Im Juni 1157 belagerten die Deutschen Brandenburg an der Havel. Gleich nach ihrem ersten Ansturm kapitulierten Jaczas Männer am 11. Juni; der Slawenfürst konnte sich im letzten Moment aus der Burg retten. Um diesen Erfolg augenfällig zu dokumentieren, legte Albrecht der Bär seinen Titel als Markgraf der Nordmark ab und nannte sich hinfort Markgraf von Brandenburg. Er war nun bis zu seinem Tod im Jahre 1170 oberster Grund-, Gerichts- und Kriegsherr des Landes. In einer Urkunde vom 3. Oktober 1157 nannte sich Albrecht erstmals offiziell „Dei gratia marchio in Brandenborch“ (von Gottes Gnaden Markgraf von Brandenburg). Dieses Ereignis vor 850 Jahren gilt heute als Geburtsstunde der Mark Brandenburg. 19. Ein Kniefall mit historischen Folgen Die Stadt Chiavenna nördlich vom Comer See gehörte 1176 zum deutschen Herzogtum Schwaben. Hier trafen Anfang Februar die beiden mächtigsten Männer Europas zusammen: Kaiser Friedrich I., genannt „Barbarossa“, und Heinrich der Löwe, Herzog von Sachsen und Bayern. Es fand eine dramatische Unterredung statt, wobei Friedrich den Herzog um Waffenhilfe bat. Die Szene endete damit, dass der Kaiser sogar auf seine Knie fiel. Es sollte ein Kniefall mit historischen Konsequenzen werden. Als Heinrich der Löwe in Chiavenna eintraf, war er 46 Jahre alt und konnte auf eine erfolgreiche politische Laufbahn zurückblicken. Seit 1142 Herzog von (Nieder-) Sachsen und seit 1156 von Bayern, hatte er seine Ländereien klug regiert, die Wirtschaft gefördert, Städte wie Lübeck gegründet, andere wie München oder Schwerin ausgebaut und Kreuzzüge gegen die heidnischen Wenden im heutigen Mecklenburg geführt. Sein Territorium reichte in Sachsen von Dortmund bis Rostock und von Hamburg bis Quedlinburg. Bayern erstreckte sich von Nürnberg bis Südtirol. Der Herzog aus dem Welfengeschlecht erwies sich als getreuer Reichsfürst und ging mit seinem Cousin Friedrich 1154/55 und 1159 auf Kriegszug nach Italien. Der 1152 zum König erwählte Rotbart lag in ständigem Streit mit dem Papst und einem mächtigen Bund oberitalienischer Städte wie Mailand und Florenz. Seine Ritter erlitten etli52 che Schlappen und Friedrich musste mehrfach über die Alpen nach Deutschland fliehen. Sinn und Zweck dieser Feldzüge leuchteten Heinrich immer weniger ein. Ihm ging es darum, sein Territorium ökonomisch zu stärken und Neuland im Osten zu erschließen. 1172 unternahm er eine Pilgerfahrt nach Jerusalem. Von dort brachte er als Symbol seines Beinamens einen zahmen Löwen mit in seine Hauptstadt Braunschweig und ließ ihm dort ein vergoldetes Bronzedenkmal errichten. Kaiser Friedrich befand sich derweil wieder in argen militärischen Schwierigkeiten. Während des Winters 1174/75 hatte er die ihm besonders verhasste Stadt Alessandria vergeblich belagert. Nun begann ihm das Geld auszugehen und er war gezwungen, den größten Teil seiner Streitmacht über die Alpen nach Norden zu entlassen. In höchster Not bat Friedrich den Herzog Heinrich um eine Zusammenkunft. Der Welfe befand sich gerade in Bayern und folgte dem Ruf nach Chiavenna. Der kaiserliche Kniefall blieb vergeblich Hier hielt Friedrich zunächst eine hymnische Lobrede auf Heinrich den Löwen und schilderte ihm dann seine eigenen Verhältnisse in den düstersten Farben, er sprach sogar vom „Reich, welches jetzt zu wanken beginnt“. Am Ende verlangte er von dem Welfen, dieser solle ihm an der Spitze eines neu aufgestellten Heeres Waffenhilfe leisten. Heinrich antwortete, er sei „zu jeder Dienstleistung bereitwillig“ und würde dem Kaiser Gold, Silber und alles sonst Nötige für eine Streitmacht zur Verfügung stellen. Allein er werde weder aktiv in die Kämpfe eingreifen 53 noch seine Ritter und Knechte für einen erneuten Feldzug aufbieten. Als der leicht erregbare Barbarossa ihn an seinen Lehenseid erinnerte, verwies Heinrich kühl auf die bestehende Rechtslage, wonach er außerhalb der deutschen Lande zu keiner Unterstützung des Kaisers verpflichtet sei. Je hartnäckiger sich Heinrich weigerte, desto exaltierter wurde Friedrich; schließlich fiel er auf seine Knie und flehte den Herzog um Beistand an. Diese theatralische Geste kam für den Löwen wohl so unerwartet, dass er es versäumte, seinen kaiserlichen Herrn wieder auf die Beine zu stellen. Laut einem Chronisten soll erst die anwesende Kaiserin Beatrix gesagt haben: „Erhebe Dich, mein Gebieter und gedenke dieses Hochmuts, an den sich auch Gott erinnern möge!“ Heinrich verließ Chiavenna und zog zunächst wieder nach Bayern. Am 25. Mai 1176 erlitt Friedrich Barbarossa mit seinen viel zu wenigen Rittern in der Schlacht bei Legnano nordwestlich von Mailand eine weitere Niederlage gegen das lombardische Fußvolk. Ein Jahr später musste er Frieden schließen und kehrte 1178 rachedurstig nach Deutschland zurück. Im folgenden Jahr berief er drei Fürstentage, auf denen sich Heinrich rechtfertigen sollte. Doch der stolze Welfe blieb diesen Veranstaltungen demonstrativ fern. Das war der willkommene Anlass für den Kaiser, ihn 1180 zu ächten und seiner Länder verlustig zu erklären. Er zog sämtliche Truppen aus Italien ab, verbündete sich mit Heinrichs kirchlichen Gegnern wie dem Erzbischof von Köln und zog nach Sachsen. Zwei Jahre konnte der Herzog Widerstand leisten, dann musste er ins Exil nach England, der Heimat seiner Gemahlin, gehen. Dieses Ereignis war nicht nur für Heinrich den Löwen bedeutsam, sondern für die gesamte deutsche Geschichte. Kaiser Friedrich I. teilte nämlich dessen Territorium als Belohnung unter seine Vasallen auf, die ihm Waffenhilfe geleistet hatten. Die Zersplitterung des deutschen Landes nahm hier ihren Anfang. Im Norden wurde aus Heinrichs stolzem Reich ein territorialer Flickenteppich von Anhalt bis Braunschweig, von Mecklenburg bis Cleve und Holstein. Vom Herzogtum Bayern wurden Kärnten und die Steiermark abgetrennt und Österreich zugeschlagen. Die künftig oft gegensätzlichen politischen Kernräume um Wien und München bildeten sich heraus. All das war Folge eines wahrhaft historischen Kniefalls. 54