________________________ Hessischer Rundfunk hr-iNFO Redaktion: Dr. Regina Oehler Wissenswert Wie gut sind Psychotherapeuten? von Jochen Paulus Sprecher: Jochen Paulus Sendung: 16./17.02.14, hr-iNFO Copyright Dieses Manuskript ist urheberrechtlich geschützt. Der Empfänger darf es nur zu privaten Zwecken benutzen. Jede andere Verwendung (z.B. Mitteilung, Vortrag oder Aufführung in der Öffentlichkeit, Vervielfältigung, Bearbeitung, Verteilung oder Zurverfügungstellung in elektronischen Medien, Übersetzung) ist nur mit Zustimmung des Autors/der Autoren zulässig. Die Verwendung zu Rundfunkzwecken bedarf der Genehmigung des Hessischen Rundfunks. Sprecher Wer zu einer Psychotherapeutin oder einem Psychotherapeuten geht, ist meist sehr zufrieden mit dessen Leistung. 74 Prozent der Patienten haben an ihrem Therapeuten rein gar nichts auszusetzen. Das ist das Ergebnis einer Umfrage aus dem Jahr 2011 unter über tausend Patienten, die die Universität Leipzig bei einem Meinungsforschungsinstitut in Auftrag gegeben hatte. Doch nicht alle Patienten sind so zufrieden. O-Ton 1 Patient: Durch meine Problematik hat mir niemand zugehört, das hat mich sehr depressiv gestimmt. Ich bin dann zum Psychotherapeuten, da musste ich erst mal einen Otto-Katalog von Fragen ausfüllen und wurde auch ein Gerät mitlaufen lassen. Dann habe ich erzählt und zum Schluss hat der Therapeut dann gesagt, ja, was wollen sie überhaupt, ich verstehe sie auch nicht. Sprecher Immerhin acht Prozent der Patienten, so die gleiche Umfrage, erleben ihren Therapeuten als zu wenig engagiert. Sechs Prozent glauben, er wolle ihnen etwas einreden und drei Prozent finden, er sei zu sehr mit dem Geldverdienen beschäftigt. Sprecher Auch andere Studien belegen: es gibt große Qualitätsunterschiede zwischen den Therapeuten. Professor Wolfgang Lutz, Therapieforscher an der Universität Trier: O-Ton 2 Lutz: Es gibt Therapeuten, die etwa viermal so gut abschneiden als andere, und wir wissen aber leider nicht so richtig, warum diese Supershrinks, woran das genau liegt. Aber es gibt die Unterschiede. Sprecher Supershrink, Super-Seelenklempner, der Name hat eine Geschichte: So nannten einige Jungen mit schweren Ängsten, Isolationsgefühlen und anderen gravierenden Seite 1 Problemen einen Therapeuten, der sich an einer amerikanischen Beratungseinrichtung um sie kümmerte. Als sie erwachsen waren, ermittelte ein Forscher, was aus ihnen geworden war. Und er verglich ihr Schicksal mit den ehemaligen Patienten eines anderen Therapeuten, der als Pseudoshrink in die Fachliteratur eingegangen ist. Denn 84 Prozent seiner Ex-Patienten entwickelten eine schwere psychische Störung. Unter den vom Supershrink Betreuten waren es sehr viel weniger – 27 Prozent, so der 1974 veröffentlichte Bericht. Aktuelle wissenschaftliche Untersuchungen kommen zu ähnlichen Ergebnissen, sagt die Therapieforscherin Julia Eversmann: O-Ton 3 Eversmann: Ich kann mal exemplarisch eine Beispielstudie herausgreifen. Das ist eine Studie, die veröffentlicht worden ist von Herrn Okiishi und Forschungskollegen im Jahre 2003. Und er hat zwei Extremgruppen verglichen: Die sehr erfolgreichen Therapeuten, die drei besten Therapeuten, die sogenannten Supershrinks, mit den Pseudoshrinks, also den drei am wenigsten erfolgreichen Therapeuten. Sprecher Den Patienten dieser modernen Supershrinks ging es schon nach zwei, drei Sitzungen deutlich besser Auf einer Skala, die ihr Befinden maß. Legten sie 15 Punkte zu. Aber wehe, ein Patient geriet an einen Pseudoshrink. O-Ton 4 Eversmann: Im Vergleich dazu haben die drei am geringsten erfolgreichen Therapeuten dieser Stichprobe durchschnittlich acht Sitzungen gebraucht und innerhalb dieser acht Sitzungen gab es eine Verschlechterung von teilweise neun Punkten, also eine Verschlechterung der Befindlichkeit und nicht eine Stagnation oder eine Verbesserung. Sprecher So ist es oft: Den Patienten der meisten Therapeuten geht es nach der Behandlung besser, aber denen einiger Therapeuten geht es schlechter. Daran ändert sich auch nicht viel, wenn, wie in Deutschland üblich, länger therapiert wird. Selbst Psychopharmaka wirken kaum, wenn sie von schlechten Therapeuten verordnet werden, wie eine US-Studie nahelegt. Aber warum können manche Therapeuten so viel besser helfen als andere? Wissenschaftler haben in vielen Studien nach Antworten gesucht und oft nichts gefunden. Das Alter und die Hautfarbe eines Therapeuten beispielsweise spielen keine Rolle. Selbst das Geschlecht erwies sich in vielen Untersuchungen als unwichtig, fasst Julia Eversmann zusammen. Seite 2 O-Ton 5 Eversmann: Natürlich gibt es persönliche Präferenzen, das muss jeder selbst für sich schauen, wo er das Gefühl hat, dass er am besten aufgehoben ist in einer Therapie, ob das ein Mann ist oder eine Frau ist, das ist individuell sicherlich sehr verschieden. Aber laut der Forschungsergebnisse, die wir bisher haben dazu, ist es unerheblich. Sprecher Richtig verblüfft war die Branche aber von Studien, die dem Nutzen einer Therapieausbildung nachgingen. Es stellte sich heraus, dass der sehr schwer nachzuweisen ist und vielleicht gar nicht existiert. In der Bibel der Therapieforscher, „Bergin and Garfield's handbook of psychotherapy and behavior Change", kam der Psychologie-Professor Larry Beutler von der Palo Alto University zu einem provozierenden Schluss. Die bisherigen Befunde weckten „Zweifel an der Behauptung, dass eine gezielte Ausbildung in Psychotherapie ... etwas mit therapeutischen Erfolgen oder Fähigkeiten zu tun hat". Dem widerspricht Julia Eversmann dann doch: O-Ton 6 Eversmann: Herr Beutler ist ja durch seine provokante Art, die auch erforderlich ist in der Forschung, bekannt. Allerdings ist seine Äußerung dahin gehend zu verstehen, dass die bisherigen Befunde, die es zu der Aussage gibt, was bringt die Ausbildung, methodisch sehr schwach sind und sehr, sehr rar sind. Sprecher Auch ein anderer Befund widerspricht allen Erwartungen. Wieviel TherapieErfahrung ein Psychotherapeut hat, mit wieviel Patienten er schon gearbeitet hat, scheint nicht so wichtig zu sein. Michael Lambert von der Brigham Young University im US-Bundesstaat Utah, einer der führenden Therapieforscher der Welt: O-Ton 7 Lambert: It's surprising. All the studies that need to be done on that haven't been done and there may be certain areas where that wouldn't be the case. But right now try as we have, we haven't been able to find that experience is a great advantage to the patient. Seite 3 Sprecher 2 (Übersetzung Lambert) Es ist schon überraschend. Noch sind nicht alle Studien gemacht, die gemacht werden müssen und vielleicht ist es in manchen Bereichen anders. Aber mit allem, was wir bisher versucht haben, konnten wir nicht feststellen, dass Erfahrung einen großen Gewinn für den Patienten bedeutet. Sprecher Dass Therapeuten nicht viel aus Erfahrung lernen, könnte daran liegen, dass sie nachweislich meist nicht mitbekommen, wie es ihren Patienten ergeht. Das gilt fast immer für die Zeit nach dem Ende der Therapie und leider oft auch schon vorher. Deshalb erfahren sie auch nicht, womit sie Patienten geholfen haben und womit nicht. Aus Fehlern lernen ist so unmöglich. So argumentierten führende Therapieforscher gerade in einer Fachzeitschrift. Allerdings glauben viele Therapeuten selber, dass sie mit den Jahren besser werden. Das aber ist gefährlich. Denn dieser Glaube verleitet dazu, sich weniger anzustrengen, so die Therapieforscher. Wichtiger als Ausbildung und Erfahrung ist der Stil des Therapeuten, möglicherweise sogar sein ganzes Wesen. Michael Lambert und seine Kollegen beurteilen Therapeuten anhand einer Skala, die „hilfreiche zwischenmenschliche Fähigkeiten“ erfasst. Dazu gehören auch Wärme, Einfühlungsvermögen und die Kunst, eine gute Arbeitsbeziehung zum Patienten zu entwickeln. O-Ton 8 Lambert: A lot of negative effects in psychotherapy are relationship errors that take the form of subtle rejections. If you come to an appointment and the therapist is tired or distracted or finds you difficult, when you start to notice that they're not glad to see you it is a bad sign." Seite 4 Sprecher 2 (Übersetzung Lambert) Hinter vielen schädlichen Wirkungen von Psychotherapie stecken Probleme in der Beziehung, die sich in subtilen Zurückweisungen äußern. Wenn Sie zum Termin erscheinen und der Therapeut ist müde, abgelenkt, findet Sie schwierig oder scheint sich nicht zu freuen scheint, dass er Sie sieht, dann ist das ein schlechtes Zeichen. Sprecher Solche Verhaltensweisen lässt Lambert keinem Therapeuten durchgehen. O-Ton 9 Lambert: If a patient would dare say you don't seem happy to see me and this is like the third time now and I don't feel welcomed here then what's important is the therapists take that seriously and even apologize. But not explain and not defend. Sprecher 2 (Übersetzung Lambert) Wenn ein Patient sich traut zu sagen: Sie sind offenbar nicht erfreut, mich zu sehen, und das schon zum dritten Mal, ich fühle mich hier nicht willkommen, dann ist es wichtig, dass Therapeuten das sehr ernst nehmen und sich vielleicht sogar entschuldigen. Sie sollten nicht nach Erklärungen suchen und sich nicht verteidigen. Sprecher Wenn der Therapeut sich nicht bessert, sollte der Patient sich einen anderen suchen. O-Ton 10 Lambert: Because there will be therapists who are really happy to see you. They are not so hard to find. The field is full of good people who are being psychologists because they like being psychologists and because they like the people they work with. Seite 5 Sprecher 2 (Übersetzung Lambert) Denn es gibt Therapeuten, die gerne mit Ihnen arbeiten werden und sich wirklich freuen, Sie zu sehen. Sie sind nicht so schwer zu finden. Das Feld ist voller guter Leute, die Psychologen sind, weil sie gerne Psychologen sind und weil sie die Leute mögen, mit denen sie arbeiten. Seite 6