NZZ am Sonntag 20. April 2014 Streit um ZKB Zürcher Gemeinden gegen Kantonsrat 31 Shrimps statt Reis Der Kampf um Land in Bangladesh 36 Neuer Rolex-Chef Warum die Wahl auf J.-F. Dufour fiel 35 «Der italienische Richter hat mich mit Hitler verglichen» Kaum ein anderer Wirtschaftsführer hat so viel in ein Leben gepackt wie Stephan Schmidheiny. Der Industrielle stieg aus dem Asbestgeschäft aus, schuf sich ein neues Imperium, wurde zum Umweltschützer und Philanthropen. Zum 20-Jahr-Jubiläum seiner Avina-Stiftung zieht Schmidheiny Bilanz KILIAN KESSLER NZZ am Sonntag: Holcim, der Zementkonzern Ihres Bruders Thomas, und die französische Lafarge haben vor zehn Tagen einen Zusammenschluss angekündigt. Wie haben Sie von diesem Vorgehen erfahren? Stephan Schmidheiny: Ich glaube, ich habe in der Zeitung davon gelesen. Ich bin ja an diesem Zusammengehen weder beteiligt noch davon betroffen. 1947 Hat sich Ihr Engagement für Umwelt und nachhaltiges Unternehmertum gelohnt? Das Fazit ist sehr schwer zu ziehen, ohne dass man die wirtschaftliche, soziale und politische Umwelt anschaut. Die hat sich in diesen Jahren dramatisch verändert. Anfang der 1990er Jahre haben wir alle von der Friedensdividende geträumt nach dem Ende des Sowjetimperiums. Die Millennium-Feier war wunderbar. Alle dachten, man habe ein Jahrhundert an Krieg hinter sich und nun komme ein Jahrhundert des Friedens. Diese Illusion ging am 11.September 2001 in die Brüche. Parallel dazu gab es in Lateinamerika eine Öffnung. Es war das erste Mal, dass es keine Militärdiktaturen gab, abgesehen von Kuba. 1976 Übernimmt die Leitung der Eternit-Gruppe. 1979 Vor 23 Jahren? 27. Wenn ich zurückschaue, kann ich selber fast nicht glauben, wie ich so viel in ein Menschenleben packen konnte. Dabei habe ich noch relativ jung aufgehört. Erste Diversifikation: Kauf eines Kioskgeschäfts. 1981 Sie haben bei der ABB-Fusion und anderen grossen Transaktionen die Fäden im Hintergrund gezogen. Vermissen Sie diese Zeit nicht? Mein Leben ist heute ganz anders. Ich bin froh, dass ich solche Dinge nicht mehr mitentscheiden und -verantworten muss. Ich habe es früher gern gemacht. Kündet Asbestausstieg an. 1984 Wie ist das Verhältnis zu Ihrem Bruder Thomas? Tauschen Sie sich regelmässig aus? Wir haben ein gutes, friedliches Verhältnis. Aber wir haben eigentlich wenig Kontakt. Wir sind immer schon unsere eigenen Wege gegangen, und wir waren geschäftsmässig ja schon lange getrennt, was rückblickend sicher gut war. Insofern sind wir nicht eng miteinander verbunden. Erbteilung: Stephan erhält die Eternitgruppe, sein Bruder die heutige Holcim. 1985 Nach Ihrer aktiven Zeit als Industrieller sind Sie zum Philanthropen geworden und haben vor 20 Jahren die Avina-Stiftung gegründet. Was war damals der Auslöser? Die ersten sieben, acht Jahre meiner Berufstätigkeit in den siebziger Jahren habe ich einen Ausstieg aus dem Eternitgeschäft und dem Asbest gesucht. In den 1980er Jahren hatte ich grosse Chancen, Unternehmen zu kaufen, aus dem einfachen Grund, dass niemand anders sie wollte. Ende der 1980er Jahre war mein Geschäft zu 80% neu und grösser, als ich angefangen hatte. Dann übernahmen Sie eine führende Rolle am Umweltgipfel in Rio. 1990 wollte ich eigentlich ein Sabbatical machen und in den USA an eine Universität gehen. Dann aber traf ich in Norwegen Mau- Dabei versuchte ich anzuwenden, was ich als Unternehmer gelernt hatte: Effizienz, Organisation, Struktur, Zusammenarbeit. Geburt. Jugend in Heerbrugg (SG). Und dann haben Sie Ihren Bruder angerufen? Nein, wir haben nicht miteinander geredet. Aber diese Ereignisse haben mich an eigene Erfahrungen erinnert, an die Entstehung von ABB. Mir ist einmal mehr bewusst geworden, wie lange das schon zurückliegt. Wissen Sie noch, wann die ABB-Fusion war? Es heisst, Sie hätten als Schmidheiny-Erbe mit 1Mrd.Fr. angefangen und diese auf 4 bis 5Mrd. vermehrt. Kommt das hin? Ich habe das nie zusammengezählt. Sicher habe ich mit weniger angefangen und mit dem Eternitgeschäft eine sehr schwierige Hausaufgabe bekommen. Danach hat mir das Schicksal eine Art kompensatorische Gunst erwiesen. Das Kioskgeschäft, meine erste grosse Übernahme, war sehr erfolgreich. Danach gab es ein paar geglückte Turnarounds, und ich war in der BBC investiert, bevor sie zu ABB wurde. Ich hatte viel Glück. Und es war eine Zeit, in der es noch nicht so hohe Firmenbewertungen gab wie in den 1990er Jahren. Später hätte ich das nicht mehr so machen können. Die 1980er Jahre, das war die Zeit der Privat-Deals. Ich habe den Deal mit Nicholas Hayek zur Rettung der SMH per Handschlag geregelt. Stephan Schmidheiny Übernahme (51%) der SMH zusammen mit Hayek. 1990 Berufung zum Uno-Berater im Hinblick auf den «Rio-Gipfel» 1992. 1994 Stephan Schmidheiny meditiert jeden Morgen bis eine Stunde. (Zürich, 16.April 2014) rice Strong, den Generalsekretär der UnoUmweltkonferenz. Danach setzte ich praktisch zwei Jahre meines Lebens für den Umweltgipfel von Rio ein. In dieser Zeit starben mein Vater und mein jüngerer Bruder Alexander. Mein Bruder hat mir sein ganzes Erbe vermacht, weil ich für ihn gesorgt hatte. Das wollte ich nicht zu meinem Vermögen schlagen, sondern etwas damit machen. Es war fast logisch, dass ich aufgrund der Erfahrungen von Rio etwas ausprobieren wollte, das diesem Geist entspricht. So ist die AvinaStiftung entstanden. Sie hatte eine Vorläuferin, die Fundes-Stiftung in Lateinamerika, die ich 1984 gegründet hatte. Wir haben kleine und mittlere Unternehmen gefördert mit einer sehr businessnahen Philanthropie. Hatten Sie das Leben als Unternehmer satt? Das ist nicht übertrieben. Wenn etwas läuft, aufgegleist ist und keine Probleme macht, dann interessiere ich mich für etwas anderes. Dann war es also eine Mischung von Faktoren, die Sie zur Philanthropie brachten: das Erbe Ihres Bruders, die Eindrücke des Rio-Gipfels, die Erfahrungen mit der KMU-Förderung und die Lust, etwas Neues anzupacken? Da kommt noch etwas anderes hinzu. Ich war mein ganzes Leben lang immer eine Generation zu jung. Ich war 32, als ich Verwaltungsrat bei der Bankgesellschaft wurde, 20 Jahre jünger als der nächste. Und als ich nach 18 langen Jahren aus dem SBG-Verwaltungsrat austrat, war ich immer noch der zweitjüngste. Viele meiner Weggefährten aus jener Zeit sind längst im Paradies. Darum habe ich mich auch schon in einem Alter in grösserem Stil philanthropisch betätigt, wo andere noch nicht an so was denken. Das ist für viele eigentlich eine Tätigkeit fürs Stöckli. Gründet die AvinaStiftung. 2001 Beginnt seinen Rückzug aus der Öffentlichkeit. 2013 Wird im italienischen Eternit-Prozess verurteilt. Geht in Berufung. Und Ihr Fazit? Wenn man die Erwartungen des Rio-Gipfels von 1992 zum Massstab nimmt, sind wir «Mindestens die ersten 18 Monate nach dem Aorta-Riss hatte ich eine intensive Existenzangst, das Gefühl, auf ganz dünnem Eis zu gehen.» heute nahe beim Worst Case. Wenn ich nach Lateinamerika schaue, ist das Bild sehr durchzogen. Es gab viele Fortschritte, und zwar auch in Ländern, wo man das so nicht erwartet hätte. Dann gibt es aber auch grosse Katastrophen, vor allem in Venezuela, wo wir vor 15 Jahren gross investiert hatten. Das Betätigungsfeld der Avina-Stiftung in der Schweiz ist sehr breit. Man bekommt den Eindruck, jeder könne Stephan Schmidheiny um Geld angehen. Gibt es eine Klammer? Wir fördern primär starke Persönlichkeiten, die sich mit grossem Engagement für ein gemeinnütziges Anliegen einsetzen. Daneben unterstützen wir traditionell auch viele Projekte in meiner geografischen Nähe. Es gibt einen Vergabeausschuss, in dem ich nicht dabei bin. Der hat die Kompetenz, bis 100 000 Franken selber zu entscheiden. Projekte, die darüber hinausgehen, kommen zu mir. Die grösseren Geschichten diskutieren wir im Stiftungsrat. Sie machen einen sehr gelassenen Eindruck, so, als hätten Sie alles losgelassen, was Sie in der Vergangenheit beschäftigt hat. Das ist eigentlich das grösste Kompliment, das Sie mir machen können. Das ist genau das, was ich möchte: Gelassenheit, Distanz zu vielem, auch zu der Welt. Das hat mit dem Aorta-Riss, den ich vor sechs Jahren erlitten habe, begonnen. Das war zwangsläufig so. Ich musste wieder lernen zu leben. Seither habe ich mich mehr und mehr distanziert vom aktuellen Zeitgeschehen. Der Aorta-Riss hat Ihr Leben noch einmal komplett verändert? Mindestens die ersten 18 Monate hatte ich eine intensive Existenzangst. Ich hatte das Gefühl, auf ganz dünnem Eis zu gehen. Dann ist mir klar geworden, dass es wieder aufwärtsgeht, aber dass ich sicher nicht mehr in Fortsetzung Seite 30 «Der italienische ...» Fortsetzung von Seite 29 Wirtschaft NZZ am Sonntag 20. April 2014 KILIAN KESSLER 30 den gleichen Rhythmus zurückfallen will von Arbeiten und Reisen. Es begann, mir zu gefallen. Wie sieht Ihr Alltag aus? Den gibt es nicht mehr. Ich bin Pensionist. Ist Ihnen nicht langweilig? Überhaupt nicht. Ein normaler Tag fängt damit an, dass ich mit meiner Frau zusammen eine halbe bis eine Stunde meditiere. Dann ist Bewegung angesagt, soweit das noch geht mit meiner Hüfte, viel lesen und Kultur. Meine Frau und ich gehen viel in die Oper, in Museen, an Konzerte. Wir spielen beide etwas Klavier. So wird es häufig schneller Abend, als mir lieb ist. Wenn man die Leute auf der «Dass ich 30 Jahre später als Massenmörder verfolgt und verurteilt werde, ist absurd»: Schmidheiny. Strasse fragte: Wer ist Stephan Schmidheiny?, dann würden die meisten sagen: Das ist doch der mit dem Asbest. Trifft Sie das? Letztes Jahr hat Sie ein italieniRichter hat mich mit Hitler ver20 Jahre Avina Für mich ist, was ich damals sches Gericht zu 18 Jahren glichen und mein Handeln mit gemacht habe, immer noch das Gefängnis verurteilt. der Endlösung der Judenfrage. 1994 gründet Schmidheiny die Beste, was ich als Unternehmer Dass ich 30 Jahre später als Da wusste ich, mit diesem SysAvina-Stiftung. Seither hat sie gemacht habe. Nämlich sehr Massenmörder verfolgt und vertem kann ich nichts anfangen. 550 Mio. Fr. in wohltätige Profrühzeitig aus der Asbestverarurteilt werde, ist für mich jekte investiert, davon 150 Mio. beitung auszusteigen trotz grosabsurd. Der Bundesrat möchte die Hafin der Schweiz. In diesen ser Unsicherheit. Es ist sehr eintungspflicht für Personenschäden Zahlen nicht inbegriffen ist die fach, heute zu sagen, man Wie geht es jetzt weiter? auf 30 Jahre erhöhen, um dem lateinamerikanische Fundación wusste damals, Anfang der siebJetzt geht es an das oberste Problem der langen Latenzzeiten Avina ab 2001. Seit da wird ziger Jahre, schon alles über die Gericht, in Kassation, vorausbei Asbestfolgekrankheiten zu diese nämlich als eigenstänGesundheitsrisiken. Man wusste sichtlich noch dieses Jahr. begegnen. Verstehen Sie das? dige Organisation geführt, gar nichts. Es gab einige TheoJa, natürlich. Mit diesen die sich weitere Finanzierungsrien von Ärzten, aber die waren Wie stark beschäftigt Sie das? langen Latenzzeiten macht das quellen erschlossen hat. Der äusserst kontrovers. Trotzdem Es gab Zeiten, in denen mich schon Sinn. Es betrifft die zivilvon Schmidheiny gegründete habe ich den Ausstieg beschlosdas sehr mitgenommen hat. rechtlichen Ansprüche, nicht das Viva Trust ist aber weiterhin sen und umgesetzt, lange bevor Aber zu Beginn des zweitinStrafrecht. der grösste Beitragszahler. die Asbestverarbeitung verboten stanzlichen Prozesses ist mir die Interview: Markus Städeli, wurde. Absurdität klar geworden. Der Chanchal Biswas Insider-Verdacht bei der Fusion von Lafarge-Holcim Parallel zu den Gesprächen der beiden Zementriesen über ein Zusammengehen sind wohl Insider am Werk gewesen. Nutzt die Finma nun ihre neuen Kompetenzen? Markus Städeli Am 4. April ist etwas gewaltig schiefgelaufen. Mitten im Börsenhandel mussten die beiden Zementkonzerne Holcim und Lafarge in einer Feuerwehrübung ankünden, dass sie über eine Hochzeit reden. Nötig wurde dies, nachdem die Aktien von Holcim und Lafarge stark angestiegen waren (siehe Grafik). Verdächtige Bewegung Holcim-Aktie seit einem Monat im Vergleich zum SMI 120 Indexpunkte (20. 3. 2014 = 100) 4. April Fusionsabsichten werden bekannt 115 Holcim 110 105 SMI 100 95 20. März Quelle: vwdgroup 3. 4. April 18. Selbst die Nachrichtenagentur Bloomberg hatte die Fusionsabsichten bereits bekanntgemacht. Diverse Anleger positionierten sich in Aktien und Call-Optionen, mit denen man überproportional an der Kursentwicklung partizipiert. Und zwar nicht erst am 4. April, sondern schon zuvor. Darum deutet einiges darauf hin, dass es nicht nur zu einem Informationsleck, sondern auch zu Insiderhandel gekommen ist. Das Ausnützen von kursrelevanten Informationen wird seit Mai 2013 als Vortat zur Geldwäscherei eingestuft. Ein Straftatbestand also, der neu von der Bundesanwaltschaft verfolgt wird. Vor dieser Verschärfung galt Insiderhandel in breiten Kreisen als ein Kavaliersdelikt, das ohnehin nie Folgen hatte: Der Finanzmarktaufsicht Finma waren weitgehend die Hände gebunden. Sie konnte jeweils nur Vorgänge bei Firmen untersuchen, die direkt ihrer Aufsicht unterstellt waren – also primär Banken. Nun kann sie auch prüfen, ob Privatleute, also etwa Holcim-Mitarbeiter oder deren Verwandte und Freunde, Insiderinformationen ausnutzten. An der Kommunikation der Finma hat sich allerdings nichts geändert. Sie druckst herum wie ehedem: «Die Finma äussert sich grundsätzlich nicht zu ihrer laufenden Aufsichtstätigkeit oder zu einzelnen Firmen.»