1. Einleitung In der vorliegenden Bachelorarbeit soll der Harpokrates-Tempel im Sarapeion1 von Alexandria behandelt werden. Dieser älteste bekannte Tempel des in hellenistischer Zeit und der römischen Kaiserzeit im ganzen Mittelmeerraum verbreiteten Gottes wurde bisher in der Forschung nicht ausführlich behandelt. Seine Erwähnungen beschränken sich auf Absätze in Beiträgen zu Ptolemaios IV.2 und zum Sarapeion. Dieses hat als Heiligtum einige Beachtung erfahren, da es sich um das Heiligtum des Stadtgottes einer der wichtigsten Städte der Antike handelt. In dieser Arbeit soll nun erstmals versucht werden die bekannten Reste des Harpokrates-Tempels, gemeinsam mit den Gründungsplaketten des Tempels, umfassend zu beschreiben. Es sollen neue Anhaltspunkte zur Datierung des Tempels gefunden werden und nach dem Erbauungsgrund und damit nach der Funktion des Tempels gesucht werden. Um das zu erreichen werden zuerst die Rahmenbedingungen des Tempels betrachtet, zum einen die räumlichen mit einer Betrachtung des Sarapeions als Ganzem und zum anderen kultisch mit einer Zusammenfassung zu dem Gott Harpokrates. Danach werden Befunde und Funde des Tempels ausführlich beschrieben um anschließend besonders in der Person Ptolemaios‘ IV. Philopator nach Hinweisen zur Datierung und dem Erbauungsgrund des Tempels zu suchen. Zum Ende wird anhand von Vergleichen die Möglichkeit gegeben eine Vorstellung vom ehemaligen Aussehen des Tempels zu gewinnen. Diese Vergleiche werden sich besonders auf die ägyptischen Geburtshäuser und auf Heiligtümer für ägyptische Gottheiten auf der griechischen Insel Delos beziehen. Das Ziel ist eine erste zusammenfassende Analyse aller Aspekte dieses Tempels vorzulegen. 1 Auch wenn in der Literatur die lateinische Form “Serapeum” überwiegt, soll in dieser Arbeit der griechische Name verwendet werden, da überwiegend das Heiligtum in seiner ptolemäischen Phase behandelt wird. 2 Tritt im Folgenden in dieser Arbeit der Name Ptolemaios ohne Ordnungszahl oder Beinamen auf, so ist stets Ptolemaios IV. Philopator gemeint. 1 2. Allgemeine Vorbetrachtungen In diesem Abschnitt sollen zunächst die Forschungs- und Deutungsgeschichte des Harpokrates-Tempels, sowie der Gott Harpokrates und das Sarapeion von Alexandria als Ganzes vorgestellt werden, bevor in den weiteren Abschnitten der Harpokrates-Tempel selbst behandelt wird. 2.1. Forschungs- und Deutungsgeschichte Die erste wissenschaftliche Erwähnung des Sarapeions fällt in die Zeit der ÄgyptenExpedition Napoleons. Im Zuge der Untersuchungen Alexandrias wurden dort Untersuchungen der auf dem Gelände des Sarapeions befindlichen sog. PompeiusSäule vorgenommen. Die Deutung des Hügels, auf dem sich die Säule befindet, als Standort des Sarapeions wird damals zwar erwähnt, jedoch herrscht die Meinung vor, dass das Sarapeion auf einem anderen Hügel der Stadt zu suchen sei3. Daher wurden auf dem Gelände des Sarapeions keine weiteren Untersuchungen durchgeführt. Im Jahre 1857 wurden auf Veranlassung des griechisch-orthodoxen Patriarchen von Alexandria erste Grabungen auf dem Gelände durchgeführt, die der Suche nach der Johannes-Kirche dienen sollten, die nach der Zerstörung des heidnischen Tempels errichtet worden war4. Da sich zu diesen Forschungen keine Aufzeichnungen erhalten haben, ist nicht festzustellen, ob bereits zu diesem Zeitpunkt die Fundamente des Harpokrates-Tempels freigelegt wurden. Auch die in den Jahren 1865/66 von Mahmoud-Bey el-Falaki durchgeführten Untersuchungen zum antiken Straßennetz Alexandrias, im Rahmen derer er auch Untersuchungen auf dem Gelände des Sarapeions anstellte, bieten keine für die Betrachtung des Harpokrates-Tempels verwendbaren Erkenntnisse5. Von 1894 bis 1898 wurden unter dem damaligen Direktor des GriechischRömischen Museums von Alexandria, Giuseppe Botti, erste umfangreiche 3 Vgl. Sabottka 2008, 3-6. Sabottka 2008, 8. 5 Sabottka 2008, 8 f. 4 2 Ausgrabungen durchgeführt6. Während dieser Grabungen wurde neben anderen Bereichen auch der gesamte Nordbereich ergraben, sodass spätestens zu diesem Zeitpunkt die Fundamentreste des Harpokrates-Tempels gefunden wurden7. Botti vermutete in dem Sarapis-Tempel des Heiligtums einen Isis-Tempel und sah in den Fundamenten des Harpokrates-Tempels den Ostaufgang dieses Tempels8. 1900/01 und 1902 wurden, im Rahmen der deutschen Sieglin-Expedition, unter der Leitung von August und Hermann Thiersch, weitere Untersuchungen auf dem Gelände des Sarapeions durchgeführt. Es wurden zahlreiche Fotos aufgenommen und Pläne erstellt, die allerdings nicht, wie geplant, publiziert wurden und so erst durch Michael Sabottka in seiner Dissertation an der Technischen Universität Berlin 1989 zusammengetragen, aufgearbeitet und erstmals veröffentlicht wurden9. A. Thiersch schloss sich der Vermutung Bottis an, dass es sich bei den Fundamenten des Harpokrates-Tempels um den Aufgang zu einem geosteten Tempel handeln könnte und ergänzte die Ansicht, dass dieser Bau, nach einer Neuausrichtung nach Süden, im Osten einen „Anbau, analog der Karyatidenhalle des Erechtheions“10 erhalten hätte11. Zwischen 1903 und 1920 wurden durch Evaristo Breccia unregelmäßige Untersuchungen auf dem Gelände des Sarapeions durchgeführt, bei denen zwar viele Funde gemacht wurden, es allerdings nicht zu neuen Erkenntnissen zu den Gebäuden des Heiligtums kam12. Von 1942 bis 1945 führte Alan Rowe die bis heute umfangreichsten Grabungen im Bereich des Sarapeions durch13. Der größte Verdienst dieser Grabungen ist die Auffindung der Gründungsplaketten der Hallen des Heiligtums, des SarapisTempels und des Harpokrates-Tempels. Durch den Fund der Gründungsplaketten des Harpokrates-Tempels am 28. Oktober 194514 war erstmals die korrekte Bezeichnung des zu den Fundamenten gehörigen Baukörpers möglich. Des 6 Sabottka 2008, 9. Botti 1897. 8 Botti 1897, 110. 9 Sabottka 2008, 12-21. 10 A. Thiersch, Wochenbericht vom 22.12.1900, vgl. Sabottka 2008, 181, Anm. 511. 11 Sabottka 2008, 181. 12 Sabottka 2008, 21. 13 Sabottka 2008, 22; Rowe 1946. 14 Rowe 1946, 54. 7 3 Weiteren wurden Pläne des Heiligtums angefertigt, auch solche, die sich gezielt auf den Harpokrates-Tempel beziehen. Nach den Arbeiten Rowes fanden keine weiteren Grabungen im Bereich des Sarapeions mehr statt. In den 80er Jahren des 20. Jahrhunderts führte Michael Sabottka, unter Zuhilfenahme der Aufzeichnungen der Sieglin-Expedition, eine Bauaufnahme des Sarapeions durch, die er als Dissertation veröffentlichte, seine Arbeit wurde 2008 als Band 15 der Études alexandrines neu herausgegeben. Die aktuellsten Arbeiten, die den Harpokrates-Tempel ausführlicher behandeln, sind ein Aufsatz von Judith S. McKenzie, die 2004 eine Veröffentlichung zur Rekonstruktion des Sarapeions vorlegte15, und die Monographie von Sandra Sandri aus dem Jahr 2006, die sich mit dem ägyptischen Kindgott Har-pa-chered beschäftigt und in diesem Rahmen ausführlich auf den alexandrinischen Harpokrates eingeht16. 2.2. Der Gott Harpokrates Die ältesten Belege für den ägyptischen Ḥr-p3-ẖrd, d. h. Horus das Kind, finden sich in einem Papyrus der frühen Dritten Zwischenzeit17. Auch Zeugnisse privater Frömmigkeit, diesen Gott betreffend, sind ab der Dritten Zwischenzeit belegt18. Ab der 25./26. Dynastie19 findet eine größere Verbreitung des Kultes statt20. In der griechisch-römischen21 Zeit erlebte der Harpokrates-Kult einen neuen Verbreitungsschub. So gibt es Nachweise seiner Verehrung von Orten, an denen der Gott in der Spätzeit noch nicht nachgewiesen ist22. Das Auftreten von gräko- 15 McKenzie u. a. 2004. Sandri 2006. 17 Sandri 2006, 25; der Terminus Dritte Zwischenzeit bezeichnet den Zeitraum zwischen dem Neuen Reich und der Spätzeit und umfasst die 21. bis 25. Dynastie, also ca. die Jahre 1070–664 v. Chr. (nach von Beckerath). 18 Sandri 2006, 95. 19 Dies entspricht einem Zeitraum von 712-525 v. Chr. (nach Hornung). 20 Sandri 2006, 25 f. 21 Der Terminus griechisch-römische Zeit bezeichnet in Ägypten die Zeit von der Eroberung des Landes durch Alexander 332 v. Chr. bis zur Teilung des römischen Reiches 395 n. Chr. bzw. bis zur Eroberung Ägyptens durch die Araber 642 n. Chr. 22 Sandri 2006, 62. 16 4 ägyptischen Terrakotten der Gottheit ab der ptolemäischen Zeit23 zeigt eine große Bedeutung auch im Hauskult24. Während die private Verehrung des Harpokrates wohl eher den Wunsch nach dem Wohlbehaltensein der eigenen Kinder widerspiegelt25, scheint bei der Verehrung durch das Königshaus besonders die Rolle des Horus als König im Vordergrund zu stehen26. Der griechische Name Ἁρποκράτεσ oder Ἁρποχράτεσ ist eine Lautübertragung ins Griechische des ägyptischen Namens des Gottes Ḥr-p3-ẖrd27. Der früheste Beleg für die griechische Schreibung ist eine Weihinschrift im Isis-Heiligtum von Philae, die von Ptolemaios III. Euergetes und seiner Familie für Isis und Harpokrates gestiftet wurde28. Diese und die in dieser Arbeit behandelte Inschrift, die den ältesten und einzig sicheren Beleg in Alexandria darstellt29, sind die beiden einzigen aus ptolemäischer Zeit in Ägypten, weitere sind aus römischer Zeit belegt30. Harpokrates wurde nicht in die von Herodot begründete interpretatio graeca einbezogen, möglicherweise weil er keine Entsprechung im griechischen Pantheon fand31, vielleicht auch weil er erst recht spät mit dem griechischen Kulturraum in Kontakt kam. Horus wurde bei Herodot mit Apollon gleichgesetzt32, diese Gleichsetzung wurde für Harpokrates nicht, zumindest nicht explizit, übernommen. Wichtig wird im Weiteren jedoch die Nähe von Harpokrates zu Osiris sein, der, laut Herodot, dem griechischen Dionysos entspricht33. Kleibl gibt an, Herodot setze auch Harpokrates, bzw. Horus, mit Dionysos gleich34. Bei Herodot tritt diese Gleichsetzung jedoch nicht auf, erst später kommt es aufgrund der äußeren Ähnlichkeiten von Dionysos als Kind und Harpokrates zur Annäherung der Götter. 23 Die ptolemäische Zeit in Ägypten umfasst die Jahre 305-30 v. Chr. (nach Hornung). Sandri 2006, 95. 25 Vgl. Sandri 2005, 344. 26 Vgl. Sandri 2005, 342. 27 Sandri 2006, 1; Sandri 2005, 343. 28 Sandri 2006, 23. 29 Sandri 2006, 68f. 30 Bernand 2001, 61. 31 Sandri 2006, 23. 32 Herodot II 144; 156. 33 Herodot II 42; 144; 156. 34 Kleibl 2009, 24. 24 5 Ḥr-p3-ẖrd war der Sohn von Isis und Osiris, in der hellenistischen Welt übernimmt Sarapis die Rolle des Vaters des Harpokrates35. Die meisten Schreine, die in Alexandria oder in der restlichen hellenistischen Welt Sarapis und Isis geweiht wurden, beinhalten allerdings nur diese beiden Götter36. In keinem Fall ist eine gemeinsame Weihung für Sarapis, Isis und Harpokrates in Alexandria in ptolemäischer Zeit belegt37. Besondere Beachtung kommt Harpokrates hingegen in Terrakotten, auf dem Schoß der Isis, zu38. Terrakotten, die Harpokrates, bzw. einen ägyptischen Kindgott39, alleine zeigen, häufen sich dagegen erst ab spätptolemäischer Zeit40. Das Auftauchen Harpokrates‘ im Sarapeion von Alexandria unter Ptolemaios Philopator könnte auf eine Aufnahme des Gottes in eine Trias mit Sarapis und Isis hindeuten, könnte aber auch nur dem persönlichen Interesse des Königs entspringen41. 2.3. Das Sarapeion von Alexandria Das Sarapeion von Alexandria war das Hauptheiligtum der Stadt und eines der berühmtesten Heiligtümer der Antike42. Trotzdem haben wir besonders aus ptolemäischer Zeit kaum schriftliche Quellen und auch von Architektur und Ausstattung haben nur kärgliche Reste die Zeiten überdauert. Der heutige schlechte Zustand des Sarapeions ist in den Umständen seiner Zerstörung zu finden. Die Zerstörung geschah im Jahre 391 n. Chr. auf Befehl des Bischofs Theophilus von Alexandria. In der Folge der Zerstörung wurde der säulenumstandene Hof möglicherweise als Atrium einer Kirche genutzt, teilweise wird auch von der Gründung zweier Klöster auf dem Gelände des Sarapeions berichtet43. Seit der arabischen Eroberung hat ein massiver Steinraub im Gebiet des 35 Kleibl 2009, 23 f. Außerhalb Ägyptens bilden Isis und Sarapis zudem häufig eine Trias mit dem Gott Anubis. 37 Fraser 1972, 261. 38 Fraser 1972, 261. 39 Zur Problematik der Benennung ägyptischer Kindgötter s. Budde u. a. 2003, 11 f. 40 Fraser 1972, 261. 41 Fraser 1972, 261; s. Abschnitt 5. Erbauungsgrund und Funktion des Tempels. 42 McKenzie u. a. 2004, 74. 43 Vgl. McKenzie u.a. 2004, 108. 36 6 vormaligen Heiligtums eingesetzt, daher sind heute nur die Diokletianssäule sowie einige Fundamentreste, Fundamentgräben und Katakomben erhalten. Das Sarapeion lag im antiken Stadtteil Rhakotis, der überwiegend von Ägyptern bewohnt war, auf einer der höchsten Erhebungen der Stadt. Es lag unmittelbar innerhalb der Stadtmauer, nördlich angrenzend an das Lageion (Abb. 2.1), einem Stadion, in dem Spiele zu Ehren der Dynastie der Ptolemäer veranstaltet wurden. Dieser Zusammenhang lässt vermuten, dass auch das Sarapeion seinen Platz im Herrscherkult der Ptolemäer hatte. Die ältesten Baureste des Heiligtums stimmen in ihrer Ausrichtung nicht mit der des Straßennetzes der Stadt überein, dies spricht dafür, dass das Heiligtum entweder bereits in der Gründungsphase der Stadt angelegt wurde, oder dass es bereits auf ein voralexandrinisches Heiligtum zurückgeht. Die ptolemäische Hauptphase hingegen ist genau an der neben dem Gelände liegenden Straße ausgerichtet (Abb. 2.2). Die Befunde des Sarapeions lassen sich in drei Phasen unterscheiden. Einen wichtigen Anhaltspunkt zur Datierung der Phasen bieten die von Rowe gefunden Gründungsplaketten44 aus der Regierungszeit Ptolemaios‘ III. Euergetes und Ptolemaios‘ IV. Philopator. Diese Plaketten geben uns jedoch den Beginn der zweiten Phase des Heiligtums an, da, wie bereits erwähnt, zuvor eine Phase mit abweichender Ausrichtung existierte. Diese erste Phase zeigt sich im Norden des Areals in Mauerzügen aus Lehm und Bruchstein45. In die erste Phase des Sarapeions gehört ebenfalls ein Altar, der eine Weihinschrift für Ptolemaios II. und Arsinoë II. trägt46. Von Strabon wissen wir, dass die Tempel in diesem Teil der Stadt zu seiner Zeit, das heißt zwischen 24 und 20 v. Chr., verlassen waren47. Daher ist anzunehmen, dass das Heiligtum in der Zwischenzeit an Bedeutung verloren hatte48. Umbauten 44 s. Punkt 3.2. Gründungsplaketten. Kleibl 2009, 316. 46 Kleibl 2009, 321. 47 Strabon XVII 1,10. 48 Dies entspräche der Bedeutung des Gottes, die nach dem Ende der ptolemäischen Dynastie an Bedeutung verlor und erst im Laufe des 1. und 2. Jahrhunderts n. Chr. gemeinsam mit anderen östlichen Mysteriengottheiten, wie Mithras oder Isis, einen erneuten Bedeutungsgewinn verzeichnete. 45 7 und Umdekorationen gab es anscheinend im 1. Jh. n. Chr., dies ist anzunehmen aufgrund von Resten einer Stuckbemalung, die ins 1. Jh. n. Chr. datiert wird49. Im Wesentlichen blieben die Gebäude der ptolemäischen Phase wohl bis ins Jahr 181 n. Chr. erhalten. In diesem Jahr soll ein Brand große Teile des Heiligtums zerstört haben50. Die Entstehung der Gebäude der römischen Phase wird demnach in die Zeit nach 181 n. Chr. datiert51. Einen weiteren Hinweis zur Datierung dieser letzten Phase haben wir durch die Gründungsdepots einer Piscina im Hof des Sarapeions, die Münzen enthielten, deren jüngste 211 n. Chr. geprägt wurden. Somit haben wir für die Errichtung der Piscina einen terminus post quem. Einen letzten fixen Datierungspunkt bietet die Errichtung der Diokletianssäule, der sog. PompeiusSäule, die gemäß der auf der Inschrift genannten Personen in das Jahr 297/98 n. Chr. fällt. Die Nutzung des Heiligtums endet mit seiner Zerstörung im Jahr 391 n. Chr. Das ptolemäische Sarapeion umfasste eine Fläche von ca. 76 x 160 m. Der 55 x 142 m große Hofe war von Säulenhallen52 umgeben. Der Sarapis-Tempel dieser Phase, der, wie die Hallen, Dank des Fundes von Gründungsplaketten, in die Zeit Ptolemaios III. Euergetes datiert werden kann53, liegt im nördlichen Teil des Hofes, von der Mittelachse nach Osten verschoben. Der Tempel war maximal 22 m lang und 12 m breit. Es könnte sich um einen tetrastylen Prostylos oder Antentempel gehandelt haben54. Der Tempel scheint grob auf den Südbau ausgerichtet. Dessen zeitliche Einordnung ist ebenso wie die des Westbaus nicht gesichert. Die beiden Gebäude könnten schon vor dem euergetischen Tempel und den Hallen errichtet worden sein55. Die Deutungen zur Funktion des Südbaus variieren von einem ptolemäischen Grabbau, einem Monumentalaltar, einer Stätte für den Herrscherkult oder einem Osiristempel56 bis hin zu dem ursprünglichen Standplatz 49 Kleibl 2009, 322. McKenzie u. a. 2004, 86. 51 Kleibl 2009, 322. 52 Zur Lage dieser und der im Folgenden genannten Gebäude, s. Abb. 2.2. 53 Rowe 1946, 8 f. 54 Sabottka 2008, 166-174. 55 Kleibl 2009, 321. 56 Kleibl 2009, 317. 50 8 der Kultstatue des Sarapis, d. h. einem voreuergetischen Sarapis-Tempel, den McKenzie annimmt57. Der Südbau ist durch einen unterirdischen Gang mit dem Westbau verbunden. Auch hier wurden verschiedenste Deutungen, wie die als Anubis- oder Isistempel, vorgeschlagen58. Westlich des Sarapis-Tempels befand sich ein weiteres Gebäude. Dieser Nordwestbau59 besteht aus einem länglichen Vorraum im Osten und vier kleineren Räumen im Westen. Hierbei könnte es sich etwa um Räumlichkeiten für das Symposion bei kultischen Festen60 oder um Kultkapellen für Nebengötter61 gehandelt haben. Eine genaue Bestimmung der Funktion kann trotz verschiedenster Spekulationen nicht getroffen werden. Östlich des Sarapis-Tempels wurde unter Ptolemaios IV. Philopator der in dieser Arbeit zu behandelnde Harpokrates-Tempel hinzugefügt. In römischer Zeit wurde der Hof nach Osten hin erweitert und der Sarapis-Tempel, der nun axial in der Mitte des Hofes liegen sollte, an gleicher Stelle durch einen größeren Neubau ersetzt62. Die weiteren Veränderungen der römischen Phase sind für die Betrachtung des Harpokrates-Tempels nicht relevant. 3. Befunde und Funde des Harpokrates-Tempels Im Folgenden werden die erhaltenen Überreste des Harpokrates-Tempels, sofern sie eindeutig zuzuordnen sind, und die Gründungsplaketten, als die einzigen sicher dem Harpokrates-Tempel zugehörigen Funde, ausführlich besprochen. 57 McKenzie u. a. 2004, 81. Sabottka 2008, 226. 59 Dieser Begriff soll hier eingeführt werden, um bisher übliche Benennungen wie „Oikosbau“ (Sabottka), die eine Deutung beinhalten, zu vermeiden. 60 Kleibl 2009, 318. 61 Sabottka 2008, 188. 62 McKenzie u. a. 2004, 90 f. 58 9 3.1. Die Befunde Bei dem Harpokrates-Tempel handelt es sich um einen schmalen Bau, der unmittelbar östlich des Sarapis-Tempels errichtet wurde63. Aufgrund der Gründungsplaketten ist seine Benennung als Harpokrates-Tempel gesichert64. Seine Ausrichtung ist, wie die des Sarapis-Tempels, grob Nord-Süd. Der Bereich des ehemaligen Harpokrates-Tempels wird heute von zwei großen Blöcken aus opus caementitium, die Reste der Fundamentierungen für den römischen Sarapis-Tempel sind, beherrscht. Diese Blöcke wurden wohl zwischen die Reste der Fundamente des Harpokrates-Tempels gesetzt, die später ausgeraubt wurden. Der nördliche Caementitium-Block ist 2,70 m breit von Ost nach West und 1,45 m lang von Süd nach Nord. Der südliche Block ist mit 2,65 x 2,55 m länger, und auch 0,20 m höher als der nördliche. Beide Blöcke sind stark verwittert (Abb. 3.1, 3.2, 3.3)65. Von dem Tempel haben sich, laut Rowe, in den Felsgrund eingetiefte Fundamentgräben erhalten66. Rowe beschreibt, dass diese Fundamentgräben auf einen 8,80 x 5,00 m großen, an den Sarapis-Tempel anschließenden, Schrein schließen lassen67. Sabottka hingegen konnte keine Fundamentgräben erkennen, sondern nur flache Abarbeitungen auf der geglätteten Felsfläche, auf denen die Fundamentquader lagen68. Der Felsgrund im Bereich des Harpokrates-Tempels lag laut Rowe 1,30 m unter dem des großen Tempels69, Sabottka beobachtete eine Abweichung der Höhe von 0,93 m zur Südost-Ecke des Sarapis-Tempels. Botti und die Mitglieder der Sieglin-Expedition fanden noch einen Quader der Fundamentierung des Harpokrates-Tempels in situ vor70. Dieser lag bei dem Depot Nr. 3 (s. Abb. 3.4) und hatte laut A. Thiersch eine Größe von 1,10 m Länge, 0,80 m 63 McKenzie u. a. 2004, 84. s. Punkt 3.2. Gründungsplaketten. 65 Sabottka 2008, 268. 66 Vgl. McKenzie u. a. 2004, 84. 67 Rowe 1946, 54. 68 Sabottka 2008, 182. 69 Rowe 1946, 54. 70 Sabottka 2008, 181. 64 10 Breite und eine von Höhe 0,50 m71. Der Stein, der heute verschwunden ist, lag wohl als Binder in der nördlichen Fundamentreihe, die im Norden an eine leichte Felserhöhung stieß. Diese Fundamentreihe hat im südlich davon gelegenen, nördlichen Caementitium-Block noch heute sichtbare Abdrücke hinterlassen, aus denen zu schließen ist, dass es sich bei den diese unterste Fundamentreihe bildenden Quadern ausschließlich um Binder handelte. Die Höhe der Abdrücke stimmt mit 0,50 m mit der Höhe des heute verschwundenen Quaders überein. Die Binder reichten verschieden weit nach Süden (vgl. Abb. 3.5). Der CaementitiumBlock überdeckt teilweise diese unterste Lage, höher gelegene Abdrücke sind nicht zu erkennen72. Der südliche Caementitium-Block schließt im Süden auf der gleichen Höhe ab wie die südlichen Fundamente des ptolemäischen Sarapis-Tempels73, daher wird das Fundament des Harpokrates-Tempels weiter nach Süden gereicht haben, als das des Sarapis-Tempels. In der südlichen Fundamentreihe hatte ein Quader überdauert, der das Depot Nr. 1 überdeckte. Dieser Quader maß 0,95 m x 0,66 m und war 0,50 m hoch74. Er wurde bei der Grabung von Rowe entfernt und fehlt heute75. Der Quader war teilweise von dem südlich anschließenden CaementitiumBlock überdeckt, ebenso wie ein heute noch vorhandener, in den CaementitiumBlock eingeschlossener, Kalksteinquader, der eine an ein Ω erinnernde Einritzung trägt76 (Abb. 3.6). Bei der Einritzung handelt es sich vermutlich um ein Werkzeichen77. Der Argumentation von Sabottka bezüglich des Verlaufs des Nord- und des Südfundamentes folgend, ergibt sich somit eine Länge des Gebäudes von nur etwa 7,30 m78. Die von Rowe beobachteten Abarbeitungen an den Felsstufen scheinen demnach nicht in direktem Zusammenhang mit der Erbauung des HarpokratesTempels zu stehen. Im Süden des Sarapis-Tempels fand Rowe von Osten nach 71 Sabottka 2008, 182, Anm. 516. Sabottka 2008, 183. 73 Sabottka 2008, 183. 74 Rowe 1946, 55. 75 Sabottka 2008, 183. 76 Vgl. Sabottka 2008, 183. 77 Sabottka 2008, 183. 78 Sabottka 2008, 183 f. 72 11 Westen aufsteigende, in den Fels gehauene, Stufen, die bei der Erbauung des Schreins teilweise zerstört worden sein sollen79 (Abb. 3.7). Hierbei könnte es sich etwa um eine Planänderung während der Bauzeit des Sarapis-Tempels handeln. Die Fundamentbreite beträgt bei dem Nord- und Südfundament jeweils ca. 1,10 m80. Diese Breite nimmt Sabottka auch für das Ost- und das Westfundament an81. Somit ergibt sich für den Tempel eine Breite von 4,70 m82. Die Angabe von Rowe, dass der Tempel 8,80 m lang und 5,00 m breit war83, die auch in neuesten Publikationen immer noch wiedergegeben wird84, ist somit nicht zu halten. Die mittlere Fundamentreihe lag 1,20-1,50 m vom Nordfundament und 2,50 m vom südlichen Fundament entfernt. Ihre Breite betrug 1,10-1,20 m. Bei der Freilegung waren noch Reste eines Quaders erhalten, heute sind noch die Abdrücke weiterer Quader sichtbar85. Die Ecken des ehemaligen Fundaments lassen sich anhand der Lage der Gründungsdepots Nr. 1-4 erkennen86. Im Norden des Harpokrates-Tempels befinden sich zwei weitere Depotlöcher (Abb. 3.4, Nr. 5 und 7), deren Bedeutung nicht zu klären ist, da diese wohl bereits in antiker Zeit geplündert wurden. Falls diese Depots nicht auch zum Harpokrates-Tempel gehörten, ist ein weiterer Schrein nördlich des Harpokrates-Tempels denkbar87. Da ein Raum der voreuergetischen Phase des Heiligtums, nördlich des Harpokrates-Tempels, zugeschüttet wurde, dessen Fußboden etwa auf Höhe der Fundamente des Sarapis- und des Harpokrates-Tempels lag, ist davon auszugehen, dass der Laufhorizont deutlich höher lag als die unterste Fundamentschicht 88. Daher muss es noch weitere Fundamentquaderschichten über der erhaltenen gegeben haben um das Bodenniveau zu erreichen89. 79 Rowe 1946, 54. Sabottka 2008, 183. 81 Sabottka 2008, 183 f. 82 Sabottka 2008, 184. 83 Rowe 1946, 54. 84 So etwa McKenzie u. a. 2004, 84; Sandri 2006, 69; Kleibl 2009, 318. 85 Sabottka 2008, 184. 86 Sabottka 2008, 182. 87 Rowe 1946, 59. 88 Sabottka 2008, 158. 89 Sabottka 2008, 184. 80 12 3.2. Die Gründungsplaketten Unter den vier Ecken des Harpokrates-Tempels lagen je zwei Gründungsdepots (s. Abb. 3.4), die wohl ursprünglich je zehn Plaketten enthielten90. Die Vermutung von Weinstein, in jedem Depot hätten sich, basierend auf altägyptischen Gepflogenheiten, je neun Plaketten befunden91, ist unbegründet und zu verwerfen. In den Depotlöchern 8, 9, 10 und 11 befanden sich keine Reste von Plaketten mehr, diese wurden wohl bereits antik geplündert92. In Depot 1 befanden sich Fragmente einer Plakette aus Schlamm, vermutlich Nilschlamm, eine zerbrochene Plakette aus Bronze, zwei verschieden große Plaketten aus grünlichem opakem Glas, je eine Plakette aus bläulich-grünem, dunkelgrünem, hellgrünem und bläulichem opakem Glas, eine Plakette aus Silber und eine aus Gold93. Auf den beiden letztgenannten haben sich gleichlautende, eingestochene, griechische und hieroglyphische Inschriften erhalten94. In gleicher Weise sind Inschriften auf der Bronzeplakette zu erwarten, die sich jedoch nicht erhalten haben95. Auf der Plakette aus bläulichem Glas haben sich Spuren von griechischer und hieroglyphischer Schrift, vergleichbar den Inschriften auf der Goldplakette, aus schwarzer Tinte erhalten96. Hiervon ausgehend sind ebensolche Tintenaufschriften auf allen Glasplaketten zu rekonstruieren. Auf der Schlammplakette haben sich keine Inschriften erhalten, diese wird sie wohl aber in Form von Ritzungen enthalten haben. Der Inhalt von Depot 3 ähnelte dem von Depot 1. Es enthielt Reste einer Schlammplakette, Fragmente von fünf Plaketten aus opakem Glas, eine Plakette aus grünlicher Fayence, eine aus Bronze mit Resten einer eingestochenen Inschrift, eine aus Silber und eine aus Gold. Auch auf der Silber- und Goldplakette dieses Depots haben sich Inschriften erhalten, die griechische Inschrift auf den zwei 90 Rowe 1946, 54. Vgl. McKenzie u. a. 2004, 85, Anm. 40. 92 Rowe 1946, 54. 93 Rowe 1946, 54 f. 94 Rowe 1946, 55. 95 Rowe 1946, 54. 96 Rowe 1946, 55. 91 13 Goldplaketten unterscheidet sich nur durch eine verschiedene Aufteilung der Zeilen (Abb. 3.8)97. Depot 2 beinhaltete Reste von Silber-, Bronze-, Glas- und Schlammplaketten. Die Fragmente in Depot 4 waren von Plaketten aus Bronze und opakem Glas98. Die Breite der Plaketten variiert zwischen 9,40 cm und 14,50 cm, die Höhe liegt zwischen 5,10 cm und 6,40 cm. Die metallenen Plaketten sind sehr dünn, die aus opakem Glas sind zwischen 0,30 cm und 0,95 cm dick99. El Gheriani zeigt in seinem Aufsatz über die Kulte Alexandrias die Abbildung einer zersprungenen und wieder zusammengefügten Gründungsplakette des Harpokrates-Tempels100 (Abb. 3.9), die er im Text allerdings fälschlicherweise als Gründungsplakette des Sarapeions nennt, und auch die Übersetzung einer solchen angibt101. Es scheint sich hierbei um die von Drioton mit A² benannte Silberplakette zu handeln, die „brisée, mais complète“ ist102. 3.2.1. Die griechische Inschrift Die griechische Inschrift auf der Gründungsplakette aus Gold103 zeigt sich uns wie folgt: Β Α ΙΛΕΤ ΠΣ ΟΛΕΜΑ ΙΟΒ Α ΙΛΕΩ ΠΣ ΟΛΕΜΑ ΙΟΤ ΚΑ ΙΒ Α ΙΛΙΗ ΒΕΡΕΝΙΚΗ ΘΕΩ Ν Ε Τ ΕΡΓΕΣ Ω Ν Α ΡΠΟΧ ΡΑ Σ ΕΙΚΑ ΣΑ ΠΡΟΣ Α ΓΜΑ Α ΡΑ ΠΙΔΟ ΚΑ ΙΙ ΙΔ Ο In griechischer Umschrift lautet der Text: Βαςιλεὺσ Πτολεμαῖοσ βαςιλέωσ Πτολεμαίου / καὶ βαςιλίςςησ Βερενίκησ θεῶν Εὐεργετῶν / Ἁρποχράτει κατὰ πρόςταγμα αράπιδοσ / 97 Rowe 1946, 56. Rowe 1946, 56. 99 Rowe 1946, 55 f. 100 El Gheriani 1994, 173 Abb. 4. 101 El Gheriani 1994, 165; den gleichen Fehler begeht Empereur 1998, 97, der allerdings eine sehr gute Farbabbildung der Goldplakette liefert, deren Inschriften im Folgenden ausführlicher behandelt werden. 102 Drioton 1946, 97. 103 Alexandria, Griechisch-Römisches Museum, Inv.-Nr. GRM 10035, Farbabbildung bei Empereur 1998, 97 (Beischrift falsch). 98 14 καὶ Ἴςιδοσ104. Das bedeutet so viel wie: „König Ptolemaios, (Sohn) des Königs Ptolemaios und der Königin Berenike, der Wohltäter-Götter, (für) Harpokrates, gemäß der Anordnung (von) Sarapis und Isis.“105 Die Formulierung κατὰ πρόςταγμα könnte darauf hin deuten, dass die Weihung des Tempels aufgrund eines Traumes des Stifters oder aufgrund eines Orakelspruchs erfolgte106. Zudem lässt die Formulierung κατὰ πρόςταγμα αράπιδοσ καὶ Ἴςιδοσ vermuten, dass neben Sarapis auch Isis schon länger in diesem Heiligtum verehrt wurde. Bemerkenswert ist, dass Harpokrates nicht als Sohn der beiden genannt ist. Unklar ist, ob Sarapis zu diesem Zeitpunkt noch nicht die Vaterschaft von Osiris übernommen hatte, oder ob die Tatsache, dass es sich bei Harpokrates um den Sohn, nicht nur von Isis sondern auch von Sarapis, gehandelt hat, so selbstverständlich war, dass sie keiner Erwähnung bedurfte. Auffällig ist die Reihenfolge der Nennung von Menschen und Göttern, nämlich: Ptolemaios IV., Ptolemaios III., Berenike II. und Harpokrates, Sarapis, Isis. Es wird also jeweils zuerst der Sohn genannt, dann der Vater107 und die Mutter. Darin könnte eine Gleichsetzung zu sehen sein: Ptolemaios IV. = Harpokrates Ptolemaios III. = Sarapis Berenike II. = Isis Eine solche Gleichsetzung wäre in allen drei Fällen gut denkbar, Sarapis hat von Osiris die Rolle des verstorbenen Königs übernommen und die Ptolemäerköniginnen hatten eine besondere Nähe zu Isis. Auf das Verhältnis von Ptolemaios und Harpokrates wird an anderer Stelle noch eingegangen108. Eine solche Gleichsetzung würde auch erklären, warum Arsinoë auf der Gründungsplakette109 eines Tempels an der Kanopischen Straße, im Gegensatz zu 104 Zur Schreibung in Minuskeln vgl. Bernand 2001, 61. Zur Übersetzung vgl. Bernand 2001, 61. 106 Bernand 2001, 61. 107 Wenn man denn annehmen möchte, dass Sarapis schon die Rolle des Vaters des Harpokrates übernommen hatte. 108 s. Punkt 5.1. Das Verhältnis Ptolemaios‘ zu Harpokrates. 109 Die Gründungsplakette aus Goldblech wurde 1855 unter der alten Börse in Alexandria gefunden. Abb., Reinschrift und Übersetzungen des griechischen und ägyptischen Textes bei Rowe 1946, 12 f. 105 15 den hier behandelten Plaketten, genannt ist. Diese trägt die Inschrift „Dem Sarapis und der Isis, den Retter-Göttern, und dem König Ptolemaios und der Königin Arsinoë, den vaterliebenden Göttern“110. Somit wäre hier eine Gleichsetzung des Königs mit Sarapis und der Königin mit Isis gegeben111. Besonders wichtig ist die Inschrift auf den Plaketten, da sie die erste und einzige Erwähnung Harpokrates‘ im Alexandria der ptolemäischen Zeit darstellt. 3.2.2. Die hieroglyphische Inschrift Die hieroglyphische Inschrift derselben Plakette stellt sich wie folgt dar: 112 Drioton ist es bereits 1946 gelungen, die Inschrift folgendermaßen zu entschlüsseln: Nsw Ptwlmys mry St s3 nsw Ptwlmys ḥr ḥmt-nsw B3r3n3g n Ḥr-p-ẖrd m wḏ Wsr-Ḥp ḥr St113. Diese Umschrift ergibt die Übersetzung: „König Ptolemaios, geliebt von Isis, Sohn des Königs Ptolemaios und der Königin Berenike, dem Harpokrates, auf Befehl des Sarapis und der Isis.“114 Diese Inschrift weist also an zwei Stellen Abweichungen vom Griechischen auf. Der Zusatz mry St „geliebt von Isis“ ist als Teil des Namens Ptolemaios‘ zu verstehen und steht entsprechend auch mit in der Namenskartusche. Erstaunlicher ist das Fehlen eines Zusatzes entsprechend dem griechischen „θεῶν Εὐεργετῶν“ hinter den Namen der Eltern. Hierfür lässt sich auf den ersten Blick keine Erklärung finden. Sandri liest statt Ḥr-p-ẖrd Ḥrw-(p3)-ẖrd. Diese Lesung scheint durchaus wahrscheinlicher, da die Lesung der Wachtelküken-Hieroglyphe als Lautwert p nur 110 Vgl. Bernand 2001, 55; Rowe 1946, 12 f. Vgl. Huß 2001, 453 f. 112 Nach Drioton 1946, 97. 113 Drioton 99-109. 114 Vgl. Drioton 1946, 99-109. 111 16 in dieser Inschrift belegt wäre. Das gleiche trifft allerdings auch für die Lesung als n in nsw „König“ zu115. Ebenso ist der Lautwert r für die Eulen-Hieroglyphe nur in dieser Inschrift belegt116. Die gleiche ‚Einzigartigkeit‘ finden wir bei der Lesung t der Mund-Hieroglyphe117. Besonders bemerkenswert in dieser Inschrift ist auch die Verwendung der Schilfblatt-Hieroglyphe für sechs verschiedene Lautwerte, nämlich l, s, t, ḥ, w und r, wobei wiederum s und t nur hier belegt sind118. Weitere Beispiele ließen sich auch für die meisten anderen Hieroglyphenzeichen finden. Es bleibt also festzuhalten, dass es sich bei der Entschlüsselung des hieroglyphischen Textes durch Drioton zwar um eine sehr verdienstvolle Arbeit handelt, die allerdings überwiegend darauf beruht in den ‚unpassenden‘ Hieroglyphen Wörter zu finden, die zur griechischen Inschrift passen und ohne diese griechische Version wohl kaum möglich gewesen wäre. Nach McKenzie handelt es sich bei der Hieroglyphenschrift um ein „sophisticated system of alphabetical ideograms“119. Diese Ansicht erscheint umso unbegründeter, als die bereits erwähnte Gründungsplakette von der Kanopischen Straße, die ebenfalls in der Regierungszeit Ptolemaios‘ IV. niedergelegt wurde, eine hieroglyphische Schreibung beinhaltet, die in keiner Weise von zeitgenössischen ägyptischen Inschriften abweicht120. Hätte es sich um ein „sophisticated system“ gehandelt, so wäre dieses System sicher auch an anderer Stelle zur Anwendung gekommen. Vielmehr ist hier wohl zu vermuten, dass der Schreiber der ägyptischen Inschrift der Hieroglyphenschrift nicht wirklich mächtig war. So sind, wie bereits gezeigt, viele Lautbedeutungen der Zeichen, wie sie Drioton entschlüsselt hat, nur in dieser einen Inschrift belegt. Auch die Königsnamen finden sich an keiner anderen Stelle in derselben hieroglyphischen Schreibung121, so kann man nur dank der griechischen Inschrift wissen, welcher Königsname überhaupt in welcher Kartusche 115 Daumas 1988, 314 f. Daumas 1988, 313. 117 Daumas 1988, 156. 118 Daumas 1988, 418. 119 McKenzie u. a. 2004, 84. 120 Vgl. Rowe 1946, 13. 121 Drioton 1946, 99; 104; 106. 116 17 gemeint sein muss. Mangelnde Schreiberkünste würden auch das Fehlen der „Wohltätergötter“ und das fehlende p3 in Ḥrw-p3-ẖrd erklären. Grimm meint, bei den griechischen bzw. ägyptischen Inschriften handle es sich um „fast identische Texte in der Sprache der neuen wie der alten Landesherren“122. Dieser angenommenen Gleichberechtigung der zwei Sprachen widerspricht die durchaus gute Ausführung des Griechischen im Gegensatz zur „änigmatischen“123 ägyptischen Form. Sandri hingegen sieht in der hieroglyphischen Schreibung eine Übersetzung des griechischen Textes124. Es ist sicher richtig, dass der Entwurf für die Plaketten in griechischer Form erfolgte. Um der Tradition Genüge zu tun, und da es sich um einen ursprünglich ägyptischen Gott handelte, musste zusätzlich die ägyptische Schreibung hinzugefügt werden. Dabei scheint es wichtiger gewesen zu sein, dass der Text ägyptisch aussieht, als dass er tatsächlich von einem hieroglyphenkundigen Ägypter gelesen werden könnte. Zusammenfassend ist festzustellen, dass Befunde des Tempels nur äußerst spärlich erhalten sind und entsprechend wenig Aufschluss über die Gestaltung des Tempels geben. Durch den Fund der Gründungsplaketten ist jedoch der Erbauer und damit auch die Erbauungszeit eindeutig bestimmt, was weitere Interpretationen zu Funktion und Aussehen des Tempels erlaubt. 4. Datierung des Tempels Bevor genauer auf die Funktion des Tempels eingegangen werden kann, soll zunächst versucht werden, die Datierung des Tempels auf einen Zeitraum innerhalb der Regierungszeit Ptolemaios‘ einzugrenzen. Da auf den Gründungsplaketten die Königin Arsinoë entgegen dem Üblichen nicht genannt wird, wird für die Datierung der Grundsteinlegung des Tempels meist versucht den Zeitraum zu bestimmen, in dem Ptolemaios schon König, jedoch noch 122 Grimm 1998, 83. Sandri 2006, 68. 124 Sandri 2006, 68. 123 18 nicht verheiratet war. Daher soll im Folgenden untersucht werden, in welchem Zeitraum der König nicht mit Arsinoë verheiratet war, ob sich noch andere Erklärungen für die fehlende Nennung der Königin finden lassen und welche anderen Anhaltspunkte sich für eine genauere Datierung des Tempels finden lassen. 4.1. Ptolemaios IV. Philopator Ptolemaios IV. Philopator wurde wohl 244 v. Chr.125 als Sohn von Ptolemaios III. Euergetes und dessen Frau Berenike II. geboren. Nach dem Tod seines Vaters übernahm er spätestens am 31. Dezember 222 v. Chr.126 die Herrschaft über Ägypten und die übrigen ptolemäischen Besitzungen im ostmediterranen Raum. Von 219 bis 217 v. Chr. führte er den 4. Syrischen Krieg gegen den Seleukiden Antiochos III127, den er mit dem Sieg in der entscheidenden Schlacht bei Raphia am 22. Juni 217 v. Chr.128 für sich entschied und somit die ptolemäischen Gebiete halten konnte. Die militärischen Mühen des 4. Syrischen Krieges zwangen Ptolemaios zu Änderungen in seiner Politik. Erstmals unter ptolemäischer Herrschaft wurden größere Teile der ägyptischen Bevölkerung zum Kriegsdienst einberufen129, was in der Folgezeit zu vermehrten Zugeständnissen gegenüber der einheimischen Bevölkerung und den Priesterschaften führte. Eine der wichtigsten Quellen zum 4. Syrischen Krieg und der frühen Regierungszeit Ptolemaios‘ ist das Raphia-Dekret. Es berichtet über den Sieg von Raphia, den vorangegangenen Feldzug und die auf den Sieg folgenden Feierlichkeiten130. Das Dekret gibt den Beschluss einer Priestersynode wieder, die am 15. November 217 v. Chr.131, anlässlich der Rückkehr des Königs nach Ägypten und der Feier des ägyptischen Sieges, in Memphis tagte. Das Dekret ist 125 Huß 2001, 382. Thissen 1982, 1185; nach Volkmann war der Regierungsantritt zwischen dem 5. und 16. Februar 221, s. Volkmann 1959, 1678. 127 Hölbl 1994, 113. 128 Hoffmann 2000, 161; Hölbl 1994, 144. 129 Hölbl, 1994, 115. 130 Vgl. Thissen 1982, 1185 131 Hoffmann 2000, 161; Hölbl 1994, 116. 126 19 dreisprachig, hieroglyphisch, demotisch und griechisch, verfasst und in drei bruchstückhaften Stelen erhalten132. Die im Raphia-Dekret veranlassten Ehrungen Ptolemaios‘ beinhalteten unter anderem die Aufstellung von Statuen des Königspaares in den Tempeln des Landes, den täglichen Kult für das Herrscherpaar an diesen Orten und ein fünftägiges Fest, das zu Ehren der Theoi Philopatores, in Erinnerung an den Sieg, in allen Tempeln veranstaltet werden sollte. In der Regierungszeit Ptolemaios‘ IV. lässt sich ein deutlich größer werdender ägyptischer Einfluss am ptolemäischen Hof fassen. So wurden im Raphiadekret erstmals die ägyptischen Königstitulaturen ins Griechische übertragen133 und auch das altägyptische Königsritual wurde übernommen134. Auch wird Ptolemaios Philopator sehr viel häufiger als seine Vorgänger in ägyptisierter Form dargestellt135. Ptolemaios hatte zum einen eine hohe Affinität zur altägyptischen Religion, andererseits scheint er auch eine besondere Nähe zu Dionysos und dessen Kult gehabt zu haben136. So soll er auch in die Dionysischen Mysterien eingeweiht gewesen sein137. In der Herrschaftszeit Ptolemaios beginnen politische Unruhen, die in seinem 16. Regierungsjahr zu einer Revolte in der Thebais führen, die zu einer Lossagung Oberägyptens vom Ptolemäerreich führte138. Gestorben ist Ptolemaios vermutlich im Sommer des Jahres 204 v. Chr.139, das genaue Todesdatum liegt allerdings, wie auch die Umstände seines Todes, im Dunkeln. In der Person Ptolemaios‘ finden wir also nur geringe Hinweise zur Datierung des Harpokrates-Tempels. Da er auf den Gründungsplaketten den Königstitel trägt, kann der Tempel frühestens 222 v. Chr. errichtet worden sein. Als Terminus ante quem haben wir den Tod Ptolemaios‘ ca. 204 v. Chr. 132 Hölbl 1994, 144; vgl. Thissen 1984, 148. Volkmann 1959, 1684; Thissen 1966, 5. 134 Volkmann 1959, 1688. 135 Hornbostel 1973, 142. 136 Vgl. Volkmann 1959, 1698. 137 Dunand 2000, 154. 138 Hölbl, 1994, 135-137. 139 Huß 2001, 447. 133 20 4.2. Ptolemaios und Arsinoë Wann die Hochzeit zwischen Ptolemaios und seiner Schwester Arsinoë III. stattfand, ist eine Frage, die für die Datierung des Harpokrates-Tempels eine gewisse Bedeutung hat, die sich allerdings nicht mit Sicherheit beantworten lässt. So vermutet Rowe eine Vermählung kurz nach Ptolemaios‘ Rückkehr nach Ägypten nach dem Sieg von Raphia140. Quaegebeur weist dagegen darauf hin, dass die Hochzeit der Geschwister vor der Schlacht von Raphia stattgefunden haben muss, da eine für einen Anemhor (ᶜn-m-ḥr) errichtete Stele diesen als Priester der Theoi Philopatores (ḥm nṯrwj mrjw jt141) ausweist. Als Todestag dieses Priesters wird auf der Stele der 8. Juni 217 v. Chr., also zwei Wochen vor der Schlacht bei Raphia, genannt142. Da die Stele allerdings erst zu seiner Beisetzung 70 Tage nach seinem Tod errichtet wurde, ist diese Argumentation einer früheren Hochzeit von Ptolemaios und Arsinoë genauso wenig gesichert wie diejenige, die die Vermählung auf die Zeit nach der Schlacht bei Raphia legt, der Aussage von Polybios folgend, dass Ptolemaios bei der Schlacht von seiner Schwester begleitet wurde. Die Tatsache, dass Polybios Arsinoë Ptolemaios‘ ἀδελφή143 nennt, schließt nicht aus, dass die beiden schon verheiratet waren, seine Schwester blieb sie ja dennoch144. Ebenso könnte ἀδελφή von Polybios titular gemeint sein145, als Ehrenbezeichnung der Königin. Die Vermählung der beiden scheint spätestens vor der Verfassung des RaphiaDekrets stattgefunden zu haben, da Arsinoë hier βαςιλίςςα/pr-ᶜ3.t genannt wird. Βαςιλίςςα ließe sich noch im Sinne von Königstochter verstehen146, der Titel pr-ᶜ3.t ist jedoch der Königin vorbehalten147. Auch wurde dem Königspaar, wie bereits 140 Rowe 1946, 57. Huß 1976, 262. 142 Quaegebeur 1971, 248, Anm. 60. 143 Polybios V 83, 3; 84, 1; 87, 6. 144 Vgl. Quaegebeur 1971, 249, Anm. 60; Huß 1976, 261. 145 Huß 1976, 261. 146 Vgl. Thissen 1966, 67. 147 Quaegebeur 1971, 249, Anm, 60. 141 21 erwähnt, spätestens mit dem Raphiadekret ein gemeinsamer Kult eingerichtet, was impliziert, dass beide vermählt waren148. Da 210 v. Chr. der gemeinsame Sohn von Ptolemaios IV. und Arsinoë III., Ptolemaios V., geboren wurde149, können wir sicher sein, dass eine Ehe zu diesem Zeitpunkt bestand, vermutlich wurde diese aber bereits sehr viel früher geschlossen. Huß vermutet die Heirat zwischen dem Tod des Euergetes, Ende 222 v. Chr. / Anfang 221 v. Chr. und dem 17. Oktober / 15. November 220 v. Chr.150 Diese sehr frühe Datierung der Hochzeit der beiden scheint sehr plausibel, da die Vermählung mit seiner Schwester in den Thronstreitigkeiten nach dem Tod des Euergetes die Position Ptolemaios‘ gestärkt hätte, und nach dem Tod seiner Mutter und seines Bruders Magas eine weitere Legitimation dargestellt hätte. Ptolemaios hätte sich und Arsinoë damit in die Nähe der hochverehrten Theoi Philadelphoi, Ptolemaios II. und Arsinoë II. gerückt. Volkmann gibt an, Ptolemaios habe sich im letzten Jahr seiner Herrschaft von Arsinoë getrennt151. Damit käme man zu einem weiteren Zeitraum, in dem die Nichtnennung Arsinoës durch das Verhältnis des Königspaares begründet wäre. Diese These muss allerdings heute als überholt gelten, denn auch wenn das Verhältnis von Ptolemaios und Arsinoë in der Forschung meist als gestört betrachtet wird, fehlt es nicht an Hinweisen, die eine andere Sprache sprechen152. So ist zwar als einziges Doppelbildnis von Ptolemaios und Arsinoë eine Gemme überliefert153, Ptolemaios führt also die Tradition seiner Vorgänger Münzen mit Doppelbildnissen des Königspaares zu prägen nicht fort, allerdings haben wir sogar aus dem Sarapeion selbst Funde, die ein gemeinsames Auftreten der beiden in der Rundplastik belegen. Dort wurden 1905/06 die Köpfe von Akrolithstatuen gefunden, die vermutlich einer Figurengruppe von Sarapis in der Mitte, flankiert von Ptolemaios IV. und Arsinoë III., angehörten154. Hierbei könnte es sich um die, 148 Vgl. Thissen 1966, 67. Hölbl 1994, 118. 150 Huß 2001, 382, Anm. 4; vgl. auch Hölbl 1994, 111. 151 Volkmann 1959, 1691. 152 Huß 2001, 464 f. 153 Kyrieleis 1975, 44. 154 Grimm 1998, 83. 149 22 im Raphia-Dekret beschlossene, Aufstellung eben jener Figurengruppe handeln, die in jedem Tempelhof Ägyptens aufgestellt werden sollte und Statuen des Königs, der Königin und des jeweiligen Stadtgottes beinhalten sollte. Dieser Stadtgott sollte beim Überreichen des Siegesschwertes an den König dargestellt werden. Auch wenn diese Statuengruppen, laut Raphia-Dekret, in ägyptischem Stil gefertigt werden sollten155, so ist doch eine Ausnahme für das zu einem Großteil von NichtÄgyptern bewohnte Alexandria denkbar. Hinzukommt die gemeinsame Verehrung von Ptolemaios und Arsinoë, mit Sarapis und Isis, in dem bereits erwähnten Tempel an der Kanopischen Straße156. Auch sonst haben wir kein Zeugnis, dass es Ptolemaios an der gebotenen Verehrung der Königin mangeln ließ. Wenn also die Vermählung Ptolemaios‘ mit Arsinoë bereits in seiner sehr frühen Regierungszeit stattgefunden hat, könnte man ebenfalls zu einer sehr frühen Datierung des Harpokrates-Tempels kommen. Dies scheint allerdings eher unwahrscheinlich, da Ptolemaios in seiner frühesten Regierungszeit noch sehr damit beschäftigt war, seine Herrschaft zu sichern. Nicht auszuschließen ist jedoch, dass es sich bei dem Tempel eben gerade um ein Mittel zur Legitimation und damit zur Herrschaftssicherung gehandelt hat, was eine so frühe Datierung zumindest in den Bereich des Denkbaren rücken würde. Es muss allerdings auch bedacht werden, dass es für die fehlende Nennung der Königin auf den Plaketten auch Gründe geben kann, die keinen Rückschluss auf das Verhältnis des Königspaares erlauben. So weist Bernand zu Recht darauf hin, dass auch auf der Plakette des Sarapis-Tempels nur Ptolemaios III. und nicht Berenike II. genannt ist157. So könnte es sich auch beim Harpokrates-Tempel um eine persönliche Weihung des Königs, und eben nicht des Königspaares handeln. Ebenso sollte eine bewusste Nichtnennung zu Zwecken der Gleichsetzung Ptolemaios‘ mit Harpokrates in Betracht gezogen werden158. 155 Hölbl 1994, 145. Grimm 1998, 83. 157 Bernand 2001, 61; vgl. Bernand 2001, 42. 158 Vgl. Punkt 3.2.1. 156 23 4.3. Weitere Datierungshinweise Zur genaueren Datierung des Tempels hat Hornbostel einen Zusammenhang zwischen der Errichtung des Tempels und der Prägung von Münzen mit den gestaffelten Büsten Sarapis‘ und Isis‘ unter Ptolemaios Philopator vorgeschlagen159. Diese Münzen datierte Fraser in die frühe Regierungszeit Ptolemaios‘160. Hölbl und Wild datieren den Harpokrates-Tempel ebenfalls in die frühe Regierungszeit Ptolemaios‘161, Hölbl beruft sich dabei auf Wild, Wild beruft sich auf Rowe, der wiederum eine Datierung in die frühe Regierungszeit vermutet, da er sich sonst nicht erklären kann, dass Arsinoë auf der Inschrift fehlt162. Daher hält er etwa eine Datierung unmittelbar nach der Schlacht bei Raphia, als Dankesweihung, für denkbar163. Dass die fehlende Nennung der Königin allerdings nicht zwangsläufig eine Datierung vor der Hochzeit impliziert, wurde bereits gezeigt. Dennoch ist die Idee, dass es sich um ein Geschenk an den Gott zum Dank für die Hilfe beim Sieg von Raphia handelte, sehr ansprechend. Wenn etwa im RaphiaDekret beschrieben wird, dass Ptolemaios bei der Schlacht von Raphia die Feinde selbst so tötete, „wie früher Horus, Sohn der Isis, seine Feinde getötet hat“ 164, zeigt das, dass Ptolemaios, der als Horus gesiegt hat, eben diesem Gott besondere Dankbarkeit schuldete. Festzuhalten ist, dass es für eine genauere Datierung innerhalb der Regierungszeit Ptolemaios keine eindeutigen Belege gibt, allerdings gibt es Hinweise, die eine Datierung in die frühe Regierungszeit des Königs wahrscheinlich machen. 159 Hornbostel 1973, 141 f. Vgl. Sabottka 2008, 186. 161 Wild 1981, 167; Hölbl 1994, 151. 162 Rowe 1946, 57. 163 Rowe 1946, 58. 164 Hoffmann 2000, 161. 160 24 5. Erbauungsgrund und Funktion des Tempels Die Deutungen zur Funktion des Tempels sind vielfältig. So vermuten etwa McKenzie und Kleibl ein Mammisi, ein Geburtshaus, das für den Dynastiekult notwendig gewesen sei165. Die Befunde und Funde im Sarapeion erlauben keinerlei Rückschlüsse auf Rituale oder Kultpraxis in einem der Tempel166. Ebenso ist unklar, ob derartige Kulthandlungen, wie in ägyptischen Tempeln üblich, im Innern des Tempels zu erwarten sind, oder ob der Kult, nach griechischem Vorbild im Freien ausgeübt wurde. Ein derartiger Kult, der an den Tempel des Harpokrates gebunden wäre, ist nicht belegt, wird jedoch unter anderem von Fischer vermutet167. Es soll hier zuerst im Verhältnis Ptolemaios‘ zu dem Gott Harpokrates nach dem Erbauungsgrund gesucht werden. Im Weiteren wird untersucht, ob der Vergleich mit ägyptischen Geburtshäusern eine Funktionsbestimmung erlaubt. Abschließend wird anhand der Erkenntnisse zur Funktion des Tempels versucht einen Zeitpunkt und einen Grund für das Ende des Tempels zu bestimmen. 5.1 Das Verhältnis Ptolemaios‘ zu Harpokrates Hinweise auf das Verhältnis Ptolemaios‘ zu Harpokrates haben wir durch verschiedene Quellen, die in diesem Abschnitt behandelt werden sollen. Im Cabinet des Médailles befindet sich ein Kameo, der einen Harpokrates mit Doppelkrone und Diadem zeigt, die ihn als ptolemäischen König kennzeichnen168. Blum und Kyrieleis haben dieses Porträt aufgrund charakteristischer Züge Ptolemaios IV. zugewiesen169. Im Sarapeion wurde ein Kolossalkopf von Ptolemaios IV., der eine Doppelkrone trägt, gefunden170. Auch wenn die Doppelkrone allgemein ein Zeichen für den König von Ober- und Unterägypten ist, so tritt sie 165 McKenzie u. a. 2004, 90; Kleibl 2009, 318. Fraser 1972, 265. 167 Fischer 2003, 161. 168 Kyrieleis 1975, 44; Abbildung bei Babelon 1897, Taf. XV, Abb. 140. 169 Kyrieleis 1975, 44; Blum 1915, 13. 170 El Gheriani 1994, 165 f.; 174 Abb. 6 166 25 doch auch besonders bei Horus und Harpokrates-Darstellungen auf. So zeigt besonders der Kameo eine große Nähe von Ptolemaios und dem Gott in der künstlerischen Darstellung. Große Teile des Horus-Tempels von Edfu wurden unter Ptolemaios IV. erbaut und dekoriert. Hier übt der König, dem Ritual gemäß, seine göttlich-königliche Funktion nur in Analogie zum eigentlichen Herrschergott, dem Horus von Edfu, aus171. Auch hier rückt sich Ptolemaios in die Nähe des Gottes Horus, für dessen Erscheinung als Kindgott er den Tempel in Alexandria errichten ließ. Auch in den Namen des Königs finden sich Anhaltspunkte, die für eine besondere Beziehung zu Harpokrates sprechen. Ptolemaios trug den Horus-Namen ḥwn qnj sḫᶜj.n sw jt=f „Der tapfere Jüngling, den sein Vater (als König) hat erscheinen lassen“172. Als Zusatz zum Eigennamen trug er ᶜnḫ ḏt mrj 3st „er lebe ewig, geliebt von Isis“ und p3 nṯr mrj jt=f „der vaterliebende Gott“173. Er bezieht sich also als erster Ptolemäer auf Isis, dieser Bezug auf Isis stellt mittelbar auch einen Bezug zu deren Sohn Horus dar174. Die Bezeichnung ḥwn qnj „der tapfere Jüngling“ im Horus-Namen tritt erstmals bei Ptolemaios II. Philadelphos auf175. Die Formulierung ḥwn qnj ist als Beiname ägyptischer Kindgötter sehr selten, viel häufiger tritt etwa ḥwn nfr „der schöne Jüngling“ auf176. Das Attribut qnj „tapfer“ könnte im Königsnamen als Bezug auf Herakliskos gesehen werden177. Ein solcher Bezug liegt nahe, da es sich bei Herakles um den Stammvater der Lagiden handelte. Andererseits ist auch im Bezug auf Horus das Attribut qnj gut vorstellbar, da er auch bereits als Kind versuchte gegen Seth zu kämpfen. Allgemein rückt der Beiname ḥwn qnj den König in die Nähe von Kindgöttern. Die Formulierung sḫᶜj.n sw jt=f „den sein Vater hat erscheinen lassen“ verweist eindeutig auf die Legitimation durch den Vater. Hier ist wohl vor allem gemeint, dass Ptolemaios III. nach seinem Tode seinen Sohn Ptolemaios auf dem Thron, als 171 Hölbl 1994, 142. Felber 2003, 138. 173 Felber 2003, 139. 174 Vgl. Hölbl 1994, 145. 175 Felber 2003, 129. 176 Felber 2003, 131 f. 177 Felber 2003, 132. 172 26 Herrscher über Ägypten, hat erscheinen lassen. Somit wurde beim Krönungsritual Ptolemaios IV. zum Königsgott Horus, während der verstorbene König zum Unterweltsgott Osiris wurde178. Ptolemaios hatte in den Kämpfen um die Macht nach dem Tod des Euergetes seine Legitimation als Herrscher vor allem aus seiner Abstammung von seinem Vater bezogen, daher wohl auch der Beiname Philopator179. Ebenso bezieht in der Mythologie Horus seine Legitimation als Herrscher über Ägypten daraus, dass er der Sohn und Erbe des verstorbenen Osiris ist180. So wie Horus sich gegen seinen Onkel Seth seinen Thron erkämpfen musste, kämpfte Ptolemaios Philopator zu Beginn seiner Herrschaft gegen seinen Bruder und seine Mutter, also auch gegen enge Angehörige. Da in den Wirren nach dem Tod des Ptolemaios III. Euergetes wichtige Mitglieder der Dynastie ums Leben kamen, war es für Ptolemaios IV. wohl besonders wichtig, dass ihm seine Frau einen Thronerben schenkt. Die Tatsache, dass dieser Thronerbe, Ptolemaios V., erst 210 v. Chr.181, also etwa zehn Jahre nach der Heirat von Ptolemaios und Arsinoë182, das Licht der Welt erblickte, lässt vermuten, dass es einen Zeitraum gab in dem der Kinderwunsch sehr dringlich war. Da Harpokrates einer der Götter war, an den sich der König mit seinem Kinderwunsch wenden konnte, ist durchaus denkbar, dass es sich bei dem Tempel um eine Weihung handelte, die den Gott gnädig stimmen sollte, oder aber um eine Dankesgabe nach der Geburt des Thronfolgers. Ptolemaios hatte wohl neben staatsmännischem auch privates Interesse an der ägyptischen Religion. Dass für ihn unter den ägyptischen Göttern Horus eine besondere Rolle spielt, zeigt sich etwa daran, dass er, nach der Schlacht bei Raphia, am Tag der Geburt des Horus das erste Mal wieder ägyptischen Boden betrat183. 178 Thissen 1966, 29. Vgl. Huß 2001, 383. 180 Thissen 1966, 29. 181 Hölbl 1994, 118. 182 Hölbl 1994, 111. 183 Huß 2001, 385. 179 27 Auch fährt er, wie im Raphiadekret beschrieben, zur Zeit der Nilschwemme flussabwärts, so wie Horus im Mythos184. Unter den griechischen Göttern nahm Dionysos bei Ptolemaios eine besondere Stellung ein, auf den sich die Ptolemäerdynastie als einen Stammvater berief185, und der ebenso wie Herakles gelegentlich als Kind dargestellt wird186, diese äußerliche Ähnlichkeit führt bisweilen gar zur Gleichsetzung der griechischen Kindgötter Dionysos und Herakliskos mit dem ägyptischen Harpokrates187. Die Nähe von Harpokrates zu Herakles, dem Stammvater der Dynastie der Lagiden, lässt sich zusätzlich erklären, wenn man sich die Väter betrachtet. Sarapis wird unter anderem mit Zeus gleichgesetzt, so dass der Sohn Sarapis‘ die Rolle des Zeussohns Herakles übernehmen kann. Diese Verbindung von Harpokrates zum Dynastiegott Herakles zeigt, dass von Harpokrates ein zusätzliches Legitimationspotential ausgeht. Ptolemaios Philopator hatte also auf verschiedenen Ebenen einen Bezug zu Harpokrates, sodass es durchaus begründet ist den Grund für die Erbauung in den persönlichen Neigungen des Königs zu sehen. 5.2. Geburtshäuser ägyptischer Tempel Geburtshäuser, auch Mammisis, sind Bauten in ägyptischen Tempelbezirken, die zwar der gesamten Göttertriade eines Ortes geweiht sind, sich aber speziell an die Mutter und das Kind dieser Triade richten188. Geburtshäuser treten ab Nektanebos I., d. h. ab 380 v. Chr.189, und besonders in ptolemäischer Zeit in den wichtigen Heiligtümern, wie Philae, Kom Ombo, Edfu, Armant, Karnak und Dendera, aber auch in weniger wichtigen, unterägyptischen Heiligtümern auf190. Diese kleinen Tempel stehen für gewöhnlich im rechten Winkel zur 184 Thissen 1966, 2. Hölbl 1994, 84. 186 Budde u. a. 2003, 5. 187 Kleibl 2009, 24. 188 Arnold 1992, 39. 189 Budde u. a. 2003, 4. 190 Arnold 1992, 39. 185 28 Prozessionsstraße zum Haupttempel191. Die einzige Abweichung hiervon in Philae ist wohl den begrenzten räumlichen Möglichkeiten der Insel geschuldet192. Die Reliefszenen der Geburtshäuser zeigen Themen wie die heilige Hochzeit, Geburt, Stillen des göttlichen Kindes, und die Inthronisation des Kindes 193. Gerade in der Inthronisation des Kindgottes erkennt man eine Gleichsetzung von Gott und König. So wurde auch vermutet, dass der König selbst an den, in Mammisis abgehaltenen, Mysterien teilnahm194. Arnold nimmt zudem an, dass das Geburtshaus neben dem Kindgott auch dem jugendlichen König selbst geweiht war, mit dessen Geburt bzw. Inthronisation die Wiedergeburt des Königtums gefeiert wird195. Auch wenn der Gedanke in dem Harpokrates-Tempel im Sarapeion ein Mammisi zu sehen rein inhaltlich naheliegt, Harpokrates ist, zumindest in späterer Zeit und außerhalb Ägyptens, Teil einer Triade mit seinen Eltern Sarapis und Isis 196, so sind doch rein äußerlich erhebliche Abweichungen von den übrigen Geburtshäusern erkennbar. Der Harpokrates-Tempel liegt parallel neben dem Haupttempel, obwohl, etwa im Bereich zwischen Westbau und Nordwestbau, durchaus Raum für einen im rechten Winkel zum Sarapis-Tempel errichtetes Geburtshaus vorhanden gewesen wäre. Ebenso ist davon auszugehen, dass der Harpokrates-Tempel, im Gegensatz zu den meisten Mammisis, keinen Umgang besaß. 5.3. Das Ende des Tempels Für das Ende des Harpokrates-Tempels haben wir einen Terminus ante quem mit der Errichtung des römischen Sarapis-Tempels, der wohl in den Jahrzehnten um 200 n. Chr. errichtet wurde197. Ob der Tempel jedoch erst zum Zeitpunkt dieser römischen Bauarbeiten abgebaut wurde, soll hier untersucht werden. 191 Arnold 1994, 90. Borchardt 1938, 5. 193 Arnold 1992, 39. 194 Arnold 1992, 39. 195 Arnold 1994, 90. 196 Vgl. Sandri 2006, 72. 197 McKenzie 2006, 90; 92. 192 29 Verbreitet wird angenommen, dass der Harpokrates-Tempel, genauso wie der Sarapis-Tempel, bis zum römischen Neubau des Sarapis-Tempels bestand198. Dass der Tempel zum Zeitpunkt der Errichtung des römischen Tempels nicht ersetzt wurde, ist zum einen im Befund abzulesen, da die opus caementitium Fundamente des römischen Tempels über den Fundamenten des Harpokrates-Tempels lagen. Zum anderen ist es inhaltlich offenkundig, falls man der Argumentation folgt, dass der Tempel die Funktion einen Mammisis, oder zumindest in irgendeiner Form des Königskultes, erfüllte199. Ein Tempel, der dem Königskult dient, war in römischer Zeit nicht mehr notwendig, zudem ist nach Trajan keine bauliche oder dekorative Veränderung eines Geburtshauses mehr nachweisbar200. Da die oberen Fundamentschichten des Tempels wohl aber schon bei der Anlage der römischen Fundamente fehlten201, besteht auch die Möglichkeit, dass der Harpokrates-Tempel schon längere Zeit vor den Römischen Umbauten nicht mehr bestand. So ist etwa die Phase der römischen Umdekoration des Sarapeions im 1. Jh. n. Chr. als Abrisszeitpunkt denkbar. Auch in dieser Zeit war ein Tempel, der dem ptolemäischen Herrscherkult diente, bereits seit längerer Zeit seiner Funktion beraubt. Ein Abbau des Harpokrates-Tempels wäre immer gleichbedeutend mit einer Hervorhebung des Sarapis-Tempels, dessen Gesamtkomposition sicher durch einen sehr dicht herangerückten, sogar leicht hervorstehenden, Schrein gestört war. Aus diesem Grund ist auch ein Ende des Tempels noch in ptolemäischer Zeit nicht auszuschließen, besonders, wenn man davon ausgeht, dass es sich bei dem Tempel eben nicht um ein offizielles Dynastiedenkmal handelte, sondern um eine private Weihung des Königs. Da die Gründungsplaketten unsere einzigen schriftlichen Quellen zu dem Tempel sind, und keine bildlichen Quellen, etwa auf Münzen, existieren, lässt sich kein Zeitpunkt festlegen, zu dem der Tempel noch bestanden haben muss. 198 Vgl. McKenzie u. a. 2004, 90. Vgl. McKenzie u. a. 2004, 92. 200 McKenzie u. a. 2004, 92. 201 Sabottka 2008, 268. 199 30 Als möglichen Zeitraum für das Ende des Tempels haben wir also die Spanne zwischen dem Ende der Regierungszeit Ptolemaios‘ IV. am Ende des 3. Jh. v. Chr. und den Neubau des Sarapis-Tempels gegen Ende des 2. Jh. n. Chr. Wahrscheinlich ist ein Abbau des Tempels in römischer Kaiserzeit, einige Zeit vor dem Neubau des Sarapis-Tempels. 6. Rekonstruktion Die Überreste des Tempels sind unzureichend für eine exakte Rekonstruktion202, dennoch soll an dieser Stelle der Versuch unternommen werden einige Vorschläge zu Rekonstruktionsmöglichkeiten zu erarbeiten. In den Rekonstruktionen des Sarapeions von McKenzie und Gibson203 taucht der Harpokrates-Tempel nicht auf, da in diesen Rekonstruktionen das Heiligtum zur Zeit Ptolemaios‘ III bzw. in der römischen Phase gezeigt wird204. Auch wenn über das Aussehen und die Dekoration des Tempels nichts bekannt ist205, kann doch aus den gefundenen Architekturresten des Sarapis-Tempels und der Hallen darauf geschlossen werden, dass sich auch der Harpokrates-Tempel als hellenistisches Bauwerk darstellte, und wenn überhaupt, dann nur in geringem Maße ägyptische Elemente aufwies. Aufgrund der geringen Überreste ist zwar nicht auszuschließen, dass es sich um einen ägyptischen Naiskos handelte 206, diese Möglichkeit scheint jedoch unwahrscheinlich, da keinerlei Überreste ägyptischer Architektur in Gebiet des Sarapeions gefunden wurden. Auch wenn die fehlenden Überreste mit einem frühzeitigen Abbau des Tempels zu erklären wären, ist doch ein derartiges ägyptisches Gebäude in einem Heiligtum, das sonst griechischer Architektur folgt, ein deutlich größerer Widerspruch als die teilweise altägyptischen, teilweise nur ägyptisch anmutenden Weihungen, die in großer Zahl im Heiligtum gefunden wurden. 202 McKenzie u. a. 2004, 90. McKenzie u. a. 2004, 88 Abb. 9; 94 Abb. 12; 95 Abb. 13; 103 Abb. 16. 204 McKenzie u. a. 2004, 90. 205 Sandri 2006, 69. 206 Sabottka 2008, 186. 203 31 Für die Frage der Rekonstruktion des Inneren des Tempels ist die Beschaffenheit des Kultbildes von entscheidender Bedeutung. Leider erlaubt der Umfang dieser Arbeit keine genaue Betrachtung dieses Themas, daher soll die Ansicht von Fischer hier wiedergegeben werden, der als Kultbild einen stehenden Harpokrates mit Doppelkrone und Füllhorn annimmt, da nur diese Darstellung die Nähe zu Sarapis und Isis auf der einen Seite und zur Dynastie der Ptolemäer auf der anderen Seite zeige207. Die Existenz des Kultbildes könnte eine bei den Grabungen Rowes gefundene Inschrift belegen, die laut Wace besagt, dass ein Harpokration und seine Kinder in römischer Zeit eine Statue, die in frühptolemäischer Zeit geweiht wurde, instand gesetzt haben208. Bei besagter Statue handle es sich wohl um das Harpokrates-Kultbild209. Leider wurde diese Inschrift nicht ausführlich publiziert, sodass die Aussage Wace‘ nicht zu verifizieren ist. Sabottka vermutet über der mittleren Fundamentreihe eine Quermauer210, in der sich die Tür zur Cella befunden hat211. Somit ergäbe sich ein größerer Pronaos vor der Cella. Dieser könnte selbst geschlossen und durch eine Tür zu betreten oder mit zwei Säulen in antes gestaltet gewesen sein. Ebenso ist denkbar, dass es sich bei dem Tempel um einen tetrastylen Prostylos mit je einer weiteren Säule hinter den Ecksäulen handelte (Abb. 6.1)212. Auch an dieser Stelle soll noch einmal der Vergleich mit den Geburtshäusern ägyptischer Tempel gewagt werden. Im Grundriss finden sich keine dem Harpokrates-Tempel verwandten Mammisis, auch sind sie praktisch ausnahmslos deutlich größer213. Auch der bei den meisten Mammisis vorhandene Umgang aus Pflanzensäulen214 ist an unserem Tempel nicht unterzubringen. Ein Element der Mammisis könnte jedoch am Tempel vorhanden gewesen sein: In Geburtshäusern finden sich häufig Darstellungen des Gottes Bes215, besonders an den Kapitellen216. 207 Fischer 2003, 161. Wace 1945, 107. 209 Wace 1945, 107. 210 Sabottka 2008, 182. 211 Sabottka 2008, 185. 212 Sabottka 2008, 185. 213 Vgl. Borchardt 1938; Daumas 1958. 214 Borchardt 1938, 3. 215 Sandri 2006, 159. 208 32 Die Anbringung von Abbildern dieses Gottes an den Tempeln ist wohl apotropäisch zu verstehen. Entsprechend sind auch Bes-Darstellungen im Bereich des Harpokrates-Tempels vorstellbar. Als Vergleiche in der griechischen Welt bieten sich Gebäude in den Sarapeia B und C auf Delos an. Im Sarapeion B befindet sich mit dem Sarapis-Tempel ein mit 7,00 x 4,50 m fast gleich großer Bau. Er ist wie der Sarapis-Tempel und der Harpokrates-Tempel in Alexandria nach Süden ausgerichtet217. Der Tempel war über drei große Stufen zugänglich und bestand aus einer Cella, in der sich eine Bank, vermutlich für das Kultbild, befand und einem kleineren Pronaos218. Die Aufteilung von Cella und Pronaos stimmen nicht mit der unseres Tempels überein, jedoch ist zu erwägen, dass der Harpokrates-Tempel auch über eine Treppe verfügte. Der Tempel wurde wohl 202 v. Chr., also recht bald nach dem Harpokrates-Tempel, erbaut. Da sich die im Gebiet des Sarapeion B gefunden Weihungen fast ausschließlich an Sarapis, Isis und Anubis richten219, finden wir hier keinen direkten Bezug zu Harpokrates. Anders sieht es in Sarapeion C aus. Wir finden zwar auch hier viele Weihungen an Sarapis, Isis und Anubis, jedoch tritt Harpokrates hier häufig als vierter Gott hinzu. Harpokrates wird auch alleine und in Konstellationen mit anderen Göttern erwähnt, einmal tritt er als Horus auf und einmal als Horus-Apollon220. Der IsisTempel des Sarapeion C ist zwar mit 5 x 12 m größer als unser Tempel, wenn man sich jedoch nur die Cella betrachtet, fällt auf, dass die Proportionen denen des Harpokrates-Tempels ähneln. Die Bank an der Rückwand der Cella des IsisTempels, auf der das Kultbild gefunden wurde, hat in etwa die Größe der sog. Cella des Harpokrates-Tempels (Abb. 6.2, Gebäude I)221. An dieser Stelle muss der Gedanke erlaubt sein, auch in der mittleren Fundamentreihe des HarpokratesTempels nicht die Fundamentierung für eine Zwischenmauer, sondern für eine, das Kultbild tragende, Bank zu sehen. In diesem Fall würde dem Harpokrates-Tempel 216 Borchardt 1938, 5. Kleibl 2009, 218. 218 Abbildungen der Befunde des Tempels bietet Kleibl 2009, 220. 219 Kleibl 2009, 219. 220 Kleibl 2009, 223-225. 221 Vgl. Kleibl 2009, 222. 217 33 allerdings jede Form von Vorraum fehlen, der beim Isis-Tempel mit zwei Säulen in Anten gegeben ist. Das Fehlen eines Vorraumes wäre jedoch nichts ungewöhnliches, wenn man annimmt, dass sich der Tempel an einem ägyptischen Naiskos orientiert. Diese hatten für gewöhnlich nur einen langrechteckigen Raum, in dem sich das Kultbild befand. In der Cella des Isis-Tempels befand sich ein Mosaikboden222. Auch dieses Detail könnte uns eine Idee vom Aussehen des Harpokrates-Tempels geben. Ein weiterer vergleichbarer Bau im Sarapeion C ist die sog. Kapelle, die direkt nördlich an dem Isis-Tempel anliegt, mit dem sie durch einen Durchgang verbunden ist. Mit einer Größe von 4,12 x 7,40 m entspricht dieser Bau wieder sehr gut den Maßen des Harpokrates-Tempels223. Es handelt sich hierbei auch um einen Tempel mit zwei Säulen in Anten (Abb. 6.2, Gebäude H). Ein vergleichbarer Durchgang zwischen Sarapis-Tempel und Harpokrates-Tempel ist zwar theoretisch auch denkbar, da diese zwei Bauten sich allerdings keine Mauer teilten, müsste der Durchgang deutlich anders gestaltet gewesen sein. Aufgrund der Ähnlichkeiten, und obwohl es keine Belege gibt, soll hier die Vermutung geäußert werden, dass es sich bei der Kapelle auch um einen Harpokrates-Tempel gehandelt haben könnte. Für den Harpokrates-Tempel sind also fünf verschiedene Grundriss- Rekonstruktionen denkbar, ein tetrastyler Prostylos, mit zusätzlichen Säulen oder Anten hinter den Ecksäulen, ein Antentempel mit zwei Säulen zwischen den Anten, ein geschlossener Pronaos vor der kleineren Cella oder ein naiskosartiger Einraumbau mit einer Kultbildbank (Abb. 6.3). Das Aussehen wird überwiegend griechisch gewesen sein, jedoch sind ägyptische Elemente in der Dekoration gut denkbar. 222 223 Kleibl 2009, 222. Kleibl 2009, 222. 34 7. Zusammenfassendes Fazit Von dem Harpokrates-Tempel im Sarapeion von Alexandria sind nur geringe Überreste im Befund erhalten, die lange als Teil des Sarapis-Tempels gedeutet wurden. Durch den Fund der Gründungsplaketten 1945 konnte er als eigenständiger Bau im Heiligtum erkannt werden. Die griechische Inschrift der Plaketten weist den Bau als von Ptolemaios IV. Philopator auf Befehl von Isis und Sarapis errichteten Tempel aus. Die ägyptische Inschrift gibt fast den gleichen Inhalt wieder, allerdings verwendet der Schreiber eine sehr eigene Form der Hieroglyphenschreibung, wobei es scheint, dass er der ägyptischen Sprache, oder zumindest der Schrift, nicht sehr kundig war. Auf den Inschriften wird Arsinoë III., die Schwestergemahlin Ptolemaios‘, nicht genannt. Das hat vielfach Anlass gegeben über eine Datierung des Tempels in die Zeit vor der Hochzeit der beiden zu spekulieren. Es konnte aber gezeigt werden, dass die fehlende Nennung der Königin auch gut anders erklärt werden kann und daher nicht zur genaueren Datierung des Tempels taugt. Dennoch ist die Erbauungszeit des Tempels wohl in der früheren Regierungszeit Ptolemaios‘ zu suchen, etwa als Dankesgabe an den Gott nach der Schlacht bei Raphia. Auch der Aspekt der Legitimation seiner Herrschaft, die wohl einer der Gründe für die Errichtung des Tempels war, spricht für eine Datierung in die frühen Regierungsjahre des Königs. Das Legitimationsbedürfnis des Philopators wird deutlich, wenn man bedenkt, dass er gegen den Willen seiner Mutter, die zu Beginn seiner Herrschaft ermordet wurde, an die Macht kam. In der ägyptischen Vorstellung war der König die Inkarnation des Gottes Horus auf Erden und auch dieser legitimierte sich durch seinen Vater. Dass dies nicht der einzige Grund ist, der eine besondere Nähe von Ptolemaios IV. zu Harpokrates zeigt, wurde dargelegt. Daher sind wohl als Hauptgründe für die Errichtung des Tempels die Legitimation seiner Herrschaft und persönliche Interessen des Königs zu sehen. Der Harpokrates-Tempel wird in seiner Funktion häufig in die Nähe der ägyptischen Geburtshäuser gerückt. Diese funktionelle Ähnlichkeit ist gut möglich, 35 doch im Aussehen weicht der Tempel massiv von den Geburtshäusern ab. Als Vergleiche, die eine Idee über das Aussehen des Tempels erlauben, bieten sich eher Gebäude in den Sarapeia auf Delos an. Ausgehend von den Befunden des Tempels und den Architekturfunden im restlichen Sarapeion ist wohl für den HarpokratesTempel, wie für den Rest der Bauten des Heiligtums, ein griechisch-hellenistisches Äußeres anzunehmen. Die Lage im wichtigsten Heiligtum der Hauptstadt des Ptolemäerreiches spricht dafür, dass der Harpokrates-Tempel trotz seiner geringen Größe eine größere Bedeutung hatte. Daran, dass seine Bedeutung über die Herrschaftzeit der Ptolemäer hinausreichte, darf allerdings deutlich gezweifelt werden, da er in römischer Zeit überbaut wurde. 36