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Gesundheitliche Bewertung des BfR
~irBfR
Risiken erkennen - Gesundheit schützen
Anlage
7·3727-7760803
Berlin, den 06.03.2014
Gesundheitliche Bewertung von Chrom (Vl)-Verbindungen in Lederwaren
1.
Gegenstand der Bewertung
Veranlasst durch eine Anfrage des Ministeriums für Klimaschutz, Landwirtschaft, Natur- und
Verbraucherschutz des Landes Nordrhein-Westfalen wurde um Stellungnahme gebeten, ab
welchen Chrom (Vl)-Gehalten in Lederwaren ein ernstes Risiko für Verbraucher gegeben ist,
das eine Meldung im RAPEX-System der EU rechtfertigt. In dem der Anfrage zugrunde liegenden Fall wurde im Rahmen der Überwachung von Bedarfsgegenständen durch das Landesuntersuchungsamt Koblenz eine Lederjacke untersucht. In der Damen-Lederjacke der
Konfektionsgröße 46 wurden 11,8 mg/kg Chrom (VI) im Rückenteil bzw. 28,2 mg/kg im Leder
der Krageninnenseite mit unmittelbarem Hautkontakt gemessen. Eine Paralleluntersuchung
des gleichen Produkts durch den TÜV-Rheinland ergab einen Gehalt von 17 mg/kg bzw.
19,7 mg/kg nach künstlicher Alterung. Zu den Messergebnissen liegen toxikologische Gutachen der Firmen EuDiCo GmbH und SGS Group vor. Von der Firma EuDiCo GmbH wurde
zusätzlich das Ergebnis einer Migrationsuntersuchung mit künstlicher Schweißlösung vorgelegt. Sie ergab einen Wert von 2,6 mg Chrom (Vl)/kg Leder.
2.
Ergebnis
Die im Rahmen der Überwachung von Bedarfsgegenständen durch das Landesuntersuchungsamt Koblenz gemessenen Gehalte an Chrom (VI) lassen einen Verstoß gegen die
Bestimmungen nach der Achtzehnten Verordnung zur Änderung der Bedarfsgegenständeverordnung erkennen. Nach der Achtzehnten Verordnung zur Änderung der Bedarfsgegenständeverordnung 201 O müssen Bedarfsgegenstände aus Leder, die dazu bestimmt sind,
nicht nur vorübergehend mit dem menschlichen Körper in Berührung zu kommen, so hergestellt sein, dass mit der in der Amtlichen Sammlung von Untersuchungsverfahren nach § 64
Absatz 1 des Lebensmittel- und Futtermittelgesetzbuches unter der Gliederungsnummer B
82.02-11, Stand 2008-10, veröffentlichten Analysenmethode kein Chrom (VI) nachweisbar
ist. Die Bestimmungsgrenze für die quantitative Bestimmung der Chrom (Vl)-Gehalte in Leder liegt bei 3 mg/kg.
Zur Beantwortung der Frage, ob durch die Chrom (Vl)-Gehalte in dem konkret untersuchten
Produkt eine Schädigung der Gesundheit im Sinne des § 30 LFGB gegeben ist bzw. ob mit
dem Tragen des Produkts ein ernstes gesundheitliches Risiko im Sinne von Artikel 12 der
Richtlinie über Allgemeine Produktsicherheit (2001 /95/EG) verbunden ist, wurde auf der
Grundlage der zur Verfügung stehenden Daten zum Chrom-Gehalt und zur Migration von
Chrom (VI) die mögliche dermale Aufnahme aus den Lederanteilen mit unmittelbarem Hautkontakt abgeschätzt. Die toxikologische Bewertung der hieraus resultierenden gesundheitlichen Risiken erfolgte unter besonderer Berücksichtigung möglicher kanzerogener und sensibilisierender bzw. allergieauslösender Wirkungen des Chrom (VI).
a) Kanzerogenes Potential
Kanzerogene Effekte wurden vor allem bei inhalativer, intrabronchialer, intrapleuraler, intratrachealer, intramuskulärer oder subkutaner Exposition gegen Chrom (Vl)-Verbindungen
diskutiert. Zur Kanzerogenese bei dermaler Chrom (Vl)-Exposition liegen keine Daten vor.
Auch zu kanzerogenen Effekten bei oraler Aufnahme gab es lange Zeit keine belastbaren
Daten. Inzwischen liegt jedoch eine 2-Jahresstudie (Trinkwasserstudien) zur Kanzerogenität
von Chrom (VI) in Ratten und Mäusen vor (NTP 2008). Diese Studie gibt nun klare Hinweise
auf ein verstärktes Auftreten von Tumoren des Plattenzellepithels der Mucosa und der Zunge
Gesundheitliche Bewertung von Chro1n {Vl)-Verbfndungen in Lede1v1areo
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bei Ratten und eine Erhöhung der lnzidienz für Tumoren im Duodenum, Jejunum und Ileum
bei Mäusen. Zwar wurde die Studie bislang noch nicht abschließend bewertet, jedoch legen
die Ergebnisse dieser Studie nahe, dass die aus dem Tragen der Lederjacke resultierende
interne Chrom (Vl)-Exposition auch im Hinblick auf Kanzerogenität ein gesundheitliches Risiko darstellen könnte.
b) Sensibilisierendes bzw. allergieauslösendes Potential
Die im Rahmen dieser Risikobewertung auf der Grundlage von Daten der Firma EuDiCo
GmbH ermittelte dermale Exposition von 0, 1 µg/cm 2 Hautoberfläche liegt im Bereich der
MET (10%)-Werte (minimal elicitation threshold for 1O % of sensitized individuals) der Mehrzahl der in Tabelle 1 zusammengefassten Studien. Der MET (10 %)-Wert zeigt an, bei welcher Konzentration bei 1O % der sensibilisierten Patienten eine allergische Reaktion ausgelöst werden kann. Aufgrund des von der Firma EuDiCo GmbH verwendeten experimentellen
Vorgehens bei der Migrationsuntersuchung dürfte diese Abschätzung die tatsächlich aus
dem Material migrierende Chrom (Vl)-Menge jedoch deutlich unterschätzen. Die in dem Gutachten der Firma SGS Group bestimmte Chrom (Vl)-Menge von 0, 766 µg/cm 2 Haut unter
Annahme einer vollständigen Migration übersteigt diese MET (10%)-Werte um nahezu eine
Größenordnung. Auch wenn in dem Gutachten der Firma SGS Group mit der Annahme einer
vollständigen Migration die tatsächlich aus dem Material migrierende Chrom (Vl)-Menge
deutlich überschätzt wird, ist nach beiden Szenarien die Wahrscheinlichkeit der Auslösung
einer Kontaktdermatitis beim Tragen der Lederjacke gegeben.
c) Risikobewertung unter Berücksichtigung nicht-kanzerogener Effekte
Für die Risikobewertung im konkreten Fall wurden auch toxikologische Kennwerte herangezogen, die unter Berücksichtigung nicht-kanzerogener Effekte bei lebenslanger täglicher oraler Aufnahme als sicher angesehen werden. Vergleicht man die interne Chrom (Vl)-Dosis,
die aus Expositionen im Bereich dieser toxikologischen Kennwerte resultieren (Tabelle 3,
Zeilen 3-5) mit den internen Dosen, die aus dem Tragen der Jacke resultieren könnten (Tabelle 3, Zeilen 1/2), zeigt sich, dass auch die als sicher angesehenen toxikologischen Kennwerte durch das Tragen der Jacke überschritten werden.
Damit stellt der Chrom (Vl)-Gehalt in dem konkret untersuchten Produkt ein gesundheitliches
Risiko dar, so dass eine potentielle Schädigung der Gesundheit im Sinne des § 30 LFGB
gegeben ist, bzw. ein ernstes gesundheitliches Risiko im Sinne von Artikel 12 der Richtlinie
über Allgemeine Produktsicherheit (2001/95/EG) vorliegt.
3.
Begründung
3.1
Risikobewertung
3.1.1
Mögliche Gefahrenquelle
Chrom ist ein ubiquitäres Element. In dem hier diskutierten Zusammenhang sind Chromsalze
von Bedeutung. Bei diesen kann das Chrom in den Oxidationsstufen bis +6 vorliegen, jedoch
sind insbesondere Chrom (III)- und Chrom (Vl)-Verbindungen bei dermaler, inhalativer und
oraler Aufnahme gesundheitlich relevant. Die übrigen Chromsalze sind instabil. Chrom (VI)
ist, insbesondere im sauren Milieu, ein Oxidationsmittel und wird vor allem im Leberstoffwechsel u.a. durch schwefelhaltige Aminosäuren reduziert. Im alkalischen Bereich kann aus
Chrom (III) durch Oxidation Chrom (VI) gebildet werden. Chrom (Vl)-Salze sind im Vergleich
zu Chrom (111)-Salzen besser wasserlöslich und das Chrom (Vl)-lon durchdringt die Haut und
die Zellmembranen leichter (Gammelgaard et al. 1992; Van Lierde et al. 2006).
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Die natürliche Hintergrundbelastung mit Chrom in Gewässern liegt in Deutschland im Bereich von 2,5 µg/I (LAWA 1997). Nach einer Abschätzung der ECB liegt die kombinierte Exposition (Gesamt-Chrom) aus allen Quellen unter Annahme eines worst-case Scenario bei
etwa 0,013 mg/kg Körpergewicht und Tag (ECB 2005).
Eine Exposition des Verbrauchers gegenüber Chrom (Vl)-Verbindungen kann über unterschiedliche Quellen erfolgen. Hierzu zählen zum Beispiel Anstriche mit auf Chrom (Vl)basierenden Farbpigmenten, Wolle und Baumwolle, die mit Chrom-haltigen Farbfixierungmitteln behandelt wurde, mit Kupfer-Chrom-Arsenal (CCA) behandelte Holzprodukte, Chromhaltige Beschichtungen, Überzüge und Passivierungen von metallischen Gegenständen,
Zement und Chrom-gegerbtes Leder.
Obwohl Chrom (VI) heute nicht mehr für den Gerbungsprozess eingesetzt wird, stellen Bekleidungsgegenstände aus Chrom-gegerbtem Leder eine bedeutsame Chrom (Vl)-Quelle für
Verbraucher dar. Etwa 80-85% des weltweit hergestellten Leders wird durch Chromgerbung
von Tierhäuten oder durch Gerbung mit einer Kombination aus Chromsalzen und anderen
Gerbstoffen hergestellt. Bei der Chromgerbung werden die Tierhäute nach vorbereitenden
Prozessen (Entfleischen, Entfetten, Enthaaren) einer Behandlung mit Chromsulfatkomplexen
in wässriger Lösung unterzogen, um die Kollagenfasern der Tierhäute zu vernetzen und so
das Leder vor allem gegen mikrobielle Angriffe und hydrothermische Belastungen zu schützten. Dabei reagieren die eingesetzten Chromsulfatkomplexe mit dem Kollagen primär durch
Komplexbindung mit den Carboxylgruppen der Glutaminsäure und Aspariginsäure im Kollagen. In der EU wird im Gerbungsprozess basisches Chrom (111)-Sulfat eingesetzt. Das in Lederprodukten vorhandene Chrom (VI) stammt aus Verunreinigungen der eingesetzten
Chromsulfatkomplexe und entsteht durch Oxidation von Chrom (III) zu Chrom (VI) während
des weiteren Verarbeitungsprozesses in wässrigem Medium oder während des Gebrauchs.
Chrom (VI) kann aber auch aus Chrom-haltigen Lederpigmenten freigesetzt werden. Eine
Reihe von Projekten hat gezeigt, dass durch geeignete Herstellungsverfahren die Bildung
von Chrom (VI) minimiert werden kann (Chrom61ess 2005; Hauber and Buljan 2000; Hauber
and Germann 1999; Meyndt et al. 2011; PFI 2011 ). Nachweisbare Mengen an Chrom (VI)
deuten somit auf Lederwaren hin, die nicht nach dem aktuellen Stand der Technik hergestellt
wurden.
Einen Überblick über die Chrom (Vl)-Exposition von Verbrauchern durch Leder geben zum
Beispiel Ergebnisse von Untersuchungsprogrammen aus Deutschland. Bei von den Überwachungsbehörden der Bundesländer durchgeführten Bestimmungen der Chrom (Vl)-Gehalte
in Lederwaren wurden im Zeitraum von 2000 bis 2006 in mehr als der Hälfte der Proben
Chrom (VI) gefunden. Etwa 17% der Proben enthielten mehr als 10 mg/kg Leder. Untersuchungen in den Jahren 2008 und 2009 zeigten, dass Lederwaren mit unmittelbarem Hautkontakt wie Schuhe, Lederhandschuhe oder Uhrenarmbänder, besonders hohe Gehalte an
Chrom (VI) aufwiesen. Die höchsten Gehalte (>100 mg/kg) wurden in Schuhbekleidung, in
Handschuhen/Fingerlingen und in Arbeitsbekleidung nachgewiesen. Bei 54 % der Proben
lagen die Chrom (Vl)-Gehalte über 3 mg/kg, 21 % der Proben wiesen sogar Chrom (Vl)Gehalte von mehr als 1O mg/kg auf (BVL 2010).
Eine Untersuchung von Lederwaren in Dänemark aus dem Jahre 2002 ergab in 35 % der
Proben Chrom (Vl)-Gehalte von 3,6 bis 14,7 mg/kg (Rydin 2002). Bei der Untersuchung von
Lederschuhen in Dänemark im Jahre 2008 enthielten 44 % der Proben mehr als 3 mg Chrom
(Vl)/kg; der Maximalwert betrug 62 mg/kg (Johannsen et al. 2011). Eine durchgeführte Untersuchung an Patienten mit einer diagnostzierten Kontaktdermatitis und Chromallergie zeigte, dass im Untersuchungszeitraum (1995-2007) in Dänemark die meisten Fälle durch Kontakt mit Lederschuhen und Lederhandschuhen verursacht wurden (Thyssen et al. 2007).
Gesundheitliche Bewertung von Chrorn (Vl}-Verbindungen in Ledenvaren
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Gesundheitliche Bewertung des BIR
3.1.2
Gefährdungspotential
Die folgende Darstellung des Gefährdungspotentials wird sich auf relevante Aspekte der hier
konkret angesprochenen Problematik fokussieren. Für weitere Informationen zu den toxikologischen Eigenschaften von Chrom (Vl)-Verbindungen sei auf die umfassenden internationalen (ATSDR 2008; CSTEE 2002; ECB 2005; IARC 1990; US EPA 1998) und nationalen
Bewertungen (Greim 2010) verwiesen. Für Chrom (VI) in Lederwaren liegt aktuell ein Entwurf vor für die Änderung des Anhangs XVII der REACH-Verordnung zur Beschränkung des
Chrom (Vl)-Gehalts in Bedarfsgegenständen aus Leder, die dazu bestimmt sind, nicht nur
vorübergehend mit dem menschlichen Körper in Berührung zu kommen.
Die für eine Bewertung möglicher Risiken durch die Chrom (Vl)-Exposition im konkreten Fall
entscheidenden Eigenschaften von Chrom (VI) sind vor allem mutagene und kanzerogene
Eigenschaften sowie das allergene Potential.
(a) Mutagene Eigenschaften
Eine Vielzahl von in vitro Studien an Bakterien, Hefezellen und Säugerzellen belegen die
genotoxische Wirkung insbesondere von wasserlöslichen Chrom (Vl)-Verbindungen (ATSDR
2008; ECB 2005; Greim 2010). Chrom (Vl)-Verbindungen führen zu Rückmutationen in Bakterien (Ames-Test) unter Abwesenheit eines metabolisierenden Systems (S9-Mix). Diese
direkte mutagene Wirkung wird durch Zugabe von S9-Mix unter Anwesenheit reduzierender
Verbindungen (Glutathion, Cystein, NADH) vermindert (ATSDR 2008). Die an Human- und
Säugerzellen verschiedener Ursprungsgewebe beobachteten genotoxischen Effekte umfassen Genmutationen, DNA-Schäden (DNA-Strangbrüche, DNA-DNA-Crosslinks, DNAProtein-Crosslinks), Chromosomenaberrationen, erhöhte Schwesterchromatid-Austauschraten, sowie die Induktion von Mikrokernen und unplanmäßiger DNA-Synthese (ATSDR
2008; ECB 2005; Greim 2010).
Auch im Tierversuch wirken Chrom (Vl)-Verbindungen genotoxisch. Die vor allem bei parenteraler Verabreichung (intraperitoneale Injektion, intratracheale Instillation, inhalative Exposition) an Nagern beobachteten Effekte umfassen DNA-Schäden (DNA-Einzelstrangbrüche,
DNA-Protein-Crosslinks), die Induktion von Mikrokernen und unplanmäßige DNA-Synthese,
Chromosomenaberrationen, erhöhte Schwesterchromatid-Austauschraten sowie Genmutationen (ATSDR 2008; ECB 2005; Greim 2010). Zu den betroffenen Zielorganen gehören Leber, Niere, Lunge, Knochenmark und die peripheren Blutzellen. Im Gegensatz zu den klaren
Befunden bei parenteraler Verabreichung sind die Ergebnisse von Studien mit einer oralen
Chrom (Vl)-Verabreichung über das Trinkwasser hinsichtlich der Mikrokernbildung in Knochenmarkszellen und peripheren Blutzellen widersprüchlich, was auf die Verwendung niedriger Dosen sowie auf die geringe orale Resorption und den Metabolismus zurückgeführt wird.
Neben den positiven in vivo Untersuchungen zur Genotoxizität in somatischen Zellen wurden
nach einmaliger und mehrmaliger intraperitonealer Behandlung auch in Keimzellen dominante Letalmutationen bei Mäusen induziert. Hierbei führte die Verpaarung von behandelten
Männchen in der Folge zu einer signifikanten Zunahme der Postimplantationsverluste bei
den unbehandelten trächtigen Weibchen. Ein Dominant-Letal-Test an Ratten bei oraler Verabreichung über das Trinkwasser war hingegen negativ (Greim 2010).
Humanstudien an inhalativ exponierten Arbeitern (Edelstahlschweißer, Verchromer, Arbeiter
aus Chromat[pigment]produktion) ergaben uneinheitliche Ergebnisse zur genotoxischen Wirkung von Chrom (Vl)-Verbindungen. So lieferten Untersuchungen an Lymphozyten des peripheren Bluts sowohl positive als auch negative Ergebnisse für Chromosomenaberrationen,
erhöhte Schwesterchromatid-Austauschraten, Mikrokernbildungen, DNA-Strangbrüche, Desoxyguanin-Hydroxylierungen. Das Vorliegen einer systemischen Chromexposition wurde
durch Messungen des Chromgehalts im Urin und teilweise auch in Blutzellen überprüft. Neben diesen Untersuchungen auf systemische mutagene Effekte wurden auch lokale Effekte
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an direkt exponierten Geweben im Nasen- und Mundraum untersucht. Bei hochexponierten
Arbeitern aus der galvanischen Verchromung fand man eine signifikante Erhöhung der Mikrokernrate mit Hinweisen auf klastogene und aneugene Effekte in abgeschilferten Wangenschleimhautzellen, während bei niedrig exponierten Arbeitern aus der Stahlherstellung die
Mikrokernrate in Nasenepithelzellen nicht signifikant erhöht war (ATSDR 2008). Im Vergleich
zu den Tierstudien und in-vitro Studien besitzen die Humanstudien, insbesondere die älteren
Studien, im Allgemeinen eine begrenzte Aussagekraft (Greim 2010). Im Gegensatz zur inhalativen Exposition gibt es keine Studien, die genotoxische Effekte beim Menschen nach oraler oder dermaler Exposition belegen (ATSDR 2008; Greim 2010).
(b) Kanzerogene Eigenschaften
Chrom (Vl)-Verbindungen zeigten in tierexperimentellen Untersuchungen eine kanzerogene
Wirkung bei Ratten nach parenteraler Verabreichung (inhalativ, intrabronchial, intrapleural,
intratracheal, intramuskulär oder subkutan), bei Mäusen nach inhalativer, intramuskulärer
oder intratrachealer Applikation und auch bei Hamstern, Meerschweinchen und Kaninchen
nach intratrachealer Instillation. Bei Ratten führte die Applikation über den Atemtrakt zu benignen und malignen Lungentumoren, während eine intrapleurale, subkutane oder intramuskuläre Verabreichung maligne Tumoren an der Injektions- bzw. lmplantationsstelle induzierte
(Greim 201 O; IARC 1990).
Eine 2-Jahres-Kanzerogenitätsstudie an Ratten und Mäusen zeigt die kanzerogene Wirkung
von Chrom (VI) auch bei oraler Verabreichung von Natriumdichromat-Dihydrat über das
Trinkwasser (NTP 2008). Sowohl bei männlichen als auch bei weiblichen Ratten zeigte sich
eine signifikant erhöhte Häufigkeit von Plattenepithelpapillomen und -karzinomen in der
Mundschleimhaut. Mäuse beiden Geschlechts entwickelten eine signifikant erhöhte Zahl von
Adenomen und Karzinomen im Dünndarm. Diese sehr sorgfältig durchgeführten chronischen
Studien wurden von unterschiedlichen Institutionen einer umfassenden toxikologischen Bewertung unterzogen. Chrom (VI) wird dabei als kanzerogener Stoff ohne Wirkungsschwelle
angesehen. Anhand der Daten wurde ein Cancer Slope Factor (CSF) von 0,5 (mg/kg
KG/Tag)' 1 berechnet. Durch Extrapolation in den Niedrigdosisbereich und unter Berücksichtigung von Anpassungsfaktoren (age dependend adjustment factor, ADAF) ergibt sich ein
zusätzliches Krebsrisiko von 8x 10-5 bei einer lebenslangen täglichen Chrom (Vl)-Aufnahme
von 0, 1 µg/kg KG und Tag.
Epidemiologische Studien zur inhalativen Chrom (Vl)-Exposition von Arbeitern aus der Chromat(pigment)produktion und aus Betrieben mit galvanischer Verchromung zeigen eindeutig
ein signifikant erhöhtes Risiko für Lungenkrebs (Greim 201 O; Zhitkovich 2011). Für Edelstahlschweißer ist ein solcher Zusammenhang nicht belastbar. Zusätzlich ergeben sich Hinweise auf ein möglicherweise erhöhtes Risiko für Krebs im Bereich des Nasenepithels bzw.
der Nasennebenhöhlen (Greim 2010). Die Informationen zur Kanzerogenität von oral aufgenommenen Chrom (VI) sind begrenzt. So wurde für eine Region in China mit starker Chrom
(Vl)-Kontamination des Trinkwassers eine erhöhte Mortalität durch Magenkrebs berichtet
(Zhitkovich 2011 ). Dieser Zusammenhang wird jedoch kontrovers diskutiert. Ein generelles
Problem der Studien mit umweltbedingter Exposition ist die Schwierigkeit, Störgrößen und
weitere Risikofaktoren zu kontrollieren. Eine Metaanalyse von Studien an inhalativ exponierten Arbeitern, für die zusätzlich eine indirekte orale Chrom (Vl)-Aufnahme vermutet wurde,
konnte keinen Zusammenhang zwischen inhalativer Chrom (Vl)-Exposition und einem erhöhten Risiko für Krebs im Magen-Darm-Trakt herstellen (Gatto et al. 2010).
(c) Nicht-kanzerogene Effekte
Die beiden chronischen NTP-Studien (NTP 2008) mit oraler Verabreichung an Ratten und
Mäusen liefern zusätzlich Informationen über die Dosis-Wirkungsbeziehung bei nichtkanze-
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rogenen Effekten, die zur Ableitung von toxikologischen Kennwerten verwendet werden können. In einer aktuellen Bewertung wurden eine Reihe von Endpunkten (Ratte: chronische
Leberenzündungen; Maus: Infiltration von Leber und mesenterialen Lymphknoten durch Histiozyten, diffuse epitheliale Hyperplasien im Dünndarm, zytoplasmatische Veränderungen
der Acinuszellen des Pankreas) einer Benchmark-Dosis-Modellierung unterzogen und die
Benchmark-Dosis für ein 10%iges zusätzliches Risiko (BMD 10 ) sowie die damit verbundene
untere 95%ige Konfidenzgrenze (BMDL 10) bestimmt (ATSDR 2008). Für die diffusen epithelialen Hyperplasien im Dünndarm von weiblichen Mäusen ergab sich der niedrigste BMDLrnWert von 0,09 mg Chrom(Vl)/kg KG und Tag (ATSDR 2008), der von ATSDR zur Ableitung
eines Minima/ Risk Levels (MRL) herangezogen wurde. Unter Anwendung eines üblichen
Unsicherheitsfaktors von 100 (10 für Tier-zu-Mensch-Extrapolation, 10 interindividuelle Unterschiede bei Menschen) ergab sich ein MRL von 0,9 µg/kg KG und Tag, bei dem bei einer
lebenslangen täglichen Chrom(Vl)-Aufnahme kein nennenswertes Risiko für nicht kanzerogene Effekte besteht.
Von RIVM wurde auf Basis von Dosis-Wirkungsbeziehungen für nichtkanzerogene Effekte
bei chronischer oraler Exposition ein TDI (to/earab/e daily intake) von 5 µg/kg KG!Tag abgeleitet (RIVM 2001 ). Von der US EPA wurde unter Berücksichtigung nicht-kanzerogener Effekte ein RIO-Wert von 3 µg/kg KG!Tag abgeleitet (US EPA 1998). Unter der Annahme, dass
es sich bei Chrom (VI) um ein Kanzerogen ohne Schwellenwert handelt, wären diese toxikologischen Grenzwerte überholt.
(d) Sensibilisierende und allergene Eigenschaften
Chrom zählt zusammen mit einigen anderen metallischen Übergangselementen zu den potentesten Kontaktallergenen (Budinger and Hertl 2000). Mit Chrom kommt der Verbraucher
wegen der vom Nickel verschiedenen Anwendungsbereiche i. d. R. gar nicht über den Blutweg und weniger über die mechanisch zerstörte Hautbarriere in Kontakt. Das bedeutet, dass
Blut-Leukozyten nicht als primäre Effektor-Zellen für Chrom in Betracht kommen. Dennoch
war das Chrom-Kontaktekzem vor dem Ersatz von Chrom (VI) in Zement in den 80er Jahren
die zweithäufigste Berufsdermatose (Fregert 1975). Neuere Daten aus dem deutschsprachigen Raum zeigen, dass im Jahr 2001 die Prävalenz unter den mit Verdacht auf ein allergisches Kontaktekzem getesteten Personen bei 4,5 %, im Jahr 2004 bei 5,3 % und in 201 Obei
2,6 % lag (Oppel and Schnuch 2006; Schnuch et al. 2012). In der Rangfolge der häufigsten
Allergene nahm Chrom (VI) den sechsten, fünften und neunten Platz ein, in Hochrechnungen
für die Gesamtbevölkerung Deutschlands mit „medium case scenario" wurde die Quote der
Sensibilisierungen für Chrom (VI) mit 0,6 % veranschlagt. Bei einer Bevölkerungszahl von 82
Millionen entspricht dies etwa 514.000 Fällen. Beim Kontakt mit Chrom (111)-gegerbtem Leder
in Form von Bekleidungsgegenständen wären im Falle der intakten Haut-Barriere primär
Keratinozyten der oberen Epidermisschichten die ersten exponierten Zellen (Nestle et al.
2009).
Bei der allergischen Kontaktdermatitis treten Erytheme, Ödeme, Papeln und Vesikel als
Symptome für Auslösereaktionen vom verzögerten Typ nach einer vorausgegangenen Sensibilisierung auf. Kontaktallergene provozieren im Unterschied zu lrritanzien die Bildung von
differenzierten Zellen des erworbenen Immunsystems, der Allergen-spezifischen Gedächtniszellen. Nach der Sensibilisierungsphase entstehen bei einer zweiten Exposition mit demselben Kontaktallergen wie z. B. haptenisiertem, d.h. an Serumproteine gebundenem Chrom,
Entzündungsprozesse, die bei Typ IV-Reaktionen in Abwesenheit von Mast- und B-Zellen
ablaufen (Vocanson et al. 2009a). So bindet zum Beispiel das unvollständige Antigen (=
Hapten) Nickel an Peptide in der humanen Haut und induziert erst als Vollantigen die spezifische T-Zell-Antworten (Jenkinson et al. 201 O; Thierse et al. 2004).
Zuerst muss dafür das Metallallergen durch die oberen epidermalen Hautschichten migrieren, wo es das lnflammasom von Keratinozyten aktiviert und die EntzündungszY1okine IL-1ß
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und IL-18 induziert (Watanabe et al. 2007). Aktuellen Erkenntnissen zufolge werden für die
Induktion einer Allergiereaktion die Erkennung des Haptens durch T-Zellen mit spezifischem
T-Zell-Rezeptor und zusätzlich die Detektion durch Pathogen-Erkennungsrezeptoren benötigt. Dabei wurde für das Metallallergen Nickel der Toll-like Rezeptor 4 als spezifischer Rezeptor identifiziert, der parallel zur MHC:T-Zellrezeptor-Erkennung einen Entzündungsweg
induziert (Schmidt et al. 2010).
Nach Erstkontakt mit einem Kontaktallergen werden Entzündungsmediatoren von Keratinozyten sezerniert. In der Epidermis durchlaufen Langerhans-Zellen einen Maturationsprozess
und migrieren zu lokalen Lymphknoten. In den T-Zell-Arealen bilden sie Kontakte mit Allergen-spezifischen T-Zellen aus. Bei erfolgreicher Antigen-Erkennung werden Klone von zytotoxischen T-Zellen und Helferzellen, die IFN-y und IL-17 freisetzen, zur Differenzierung und
Zellteilung angeregt (Martin et al. 2011 ). Obwohl in der ca. zwei Wochen dauernden Sensibilisierungsphase noch keine Symptome auftreten, handelt es sich um eine irreversible, lebenslang bestehende Veränderung des Immunsystems, die nicht kausal heilbar ist. Bei einer
wiederholten, späteren Exposition gegenüber dem Kontaktallergen treten in der Elizitationsphase nach 1-3 Tagen klinische Symptome auf. Zytotoxische T-Zellen verursachen die
beobachtbaren Hautläsionen durch Freisetzung IY1ischer Proteine (Yawalkar et al. 2001 ).
Nach der inflammatorischen Phase treten regulatorische T-Zellen in den betroffenen Geweben auf und supprimieren über Zytokine wie TGF-ß und IL-10 die Entzündung und begrenzen dadurch die Ausprägung des Kontaktekzems (Vocanson et al. 2009b).
Um Immunreaktionen hervorzurufen, wie sie bei der Kontaktdermatitis auftreten, muss eine
Bioverfügbarkeit gegenüber Immunzellen in tieferen Epidermisschichten gegeben sein. In
Untersuchungen humaner Haut in vitro konnte gezeigt werden, dass Chrom (VI) eine größere Penetrationskapazität und einen größeren Akkumulationsgrad in der Haut als Chrom (III)
aufweist (Gammelgaard et al. 1992). Nicht-Peptide wie Metallverbindungen sind zu klein, um
als Antigen erkannt zu werden und können nicht in der Antigen-Präsentationsfurche von
MHC-Molekülen binden. Da in funktionalen Testsystemen aber spezifische T-Zellantworten
auf Metalle nachgewiesen werden konnten, wird allgemein von der Notwendigkeit einer Bindung des Haptens an Serumproteine und/oder Modifizierung von MHC-11 Komplexen durch
das Hapten zur Bildung eines „Vollantigens" ausgegangen. Dabei scheint die Beteiligung von
MHC-Molekülen variabel, d. h. individuell abhängig von der Art des Metall-Haptens zu sein.
Im Fall von Nickel ist eine Bindung an Histidin-Reste MHC-gebundener Peptide beschrieben,
wobei Nickel über Prozessierung die Peptid-Antigenizität verändert und nicht die Kapazität,
an MHC-Moleküle zu binden (Lu et al. 2003; Moulon et al. 1995; Romagnoli et al. 1991 ).
Gold hingegen bindet direkt an MHC-11 Komplexe, T-Zellen erkennen es im Kontext mit DR1Molekülen ohne die Notwendigkeit aktiven Antigen-Prozessierung (Romagnoli et al. 1992).
Über den immunogenen Effekt von Chrom sind nur wenige Studien publiziert. In Atomabsorptions-Spektometrie-Analysen konnte zwar eine 10-fach stärkere Bindungskapazität für
Chrom (III) gegenüber Chrom (VI) über Bindung von entsprechend Cr(N0 3)s und K2Cr20 7 an
humanes Serumalbumin nachgewiesen werden (Rytter and Haustein 1982). Epikutantests
an Patienten und in vitro- Leukozyten-Migrationsinhibitionstests zeigten stärkere Reaktionen
bei Cr(N03)3 gegenüber K2Cr201, so dass angenommen werden kann, dass ersteres das
stärkere Antigen ist. Eine höhere Affinität gegenüber MHC-Molekülen und eine stärkere Kapazität, potentiell allergene Peptide zu prozessieren, wurde bis dato nicht publiziert und kann
aus diesen Versuchen nicht direkt abgeleitet werden. In vitro-Versuche mit Meerschweinchen-Makrophagen und -Lymphozyten zeigten einerseits, dass Chromchlorid absolut stärker
Proliferation induzierte als Kaliumdichromat, andererseits teilten sich Zellen auch unabhängig vom Valenzzustand (Siegenthaler et al. 1983). Im Tierversuch der gleichen Studie reagierten mehr sensibilisierte Meerschweinchen mit Rötungen/Schwellungen auf Kaliumdichromat als auf Chromchlorid. Allerdings antworteten entsprechend 57 % und 100 % der Tiere
unspezifisch, d.h. reagierten auch hier auf Sensibilisierung mit Chrom der jeweils anderen
Oxidationsstufe. Die Autoren erklären die Befunde so, dass bei Sensibilisierung mit Chrom
Gesundheitliche Bewertung von Chrorn {Vl)-Verbindungen in Ledenvaren
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(III) und Chrom (VI) einige gemeinsame und wenige Valenz-spezifische antigene Determinanten gebildet werden könnten, die dann Unterschiede in der Intensität verursachen. Insgesamt reichen die Daten der publizierten experimentellen Originalartikel nicht aus, um eine
exklusive Antigenizität von Chrom (VI) zu belegen. In epidemiologischen und diagnostischen
Patch-(Epikutan-)Tests nach Europäischem Standard wird in der Metallreihe Kaliumdichromat eingesetzt, da es die Epidermis besser penetriert und stärkere Reaktionen als Chromchlorid hervorruft. Zusätzlich zum Epikutantest konnte eine Abhängigkeit der Typ IVSymptome von der Chromkonzentration durch objektive, quantitative Messmethoden (gepulste A-Scan-Ultraschalluntersuchungen für die Hautdicke und Laser-Doppler-Velocimetrie
für die Bestimmung der Geschwindigkeit des Blutflusses durch Hautgewebe) dargestellt werden (Eun and Marks 1990). Es zeigte sich, dass beide Parameter bei Chrom-sensibilisierten
Patienten positiv mit der Konzentration von Kaliumdichromat korrelierten.
Die Grundlage zur Einschätzung des Risikos, eine kontaktallergische Reaktion gegenüber
Chrom auszulösen, bildet die Grenzwertableitung mittels Epikutantest bei Chrom-Allergikern
und bei einer Kontrollgruppe nicht-sensibilisierter Probanden. Dabei gibt der Minima/ Eliciting
Threshold (MET) die minimale Konzentration von Chrom VI an, die bei einer Person ein positives Ergebnis im Epikutantest erzielt. Der MET (10%)-Wert zeigt an, bei welcher Konzentration bei 1o% der sensibilisierten Patienten eine allergische Reaktion ausgelöst werden kann.
In Tabelle 1 sind die geschätzten MET (10%)-Werte aus Studien an Chrom (Vl)sensibilisierten Probanden zusammengestellt.
Tabelle 1. Geschätzte MET (10%)-Werte aus Studien an Chrom (V/)-sensibi/isierten Probanden.
MET (10%)
Zahl der Probanden
Quelle
[µg/cm'/48 h]
0,02
0,03
0,09
0,35
0,90
3.1.3
5
18
54
14
17
(Wass and Wahlberg 1991)
(Hansen et al. 2003)
(Nethercott et al. 1994)
(Allenby and Goodwin 1983)
(Kosann et al. 1998)
Expositionabschätzung
Zur Beantwortung der Frage, ab welchen Gehalten an Chrom (VI) in Lederwaren eine Schädigung der Gesundheit im Sinne des § 30 LFGB gegeben ist, bzw. ob ein ernstes gesundheitliches Risiko vorliegt, das eine Meldung im RAPEX-System der EU rechtfertigt, wurde auf
der Grundlage der im konkreten Fall zur Verfügung stehenden Daten zum Gehalt und zur
Migration von Chrom (VI) aus der Lederjacke eine Abschätzung der dermalen Aufnahme
vorgenommen (Tabelle 2).
Von der Firma EuDiCo GmbH wurde die Migration von Chrom (VI) aus der Lederjacke ermittelt, indem ein mit künstlicher saurer Schweißlösung (pH 5,5) getränktes Filterpapier auf das
Leder aufgelegt und für 2 Stunden bei 20"C bzw. für 6 Stunden bei 37"C inkubiert wurde. Für
die Bestimmung der Migration von Chrom (VI) aus Leder existiert bisher kein allgemein akzeptiertes, standardisiertes und validiertes Verfahren. Vielmehr wurde die in der DIN 53160-2
(DIN 53160-2 2010) für die Bestimmung der Farblässigkeit von Gebrauchsgegenständen,
(Teil 2: Prüfung mit Schweißsimulanz) beschriebene Vorgehensweise adaptiert, wobei der
pH-Wert des verwendeten Schweißsimulanz auf 5,5 gesenkt wurde. Genauere Angaben zur
Zusammensetzung des von EuDiCo verwendeten Schweißsimulanz fehlen. Um längere Tragezeiten zu simulieren, wurde die Testzeit auf 6 Stunden verlängert. Die anschließende
Quantifizierung des in das Filterpapier migrierten Chrom (VI) erfolgte mittels photometrischer
Gesundheitliche Bewertung von Cl1rorn (Vl)-Verbl!ulungen In Lederwaren
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Gesundheitliche Bewertung des BfR
Bestimmung gemäß DIN EN ISO 17075. Dieses adaptierte Verfahren erscheint geeignet, die
Migration von Chrom (VI) qualitativ zu bestätigen. Allerdings ist Chrom (VI) in saurer Lösung
nicht stabil. Daher ist bei einem 6-stündigen Kontakt mit einem Schweißsimulanz bei pH 5,5
ein deutlicher Unterbefund der Chrom (Vl)-Freisetzung zu erwarten.
Tabelle 2. Gesamtmigration an Chrom (VI) aus den Lederanteilen der untersuchten Jacke mit unmittelbarem Hautkontakt.
Bekleidungsteil
Fläche*
[m•]
Flächengewicht*
[g/m•]
Migration*
[µg/g]
Migration
[µg]
Kragen
- seitlich
- zentral
Revers
0,0041
0,0425
0,0299
383
398
383
2,6
2,6
2,6
4, 12
43,96
29,77
Taille
Manschette
0,0635
0,0173
383
424
2,6
2,6
63,28
19,06
Summe:
0, 1573
160,20
*Daten aus DGutachterfiche Stellungnahme Chrom (VI) in Lederjacken", EuDiCo GmbH
Die externe Dosis für einen Erwachsenen (65 kg Körpergewicht bei Damengröße 46) beträgt
somit 2,46 µg Chrom (Vl)/kg Körpergewicht. Für die Berechnung der im Körper verfügbaren
Dosis wird eine aus Messungen an Probanden mit Natriumchromat-Lösungen und 15-60
minütiger Expositionsdauer ermittelte dermale Resorption von 25% (Baranowska-Dutkiewicz
1981) zugrunde gelegt. Sie würde demnach 0,62 µg Chrom (Vl)/kg Körpergewicht betragen.
Die aus dem Leder migierende Chrom (Vl)-Menge von 160,2 µg führt zu einer dermalen Exposition von 0, 1 µg/cm 2 Hautoberfläche. Aufgrund des von der Firma EuDiCo GmbH verwendeten experimentellen Vorgehens bei der Migrationsuntersuchung dürfte diese Abschätzung die tatsächlich aus dem Material migrierende Chrom (Vl)-Menge deutlich unterschätzen.
Auf Basis der Daten des Gutachtens der Firma SGS beträgt die externe Dosis für einen Erwachsenen (65 kg Körpergewicht bei Damengröße 46) 1189 µg Chrom (Vl)/65 kg Körpergewicht = 18,3 µg Chrom (Vl)/kg Körpergewicht. Legt man für die Berechnung der im Körper
verfügbaren Dosis auch hier die aus Messungen an Probanden mit NatriumchromatLösungen und 15-60 Minuten Expositionsdauer ermittelte dermale Resorption von 25%
(Baranowska-Dutkiewicz 1981) zugrunde, so errechnet sich ein Wert von 4,58 µg Chrom
(Vl)/kg Körpergewicht. In dem Gutachten der Firma SGS wird eine vollständige Migration der
in den Lederanteilen mit unmittelbarem Hautkontakt enthaltenen Chrom (Vl)-Menge (1189,6
µg) angenommen und eine dermale Exposition von 0, 766 µg/cm 2 Hautoberfläche ermittelt.
Hierzu muss angemerkt werden, dass unter dieser Annahme die tatsächlich migrierende
Chrom (Vl)-Menge sicher überschätzt wird.
3.1.4
Risikocharakterisierung
Für eine Bewertung möglicher Risiken durch die Chrom (Vl)-Exposition im konkreten Fall
wird lediglich der dermale Expositionspfad betrachtet, da eine orale oder inhalative Aufnahme von Chrom (VI) in dem betrachteten Fall vernachlässigbar erscheint. Dabei stehen die
kanzerogenen Eigenschaften und das allergene Potential im Vordergrund.
(a) Abschätzung des kanzerogenen Risikos
Bislang wurden kanzerogene Effekte vor allem bei inhalativer, intrabronchialer, intrapleuraler,
intratrachealer, intramuskulärer oder subkutaner Exposition gegen Chrom (Vl)-Verbindungen
Gesundheitliche Bewertung von Chrom {Vl}~Verbindungen fn Lederwaren
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Gesundheitliche Bewertung des BfR
diskutiert. inzwischen liegen jedoch 2-Jahresstudien (Trinkwasserstudien) zur Kanzerogenität von Chrom (VI) in Ratten und Mäusen vor (NTP 2008), die klare Hinweise auf kanzerogene Effekte von Natriumdichromat in F344/N-Ratten (verstärktes Auftreten von Tumoren des
Plattenzellepithels der Mucosa und der Zunge) und in B6C3F1-Mäusen (verstärkt Tumoren
im Duodenum, Jejunum und Ileum) zeigen. Zwar wurde die Studie bislang noch nicht abschließend bewertet, jedoch legen die Ergebnisse nahe, dass die aus dem Tragen der Lederjacke resultierende interne Chrom (Vi)-Exposition auch im Hinblick auf Kanzerogenität ein
gesundheitliches Risiko darstellen könnte.
(b) Abschätzung des sensibilisierenden und al!ergenen Risikos
Die aus den Daten der Firma EuDiCo ermittelte dermale Exposition von 0, 1 µg/cm 2 Hautoberfläche, die eher einer Unterschätzung der realen Situation darstellt, liegt im Bereich der
MET (10%)-Werte der Mehrzahl der in Tabelle 1 zusammengestellten Studien. Damit ist davon auszugehen, dass bei mehr als 10% der gegenüber Chrom (VI) sensibilisierten Personen durch das Tragen dieser Lederjacke eine Kontaktallergie ausgelöst würde. Legt man als
worst case die Annahme des Gutachtens der Fa SGS Group, d.h. die vollständige Migration
von 0,766 µg/cm 2 zugrunde, so übersteigt diese die MET (10%)-Werte um nahezu eine Größenordnung. Damit ist die Wahrscheinlich der Auslösung einer Kontaktdermatitis beim Tragen der Lederjacke gegeben.
Die Schwere des Effektes wird deutlich, wenn man berücksichtigt, dass die entscheidende
Intervention bei Allergien und insbesondere bei Kontaktekzemen die Prävention, dass heißt
die Vermeidung jeglichen Kontakts mit allergenhaltigen Produkten ist. Kontaktekzeme beeinträchtigen bei betroffenen Personen die Lebensqualität stark und u. U. nachhaltig, wenn z. B.
die Ausübung eines bestimmten Berufes nicht mehr möglich ist. Bei wiederholter Exposition
mit dem Allergen werden die Reaktionen mit rezidivierenden oder chronischem Ekzems ausgeprägter. Diese können auch ohne weiteren Allergenkontakt fortbestehen. Es stehen bisher
keine Therapien zur kausalen Behandlung der Kontaktallergie zur Verfügung. Die Therapie
mit Glucocorticoiden kann nur die Symptomatik lindern. Geeignete präventive Maßnahmen,
die vor der Ausbildung eines allergischen Kontaktekzems schützen könnten, bestehen allein
in einer kompletten Meidung der Exposition gegenüber dem im Epikutantest diagnostizierten
Allergen. Dies gilt auch für Chrom (Vl)-induzierte Dermatitiden. Allerdings ist der Verbraucher
gegenwärtig nicht in der Lage, Chrom (Vl)-haltige Lederwaren zu meiden, da keine Kennzeichnungspflicht besteht, Lederwaren aber zu den Produkten des täglichen Gebrauchs gehören. Zudem ist es den Betroffenen im konkreten Einzelfall retrospektiv oft nicht möglich,
eine Sensibilisierung, die Jahre vor einer manifesten Erkrankung erfolgt sein kann, ursächlich auf Chrom (VI) in Lederwaren zurückzuführen.
Der Chrom (Vl)-Gehalt in dem konkret untersuchten Produkt stellt damit ein gesundheitliches
Risiko dar, so dass eine Eignung zur Schädigung der Gesundheit im Sinne des § 30 LFGB
gegeben ist, bzw. ein ernstes gesundheitliches Risiko vorliegt, das eine Meldung im RAPEXSystem der EU rechtfertigt.
(c) Risikobewertung unter Berücksichtigung nicht-kanzerogener Effekte
Für die Risikobewertung im konkreten Fall wurden auch toxikologische Kennwerte herangezogen, die unter Berücksichtigung nicht-kanzerogener Effekte bei lebenslanger täglicher oraler Aufnahme als sicher angesehen werden. Vergleicht man die interne Chrom (Vl)-Dosis,
die aus Expositionen im Bereich dieser toxikologischen Kennwerte resultieren (Tabelle 3,
Zeilen 3-5) mit den internen Dosen, die aus dem Tragen der Jacke resultieren könnten (Tabelle 3, Zeilen 1/2), so zeigt sich, dass die als sicher angesehen toxikologischen Kennwerte
durch das Tragen der Jacke überschritten werden.
Gesundheitfiche
Be~vertung
von Chro1n (Vf}-Verbindungen In Lederwaren
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Gesundheitliche Bewertung des BIR
Tabelle 3. Vergleich der durch das Tragen der Jacke erreichten internen Dosis mit toxikologischen
Kennwerten, die unter Berücksichtigung nicht-kanzerogener Effekte bei lebenslanger täglicher oraler
Aufnahme als sicher angesehen werden.
Interne Dosis
[µg Cr (Vl)/kg KG]
EuDiCo 1
SGS
0,62
2
4,58
(NTP 2008)
3
(US EPA 1998)
0,09
4
(RIVM 2001 )5
0,3
0,5
Daten aus nGutachterlfche Stellungnahme Chrom (VI) in Lederjacken~ EuDiCo GmbH
Daten aus ~Gutachterfiche Stellungnahme Chrom (VI) in Lederjacken", SGS
abgeleiteter Minimal Risk Level (MRL) von 0,9 µg/kg KG und Tag und einer warst case-Annahme von 10°/o gastrointeslinaler
Aufnahme der Dosis
4
Referenzdosis (RFD) von 3 µg/kg KG/Tag (US EPA 1998) und einer warst case-Annahme von 10°/o gastroinleslinale Auf nah·
me der Dosis
5
abgeleiteler TDI von 5 µg/kg KGfTag und einer warst case-Annahme von 10°/o gastrointestinale Aufnahme der Dosis
1
2
3
3.2.
Weitere Aspekte
Die RAPEX-Leitlinien, die als Grundlage für die EU-weite Harmonisierung der Bewertungskriterien für Meldungen gemäß Artikel 11 bzw. Artikel 12 der Richtlinie 2001/95/EG festgelegt
wurden (Entscheidung 2010/15/EU), enthalten in Anlage 5 einen Leitfaden für die Risikobewertung von Verbraucherprodukten, der sowohl für mechanische, physikalische, elektrische
als auch chemische Risiken angewendet werden soll. Grundlage ist die Definition des Risikogrades anhand einer Entscheidungsmatrix nach Tabelle 4. Diese Entscheidungsmatrix
kombiniert den Schweregrad der Verletzung mit einer Eintrittswahrscheinlichkeit und führt
zur einer Differenzierung zwischen den Risikograden „ernst", „hoch", „mittel" und „niedrig".
Dass diese Entscheidungsmatrix für die Bewertung chemischer Risiken aufgrund der dafür
nicht geeigneten Eintrittswahrscheinlichkeiten keine Basis darstellen kann, ist der EUKommission bekannt. Im Rahmen eines „Expert Meeting on Risk Assessment of Chemicals
in Consumer Products" der DG SANCO wurde u.a. über geeignete Kriterien für genotoxische
Kanzerogene und für sensibilierende Stoffe diskutiert. Nach Meinung dieser Expert Group
sollte bei sensibilisierenden Substanzen jede Grenzwertüberschreitung als ernstes Risiko
betrachtet werden (DG SANCO 2010).
Wie in der Stellungnahme Nr. 010/2013 des SIR vom 4. Juni 2012 dargelegt, ist nach Ansicht des BfR für eine Bewertung der gesundheitlichen Risiken durch chemische Stoffe in
Bedarfsgegenständen (und Kosmetika) eine Differenzierung in vier Risikograde nicht notwendig und stattdessen eine vereinfachte, dichotome Entscheidung hinreichend, ob ein ernstes Risiko im Sinne von Artikel 12 vorliegt. Für eine dichotome Einstufung des Risikograds
könnten je nach toxikologischem Endpunkt und der Datenlage die Konzepte des Margin of
Safety (MOS), Margin of Exposure (MOE), Threshold of Toxikological Cancern (TTC) oder
aber der RCR-Wert (Risk Characterisation Ratio) herangezogen werden. Zur Klassifizierung
von sensibilisierenden Substanzen sollte nach Ansicht des BfR jegliche Grenzwertüberschreitung als "ernstes" Risiko eingestuft werden, da die Grenzwerte nicht alle bereits sensibilisierten Personen vor der Elizitation eines Kontaktekzems schützen. Eine substanzspezifische Interventions- oder Referenzdosis kann je nach Datenlage aus Tierversuchsdaten (z.B.
LLNA, Local Lymph Node Assay) oder, wie im konkreten Fall für Chrom (VI), aus Erfahrungen beim Menschen (z.B. aus Patch-Test-Studien) ermittelt werden.
Gesundheitliche Bewertung von Chron1 {Vf)-Verbtndungen fn Lederwaren
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Gesundheitliche Bewertung des BIR
3.3
Handlungsrahmen/Empfehlung von Maßnahmen
Die hier ausgeführte Betrachtung zeigt, dass eine Eignung zur Schädigung der Gesundheit
im Sinne des § 30 LFGB gegeben ist. Es liegt nach Einschätzung des BfR ein "ernstes" gesundheitliches Risiko im Sinne von Artikel 12 der Richtlinie über Allgemeine Produktsicherheit (2001/95/EG) vor allem für kanzerogene und allergene Effekte vor. Das BfR sieht daher
eine Meldung im RAPEX-System der EU für gerechtfertigt.
Aus Sicht des BfR ist im Rahmen eines Gesundheitsschutzes eine Minimierung der Chrom
(Vl)-Exposition für Verbraucher zwingend erforderlich. Zum Einen können Alternativen zur
Chromgerbung (anorganische und organische Chemikalien wie z. B. Aluminiumsalze, Glutaraldehyd oder pflanzliche Gerbstoffe) genutzt werden. Dort, wo durch Einsatz alternativer
Gerbstoffe die für einige Verwendungszwecke (z. B. Schuhleder) erforderlichen Qualitäten
nicht erreicht werden, muss durch geeignete verfahrenstechnische Maßnahmen während der
Herstellung die Bildung von Chrom (VI) bei Chrom-gegerbten Lederwaren minimiert werden.
Nachweisbare Mengen an Chrom (VI) auf Lederwaren deuten darauf hin, dass die Produkte
nicht nach dem aktuellen Stand der Technik hergestellt wurden.
Auch bei Einhaltung gesetzlich festgelegter Grenzwerte für sensibilierende Substanzen können in der Regel nicht alle sensibiliserten Personen ausreichend vor der Exposition und dem
Auslösen eines Kontaktekzems geschützt werden, da große Unterschiede in der Empfindlichkeit sensibilisierter Personen bestehen. Aufgrund der lebenslang bestehenden Sensibilisierung und der erheblichen Beeinträchtigung der Lebensqualität betroffener Personen stellt
nach Ansicht des BfR eine Grenzwertüberschreitung ein ernstes gesundheitliches Risiko dar.
Das BfR folgt hier der Bewertung durch eine Expertenguppe der EU-Kommission (DG
SANCO 2010).
Gesundheitliche Bewertung von Chrom {Vf)-Verbindungen fn Lederwaren
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Gesundheitliche Bewertung des BIR
4.
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