Künstlerkolonien in Europa - `Im Zeichen der Ebene und des Himmels`.

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Künstlerkolonien in Europa - ‘Im Zeichen
der Ebene und des Himmels‘.
Internationale Ausstellung im
Germanischen Nationalmuseum, Nürnberg
"Im Zeichen der Ebene und des Himmels" - so sah es Rainer Maria Rilke vollzog sich die Erneuerung der Kunst, nach der die Künstler in dem kleinen
Ort Worpswede im Teufelsmoor bei Bremen strebten.
Die Ausstellung des Jahres 1895, die im Münchner Glaspalast stattfand, machte die
Künstlerkolonie Worpswede nicht nur als Ausdruck der Suche nach einer neuen Malerei,
sondern auch als Beispiel des kreativen Zusammenlebens auf dem Lande in Deutschland
berühmt.
Worpswede steht jedoch nicht
allein. Vielmehr sind Künstlerkolonien ein kunst- und kulturgeschichtliches Phänomen von
gesamteuropäischer Dimension. Von dem Dorf Barbizon südöstlich der Kunstmetropole Paris
ausgehend, bildeten sich seit der Mitte des 19. Jahrhunderts in ganz Europa ländliche Zentren,
die zu Geburtsorten wichtiger Kunstströmungen wurden. In diesen Kolonien, abseits der
Großstädte und doch in enger Bindung zu ihnen, ließen sich Maler, Schriftsteller, Komponisten
und Utopisten nieder. In intensiver Auseinandersetzung mit der sie umgebenden Natur und der
dörflichen Welt widmeten sie sich Bildthemen, die in den verschiedenen Künstlerkolonien zu
ähnlichen künstlerischen Ergebnissen führten.
Die Mobilität der Künstler und der rege kommunikative Austausch untereinander trug den
einmal gezündeten Funken in die entlegensten Landschaften Europas. Bekannte Künstler wie
Jean-François Millet, Jean-Baptiste-Camille Corot und Théodore Rousseau waren die ersten, die
sich im Wald von Fontainebleau niederließen und heute zu den großen Vertretern der
realistischen Malerei Frankreichs gehören. Paul Gauguin und sein Umkreis schufen im
bretonischen Pont-Aven einen neuen Stil, der für das 20. Jahrhundert von wegweisender
Bedeutung war. Von ihren Werken gingen wesentliche Impulse für die europäische und
nordamerikanische Malerei aus. In Grezsur-Loing trafen sich nicht nur europäische, sondern
auch außereuropäische Künstler zur intensiven Auseinandersetzung.
An den Küsten des Nordens, in
Skandinavien und in Finnland (Tuusula), entdeckten die Maler, wie Peder Severin Krøyer in
Skagen, die Magie des Lichts für die neue Landschaftsmalerei. Im Osten Europas entstanden in
den polnischen Künstlerkolonien von Bronowice, Kazimierz, Krzemieniec und Zakopane Werke,
die den kommenden Generationen zum Vorbild wurden. In Abramcevo, nördlich von Moskau,
lud der Mäzen Saava Mamantov die junge Künstlergeneration, zu der u. a. Michail Vrubel' und
Ilja Repin gehörten, zur intensiven Auseinandersetzung mit der traditionellen russischen Kunst
ein. Im Südosten Europas bildeten die Kolonien von Nagybánya, Szolnok und Gödöllö die ersten
Zentren moderner Kunst.
Der Westen Europas - das belgische Tervuren und die niederländischen Künstlerkolonien von
Laren, Osterbeek und Katwijk - hatte für die deutschen Kolonien Vorbildcharakter. Neben
Worpswede (dort u. a. auch Paula Modersohn-Becker, Clara Rilke-Westhoff, Heinrich Vogeler)
sind die Orte Dachau (u. a. Adolf Hoelzel), Grötzingen, Kronberg, Schreiberhau (heute Polen)
und Willingshausen ebenso Teil dieser internationalen Bewegung wie Ahrenshoop, Ekensund
(heute Dänemark), Hiddensee und Nidden (heute Litauen) an der Ostseeküste.
An den Beispielen von St Ives in Cornwall, Arvika in
Schweden und Darmstadt wird deutlich, dass das
Schaffen in den Künstlerkolonien keineswegs auf
Malerei und Grafik beschränkt blieb, sondern auch
Bildhauerei und Kunsthandwerk mit einschloss. Die
Künstlerkolonien waren auch Inspirationsquellen
für Literatur, Musik und darstellende Künste, wie
die Werke von Holger Drachmann, Gerhart
Hauptmann und August Strindberg oder die
Kompositionen von Frederick Delius und Jean
Sibelius zeigen.
Die Mathildenhöhe bei Darmstadt und der Monte Verità bei Ascona in der Schweiz (dort lebten
u. a. Marianne v. Werefkin und Alexej v. Jawlensky) waren Schauplätze unterschiedlicher
lebensreformerischer Bestrebungen. Im Bereich des Bauens und Wohnens wurde ein
zukunftsweisender Anfang gemacht - eine neue gedankliche Durchdringung des menschlichen
Miteinanders, des Umgangs mit der Natur, aber auch gesellschaftliche Utopien zeugen vom
Willen zu neuen Lebensformen. Diese Gedankenwelt war auch in anderen Künstlerkolonien wie
Friedrichshagen, Gödöllö oder Worpswede zu finden.
Viele Künstler suchten in der ländlichen Abgeschiedenheit eine Alternative zu den Auswüchsen
der Zivilisation. So mancher stellte seine künstlerische Energie in den Dienst einer "Gesundung"
der Stadt durch das Land. Die so entstandenen reformerischen Initiativen reichten von einer
bürgerlichen Lebensform über gemeinwirt schaftliche Experimente bis hin zu ökologisch
motivierten Unternehmungen. Sowohl die kreative als auch die soziale Seite des Künstlerlebens
erreichten hier einen Grad von Freiheit, wie er im städtischen Umfeld kaum möglich war. Die
Arbeit in der freien Natur wurde zum gemeinsamen Erlebnis; die Suche nach Gemeinschaft in
Alltag und Festen war Grundprinzip des künstlerischen Lebens.
Das Landleben, die bäuerlichen
Arbeiten und die Tracht bildeten wichtige Faktoren in Künstlerkolonien. Anfänglich empfanden
die Künstler das bäuerliche Leben als Folklore, und die künstlerische Wahrnehmung der
Wirklichkeit spiegelte dieses oftmals wider. Dies wurde im späten 19. Jahrhundert von einer
malerischen Reduktion auf die "natürlichen Dinge" abgelöst, verbunden mit einem Lob des
einfachen Lebens. Das Landleben konnte aber auch durch die Betonung der Erdverbundenheit
zum Mythos erhoben werden.
In den Künstlerkolonien an der See sahen die Maler das tägliche Leben der Fischer und ihrer
Frauen im gleichförmigen Ablauf des Jahres. Für die Künstler war das Eigentümliche dieser
Welt der Boote und Netze von besonderem Reiz. Die einfache, mit der Natur verbundene
Lebensweise der Menschen lieferte die Motive für ihre künstlerische Aussage. Mit dem
aufkommenden Badebetrieb wurde zunehmend der unbekleidete Mensch in der ihn
umgebenden Natur von Meer und Strand dargestellt.
Der unspektakuläre Charakter der Landschaft bot die Möglichkeit, sich auf die Stimmungen der
Natur im Wechsel der Tages- und Jahreszeiten zu konzentrieren. Dabei fanden weniger die
dramatischen Wettersituationen, sondern die Abend- und Nachtszenen mit ihrer besonderen
Farbpalette das künstlerische Interesse. In dem gleichen Maße, wie die ländlichen Zentren zu
dauernden Aufenthaltsorten wurden, gewann auch der Winter als wichtiger Bildgegenstand
zunehmend an Bedeutung.
Das elementare Erlebnis des Meeres in den verschiedenen Stimmungen wurde von allen Malern,
die in den Künstlerkolonien an der See lebten, immer wieder als neue Herausforderung
empfunden. Das sich im Wasser spiegelnde Licht, die Schatten der ziehenden Wolken auf der
Meeresoberfläche, der Dunst des aufsteigenden Wassers boten attraktive Varianten der
Darstellungsmöglichkeiten. Hinzu kam der Himmel, der mit dem ständigen Spiel von Wolken
und Sonne die Küstenlandschaften in leuchtende, wechselnde Farbtöne tauchte.
Ein hochgespannter Himmel über einem weiten Land vermittelte die Sehnsucht nach dem
Naturerlebnis und wurde daher ein beliebtes Motiv der Maler und des Publikums. Die Befreiung
von der Enge der Stadt fanden die Künstler zumeist in der Ebene. Sie gab ihnen ein Gefühl von
Ruhe und zugleich eine Vorstellung vom Leben im Einklang mit der Natur. Wolkenformationen,
ein häufiger Wechsel des Lichtes und sich wandelnde Schatten steigerten dieses Empfinden.
Auch aufragende Berge können dieses Gefühl vermitteln, jedoch gab es nur einzelne
Künstlerkolonien, die in diesen Landschaften entstanden.
Mit der Entdeckung von Fontainebleau als
natürlichem Erlebnisort für die städtische
Bevölkerung von Paris wurde der Wald zu
einem Thema der Maler (s. Titelbild der
"Kulturberichte"). Das wechselnde
Erscheinungsbild des Waldes stand als sehr
anschauliches, lyrisches Symbol für die
Jahreszeiten in ihrem Ablauf. Überdies sah man
im Frühling das Werden und im Herbst das
Vergehen des menschlichen Lebens; einzelne
Baumriesen wurden wie Individuen dargestellt.
Das Schaffen in den Künstlerkolonien war nicht
alleine durch die Natur geprägt. In vielen
Fällen verbanden Künstler ihre religiösen
Vorstellungen mit den Stimmungen der
Landschaft und den Elementen der Volkskunst.
Beides diente auch als Quelle der Inspiration für eine Neubelebung der Märchenwelt. Fernab
der großen Städte regten die tatsächlichen oder erdachten Geschichten aus alten Zeiten die
Phantasie an. In den Mythen fanden vor allem noch junge Nationen ihre Identität.
Die in den Künstlerkolonien - heute oft gut besuchte Schauplätze des gehobenen
Kultur-Tourismus - entstandenen Werke offenbaren erstaunliche künstlerische Leistungen von
internationaler Parallelität. Ungeachtet aller Stilbildungen blieben die Bildmotive und
Bildthemen über Länder und Grenzen hinweg gleich. Die Künstler beschäftigten sich mit
vergleichbaren Sujets wie der Darstellung des Künstlerortes, dem fröhlichen und ernsten Leben
in der Künstlergemeinschaft, dem Land und dem Meer als Standort. Erst die Pleinair-Malerei
ermöglichte eine neue Sichtweise auf die Natur und ihre Phänomene. Künstlerkolonien wurden
zu Kristallisationspunkten für die internationale Moderne.
Um diese internationale Sprache der Kunst
aufzuzeigen, löst sich die Ausstellung im
Germanischen Nationalmuseum (15. November
2001 bis 17. Februar 2002) von der herkömmlichen
topografischen Einteilung und verlangt nach einer
thematischen Ordnung. Zwölf Abteilungen mit etwa
600 teilweise erstmals in Deutschland präsentierten
Werken und Dokumenten zeigen, dass die
bedeutendsten Künstler der Kolonien wesentlichen
Anteil an der Entwicklung von Impressionismus,
Naturalismus, Synthetismus, Jugendstil und
Expressionismus hatten. Anhand von Dokumenten zeitgenössische Plakate, Postkarten und Prospekte wird veranschaulicht, dass die Künstlerschaft selbst
wesentlichen Anteil an der touristischen
Entdeckung ihrer landschaftlich oftmals
unspektakulären Orte hatte.
Mit dem Ausstellungsprojekt, das in Zusammenarbeit mit Partnern aus fünfzehn Ländern
Europas und den USA realisiert wird, greift das Germanische Nationalmuseum den
europäischen Gedanken auf, wie er unter den Künstler vor 100 Jahren bereits gelebt worden ist.
Die thematische Ordnung findet auch in dem die Ausstellung begleitenden Katalog ihren
Niederschlag. Unter Beteiligung von Wissenschaftlern aus zehn europäischen Nationen ist ein
Standardwerk entstanden, welches das Phänomen "Künstlerkolonie" in seiner
kulturhistorischen Gesamtheit erschließt. Eine umfassende Bibliografie und knapp 300
Künstlerbiografien ermöglichen den Einstieg in die weitere Forschung. Das Namensregister mit
anschließendem Ortsregister schafft die Voraussetzung für die vielfältige Benutzbarkeit des
Ausstellungskatalogs.
Die Europäische Kommission hat das Ausstellungsprojekt "Künstlerkolonien in Europa" als
besonders förderungswürdig eingestuft - damit ist es zu einem europäischen Unternehmen
geworden. Davon zeugen nicht zuletzt die Mitveranstalter: das Singer Museum im
niederländischen Laren und Skagens Museum In Dänemark.
Claus Pese
Ausstellungskatalog: Pese, Claus: Künstlerkolonien in Europa - "Im Zeichen der Ebene und des
Himmels", Nürnberg 2001, 600 S., mehr als 500 Abb., 18 Artikel, Kurzbiografien, Bibliografie und
Register, 25 €
Dr. Claus Pese ist Oberkonservator und Projektleiter im Archiv für Bildende Kunst im Germanischen
Nationalmuseum, Nürnberg
AsKI KULTURBERICHTE 3/2001
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