§ 12 Erwachsenenschutzrecht I. Allgemeines

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Familienrecht / P. Breitschmid
§ 12 Erwachsenenschutzrecht
§ 12 Erwachsenenschutzrecht
I.
Allgemeines
1.
Übersicht über das neue Erwachsenenschutzrecht
(1) Das Erwachsenenschutzrecht (früher Vormundschaftsrecht) ist in der Dritten Abteilung des Familienrechts geregelt (Art. 360-456 ZGB). Es wurde unter anderem mit
dem Ziel einer Revision unterzogen, das Selbstbestimmungsrecht von Personen, die
von einer erwachsenenschutzrechtlichen Massnahme betroffen sind, zu fördern. Dies
sollte damit erreicht werden, dass urteilsfähige Personen nun die Möglichkeit haben,
Verfügungen und Anordnungen im Hinblick auf eine eventuell eintretende Urteilsoder Handlungsunfähigkeit zu treffen (BBl 2006 7002). Ferner sollten die erwachsenenschutzrechtlichen Massnahmen besser auf die Bedürfnisse der betroffenen Person zugeschnitten werden können, indem an Stelle der Vormund-, Beistand- und
Beiratschaft nach altem Vormundschaftsrecht nun die Beistandschaft vorgesehen
wird, die je noch Schutzbedürfnis der betroffenen Person als Begleit-, Vertretungs-,
Mitwirkungsbeistandschaft oder eine Kombination davon sowie als umfassende Beistandschaft ausgestaltet werden kann (BBl 2006 7003).
2.
Erwachsenenschutzrecht
(2) Das Erwachsenenschutzrecht bezweckt den Schutz hilfsbedürftiger Erwachsener
(Art. 388 Abs. 1 ZGB). Im Vordergrund stehen dabei einerseits die Vermögensinteressen. Einer schutzbedürftigen Person kann bspw. ein Berater zur Seite gestellt, der
schaut, dass die Rechnungen bezahlt werden, oder es kann ihre Handlungsfähigkeit
eingeschränkt werden, um zu verhindern, dass sie Verträge abschliesst, die sie in
den finanziellen Ruin treiben könnten. Andererseits steht auch der Schutz der Persönlichkeit im Vordergrund. Der Wille einer urteilsunfähigen, verwahrlosten oder psychisch kranken Person soll etwa bei medizinischen Eingriffen oder bei der Betreuung
in Wohn- und Pflegeeinrichtungen soweit wie möglich gewahrt werden.
(3) Das Rechtsgebiet ist ein „Mischgebilde“ aus Privatrecht und öffentlichem Recht.
Öffentlichrechtlichen Charakter haben vor allem die Normen, welche die Voraussetzungen und das Verfahren zur Beschränkung der Handlungsfähigkeit regeln. Privatrechtlichen Charakter haben hingegen Normen, welche die Handlungsfähigkeit und
ihre Beschränkungen umschreiben sowie welche die Rechtsfolgen des Verhaltens
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der durch erwachsenenschutzrechtliche Massnahmen geschützten Personen im Privatrechtsverkehr regeln.
3.
Prinzipien des Erwachsenenschutzrechts
(4) Erwachsenenschutzrecht ist, soweit es um die Anordnung erwachsenenschutzrechtlicher Massnahmen durch die Erwachsenenschutzbehörde geht, ein Eingriffsrecht. Handlungsfreiheitsbeschränkende Massnahmen bewirken nämlich einen Eingriff in die persönliche Freiheit (Art. 10 BV). Die Grundrechte und verwaltungsrechtlichen Verfahrensgrundsätze sind deshalb zu beachten. Wesentlich sind insbesondere
folgende Prinzipien des Verwaltungsrechts:
Verhältnismässigkeitsprinzip (Proportionalität): Die in Frage kommende Massnahme muss sich eignen, der betroffenen Person zu helfen bzw. diese zu
schützen. Sie muss erforderlich sein, das heisst, es darf kein milderer, weniger
weit gehender Eingriff geben, der ebenso geeignet wäre, um den mit der Massnahme verfolgten Zweck zu erreichen. Es muss mit anderen Worten „so wenig wie möglich, aber so viel wie nötig“ angeordnet werden.
Subsidiaritätsprinzip: Massnahmen sind nur angebracht, wenn die Hilfe zur
Selbsthilfe versagt oder ungenügend ist. Es war insbesondere Ziel der Reform
der Erwachsenenschutzgesetzgebung, dass diese Hilfe (zur Selbsthilfe) zunächst von Angehörigen wie nahen Verwandten oder dem Ehepartner erbracht werden soll und wenn diese Angehörigen keine Hilfe erbringen wollen
oder dazu nicht fähig sind, Behörden eingeschaltet werden (vgl. Art. 389
ZGB). Bei den Unterstützungsmassnahmen muss ausserdem möglichst auf
den Willen des Betroffenen Rücksicht genommen werden (Art. 388 Abs. 2;
401 ZGB). Das Selbstbestimmungsrecht des Betroffenen ist so weit wie möglich zu erhalten und zu fördern (Art. 388 Abs. 2 ZGB).
4.
Erwachsenenschutzrechtliche Organe
(5) Erwachsenenschutzbehörde: Die Behörde ordnet erwachsenenschutzrechtliche
Massnahmen an (Art. 388 f. ZGB) und überwacht die von ihr eingesetzten Mandatsträger, insbesondere die Beistände (vgl. Art. 415 ZGB). Sie gibt die Zustimmung zu
gewissen Rechtsgeschäften (Art. 416 ZGB). Es handelt sich um eine Fachbehörde,
deren Organisation im Wesentlichen vom kantonalen Recht bestimmt wird (Art. 440
Abs. 1 ZGB; vgl. im Kanton Zürich §§ 4 ff. EG KESR).
(6) Beistand: Der Beistand wahrt die persönlichen und vermögenswerten Interessen
des Verbeiständeten. Er ist sein Vertreter, sofern er die entsprechenden Befugnisse
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hat (Art. 394 ZGB). Je nach Art der Beistandschaft nimmt er für die verbeiständete
Person unterschiedliche Aufgaben wahr (Art. 391 ZGB).
(7) Ärzte und Wohn- und Pflegeeinrichtungen, Einrichtungen für Personen mit
psychischer Störung: Die Kantone können Ärzte bezeichnen, die neben der Erwachsenenschutzbehörde eine fürsorgerische Unterbringung anordnen dürfen (Art.
429 Abs. 1 ZGB). Ähnlich wie diese Ärzte können auch Wohn- und Pflegeeinrichtungen die Bewegungsfreiheit von urteilsunfähigen Personen, die sich bei ihnen aufhalten, unter gewissen Voraussetzungen einschränken (Art. 383 ZGB). Zur Funktion der
Einrichtungen für Personen mit einer psychischen Störung im Bereich der fürsorgerischen Unterbringung vgl. Art. 427 ZGB (Zurückbehaltung freiwillig eingetretener Patienten), Art. 434 ZGB (Behandlung ohne Zustimmung der betroffenen Person); Art.
438 ZGB (Massnahmen zur Einschränkung der Bewegungsfreiheit).
(8) Aufsichts- und Rechtsmittelbehörde: Die Kantone müssen eine Aufsichtsbehörde über die Erwachsenenschutzbehörde bestimmen (Art. 441 Abs. 1 ZGB). Die
Aufsichtsbehörde kann, muss aber nicht, gleichzeitig die Rechtsmittelinstanz sein. Im
Kanton Zürich ist die Aufsichtsbehörde der Kindes- und Erwachsenenschutzbehörde
eine vom Regierungsrat bezeichnete Direktion (§ 14 Abs. 1 EG KESR; Für die Beaufsichtigung der Wohn- und Pflegeeinrichtungen gemäss Art. 387 ZGB ist der Bezirksrat zuständig [§ 15 EG KESR]). Rechtsmittelinstanz gegen Entscheide der Erwachsenenschutzbehörde ist hingegen grundsätzlich das Bezirksgericht (entweder
das Einzelgericht oder das Kollegialgericht) als erste Instanz und das Obergericht als
zweite Instanz (§ 63 f. EG KESR).
5.
Überblick über das Erwachsenenschutzrecht
(9) Das Erwachsenenschutzrecht umfasst die Dritte Abteilung des ZGB und ist unterteilt in drei Titel.
(10) Im 10. Titel des ZGB werden im ersten Abschnitt Instrumente der eigenen (privaten) Vorsorge geregelt, die mündigen und urteilsfähigen Personen zur Verfügung
stehen, um für den Fall ihrer Urteilsunfähigkeit die nötigen Vorkehrungen zu treffen.
Als Massnahme nennt der Gesetzgeber den Vorsorgeauftrag, welchen eine handlungsfähige Person einer natürlichen oder juristischen Person erteilen kann, damit
diese im Falle ihrer Urteilsunfähigkeit die Personen- und/oder die Vermögenssorge
übernehme oder sie im Rechtsverkehr vertrete (Art. 360 Abs. 1 ZGB). Im Weiteren
wird in diesem Abschnitt die Patientenverfügung gesetzlich normiert, in der eine urteilsfähige Person festlegen kann, welchen medizinischen Massnahmen sie im Falle
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ihrer Urteilsunfähigkeit zustimmen bzw. welche sie ablehnen werde (Art. 370 abs. 1
ZGB).
(11) Im zweiten Abschnitt des zehnten Titels werden die Massnahmen geregelt, die
von Gesetzeswegen vorgesehen sind, falls eine urteilsunfähig gewordene Person in
Zeiten, als sie noch urteilsfähig war, keine speziellen Anordnungen für diesen Fall
getroffen hat. Konkret bestimmt das Gesetz, wer eine urteilsunfähig gewordene Person von Gesetzes wegen vertreten darf, falls diese Person keine speziellen Anordnungen für diesen Fall getroffen hat (Art. 374 ff. ZGB). Speziell normiert wird dabei
der Fall, in dem eine medizinische Behandlung einer urteilsunfähigen Person angeordnet werden muss (Art. 377 ff. ZGB). Schliesslich finden sich in diesem Abschnitt
Bestimmungen zum Aufenthalt urteilsunfähiger Personen in Wohn- und Pflegeeinrichtungen (Art. 382 ff ZGB).
(12) Im 11. Titel finden sich die Bestimmungen über die behördlichen erwachsenenschutzrechtlichen Massnahmen, d.h. insbesondere über die verschiedenen Arten der
Beistandschaft (Art. 388 ff ZGB) und über die fürsorgerische Unterbringung (Art. 426
ff. ZGB). Im 12. Titel sind die Zuständigkeit (Art. 440 ff. ZGB), das Verfahren (Art. 443
ff. ZGB) sowie organisatorische Belange (Verhältnis zu Dritten, Geheimnis und Zusammenarbeit) und schliesslich die Haftung (Art. 451 ff. bzw. 454 ff. ZGB) geregelt.
II.
Der Vorsorgeauftrag
1.
Gegenstand des Vorsorgeauftrags
(13) Einen Vorsorgeauftrag kann (nur) eine handlungsfähige Person erteilen, und
zwar an eine natürliche oder (sofern es sich nicht um eine Beauftragung zur Vertretung in höchstpersönlichen Rechten handelt, wie bei medizinischen Eingriffen) auch
an eine juristische Person (Art. 360 Abs. 1 ZGB; BBl 2006 7025). Im Vorsorgeauftrag
wird geregelt, wer im Falle der Urteilsunfähigkeit die auftraggebende Person betreuen, für ihr Vermögen sorgen und/oder sie rechtsgeschäftlich vertreten soll. Diese
Aufgaben können an verschiedene Personen übertragen werden und auch mit Weisungen, Bedingungen, Auflagen und Einschränkungen versehen werden (Art. 360
Abs. 2 ZGB; BBl 2006 7025). Der Ungewissheit, ob die beauftragte Person den Vorsorgeauftrag dereinst wird annehmen können, kann für den Fall der Unfähigkeit oder
Ablehnung des Erstbeauftragten durch Bestimmung von Ersatzpersonen begegnet
werden (Art. 360 Abs. 3 ZGB).
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2.
Errichtung, Hinterlegung, Änderung und Widerruf des Vorsorgeauftrags
(14) Der Vorsorgeauftrag muss entweder eigenhändig errichtet, d.h. von Anfang bis
zum Ende von Hand niedergeschrieben, datiert und unterzeichnet, oder öffentlich
beurkundet werden (Art. 361 Abs. 1 ZGB). Damit der Vorsorgeauftrag im Falle des
Eintretens des Vorsorgefalles zur Kenntnis gelangt, hat die auftraggebende Person
die Möglichkeit, dem Zivilstandsamt zu melden, wo sie ihn hinterlegt hat. Der Hinterlegungsort sowie der Name der auftraggebenden Person werden dabei in eine zentrale Datenbank eingetragen (Art. 361 Abs. 3 ZGB).
(15) Für die Abänderung des Vorsorgeauftrags bedarf es ebenfalls der für die Errichtung vorgeschriebene Form (Art. 362 Abs. 1 ZGB). Gleiches gilt auch für deren Widerruf, wobei dieser auch durch Vernichtung der Urkunde erfolgen kann (Art. 362
Abs. 2 ZGB). Wird ein neuer Vorsorgeauftrag errichtet, ohne einen früheren ausdrücklich zu widerrufen, so tritt der neue Vorsorgeauftrag an die Stelle des früheren,
sofern er nicht zweifellos eine blosse Ergänzung darstellt (Art. 362 Abs. 3 ZGB).
3.
Umsetzung des Vorsorgeauftrags
(16) Sobald die Erwachsenenschutzbehörde erfährt, dass eine Person urteilsunfähig
geworden ist, und ihr nicht bekannt ist, ob ein Vorsorgeauftrag vorliegt, erkundigt sie
sich beim Zivilstandsamt (Art. 363 Abs. 1 ZGB). Bei Vorliegen eines Vorsorgeauftrags prüft sie ihn insbesondere auf ihre Gültigkeit und ob die beauftragte Person
geeignet ist, ihr Amt zu erfüllen (Art. 363 Abs. 2 ZGB). Trifft dies zu, fragt die Erwachsenschutzbehörde die im Auftrag bezeichnete Person an, ob sie den Auftrag
annehme und weist sie auf die auftragsrechtlichen Pflichten gemäss Art. 394 ff OR
zur sorgfältigen Ausführung des Auftrags im Interessen des Beauftragten hin (Art.
363 Abs. 3 ZGB). Ist der Vorsorgeauftrag unklar oder regelt er bestimmte Nebenpunkte nicht, kann die Vormundschaftsbehörde von der beauftragten Person um
Auslegung oder Ergänzung der Nebenpunkte ersucht werden (Art. 364 ZGB).
(17) In Bezug auf die Ausführung des Vorsorgeauftrags gelten grundsätzlich die
Bestimmungen des Auftrags (Art. 365 Abs. 1 OR). Die Aufsichtsbehörde kann der
beauftragten Person Weisungen erteilen oder sie zur Rechenschaftsablage auffordern, sofern dies die Interessen der auftraggebenden Person erfordern (Art. 368
ZGB). Enthält der Vorsorgeauftrag keine Anordnung über die Entschädigung, so legt
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die Erwachsenenschutzbehörde eine angemessene Entschädigung fest, wenn dies
mit Rücksicht auf den Umfang der Aufgaben als gerechtfertigt erscheint oder wenn
die Leistungen der beauftragten Person üblicherweise entgeltlich sind (Art. 366 Abs.
1 ZGB). Müssen Geschäfte besorgt werden, die vom Vorsorgeauftrag nicht erfasst
werden, ist die Erwachsenenschutzbehörde zu benachrichtigen (Art. 365 Abs. 2
ZGB). Betreffend Interessenkollisionen vgl. Art. 365 Abs. 3 ZGB. – Nicht zu unterschätzen (auch mit Blick auf die Haftung: unten Rz 59) sind hier und anderswo jene
Normen, die ein „Einschreiten der ESB“ (Marginale) verlangen; es sind dies die Art.
368, 373, 376, 381, 385, 419 ZGB (sowie in einem umgekehrten Sinne: NichtEinschreiten, Art. 420 ZGB).
4.
Beendigung des Vorsorgeauftrags
(18) Der Vorsorgeauftrag wird durch Wiedererlangung der Urteilsfähigkeit der auftraggebenden Person beendet (Art. 369 Abs. 1 ZGB). Unter Umständen müssen gewisse Geschäfte aber noch während der wiedererlangten Urteilsfähigkeit der beauftragen Person zu Ende geführt werden (vgl. 369 Abs. 2 ZGB). Durch schriftliche Mitteilung an die Erwachsenenschutzbehörde kann der Vorsorgeauftrag jederzeit mit
einer zweimonatigen Kündigungsfrist von der beauftragen Person niedergelegt werden (Art. 367 Abs. 1 ZGB). Aus wichtigen Gründen ist eine Niederlegung sogar fristlos möglich (Art. 367 Abs. 2 ZGB). Beendet wird der Vorsorgeauftrag ebenfalls, wenn
der beauftragten Person das Mandat von der Erwachsenenschutzbehörde entzogen
wird oder bei deren Tod, Handlungsunfähigkeit oder Konkurs (Art. 368 Abs. 2 ZGB;
Art. 405 Abs. 1 OR).
III.
Patientenverfügung
1.
Gegenstand der Patientenverfügung
(19) In der Patientenverfügung kann eine urteilsfähige Person festlegen, welchen
medizinischen Massnahmen sie im Fall ihrer Urteilsunfähigkeit zustimmt oder nicht
zustimmt (Art. 370 Abs. 1 ZGB; vgl. zur Urteilsunfähigkeit Art. 16 ZGB). Sie kann darin auch eine natürliche Person bezeichnen, die mit den behandelnden Ärzten im Fall
ihrer Urteilsunfähigkeit medizinische Massnahmen bespricht und in ihrem Namen
über die Anordnung solcher Massnahmen entscheiden soll (Art. 370 Abs. 2 ZGB).
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2.
Errichtung, Hinterlegung, Änderung und Widerruf der Patientenverfügung
(20) Die Patientenverfügung ist schriftlich zu errichten, zu datieren und zu unterzeichnen (Art. 371 Abs. 1 ZGB). Der Hinterlegungsort der Patientenverfügung kann
auf der Versichertenkarte eingetragen werden (Art. 371 Abs. 2 ZGB). Die Abänderung der Patientenverfügung ist ebenfalls möglich, wobei diese mit Datum und Signatur zu versehen ist. Sie kann unter den gleichen Voraussetzungen wie der Vorsorgeauftrag widerrufen werden (Art. 371 Abs. 3 ZGB).
3.
Umsetzung der Patientenverfügung
(21) Ist ein zu behandelnder Patient urteilsunfähig muss der Arzt anhand der Versicherungskarte abklären, ob eine Patientenverfügung vorliegt. Er muss dieser Verfügung Folge leisten, ausser der Inhalt der Verfügung verstosse gegen gesetzliche
Vorschriften, etwa gegen das Verbot, aktive Sterbehilfe zu leisten, oder es bestünden
begründete Zweifel daran, dass die Verfügung nicht auf dem freien Willen des Patienten beruhe oder dass sie aufgrund veränderter Umstände nicht mehr seinem mutmasslichen Willen entspreche (Art. 372 Abs. 2 ZGB). Veränderte Umstände können
in Situationen vorliegen, in denen seit der Errichtung der Verfügung längere Zeit verstrichen ist und der Patient nach der Errichtung der Verfügung eine andere Meinung
geäussert hat, oder durch die medizinische Entwicklung Behandlungen möglich geworden sind, die der Patient nicht gekannt hatte und die wesentlich geringere Nebenwirkungen zeigen (BBl 2006 7033). Der Arzt muss die Gründe für das Abweichen
von der Patientenverfügung im Patientendossier festhalten (Art. 372 Abs. 3 ZGB).
IV. Gesetzlich vorgesehene Massnahmen bei Urteilsunfähigkeit
1.
Gesetzliches Vertretungsrecht bei urteilsunfähigen verheirateten/in
eingetragener Partnerschaft lebenden Personen
1.1
Voraussetzungen und Umfang
(22) Wird ein Ehegatte oder ein eingetragener Partner, der im gemeinsamen Haushalt mit dem anderen Gatten bzw. Partner lebt, urteilsunfähig, steht dem anderen
Gatten/Partner von Gesetzes wegen (ohne dass es einer Ernennung durch irgendeine Behörde bedarf) ein Vertretungsrecht zu (Art. 374 Abs. 1 ZGB). Dieses Vertre7
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tungsrecht umfasst alle Rechtshandlungen, die zur Deckung des Unterhaltsbedarfs
üblicherweise erforderlich sind, wie die ordentliche Verwaltung des Einkommens und
der übrigen Vermögenswerte sowie nötigenfalls das Öffnen und die Erledigung der
Post (Art. 374 Abs. 2 ZGB). Für Rechtshandlungen im Rahmen der ausserordentlichen Vermögensverwaltung muss die Zustimmung der Erwachsenenschutzbehörde
eingeholt werden (Art. 374 Abs. 3 ZGB). Die ausserordentliche Vermögensverwaltung umfasst Handlungen, die in Bezug auf das Vermögen des urteilsunfähigen Gatten nicht mehr von geringer Bedeutung sind (vgl. die ähnlichen Bestimmungen Art.
227 Abs. 2 und 228 Abs. 1 ZGB; HAUSHEER/AEBI-MÜLLER, BSK ZGB I 227/228, N 8 ff;
BBl 2006 7035). Dies sind vor allem Rechtsgeschäfte im Zusammenhang mit der
Vermögensverwaltung, die von einem Beistand nur mit Zustimmung der Erwachsenenschutzbehörde vorgenommen werden dürfen (Art. 416 ZGB) sowie solche für die
es gemäss Auftragsrecht eine besondere Ermächtigung des Auftraggebers bedarf
(Art. 396 Abs. 3 OR). Massgebend sind die Umstände, in denen sich die (Ehe-) Partner befinden.
1.2
Ausübung des Vertretungsrechts
(23) Grundsätzlich finden bei der Ausübung des Vertretungsrechts die Bestimmungen des Obligationenrechts über den Auftrag Anwendung (Art. 375 ZGB). Bei der
Ausübung Vertretungsrechts ist zu beachten, dass die Ehegatten/eingetragenen
Partner einander aufgrund ihrer Ehe bzw. Partnerschaft Treue und Beistand schulden und ihre gegenseitigen Interessen wahren müssen (Art. 159 Abs. 3 ZGB). Ob
eine Entschädigung für die Ausübung des Vertretungsrechtes geschuldet ist, ist nach
Massgabe von Art. 164 f. ZGB zu entscheiden. Die Erwachsenenschutzbehörde
kann dem (Ehe-) Partner, der den anderen vertritt, Weisungen erteilen.
1.3
Ende des Vertretungsrechts
(24) Das Vertretungsrecht endet mit der Auflösung des gemeinsamen Haushaltes
oder mit der Ernennung eines Beistandes durch die Vormundschaftsbehörde und
dem gänzlichen oder teilweisen Entzug der Vertretungsmacht des (Ehe-) Partners
(Art. 376 Abs. 2 ZGB).
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2.
Vertretungsberechtigung bei Entscheidungen über medizinische
Behandlungen
2.1
Im Allgemeinen
(25) Hat sich ein urteilsunfähiger Patient nicht in einer Patientenverfügung zu einer
bestimmten Behandlung geäussert, muss der behandelnde Arzt zur Vornahme einer
bestimmten medizinischen Massnahme die Zustimmung einer zur Vertretung des
Patienten berechtigten Person einholen (Art. 377 Abs. 1; 378 Abs. 1 ZGB; BBl 2006
7036). Dies selbstverständlich nur unter der Voraussetzung, dass dafür genügend
Zeit vorhanden ist. Anderenfalls hat der Arzt nach dem mutmasslichen Willen des
Patienten zu entscheiden (Art. 379 ZGB). Die zur Vertretung befugte Person ist, soweit sie nicht in einer Patientenverfügung oder einem Vorsorgeauftrag bezeichnet
wird, der Beistand, sofern dieser den Patienten bei der Entscheidfindung über medizinische Massnahmen vertreten darf (Art. 378 Abs. 1 Ziff. 2 ZGB). Besteht keine Beistandschaft steht dem Ehegatten bzw. eingetragenen Partner, sofern er mit dem Patienten im gemeinsamen Haushalt lebt und ihm persönlichen Beistand leistet, das
Vertretungsrecht zu (Art. 378 Abs. 1 Ziff. 3 ZGB). Ist kein solcher Ehegatte oder eingetragener Partner vorhanden, sind Personen zur Vertretung berechtigt, die mit dem
Patienten einen gemeinsamen Haushalt führen und regelmässig persönlichen Beistand leisten. Gibt es keine solche Personen, sind der Reihe nach Nachkommen,
Eltern und Geschwister vertretungsberechtigt, sofern diese dem urteilsunfähigen Patienten regelmässig persönlichen Beistand leisten, d.h. in engem Kontakt mit ihm
leben (vgl. Art. 378 Abs. 1 ZGB). Will keine der vorgenannten Personen die Entscheidungen über die Anordnung von medizinischen Massnahmen treffen oder ist
keine vertretungsberechtigte Person vorhanden, muss die Erwachsenenschutzbehörde durch einen speziell für diese Situation ernannten Beistand die Entscheide
fällen (Art. 381 Abs. 1 ZGB).
2.2
Ausübung des Vertretungsrechts
(26) Den Entscheid über die Durchführung einer medizinischen Behandlung am urteilsunfähigen Patienten muss die vertretungsberechtigte Person nach dessen mutmasslichen Willen treffen. Gibt es in einer Patientenverfügung Weisungen, sind diese
zu beachten (vgl. Art. 378 Abs. 3 ZGB). Besteht die Möglichkeit dazu, muss die urteilsunfähige zu behandelnde Person in geeigneter Weise in die Entscheidfindung
einbezogen werden (Art. 377 Abs. 3 ZGB). Der Arzt hat die Beteiligten über alle Umstände, insbesondere Gründe, Zweck, Modalitäten, Kosten und Risiken des Eingrif-
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fes zu informieren (Art. 377 Abs. 2 ZGB). Er hat einen Behandlungsplan aufzustellen
(Art. 377 Abs. 1 und 4 ZGB).
3.
Aufenthalt in Wohn- und Pflegeeinrichtungen
3.1
Betreuungsvertrag
(27) Besonders geschützt werden müssen urteilsunfähige Personen bei (freiwilligen)
Aufenthalten in Wohn- und Pflegeheimen von längerer Dauer (BBl 2006 7038). Aus
diesem Grund muss beim Eintritt in das Heim ein schriftlicher Betreuungsvertrag abgeschlossen werden, in dem die Leistungen, welche die Einrichtung erbringt und das
geschuldete Entgelt genau umschrieben werden (Art. 382 Abs. 1 ZGB). Nach Möglichkeit ist dabei auf die Wünsche der betroffenen Person Rücksicht zu nehmen (Art.
382 Abs. 2 ZGB). Der Betreuungsvertrag wird auf Seiten der urteilsunfähigen Person
von derjenigen Person abgeschlossen, die auch für die Vertretung bei medizinischen
Massnahmen zuständig ist (Art. 382 Abs. 3 ZGB; vgl. zur Zuständigkeit betreffend
Vertretung bei medizinischen Massnahmen Art. 378 Abs. 1 ZGB).
3.2
Aufenthalt in Wohn- und Pflegeheimen
(28) Während des Aufenthalts in einer Wohn- und Pflegeeinrichtung ist die Persönlichkeit der urteilsunfähigen Person zu schützen und deren besonderen Bedürfnissen
Rechnung zu tragen. Kontakte zur Aussenwelt sind zu fördern (Art. 386 Abs. 1 ZGB;
BBl 2006 7041). Grundsätzlich darf die Wohn- und Pflegeeinrichtung die Bewegungsfreiheit der urteilsunfähigen erwachsenen Person nicht einschränken. Ausgenommen sind Situationen, in denen eine ernsthafte Gefahr für das Leben oder die
körperliche Integrität der betroffenen Person oder Dritte abzuwenden oder eine
schwerwiegende Störung des Gemeinschaftslebens innerhalb der Wohn- und Pflegeeinrichtung zu beseitigen ist und diese Situation mit weniger einschneidenden
Massnahmen nicht abgewendet werden kann (Art. 383 Abs. 1 ZGB). Die betroffene
Person ist vorgängig anzuhören und ihr ist zu erklären, weshalb die Massnahme angeordnet werden muss, wie lange sie dauert und wer sich während dieser Zeit um sie
kümmert (Art. 383 Abs. 2 ZGB). Über die Einschränkung der Bewegungsfreiheit ist
Protokoll zu führen und es ist die zur Vertretung berechtigte Person zu informieren
(Art. 384 ZGB). Falls die betroffene Person mit der Einschränkung ihrer Bewegungsfreiheit nicht einverstanden ist, kann sie jederzeit die Erwachsenenschutzbehörde
anrufen. Gleiches gilt auch für die ihr nahe stehenden Personen (Art. 385 Abs. 1
ZGB; vgl. zu diesen Personen Art. 378 ZGB). – Unerfindlich bleibt, weshalb Personen in Privatpflege vom Gesetz nicht in diesen Schutz einbezogen wurden.
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V.
Behördliche Massnahmen
1.
Die Beistandschaft
1.1
Voraussetzungen zur Errichtung einer Beistandschaft
(29) Eine Beistandschaft wird errichtet, wenn eine volljährige Person wegen einer
geistigen Behinderung, einer psychischen Störung oder eines ähnlichen in der Person liegenden Schwächezustandes ihre Angelegenheiten nur teilweise oder gar nicht
besorgen kann (Art. 390 Abs. 1 Ziffer 1 ZGB). Unter geistiger Behinderung sind angeborene oder erworbene Intelligenzdefekte zu verstehen. Der Begriff der psychischen Störungen umfasst nicht nur die anerkannten Krankheitsbilder der Psychiatrie,
sondern auch Demenz, insbesondere Altersdemenz. Suchtkrankheiten wie Alkohol-,
Drogen- und Medikamentensucht gelten auch als psychische Störung (BBl 2006
7043). Unter den Begriff „ähnliche Schwächezustände“ fallen Defizite wie extreme
Fälle von Unerfahrenheit oder Misswirtschaft sowie seltene Formen der körperlichen
Behinderung wie eine schwere Lähmung oder die Verbindung von Blindheit und
Taubheit (BBl 2006 7043). Bei der Anordnung der Beistandstaft ist stets zu prüfen,
ob die mit dieser Massnahme verfolgten Ziele nicht mit anderen, milderen und weniger in das Selbstbestimmungsrecht der betroffenen Person eingreifenden Massnahmen ebenso erreicht werden können. Bei der Anordnung der Beistandschaft ist das
gesamte Umfeld mit zu berücksichtigen, namentlich wie stark die unter Beistandschaft zu stellende Person auf Hilfe von Verwandten und (Ehe-)Partner zählen kann,
aber auch wie stark sie diese durch ihre Störungen und Defizite belastet (Art. 390
Abs. 2 ZGB).
(30) Eine Beistandschaft kann nicht nur bei Personen mit psychischen Störungen
angeordnet werden, sondern auch bei solchen, die vorübergehend urteilsunfähig
oder abwesend sind, und zwar in unaufschiebbaren Angelegenheiten, sofern die betroffene Person weder selber handeln kann, noch eine zur Stellvertretung berechtigte
Person bezeichnet hat (Art. 390 Ziff. 2 ZGB).
(31) Ist die Errichtung einer Beistandschaft trotz Hilfsbedürftigkeit der betroffenen
Person unverhältnismässig, kann die Erwachsenenschutzbehörde auf die Anordnung
einer Beistandschaft verzichten und stattdessen selbst die Zustimmung für ein bestimmtes Rechtsgeschäft erteilen oder einer Drittperson einen Auftrag für einzelne
Aufgaben geben sowie eine geeignete Person oder Stelle bezeichnen, welcher für
bestimmte Bereiche Einblick und Auskunft zu geben ist (Art. 392 ZGB). Es kann bei11
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spielsweise angeordnet werden, dass dieser Stelle Einsicht in Bankbelege gegeben
wird, damit nachgeprüft werden kann, ob die Rechnungen der Krankenkasse effektiv
bezahlt worden waren (BBl 2006 7045).
1.2
Ernennung des Beistandes
(32) Die Erwachsenenschutzbehörde ernennt den Beistand. Sie umschreibt dessen
Aufgaben entsprechend den Bedürfnissen der betroffenen Person (Art. 391 Abs. 1
ZGB). Die Massnahmen sollen – und das ist eine zentrale Stossrichtung des neuen
Erwachsenenschutzrechtes – „massgeschneidert“ sein (immerhin ist „Konfektion“
nicht per se Schimpfwort, sondern kann auch effizient und ziemlich passgenau ohne
lange Anprobe „funktionieren“ – im Alltag der Massnahme liegt es an Beiständin/Beistand, „Kleinreparaturen“ vorzunehmen oder gegenüber der ESB zu rapportieren: Art. 411 bzw. 414 ZGB). Die Handlungsfähigkeit und die persönlichen Freiheiten
der betroffenen Person müssen so stark wie nötig, sollen aber nur so wenig wie möglich einschränkt werden (BBl 2006 7015 f., 7044). Wie in der Medizin kann „minimalinvasives“ Vorgehen (ein „arthroskopischer“ Prozess) deshalb besonders wirksam
sein, weil damit nur geringe Zusatzbelastungen verbunden sind. Bei der Wahl des
Beistandes hat die Erwachsenenschutzbehörde möglichst auf die Wünsche der betroffenen Person Rücksicht zu nehmen. Schlägt die betroffene Person selbst eine
Vertrauensperson als Beistand vor, entspricht die Erwachsenenschutzbehörde dem
Wunsch, wenn die vorgeschlagene Person zur Übernahme der Beistandschaft bereit
und dazu geeignet ist (Art. 401 Abs. 1 ZGB). Lehnt die zu verbeiständende Person
einen von der Erwachsenenschutzbehörde vorgeschlagenen Beistand ab, entspricht
die Erwachsenschutzbehörde diesem Wunsch soweit tunlich (Art. 401 Abs. 3 ZGB).
Auf die Wünsche der Angehörigen ist bei der Wahl des Beistandes ebenfalls Rücksicht zu nehmen (Art. 401 Abs. 2 ZGB).
1.3
Arten der Beistandschaften
1.3.1 Beigleitbeistandschaft
(33) Die Begleitbeistandschaft ist die „leichteste“ Form der Beistandschaft. Sie wird
nur mit Zustimmung der betroffenen Person errichtet und schränkt deren Handlungsfähigkeit nicht ein (BBl 2006 7045). Voraussetzung für die Begleitbeistandschaft ist
das Bedürfnis nach Unterstützung der betroffenen Person, weil sie bestimmte Angelegenheiten (Verwaltung ihres Vermögens, Briefe öffnen, Rechnungen bezahlen)
nicht erledigen kann (vgl. Art. 393 ZGB).
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1.3.2 Vertretungsbeistandschaft
(34) Kann eine hilfsbedürftige Person bestimmte Angelegenheiten nicht erledigen
und muss sie deshalb vertreten werden, ist eine Vertretungsbeistandschaft zu errichten (Art. 394 Abs. 1 ZGB). Dabei kann (aber muss nicht) die Erwachsenenschutzbehörde die Handlungsfähigkeit der betroffenen Person einschränken (Art. 394 Abs. 2
ZG). Dies geschieht insbesondere, wenn die zu verbeiständende Person keinen Kooperationswillen zeigt (BSK-ESR HENKEL, Art. 394 N 29 ff.). Auch wenn die Handlungsfähigkeit der betroffenen Person nicht beschränkt wurde, muss sie sich die
Handlungen des Beistandes trotzdem zurechnen lassen (Art. 394 Abs. 3 ZGB). Die
Handlungsfähigkeit kann je nach Bedarf umfassend oder nur punktuell eingeschränkt
werden. Die punktuelle Einschränkung der Handlungsfähigkeit kann in Bezug auf
bestimmte Rechtgeschäfte wie etwa die Vermietung einer zum Vermögen der hilfsbedürftigen Person gehörenden Liegenschaft erfolgen (BBl 2006 7046).
1.3.3 Vertretungsbeistandschaft mit Vermögensverwaltung
(35) Soll eine Vertretungsbeistandschaft für die Vermögensverwaltung errichtet werden, bestimmt die Erwachsenenschutzbehörde, welche Vermögenswerte von einem
Beistand verwaltet werden sollen (Art. 395 Abs. 1 Satz 1 ZGB). Es kann sich dabei
um das gesamte Vermögen handeln, jedoch auch nur um einzelne Teile davon. Zusätzlich kann auch das Einkommen unter die Verwaltung des Beistandes gestellt
werden (Art. 395 Abs. 1 Satz 2 ZGB). Trifft die Erwachsenenschutzbehörde keine
abweichenden Anordnungen, sind auch die Ersparnisse aus dem verwalteten Einkommen oder die Erträge des verwalteten Vermögens von der Vermögensverwaltungsbeistandschaft erfasst (Art. 395 Abs. 2 ZGB). Muss die Verfügung über Grundstücke eingeschränkt werden, ist dies im Grundbuch vorzumerken (Art. 395 Abs. 4
ZGB). Soll der Eingriff in die Rechte der betroffenen Person weniger weit gehen,
kann ihr Anstelle des Entzugs ihrer Handlungsfähigkeit in Bezug auf die Verwaltung
ihres Vermögen oder Teilen davon auch nur der Zugriff zu einem bestimmten Vermögen – etwa durch Konto oder Grundbuchsperre – entzogen werden (Art. 395 Abs.
3 ZGB; BBl 2006 7047).
(36) In der Praxis kommt es häufig vor, dass der Lohn oder eine Rente vom Beistand
mit befreiender Wirkung entgegengenommen wird und damit Schulden wie Krankenkasse, Mietzinse und Steuern bezahlt, mit anderen Worten Verpflichtungen des täglichen Bedarfs gedeckt werden (vgl. auch Art. 408 Abs. 2 Ziffer 3 ZGB; BBl 2006
7047, 7053). Der Entzug der Handlungsfähigkeit muss Schuldnern der von der Erwachsenenschutzmassnahme betroffenen Person mitgeteilt werden. Schuldner, welche von der Anordnung der Massnahme nicht wussten und auch nach den Umstän13
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§ 12 Erwachsenenschutzrecht
den nichts wissen konnten, könnten anderenfalls mit befreiender Wirkung ihre Schulden durch Leistung an die verbeiständete Person tilgen (Art. 452 Abs. 2 ZGB).
1.3.4 Mitwirkungsbeistandschaft
(37) Eine Mitwirkungsbeistandschaft wird errichtet, wenn bestimmte Handlungen der
hilfsbedürftigen Person zu deren Schutz der Zustimmung des Beistandes bedürfen
(Art. 396 Abs. 1 ZGB). Voraussetzung ist, dass die hilfsbedürftige Person in Bezug
auf die zustimmungsbedürftigen Rechtsgeschäfte urteilsfähig ist. Der Beistand kann
die fehlende Urteilsfähigkeit nicht durch eigenes Handeln ersetzen (BBl 2006 7048).
1.3.5 Kombination von Begleit-, Vertretungs- und Mitwirkungsbeistandschaft
(38) Damit der zu verbeiständenden Person möglichst „massgeschneidert“ geholfen
werden kann, besteht die Möglichkeit, die verschiedenen Beistandsarten zu kombinieren (Art 397 ZGB). Die Verwaltung eines bestimmten Vermögens (Grundstücks)
kann beispielsweise der Verfügungsgewalt der verbeiständeten Person entzogen
werden, während das übrige Vermögen ihrer Verwaltung nicht entzogen wird, ihr
aber trotzdem ein Begleitbeistand zur Seite gestellt wird (BBl 2006 7048).
1.3.6 Umfassende Beistandschaft
(39) Die umfassende Beistandschaft ist für Personen mit einer besonders ausgeprägten Hilfsbedürftigkeit vorgesehen (Art. 398 Abs. 1 ZGB). Sie bezieht sich auf alle Angelegenheiten der Personen-, Vermögensvorsorge und des Rechtsverkehrs (Art. 398
Abs. 2 ZGB). Die betroffene Person ist durch die umfassende Verbeiständung nicht
mehr handlungsfähig (Art. 17 i.V.m. 398 Abs. 3 ZGB). Die Massnahme kann nur als
ultima ratio angeordnet werden und zwar bei dauernder Urteilsunfähigkeit etwa bei
schwer demenzkranken Personen. Sie steht zur Verfügung, wenn nicht verantwortet
werden kann, dass eine bestimmte Person Rechthandlungen vornimmt oder wenn
eine Person überhaupt nicht mehr handeln kann (BBl 2006 7048).
1.4.
Führung der Beistandschaft
(40) Der Beistand hat mit der betroffenen Person bei der Übernahme der Beistandschaft persönlich Kontakt aufzunehmen und sich ein Bild über seine Aufgaben zu
machen (Art. 405 Abs. 1 ZGB). Umfasst die Beistandschaft auch die Vermögensverwaltung, so nimmt er in Zusammenarbeit mit der Erwachsenenschutzbehörde unverzüglich ein Inventar der zu verwaltenden Vermögenswerte auf (Art. 405 Abs. 2 ZGB).
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§ 12 Erwachsenenschutzrecht
Rechtfertigen es die Umstände, insbesondere wenn die Vermögensverhältnisse unklar sind, kann die Erwachsenenschutzbehörde die Aufnahme eines öffentlichen Inventars i.S.v. Art. 580 ff. ZGB anordnen (Art. 405 Abs. 3 ZGB).
(41) Der Beistand darf die verbeiständete Person bei entsprechend errichteter Beistandschaft vertreten (Art. 394 ff. ZGB; vgl. betr. Vermögensverwaltung insb. Art. 408
ZGB). Bezüglich Rechtsgeschäfte, für welche die Zustimmung der Vormundschaftsbehörde erforderlich ist, vgl. Art. 416 ZGB, insb. dessen Abs. 2, der allgemein Verträge mit Interessenkonflikten betrifft). Die Ausrichtung von Schenkungen, die Errichtung von Stiftungen und die Abgabe von Bürgschaftserklärungen für die verbeiständete Person sind dem Beistand untersagt (Art. 412 Abs. 1 ZGB). Für den Abschluss
eines Vertrags, der höchstpersönliche Rechte des Verbeiständeten betrifft, ist, soweit
dies nach den Umständen möglich ist, dessen Zustimmung erforderlich (vgl. Art. 407
i.V.m. 19c ZGB).
(42) Der Beistand führt über seine Spesen und die Ausgaben und Einkünfte des Verbeiständeten Rechnung. Er erstattet der Erwachsenenschutzbehörde so oft wie nötig, mindestens aber alle zwei Jahre Bericht und legt ihr die Rechnung vor (Art. 410 f.
ZGB). Sind aufgrund veränderter Verhältnisse andere als die angeordneten erwachsenenschutzrechtlichen Massnahmen notwendig, informiert der Beistand die Erwachsenenschutzbehörde umgehend, damit diese (von Amtes wegen) Anpassungen
an der Ausgestaltung der Beistandschaft vornehmen kann (vgl. Art. 414 ZGB).
(43) Bei der Erfüllung seiner Aufgaben ist der Beistand zur gleichen Sorgfalt wie der
Beauftragte verpflichtet (Art. 413 Abs. 1 ZGB). Er hat die Interessen des Verbeiständeten zu wahren und so weit wie möglich auf seinen Willen und seine Meinung
Rücksicht zu nehmen (Art. 406 Abs. 1 OR). Er ist zur Verschwiegenheit angehalten
und darf nur dann Geheimnisse preisgeben, wenn daran ein überwiegendes Interesse besteht (Art. 413 Abs. 2 ZGB). Wenn es für die gehörige Erfüllung seiner Aufgaben als Beistand erforderlich ist, ist er sogar verpflichtet, Dritte über die Beistandschaft zu orientieren (Art. 413 Abs. 3 ZGB). Dies gilt namentlich, wenn er als Vertreter der verbeiständeten Person Rechtsgeschäfte abschliesst und Gläubiger darüber
orientiert, dass sie mit befreiender Wirkung nur an ihn leisten können (vgl. Art. 452
Abs. 2 ZGB; BBl 2006 7055).
1.5
Ende der Beistandschaft
(44) Der Beistand wird grundsätzlich auf eine Amtsdauer von vier Jahren gewählt.
Nach dieser Dauer hat er Anspruch auf Entlassung aus seinem Amt (Art. 422 Abs. 1
15
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§ 12 Erwachsenenschutzrecht
ZGB). Vorher kann er die Entlassung nur aus einem wichtigen Grund verlangen (Art.
422 Abs. 2 ZGB). Von der Erwachsenenschutzbehörde entlassen wird der Beistand,
wenn er für die Bewältigung seiner Aufgaben nicht mehr geeignet ist oder ein anderer wichtiger Grund vorliegt, insbesondere wenn die Wahlvoraussetzungen des Beistands gemäss Art. 400 Abs. 1 ZGB nicht mehr erfüllt sind (Art. 423 ZGB; BBl 2006
7060). Das Amt des Beistandes endet von Gesetztes wegen mit Ablauf einer von der
Erwachsenenschutzbehörde festgelegten Amtsdauer und, sofern keine Bestätigung
im Amt erfolgt, mit Ende des Arbeitsverhältnisses als Berufsbeistand. Es endet zudem im Zeitpunkt, in dem der Beistand selbst verbeiständet oder urteilsunfähig wird,
stirbt oder die verbeiständete Person wieder vollkommen handlungsfähig wird (Art.
421 ZGB). Allenfalls ist eine teilweise „Rückstufung“ der Massnahme geboten.
(45) Der Beistand hat am Ende seiner Amtszeit einen Schlussbericht mit einer
Schlussrechnung zuhanden der Erwachsenenschutzbehörde zu erstellen (Art. 425
Abs. 1 ZGB). Der Bericht und die Rechnung werden von der Erwachsenenschutzbehörde geprüft und genehmigt (Art. 425 Abs. 2 ZGB). Die Behörde hat dabei insbesondere abzuklären, ob ein Verantwortlichkeitsfall vorliegt (BBl 2006, 7061). Sie stellt
den Bericht und die Rechnung der betroffenen Person oder deren Erben und gegebenenfalls dem neuen Beistand zu (Art. 425 Abs. 3 ZGB). Sie teilt ihnen mit, ob sie
den Bericht und die Rechnung genehmigt hat oder nicht (Art. 425 Abs. 4 ZGB).
2.
Die fürsorgerische Unterbringung
2.1
Voraussetzungen der fürsorgerischen Unterbringung
(46) Die fürsorgerische Unterbringung ist gegen den Willen einer schutzbedürftigen
Person in einer geeigneten Einrichtung anzuordnen, wenn sie an einer psychischen
Störung (worunter auch die Suchtkrankheit fällt) leidet oder schwer verwahrlost ist
(Art. 426 Abs. 1 ZGB). Beim Entscheid über diese Massnahme ist die Belastung und
der Schutz der Angehörigen und Dritter mit zu berücksichtigen (Art. 426 Abs. 2 ZGB).
Die Unterbringung ist insbesondere anzuordnen, wenn Betreuungspersonen (Anhgehörige, Heim, Spitex etc.) überfordert sind oder wenn die Gefahr besteht, dass die
geistig verwirrte Person eine schwere Straftat begeht (BBl 2006 7062 f.). Die fürsorgerische Unterbringung ist als freiheitsentziehende Erwachsenenschutzmassnahme
subsidiär. Sie kann nur angeordnet werden, wenn andere Massnahmen eine ungenügende Wirkung zeigen, insbesondere eine Betreuung am Aufenthaltsort der Person – auch unter dem Gesichtspunkt der Kosten – nicht realistisch ist (s. BBl 2006
7062).
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Familienrecht / P. Breitschmid
2.2
§ 12 Erwachsenenschutzrecht
Zurückbehaltung von freiwillig in eine Einrichtung für Personen mit psychischer
Störung eingetretene Erwachsene
(47) Eine freiwillig in eine Einrichtung für Personen mit psychischer Störung eingetretene erwachsene Person kann unter der Voraussetzung, dass sie sich selbst an Leib
und Leben gefährdet oder das Leben oder die körperliche Integrität Dritter ernsthaft
gefährdet, von der ärztlichen Leitung während höchstens dreier Tage gegen ihren
Willen zurückbehalten werden (Art. 427 Abs. 1 ZGB). Innerhalb dieser Tage ist ein
Entscheid der Erwachsenenschutzbehörde über die fürsorgerische Unterbringung zu
erwirken. Andernfalls muss die Person entlassen werden (Art. 427 Abs. 2 ZGB).
2.3
Durchführung der fürsorgerischen Unterbringung
(48) Der behandelnde Arzt stellt nach Einweisung der Person mit einer psychischen
Störung in eine Anstalt einen schriftlichen Behandlungsplan auf. Er versucht die eingewiesene Person nach Möglichkeit mit einzubeziehen. Gleiches gilt auch für die
Person des Vertrauens der eingewiesenen Person, falls sie eine solche beigezogen
hat (Art. 433 Abs. 1 ZGB; zur Person des Vertrauens vgl. Art. 432 ZGB). Die Person
des Vertrauens muss die Möglichkeit haben, die eingewiesene Person zu begleiten,
zu beraten und sich auch gegen ungerechtfertigte Anordnungen zur Wehr zu setzen
(vgl. BBl 2007 7067; Art. 439 Abs. 1 ZGB).
(49) Der eingewiesenen Person ist der Behandlungsplan unabhängig davon, ob sie
urteilsfähig ist oder nicht, zur Zustimmung zu unterbreiten (Art. 433 Abs. 3 ZGB).
Fehlt es an der Zustimmung, kann der leitende Arzt der Abteilung die Behandlung
der eingewiesenen Person dennoch anordnen, wenn sie bezüglich ihrer Behandlungsbedürftigkeit urteilsunfähig ist und ihr ohne Behandlung ein ernsthafter gesundheitlicher Schaden droht oder das Leben oder die körperliche Integrität Dritter ernsthaft gefährdet ist und wenn keine angemessene mildere Massnahme zur Verfügung
steht (Art. 434 Abs. 1 ZGB). Die Anordnung wird der eingewiesenen Person und –
falls vorhanden – ihrer Vertrauensperson zusammen mit einer Rechtsmittelbelehrung
schriftlich mitgeteilt (Art. 434 Abs. 2 ZGB). In Notfallsituationen können die zum
Schutz der eingewiesenen Person oder Dritter unerlässlichen Massnahmen sofort
ergriffen werden, wobei nach Möglichkeit und sofern bekannt der Wille der eingewiesenen Person mit zu berücksichtigen ist (Art. 435 ZGB).
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Familienrecht / P. Breitschmid
§ 12 Erwachsenenschutzrecht
VI. Organisation und Verfahren
1.
Verfahren
1.1
Im Allgemeinen
(50) Das Verfahren vor der Erwachsenenschutzbehörde und auch vor den Gerichten
wird im Wesentlichen im Bundesrecht geregelt (vgl. Art. 443 ff. ZGB [Verfahren vor
der Erwachsenenschutzbehörde]; Art. 450 ff. ZGB [Verfahren vor Gericht]). Wichtige
Verfahrensbestimmungen finden sich aber auch im kantonalen Recht (vgl. im Kanton
Zürich § 45 ff. EG KESR [Verfahren vor der Kindes- und Erwachsenenschutzbehörde]; § 63 ff. EG KESR [Beschwerdeverfahren]).
(51) Grundsätzlich können Betroffene, aber auch ihnen nahe stehende Personen, an
die Erwachsenenschutzbehörde gelangen, wenn sie mit einer Handlung oder Anordnung des Beiständs oder mit einer freiheitsentziehenden Massnahme ihrer Wohnund Pflegeeinrichtung nicht einverstanden sind (Art. 385 Abs. 1 ZGB [Rückbehaltung
in Wohn- und Pflegeeinrichtungen]; Art. 419 ZGB [Handlungen oder Unterlassungen
des Beistandes]). Für Rechtsmittel gegen Entscheide über die fürsorgerische Unterbringung ist hingegen das Gericht zuständig, auch wenn sie nicht von der Erwachsenenschutzbehörde getroffen werden (vgl. Art. 427 Abs. 3 ZGB, 439 Abs. 1 Ziff. 2
ZGB [Zurückbehaltung freiwillig eingetretener Personen mit psychischer Störung in
einer entsprechenden Einrichtung]; 430 Abs. 5 ZGB, 439 Abs. 1 Ziff. 2 ZGB [Ärztliche
Unterbringung in einer Einrichtung für Personen mit psychischer Störung]; Art. 339
Abs. 1 Ziff. 3-4 ZGB [Weitere Entscheide im Rahmen der fürsorgerischen Unterbringung]). Entscheide der Erwachsenenschutzbehörde können an das Gericht weiter
gezogen werden (Art. 450 Abs. 1 ZGB).
1.2
Verfahren vor der Erwachsenschutzbehörde
(52) Jedermann, der von einer hilfsbedürftigen Person erfährt, kann, soweit er dabei
kein Berufsgeheimnis verletzt, bei der Erwachsenenschutzbehörde Meldung erstatten (Art. 443 Abs. 1 ZGB). Zur Meldung verpflichtet sind Personen in amtlicher Tätigkeit (Art. 443 Abs. 2 ZGB). Der Begriff der amtlichen Tätigkeit ist weit auszulegen.
Darunter fällt die Tätigkeit jeder Person, die öffentlichrechtliche Befugnisse ausübt,
auch wenn die Person nicht in einem Beamten- und Anstellungsverhältnis zum Gemeinwesen steht (BBl 2006 7076).
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Familienrecht / P. Breitschmid
§ 12 Erwachsenenschutzrecht
(53) Die Erwachsenenschutzbehörde erforscht den Sachverhalt von Amtes wegen,
zieht Erkundigungen ein und erhebt die notwendigen Beweise (Art. 446 ZGB). Kann
ein endgültiger Entscheid über die Anordnung von Massnahmen nicht abgewartet
werden, besteht die Möglichkeit, vorsorgliche Massnahmen anzuordnen; bei besonderer Dringlichkeit auch ohne Anhörung der betroffenen Personen (Art. 445 Abs. 1
und 2 ZGB). Um einen endgültigen Entscheid zu fällen, hat die Erwachsenenschutzbehörde die betroffene Person aber anzuhören sofern dies nicht unverhältnismässig
wäre (Art. 447 ZGB). Unverhältnismässigkeit liegt in Fällen vor, in denen lediglich
unbedeutende ergänzende Anordnungen getroffen werden müssen (BBl 2006 7079).
Eventuell ist ein Gutachten einzuholen (Art. 449 ZGB) oder eine Person zu bestellen,
welche die schutzbedürftige Person im Verfahren vor der Erwachsenenschutzbehörde oder, falls es zu einem gerichtlichen Verfahren kommt, vor Gericht vertritt (Art.
449a ZGB).
1.3
Vor Gericht
(54) Der Entscheid der Erwachsenenschutzbehörde kann mit Beschwerde an ein
Gericht angefochten werden (Art. 450 ZGB). Die Frist beträgt 30 Tage bzw. auf dem
Gebiet der fürsorgerischen Unterbringung 10 Tage seit Eröffnung des Entscheids
(Art. 439 Abs. 2; Art. 450b ZGB). Bei Massnahmen zur Einschränkung der Bewegungsfreiheit kann das Gericht jederzeit angerufen werden (Art. 439 Abs. 2 ZGB).
Das Gericht prüft den Entscheid auf Rechtsverletzungen, unrichtige oder unvollständige Feststellung des rechtserheblichen Sachverhalts und auf Unangemessenheit
(Art. 450a Abs. 2 ZGB).
2.
Zuständigkeit
(55) Grundsätzlich ist die Erwachsenenschutzbehörde am Wohnsitz der betroffenen
Person für eine Erwachsenenschutzmassnahme zuständig (Art. 442 Abs. 1 ZGB; vgl.
aber zur Zuständigkeit von besonderen Ärzten und Wohn- und Pflegeeinrichtungen
Rz 7, Rz 28). In besonders dringenden Fällen kann auch die Behörde an deren Aufenthaltsort handeln (Art. 442 Abs. 2 ZGB).
VII. Umfang und Folgen der Einschränkung der Handlungsfähigkeit
(56) Wie bereits zu den einzelnen Beistandsarten erwähnt, kann die Handlungsfähigkeit der verbeiständeten Person in Bezug auf die Arten der Rechtsgeschäfte, die sie
abschliessen darf, unterschiedlich stark eingeschränkt werden. Dies hat zur Folge,
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§ 12 Erwachsenenschutzrecht
dass sie sich je nach Ausgestaltung der Beistandschaft in unterschiedlichem Mass
von ihrem Beistand vertreten lassen, bzw. dass der Beistand bei der Mitwirkungsbeistandschaft bei einem grösseren oder kleineren Kreis von Rechtsgeschäften (als
Kollektivzeichnungsberechtigter) mitwirken muss (Art. 19 Abs. 1 ZGB). Rechtsgeschäfte, die nur Vorteile bringen sowie Rechtsgeschäfte des täglichen Bedarfs (Einkauf von Nahrungsmittel, Kleider und Haushaltsgegenstände) können Handlungsunfähige ohne Mitwirkung des Beistandes abschliessen (Art. 19 Abs. 2 ZGB). Die dafür
notwendigen Mittel erhalten sie vom Beistand aus ihrem Vermögen zur freien Verfügung (Art. 409 ZGB). Rechte, die den Handlungsunfähigen um ihrer Persönlichkeitswillen zustehen, üben sie, sofern das Gesetz nichts anderes vorsieht und sie urteilsfähig sind, ebenfalls selbständig aus (Abs. 19c Abs. 1 ZGB; Bsp. Eingehung einer
Ehe und Verlobung).
(57) Die Frage, welche Wirkungen das rechtsgeschäftliche Handeln einer verbeiständeten und handlungsunfähigen Person in Bezug auf ein bestimmtes Rechtsgeschäft hat, wird in Art. 19a und 19b ZGB umschrieben: Genehmigt der Beistand das
Rechtsgeschäft nicht innert angemessener Frist, wird die andere Partei von ihrer
Verpflichtung frei (Art. 19a Abs. 2; zur Genehmigung vgl. Art. 19a Abs. 1 ZGB). Bereits vollzogene Leistungen können zurückgefordert werden (Art. 19b Abs. 1 ZGB).
Hat die handlungsunfähige Person den anderen Teil zur irrtümlichen Annahme ihrer
Handlungsfähigkeit verleitet, so ist sie ihm für den dadurch entstandenen Schaden
(negatives Vertragsinteresse) verantwortlich, sofern der Vertrag nicht genehmigt wird
(Art. 19c Abs. 2 OR).
VIII. Verantwortlichkeit
(58) Gemäss Art. 454 Abs. 1 und 2 ZGB hat Anspruch auf Schadenersatz und sofern
die Schwere der Verletzung es rechtfertigt auch auf Genugtuung, wer im Rahmen der
behördlichen Massnahmen des Erwachsenenschutzes durch widerrechtliches Handeln oder Unterlassen verletzt wird. Behördliche Massnahmen des Erwachsenenschutzes sind Beistandschaften (Art. 390 ff. ZGB) und die fürsorgerische Unterbringung (Art. 426 ff. ZGB), einschliesslich der im Zusammenhang damit durchgeführten
Behandlungen (Art. 433 ZGB; BBl 2006 7092). Träger der Verantwortung ist direkt
und ausschliesslich der Kanton (Art. 454 Abs. 3 ZGB). Zur Verjährung vgl. Art. 455
ZGB.
(59) Hat eine vorsorgebeauftragte Person (Art. 360 ZGB) einer urteilsunfähigen Person einen Schaden verursacht, bestimmt sich nach Auftragsrecht bzw. nach dem
Recht der unerlaubten Handlungen, ob der Schaden zu ersetzen ist. Träger der Ver20
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antwortung ist die beauftragte Person (Art. 375 ZGB; Art. 456 ZGB). Ähnlich steht
auch die Wohn- und Pflegeeinrichtung (Art. 382 ZGB) zur urteilsunfähigen Person in
einem Auftragsverhältnis (Art. 394 OR). Danach richtet sich auch deren Haftung.
Vorbehalten sind allerdings „Aufsichtsversäumnisse“ der Behörden.
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