Max-Planck-Gesellschaft - Vorhersage von Materialeigenschaften

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In der modernen Materialforschung besteht ein wachsender Bedarf an leistungsfähigen und genauen Methoden
zur Vorhersage von Materialeigenschaften. Eine Schlüsselgröße dafür ist die freie Energie einer Kristallstruktur.
In diesem Beitrag werden die Möglichkeiten moderner, auf der Quantenmechanik basierender
Simulationsmethoden diskutiert, diese Energien zu bestimmen. Es wird gezeigt, dass sie selbst komplizierte
Sequenzen von Phasenübergängen korrekt vorhersagen können, womit sich für die Entwicklung und
Optimierung innovativer maßgeschneiderter Materialien neue Perspektiven eröffnen.
Computergestütztes Materialdesign
In den vergangenen Jahren gab es bemerkenswerte Fortschritte bei der Simulation von Materialeigenschaften von
Festkörpern durch vollständig parameterfreie theoretische Methoden, die auf den grundlegenden Gesetzen der
Quantenmechanik beruhen. Der große Vorteil gegenüber konventionellen Simulationen ist, dass Vorhersagen allein auf dem
Computer gemacht werden können – selbst für völlig neue bzw. noch nicht synthetisierte Werkstoffe werden keine
experimentellen bzw. empirisch anpassbaren Eingabegrößen benötigt. Für einen solchen ab initio (lat.: aus ersten Prinzipien)
Zugang hat sich insbesondere die Dichtefunktionaltheorie (DFT) bewährt. Sie erlaubt eine akkurate Berechnung der
Grundzustandsenergie, E(T=0K), der vorliegenden Kristallstruktur. Jedoch ist der Grundzustand in vielen Fällen nicht
identisch mit der Struktur, die bei typischen Anwendungen auftritt. Je nach chemischer Zusammensetzung und
Umgebungsparametern (vor allem Temperatur, aber auch Druck, elektrische/magnetische Felder etc.) können vielmehr
komplizierte Phasenumwandlungen auftreten. Ein zentrales Anliegen der modernen Materialforschung ist es, diese
Umwandlungen gezielt einzustellen und für Anwendungen nutzbar zu machen. Dementsprechend muss sich ein
computergestütztes Materialdesign der Aufgabe stellen, die thermodynamische Stabilität von Kristallstrukturen bei endlichen
Temperaturen T>0K zu bestimmen. Für die theoretische Modellierung dieser Abhängigkeiten ist die freie Energie F(V,T) die
zentrale Größe. Nicht nur kann man an deren Minima die (meta)stabilen Strukturen erkennen, sie dient darüber hinaus zur
Bestimmung von experimentell messbaren thermodynamischen Größen wie Übergangstemperaturen,
Expansionskoeffizienten oder Wärmekapazitäten.
Ab initio Bestimmung der freien Energie
Eine ab initio Bestimmung freier Energien stellt eine große Herausforderung dar, da eine Vielzahl thermodynamischer
Anregungsprozesse (wie vibronische, elektronische und magnetische Anregungen, chemische Unordnung, Gitterfehler und
deren Wechselwirkung) berücksichtigt werden müssen. Da der damit verbundene numerische Aufwand immens ist und
häufig die verfügbaren Rechnerkapazitäten überschreitet, hat man sich in der Vergangenheit bei der Materialsimulation oft
nur auf jeweils einen dieser Anregungsprozesse beschränkt. In der Abteilung „Computergestütztes Materialdesign“ am MPI
für Eisenforschung (MPIE) werden derzeit die notwendigen Methoden entwickelt, um alle in Metallen relevanten
thermodynamischen Prozesse parameterfrei und mit einer so hohen Genauigkeit zu bestimmen, dass der numerische Fehler
in der Größenordnung der Fehlerbalken typischer Experimente liegt. Die Analysen anhand von ausgewählten Metallen führten
zu bemerkenswerten Aussagen über den Einfluss einzelner Anregungsprozesse auf die thermodynamischen Eigenschaften
dieser Materialien.
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Freie Energie von Kupfer als Funktion der Temperatur.
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Es ist bekannt, dass in den meisten Metallen die Gitterschwingungen (Phononen) den größten Beitrag zur Entropie liefern
und entscheidenden Einfluss auf die thermische Ausdehnung haben. Die Bestimmung der Phononenfrequenzen mit ab initio
Methoden gelingt am elegantesten im Rahmen der quasiharmonischen Näherung [1]. Alle mit der Bewegung von Atomen
verbundenen Kräfte werden dabei aus der DFT gewonnen, zur dynamischen Matrix zusammengefasst und liefern ein
Eigenspektrum für die Phononen. Mithilfe der Quantenstatistik lässt sich daraus der Schwingungsbeitrag zur freien Energie
F(T,V) bestimmen. Ein systematischer Test dieses Verfahrens für eine Vielzahl von Metallen [2] ergab eine sehr gute
Übereinstimmung der ab initio berechneten freien Energie mit experimentellen Datenbanken: Über einen Temperaturbereich
von über 1000 K betrugen die Abweichungen meist weniger als 5 % ( ≈ 20 meV/atom). Aufgrund der hohen numerischen
Genauigkeit der Studie (
1. In der DFT arbeitet man mit einem genäherten analytischen Ausdruck für die Wechselwirkung der Elektronen. Dabei
stehen LDA und GGA für die bekanntesten Näherungen, die für die Vorhersage von Materialeigenschaften auch beide
getestet werden sollten. Kupfer (Abb. 1) ist ein typisches Beispiel für deren Auswirkung auf die ermittelte freie Energie:
Systematische Untersuchungen am MPIE zeigen, dass die Differenz der mit den beiden Näherungen erzielten Ergebnisse
(farbige Linien) es erlaubt, auf die Abweichung vom Experiment (Punkte) zu schließen.
2. Alle darüber hinausgehenden Abweichungen sind physikalischen Effekten zuzuschreiben, die mit der quasiharmonischen
Näherung nicht abgedeckt werden. Dabei sind kleine Abweichungen in der freien Energie (wenige %) in abgeleiteten
thermodynamischen Größen meist deutlich klarer sichtbar (Abweichungen von 10% und mehr). Diese Effekte sollen im
Folgenden diskutiert werden.
Vielfalt der Anregungsprozesse in Festkörpern
In Abbildung 2 ist die Wärmekapazität von Rhodium aufgetragen. Die gestrichelten Linien geben das Ergebnis der
quasiharmonischen Näherung an, wobei LDA und GGA sich nur unwesentlich unterscheiden. Die Abweichung zum Experiment
(Punkte) ist vielmehr auf elektronische Anregungen zurückzuführen, die aufgrund von dessen elektronischer Struktur in
Rhodium besonders stark ausgeprägt sind. Die korrekte Hinzunahme dieses Effekts in die ab initio Theorie [3]
(durchgezogene Linien) liefert eine hervorragende Übereinstimmung mit dem Experiment [2].
Wärmekapazität von Rhodium als Funktion der Temperatur.
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In Abbildung 3 ist der thermische Ausdehnungskoeffizient von Aluminium zu sehen. Erneut kann die Tatsache, dass der von
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den quasiharmonischen Anregungen resultierende Beitrag (gestrichelte Linien) systematisch neben dem Experiment (Punkte)
liegt, nicht durch Näherungen in der Elektronen-Wechselwirkung (nur GGA gezeigt) erklärt werden. In der Fachliteratur gibt
es seit einigen Jahrzehnten eine Debatte darüber, ob explizite Anharmonizitäten oder die Bildung von Gitterleerstellen
bei hohen Temperaturen verantwortlich sind [4]. Um beide Effekte im Rahmen der DFT mit der notwendigen Genauigkeit und
Effizienz berücksichtigen zu können (durchgezogene Linie), mussten zunächst neue Methoden entwickelt werden. Darauf
aufbauend hat die Forschung am MPIE jetzt ergeben, dass nur die Gitterleerstellen die Trends richtig beschreiben können.
Thermischer Ausdehnungskoeffizient von Aluminium als Funktion der Temperatur.
© Max-Planck-Institut für Eisenforschung GmbH
In Abbildung 4 kann man an den experimentellen Daten erkennen, dass die Wärmekapazität von Eisen bei ca. 1000 K einen
starken Anstieg aufweist. Dieser magnetische Effekt (unterhalb von T
C
= 1041 K ist Eisen ferromagnetisch geordnet) wird
durch die quasiharmonische Näherung (gestrichelte Linie) nicht erfasst. Am MPIE wurde daher eine neue Theorie entwickelt,
die basierend auf DFT und Modellüberlegungen die Bestimmung des Anteils magnetischer Anregungen an der freien
Energie erlaubt [5]. Wird dieser Effekt berücksichtigt (durchgezogene Linie), liegt die theoretische Kurve unterhalb von T
nahezu perfekt auf dem Experiment.
C
Wärmekapazität von Eisen als Funktion der Temperatur.
© Max-Planck-Institut für Eisenforschung GmbH
Die gezeigten Beispiele verdeutlichen, dass nach aufwendigen Entwicklungen jetzt die Methoden vorliegen, um alle
relevanten temperaturabhängigen Anregungsprozesse in Metallen parameterfrei und akkurat zu berechnen. Aufgrund der
hohen numerischen Genauigkeit dieser Methoden ist es nun möglich, den Einfluss jedes einzelnen physikalischen Effekts auf
die Temperaturabhängigkeit experimentell messbarer Größen zu ermitteln.
Phasenübergänge in der Formgedächtnislegierung Ni MnGa
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Damit sind jetzt die Voraussetzungen geschaffen, um die eingangs erwähnte Stabilität von Kristallstrukturen bei endlichen
Temperaturen zu bestimmen. Dies sei abschließend am Beispiel der metallischen Legierung Ni MnGa demonstriert. Für diese
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ist bekannt, dass sie in einer austenitischen, einer pre-martensitischen oder einer martensitischen Kristallstruktur auftreten
kann. Vor einigen Jahren hat man die faszinierende Entdeckung gemacht, dass ein Werkstück aus Ni MnGa ein Gedächtnis
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für seine Form besitzt: Befindet sich das Werkstück in der martensitischen Struktur kann es nach Belieben verbogen werden
– sobald es durch Wärmebehandlung wieder die austenitische Kristallstruktur annimmt, wird es immer so aussehen, als wäre
es nie verformt worden! Um diesen Effekt gezielt beeinflussen zu können, ist eine Vorhersage, bei welchen Temperaturen
welche der drei Kristallstrukturen thermodynamisch stabil ist, wichtig. Dazu ist für jede Struktur die freie Energie F(V,T) zu
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bestimmen. Das Ergebnis der Analyse ist in Abbildung 5 zu sehen: Die freie Energie des Martensiten ist unterhalb von T
150 K am niedrigsten und die freie Energie des Austeniten ist oberhalb von T = 240 K am niedrigsten. Ein solches, mit
M
=
A
experimentellen Daten sehr gut übereinstimmendes Ergebnis konnte nur durch eine Kombination der Effekte von
quasiharmonischen, elektronischen und magnetischen Anregungen erzielt werden [6].
Thermodynamische Stabilität verschiedener Kristallstrukturen von Ni MnGa.
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Originalveröffentlichungen
S. M. Foiles:
Evaluation of harmonic methods for calculating the free energy of
defects in solids.
Physical Review B 49, 14930-14938 (1994).
B. Grabowski, T. Hickel, J. Neugebauer:
Ab initio study of the thermodynamic properties of nonmagnetic
elementary fcc metals: Exchange-correlation-related error bars and
chemical trends.
Physical Review B 76, 024309 (2007).
N. D. Mermin:
Thermal Properties of the Inhomogeneous Electron Gas.
Physical Review 137, A1441-A1443 (1965).
Y. Kraftmakher:
Equilibrium vacancies and thermophysical properties of metals.
Physics Reports 299, 79-188 (1998).
F. Körmann, A. Dick, B. Grabowski, B. Hallstedt, T. Hickel, J. Neugebauer:
Free energy of bcc iron: Integrated ab initio derivation of
vibrational, electronic, and magnetic contributions.
Physical Review B 78, 033102 (2008).
M. A. Uijttewaal, T. Hickel, J. Neugebauer, M. E. Gruner, P. Entel:
Understanding the Phase Transitions of the Ni MnGa Magnetic
Shape Memory System from First Principles.
Physical Review Letters 102, 035702 (2009).
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