für den Notfall und vor allem
einer ‚eisernen Ration’ von Keksen oder ähnlichem.
Noch sechs Wochen vor der Kapitulation forderte der Krieg in meinem Heimatort sein
größtes blutiges Opfer. Als an einem Vormittag die Sirenen ertönten, wurden meine
Schwester und ich schon mal vorsichtshalber in den Bunker geschickt, während meine
Großmutter sowie meine Mutter mit meinem etwa drei Monate altem Bruder nachkommen
wollten, sobald es wirklich gefährlich würde. Eine halbe Stunde später standen die drei im
Bunker vor uns, und im selben Augenblick hörten wir den dumpfen Einschlag einer ganzen
Reihe von Bomben. Das dauerte vielleicht eine Minute, dann herrschte Stille. Aber in den
folgenden Stunden wagte sich kaum jemand zu regen. Die Bunkerausgänge blieben
verschlossen, Ordner eilten mit ernsten Gesichtern und ohne eine Auskunft zu geben hin und
her. Erst am späten Nachmittag wurden wir erlöst. Was war geschehen.? Die Sprengbomben
trafen die Zechenanlage, einigen hundert Metern Luftlinie vom Eingangsbereich des Bunkers
entfernt. Der Sachschaden hielt sich in Grenzen, doch als das elektrische Licht ausfiel, traten
sich in großer Panik über zwanzig Menschen auf der Bunkertreppe gegenseitig zu Tode. Als
wir den Bunker verlassen konnten, waren die Leichen in einer benachbarten Turnhalle
aufgebahrt. Eine Spielkameradin meiner achtjährigen Schwester war dabei, ebenso die Mutter
einer meiner Mitschülerinnen. Und wie leicht hätte ich mit einem Schlag meine Mutter, meine
Großmutter und meinen Bruder verlieren können!
Noch ein anderes ‚Bunkererlebnis’ blieb mir in Erinnerung: Aus den umliegenden Städten
waren Ausgebombte in unserem Ort zwangsweise einquartiert worden, nicht unbedingt zur
Freude der Einheimischen. Eine solche Bomben-Flüchtlingsfrau wurde einmal von zwei
Polizeibeamten durch den vollbesetzten Bunker geführt, auf der Brust ein Pappschild, auf
dem mit großen Buchstaben zu lesen stand: „ Ich habe Lebensmittelmarken gestohlen.“
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Meine Schulzeit ging bis auf weiteres zu Ende, als meine Mutter im März 1945 entschied,
dass ich zu Hause bleiben sollte, nachdem ich an zwei Tagen den anstrengenden Schulweg
umsonst zurückgelegt hatte. Der ständige Fliegeralarm hatte jeden Unterricht unmöglich
gemacht.
Wann war für mich der Krieg zu Ende? Zwei Tage werden mir zu dieser Frage immer in
Erinnerung bleiben. Ab Mitte April hörte ich von den Erwachsenen immer öfter den Satz:
„Wenn nur erst die kämpfenden Truppen vorbei sind!“ Fliegeralarm rund um die Uhr und
immer größere Schwierigkeiten, etwas Essbares auf den Tisch zu bringen, hatten uns
zermürbt und dazu geführt, dass fast alle ein ‚Ende mit Schrecken’ dem ‚Schrecken ohne
Ende’ vorzogen. Die letzten Tage vor dem Einmarsch der Amerikaner verbrachten wir
praktisch dauernd im Keller, wo wir uns einigermaßen eingerichtet hatten. So hatte ich zum
Beispiel mein Bett in einer Zinkbadewanne. Währenddessen muss es allerdings im Ort immer
noch Leute gegeben haben, die sich verpflichtet fühlten, bis zuletzt für den „Endsieg“ zu
kämpfen. Auf der Zechenanlage wollte – wie ich erst viel später erfuhr – die SS Sprengungen
vornehmen, konnte aber zum Glück durch Werksangehörige daran gehindert werden. Wenn
das so stimmt, wirft es ein bezeichnendes Licht auf das allgemeine Chaos dieser Tage. Mit
eigenen Augen gesehen habe ich noch an einer Stelle der Hauptstraße eine von VolkssturmMännern errichtete ‚Panzersperre’, die allerdings so beschaffen war, dass beinahe Kinder sie
hätten demontieren können.
Schließlich sah ich sie aus dem Kellerfenster heraus auf der etwa fünfzig Meter entfernten
Hauptstraße: amerikanische Soldaten im Gänsemarsch auf beiden Gehwegen mit
schussbereitem Gewehr, aber ohne auf irgendeinen Widerstand zu stoßen. Etwa zwei Stunden
später wurde unsere Wohnung inspiziert; die räumliche Enge, in der Großmutter, Mutter und
drei Kinder lebten, sowie die zum Teil zerbrochenen Fensterscheiben, notdürftig durch
Spanplatten ersetzt, bewahrten uns vor einer Einquartierung. Natürlich waren HakenkreuzFahnen und Hitlerbilder bei uns wie in allen Häusern längst vernichtet worden. Auch die
Mitgliedslisten der örtlichen NSDAP hatte man rechtzeitig verbrannt, wie der OrtsgruppenLeiter meiner Mutter schon früh versicherte. Die GIs wohnten dann für die nächsten Monate
in einem benachbarten Hotel und einigen Gaststätten, wo wir Kinder uns schnell mit ihnen
anfreundeten und uns gern mit Kaugummi und Schokolade beschenken ließen.
Endgültig waren der Krieg für mich und damit diese Phase meines Lebens am 4. Juni 1945
vorbei. An diesem strahlenden Frühsommer-Vormittag sehe ich eine Frau mit Fahrrad vor
unserer Haustür und höre sie zu meiner Mutter sagen: „Ich habe gerade auf der Hammer
Straße Ihren Mann überholt.“ Die letzte Feldpost von meinem Vater war vom 9. Februar
datiert, dann hörten wir nichts mehr von ihm. Als Sanitätsgefreiter war er im letzten
Kriegsjahr durch die Balkanstaaten bis Saloniki und Athen gezogen; dann ging’s denselben
Weg zurück, bis Anfang Mai 1945 zwischen Wien und Linz von der eine Seite russische, von
der anderen amerikanische Truppen nahten. Es war sein Glücksfall, dass die Amerikaner
etwas schneller waren. Nach einer Woche Internierungslager und drei Wochen Heimweg war
er daheim und konnte zum ersten Mal seinen inzwischen fast sechs Monate alten Sohn sehen.
Der Wiederaufbau der wirtschaftlichen Existenz sollte für meine Eltern noch Jahre dauern
und eine Zeit reich an Entbehrungen für die Familie bedeuten. Welche seelischen
Zerstörungen der Krieg bei uns Kindern und bei vielen Tausenden von Kriegskindern
anrichtete, ob alle diese Verwundungen jemals heilten – wer fragt danach?
Der Verfasserin Gertrud Lüdiger wurde 1933 im Kreis Unna geboren. Dort verbrachte
sie ihre Kinder- und Jugendzeit.
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