ERLANGEN IM 1. WELTKRIEG Ausstellungseröffnung Stadtmuseum 13. Juli 2014 Dr. Dieter Rossmeissl Gedenktage und Gedenkanlässe gibt es viele. Nicht alle sind lohnend. Gedenken ist aber notwendig, wenn es um eposchale Ereignisse geht oder wenn diese prägende Wirkung noch auf die Gegenwart haben. Beim 1. Weltkrieg, dessen Beginn sich in diesem Sommer zum 100. Mal jährt, gilt beides. 1. WK als Krieg der widersprüchlichen Eskalation: • • • • • Vom Kabinettskrieg zum totalen Krieg (mit „Heimatfront“ und Funktionalisierung der gesamten Wirtschaft Vom Balkankonflikt zum globalen Krieg – in Europa und allen Kolonien Vom Ausmarsch mit Blumen am Gewehr und der Illusion eines heroischen Kampfes zum millionenfachen Tod im Schützengraben Vom mobilen „Blitzkrieg“ zum immobilen Stellungskrieg Von der nostalgischen Pickelhaube zum High-Tech-Krieg (mit „Dicker Berta“, Panzern und Giftgas) Ein Gegensatz freilich, auf dem am Ende des Krieges viele gehofft, für den viele gekämpft, blieb aus: der Wandel vom kaiserlichen Obrigkeitsstaat zur Demokratie. Ein Weltkrieg mit Folgen – bis heute: Der 1. Weltkrieg und sein Ende sind immer wieder als „Vater“ auch des 2. Weltkriegs gesehen worden. Der „30-jährige Krieg“ (Hans Ulrich Wehler) – 1914 bis 1945 - war integraler Bestandteil der Politik des deutschen Kaiserreichs, nicht als nur eine punktuelle „Ur-Katastrophe“ (Aribert Reimann): Nicht Sarajewo stand am Anfang des Weltkriegs, sondern die außenpolitischen Ziele der europäischen Mächte und politischen Bewegungen. Art. 231 Versailler Vertrag schrieb die alleinige Kriegsschuld Deutschlands fest mit der Folge von Reparationen (Art. 232 ff) und Auslieferungen derer, die als Kriegsschuldige von den Siegern identifiziert wurden (Art. 228 ff). Das mobilisierte in Deutschland die Ablehnung nicht nur des Vertrags, sondern auch seiner Folgen – bis hin zur neu entstehenden Repubik. 1 Das Gerede der OHL, die Revolution sei ein „Dolchstoß“ in den Rücken des ansonsten unbesiegten deutschen Heeres gewesen war zwar eine historische Lüge, erwies sich aber als politisch wirksame Fiktion. Die Folge war eine Kriegsschuld-Debatte, an der sich nahezu alle bedeutenden Historiker beteiligt haben, auch noch in der Zeit der BRD. Gerhard Ritter (1940) und ähnlich Friedrich Meinecke (1946) konnten nur eine „deutsche Katastrophe“ erkennen. 1949 meinte Ritter als Vorsitzender des Deutschen Historikerverbands noch, „die deutsche These, dass von einem lang vorbedachten deutschen Überfall der Mittelmächte auf ihre Nachbarn keine Rede sein könne“, habe sich allgemein durchgesetzt. Er blieb dabei, auch als er längst widerlegt war. Erst Fritz Fischer erschütterte 1961 mit seinem Buch „Griff nach der Weltmacht“ diese national-defensive Haltung der deutschen Geschichtswissenschaft, indem er nach ausführlicher Untersuchung des Zusammenhangs von deutscher Außen- und Kolonialpolitik zu dem Ergebnis kam: „Da Deutschland den österreichisch-serbischen Krieg gewollt, gewünscht und gedeckt hat und, im Vertrauen auf die deutsche militärische Überlegenheit es 1914 bewusst auf einen Konflikt mit Russland und Frankreich ankommen ließ, trägt die deutsche Reichsführung einen erheblichen Teil der historischen Verantwortung für den Ausbruch eines allgemeinen Krieges.“ Dennoch blieb die Kontroverse lebendig – weil sie wichtig war für die Interpretation ihrer Folgen. Thomas Nipperdey, der die Bedeutung von Sozialgeschichte nie begriffen hat, meinte noch 1991, die deutsche Kriegsbereitschaft sei keine Folge des deutschen Gesellschaftssystems gewesen; man sei eben – der britische WeltkriegsPremier David Lloyd Georges musste dafür immer als Kronzeuge herhalten – in den Krieg so „hineingeschlittert“. Wer so argumentiert, für den hat sich die Frage nach der Kriegsschuld erledigt, und für die folgende Geschichte bleibt der Krieg dann letztlich folgenlos – und damit ohne Erkenntnis. Ob die Kompromiss-Formel des australischen Historikers Christopher Clark (2012), die Deutschen seien nicht die einzigen Imperialisten geschweige denn die einzigen, die unter einer Paranoia litten, gewesen, das Ende der Debatte darstellt, darf angesichts der immer noch virulenten Beurteilung der Folgen dieser Bewertung bezweifelt werden. Kriegs-Bewertung – politisch wirksam noch heute: Tucholskys „Revolutionsrückblick“ 1919 ist ein Chanson der verpassten Chance: „Soldaten vor! Der Kaiser hat verzichtet. Nun wolltet ihr alleine weiter sehn. 2 Das ist im Leben hässlich eingerichtet, dass bei den Eberts gleich die Noskes stehn. Kaum ist das Land von einer Pest genesen, fällt es mit Grazie in die nächste rein Behüt dich Gott, es wär‘ so schön gewesen, behüt dich Gott, es hat nicht sollen sein.“ Die Klage über die verpasste Chance prägte durchgängig das Bewusstsein der Linken, für die somit die unvollendete Demokratie ein anhaltendes Trauma blieb. Der Weltkrieg und seine Folgen in Erlangen In Erlangen fielen im 1.Weltkrieg etwa 600 Erlanger Bürger, dazu 400 Studenten. Überall wurden für sie Ehrentafeln angebracht. Die Universität errichtete ihnen 1930 den „Gefesselten Krieger“ im Schlossgarten als Protest-Mahnmal gegen den Versailler Vertrag. Die NSDAP griff diesen nationalistischen Protest gerne auf – und die Burschenschaften nutzen ihn bei ihrem Agieren als Wegbereiter zum ersten nazibraunen ASTA Deutschlands. Wie schon 1832 am Hambacher Schloss waren auch 1919 „Schwarz-Rot-Gold“ die Farben der Demokratie – die sich nicht gegen das „Schwarz-Weiß-Rot“ des preußischen Obrigkeitsstaats durchsetzen konnten. „Siehst in Fenstern der Kasernen, wo sie Schwarz-Rot-Gold entfernen … Bist das alles schon gewohnt, guter Mond …“ klagt Tucholsky 1920 „An den deutschen Mond“. Und tatsächlich blieb die Flagge der Reichswehr in der schwarz-rot-goldenen Weimarer Republik Schwarz-Weiß-Rot – zeigte, dass die Reichswehr nicht nur ein „Staat im Staate“ war (wie oft formuliert), sondern eine „Staatsmacht gegen den demokratischen Staat“. An diese Tradition lehnt sich auch die farblich nur wenig variierte Fahne der Erlanger Burschenschaft „Frankonia“an: 1919 erfolgte die Gründung eines „Schwarz-weiß-roten Kartells“, das sich explizit gegen links organisierte. Die „Frankonia“, die sich zu dieser rechten Tradition bekannte, bestand bis 1935, also auch unter Nazi-Herrschaft noch so lange weiter, bis einfach alle Organisationen außerhalb des NS-Parteigefüges aufgelöst wurden. Ihre Funktion hatten die Burschenschaften ohnehin längst erfüllt: Wegbereiter zu sein beim schnellen Weg der Uni Erlangen in den NS-Staat! 1952 wieder gegründet steht die „Frankonia“ noch heute zu ihrer schwarz-weiß-roten Tradition – dem historischen Gegenpol zur demokratischen Republik. 3 Mag sein, dass die unmittelbaren Folgen des 1. Weltkriegs 1945 endeten, als er seine „Vorbildfunktion“ für den 2. Weltkrieg erfüllte hatte, als dessen „Vorgeschichte“ Hans-Ulrich Wehler ihn bezeichnet. Mag sein, dass 1990 mit dem Ende der deutschen Teilung und dem damit verbundenen Ende einer politischen Dominanz der früheren Siegermächte auch die Frage nach der Bedeutung des 1. Weltkriegs aus dem Feld politischer Wirksamkeit in den Bereich historischer Beschreibung abgesunken ist. Die Diskussion um Ursachen, Auswirkung und Folgen dieses Krieges, die sein 100jähriges Gedenken hervorruft, macht aber deutlich, dass die Auseinandersetzung mit dem 1. Weltkrieg immer noch eine Auseinandersetzung mit der politischen Rolle Deutschlands heute bedingt. Sie zeigt über den Anlass hinaus, dass Kriege nur sehr bedingt geeignet sind, internationale Konflikte zu lösen. Weit mehr als die Schüsse von Sarajewo, mehr auch als die Starrheit, mit der sich Deutschland alternativlos dem schon fast 10 Jahre alten Kriegsplan seines Generals Graf von Schlieffen unterwarf, weit mehr zeigt der Ausbruch des 1. Weltkriegs das Versagen diplomatischen Handelns. Der Krieg ist eben nicht die Fortsetzung der Politik mit anderen Mitteln; er ist das Versagen der Politik und ihre Flucht in militärischen Aktionismus. Die Ausstellung, die wir heute eröffnen, soll ein lokaler Beitrag zu dieser Diskussion sein. Wie sich die lokale Dimension des Kriegs in Erlangen darstellt, wird Ihnen gleich der Leiter des Stadtmuseums Thomas Engelhardt erläutern. In ihrer Anschaulichkeit, die Alltagserfahrung ebenso einbezieht wie das spätere militaristische Gedenken ist ein wichtiger Beitrag zur historisch-politischen Bildung am konkret-lokalen Beispiel, zur kulturellen Bildung also, wie wir sie uns in Erlangen zum Ziel gesetzt haben. 4