Der Harpokrates-Tempel im Sarapeion von

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1. Einleitung
In der vorliegenden Bachelorarbeit soll der Harpokrates-Tempel im Sarapeion1 von
Alexandria behandelt werden. Dieser älteste bekannte Tempel des in hellenistischer
Zeit und der römischen Kaiserzeit im ganzen Mittelmeerraum verbreiteten Gottes
wurde bisher in der Forschung nicht ausführlich behandelt. Seine Erwähnungen
beschränken sich auf Absätze in Beiträgen zu Ptolemaios IV.2 und zum Sarapeion.
Dieses hat als Heiligtum einige Beachtung erfahren, da es sich um das Heiligtum
des Stadtgottes einer der wichtigsten Städte der Antike handelt. In dieser Arbeit
soll nun erstmals versucht werden die bekannten Reste des Harpokrates-Tempels,
gemeinsam mit den Gründungsplaketten des Tempels, umfassend zu beschreiben.
Es sollen neue Anhaltspunkte zur Datierung des Tempels gefunden werden und
nach dem Erbauungsgrund und damit nach der Funktion des Tempels gesucht
werden.
Um das zu erreichen werden zuerst die Rahmenbedingungen des Tempels
betrachtet, zum einen die räumlichen mit einer Betrachtung des Sarapeions als
Ganzem und zum anderen kultisch mit einer Zusammenfassung zu dem Gott
Harpokrates. Danach werden Befunde und Funde des Tempels ausführlich
beschrieben um anschließend besonders in der Person Ptolemaios‘ IV. Philopator
nach Hinweisen zur Datierung und dem Erbauungsgrund des Tempels zu suchen.
Zum Ende wird anhand von Vergleichen die Möglichkeit gegeben eine Vorstellung
vom ehemaligen Aussehen des Tempels zu gewinnen. Diese Vergleiche werden sich
besonders auf die ägyptischen Geburtshäuser und auf Heiligtümer für ägyptische
Gottheiten auf der griechischen Insel Delos beziehen.
Das Ziel ist eine erste zusammenfassende Analyse aller Aspekte dieses Tempels
vorzulegen.
1
Auch wenn in der Literatur die lateinische Form “Serapeum” überwiegt, soll in dieser Arbeit der
griechische Name verwendet werden, da überwiegend das Heiligtum in seiner ptolemäischen
Phase behandelt wird.
2
Tritt im Folgenden in dieser Arbeit der Name Ptolemaios ohne Ordnungszahl oder Beinamen
auf, so ist stets Ptolemaios IV. Philopator gemeint.
1
2. Allgemeine Vorbetrachtungen
In diesem Abschnitt sollen zunächst die Forschungs- und Deutungsgeschichte des
Harpokrates-Tempels, sowie der Gott Harpokrates und das Sarapeion von
Alexandria als Ganzes vorgestellt werden, bevor in den weiteren Abschnitten der
Harpokrates-Tempel selbst behandelt wird.
2.1. Forschungs- und Deutungsgeschichte
Die erste wissenschaftliche Erwähnung des Sarapeions fällt in die Zeit der ÄgyptenExpedition Napoleons. Im Zuge der Untersuchungen Alexandrias wurden dort
Untersuchungen der auf dem Gelände des Sarapeions befindlichen sog. PompeiusSäule vorgenommen. Die Deutung des Hügels, auf dem sich die Säule befindet, als
Standort des Sarapeions wird damals zwar erwähnt, jedoch herrscht die Meinung
vor, dass das Sarapeion auf einem anderen Hügel der Stadt zu suchen sei3. Daher
wurden auf dem Gelände des Sarapeions keine weiteren Untersuchungen
durchgeführt. Im Jahre 1857 wurden auf Veranlassung des griechisch-orthodoxen
Patriarchen von Alexandria erste Grabungen auf dem Gelände durchgeführt, die
der Suche nach der Johannes-Kirche dienen sollten, die nach der Zerstörung des
heidnischen Tempels errichtet worden war4. Da sich zu diesen Forschungen keine
Aufzeichnungen erhalten haben, ist nicht festzustellen, ob bereits zu diesem
Zeitpunkt die Fundamente des Harpokrates-Tempels freigelegt wurden. Auch die
in
den
Jahren
1865/66
von
Mahmoud-Bey
el-Falaki
durchgeführten
Untersuchungen zum antiken Straßennetz Alexandrias, im Rahmen derer er auch
Untersuchungen auf dem Gelände des Sarapeions anstellte, bieten keine für die
Betrachtung des Harpokrates-Tempels verwendbaren Erkenntnisse5.
Von 1894 bis 1898 wurden unter dem damaligen Direktor des GriechischRömischen Museums von Alexandria, Giuseppe Botti, erste umfangreiche
3
Vgl. Sabottka 2008, 3-6.
Sabottka 2008, 8.
5
Sabottka 2008, 8 f.
4
2
Ausgrabungen durchgeführt6. Während dieser Grabungen wurde neben anderen
Bereichen auch der gesamte Nordbereich ergraben, sodass spätestens zu diesem
Zeitpunkt die Fundamentreste des Harpokrates-Tempels gefunden wurden7. Botti
vermutete in dem Sarapis-Tempel des Heiligtums einen Isis-Tempel und sah in den
Fundamenten des Harpokrates-Tempels den Ostaufgang dieses Tempels8. 1900/01
und 1902 wurden, im Rahmen der deutschen Sieglin-Expedition, unter der Leitung
von August und Hermann Thiersch, weitere Untersuchungen auf dem Gelände des
Sarapeions durchgeführt. Es wurden zahlreiche Fotos aufgenommen und Pläne
erstellt, die allerdings nicht, wie geplant, publiziert wurden und so erst durch
Michael Sabottka in seiner Dissertation an der Technischen Universität Berlin 1989
zusammengetragen, aufgearbeitet und erstmals veröffentlicht wurden9.
A. Thiersch schloss sich der Vermutung Bottis an, dass es sich bei den
Fundamenten des Harpokrates-Tempels um den Aufgang zu einem geosteten
Tempel handeln könnte und ergänzte die Ansicht, dass dieser Bau, nach einer
Neuausrichtung nach Süden, im Osten einen „Anbau, analog der Karyatidenhalle
des Erechtheions“10 erhalten hätte11. Zwischen 1903 und 1920 wurden durch
Evaristo Breccia unregelmäßige Untersuchungen auf dem Gelände des Sarapeions
durchgeführt, bei denen zwar viele Funde gemacht wurden, es allerdings nicht zu
neuen Erkenntnissen zu den Gebäuden des Heiligtums kam12.
Von 1942 bis 1945 führte Alan Rowe die bis heute umfangreichsten Grabungen im
Bereich des Sarapeions durch13. Der größte Verdienst dieser Grabungen ist die
Auffindung der Gründungsplaketten der Hallen des Heiligtums, des SarapisTempels und des Harpokrates-Tempels. Durch den Fund der Gründungsplaketten
des Harpokrates-Tempels am 28. Oktober 194514 war erstmals die korrekte
Bezeichnung des zu den Fundamenten gehörigen Baukörpers möglich. Des
6
Sabottka 2008, 9.
Botti 1897.
8
Botti 1897, 110.
9
Sabottka 2008, 12-21.
10
A. Thiersch, Wochenbericht vom 22.12.1900, vgl. Sabottka 2008, 181, Anm. 511.
11
Sabottka 2008, 181.
12
Sabottka 2008, 21.
13
Sabottka 2008, 22; Rowe 1946.
14
Rowe 1946, 54.
7
3
Weiteren wurden Pläne des Heiligtums angefertigt, auch solche, die sich gezielt auf
den Harpokrates-Tempel beziehen. Nach den Arbeiten Rowes fanden keine
weiteren Grabungen im Bereich des Sarapeions mehr statt. In den 80er Jahren des
20. Jahrhunderts führte Michael Sabottka, unter Zuhilfenahme der Aufzeichnungen
der Sieglin-Expedition, eine Bauaufnahme des Sarapeions durch, die er als
Dissertation veröffentlichte, seine Arbeit wurde 2008 als Band 15 der Études
alexandrines neu herausgegeben.
Die aktuellsten Arbeiten, die den Harpokrates-Tempel ausführlicher behandeln,
sind ein Aufsatz von Judith S. McKenzie, die 2004 eine Veröffentlichung zur
Rekonstruktion des Sarapeions vorlegte15, und die Monographie von Sandra Sandri
aus dem Jahr 2006, die sich mit dem ägyptischen Kindgott Har-pa-chered
beschäftigt und in diesem Rahmen ausführlich auf den alexandrinischen
Harpokrates eingeht16.
2.2. Der Gott Harpokrates
Die ältesten Belege für den ägyptischen Ḥr-p3-ẖrd, d. h. Horus das Kind, finden
sich in einem Papyrus der frühen Dritten Zwischenzeit17. Auch Zeugnisse privater
Frömmigkeit, diesen Gott betreffend, sind ab der Dritten Zwischenzeit belegt18. Ab
der 25./26. Dynastie19 findet eine größere Verbreitung des Kultes statt20.
In der griechisch-römischen21 Zeit erlebte der Harpokrates-Kult einen neuen
Verbreitungsschub. So gibt es Nachweise seiner Verehrung von Orten, an denen
der Gott in der Spätzeit noch nicht nachgewiesen ist22. Das Auftreten von gräko-
15
McKenzie u. a. 2004.
Sandri 2006.
17
Sandri 2006, 25; der Terminus Dritte Zwischenzeit bezeichnet den Zeitraum zwischen dem
Neuen Reich und der Spätzeit und umfasst die 21. bis 25. Dynastie, also ca. die Jahre 1070–664 v.
Chr. (nach von Beckerath).
18
Sandri 2006, 95.
19
Dies entspricht einem Zeitraum von 712-525 v. Chr. (nach Hornung).
20
Sandri 2006, 25 f.
21
Der Terminus griechisch-römische Zeit bezeichnet in Ägypten die Zeit von der Eroberung des
Landes durch Alexander 332 v. Chr. bis zur Teilung des römischen Reiches 395 n. Chr. bzw. bis
zur Eroberung Ägyptens durch die Araber 642 n. Chr.
22
Sandri 2006, 62.
16
4
ägyptischen Terrakotten der Gottheit ab der ptolemäischen Zeit23 zeigt eine große
Bedeutung auch im Hauskult24. Während die private Verehrung des Harpokrates
wohl eher den Wunsch nach dem Wohlbehaltensein der eigenen Kinder
widerspiegelt25, scheint bei der Verehrung durch das Königshaus besonders die
Rolle des Horus als König im Vordergrund zu stehen26.
Der griechische Name Ἁρποκράτεσ oder Ἁρποχράτεσ ist eine Lautübertragung ins
Griechische des ägyptischen Namens des Gottes Ḥr-p3-ẖrd27. Der früheste Beleg für
die griechische Schreibung ist eine Weihinschrift im Isis-Heiligtum von Philae, die
von Ptolemaios III. Euergetes und seiner Familie für Isis und Harpokrates gestiftet
wurde28. Diese und die in dieser Arbeit behandelte Inschrift, die den ältesten und
einzig sicheren Beleg in Alexandria darstellt29, sind die beiden einzigen aus
ptolemäischer Zeit in Ägypten, weitere sind aus römischer Zeit belegt30.
Harpokrates wurde nicht in die von Herodot begründete interpretatio graeca
einbezogen, möglicherweise weil er keine Entsprechung im griechischen Pantheon
fand31, vielleicht auch weil er erst recht spät mit dem griechischen Kulturraum in
Kontakt kam. Horus wurde bei Herodot mit Apollon gleichgesetzt32, diese
Gleichsetzung
wurde
für
Harpokrates
nicht,
zumindest
nicht
explizit,
übernommen. Wichtig wird im Weiteren jedoch die Nähe von Harpokrates zu
Osiris sein, der, laut Herodot, dem griechischen Dionysos entspricht33. Kleibl gibt
an, Herodot setze auch Harpokrates, bzw. Horus, mit Dionysos gleich34. Bei
Herodot tritt diese Gleichsetzung jedoch nicht auf, erst später kommt es aufgrund
der äußeren Ähnlichkeiten von Dionysos als Kind und Harpokrates zur
Annäherung der Götter.
23
Die ptolemäische Zeit in Ägypten umfasst die Jahre 305-30 v. Chr. (nach Hornung).
Sandri 2006, 95.
25
Vgl. Sandri 2005, 344.
26
Vgl. Sandri 2005, 342.
27
Sandri 2006, 1; Sandri 2005, 343.
28
Sandri 2006, 23.
29
Sandri 2006, 68f.
30
Bernand 2001, 61.
31
Sandri 2006, 23.
32
Herodot II 144; 156.
33
Herodot II 42; 144; 156.
34
Kleibl 2009, 24.
24
5
Ḥr-p3-ẖrd war der Sohn von Isis und Osiris, in der hellenistischen Welt übernimmt
Sarapis die Rolle des Vaters des Harpokrates35. Die meisten Schreine, die in
Alexandria oder in der restlichen hellenistischen Welt Sarapis und Isis geweiht
wurden, beinhalten allerdings nur diese beiden Götter36. In keinem Fall ist eine
gemeinsame Weihung für Sarapis, Isis und Harpokrates in Alexandria in
ptolemäischer Zeit belegt37. Besondere Beachtung kommt Harpokrates hingegen in
Terrakotten, auf dem Schoß der Isis, zu38. Terrakotten, die Harpokrates, bzw. einen
ägyptischen
Kindgott39,
alleine
zeigen,
häufen
sich
dagegen
erst
ab
spätptolemäischer Zeit40. Das Auftauchen Harpokrates‘ im Sarapeion von
Alexandria unter Ptolemaios Philopator könnte auf eine Aufnahme des Gottes in
eine Trias mit Sarapis und Isis hindeuten, könnte aber auch nur dem persönlichen
Interesse des Königs entspringen41.
2.3. Das Sarapeion von Alexandria
Das Sarapeion von Alexandria war das Hauptheiligtum der Stadt und eines der
berühmtesten Heiligtümer der Antike42. Trotzdem haben wir besonders aus
ptolemäischer Zeit kaum schriftliche Quellen und auch von Architektur und
Ausstattung haben nur kärgliche Reste die Zeiten überdauert.
Der heutige schlechte Zustand des Sarapeions ist in den Umständen seiner
Zerstörung zu finden. Die Zerstörung geschah im Jahre 391 n. Chr. auf Befehl des
Bischofs Theophilus von Alexandria. In der Folge der Zerstörung wurde der
säulenumstandene Hof möglicherweise als Atrium einer Kirche genutzt, teilweise
wird auch von der Gründung zweier Klöster auf dem Gelände des Sarapeions
berichtet43. Seit der arabischen Eroberung hat ein massiver Steinraub im Gebiet des
35
Kleibl 2009, 23 f.
Außerhalb Ägyptens bilden Isis und Sarapis zudem häufig eine Trias mit dem Gott Anubis.
37
Fraser 1972, 261.
38
Fraser 1972, 261.
39
Zur Problematik der Benennung ägyptischer Kindgötter s. Budde u. a. 2003, 11 f.
40
Fraser 1972, 261.
41
Fraser 1972, 261; s. Abschnitt 5. Erbauungsgrund und Funktion des Tempels.
42
McKenzie u. a. 2004, 74.
43
Vgl. McKenzie u.a. 2004, 108.
36
6
vormaligen Heiligtums eingesetzt, daher sind heute nur die Diokletianssäule sowie
einige Fundamentreste, Fundamentgräben und Katakomben erhalten.
Das Sarapeion lag im antiken Stadtteil Rhakotis, der überwiegend von Ägyptern
bewohnt war, auf einer der höchsten Erhebungen der Stadt. Es lag unmittelbar
innerhalb der Stadtmauer, nördlich angrenzend an das Lageion (Abb. 2.1), einem
Stadion, in dem Spiele zu Ehren der Dynastie der Ptolemäer veranstaltet wurden.
Dieser Zusammenhang lässt vermuten, dass auch das Sarapeion seinen Platz im
Herrscherkult der Ptolemäer hatte.
Die ältesten Baureste des Heiligtums stimmen in ihrer Ausrichtung nicht mit der
des Straßennetzes der Stadt überein, dies spricht dafür, dass das Heiligtum
entweder bereits in der Gründungsphase der Stadt angelegt wurde, oder dass es
bereits auf ein voralexandrinisches Heiligtum zurückgeht. Die ptolemäische
Hauptphase hingegen ist genau an der neben dem Gelände liegenden Straße
ausgerichtet (Abb. 2.2).
Die Befunde des Sarapeions lassen sich in drei Phasen unterscheiden. Einen
wichtigen Anhaltspunkt zur Datierung der Phasen bieten die von Rowe gefunden
Gründungsplaketten44 aus der Regierungszeit Ptolemaios‘ III. Euergetes und
Ptolemaios‘ IV. Philopator. Diese Plaketten geben uns jedoch den Beginn der
zweiten Phase des Heiligtums an, da, wie bereits erwähnt, zuvor eine Phase mit
abweichender Ausrichtung existierte. Diese erste Phase zeigt sich im Norden des
Areals in Mauerzügen aus Lehm und Bruchstein45. In die erste Phase des
Sarapeions gehört ebenfalls ein Altar, der eine Weihinschrift für Ptolemaios II. und
Arsinoë II. trägt46.
Von Strabon wissen wir, dass die Tempel in diesem Teil der Stadt zu seiner Zeit,
das heißt zwischen 24 und 20 v. Chr., verlassen waren47. Daher ist anzunehmen,
dass das Heiligtum in der Zwischenzeit an Bedeutung verloren hatte48. Umbauten
44
s. Punkt 3.2. Gründungsplaketten.
Kleibl 2009, 316.
46
Kleibl 2009, 321.
47
Strabon XVII 1,10.
48
Dies entspräche der Bedeutung des Gottes, die nach dem Ende der ptolemäischen Dynastie an
Bedeutung verlor und erst im Laufe des 1. und 2. Jahrhunderts n. Chr. gemeinsam mit anderen
östlichen Mysteriengottheiten, wie Mithras oder Isis, einen erneuten Bedeutungsgewinn
verzeichnete.
45
7
und Umdekorationen gab es anscheinend im 1. Jh. n. Chr., dies ist anzunehmen
aufgrund von Resten einer Stuckbemalung, die ins 1. Jh. n. Chr. datiert wird49. Im
Wesentlichen blieben die Gebäude der ptolemäischen Phase wohl bis ins Jahr 181
n. Chr. erhalten. In diesem Jahr soll ein Brand große Teile des Heiligtums zerstört
haben50. Die Entstehung der Gebäude der römischen Phase wird demnach in die
Zeit nach 181 n. Chr. datiert51. Einen weiteren Hinweis zur Datierung dieser letzten
Phase haben wir durch die Gründungsdepots einer Piscina im Hof des Sarapeions,
die Münzen enthielten, deren jüngste 211 n. Chr. geprägt wurden. Somit haben wir
für die Errichtung der Piscina einen terminus post quem. Einen letzten fixen
Datierungspunkt bietet die Errichtung der Diokletianssäule, der sog. PompeiusSäule, die gemäß der auf der Inschrift genannten Personen in das Jahr 297/98 n.
Chr. fällt. Die Nutzung des Heiligtums endet mit seiner Zerstörung im Jahr 391 n.
Chr.
Das ptolemäische Sarapeion umfasste eine Fläche von ca. 76 x 160 m. Der 55 x
142 m große Hofe war von Säulenhallen52 umgeben. Der Sarapis-Tempel dieser
Phase, der, wie die Hallen, Dank des Fundes von Gründungsplaketten, in die Zeit
Ptolemaios III. Euergetes datiert werden kann53, liegt im nördlichen Teil des Hofes,
von der Mittelachse nach Osten verschoben. Der Tempel war maximal 22 m lang
und 12 m breit. Es könnte sich um einen tetrastylen Prostylos oder Antentempel
gehandelt haben54.
Der Tempel scheint grob auf den Südbau ausgerichtet. Dessen zeitliche
Einordnung ist ebenso wie die des Westbaus nicht gesichert. Die beiden Gebäude
könnten schon vor dem euergetischen Tempel und den Hallen errichtet worden
sein55. Die Deutungen zur Funktion des Südbaus variieren von einem
ptolemäischen
Grabbau,
einem
Monumentalaltar,
einer
Stätte
für
den
Herrscherkult oder einem Osiristempel56 bis hin zu dem ursprünglichen Standplatz
49
Kleibl 2009, 322.
McKenzie u. a. 2004, 86.
51
Kleibl 2009, 322.
52
Zur Lage dieser und der im Folgenden genannten Gebäude, s. Abb. 2.2.
53
Rowe 1946, 8 f.
54
Sabottka 2008, 166-174.
55
Kleibl 2009, 321.
56
Kleibl 2009, 317.
50
8
der Kultstatue des Sarapis, d. h. einem voreuergetischen Sarapis-Tempel, den
McKenzie annimmt57. Der Südbau ist durch einen unterirdischen Gang mit dem
Westbau verbunden. Auch hier wurden verschiedenste Deutungen, wie die als
Anubis- oder Isistempel, vorgeschlagen58.
Westlich des Sarapis-Tempels befand sich ein weiteres Gebäude. Dieser
Nordwestbau59 besteht aus einem länglichen Vorraum im Osten und vier kleineren
Räumen im Westen. Hierbei könnte es sich etwa um Räumlichkeiten für das
Symposion bei kultischen Festen60 oder um Kultkapellen für Nebengötter61
gehandelt
haben.
Eine
genaue
Bestimmung
der
Funktion
kann
trotz
verschiedenster Spekulationen nicht getroffen werden.
Östlich des Sarapis-Tempels wurde unter Ptolemaios IV. Philopator der in dieser
Arbeit zu behandelnde Harpokrates-Tempel hinzugefügt.
In römischer Zeit wurde der Hof nach Osten hin erweitert und der Sarapis-Tempel,
der nun axial in der Mitte des Hofes liegen sollte, an gleicher Stelle durch einen
größeren Neubau ersetzt62. Die weiteren Veränderungen der römischen Phase sind
für die Betrachtung des Harpokrates-Tempels nicht relevant.
3. Befunde und Funde des Harpokrates-Tempels
Im Folgenden werden die erhaltenen Überreste des Harpokrates-Tempels, sofern
sie eindeutig zuzuordnen sind, und die Gründungsplaketten, als die einzigen sicher
dem Harpokrates-Tempel zugehörigen Funde, ausführlich besprochen.
57
McKenzie u. a. 2004, 81.
Sabottka 2008, 226.
59
Dieser Begriff soll hier eingeführt werden, um bisher übliche Benennungen wie „Oikosbau“
(Sabottka), die eine Deutung beinhalten, zu vermeiden.
60
Kleibl 2009, 318.
61
Sabottka 2008, 188.
62
McKenzie u. a. 2004, 90 f.
58
9
3.1. Die Befunde
Bei dem Harpokrates-Tempel handelt es sich um einen schmalen Bau, der
unmittelbar östlich des Sarapis-Tempels errichtet wurde63. Aufgrund der
Gründungsplaketten ist seine Benennung als Harpokrates-Tempel gesichert64.
Seine Ausrichtung ist, wie die des Sarapis-Tempels, grob Nord-Süd.
Der Bereich des ehemaligen Harpokrates-Tempels wird heute von zwei großen
Blöcken aus opus caementitium, die Reste der Fundamentierungen für den
römischen Sarapis-Tempel sind, beherrscht. Diese Blöcke wurden wohl zwischen
die Reste der Fundamente des Harpokrates-Tempels gesetzt, die später ausgeraubt
wurden. Der nördliche Caementitium-Block ist 2,70 m breit von Ost nach West
und 1,45 m lang von Süd nach Nord. Der südliche Block ist mit 2,65 x 2,55 m
länger, und auch 0,20 m höher als der nördliche. Beide Blöcke sind stark verwittert
(Abb. 3.1, 3.2, 3.3)65.
Von dem Tempel haben sich, laut Rowe, in den Felsgrund eingetiefte
Fundamentgräben erhalten66. Rowe beschreibt, dass diese Fundamentgräben auf
einen 8,80 x 5,00 m großen, an den Sarapis-Tempel anschließenden, Schrein
schließen lassen67. Sabottka hingegen konnte keine Fundamentgräben erkennen,
sondern nur flache Abarbeitungen auf der geglätteten Felsfläche, auf denen die
Fundamentquader lagen68. Der Felsgrund im Bereich des Harpokrates-Tempels lag
laut Rowe 1,30 m unter dem des großen Tempels69, Sabottka beobachtete eine
Abweichung der Höhe von 0,93 m zur Südost-Ecke des Sarapis-Tempels.
Botti und die Mitglieder der Sieglin-Expedition fanden noch einen Quader der
Fundamentierung des Harpokrates-Tempels in situ vor70. Dieser lag bei dem Depot
Nr. 3 (s. Abb. 3.4) und hatte laut A. Thiersch eine Größe von 1,10 m Länge, 0,80 m
63
McKenzie u. a. 2004, 84.
s. Punkt 3.2. Gründungsplaketten.
65
Sabottka 2008, 268.
66
Vgl. McKenzie u. a. 2004, 84.
67
Rowe 1946, 54.
68
Sabottka 2008, 182.
69
Rowe 1946, 54.
70
Sabottka 2008, 181.
64
10
Breite und eine von Höhe 0,50 m71. Der Stein, der heute verschwunden ist, lag
wohl als Binder in der nördlichen Fundamentreihe, die im Norden an eine leichte
Felserhöhung stieß. Diese Fundamentreihe hat im südlich davon gelegenen,
nördlichen Caementitium-Block noch heute sichtbare Abdrücke hinterlassen, aus
denen zu schließen ist, dass es sich bei den diese unterste Fundamentreihe
bildenden Quadern ausschließlich um Binder handelte. Die Höhe der Abdrücke
stimmt mit 0,50 m mit der Höhe des heute verschwundenen Quaders überein. Die
Binder reichten verschieden weit nach Süden (vgl. Abb. 3.5). Der CaementitiumBlock überdeckt teilweise diese unterste Lage, höher gelegene Abdrücke sind nicht
zu erkennen72.
Der südliche Caementitium-Block schließt im Süden auf der gleichen Höhe ab wie
die südlichen Fundamente des ptolemäischen Sarapis-Tempels73, daher wird das
Fundament des Harpokrates-Tempels weiter nach Süden gereicht haben, als das
des Sarapis-Tempels. In der südlichen Fundamentreihe hatte ein Quader
überdauert, der das Depot Nr. 1 überdeckte. Dieser Quader maß 0,95 m x 0,66 m
und war 0,50 m hoch74. Er wurde bei der Grabung von Rowe entfernt und fehlt
heute75. Der Quader war teilweise von dem südlich anschließenden CaementitiumBlock überdeckt, ebenso wie ein heute noch vorhandener, in den CaementitiumBlock eingeschlossener, Kalksteinquader, der eine an ein Ω erinnernde Einritzung
trägt76 (Abb. 3.6). Bei der Einritzung handelt es sich vermutlich um ein
Werkzeichen77.
Der Argumentation von Sabottka bezüglich des Verlaufs des Nord- und des
Südfundamentes folgend, ergibt sich somit eine Länge des Gebäudes von nur etwa
7,30 m78. Die von Rowe beobachteten Abarbeitungen an den Felsstufen scheinen
demnach nicht in direktem Zusammenhang mit der Erbauung des HarpokratesTempels zu stehen. Im Süden des Sarapis-Tempels fand Rowe von Osten nach
71
Sabottka 2008, 182, Anm. 516.
Sabottka 2008, 183.
73
Sabottka 2008, 183.
74
Rowe 1946, 55.
75
Sabottka 2008, 183.
76
Vgl. Sabottka 2008, 183.
77
Sabottka 2008, 183.
78
Sabottka 2008, 183 f.
72
11
Westen aufsteigende, in den Fels gehauene, Stufen, die bei der Erbauung des
Schreins teilweise zerstört worden sein sollen79 (Abb. 3.7). Hierbei könnte es sich
etwa um eine Planänderung während der Bauzeit des Sarapis-Tempels handeln.
Die Fundamentbreite beträgt bei dem Nord- und Südfundament jeweils ca.
1,10 m80. Diese Breite nimmt Sabottka auch für das Ost- und das Westfundament
an81. Somit ergibt sich für den Tempel eine Breite von 4,70 m82. Die Angabe von
Rowe, dass der Tempel 8,80 m lang und 5,00 m breit war83, die auch in neuesten
Publikationen immer noch wiedergegeben wird84, ist somit nicht zu halten.
Die mittlere Fundamentreihe lag 1,20-1,50 m vom Nordfundament und 2,50 m vom
südlichen Fundament entfernt. Ihre Breite betrug 1,10-1,20 m. Bei der Freilegung
waren noch Reste eines Quaders erhalten, heute sind noch die Abdrücke weiterer
Quader sichtbar85.
Die Ecken des ehemaligen Fundaments lassen sich anhand der Lage der
Gründungsdepots Nr. 1-4 erkennen86. Im Norden des Harpokrates-Tempels
befinden sich zwei weitere Depotlöcher (Abb. 3.4, Nr. 5 und 7), deren Bedeutung
nicht zu klären ist, da diese wohl bereits in antiker Zeit geplündert wurden. Falls
diese Depots nicht auch zum Harpokrates-Tempel gehörten, ist ein weiterer
Schrein nördlich des Harpokrates-Tempels denkbar87.
Da ein Raum der voreuergetischen Phase des Heiligtums, nördlich des
Harpokrates-Tempels, zugeschüttet wurde, dessen Fußboden etwa auf Höhe der
Fundamente des Sarapis- und des Harpokrates-Tempels lag, ist davon auszugehen,
dass der Laufhorizont deutlich höher lag als die unterste Fundamentschicht 88.
Daher muss es noch weitere Fundamentquaderschichten über der erhaltenen
gegeben haben um das Bodenniveau zu erreichen89.
79
Rowe 1946, 54.
Sabottka 2008, 183.
81
Sabottka 2008, 183 f.
82
Sabottka 2008, 184.
83
Rowe 1946, 54.
84
So etwa McKenzie u. a. 2004, 84; Sandri 2006, 69; Kleibl 2009, 318.
85
Sabottka 2008, 184.
86
Sabottka 2008, 182.
87
Rowe 1946, 59.
88
Sabottka 2008, 158.
89
Sabottka 2008, 184.
80
12
3.2. Die Gründungsplaketten
Unter den vier Ecken des Harpokrates-Tempels lagen je zwei Gründungsdepots (s.
Abb. 3.4), die wohl ursprünglich je zehn Plaketten enthielten90. Die Vermutung von
Weinstein,
in
jedem
Depot
hätten
sich,
basierend
auf
altägyptischen
Gepflogenheiten, je neun Plaketten befunden91, ist unbegründet und zu verwerfen.
In den Depotlöchern 8, 9, 10 und 11 befanden sich keine Reste von Plaketten mehr,
diese wurden wohl bereits antik geplündert92.
In Depot 1 befanden sich Fragmente einer Plakette aus Schlamm, vermutlich
Nilschlamm, eine zerbrochene Plakette aus Bronze, zwei verschieden große
Plaketten aus grünlichem opakem Glas, je eine Plakette aus bläulich-grünem,
dunkelgrünem, hellgrünem und bläulichem opakem Glas, eine Plakette aus Silber
und eine aus Gold93. Auf den beiden letztgenannten haben sich gleichlautende,
eingestochene, griechische und hieroglyphische Inschriften erhalten94. In gleicher
Weise sind Inschriften auf der Bronzeplakette zu erwarten, die sich jedoch nicht
erhalten haben95. Auf der Plakette aus bläulichem Glas haben sich Spuren von
griechischer und hieroglyphischer Schrift, vergleichbar den Inschriften auf der
Goldplakette, aus schwarzer Tinte erhalten96. Hiervon ausgehend sind ebensolche
Tintenaufschriften
auf
allen
Glasplaketten
zu
rekonstruieren.
Auf
der
Schlammplakette haben sich keine Inschriften erhalten, diese wird sie wohl aber in
Form von Ritzungen enthalten haben.
Der Inhalt von Depot 3 ähnelte dem von Depot 1. Es enthielt Reste einer
Schlammplakette, Fragmente von fünf Plaketten aus opakem Glas, eine Plakette aus
grünlicher Fayence, eine aus Bronze mit Resten einer eingestochenen Inschrift, eine
aus Silber und eine aus Gold. Auch auf der Silber- und Goldplakette dieses Depots
haben sich Inschriften erhalten, die griechische Inschrift auf den zwei
90
Rowe 1946, 54.
Vgl. McKenzie u. a. 2004, 85, Anm. 40.
92
Rowe 1946, 54.
93
Rowe 1946, 54 f.
94
Rowe 1946, 55.
95
Rowe 1946, 54.
96
Rowe 1946, 55.
91
13
Goldplaketten unterscheidet sich nur durch eine verschiedene Aufteilung der Zeilen
(Abb. 3.8)97. Depot 2 beinhaltete Reste von Silber-, Bronze-, Glas- und
Schlammplaketten. Die Fragmente in Depot 4 waren von Plaketten aus Bronze und
opakem Glas98.
Die Breite der Plaketten variiert zwischen 9,40 cm und 14,50 cm, die Höhe liegt
zwischen 5,10 cm und 6,40 cm. Die metallenen Plaketten sind sehr dünn, die aus
opakem Glas sind zwischen 0,30 cm und 0,95 cm dick99.
El Gheriani zeigt in seinem Aufsatz über die Kulte Alexandrias die Abbildung einer
zersprungenen
und
wieder
zusammengefügten
Gründungsplakette
des
Harpokrates-Tempels100 (Abb. 3.9), die er im Text allerdings fälschlicherweise als
Gründungsplakette des Sarapeions nennt, und auch die Übersetzung einer solchen
angibt101. Es scheint sich hierbei um die von Drioton mit A² benannte
Silberplakette zu handeln, die „brisée, mais complète“ ist102.
3.2.1. Die griechische Inschrift
Die griechische Inschrift auf der Gründungsplakette aus Gold103 zeigt sich uns wie
folgt:
Β Α ΢ ΙΛΕΤ ΢ΠΣ ΟΛΕΜΑ ΙΟ΢Β Α ΢ΙΛΕΩ ΢ΠΣ ΟΛΕΜΑ ΙΟΤ
ΚΑ ΙΒ Α ΢ ΙΛΙ΢΢Η ΢ΒΕΡΕΝΙΚΗ ΢ΘΕΩ Ν Ε Τ ΕΡΓΕΣ Ω Ν
Α ΡΠΟΧ ΡΑ Σ ΕΙΚΑ ΣΑ ΠΡΟ΢Σ Α ΓΜΑ ΢Α ΡΑ ΠΙΔΟ΢
ΚΑ ΙΙ΢ ΙΔ Ο΢
In griechischer Umschrift lautet der Text: Βαςιλεὺσ Πτολεμαῖοσ βαςιλέωσ Πτολεμαίου
/ καὶ βαςιλίςςησ Βερενίκησ θεῶν Εὐεργετῶν / Ἁρποχράτει κατὰ πρόςταγμα ΢αράπιδοσ /
97
Rowe 1946, 56.
Rowe 1946, 56.
99
Rowe 1946, 55 f.
100
El Gheriani 1994, 173 Abb. 4.
101
El Gheriani 1994, 165; den gleichen Fehler begeht Empereur 1998, 97, der allerdings eine sehr
gute Farbabbildung der Goldplakette liefert, deren Inschriften im Folgenden ausführlicher
behandelt werden.
102
Drioton 1946, 97.
103
Alexandria, Griechisch-Römisches Museum, Inv.-Nr. GRM 10035, Farbabbildung bei Empereur
1998, 97 (Beischrift falsch).
98
14
καὶ Ἴςιδοσ104. Das bedeutet so viel wie: „König Ptolemaios, (Sohn) des Königs
Ptolemaios und der Königin Berenike, der Wohltäter-Götter, (für) Harpokrates,
gemäß der Anordnung (von) Sarapis und Isis.“105
Die Formulierung κατὰ πρόςταγμα könnte darauf hin deuten, dass die Weihung des
Tempels aufgrund eines Traumes des Stifters oder aufgrund eines Orakelspruchs
erfolgte106. Zudem lässt die Formulierung κατὰ πρόςταγμα ΢αράπιδοσ καὶ Ἴςιδοσ
vermuten, dass neben Sarapis auch Isis schon länger in diesem Heiligtum verehrt
wurde. Bemerkenswert ist, dass Harpokrates nicht als Sohn der beiden genannt ist.
Unklar ist, ob Sarapis zu diesem Zeitpunkt noch nicht die Vaterschaft von Osiris
übernommen hatte, oder ob die Tatsache, dass es sich bei Harpokrates um den
Sohn, nicht nur von Isis sondern auch von Sarapis, gehandelt hat, so
selbstverständlich war, dass sie keiner Erwähnung bedurfte.
Auffällig ist die Reihenfolge der Nennung von Menschen und Göttern, nämlich:
Ptolemaios IV., Ptolemaios III., Berenike II. und Harpokrates, Sarapis, Isis. Es wird
also jeweils zuerst der Sohn genannt, dann der Vater107 und die Mutter. Darin
könnte eine Gleichsetzung zu sehen sein:
Ptolemaios IV. = Harpokrates
Ptolemaios III. = Sarapis
Berenike II. = Isis
Eine solche Gleichsetzung wäre in allen drei Fällen gut denkbar, Sarapis hat von
Osiris
die
Rolle
des
verstorbenen
Königs
übernommen
und
die
Ptolemäerköniginnen hatten eine besondere Nähe zu Isis. Auf das Verhältnis von
Ptolemaios und Harpokrates wird an anderer Stelle noch eingegangen108.
Eine solche Gleichsetzung würde auch erklären, warum Arsinoë auf der
Gründungsplakette109 eines Tempels an der Kanopischen Straße, im Gegensatz zu
104
Zur Schreibung in Minuskeln vgl. Bernand 2001, 61.
Zur Übersetzung vgl. Bernand 2001, 61.
106
Bernand 2001, 61.
107
Wenn man denn annehmen möchte, dass Sarapis schon die Rolle des Vaters des Harpokrates
übernommen hatte.
108
s. Punkt 5.1. Das Verhältnis Ptolemaios‘ zu Harpokrates.
109
Die Gründungsplakette aus Goldblech wurde 1855 unter der alten Börse in Alexandria gefunden.
Abb., Reinschrift und Übersetzungen des griechischen und ägyptischen Textes bei Rowe 1946,
12 f.
105
15
den hier behandelten Plaketten, genannt ist. Diese trägt die Inschrift „Dem Sarapis
und der Isis, den Retter-Göttern, und dem König Ptolemaios und der Königin
Arsinoë, den vaterliebenden Göttern“110. Somit wäre hier eine Gleichsetzung des
Königs mit Sarapis und der Königin mit Isis gegeben111.
Besonders wichtig ist die Inschrift auf den Plaketten, da sie die erste und einzige
Erwähnung Harpokrates‘ im Alexandria der ptolemäischen Zeit darstellt.
3.2.2. Die hieroglyphische Inschrift
Die hieroglyphische Inschrift derselben Plakette stellt sich wie folgt dar:
112
Drioton ist es bereits 1946 gelungen, die Inschrift folgendermaßen zu
entschlüsseln: Nsw Ptwlmys mry St s3 nsw Ptwlmys ḥr ḥmt-nsw B3r3n3g n Ḥr-p-ẖrd
m wḏ Wsr-Ḥp ḥr St113.
Diese Umschrift ergibt die Übersetzung: „König Ptolemaios, geliebt von Isis, Sohn
des Königs Ptolemaios und der Königin Berenike, dem Harpokrates, auf Befehl des
Sarapis und der Isis.“114
Diese Inschrift weist also an zwei Stellen Abweichungen vom Griechischen auf. Der
Zusatz mry St „geliebt von Isis“ ist als Teil des Namens Ptolemaios‘ zu verstehen
und steht entsprechend auch mit in der Namenskartusche. Erstaunlicher ist das
Fehlen eines Zusatzes entsprechend dem griechischen „θεῶν Εὐεργετῶν“ hinter den
Namen der Eltern. Hierfür lässt sich auf den ersten Blick keine Erklärung finden.
Sandri liest statt Ḥr-p-ẖrd Ḥrw-(p3)-ẖrd. Diese Lesung scheint durchaus
wahrscheinlicher, da die Lesung der Wachtelküken-Hieroglyphe als Lautwert p nur
110
Vgl. Bernand 2001, 55; Rowe 1946, 12 f.
Vgl. Huß 2001, 453 f.
112
Nach Drioton 1946, 97.
113
Drioton 99-109.
114
Vgl. Drioton 1946, 99-109.
111
16
in dieser Inschrift belegt wäre. Das gleiche trifft allerdings auch für die Lesung als n
in nsw „König“ zu115. Ebenso ist der Lautwert r für die Eulen-Hieroglyphe nur in
dieser Inschrift belegt116. Die gleiche ‚Einzigartigkeit‘ finden wir bei der Lesung t
der Mund-Hieroglyphe117. Besonders bemerkenswert in dieser Inschrift ist auch die
Verwendung der Schilfblatt-Hieroglyphe für sechs verschiedene Lautwerte, nämlich
l, s, t, ḥ, w und r, wobei wiederum s und t nur hier belegt sind118. Weitere Beispiele
ließen sich auch für die meisten anderen Hieroglyphenzeichen finden. Es bleibt
also festzuhalten, dass es sich bei der Entschlüsselung des hieroglyphischen Textes
durch Drioton zwar um eine sehr verdienstvolle Arbeit handelt, die allerdings
überwiegend darauf beruht in den ‚unpassenden‘ Hieroglyphen Wörter zu finden,
die zur griechischen Inschrift passen und ohne diese griechische Version wohl
kaum möglich gewesen wäre.
Nach McKenzie handelt es sich bei der Hieroglyphenschrift um ein „sophisticated
system of alphabetical ideograms“119. Diese Ansicht erscheint umso unbegründeter,
als die bereits erwähnte Gründungsplakette von der Kanopischen Straße, die
ebenfalls in der Regierungszeit Ptolemaios‘ IV. niedergelegt wurde, eine
hieroglyphische Schreibung beinhaltet, die in keiner Weise von zeitgenössischen
ägyptischen Inschriften abweicht120. Hätte es sich um ein „sophisticated system“
gehandelt, so wäre dieses System sicher auch an anderer Stelle zur Anwendung
gekommen.
Vielmehr ist hier wohl zu vermuten, dass der Schreiber der ägyptischen Inschrift
der Hieroglyphenschrift nicht wirklich mächtig war. So sind, wie bereits gezeigt,
viele Lautbedeutungen der Zeichen, wie sie Drioton entschlüsselt hat, nur in dieser
einen Inschrift belegt. Auch die Königsnamen finden sich an keiner anderen Stelle
in derselben hieroglyphischen Schreibung121, so kann man nur dank der
griechischen Inschrift wissen, welcher Königsname überhaupt in welcher Kartusche
115
Daumas 1988, 314 f.
Daumas 1988, 313.
117
Daumas 1988, 156.
118
Daumas 1988, 418.
119
McKenzie u. a. 2004, 84.
120
Vgl. Rowe 1946, 13.
121
Drioton 1946, 99; 104; 106.
116
17
gemeint sein muss.
Mangelnde Schreiberkünste würden auch das Fehlen der
„Wohltätergötter“ und das fehlende p3 in Ḥrw-p3-ẖrd erklären.
Grimm meint, bei den griechischen bzw. ägyptischen Inschriften handle es sich um
„fast identische Texte in der Sprache der neuen wie der alten Landesherren“122.
Dieser angenommenen Gleichberechtigung der zwei Sprachen widerspricht die
durchaus gute Ausführung des Griechischen im Gegensatz zur „änigmatischen“123
ägyptischen Form. Sandri hingegen sieht in der hieroglyphischen Schreibung eine
Übersetzung des griechischen Textes124. Es ist sicher richtig, dass der Entwurf für
die Plaketten in griechischer Form erfolgte. Um der Tradition Genüge zu tun, und
da es sich um einen ursprünglich ägyptischen Gott handelte, musste zusätzlich die
ägyptische Schreibung hinzugefügt werden. Dabei scheint es wichtiger gewesen zu
sein, dass der Text ägyptisch aussieht, als dass er tatsächlich von einem
hieroglyphenkundigen Ägypter gelesen werden könnte.
Zusammenfassend ist festzustellen, dass Befunde des Tempels nur äußerst spärlich
erhalten sind und entsprechend wenig Aufschluss über die Gestaltung des Tempels
geben. Durch den Fund der Gründungsplaketten ist jedoch der Erbauer und damit
auch die Erbauungszeit eindeutig bestimmt, was weitere Interpretationen zu
Funktion und Aussehen des Tempels erlaubt.
4. Datierung des Tempels
Bevor genauer auf die Funktion des Tempels eingegangen werden kann, soll
zunächst versucht werden, die Datierung des Tempels auf einen Zeitraum
innerhalb der Regierungszeit Ptolemaios‘ einzugrenzen.
Da auf den Gründungsplaketten die Königin Arsinoë entgegen dem Üblichen nicht
genannt wird, wird für die Datierung der Grundsteinlegung des Tempels meist
versucht den Zeitraum zu bestimmen, in dem Ptolemaios schon König, jedoch noch
122
Grimm 1998, 83.
Sandri 2006, 68.
124
Sandri 2006, 68.
123
18
nicht verheiratet war. Daher soll im Folgenden untersucht werden, in welchem
Zeitraum der König nicht mit Arsinoë verheiratet war, ob sich noch andere
Erklärungen für die fehlende Nennung der Königin finden lassen und welche
anderen Anhaltspunkte sich für eine genauere Datierung des Tempels finden
lassen.
4.1. Ptolemaios IV. Philopator
Ptolemaios IV. Philopator wurde wohl 244 v. Chr.125 als Sohn von Ptolemaios III.
Euergetes und dessen Frau Berenike II. geboren. Nach dem Tod seines Vaters
übernahm er spätestens am 31. Dezember 222 v. Chr.126 die Herrschaft über
Ägypten und die übrigen ptolemäischen Besitzungen im ostmediterranen Raum.
Von 219 bis 217 v. Chr. führte er den 4. Syrischen Krieg gegen den Seleukiden
Antiochos III127, den er mit dem Sieg in der entscheidenden Schlacht bei Raphia am
22. Juni 217 v. Chr.128 für sich entschied und somit die ptolemäischen Gebiete
halten konnte. Die militärischen Mühen des 4. Syrischen Krieges zwangen
Ptolemaios zu Änderungen in seiner Politik. Erstmals unter ptolemäischer
Herrschaft wurden größere Teile der ägyptischen Bevölkerung zum Kriegsdienst
einberufen129, was in der Folgezeit zu vermehrten Zugeständnissen gegenüber der
einheimischen Bevölkerung und den Priesterschaften führte.
Eine der wichtigsten Quellen zum 4. Syrischen Krieg und der frühen
Regierungszeit Ptolemaios‘ ist das Raphia-Dekret. Es berichtet über den Sieg von
Raphia, den vorangegangenen Feldzug und die auf den Sieg folgenden
Feierlichkeiten130. Das Dekret gibt den Beschluss einer Priestersynode wieder, die
am 15. November 217 v. Chr.131, anlässlich der Rückkehr des Königs nach Ägypten
und der Feier des ägyptischen Sieges, in Memphis tagte. Das Dekret ist
125
Huß 2001, 382.
Thissen 1982, 1185; nach Volkmann war der Regierungsantritt zwischen dem 5. und 16. Februar
221, s. Volkmann 1959, 1678.
127
Hölbl 1994, 113.
128
Hoffmann 2000, 161; Hölbl 1994, 144.
129
Hölbl, 1994, 115.
130
Vgl. Thissen 1982, 1185
131
Hoffmann 2000, 161; Hölbl 1994, 116.
126
19
dreisprachig, hieroglyphisch, demotisch und griechisch, verfasst und in drei
bruchstückhaften Stelen erhalten132. Die im Raphia-Dekret veranlassten Ehrungen
Ptolemaios‘ beinhalteten unter anderem die Aufstellung von Statuen des
Königspaares in den Tempeln des Landes, den täglichen Kult für das Herrscherpaar
an diesen Orten und ein fünftägiges Fest, das zu Ehren der Theoi Philopatores, in
Erinnerung an den Sieg, in allen Tempeln veranstaltet werden sollte.
In der Regierungszeit Ptolemaios‘ IV. lässt sich ein deutlich größer werdender
ägyptischer Einfluss am ptolemäischen Hof fassen. So wurden im Raphiadekret
erstmals die ägyptischen Königstitulaturen ins Griechische übertragen133 und auch
das altägyptische Königsritual wurde übernommen134. Auch wird Ptolemaios
Philopator sehr viel häufiger als seine Vorgänger in ägyptisierter Form
dargestellt135.
Ptolemaios hatte zum einen eine hohe Affinität zur altägyptischen Religion,
andererseits scheint er auch eine besondere Nähe zu Dionysos und dessen Kult
gehabt zu haben136. So soll er auch in die Dionysischen Mysterien eingeweiht
gewesen sein137.
In der Herrschaftszeit Ptolemaios beginnen politische Unruhen, die in seinem 16.
Regierungsjahr zu einer Revolte in der Thebais führen, die zu einer Lossagung
Oberägyptens vom Ptolemäerreich führte138.
Gestorben ist Ptolemaios vermutlich im Sommer des Jahres 204 v. Chr.139, das
genaue Todesdatum liegt allerdings, wie auch die Umstände seines Todes, im
Dunkeln.
In der Person Ptolemaios‘ finden wir also nur geringe Hinweise zur Datierung des
Harpokrates-Tempels. Da er auf den Gründungsplaketten den Königstitel trägt,
kann der Tempel frühestens 222 v. Chr. errichtet worden sein. Als Terminus ante
quem haben wir den Tod Ptolemaios‘ ca. 204 v. Chr.
132
Hölbl 1994, 144; vgl. Thissen 1984, 148.
Volkmann 1959, 1684; Thissen 1966, 5.
134
Volkmann 1959, 1688.
135
Hornbostel 1973, 142.
136
Vgl. Volkmann 1959, 1698.
137
Dunand 2000, 154.
138
Hölbl, 1994, 135-137.
139
Huß 2001, 447.
133
20
4.2. Ptolemaios und Arsinoë
Wann die Hochzeit zwischen Ptolemaios und seiner Schwester Arsinoë III.
stattfand, ist eine Frage, die für die Datierung des Harpokrates-Tempels eine
gewisse Bedeutung hat, die sich allerdings nicht mit Sicherheit beantworten lässt.
So vermutet Rowe eine Vermählung kurz nach Ptolemaios‘ Rückkehr nach Ägypten
nach dem Sieg von Raphia140. Quaegebeur weist dagegen darauf hin, dass die
Hochzeit der Geschwister vor der Schlacht von Raphia stattgefunden haben muss,
da eine für einen Anemhor (ᶜn-m-ḥr) errichtete Stele diesen als Priester der Theoi
Philopatores (ḥm nṯrwj mrjw jt141) ausweist. Als Todestag dieses Priesters wird auf
der Stele der 8. Juni 217 v. Chr., also zwei Wochen vor der Schlacht bei Raphia,
genannt142. Da die Stele allerdings erst zu seiner Beisetzung 70 Tage nach seinem
Tod errichtet wurde, ist diese Argumentation einer früheren Hochzeit von
Ptolemaios und Arsinoë genauso wenig gesichert wie diejenige, die die Vermählung
auf die Zeit nach der Schlacht bei Raphia legt, der Aussage von Polybios folgend,
dass Ptolemaios bei der Schlacht von seiner Schwester begleitet wurde. Die
Tatsache, dass Polybios Arsinoë Ptolemaios‘ ἀδελφή143 nennt, schließt nicht aus,
dass die beiden schon verheiratet waren, seine Schwester blieb sie ja dennoch144.
Ebenso könnte ἀδελφή von Polybios titular gemeint sein145, als Ehrenbezeichnung
der Königin.
Die Vermählung der beiden scheint spätestens vor der Verfassung des RaphiaDekrets stattgefunden zu haben, da Arsinoë hier βαςιλίςςα/pr-ᶜ3.t genannt wird.
Βαςιλίςςα ließe sich noch im Sinne von Königstochter verstehen146, der Titel pr-ᶜ3.t
ist jedoch der Königin vorbehalten147. Auch wurde dem Königspaar, wie bereits
140
Rowe 1946, 57.
Huß 1976, 262.
142
Quaegebeur 1971, 248, Anm. 60.
143
Polybios V 83, 3; 84, 1; 87, 6.
144
Vgl. Quaegebeur 1971, 249, Anm. 60; Huß 1976, 261.
145
Huß 1976, 261.
146
Vgl. Thissen 1966, 67.
147
Quaegebeur 1971, 249, Anm, 60.
141
21
erwähnt, spätestens mit dem Raphiadekret ein gemeinsamer Kult eingerichtet, was
impliziert, dass beide vermählt waren148.
Da 210 v. Chr. der gemeinsame Sohn von Ptolemaios IV. und Arsinoë III.,
Ptolemaios V., geboren wurde149, können wir sicher sein, dass eine Ehe zu diesem
Zeitpunkt bestand, vermutlich wurde diese aber bereits sehr viel früher
geschlossen. Huß vermutet die Heirat zwischen dem Tod des Euergetes, Ende 222
v. Chr. / Anfang 221 v. Chr. und dem 17. Oktober / 15. November 220 v. Chr.150
Diese sehr frühe Datierung der Hochzeit der beiden scheint sehr plausibel, da die
Vermählung mit seiner Schwester in den Thronstreitigkeiten nach dem Tod des
Euergetes die Position Ptolemaios‘ gestärkt hätte, und nach dem Tod seiner Mutter
und seines Bruders Magas eine weitere Legitimation dargestellt hätte. Ptolemaios
hätte sich und Arsinoë damit in die Nähe der hochverehrten Theoi Philadelphoi,
Ptolemaios II. und Arsinoë II. gerückt.
Volkmann gibt an, Ptolemaios habe sich im letzten Jahr seiner Herrschaft von
Arsinoë getrennt151. Damit käme man zu einem weiteren Zeitraum, in dem die
Nichtnennung Arsinoës durch das Verhältnis des Königspaares begründet wäre.
Diese These muss allerdings heute als überholt gelten, denn auch wenn das
Verhältnis von Ptolemaios und Arsinoë in der Forschung meist als gestört
betrachtet wird, fehlt es nicht an Hinweisen, die eine andere Sprache sprechen152.
So ist zwar als einziges Doppelbildnis von Ptolemaios und Arsinoë eine Gemme
überliefert153, Ptolemaios führt also die Tradition seiner Vorgänger Münzen mit
Doppelbildnissen des Königspaares zu prägen nicht fort, allerdings haben wir sogar
aus dem Sarapeion selbst Funde, die ein gemeinsames Auftreten der beiden in der
Rundplastik belegen. Dort wurden 1905/06 die Köpfe von Akrolithstatuen
gefunden, die vermutlich einer Figurengruppe von Sarapis in der Mitte, flankiert
von Ptolemaios IV. und Arsinoë III., angehörten154. Hierbei könnte es sich um die,
148
Vgl. Thissen 1966, 67.
Hölbl 1994, 118.
150
Huß 2001, 382, Anm. 4; vgl. auch Hölbl 1994, 111.
151
Volkmann 1959, 1691.
152
Huß 2001, 464 f.
153
Kyrieleis 1975, 44.
154
Grimm 1998, 83.
149
22
im Raphia-Dekret beschlossene, Aufstellung eben jener Figurengruppe handeln, die
in jedem Tempelhof Ägyptens aufgestellt werden sollte und Statuen des Königs,
der Königin und des jeweiligen Stadtgottes beinhalten sollte. Dieser Stadtgott sollte
beim Überreichen des Siegesschwertes an den König dargestellt werden. Auch
wenn diese Statuengruppen, laut Raphia-Dekret, in ägyptischem Stil gefertigt
werden sollten155, so ist doch eine Ausnahme für das zu einem Großteil von NichtÄgyptern bewohnte Alexandria denkbar.
Hinzukommt die gemeinsame Verehrung von Ptolemaios und Arsinoë, mit Sarapis
und Isis, in dem bereits erwähnten Tempel an der Kanopischen Straße156. Auch
sonst haben wir kein Zeugnis, dass es Ptolemaios an der gebotenen Verehrung der
Königin mangeln ließ.
Wenn also die Vermählung Ptolemaios‘ mit Arsinoë bereits in seiner sehr frühen
Regierungszeit stattgefunden hat, könnte man ebenfalls zu einer sehr frühen
Datierung des Harpokrates-Tempels kommen. Dies scheint allerdings eher
unwahrscheinlich, da Ptolemaios in seiner frühesten Regierungszeit noch sehr
damit beschäftigt war, seine Herrschaft zu sichern. Nicht auszuschließen ist jedoch,
dass es sich bei dem Tempel eben gerade um ein Mittel zur Legitimation und damit
zur Herrschaftssicherung gehandelt hat, was eine so frühe Datierung zumindest in
den Bereich des Denkbaren rücken würde.
Es muss allerdings auch bedacht werden, dass es für die fehlende Nennung der
Königin auf den Plaketten auch Gründe geben kann, die keinen Rückschluss auf
das Verhältnis des Königspaares erlauben. So weist Bernand zu Recht darauf hin,
dass auch auf der Plakette des Sarapis-Tempels nur Ptolemaios III. und nicht
Berenike II. genannt ist157. So könnte es sich auch beim Harpokrates-Tempel um
eine persönliche Weihung des Königs, und eben nicht des Königspaares handeln.
Ebenso sollte eine bewusste Nichtnennung zu Zwecken der Gleichsetzung
Ptolemaios‘ mit Harpokrates in Betracht gezogen werden158.
155
Hölbl 1994, 145.
Grimm 1998, 83.
157
Bernand 2001, 61; vgl. Bernand 2001, 42.
158
Vgl. Punkt 3.2.1.
156
23
4.3. Weitere Datierungshinweise
Zur genaueren Datierung des Tempels hat Hornbostel einen Zusammenhang
zwischen der Errichtung des Tempels und der Prägung von Münzen mit den
gestaffelten Büsten Sarapis‘ und Isis‘ unter Ptolemaios Philopator vorgeschlagen159.
Diese Münzen datierte Fraser in die frühe Regierungszeit Ptolemaios‘160.
Hölbl und Wild datieren den Harpokrates-Tempel ebenfalls in die frühe
Regierungszeit Ptolemaios‘161, Hölbl beruft sich dabei auf Wild, Wild beruft sich
auf Rowe, der wiederum eine Datierung in die frühe Regierungszeit vermutet, da er
sich sonst nicht erklären kann, dass Arsinoë auf der Inschrift fehlt162. Daher hält er
etwa eine Datierung unmittelbar nach der Schlacht bei Raphia, als Dankesweihung,
für denkbar163. Dass die fehlende Nennung der Königin allerdings nicht
zwangsläufig eine Datierung vor der Hochzeit impliziert, wurde bereits gezeigt.
Dennoch ist die Idee, dass es sich um ein Geschenk an den Gott zum Dank für die
Hilfe beim Sieg von Raphia handelte, sehr ansprechend. Wenn etwa im RaphiaDekret beschrieben wird, dass Ptolemaios bei der Schlacht von Raphia die Feinde
selbst so tötete, „wie früher Horus, Sohn der Isis, seine Feinde getötet hat“ 164, zeigt
das, dass Ptolemaios, der als Horus gesiegt hat, eben diesem Gott besondere
Dankbarkeit schuldete.
Festzuhalten ist, dass es für eine genauere Datierung innerhalb der Regierungszeit
Ptolemaios keine eindeutigen Belege gibt, allerdings gibt es Hinweise, die eine
Datierung in die frühe Regierungszeit des Königs wahrscheinlich machen.
159
Hornbostel 1973, 141 f.
Vgl. Sabottka 2008, 186.
161
Wild 1981, 167; Hölbl 1994, 151.
162
Rowe 1946, 57.
163
Rowe 1946, 58.
164
Hoffmann 2000, 161.
160
24
5. Erbauungsgrund und Funktion des Tempels
Die Deutungen zur Funktion des Tempels sind vielfältig. So vermuten etwa
McKenzie und Kleibl ein Mammisi, ein Geburtshaus, das für den Dynastiekult
notwendig gewesen sei165.
Die Befunde und Funde im Sarapeion erlauben keinerlei Rückschlüsse auf Rituale
oder Kultpraxis in einem der Tempel166. Ebenso ist unklar, ob derartige
Kulthandlungen, wie in ägyptischen Tempeln üblich, im Innern des Tempels zu
erwarten sind, oder ob der Kult, nach griechischem Vorbild im Freien ausgeübt
wurde. Ein derartiger Kult, der an den Tempel des Harpokrates gebunden wäre, ist
nicht belegt, wird jedoch unter anderem von Fischer vermutet167.
Es soll hier zuerst im Verhältnis Ptolemaios‘ zu dem Gott Harpokrates nach dem
Erbauungsgrund gesucht werden. Im Weiteren wird untersucht, ob der Vergleich
mit ägyptischen Geburtshäusern eine Funktionsbestimmung erlaubt. Abschließend
wird anhand der Erkenntnisse zur Funktion des Tempels versucht einen Zeitpunkt
und einen Grund für das Ende des Tempels zu bestimmen.
5.1 Das Verhältnis Ptolemaios‘ zu Harpokrates
Hinweise auf das Verhältnis Ptolemaios‘ zu Harpokrates haben wir durch
verschiedene Quellen, die in diesem Abschnitt behandelt werden sollen.
Im Cabinet des Médailles befindet sich ein Kameo, der einen Harpokrates mit
Doppelkrone und Diadem zeigt, die ihn als ptolemäischen König kennzeichnen168.
Blum und Kyrieleis haben dieses Porträt aufgrund charakteristischer Züge
Ptolemaios IV. zugewiesen169. Im Sarapeion wurde ein Kolossalkopf von Ptolemaios
IV., der eine Doppelkrone trägt, gefunden170. Auch wenn die Doppelkrone
allgemein ein Zeichen für den König von Ober- und Unterägypten ist, so tritt sie
165
McKenzie u. a. 2004, 90; Kleibl 2009, 318.
Fraser 1972, 265.
167
Fischer 2003, 161.
168
Kyrieleis 1975, 44; Abbildung bei Babelon 1897, Taf. XV, Abb. 140.
169
Kyrieleis 1975, 44; Blum 1915, 13.
170
El Gheriani 1994, 165 f.; 174 Abb. 6
166
25
doch auch besonders bei Horus und Harpokrates-Darstellungen auf. So zeigt
besonders der Kameo eine große Nähe von Ptolemaios und dem Gott in der
künstlerischen Darstellung.
Große Teile des Horus-Tempels von Edfu wurden unter Ptolemaios IV. erbaut und
dekoriert. Hier übt der König, dem Ritual gemäß, seine göttlich-königliche
Funktion nur in Analogie zum eigentlichen Herrschergott, dem Horus von Edfu,
aus171. Auch hier rückt sich Ptolemaios in die Nähe des Gottes Horus, für dessen
Erscheinung als Kindgott er den Tempel in Alexandria errichten ließ.
Auch in den Namen des Königs finden sich Anhaltspunkte, die für eine besondere
Beziehung zu Harpokrates sprechen. Ptolemaios trug den Horus-Namen ḥwn qnj
sḫᶜj.n sw jt=f „Der tapfere Jüngling, den sein Vater (als König) hat erscheinen
lassen“172. Als Zusatz zum Eigennamen trug er ᶜnḫ ḏt mrj 3st „er lebe ewig, geliebt
von Isis“ und p3 nṯr mrj jt=f „der vaterliebende Gott“173. Er bezieht sich also als
erster Ptolemäer auf Isis, dieser Bezug auf Isis stellt mittelbar auch einen Bezug zu
deren Sohn Horus dar174. Die Bezeichnung ḥwn qnj „der tapfere Jüngling“ im
Horus-Namen tritt erstmals bei Ptolemaios II. Philadelphos auf175. Die
Formulierung ḥwn qnj ist als Beiname ägyptischer Kindgötter sehr selten, viel
häufiger tritt etwa ḥwn nfr „der schöne Jüngling“ auf176. Das Attribut qnj „tapfer“
könnte im Königsnamen als Bezug auf Herakliskos gesehen werden177. Ein solcher
Bezug liegt nahe, da es sich bei Herakles um den Stammvater der Lagiden handelte.
Andererseits ist auch im Bezug auf Horus das Attribut qnj gut vorstellbar, da er
auch bereits als Kind versuchte gegen Seth zu kämpfen. Allgemein rückt der
Beiname ḥwn qnj den König in die Nähe von Kindgöttern.
Die Formulierung sḫᶜj.n sw jt=f „den sein Vater hat erscheinen lassen“ verweist
eindeutig auf die Legitimation durch den Vater. Hier ist wohl vor allem gemeint,
dass Ptolemaios III. nach seinem Tode seinen Sohn Ptolemaios auf dem Thron, als
171
Hölbl 1994, 142.
Felber 2003, 138.
173
Felber 2003, 139.
174
Vgl. Hölbl 1994, 145.
175
Felber 2003, 129.
176
Felber 2003, 131 f.
177
Felber 2003, 132.
172
26
Herrscher über Ägypten, hat erscheinen lassen. Somit wurde beim Krönungsritual
Ptolemaios IV. zum Königsgott Horus, während der verstorbene König zum
Unterweltsgott Osiris wurde178.
Ptolemaios hatte in den Kämpfen um die Macht nach dem Tod des Euergetes seine
Legitimation als Herrscher vor allem aus seiner Abstammung von seinem Vater
bezogen, daher wohl auch der Beiname Philopator179. Ebenso bezieht in der
Mythologie Horus seine Legitimation als Herrscher über Ägypten daraus, dass er
der Sohn und Erbe des verstorbenen Osiris ist180. So wie Horus sich gegen seinen
Onkel Seth seinen Thron erkämpfen musste, kämpfte Ptolemaios Philopator zu
Beginn seiner Herrschaft gegen seinen Bruder und seine Mutter, also auch gegen
enge Angehörige.
Da in den Wirren nach dem Tod des Ptolemaios III. Euergetes wichtige Mitglieder
der Dynastie ums Leben kamen, war es für Ptolemaios IV. wohl besonders wichtig,
dass ihm seine Frau einen Thronerben schenkt. Die Tatsache, dass dieser
Thronerbe, Ptolemaios V., erst 210 v. Chr.181, also etwa zehn Jahre nach der Heirat
von Ptolemaios und Arsinoë182, das Licht der Welt erblickte, lässt vermuten, dass es
einen Zeitraum gab in dem der Kinderwunsch sehr dringlich war. Da Harpokrates
einer der Götter war, an den sich der König mit seinem Kinderwunsch wenden
konnte, ist durchaus denkbar, dass es sich bei dem Tempel um eine Weihung
handelte, die den Gott gnädig stimmen sollte, oder aber um eine Dankesgabe nach
der Geburt des Thronfolgers.
Ptolemaios hatte wohl neben staatsmännischem auch privates Interesse an der
ägyptischen Religion. Dass für ihn unter den ägyptischen Göttern Horus eine
besondere Rolle spielt, zeigt sich etwa daran, dass er, nach der Schlacht bei Raphia,
am Tag der Geburt des Horus das erste Mal wieder ägyptischen Boden betrat183.
178
Thissen 1966, 29.
Vgl. Huß 2001, 383.
180
Thissen 1966, 29.
181
Hölbl 1994, 118.
182
Hölbl 1994, 111.
183
Huß 2001, 385.
179
27
Auch fährt er, wie im Raphiadekret beschrieben, zur Zeit der Nilschwemme
flussabwärts, so wie Horus im Mythos184.
Unter den griechischen Göttern nahm Dionysos bei Ptolemaios eine besondere
Stellung ein, auf den sich die Ptolemäerdynastie als einen Stammvater berief185,
und der ebenso wie Herakles gelegentlich als Kind dargestellt wird186, diese
äußerliche Ähnlichkeit führt bisweilen gar zur Gleichsetzung der griechischen
Kindgötter Dionysos und Herakliskos mit dem ägyptischen Harpokrates187.
Die Nähe von Harpokrates zu Herakles, dem Stammvater der Dynastie der Lagiden,
lässt sich zusätzlich erklären, wenn man sich die Väter betrachtet. Sarapis wird
unter anderem mit Zeus gleichgesetzt, so dass der Sohn Sarapis‘ die Rolle des
Zeussohns Herakles übernehmen kann. Diese Verbindung von Harpokrates zum
Dynastiegott
Herakles
zeigt,
dass
von
Harpokrates
ein
zusätzliches
Legitimationspotential ausgeht.
Ptolemaios Philopator hatte also auf verschiedenen Ebenen einen Bezug zu
Harpokrates, sodass es durchaus begründet ist den Grund für die Erbauung in den
persönlichen Neigungen des Königs zu sehen.
5.2. Geburtshäuser ägyptischer Tempel
Geburtshäuser, auch Mammisis, sind Bauten in ägyptischen Tempelbezirken, die
zwar der gesamten Göttertriade eines Ortes geweiht sind, sich aber speziell an die
Mutter und das Kind dieser Triade richten188. Geburtshäuser treten ab
Nektanebos I., d. h. ab 380 v. Chr.189, und besonders in ptolemäischer Zeit in den
wichtigen Heiligtümern, wie Philae, Kom Ombo, Edfu, Armant, Karnak und
Dendera, aber auch in weniger wichtigen, unterägyptischen Heiligtümern auf190.
Diese
kleinen
Tempel
stehen
für
gewöhnlich
im
rechten
Winkel
zur
184
Thissen 1966, 2.
Hölbl 1994, 84.
186
Budde u. a. 2003, 5.
187
Kleibl 2009, 24.
188
Arnold 1992, 39.
189
Budde u. a. 2003, 4.
190
Arnold 1992, 39.
185
28
Prozessionsstraße zum Haupttempel191. Die einzige Abweichung hiervon in Philae
ist wohl den begrenzten räumlichen Möglichkeiten der Insel geschuldet192.
Die Reliefszenen der Geburtshäuser zeigen Themen wie die heilige Hochzeit,
Geburt, Stillen des göttlichen Kindes, und die Inthronisation des Kindes 193. Gerade
in der Inthronisation des Kindgottes erkennt man eine Gleichsetzung von Gott und
König. So wurde auch vermutet, dass der König selbst an den, in Mammisis
abgehaltenen, Mysterien teilnahm194. Arnold nimmt zudem an, dass das
Geburtshaus neben dem Kindgott auch dem jugendlichen König selbst geweiht
war, mit dessen Geburt bzw. Inthronisation die Wiedergeburt des Königtums
gefeiert wird195.
Auch wenn der Gedanke in dem Harpokrates-Tempel im Sarapeion ein Mammisi
zu sehen rein inhaltlich naheliegt, Harpokrates ist, zumindest in späterer Zeit und
außerhalb Ägyptens, Teil einer Triade mit seinen Eltern Sarapis und Isis 196, so sind
doch rein äußerlich erhebliche Abweichungen von den übrigen Geburtshäusern
erkennbar. Der Harpokrates-Tempel liegt parallel neben dem Haupttempel,
obwohl, etwa im Bereich zwischen Westbau und Nordwestbau, durchaus Raum für
einen im rechten Winkel zum Sarapis-Tempel errichtetes Geburtshaus vorhanden
gewesen wäre. Ebenso ist davon auszugehen, dass der Harpokrates-Tempel, im
Gegensatz zu den meisten Mammisis, keinen Umgang besaß.
5.3. Das Ende des Tempels
Für das Ende des Harpokrates-Tempels haben wir einen Terminus ante quem mit
der Errichtung des römischen Sarapis-Tempels, der wohl in den Jahrzehnten um
200 n. Chr. errichtet wurde197. Ob der Tempel jedoch erst zum Zeitpunkt dieser
römischen Bauarbeiten abgebaut wurde, soll hier untersucht werden.
191
Arnold 1994, 90.
Borchardt 1938, 5.
193
Arnold 1992, 39.
194
Arnold 1992, 39.
195
Arnold 1994, 90.
196
Vgl. Sandri 2006, 72.
197
McKenzie 2006, 90; 92.
192
29
Verbreitet wird angenommen, dass der Harpokrates-Tempel, genauso wie der
Sarapis-Tempel, bis zum römischen Neubau des Sarapis-Tempels bestand198. Dass
der Tempel zum Zeitpunkt der Errichtung des römischen Tempels nicht ersetzt
wurde, ist zum einen im Befund abzulesen, da die opus caementitium Fundamente
des römischen Tempels über den Fundamenten des Harpokrates-Tempels lagen.
Zum anderen ist es inhaltlich offenkundig, falls man der Argumentation folgt, dass
der Tempel die Funktion einen Mammisis, oder zumindest in irgendeiner Form des
Königskultes, erfüllte199. Ein Tempel, der dem Königskult dient, war in römischer
Zeit nicht mehr notwendig, zudem ist nach Trajan keine bauliche oder dekorative
Veränderung eines Geburtshauses mehr nachweisbar200.
Da die oberen Fundamentschichten des Tempels wohl aber schon bei der Anlage
der römischen Fundamente fehlten201, besteht auch die Möglichkeit, dass der
Harpokrates-Tempel schon längere Zeit vor den Römischen Umbauten nicht mehr
bestand. So ist etwa die Phase der römischen Umdekoration des Sarapeions im 1.
Jh. n. Chr. als Abrisszeitpunkt denkbar. Auch in dieser Zeit war ein Tempel, der
dem ptolemäischen Herrscherkult diente, bereits seit längerer Zeit seiner Funktion
beraubt.
Ein Abbau des Harpokrates-Tempels wäre immer gleichbedeutend mit einer
Hervorhebung des Sarapis-Tempels, dessen Gesamtkomposition sicher durch einen
sehr dicht herangerückten, sogar leicht hervorstehenden, Schrein gestört war. Aus
diesem Grund ist auch ein Ende des Tempels noch in ptolemäischer Zeit nicht
auszuschließen, besonders, wenn man davon ausgeht, dass es sich bei dem Tempel
eben nicht um ein offizielles Dynastiedenkmal handelte, sondern um eine private
Weihung des Königs.
Da die Gründungsplaketten unsere einzigen schriftlichen Quellen zu dem Tempel
sind, und keine bildlichen Quellen, etwa auf Münzen, existieren, lässt sich kein
Zeitpunkt festlegen, zu dem der Tempel noch bestanden haben muss.
198
Vgl. McKenzie u. a. 2004, 90.
Vgl. McKenzie u. a. 2004, 92.
200
McKenzie u. a. 2004, 92.
201
Sabottka 2008, 268.
199
30
Als möglichen Zeitraum für das Ende des Tempels haben wir also die Spanne
zwischen dem Ende der Regierungszeit Ptolemaios‘ IV. am Ende des 3. Jh. v. Chr.
und den Neubau des Sarapis-Tempels gegen Ende des 2. Jh. n. Chr.
Wahrscheinlich ist ein Abbau des Tempels in römischer Kaiserzeit, einige Zeit vor
dem Neubau des Sarapis-Tempels.
6. Rekonstruktion
Die Überreste des Tempels sind unzureichend für eine exakte Rekonstruktion202,
dennoch soll an dieser Stelle der Versuch unternommen werden einige Vorschläge
zu Rekonstruktionsmöglichkeiten zu erarbeiten.
In den Rekonstruktionen des Sarapeions von McKenzie und Gibson203 taucht der
Harpokrates-Tempel nicht auf, da in diesen Rekonstruktionen das Heiligtum zur
Zeit Ptolemaios‘ III bzw. in der römischen Phase gezeigt wird204.
Auch wenn über das Aussehen und die Dekoration des Tempels nichts bekannt
ist205, kann doch aus den gefundenen Architekturresten des Sarapis-Tempels und
der Hallen darauf geschlossen werden, dass sich auch der Harpokrates-Tempel als
hellenistisches Bauwerk darstellte, und wenn überhaupt, dann nur in geringem
Maße ägyptische Elemente aufwies. Aufgrund der geringen Überreste ist zwar
nicht auszuschließen, dass es sich um einen ägyptischen Naiskos handelte 206, diese
Möglichkeit scheint jedoch unwahrscheinlich, da keinerlei Überreste ägyptischer
Architektur in Gebiet des Sarapeions gefunden wurden. Auch wenn die fehlenden
Überreste mit einem frühzeitigen Abbau des Tempels zu erklären wären, ist doch
ein derartiges ägyptisches Gebäude in einem Heiligtum, das sonst griechischer
Architektur
folgt,
ein
deutlich
größerer
Widerspruch
als
die
teilweise
altägyptischen, teilweise nur ägyptisch anmutenden Weihungen, die in großer Zahl
im Heiligtum gefunden wurden.
202
McKenzie u. a. 2004, 90.
McKenzie u. a. 2004, 88 Abb. 9; 94 Abb. 12; 95 Abb. 13; 103 Abb. 16.
204
McKenzie u. a. 2004, 90.
205
Sandri 2006, 69.
206
Sabottka 2008, 186.
203
31
Für die Frage der Rekonstruktion des Inneren des Tempels ist die Beschaffenheit
des Kultbildes von entscheidender Bedeutung. Leider erlaubt der Umfang dieser
Arbeit keine genaue Betrachtung dieses Themas, daher soll die Ansicht von Fischer
hier wiedergegeben werden, der als Kultbild einen stehenden Harpokrates mit
Doppelkrone und Füllhorn annimmt, da nur diese Darstellung die Nähe zu Sarapis
und Isis auf der einen Seite und zur Dynastie der Ptolemäer auf der anderen Seite
zeige207. Die Existenz des Kultbildes könnte eine bei den Grabungen Rowes
gefundene Inschrift belegen, die laut Wace besagt, dass ein Harpokration und seine
Kinder in römischer Zeit eine Statue, die in frühptolemäischer Zeit geweiht wurde,
instand gesetzt haben208. Bei besagter Statue handle es sich wohl um das
Harpokrates-Kultbild209. Leider wurde diese Inschrift nicht ausführlich publiziert,
sodass die Aussage Wace‘ nicht zu verifizieren ist.
Sabottka vermutet über der mittleren Fundamentreihe eine Quermauer210, in der
sich die Tür zur Cella befunden hat211. Somit ergäbe sich ein größerer Pronaos vor
der Cella. Dieser könnte selbst geschlossen und durch eine Tür zu betreten oder
mit zwei Säulen in antes gestaltet gewesen sein. Ebenso ist denkbar, dass es sich
bei dem Tempel um einen tetrastylen Prostylos mit je einer weiteren Säule hinter
den Ecksäulen handelte (Abb. 6.1)212.
Auch an dieser Stelle soll noch einmal der Vergleich mit den Geburtshäusern
ägyptischer Tempel gewagt werden. Im Grundriss finden sich keine dem
Harpokrates-Tempel verwandten Mammisis, auch sind sie praktisch ausnahmslos
deutlich größer213. Auch der bei den meisten Mammisis vorhandene Umgang aus
Pflanzensäulen214 ist an unserem Tempel nicht unterzubringen. Ein Element der
Mammisis könnte jedoch am Tempel vorhanden gewesen sein: In Geburtshäusern
finden sich häufig Darstellungen des Gottes Bes215, besonders an den Kapitellen216.
207
Fischer 2003, 161.
Wace 1945, 107.
209
Wace 1945, 107.
210
Sabottka 2008, 182.
211
Sabottka 2008, 185.
212
Sabottka 2008, 185.
213
Vgl. Borchardt 1938; Daumas 1958.
214
Borchardt 1938, 3.
215
Sandri 2006, 159.
208
32
Die Anbringung von Abbildern dieses Gottes an den Tempeln ist wohl
apotropäisch zu verstehen. Entsprechend sind auch Bes-Darstellungen im Bereich
des Harpokrates-Tempels vorstellbar.
Als Vergleiche in der griechischen Welt bieten sich Gebäude in den Sarapeia B und
C auf Delos an. Im Sarapeion B befindet sich mit dem Sarapis-Tempel ein mit 7,00
x 4,50 m fast gleich großer Bau. Er ist wie der Sarapis-Tempel und der
Harpokrates-Tempel in Alexandria nach Süden ausgerichtet217. Der Tempel war
über drei große Stufen zugänglich und bestand aus einer Cella, in der sich eine
Bank, vermutlich für das Kultbild, befand und einem kleineren Pronaos218. Die
Aufteilung von Cella und Pronaos stimmen nicht mit der unseres Tempels überein,
jedoch ist zu erwägen, dass der Harpokrates-Tempel auch über eine Treppe
verfügte. Der Tempel wurde wohl 202 v. Chr., also recht bald nach dem
Harpokrates-Tempel, erbaut. Da sich die im Gebiet des Sarapeion B gefunden
Weihungen fast ausschließlich an Sarapis, Isis und Anubis richten219, finden wir
hier keinen direkten Bezug zu Harpokrates.
Anders sieht es in Sarapeion C aus. Wir finden zwar auch hier viele Weihungen an
Sarapis, Isis und Anubis, jedoch tritt Harpokrates hier häufig als vierter Gott hinzu.
Harpokrates wird auch alleine und in Konstellationen mit anderen Göttern
erwähnt, einmal tritt er als Horus auf und einmal als Horus-Apollon220. Der IsisTempel des Sarapeion C ist zwar mit 5 x 12 m größer als unser Tempel, wenn man
sich jedoch nur die Cella betrachtet, fällt auf, dass die Proportionen denen des
Harpokrates-Tempels ähneln. Die Bank an der Rückwand der Cella des IsisTempels, auf der das Kultbild gefunden wurde, hat in etwa die Größe der sog. Cella
des Harpokrates-Tempels (Abb. 6.2, Gebäude I)221. An dieser Stelle muss der
Gedanke erlaubt sein, auch in der mittleren Fundamentreihe des HarpokratesTempels nicht die Fundamentierung für eine Zwischenmauer, sondern für eine, das
Kultbild tragende, Bank zu sehen. In diesem Fall würde dem Harpokrates-Tempel
216
Borchardt 1938, 5.
Kleibl 2009, 218.
218
Abbildungen der Befunde des Tempels bietet Kleibl 2009, 220.
219
Kleibl 2009, 219.
220
Kleibl 2009, 223-225.
221
Vgl. Kleibl 2009, 222.
217
33
allerdings jede Form von Vorraum fehlen, der beim Isis-Tempel mit zwei Säulen in
Anten
gegeben
ist.
Das
Fehlen
eines
Vorraumes
wäre
jedoch
nichts
ungewöhnliches, wenn man annimmt, dass sich der Tempel an einem ägyptischen
Naiskos orientiert. Diese hatten für gewöhnlich nur einen langrechteckigen Raum,
in dem sich das Kultbild befand.
In der Cella des Isis-Tempels befand sich ein Mosaikboden222. Auch dieses Detail
könnte uns eine Idee vom Aussehen des Harpokrates-Tempels geben.
Ein weiterer vergleichbarer Bau im Sarapeion C ist die sog. Kapelle, die direkt
nördlich an dem Isis-Tempel anliegt, mit dem sie durch einen Durchgang
verbunden ist. Mit einer Größe von 4,12 x 7,40 m entspricht dieser Bau wieder sehr
gut den Maßen des Harpokrates-Tempels223. Es handelt sich hierbei auch um einen
Tempel mit zwei Säulen in Anten (Abb. 6.2, Gebäude H). Ein vergleichbarer
Durchgang zwischen Sarapis-Tempel und Harpokrates-Tempel ist zwar theoretisch
auch denkbar, da diese zwei Bauten sich allerdings keine Mauer teilten, müsste der
Durchgang deutlich anders gestaltet gewesen sein. Aufgrund der Ähnlichkeiten,
und obwohl es keine Belege gibt, soll hier die Vermutung geäußert werden, dass es
sich bei der Kapelle auch um einen Harpokrates-Tempel gehandelt haben könnte.
Für
den
Harpokrates-Tempel
sind
also
fünf
verschiedene
Grundriss-
Rekonstruktionen denkbar, ein tetrastyler Prostylos, mit zusätzlichen Säulen oder
Anten hinter den Ecksäulen, ein Antentempel mit zwei Säulen zwischen den Anten,
ein geschlossener Pronaos vor der kleineren Cella oder ein naiskosartiger
Einraumbau mit einer Kultbildbank (Abb. 6.3). Das Aussehen wird überwiegend
griechisch gewesen sein, jedoch sind ägyptische Elemente in der Dekoration gut
denkbar.
222
223
Kleibl 2009, 222.
Kleibl 2009, 222.
34
7. Zusammenfassendes Fazit
Von dem Harpokrates-Tempel im Sarapeion von Alexandria sind nur geringe
Überreste im Befund erhalten, die lange als Teil des Sarapis-Tempels gedeutet
wurden. Durch den Fund der Gründungsplaketten 1945 konnte er als
eigenständiger Bau im Heiligtum erkannt werden. Die griechische Inschrift der
Plaketten weist den Bau als von Ptolemaios IV. Philopator auf Befehl von Isis und
Sarapis errichteten Tempel aus. Die ägyptische Inschrift gibt fast den gleichen
Inhalt wieder, allerdings verwendet der Schreiber eine sehr eigene Form der
Hieroglyphenschreibung, wobei es scheint, dass er der ägyptischen Sprache, oder
zumindest der Schrift, nicht sehr kundig war.
Auf den Inschriften wird Arsinoë III., die Schwestergemahlin Ptolemaios‘, nicht
genannt. Das hat vielfach Anlass gegeben über eine Datierung des Tempels in die
Zeit vor der Hochzeit der beiden zu spekulieren. Es konnte aber gezeigt werden,
dass die fehlende Nennung der Königin auch gut anders erklärt werden kann und
daher nicht zur genaueren Datierung des Tempels taugt. Dennoch ist die
Erbauungszeit des Tempels wohl in der früheren Regierungszeit Ptolemaios‘ zu
suchen, etwa als Dankesgabe an den Gott nach der Schlacht bei Raphia. Auch der
Aspekt der Legitimation seiner Herrschaft, die wohl einer der Gründe für die
Errichtung des Tempels war, spricht für eine Datierung in die frühen
Regierungsjahre des Königs.
Das Legitimationsbedürfnis des Philopators wird deutlich, wenn man bedenkt, dass
er gegen den Willen seiner Mutter, die zu Beginn seiner Herrschaft ermordet
wurde, an die Macht kam. In der ägyptischen Vorstellung war der König die
Inkarnation des Gottes Horus auf Erden und auch dieser legitimierte sich durch
seinen Vater. Dass dies nicht der einzige Grund ist, der eine besondere Nähe von
Ptolemaios IV. zu Harpokrates zeigt, wurde dargelegt. Daher sind wohl als
Hauptgründe für die Errichtung des Tempels die Legitimation seiner Herrschaft
und persönliche Interessen des Königs zu sehen.
Der Harpokrates-Tempel wird in seiner Funktion häufig in die Nähe der
ägyptischen Geburtshäuser gerückt. Diese funktionelle Ähnlichkeit ist gut möglich,
35
doch im Aussehen weicht der Tempel massiv von den Geburtshäusern ab. Als
Vergleiche, die eine Idee über das Aussehen des Tempels erlauben, bieten sich eher
Gebäude in den Sarapeia auf Delos an. Ausgehend von den Befunden des Tempels
und den Architekturfunden im restlichen Sarapeion ist wohl für den HarpokratesTempel, wie für den Rest der Bauten des Heiligtums, ein griechisch-hellenistisches
Äußeres anzunehmen.
Die Lage im wichtigsten Heiligtum der Hauptstadt des Ptolemäerreiches spricht
dafür, dass der Harpokrates-Tempel trotz seiner geringen Größe eine größere
Bedeutung hatte. Daran, dass seine Bedeutung über die Herrschaftzeit der
Ptolemäer hinausreichte, darf allerdings deutlich gezweifelt werden, da er in
römischer Zeit überbaut wurde.
36
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