Krankenhäuser brauchen eine integrierte Personalentwicklung Stand und Perspektiven einer integrierten Personalentwicklung an den Universitätsklinika Deutschlands, Österreichs und der Schweiz eingereicht an der Fakultät I Bildungs-, Kultur- und Sozialwissenschaften der Leuphana Universität Lüneburg zur Erlangung des Grades Doktor der Philosophie - Dr. phil. vorgelegte Dissertation von Karlheinz Jung geb. am 03. November 1952 in Zell im Wiesental eingereicht am 26. Juni 2009 Erste Gutachterin: Frau Professor Dr. Maria-Eleonora Karsten Zweiter Gutachter: Herr Professor Dr. Herbert Colla Dritter Gutachter: Herr Professor Dr. Günter Rausch Tag der Disputation: 02. März 2010 Ich habe auf die jeweils weibliche und männliche Schreibweise verzichtet, um die Lesbarkeit des Textes nicht zu beeinträchtigen. Selbstverständlich sind jeweils beide Geschlechter umfasst. Seite 2 von 430 Inhaltsverzeichnis VORWORT ........................................................................................................................... 9 0 EINFÜHRUNG ....................................................................................................15 0.1 ZIELE DES FORSCHUNGSPROJEKTS ...............................................................16 0.2 HYPOTHESEN ZUM UNTERSUCHUNGSFELD ....................................................18 0.3 HERAUSFORDERUNGEN DER THEORIE ...........................................................18 TEIL I: DER UNTERSUCHUNGSGEGENSTAND PERSONALENTWICKLUNG IM KRANKENHAUS.................................................................................................25 1 BEDEUTUNG UND DEFINITION VON PERSONALENTWICKLUNG IM KRANKENHAUS.................................................................................................25 1.1 BEDEUTUNG DES THEMAS FÜR DAS GESUNDHEITSWESEN UND DARÜBER HINAUS ...................................................................................................................25 1.2 BEDEUTUNG UND EINORDNUNG VON PERSONALENTWICKLUNG .......................29 1.2.1 DIE BANDBREITE DER DEFINITIONEN VON PERSONALENTWICKLUNG..................32 2 THEORETISCHE GRUNDLAGEN DER PERSONALENTWICKLUNG ...............39 2.1 PERSONALENTWICKLUNG UND PSYCHOLOGIE ................................................40 2.2 PERSONALENTWICKLUNG UND SOZIOLOGIE ...................................................44 2.3 PERSONALENTWICKLUNG UND BETRIEBSWIRTSCHAFT ....................................46 2.4 PERSONALENTWICKLUNG UND SYSTEMTHEORIE ............................................49 2.5 PERSONALENTWICKLUNG UND ERZIEHUNGSWISSENSCHAFT ...........................56 3 FAZIT ZUM STAND DER WISSENSCHAFTLICHEN AUSEINANDERSETZUNG MIT PERSONALENTWICKLUNG .......................................................................61 4 STELLENWERT DER PERSONAL- UND ORGANISATIONSENTWICKLUNG IM KRANKENHAUS.................................................................................................63 4.1 STAND DER PERSONALENTWICKLUNG IM KRANKENHAUS ................................67 4.2 QUALIFIKATION DER FÜHRUNGSKRÄFTE ........................................................70 5 DAS UNTERSUCHUNGSOBJEKT KRANKENHAUS .........................................73 Seite 3 von 430 5.1 UNTERSUCHUNGSOBJEKT UNIVERSITÄTSKLINIKA ...........................................78 5.2 MANAGEMENT VON UNIVERSITÄTSKLINIKA .....................................................84 5.3 DAS UNTERSUCHUNGSOBJEKT PERSONAL IM KRANKENHAUS .........................86 5.3.1 BEDEUTUNG DES PERSONALS IM DIENSTLEISTUNGSUNTERNEHMEN KRANKENHAUS ...........................................................................................................86 5.3.2 PERSONALSTRUKTUR IM KRANKENHAUS .........................................................89 5.3.3 PROBLEME DER PERSONALSTRUKTUR IM KRANKENHAUS ...............................103 5.3.4 PERSONALSTRUKTUR IN EINEM UNIVERSITÄTSKLINIKUM .................................108 5.4 ANFORDERUNGEN AN DIE PERSONALARBEIT IM KRANKENHAUS .....................111 TEIL II: UNTERSUCHUNG ZUR PERSONALENTWICKLUNG AN DEN UNIVER- SITÄTSKLINIKA IN DEUTSCHLAND, ÖSTERREICH UND DER SCHWEIZ ....113 1 DAS FORSCHUNGSKONZEPT .......................................................................113 1.1 DIE BEFRAGUNG IN DER SOZIALFORSCHUNG ...............................................115 1.2 DIE SCHRIFTLICHE BEFRAGUNG ..................................................................117 1.3 HYPOTHESEN UND VERMUTUNGEN ZUM UNTERSUCHUNGSGEGENSTAND ......122 1.4 UNTERSUCHTE KORRELATIONEN, CODIERUNG .............................................123 1.5 VALIDITÄT UND RELIABILITÄT ......................................................................125 2 ERGEBNISSE DER SCHRIFTLICHEN BEFRAGUNG .....................................127 2.1 TEILNAHME ................................................................................................127 2.2 EIGENE ORGANISATIONSEINHEIT PERSONALENTWICKLUNG ..........................128 2.3 GRUNDSÄTZE UND STELLENWERT ...............................................................129 2.3.1 LEITBILD .....................................................................................................130 2.3.2 KLINIKUMSUMFASSENDES PERSONALENTWICKLUNGSKONZEPT.......................135 2.3.3 INTERESSE DER KLINIKUMSVORSTÄNDE AN PERSONALENTWICKLUNG .............135 2.3.4 STELLENWERT DER PERSONALENTWICKLUNG ...............................................137 2.3.5 RESSOURCEN FÜR PERSONALENTWICKLUNG ................................................139 2.3.6 ZUKUNFTSBEDEUTUNG VON PERSONALENTWICKLUNG ...................................141 2.4 INTERPROFESSIONELLE ZUSAMMENARBEIT ..................................................142 2.4.1 INTERPROFESSIONELLE PERSONALENTWICKLUNG .........................................143 2.4.2 ZUSAMMENARBEIT DER BERUFSGRUPPEN .....................................................144 2.5 FÜHRUNGSKRÄFTE UND PERSONALENTWICKLUNG .......................................146 2.5.1 PERSONALENTWICKLUNG ALS FÜHRUNGSAUFGABE .......................................146 2.5.2 FÜHRUNGSKRÄFTESCHULUNG ......................................................................147 2.6 WISSENSMANAGEMENT UND ORGANISATIONALES LERNEN ............................149 2.7 MITARBEITERGESPRÄCHE MIT ZIELVEREINBARUNG ......................................150 Seite 4 von 430 2.8 FORT- UND W EITERBILDUNG .......................................................................156 2.9 DER GRAD DER INTEGRATION VON PERSONALENTWICKLUNG........................157 3 DIE EXPERTENINTERVIEWS..........................................................................161 3.1 WISSENSCHAFTLICHE BASIS FÜR DIE DURCHFÜHRUNG DER EXPERTENINTERVIEWS .................................................................................... ...................................................................................................................... .................................................................................................................161 3.1.1 METHODOLOGISCHE EINORDNUNG UND DEFINITION ......................................161 3.1.2 FORSCHUNGSFRAGE UND AUSWAHL DER EXPERTENGRUPPE .........................163 3.1.3 DIE SAMPLINGSTRUKTUR .............................................................................167 3.1.4 DURCHFÜHRUNG DER INTERVIEWS ...............................................................169 3.1.5 ANALYSE UND BEWERTUNG .........................................................................170 3.2 DEDUKTIVE AUSWERTUNG DER EXPERTENINTERVIEWS ................................176 3.2.1 ZENTRALE ORGANISATIONSEINHEIT PERSONALENTWICKLUNG ........................176 3.2.2 VERFÜGBARKEIT VON RESSOURCEN .............................................................178 3.2.3 STELLENWERT VON PERSONALENTWICKLUNG ...............................................179 3.2.4 TOP-DOWN – KLINIKUMSVORSTAND UND PERSONALENTWICKLUNG .................181 3.2.5 UMFASSENDES PERSONALENTWICKLUNGSKONZEPT ......................................182 3.2.6 ENTWICKLUNGSCHANCEN FÜR MITARBEITER .................................................183 3.2.7 PERSONALENTWICKLUNG ALS FÜHRUNGSAUFGABE .......................................185 3.2.8 FÜHRUNGSKRÄFTESCHULUNG ......................................................................186 3.2.9 ZUSAMMENARBEIT DER BERUFSGRUPPEN .....................................................188 3.2.10 EVALUATION................................................................................................196 3.2.11 ENTWICKLUNGSFÖRDERLICHE ARBEITSGESTALTUNG .....................................196 3.2.12 WISSENSMANAGEMENT UND ORGANISATIONALES LERNEN .............................198 3.2.13 WISSENSTRANSFER DURCH DAS INTRANET ...................................................199 3.2.14 PERSPEKTIVEN EINER PERSONALENTWICKLUNG AN UNIVERSITÄTSKLINIKA ......201 3.3 INDUKTIVE AUSWERTUNG DER EXPERTENINTERVIEWS .................................202 3.3.1 PROBLEMBEWÄLTIGUNG UND PERSONALENTWICKLUNG .................................202 3.3.2 PERSONALMANAGER ODER PERSONALENTWICKLER – VOM UMGANG MIT ROLLENAMBIGUITÄT ...............................................................................................204 3.3.3 MENSCHENBILD UND PERSONALENTWICKLUNG .............................................207 3.3.4 VERRÄTERISCHE SPRACHE – DIE SEMANTIK DER INTERVIEWS ........................210 3.3.5 UNTERNEHMENSKULTUR ALS BASIS DER PERSONALENTWICKLUNG .................212 4 PERSONALENTWICKLUNG IM KONTEXT DER „LERNENDEN ORGANISATION“................................................................................................................217 Seite 5 von 430 4.1 THEORIEN DES ORGANISATIONALEN LERNENS .............................................218 4.1.1 DER ERFAHRUNGSORIENTIERTE ANSATZ .......................................................221 4.1.2 DER INFORMATIONSORIENTIERTE ANSATZ .....................................................230 4.1.3 DER INTERPRETATIONSORIENTIERTE ANSATZ ................................................233 4.1.4 DER WISSENSORIENTIERTE ANSATZ ..............................................................239 4.1.5 ZUSAMMENFASSUNG UND GEMEINSAMKEITEN DER ANSÄTZE ..........................243 4.1.6 DER ZUSATZNUTZEN ORGANISATIONALEN LERNENS ......................................246 4.2 ORGANISATIONALES LERNEN UND PERSONALENTWICKLUNG ........................247 4.2.1 HANDLUNGSFELDER UND MAßNAHMEN .........................................................253 4.2.2 GRENZEN DES ORGANISATIONALEN LERNENS ................................................263 4.2.3 ORGANISATIONALES LERNEN – DIE (BISHER) VERPASSTE CHANCE DER PERSONALENTWICKLUNG IN KRANKENHÄUSERN .....................................................265 4.3 THEORIE UND PRAXIS ARBEITSBEZOGENEN LERNENS...................................267 4.3.1 WISSENSMANAGEMENT ................................................................................276 4.3.2 WISSENSLOGISTIK ALS AUFGABE FÜR PERSONALENTWICKLUNG .....................277 4.4 STRATEGISCHE PERSONALENTWICKLUNG....................................................279 4.4.1 EXKURS: DAS ST. GALLER MANAGEMENT-MODELL ........................................287 4.4.2 PROBLEME UND ENTWICKLUNGSBEDARF DER PERSONALENTWICKLUNG .........295 4.4.3 PERSONALENTWICKLUNG, PARTIZIPATION UND MITBESTIMMUNG ....................298 4.4.4 ENTWICKLUNGSBEDARF DER STRATEGISCHEN PERSONALENTWICKLUNG IN UNIVERSITÄTSKLINIKA......................................................................................301 4.4.5 ECKPFEILER EINES KRANKENHAUSTAUGLICHEN VERSTÄNDNISSES VON PERSONALENTWICKLUNG ......................................................................................304 4.5 MIKROPOLITIK ODER DIE GRENZEN DER PERSONALENTWICKLUNG ................306 4.5.1 BEGRIFFSBESTIMMUNG VON MIKROPOLITIK ...................................................308 4.5.2 AUTONOMIE UND ORGANISATION ..................................................................309 4.5.3 MACHT IM BETRIEB ......................................................................................314 4.5.4 HIERARCHISCHE STRUKTUREN UND MACHT IM KRANKENHAUS .......................318 4.5.5 PERSONALENTWICKLUNG VOR DEM HINTERGRUND VON MIKROPOLITIK ...........320 TEIL III: ENTWICKLUNG EINES RAHMENKONZEPTS FÜR EINE INTEGRIERTE PERSONALENTWICKLUNG AM BEFORSCHTEN UNIVERSITÄTSKLINIKUM ......323 1 THEORETISCHE GRUNDLAGEN FÜR DIE PERSONALENTWICKLUNG.......323 1.1 ZUR THEORIE DER BEDÜRFNISSE UND DER MOTIVATION ..............................324 1.1.1 BEDÜRFNISSE, MOTIVE, MOTIVATION ............................................................325 1.1.2 MODELLE DES ARBEITENDEN MENSCHEN ......................................................331 1.1.3 MOTIVATIONSPROZESS ................................................................................336 1.1.4 MOTIVATIONSTHEORIEN ...............................................................................336 Seite 6 von 430 1.1.5 ERMITTLUNG VON MOTIVEN..........................................................................345 1.1.6 MOTIVE IM ARBEITSPROZESS .......................................................................346 1.1.7 MOTIVATION DURCH SINN ............................................................................349 1.1.8 KRITIK EINER FÜHRUNG DES MOTIVIERENS ...................................................351 1.1.9 FAZIT ZU MOTIVATION UND PERSONALENTWICKLUNG.....................................354 1.2 DIVERSITÄT UND GENDER MAINSTREAMING .................................................355 1.2.1 GENDER MAINSTREAMING ............................................................................355 1.2.2 DIVERSITÄT: VOM NUTZEN DER VIELFALT DER BELEGSCHAFT ........................362 2 DER PROZESS DER ENTWICKLUNG DES KONZEPTS FÜR EINE INTEGRIERTE PERSONALENTWICKLUNG ...........................................................367 2.1 HANDLUNGSFORSCHUNG IM SPANNUNGSFELD VON FORSCHUNG UND PRAXISVERBESSERUNG .........................................................................................367 2.1.1 DER FORSCHER UND SEINE BEZIEHUNGEN ZU DEN UNTERSUCHTEN ...............368 2.1.2 METHODISCHES VORGEHEN UND GÜTEKRITERIEN .........................................369 2.1.3 HANDLUNGSFORSCHUNG UND TEILNEHMENDE BEOBACHTUNG .......................371 2.1.4 ZU MEINER ROLLE UND ZUM VERLAUF DES PROJEKTS AM BEFORSCHTEN UNIVERSITÄTSKLINIKUM..............................................................................373 2.2 DER VERLAUF DER ENTSTEHUNG DES KONZEPTS ........................................375 3 RESÜMEE UND AUSBLICK.............................................................................387 3.1 DIE KERNERKENNTNISSE ............................................................................387 3.2 VISIONEN UND PERSPEKTIVEN EINER INTEGRIERTEN PERSONALENTWICKLUNG IM KRANKENHAUS ..........................................................................................390 3.2.1 INTEGRATION DURCH BEHANDLUNGSPFADE ..................................................392 3.2.2 ÜBERWINDUNG DER BERUFSSTÄNDISCHEN BARRIEREN..................................393 3.2.3 ENTWICKLUNGSFÖRDERLICHE ORGANISATIONSKULTUR .................................394 3.2.4 FÜHRUNGSKRÄFTEENTWICKLUNG .................................................................395 3.2.5 VERZAHNUNG VON W ISSENSCHAFT UND PRAXIS ...........................................396 3.2.6 INTEGRATION VON PERSONALENTWICKLUNG IN DIE AUSBILDUNG ....................396 3.3 ANREGUNGEN FÜR WEITERE FORSCHUNGSPROJEKTE ..................................397 ABBILDUNGS- UND TABELLENVERZEICHNIS................................................................399 LITERATURVERZEICHNIS ...............................................................................................401 Seite 7 von 430 Seite 8 von 430 Vorwort Man kann einen Menschen nichts lehren. Man kann ihm nur helfen, es in sich selbst zu entdecken. Galileo Galilei Wie kann eine erfolgreiche Personalentwicklung aussehen, die den Menschen im Krankenhaus tatsächlich hilft, ihren Arbeitsalltag kompetent und mit Freude zu bewältigen? Kann man Personal überhaupt entwickeln? Diese Fragen haben mich in meiner zwischenzeitlich über 30jährigen Berufstätigkeit in ganz unterschiedlichen Tätigkeitsfeldern und Funktionen am Freiburger Universitätsklinikum begleitet und nicht mehr losgelassen. 10 Jahre habe ich als Sozialarbeiter im interdisziplinären Team der Kinder- und Jugendpsychiatrie gearbeitet. In dieser Zeit standen auf die individuelle Persönlichkeit fokussierte Fragen stark im Vordergrund: Was kann therapeutische Unterstützung leisten? Wie können schwere seelische Fehlentwicklungen korrigiert, geheilt werden? Geht das überhaupt? Und natürlich Fragen der Selbstreflektion: Wo sind meine eigenen Anteile, wie kann ich es schaffen, mein eigenes sozialarbeiterisches Tun kritisch zu hinterfragen, wer hilft mir dabei? Als Teil eines Teams mit Ärzten, Pflegepersonal und Erzieherinnen spielte die interprofessionelle, integrierte Ausrichtung eine zentrale Rolle. Diese Erfahrungen finden sich an vielen Stellen in meiner Arbeit wieder, insbesondere bei der Darstellung meiner Rolle im Rahmen der Personalentwicklungsprojekte am Klinikum.1 In den 10 Jahren als Vorsitzender des Personalrates wurde mir das Spannungsfeld zwischen ökonomischen und rechtlichen Gegebenheiten und sozialen Bedürfnissen der Beschäftigten zum ständigen Begleiter. Ein zweites dominantes Spannungsfeld eröffnete sich zwischen der Rolle des „Interessenvertreters“ und den nach Autonomie, Selbstbestimmung und Eigenverantwortlichkeit strebenden Bedürfnissen der Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter. Die Auseinandersetzung mit der Systemtheorie und den Ideen der Managementkybernetik halfen mir, diese komplexen Zusammenhänge besser zu verstehen. Nicht zuletzt war ich als Personalratsvorsitzender alltäglich mit 1 siehe Teil III Abschnitt 2.1.4 Zu meiner Rolle und zum Verlauf des Projekts am beforschten Universitätsklinikum Seite 9 von 430 den bisweilen fatalen Folgen mangelhafter oder fehlender Personalentwicklung konfrontiert und allzu schnell in der Rolle des „Besserwissers“, der selbst nicht in die Verlegenheit geraten konnte, beweisen zu müssen, dass es anders geht. Die Erfahrungen aus dieser Zeit ziehen sich ebenso durch meine Arbeit, insbesondere zu finden sind sie an den Stellen, an denen es um die interprofessionelle Zusammenarbeit und um Führung und um die berufsständisch zementierten Strukturen geht, auch natürlich im Abschnitt Personalentwicklung, Partizipation und Mitbestimmung. Nach einem erfolgreich abgeschlossenen Betriebswirtschaftsstudium bin ich dann in die Verwaltung des Klinikums gewechselt, um in eigener Anschauung und Verantwortung den Spagat zwischen ökonomischen Rahmenbedingungen und sozialen Erfordernissen auszuhalten und zu gestalten. Dabei erweiterte sich der Fokus auf die Persönlichkeit des einzelnen Mitarbeiters um die Perspektive der Organisation als einerseits von den Mitgliedern und deren Persönlichkeit geprägtes, andererseits aber sich auch von deren Wollen und Bemühen unabhängig entwickelndes quasi organisches Gebilde. Die Basis für mein Interesse an Organisationalem Lernen und Wissensmanagement war gelegt. Die Funktion als Leiter des Geschäftsbereichs Personal und Wirtschaft eröffnete letztlich die Chance, die Ideen einer integrierten Personalentwicklung in der Realität zu erproben. Diese Praxiserfahrung ist als von der Handlungsforschung geprägter Teil in meine Forschungsarbeit eingeflossen.2 Dass ich als Geschäftsbereichsleiter zahlreiche mikropolitische Auswüchse auch unmittelbar und manchmal ungeschützt erleben oder, besser gesagt, erleiden durfte, sei nur am Rande erwähnt.3 Mir ist bewusst, dass dem Vorteil der langjährigen, durch viele Rollen geprägten Erfahrung die Gefahr der Betriebsblindheit gegenüber steht. Meine Bemühungen, blinde Flecken zu vermeiden, kritische Instanzen und Abstand zur eigenen Person herzustellen, sind an verschiedenen Stellen, schwerpunktmäßig im Abschnitt zu meiner Rolle im Forschungsprojekt dargestellt. Krankenhäuser sind hochkomplexe soziotechnische Systeme. Ihre Leistungserbringung wird bestimmt durch die dort arbeitenden Menschen. Ihr Image nach Außen ist 2 3 siehe Teil III Abschnitt 2.1 Handlungsforschung im Spannungsfeld von Forschung und Praxisverbesserung zu diesem Thema siehe Teil II Abschnitt 4.5 Mikropolitik oder die Grenzen der Personalentwicklung Seite 10 von 430 zuvorderst geprägt durch die Leistung, das Verhalten und den Ruf seiner Ärzte und seiner Pflegenden. Dann gibt es da noch den Patienten, um den sich alles drehen sollte, der nicht nur Objekt der Bemühungen des Krankenhauspersonals ist, sondern durch sein Verhalten und seine Einstellung aktiv auf den Krankheitsverlauf einwirkt. Kurzum: das Krankenhaus lebt von und mit seinen Menschen. Deren Zusammenwirken bestimmt den Alltag, den Genesungsprozess und letztlich auch das wirtschaftliche Ergebnis. Im Zentrum aller Bemühungen steht der Patient mit seiner Persönlichkeit, seinen Ängsten und Hoffnungen. Das Krankenhaus lebt von der Qualifikation und der Bereitschaft seiner Beschäftigten, mit Engagement und gut gelaunt ihre Arbeit zu verrichten oder – um es im schauderhaften Management-Jargon auszudrücken - von der Performance seiner Human Ressources. Was liegt näher, als die Vermutung, Personalentwicklung müsse in diesen arbeitsintensiven Dienstleistungsunternehmen ganz oben auf der Agenda des Managements stehen, getrieben von dem innigen Wunsch, eine von Respekt und Vertrauen in die Professionalität des Anderen geprägte Zusammenarbeit der Berufsgruppen zu befördern, geprägt von dem Bewusstsein, gemeinsam eine wichtige gesellschaftliche Aufgabe zu bewältigen und dem Willen, täglich Neues zu lernen, sich weiterzuentwickeln im Bemühen um eine optimale Versorgung und Behandlung der sich anvertrauenden kranken Menschen? Krankenhäuser bieten aber auch einen überaus fruchtbaren Nährboden für Egoismen aller Art, für mikropolitische Ränkespiele, machtgetriebene und berufsständisch tradierte Grabenkämpfe – ein die konstruktive Zusammenarbeit wenig förderlicher Umstand. Universitätsklinika unterscheiden sich in vielerlei Hinsicht wenig von anderen Großkrankenhäusern, insbesondere teilen sie mit diesen im Kern dieselben Personal-, Kosten und Finanzierungsprobleme. Als Krankenhäuser der Maximalversorgung haben sie aber gleichwohl eine besondere Stellung und mit ihren zusätzlichen Aufgabenfeldern Forschung und Lehre verfügen sie über ein spezielles Gepräge. Universitätsklinika sind Trendsetter der medizinischen und medizin-technischen Entwicklung. Zugleich sind sie als Hort der Forschung und der Ausbildung durchaus auf Lernen und Entwickeln ausgerichtet. Damit wären sie in besonderem Maße prädestiniert daSeite 11 von 430 für, die Entwicklung des eigenen Personals zu forcieren und auf hohem Niveau zu gewährleisten. Aber Universitätsklinika sind eben auch besondere Schauplätze der Mikropolitik. Die „Machiavelli“ und Platzhirsche der Berufsstände verteidigen ihre Reviere gegen jedwede Einmischung. Die allfällige Vergeudung von Zeit, Material und Motivation wird der Desorganisation der jeweils anderen Profession und deren Unfähigkeit, sich an den eigenen Standards, Plänen, QM-Vorgaben und Organisationsstrukturen zu orientieren, zugeschrieben. Die Ärzte warten auf die Schwestern und umgekehrt, die Anästhesisten auf die Chirurgen und umgekehrt, die Betriebswirte verstehen die Mediziner nicht und die Mediziner vertrauen den Zahlen der Controller allenfalls wenn diese ein Plus verheißen. Die einvernehmliche Besetzung eines Vorstandspostens ohne Ränkespiele, ohne das Spiel der Beziehungsnetze und Intriganten, ohne von Eigennutz geleiteter Einmischung und ohne brodelnde Gerüchteküche ist die seltene Ausnahme. Corporate Identity, abgestimmte Arbeitsabläufe, eine geregelte und von Offenheit geprägte Kommunikation, das berühmte Ziehen an einem Strang scheitern an Macht- und Partialinteressen, am Spiel der Mikropolitiker. Für personalpolitische Illusionen bleibt da wenig Platz: In Sachen Personalentwicklung hinken die Krankenhäuser – auch die Universitätsklinika - der Entwicklung in anderen Dienstleistungsbranchen um ein gutes Jahrzehnt hinterher, die Bemühungen um die Qualifizierung, Entwicklung und Förderung der Beschäftigten sind so lobenswert wie bruchstückhaft und nach wie vor vom weitgehend unverbundenen Nebeneinander der Berufsgruppen bestimmt. Dass dies auch für andere Felder des Personalmanagements zutrifft, ist dabei nicht wirklich tröstlich. Mit der hier vorliegenden Forschungsarbeit Stand und Perspektiven einer integrierten Personalentwicklung an den Universitätsklinika in Deutschland, Österreich und der Schweiz wird zum einen der Ist-Stand der Personalentwicklung an den Universitätsklinika in Deutschland, Österreich und der Schweiz dargestellt. Zum zweiten werden die Perspektiven der Personalentwicklung in den nächsten Jahren insbesondere in Bezug auf eine integrierte Ausrichtung diskutiert. Eine schriftliche Befragung aller Universitätsklinika in Deutschland, Österreich und der Schweiz und Experteninterviews mit den Personalverantwortlichen von 18 Klinika Seite 12 von 430 bilden die quantitative und qualitative Grundlage des Forschungsprojekts. Die Untersuchung belegt die hohe Bedeutung der Personalentwicklung für die künftige Entwicklung der Universitätsklinika. Sie belegt zugleich den insgesamt unzureichenden Entwicklungsstand insbesondere der deutschen Universitätsklinika. Die schweizerischen und österreichischen Krankenhäuser universitärer Maximalversorgung haben klar die Nase vorn – ein weiteres Indiz dafür, dass die Abwanderung deutscher Pflegekräfte und Ärzte insbesondere in die Schweiz wohl nicht nur der besseren Bezahlung geschuldet ist. Die Personalentwicklung an Krankenhäusern, insbesondere an den Universitätsklinika, ist stark berufsgruppenorientiert. Die Entwicklung der Krankenhäuser im Zeitalter von Fallpauschalen und Qualitätsmanagement relativiert aber den Nutzen traditioneller, weitgehend berufsständisch orientierter Personalentwicklung und verkehrt ihn in das Gegenteil. Eine Neuausrichtung der Personalentwicklung stößt an die Grenzen traditionell gewachsener Kulturunterschiede und berufsständischer Hierarchien. Dies gilt in besonderem Maße für deutsche Universitätsklinika, weil dort die Ärzteschaft eine weit dominantere Rolle spielt, als in anderen Krankenhäusern. An einigen Universitätsklinika in Österreich und der Schweiz gibt es eine deutlich interprofessionell und integrativ ausgerichtete Personalentwicklung. Diese Klinika bilden aber die Ausnahme, die Klinika mit gering ausgebauter und/oder mit berufsständisch ausgerichteter Personalentwicklung prägen deutlich das Gesamtbild. Die im Kontrast hierzu erkennbare Bereitschaft vieler Personalverantwortlicher, sich aktiv für den Ausbau von Personalentwicklung und für eine berufsgruppenübergreifende Perspektive einzusetzen, lässt hoffen, dass es mittelfristig gelingen kann, mit Hilfe aktiver Personalentwicklung berufsständische Grenzen zu überwinden. Die bei einer nicht geringen Zahl von Personalverantwortlichen aber deutlich erkennbare eher pessimistische, bisweilen resignative Einstellung dämpft zugleich all zu hohe Erwartungen auf schnelle Änderungen und Ergebnisse. Für die Unterstützung, die ich bei meiner Arbeit erfahren durfte, möchte ich mich bei vielen Menschen bedanken, einige wenige will ich namentlich erwähnen: Da ist zuerst die Begleiterin und Mentorin meiner Arbeit, Frau Professor Dr. Maria-Eleonora Karsten von der Lüneburger Leuphana, die mich mit Ihrer Offenheit und ihren bisweilen überraschenden Gedanken begleitet hat, auch gilt mein Dank dem Dekan der Seite 13 von 430 Fakultät I Bildungs-, Kultur- und Sozialwissenschaften Professor Dr. Herbert Colla für seine unterstützenden Hinweise. Mein Dank gilt Frau Michaela Lutz, meiner Mitarbeiterin, die mit ihrem Koordinationstalent und ihrer Gelassenheit noch jedes Organisationsproblem zu lösen vermochte und Professor Günter Rausch, der den Anstoß gab, das Projekt zu wagen. Ein Dankeschön an Dr. Jan Kruse, der mich in die Tiefen qualitativer Forschung führte und an Frau Susanne Walter, die die Interviews transkribiert hat. Beide haben mit ihren Gedanken meine Arbeit bereichert. Ich danke meinen Kolleginnen und Kollegen an den Universitätsklinika für deren Bereitschaft, Rede und Antwort zu stehen und den Mitstreiterinnen und Mitstreitern für eine integrierte Personalentwicklung am beforschten Universitätsklinikum. Und nicht zuletzt danke ich meiner Frau Ursula für ihre Geduld und ihre permanente Ermutigung. Karlheinz Jung, 2009 Seite 14 von 430 0 Einführung Will man die Frage beantworten, welche Bedeutung Personalentwicklung im Krankenhaus für die Gesellschaft zukommt und warum es Forschungsinteresse verdient, gilt es, das Thema einzuordnen. Nachdem das Gesundheitswesen in Deutschland lange Zeit primär als Kostenfaktor gesehen wurde, wird inzwischen die volkswirtschaftliche Bedeutung zunehmend erkannt. Heute gilt das Gesundheitswesen als zentraler Wirtschaftsfaktor mit enormem Wachstums- und Beschäftigungspotenzial. Über 4,3 Millionen Menschen sind im Gesundheitswesen beschäftigt, das sind 11% aller Erwerbstätigen.4 Der Jahresumsatz der Gesundheitswirtschaft in Deutschland wird für 2006 mit 245 Milliarden € beziffert.5 Zahlreiche Zukunftsforscher sehen in der "Gesundheit" das entscheidende Thema des 21. Jahrhunderts. So prognostiziert Leo A. Nefiodow anknüpfend an die kondratieff'sche "Theorie der langen Wellen", dass der nächste Produktivitäts- und Kompetenzschub, der die Wirtschaft vorantreiben wird, aus dem Gesundheitsmarkt kommen wird. Der Gesundheitsmarkt wird als Wachstumslokomotive für die Weltwirtschaft des 21. Jahrhunderts bezeichnet. 6 Innerhalb des Gesundheitswesens kommt dem Krankenhaussektor als größtem Arbeitgeber eine besonders hohe wirtschaftliche und beschäftigungspolitische Bedeutung zu. Mit einem Umsatz von 64 Milliarden und mit ihren rund 1,1 Millionen Beschäftigten sind Krankenhäuser in vielen Regionen die wichtigsten Arbeitgeber. Krankenhäuser sind wie das Gesundheitswesen insgesamt arbeitsintensive Unternehmen, mit der Qualität und Leistungsbereitschaft des Personals steht und fällt die Krankenversorgung. Die Krankenhäuser befinden sich in einem Dilemma: Einerseits sollen sie Arbeitsplätze generieren und Wirtschaftswachstum hervorrufen, andererseits ist ihre Finanzierung nicht gesichert, sie gelten als Mitverursacher von Defiziten bei den Krankenkassen. Mit der Einführung der leistungsorientierten Fallpauschalen wurde so ein 4 5 6 siehe: Statistisches Bundesamt, Statistisches Jahrbuch 2008 Seite 257 siehe: Statistisches Bundesamt, Statistisches Jahrbuch 2008 Seite 255 siehe: Nefiodow, L.A.: Der 6. Kondratieff, St. Augustin 2007 Seite 15 von 430 Paradigmenwechsel im Krankenhaus vollzogen und der Handlungsdruck drastisch erhöht. Infolge dessen versorgen nun seit einigen Jahren die Krankenhäuser immer mehr Patienten mit weniger Personal. In einer solchen Situation können Qualitätseinbrüche nur vermieden werden, wenn die Beschäftigten selbst befähigt werden, den erhöhten Anforderungen standzuhalten, ihre Fähigkeiten und Kompetenzen permanent zu entwickeln und anzupassen. Diese Aufgabe kommt der Personalentwicklung zu. Im sich dynamisch entwickelnden, komplexen Umfeld der Krankenhauslandschaft müssen Beschäftigte sich nicht nur zurechtfinden, sondern selbst permanent Motor von Innovation sein. Personalentwicklung hilft ihnen dabei und ist damit ein zentraler Baustein der Sicherung der Lebensfähigkeit der Krankenhäuser, die wiederum im Zentrum des zentralen Wirtschaftsfaktors Gesundheitswesen stehen.7 Die Bedeutung von Personalentwicklung im Krankenhaus reicht somit weit über den unmittelbaren Wirkungskreis des einzelnen Krankenhauses hinaus. Dieser Zusammenhang belegt die Notwendigkeit, sich mit der Fragestellung: „Brauchen die Krankenhäuser eine integrierte Personalentwicklung?“ forschend auseinanderzusetzen. Ich betrachte dabei in besonderem Maße die Universitätsklinika, weil diese innerhalb der Krankenhauslandschaft eine besondere Rolle als Trendsetter medizinischer Entwicklung einnehmen und weil sie die größten Unternehmen in der Krankenhauslandschaft sind.8 0.1 Ziele des Forschungsprojekts Die Ziele des Forschungsprojekts sollen einführend im Überblick dargestellt werden. Eine detaillierte Darstellung des Forschungsvorhabens folgt im Teil II Untersuchung zur Personalentwicklung an den Universitätsklinika in Deutschland, Österreich und der Schweiz. Das Forschungsprojekt dient zum einen der Erhebung des Ist-Standes der Personalentwicklung an den Universitätsklinika in Deutschland, Österreich und der Schweiz. Zum zweiten sollen die Perspektiven der Personalentwicklung in den nächsten Jah- 7 8 siehe hierzu vertiefend Teil I Abschnitt 1.1 Bedeutung des Themas für das Gesundheitswesen und darüber hinaus siehe hierzu vertiefend Teil I Abschnitt 5 Das Untersuchungsobjekt Krankenhaus und Abschnitt 5.3 Das Untersuchungsobjekt Personal im Krankenhaus Seite 16 von 430 ren insbesondere in Bezug auf eine integrierte Ausrichtung diskutiert werden. Die integrierte Ausrichtung wird dabei in drei Feldern untersucht: a. Perspektiven einer interprofessionell ausgerichteten, die tradierten berufsständischen Grenzen überwindenden Personalentwicklung, b. Möglichkeiten und Grenzen eines unternehmensweiten, für das jeweilige gesamte Klinikum geltenden Konzepts von Personalentwicklung und c. Möglichkeiten und Grenzen von Personalentwicklung am Arbeitsplatz durch Schaffung eines lern- und entwicklungsförderlichen Arbeitsumfeldes. Hier soll auch die Tauglichkeit der Anwendung von Elementen organisationalen Lernens geprüft werden. Es geht somit beim Begriff integrierte Personalentwicklung um integrierend zwischen den Berufsgruppen, um integrierend in Bezug auf das Gesamtunternehmen Krankenhaus und um integrierend in den Arbeitsalltag. Aus der Verzahnung dieser drei Ebenen soll eine nachhaltige Wirkung erzielt werden, die weder durch berufsständische Grenzkonflikte noch durch lediglich partielle Wirkungskreise und arbeitsalltagferne Ausrichtung konterkariert wird. Integrierte Personalentwicklung Interprofessionelle Personalentwicklung Klinikumsumfassende Personalentwicklung Lern- und entwicklungsförderliche Arbeitsgestaltung Ist/Heute Soll/Zukunft Abbildung 1: Ebenen integrierter Personalentwicklung Seite 17 von 430 0.2 Hypothesen zum Untersuchungsfeld Nachstehende Hypothesen zum Untersuchungsfeld sollen im Rahmen des Forschungsprojekts auf ihre Gültigkeit untersucht werden. Eine Präzisierung und Verfeinerung der Hypothesen folgen im Teil II Untersuchung zur Personalentwicklung an den Universitätsklinika in Deutschland, Österreich und der Schweiz. 1. Personalentwicklung an Krankenhäusern ist stark berufsgruppenorientiert. Dies gilt in besonderem Maße für Universitätsklinika. Die Entwicklung der Krankenhäuser im Zeitalter von Fallpauschalen und Qualitätsmanagement relativiert den Nutzen traditioneller, weitgehend berufsständisch orientierter Personalentwicklung und verkehrt ihn in das Gegenteil. Eine Neuausrichtung der Personalentwicklung stößt an die Grenzen traditionell gewachsener Kulturunterschiede und berufsständischer Hierarchien. Dies gilt in besonderem Maße für Universitätsklinika, weil dort die Ärzteschaft eine weit dominantere Rolle spielt, als in anderen Krankenhäusern. 2. Eine verstärkte Patientenorientierung, die Einrichtung von Behandlungspfaden und der ökonomische Druck zwingen zur Neuausrichtung der Personalentwicklung hin auf Interprofessionalität und Integration. Der besondere Status eines Universitätsklinikums als Großkrankenhaus und Teil der Universität mit den Aufgabenbereichen Krankenversorgung, Forschung und Lehre erschwert die integrierte und interprofessionelle Personalentwicklung. Zugleich birgt diese Konstellation aber gerade die Chance, die Arbeitsbedingungen lern- und entwicklungsförderlich zu gestalten und somit Personalentwicklung gewinnbringend in den Arbeitsalltag zu integrieren. 3. Krankenhäuser, denen es besser gelingen wird, die Personalentwicklung und in deren Folge die Unternehmenskultur und die Belegschaft interprofessionell auszurichten, verfügen über einen Wettbewerbsvorteil, der die Lebensfähigkeit in der Zeit der „Marktbereinigung“ sichern hilft. 0.3 Herausforderungen der Theorie Wichtige Erkenntnisse, die über das engere Themenfeld Personalentwicklung hinausreichen, für Theorie und Praxis der Personalentwicklung aber gleichwohl von Seite 18 von 430 zentraler Bedeutung sind, werden in vier Abschnitten ergänzend dargestellt und mit dem Thema integrierte Personalentwicklung verknüpft: I. Die Veränderungen im Umfeld von Unternehmen insgesamt und von Universitätsklinika im Speziellen vollziehen sich in einem immer schneller werdenden Tempo. Die Fähigkeit, hierauf flexibel und schnell reagieren zu können, wird zunehmend zu einem zentralen strategischen Erfolgsfaktor. Diese ständig steigende Geschwindigkeit des Wandels und der daraus resultierende Zwang, sich in einer zunehmend komplexer werdenden Umwelt zu orientieren, macht Lernen für Unternehmen zu einer absoluten Priorität. Unternehmen können es sich nicht leisten, sich mit den Aspekten des organisationalen Wandels und der Förderung ihrer Entwicklungsfähigkeit nicht auseinanderzusetzen.9 Die Managementforschung hat vor diesem Hintergrund unterschiedliche Konzepte entwickelt wie Business Re-Engineering, Lean Management oder Kaizen. Zu diesen gehört auch „Organisationales Lernen“, welches, im Gegensatz zu eher modischen Konzepten des Change Managements mit einer tendenziell kurzen Verfallszeit, eine hohe Aufmerksamkeit sowohl in der Wissenschaft als auch in der Praxis findet. In der Managementpraxis wird die „Lernende Organisation“ als Lösung des Problems des kontinuierlichen gesellschaftlichen und technologischen Wandels vorgeschlagen. Die organisationale Lernbereitschaft und Lernfähigkeit führt zu einer Wissenserweiterung, zu einer besseren Umweltanpassung und einer Steigerung der Innovationsfähigkeit und wird so zum Garanten für das Überleben des Unternehmens. Die wissenschaftliche Auseinandersetzung mit dem Konstrukt der lernenden Organisation relativiert die bisweilen euphorischen Versprechungen der verkaufsorientierten Managementliteratur. Auch die Wissenschaft hat die Organisationen als zentrale Lernorte in der heutigen Gesellschaft entdeckt. Auch die wissenschaftlichen Vorstellungen von lernender Organisation sehen in dieser einen Beitrag dazu, die Handlungsfähigkeit der Organisation zu erhöhen, sie zu befähigen, ständig sich komplexer gestaltende, widersprüchliche Anforderungen aushalten und ausbalancieren zu lernen. Es gilt, Kommunikationsprozesse zu entwickeln 9 siehe: Becker, M.: Personalentwicklung, 4. Auflage Stuttgart 2005 sowie Probst, G.; Büchel, B.: Organisationales Lernen: Wettbewerbsvorteil der Zukunft, Wiesbaden 1994 Seite V sowie Sonntag, K.; Stegmaier, R.: Arbeitsorientiertes Lernen, Stuttgart 2007 Seite 19 von 430 und zu gestalten, die Verständigung über die verschiedenen Gruppen und Teilsysteme einer Organisation hinweg zu fördern. Die Idee der lernenden Organisation ist die Idee einer ständigen Bereitschaft zur Veränderung in einer komplexen Umwelt. Dabei können Entwicklung und Lernen durch einen sinnvollen Kontext gefördert und unterstützt werden, sie können weder angeordnet noch auf irgendeine mechanische Weise konstruiert werden. In Teil II wird im Abschnitt 4 Personalentwicklung im Kontext der „Lernenden Organisation“ hierauf eingegangen. II. Mikropolitik - das politische Handeln in einer Organisation - ist bei jeder Betrachtung eines Unternehmens in den Fokus zu nehmen, in besonderer Weise dann, wenn es um Personal und Führung geht. Dabei rückt sofort das Phänomen Macht in das Zentrum aller Überlegungen, denn kollektives Handeln kann im Grunde als tagtägliche Politik verstanden werden. Macht ist ihr Rohstoff. Es geht also immer auch um die in einer Organisation permanent aufbrechenden Widersprüche zwischen der egoistischen Strategie der Akteure und der zweckgebundenen Kohärenz des Systems. Mikropolitische Aktivitäten können Personalentwicklung deutlich behindern. Sachliche Auseinandersetzungen werden nicht selten durch die drei wesentlichen Faktoren politischer Prozesse Macht, Interessen und Konflikte überlagert. Der Mikropolitiker10 hat persönliche Ziele im Fokus, insbesondere seinen Aufstieg im System und die Sicherung und Verbesserung seiner eigenen Existenzbedingungen. Damit wird zumindest jener Sicht von Personalentwicklung eine klare Grenze aufgezeigt, die da meint, Methoden entwickeln zu können, die letztlich dazu führen, Menschen im Unternehmen anzupassen und auszurichten. Das Wissen um das Phänomen der Mikropolitik offenbart das „personalwirtschaftliche Dilemma“: Personal wird als planbare und als unplanbare Größe gebraucht. Gefordert sind seine Disponibilität und sein Eigensinn. Insofern ist es vornehme Aufgabe der Personalentwicklung, beides im Blick zu behalten: Das Fördern von Kreativität und die zielgerichtete Qualifizierung. Dass dies in der Arena der Mik10 Mikropolitik wird definiert als „die Bemühungen, die systemeigenen materiellen und menschlichen Ressourcen zur Erreichung persönlicher Ziele, insbesondere des Aufstiegs im System selbst und in anderen Systemen, zu verwenden sowie zur Sicherung und Verbesserung der eigenen Existenzbedingungen.“ (siehe: Bosetzky, H.: Die instrumentelle Funktion der Beförderung in: Verwaltungsarchiv 63, 1972 Seite 382). Seite 20 von 430 ropolitik Universitätsklinikum eine besonders spannende Herausforderung ist, wird dargestellt. Dass es gerade in einem Universitätsklinikum auch von besonderer Bedeutung ist, um die Zentrifugalkräfte des mikropolitischen Handelns zumindest ein Stück weit zu bändigen, sei ergänzend hinzugefügt. In Teil II Abschnitt 4.5 Mikropolitik oder die Grenzen der Personalentwicklung werden die Mechanismen und Wirkungsweisen mikropolitischer Vorgänge in Organisationen hergeleitet und beschrieben. III. Motivation ist zum Schlag- und Zauberwort nicht nur der Management Consultants geworden. Vor allem in Unternehmen muss Motivation zur Erklärung aller denkbaren Geschehnisse und Verhaltensweisen herhalten. Spätestens seit Sprengers "Mythos-Motivation" ist das Paradigma, Führungskräfte müssten zuvorderst die Kunst beherrschen, ihre Mitarbeiter zu motivieren, eigentlich entzaubert. Trotzdem hält sich die Mär hartnäckig, mit geschickter und professioneller Führung könne es gelingen, motivational Lahme zum Gehen zu bringen.11 In der Personalführung hat sich die Erkenntnis weitgehend durchgesetzt, dass die Anforderungen an Führungspersonen, ihre Mitarbeiter motivieren zu sollen, nicht zum gewünschten Erfolg führen.12 An Vorgesetzte wird vielmehr die Anforderung gestellt, die Rahmenbedingungen so zu gestalten, dass diese von eigenständigen Mitarbeitern angenommen, interpretiert und in ihren Handlungen berücksichtigt werden können. Zentral und hilfreich ist dabei die Erkenntnis, dass Bedürfnisse, Motive und Motivation etwas sehr individuelles sind. Diesem Wissen folgt die Erkenntnis, dass die zentrale Zuständigkeit und Verantwortung für die Motivation beim Individuum selbst anzusiedeln ist. Aufgabe der Führungskraft und Aufgabe der Personalentwicklung bleibt es da, Motivationslagen von Mitarbeitern zu erkennen und zu akzeptieren, und gemeinsam Arbeitsinhalt und Anforderung damit unter einen Hut zu bekommen. Nicht zuletzt geht damit die Erkenntnis über die grundsätzliche Begrenztheit jedweder Form von Personalentwicklungsmaßnahmen einher. Mit einem Blick auf den Stand der Motivationsund Führungsforschung hilft in Teil III der Abschnitt 1.1. Zur Theorie der Bedürf- 11 12 Sprenger, R. K.: Mythos Motivation - Wege aus einer Sackgasse, Frankfurt, New York, 17. Auflage 2002 siehe: Sprenger, R. K.: Das Prinzip Selbstverantwortung: Wege zur Motivation, 10. Auflage Frankfurt, New York 1999 sowie Malik, F.: Führen, Leisten, Leben; Stuttgart, München, 3. Auflage 2001 Seite 21 von 430 nisse und der Motivation zu einer theoriefundierten realistischen Sichtweise auf den Führungsalltag. IV. Gender Mainstreaming und Diversität sind weitere Themen, die in die Personalentwicklung hineinwirken und Potential bergen, den Blickwinkel auf die Personalentwicklung deutlich zu erweitern. Gender Mainstreaming zielt darauf ab, in alle Entscheidungsprozesse die Perspektive der sozialen Geschlechterverhältnisse einzubeziehen mit dem Ziel der Gleichstellung der Geschlechter auf allen gesellschaftlichen Ebenen. Gender Mainstreaming ist ein konzeptionelles Instrument zur Veränderung von Entscheidungsprozessen, das allgemeine Ziel ist dabei die Herstellung von Chancengleichheit über eine geschlechtersensible Folgenabschätzung der Entscheidungen. Eine zentrale Frage des Gender Mainstreaming ist es, festzustellen, mit welchen Wirkmechanismen Geschlechterverhältnisse hergestellt und perpetuiert werden. Dies geht über die individuelle Verhaltensperspektive hinaus und fokussiert Organisationsstrukturen und deren Zuweisungsmechanismen und Regelungssystematiken, die Geschlechterrollen determinieren. Wichtige Gleichstellungsziele sind Diskriminierungsfreiheit, gleiche Teilhabe und echte Wahlfreiheit.13 Für die Organisations- und Personalentwicklung eines Unternehmens bieten sich drei Ansatzpunkte von Gender Mainstreaming an, die in engem Bezug zueinander stehen: Strukturelles, personelles und fachliches Mainstreaming. Gender Mainstreaming als prozessorientierte Strategie, die auf die Veränderungs- und Lernfähigkeit setzt, knüpft an die Organisationsentwicklung und das Lernen in Organisationen an. Sie ist ein Steuerungsinstrument der Gleichstellungspolitik und der Personalentwicklung.14 Mit der Auseinandersetzung um Gender Mainstreaming wird sich die Selbstwahrnehmung im Unternehmen verändern. Nach wie vor ist die Unternehmung in ihrer geschlechtlichen Substruktur geprägt durch das männliche Normalarbeitsverhältnis, durch Männergemeinschaften und 13 14 nach: Bundesministerium für Familie, Senioren, Frauen und Jugend: Arbeitshilfe geschlechterdifferenzierte Gesetzesfolgenabschätzung, Berlin Stand: Mai 2007 Seite 16 siehe: Bothfeld, S.; Kronbach, S.; Riedmüller, B. (Hrsg): 2002 ebenda sowie Macha, H.; Fahrenwald, C: Zur Einführung: Gender Mainstreaming und Weiterbildung, in: Dieselben, 2007 ebenda Seite 9 Seite 22 von 430 nicht zuletzt durch eine geschlechtshierarchische Arbeitsteilung.15 Personalentwicklung ist gefordert, die Gender-Perspektive umfänglich zu adaptieren. In Teil III Abschnitt 1.2.1 Gender Mainstreaming werden die theoretischen Grundlagen dargestellt und auf die Situation in den Krankenhäusern übertragen. Unter dem Schlagwort "Diversität" oder auch "Diversity" wird eine spezielle Ausrichtung des Managements von Unternehmen und der Unternehmenskultur an der Vielfalt der Mitarbeiter im Betrieb propagiert. Mit dem Diversity Management soll die Wahrnehmung, Anerkennung und Nutzung von Vielfalt in Organisationen und Institutionen gefördert werden. Ausgangspunkt ist die Überlegung, dass Vielfalt das Zusammenleben und die Produktivität im Unternehmen durch das bewusste Aufeinandertreffen alternativer Wahrnehmungs-, Denk- und Handlungsmuster bereichert. Eine Personalentwicklung, die den Anspruch erhebt, integriert zu sein und integrierend zu wirken, hat diesen Aspekt mit einzubeziehen. In Teil III Abschnitt 1.2.2 Diversität: Vom Nutzen der Vielfalt der Belegschaft wird beschrieben, was Diversität meint. Wie diese Idee umgesetzt werden kann wird darüber hinaus am Praxisbeispiel der Universität Wien veranschaulicht. 15 siehe: Rastetter, D.: Sexualität und Herrschaft in Organisationen, Opladen 1994 sowie Meuser, M.: Gender Mainstreaming: Fortschreibung oder Auflösung der Geschlechterdifferenz? Zum Verhältnis von Geschlechterforschung und Geschlechterpolitik in: Meuser, M.; Neusüß, C. (Hrsg): Gender Mainstreaming. Konzepte, Handlungsfelder, Instrumente, Bonn 2004 Seiten 322 bis 336 Seite 23 von 430 Seite 24 von 430 Teil I: DER UNTERSUCHUNGSGEGENSTAND PERSONALENTWICKLUNG IM KRANKENHAUS 1 Bedeutung und Definition von Personalentwicklung im Krankenhaus 1.1 Bedeutung des Themas für das Gesundheitswesen und darüber hinaus Alle postindustriellen Gesellschaften verzeichnen eine steigende Nachfrage nach Gesundheitsleistungen. Als wesentliche Gründe hierfür gelten die starke Innovationskraft der Medizin und die demografische Entwicklung. Lange Zeit wurde das Gesundheitswesen in Deutschland auf dem Hintergrund ständig steigender Lohnnebenkosten primär als Kostenfaktor gesehen, die volkswirtschaftliche Bedeutung wurde nicht erkannt oder ignoriert. Heute gilt das Gesundheitswesen als zentraler Wirtschaftsfaktor mit enormem Wachstums- und Beschäftigungspotenzial. Über 4,3 Millionen Menschen sind im Gesundheitswesen beschäftigt, das sind 11% aller Erwerbstätigen.16 Auf diesem Hintergrund spricht man heute auch vermehrt von Gesundheitswirtschaft oder Gesundheitsmarkt, welche als Wachstumsbranchen mit erheblichem Wachstums- und Innovationspotenzial bezeichnet werden.17 Nicht zuletzt werden die medizinisch-technischen Innovationen auch in Zukunft ein Wachstum garantieren, das über dem des Bruttoinlandprodukts liegen wird. 18 16 17 18 siehe: Statistisches Bundesamt, Statistisches Jahrbuch 2008 Seite 257 siehe: Tscheulin, D. K. (Hrsg.): Branchenspezifisches Marketing, Wiesbaden 2001 Seite 406 siehe: Hilbert, J.; Goldschmidt, A. (Hrsg.): Gesundheitswirtschaft in Deutschland: die Zukunftsbranche, Wegscheid 2009 Seiten 21 bis 40 Seite 25 von 430 Betreutes Wohnen Handel mit Gesundheitsprodukten Sport und Freizeit Kur- und Bäderwesen Biotechnologie Apotheken Stationäre und ambulante Versorgung Beratung Medizintechnik Wellness Selbsthilfe Gesundheitshandwerk Pharmaindustrie Tourismus Gesunde Ernährung Abbildung 2: Die Gesundheitswirtschaft19 Das Gesundheitswesen leistet einen indirekten und einen direkten Beitrag zur Wertschöpfung: Der Umsatz im Krankenhausbereich steigt zum einen durch die zunehmende Nachfrage nach Krankenhausleistungen durch eine alternde Bevölkerung und durch immer neue medizinische Innovationen. Andererseits konkretisiert sich der indirekte Beitrag zur Wertschöpfung durch die Beschleunigung des Heilungsprozesses von Erwerbstätigen, was dazu beiträgt, dass volkswirtschaftliche Kosten längerer Krankenstände vermieden werden. Hier trägt das Gesundheitswesen zur Produktivität anderer Wirtschaftsbranchen bei. Der Jahresumsatz der Gesundheitswirtschaft in Deutschland wird für 2006 mit 245 Milliarden € beziffert20, was annähernd dem Umsatz der ansonsten als zentraler 19 20 in Anlehnung an: Institut Arbeit und Technik an der FH Gelsenkirchen, Claussen, W.: Innovative Prävention zwischen Medizin und Lifestyle, Essen, Januar 2009, Seite 6 siehe: Statistisches Bundesamt, Statistisches Jahrbuch 2008 Seite 255 Seite 26 von 430 Wachstums- und Konjunkturmotor angesehenen Automobilindustrie entspricht.21 In der Automobilindustrie sind im Jahresdurchschnitt 2008 756.500 Menschen beschäftigt gewesen, somit nur ein Bruchteil der Beschäftigten im Gesundheitswesen und auch weniger, als die 1,1 Millionen Beschäftigten in deutschen Krankenhäusern. Die Bedeutung der Gesundheitswirtschaft wird inzwischen auch von der Volkswirtschaft anerkannt. Zahlreiche Zukunftsforscher sehen "Gesundheit" als das entscheidende Thema des 21. Jahrhunderts an. So prognostiziert Leo A. Nefiodow anknüpfend an die kondratieff'sche "Theorie der langen Wellen", dass der nächste Produktivitäts- und Kompetenzschub, der die Wirtschaft vorantreiben wird, aus dem Gesundheitsmarkt kommen wird. Die "Theorie der langen Wellen" von Nikolai Kondratieff gilt als eines der wenigen wissenschaftlich fundierten Instrumente für eine längerfristige Zukunftsprognose in den Wirtschaftswissenschaften. Die Theorie besagt, dass marktwirtschaftlich organisierte Volkswirtschaften durch bahnbrechende Erfindungen bzw. Innovationen in Abständen von 40 bis 60 Jahren Konjunkturschübe erleben, mit denen tiefgreifende Reorganisationsprozesse einhergehen und komplett neue Wertschöpfungsketten entstehen.22 Der Gesundheitsmarkt wird als Wachstumslokomotive für die Weltwirtschaft des 21. Jahrhunderts bezeichnet. Bedarfsfelder Bekleidung Basisinnovationen Dampfmaschine Textilindustrie Stahl Eisenbahn Elektrotechnik Chemie Automobil Petrochemie Informationstechnik Psychosoziale Gesundheit Biotechnologie Zyklen 1. Kondratieff 2. Kondratieff 3. Kondratieff 4. Kondratieff 5. Kondratieff 6. Kondratieff 1800 Transport 1850 Massenkonsum 1900 Individuelle Mobilität 1950 Information Kommunikation 1990 Gesundheit 20XX Abbildung 3: Die langen Wellen und ihre wichtigsten Bedarfsfelder23 Innerhalb des Gesundheitswesens kommt dem Krankenhaussektor als größtem Arbeitgeber eine besonders hohe wirtschaftliche und beschäftigungspolitische Bedeutung zu. Mit einem Umsatz von 64 Milliarden und mit ihren rund 1,1 Millionen Beschäftigten sind Krankenhäuser in vielen Regionen die wichtigsten Arbeitgeber und 21 22 23 der Verband der Automobilindustrie gibt für 2008 einen Jahresumsatz von 288 Millionen an, siehe: http://www.vda.de/de/zahlen/jahreszahlen/allgemeines/ vom 29.3.2009 siehe: Nefiodow, L.A.: 2007 ebenda siehe: Nefiodow, L.A.: 2007 ebenda Seite 27 von 430 zugleich Abnehmer für Zulieferer wie Medizintechnik, Medicalprodukte und Arzneimittel und auch für Dienstleistungsunternehmen.24 Krankenhäuser sind zugleich zentraler Teil der sozialen Infrastruktur und der eigentliche Kernbereich des Gesundheitswesens. Sie sind Leistungsträger der medizinischen Daseinsvorsorge der Bevölkerung, sind Zentrum der medizinischen Forschung und Entwicklung und ebenso der Aus-, Fort- und Weiterbildung.25 Krankenhäuser stehen auch im Zentrum gesellschaftlicher Verantwortung, "da sich gerade bei Krankheit und Tod zeigt, welche Werte und ethischen Grundhaltungen eine Gesellschaft lebt."26 Sie erfüllen dabei die öffentliche und staatliche Aufgabe, die sich aus dem im Artikel 20 des Grundgesetzes verankerten Sozialstaatsprinzip ergibt. So werden in den über 2.100 Krankenhäusern derzeit jährlich ca. 17 Millionen Menschen versorgt. Somit nimmt ein Viertel der Bevölkerung Deutschlands im Jahreszeitraum Leistungen eines Krankenhauses in Anspruch. Mit einem potenziellen Investitionsvolumen von insgesamt 7,38 Milliarden € in 2009 sind Krankenhäuser auch potenziell in der Lage, sehr positive volkswirtschaftliche Auswirkungen zu generieren, so sie denn finanziell entsprechend ausgestattet werden.27 Die Krankenhäuser befinden sich gleichwohl wie das gesamte Gesundheitswesen in einem Dilemma: Einerseits sollen sie Arbeitsplätze generieren und Wirtschaftswachstum hervorrufen, andererseits ist ihre Finanzierung nicht gesichert, sie gelten als Mitverursacher von Defiziten bei den Krankenkassen. Mit der Einführung der leistungsorientierten Fallpauschalen wurde so ein Paradigmenwechsel im Krankenhaus vollzogen und der Handlungsdruck drastisch erhöht. Infolge dessen versorgen nun seit einigen Jahren die Krankenhäuser immer mehr Patienten mit weniger Personal, ohne dass es zu erheblichen Qualitätseinbrüchen gekommen ist. Auf dem Hintergrund dieser Entwicklung warnte allerdings die Deutsche Krankenhausgesellschaft bereits 2003: "Bei personalintensiven Dienstleistungsunternehmen, wie es Krankenhäuser sind, können Rationalisierungsmaßnahmen nicht unbegrenzt fortgeführt wer24 25 26 27 siehe: Statistisches Bundesamt, Statistisches Jahrbuch 2008 Seite 258 siehe: Deutsche Krankenhausgesellschaft: DKG Konzept für die Ausgestaltung des ordnungspolitischen Rahmens ab dem Jahr 2009, Berlin 2009 Seite 5 siehe: Deutsche Krankenhausgesellschaft: 2009 ebenda Seite 5 siehe: Deutsches Krankenhausinstitut: Kurzfristige Investitionsmaßnahmen der Krankenhäuser im Jahr 2009, Düsseldorf, Januar 2009 Seite 6 sowie Prognos AG: Makroökonomische Auswirkungen zusätzlicher Investitionen im Krankenhausbereich im Jahr 2009, Basel 2009 Seite 28 von 430 den, ohne die Qualität der Versorgung zu beeinträchtigen."28 Zentraler Leistungsträger im Krankenhaus ist das Personal. So weist das Europäische Parlament darauf hin, "dass der zunehmende Bedarf an Dienstleistungen im Gesundheits- und Pflegesektor zusätzliche Arbeitsplätze mit steigender Qualität schafft." Zugleich wird in vielen Mitgliedsstaaten "ein zunehmender Mangel an gut ausgebildeten Ärzten, medizinischem und pflegerischem Personal" festgestellt und werden gezielte Anstrengungen zur Verbesserung der Arbeitsqualität und zur Steigerung der Attraktivität dieser Berufe eingefordert.29 Es wird festgestellt, "dass die Qualität der Gesundheitsversorgung vor allem vom Aus- und Fortbildungsniveau der Angehörigen der Gesundheitsberufe und ihren angemessenen Arbeits- und Arbeitsschutzbedingungen" abhängt.30 In diesem sich dynamisch entwickelnden, komplexen Umfeld der Krankenhauslandschaft müssen Beschäftigte sich nicht nur zurechtfinden, sondern selbst permanent Motor von Innovation sein. Personalentwicklung hilft ihnen dabei und ist damit ein zentraler Baustein der Sicherung der Lebensfähigkeit der Krankenhäuser, die wiederum im Zentrum des zentralen Wirtschaftsfaktors Gesundheitswesen stehen, womit sich der Kreis an dieser Stelle schließt. 1.2 Bedeutung und Einordnung von Personalentwicklung Der Begriff Personalentwicklung ist in der Literatur auf vielfältige Weise definiert. Zumeist werden unter Personalentwicklung verschiedene Maßnahmen zusammengefasst, die der beruflichen Qualifizierung von Mitarbeitern in Organisationen dienen. Folgt man Definitionen, die auf die berufliche Qualifikation von Mitarbeitern fokussieren, dann beinhaltet Personalentwicklung alle planmäßigen personen-, stellen- und arbeitsplatzbezogenen Maßnahmen zur Ausbildung, Erhaltung oder Wiedererlangung der beruflichen Qualifikation.31 Etwas weitergehend wird Personalentwicklung verstanden als die Summe aller Maßnahmen, die die Einstellung, das Verhalten, das Wissen und das Können der Mitarbeiter systematisch weiterentwickeln mit dem Ziel, 28 29 30 31 siehe: Deutsche Krankenhausgesellschaft: Positionen zur Weiterentwicklung des Gesundheitswesens, Berlin 2003 Seite 8 siehe: Ausschuss für Beschäftigung und soziale Angelegenheiten des Europäischen Parlaments: Bericht über die Modernisierung des Sozialschutzes und die Entwicklung einer hochwertigen Gesundheitsversorgung (2004/2189 (INI)), Brüssel, 6.4.2005 Seiten 10f siehe: Europäisches Parlament, 6.4.2005 ebenda Seite 6 siehe: Holling, H. und Liebmann, D.: Personalentwicklung in: Schuler, H. (Hrsg.): Organisationspsychologie, Bern 1993, Seite 285 ff Seite 29 von 430 die Leistungsfähigkeit der Organisation und des einzelnen Beschäftigten auf Dauer zu sichern.32 Voraussetzung für Personalentwicklung ist die Potentialbeurteilung. Das Leistungs- und Lernpotential von Mitarbeitern und Gruppen von Mitarbeitern muss erkannt werden. Durch die Qualifizierung von Mitarbeitern für neue Anforderungen und durch die Einbeziehung der Mitarbeiter in die Veränderungsprozesse leistet Personalentwicklung einen wichtigen Beitrag für Veränderungsprozesse im Betrieb. Dabei befindet sich die Personalentwicklung selbst ebenfalls in einem kontinuierlichen Veränderungsprozess. Die Prioritäten und Anforderungen sind ständig zu hinterfragen und die Maßnahmen im Rahmen der Personalentwicklung zu überprüfen und anzupassen. Aus Sicht des Beschäftigten stellt Personalentwicklung einen Anreiz dar, da sie dem Bedürfnis vieler Arbeitnehmer nach persönlicher Entfaltung und Erhaltung der eigenen beruflichen Fähigkeiten entgegenkommt. Die Teilnahme an betrieblichen Personalentwicklungsmaßnahmen wird nicht selten als Belohnung erlebt. Die Personalentwicklung, die die Mitarbeiter und deren Potential im Blick hat, ist in die Organisationsentwicklung eingebunden, die darüber hinaus auch die Strukturen und Prozesse betrachtet. Diese Verzahnung ist eine Voraussetzung dafür, dass Personalentwicklung bei Veränderungsprozessen und betrieblichen Umstrukturierungen eine Motorfunktion wahrnehmen kann und nicht nur als "Reparaturmaßnahme" auf erkannte Defizite in der Mitarbeiterschaft reagiert.33 Personalentwicklung setzt Ziele voraus, die für alle Beteiligten transparent sind. Die Ziele haben sich an den Unternehmenszielen zu orientieren und sind aus diesen schlüssig abzuleiten. Dies ist aber nur ein Aspekt. Personalentwicklungsaktivitäten sollten eine optimale Übereinstimmung zwischen betrieblichen Erfordernissen und persönlichen Bedürfnissen der Mitarbeiter zum Ziel haben. Die Orientierung an betrieblichen Erfordernissen dient der Wettbewerbsfähigkeit und dem Bestand des Unternehmens. Daneben haben sich Personalentwicklungsmaßnahmen aber auch an 32 33 siehe: Hahn, M. und Hering, R.: Personalauswahl und Personalentwicklung in: Gros, E. (Hrsg.): Anwendungsbezogene Arbeits-, Betriebs- und Organisationspsychologie, Göttingen 1994, Seite 290 nach: Arbeitskreis Assessment Center e.V.: Qualitätsstandards für Personalentwicklung in Wirtschaft und Verwaltung, in: Zeitschrift für Arbeits- und Organisationspsychologie, Göttingen, 1998, Seiten 120 ff Seite 30 von 430 den Bedürfnissen und Möglichkeiten der Mitarbeiter zu orientieren. Dies dient nicht nur dem Erhalt der Arbeitskraft und der Arbeitsmotivation der Mitarbeiter. Es gehört zu den Aufgaben eines Unternehmens, die Persönlichkeit der Mitarbeiter auch jenseits ökonomischer Interessen entwickeln zu helfen.34 Noch weitergehend ist die Forderung, auch den privaten Bereich von Mitarbeitern in die Entwicklungsmaßnahmen mit einzubeziehen.35 An anderer Stelle wird eine solche Denkweise mit dem Hinweis kritisiert, Personalentwicklungsmaßnahmen dürften keine sozialpolitischen Hygienemaßnahmen sein, sondern hätten zur Lösung von Problemen im Betrieb beizutragen.36 Die Orientierung auf die Unternehmensziele wird insbesondere in der berufs- und wirtschaftspädagogischen Theorie, sofern sie sich mit Personalentwicklung im Betrieb befasst, als reduktionistisch abgelehnt. Die Konzeptionen würden überwiegend auf funktionalistisch instrumentellem Denken fußen und dazu tendieren, außengesteuerte Verhaltensweisen zu fördern. Die Reflexion als individuell eigenständige Denkleistung werde weder angeregt, noch gefördert oder entwickelt. Der Zugang zu idealistischen Wertstrukturen sei aber notwendige Voraussetzung, um eigenständige Denkprozesse anzuregen. Es würden Chancen reduziert, individuell menschliche Entwicklungspotentiale zu entfalten.37 Denkbare Ziele von Personalentwicklungsmaßnahmen könnten sein:38 a) Aus Unternehmenssicht: 34 35 36 37 38 • Dienstleistungs- und Kundenorientierung erreichen, • Personalbestand (quantitativ und qualitativ) sichern, • Qualitäts- und Verantwortungsbewusstsein entwickeln, • Zur Anwendung einer neuen Technologie befähigen (Kompetenzerweiterung), siehe: Arnold, R.; Bloh, E. (Hrsg.): Personalentwicklung im lernenden Unternehmen, Hohengehren, 4. Auflage 2009 Seiten 6 f sowie Hackstein, R.; Nüssgens, K.; Uphus, P.: Personalentwicklung im System Personalwesen, in: Fortschrittliche Betriebsführung, 21. Jahrgang (1972), Heft 2 Seite 86 siehe: Kitzmann, A.; Zimmer, D.: Grundlagen der Personalentwicklung, Weil der Stadt 1982 Seite 11 siehe: Becker, M.: Personalentwicklung, 4. Auflage Stuttgart 2005 sowie Leonhardt, W.: Personalund Managemententwicklung, Heidelberg 1984 Seiten 7 und 11 siehe: Aschenbrücker, K.: Wirtschaftspädagogische Theorie und Personalentwicklung, Wiesbaden 1991 Seite 139 siehe: Haubrock, M.; Schär, W. (Hrsg.): Betriebswirtschaft und Management im Krankenhaus, 4. Auflage Bern 2007 Seite 317 Seite 31 von 430 • Flexibilität der Beschäftigten erhöhen, • Arbeitszufriedenheit der Beschäftigten erhöhen, • Image des Unternehmens verbessern, • Identifikation mit dem Unternehmen erreichen. b) Aus Beschäftigtensicht: • Zur Übernahme höherwertiger Tätigkeiten befähigt werden, • Arbeitszufriedenheit steigern, Wertschätzung erfahren, • Balance zwischen Beruf und Freizeit/Familie erhalten, • Eigene Berufschancen durch Erlernen neuer Techniken insbesondere durch den Erwerb von Schlüsselqualifikationen, verbessern, • Risiken von Arbeitsplatzverlust oder Entgeltminderung mindern, • Voraussetzungen für Statusverbesserung und höhere Bezahlung schaffen, • Immaterielle Motive befriedigen (Freude am Lernen, an der eigenen Weiterentwicklung), • Autonomie und der Chancen zur Selbstverwirklichung steigern. Die vor allem in Beraterkreisen stark postulierte Interessenkonvergenz zwischen den Zielen „Effiziente Organisation“ und „Humanisierung der Arbeit“ wird von Fatzer als „unrealistische Harmonievorstellung“ in Frage gestellt.39 Er gibt damit einen wichtigen Hinweis darauf, dass in der betrieblichen Praxis Unternehmens- und Mitarbeiterziele sich im Spannungsfeld zwischen Übereinstimmung und Konflikt bewegen. Die Fachliteratur zu Personalentwicklung stimmt ungeachtet dessen weitgehend darin überein, dass sowohl die Unternehmensperspektive, wie auch die individuelle Perspektive des Beschäftigten einzubeziehen sind. Differenzen sind lediglich in der Betonung des einen oder des anderen Aspektes erkennbar. 1.2.1 Die Bandbreite der Definitionen von Personalentwicklung 39 siehe: Fatzer, G.: Hat die Zukunft der Organisationsentwicklung überhaupt schon begonnen? in: Nestmann, F. (Hrsg.): Das Handbuch der Beratung, Tübingen 2004 Seite 93 Seite 32 von 430 Personalentwicklung gilt traditionell als Teilgebiet des Personalmanagements40, als eine der zentralen Funktionen der betrieblichen Personalarbeit (siehe Abb. 4). Die Prognosestudie „Personalmanagement 2010“ der Universität St. Gallen weist Personalentwicklung unter zwölf klassischen Personalfunktionen die größte Bedeutung und den größten Zuwachs bis 2010 zu.41 Während ursprünglich noch bis in die 80er Jahre Darstellungen zur Personalentwicklung nahezu ausschließlich in der betriebswirtschaftlichen Literatur zu finden waren, wurde danach das Thema für die Psychologie und die systemischen Wissenschaften entdeckt. Die traditionell betriebswirtschaftlich ausgerichtete Sichtweise war stark durch die amerikanische Literatur geprägt, die nahezu ausnahmslos auf eine verbesserte Leistung bei der Aufgabenbewältigung im Unternehmen zielte.42 Eine der ersten Definitionen zur Personalentwicklung bezeichnet diese als „Entwickeln (d. h. Erweitern und/oder Vertiefen) des internen Angebots an menschlicher Arbeitsleistung (Leistungsfähigkeit und Leistungsbereitschaft) im Sinne von Ausbilden, Fortbilden, Weiterbilden, Erziehen und Umschulen von Personal“.43 40 41 42 43 Die Begriffe „Personalmanagement“, „Personalwirtschaft“ und „Personalwesen“ werden in der Fachliteratur weitgehend synonym verwendet. die Studie erhebt Entwicklungen in schweizerischen Mittel- und Großunternehmen, siehe: Wunderer, R.; Dick, P.: Personalmanagement 2010 – Herausforderungen und Konzepte, in: Schwuchow, K.; Gutmann, J. (Hrsg.): Jahrbuch Personalentwicklung und Weiterbildung 2003, Neuwied, Kriftel 2002 Seite 7 nach: Sonntag, K. (Hrsg.), Personalentwicklung in Organisationen, Göttingen, Bern, Toronto, Seattle, 3. Auflage 2006, Seiten 18ff. Sonntag verweist dabei auf eine Ausnahme: Flohr und Niederfeichtner verweisen in einem Artikel zu Forschungsstand und Forschungsbedarf der Personalentwicklung in einem von Kossbiel 1982 herausgegebenen Sonderheft auf die arbeits- und organisationspsychologische Methodenentwicklung in der Personalentwicklung. siehe: Hackstein, R.; Nüssgens, K.; Uphus, P.: 1972 ebenda Seite 34 Seite 33 von 430 Metafunktion Strategisches Personalmanagement Querschnittsfunktionen Personalcontrolling Personalmarketing Personalinformation Organisation des Personalwesens Prozessfunktionen Personalbedarfsermittlung Personalgewinnung Personaleinsatz Personalentwicklung Personalbindung Personalfreistellung Abbildung 4: Die klassischen Personalfunktionen Des Weiteren war Personalentwicklung in der Ursprungsliteratur stark auf die Entwicklung von Führungskräften fokussiert. In den 90er Jahren rückte mit der Zunahme arbeits- und organisationspsychologischer Literatur zur Personalentwicklung das gesamte Personal des Unternehmens in das Blickfeld. Das "Humankapital" wurde als einer der wichtigsten und zugleich teuersten Produktionsfaktoren entdeckt. Auslöser hierzu war u. a. das starke Anwachsen der Dienstleistungsbranche, in der die direkte personelle Leistungserstellung eine weit höhere Bedeutung hat, als in Produktionsbetrieben. Parallel hierzu stiegen die Wünsche der Arbeitnehmer nach größeren Entfaltungs-, Mitbestimmungs- und Entwicklungsmöglichkeiten.44 Die ökonomische Betrachtungsweise der Personalentwicklung hat zum Ziel, den Faktor Mensch im Produktionsablauf eines Unternehmens so effizient wie möglich einzusetzen. Damit verbunden wird die Absicht, die menschliche Arbeitsleistung an die Bedürfnisse des Unternehmens anzupassen, Personalentwicklung gilt hier als Synonym für eine dynamische Betrachtung des Faktors Arbeit. Diese "anforderungs44 siehe: Stengel, M.: Wertewandel, in: Rosenstiel, L.; Regnet, E.; Domsch, M.: Führung von Mitarbeitern, 3. Auflage Stuttgart 1995 Seite 788 Seite 34 von 430 orientierte Personalentwicklung"45 führt zur Notwendigkeit, den entsprechenden Entwicklungsbedarf im Unternehmen exakt bestimmen zu können, was bei einer zunehmenden Marktdynamik und einem starken Anwachsen der Komplexität der Umfeldbedingungen eines Unternehmens immer schwieriger wird. Gleichwohl spielt der Abgleich der Anforderungen einer Arbeitsstelle mit den Fähigkeitsprofilen des Beschäftigten in der Literatur eine große Rolle.46 Der stark unternehmenszentrierten Sicht der Personalentwicklung werden in der psychologischen Literatur Definitionen gegenübergestellt, die die Entwicklung des Individuums in den Mittelpunkt stellen. Der Mensch soll u. a. dazu befähigt werden, den Anforderungen im Unternehmen besser gerecht werden zu können. Dabei sei die Perspektive eines zu entwickelnden Beschäftigten durch die eines sich selbst entwickelnden Individuums zu ersetzen.47 Eine stärkere Betonung der ökonomischen Sichtweise findet sich bei Ridder, der betont, dass gerade zur Erreichung einer Steigerung der Produktivität auch die individuellen, verhaltensbezogenen Aspekte des einzelnen Beschäftigten zu fördern sind. Wichtig sei es auch, dass der Mensch sich mit seiner Arbeit und den Zielen des Unternehmens identifiziert.48 Aus dem Blickwinkel der Organisationspsychologie betrachtet von Rosenstiel die Personalentwicklung.49 Er leitet das Leistungsverhalten der Mitarbeiter aus unterschiedlichen Faktoren des Unternehmens ab: - das durch den Mitarbeiter in seiner Ausbildung erlernte und angeeignete individuelle Können, - die Leistungsbereitschaft bzw. das persönliche Wollen, geprägt durch die individu- 45 46 47 48 49 siehe: Ridder, H.-G.: Personalwirtschaftslehre; Stuttgart, Berlin, Köln, 1999 Seite 207 siehe: Thom, N.; Zaugg, R. J.: Moderne Personalentwicklung, 2. Auflage, Wiesbaden 2007 Seite 5 sowie Mentzel, W.: Personalentwicklung. Erfolgreich motivieren, fördern und weiterbilden, 2. Auflage München 2004 Seite 2, wobei dort der Focus stärker auf den Bedürfnissen und Fähigkeiten der Mitarbeiter liegt, die es mit den Erfordernissen des Arbeitsplatzes in Übereinstimmung zu bringen gelte. siehe: Krämer, M.: Grundlagen und Praxis der Personalentwicklung, Göttingen 2007 Seite 17 Ridder, ebenda Seite 40ff siehe: Rosenstiel, L.: Entwicklung von Werthaltung und interpersonaler Kompetenz – Beiträge der Sozialpsychologie, in: Sonntag, ebenda Seite 99ff sowie Rosenstiel, L.; Regnet, E.; Domsch, M. (Hrsg.): Führung von Mitarbeitern, 5. Auflage, Stuttgart 2003 sowie Rosenstiel, L.; Comelli, G.: Führung durch Motivation, München 1995 sowie von Rosenstiel, L.; Molt, W.; Rüttinger, B.: Organisationspsychologie, 9 Auflage Stuttgart 2005 Seite 403 Seite 35 von 430 elle Motivationsstruktur, - das soziale Dürfen, welches maßgeblich durch den Vorgesetzten beeinflusst ist und - die situativen Bedingungen, geprägt durch die Arbeitsumgebung und Rahmengegebenheiten. Individuelles Können Persönliches Wollen Leistungsfähigkeit Leistungsbereitschaft Leistungsverhalten Soziales Dürfen Situative Bedingungen Leistungserlaubnis Leistungsermöglichung Abbildung 5: Voraussetzungen menschlichen Leistungsverhaltens.50 Rosenstiel subsumiert sowohl die bewussten wie die unbewussten Änderungen des Arbeitsalltages, die dem Arbeitenden helfen, sich weiter zu entwickeln. Die Hauptaufgabe zukunftsweisender Personalentwicklung sei die soziale Kompetenzerweiterung der Mitarbeiter. Dem folgen neuere Konzepte der Personalentwicklungsarbeit, die die Sicherung der persönlichen Beschäftigungsfähigkeit des Beschäftigten verstärkt als Aufgabe der Personalentwicklung postulieren.51 Sonntag stellt das Individuum mit der psychologischen Veränderbarkeit seines Tuns ins Zentrum der Definition von Personalentwicklung. Die Maßnahmen der Personalentwicklung seien zwar betrieblich auszurichten, Ziel müsse es aber sein, neben der Befähigung zum Meistern beruflicher Anforderungen auch die zur Bewältigung alltäglicher Situationen in den Fokus zu nehmen. Die Befähigung ist durch die Veränderung des menschlichen Verhaltens zu entwickeln, was sowohl durch geplante Bil50 51 nach Rosenstiel, L.; Comelli, K.: 1995 ebenda Seite 4 siehe: Wegerich, Ch.: Neue Lernformen in Unternehmen, in: Schwuchow, K.; Gutmann, J.: Jahrbuch Personalentwicklung 2007, Frankfurt/Main 2007 Seite 221 sowie Becker, M.: Systematische Personalentwicklung, Stuttgart 2005 Seiten 172 ff sowie Wunderer, R.: Dick, P.: Personalmanagement – Quo vadis?, Neuwied, 3. Auflage 2002 Seite 134 ff Seite 36 von 430 dungsmaßnahmen, wie auch durch die Arbeitstätigkeit selbst bewirkt werden kann.52 Bei aller Unterschiedlichkeit der Definitionen und Klassifizierungen wird Personalentwicklung in der Literatur durch bestimmte Kernmerkmale übereinstimmend gekennzeichnet: Personalentwicklung soll sowohl dem Unternehmen wie der einzelnen Person dienen.53 Das Personal wird zum einen als Leistungserbringer und Teil der betrieblichen Produktion und zum anderen als Gesamtheit von Einzelpersonen mit den jeweiligen individuellen Fertigkeiten und Fähigkeiten betrachtet. Durchgehend wird die betriebliche und die persönliche Perspektive und Zielsetzung von Personalentwicklung betont. Der Theoriegehalt verschiedener Konzeptionen der Personalentwicklung in der Literatur ist bis dato nicht sehr ausgeprägt. Viele Konzeptionen sind deutlich auf die Managementpraxis ausgerichtet, ohne den Nutzen der zahlreichen Maßnahmen tatsächlich belegen zu können.54 Als Weiterentwicklung traditioneller Ansätze von Personalentwicklung verstehen sich Ansätze, die organisationales Lernen als Bezugspunkt wählen. Traditionelle Personalentwicklung wird kritisiert. In einer ersten Phase sei Personalentwicklung geprägt gewesen von angebotsorientierten Konzepten, die Fort- und Weiterbildung im Wesentlichen nach dem Gießkannenprinzip und ohne vorherige betriebliche Bedarfsanalyse betrieben habe. Auch die zweite Phase der Personalentwicklung, die ihre Maßnahmen bedarfsorientiert ausrichtet, wird kritisiert. Die Praxis der nachgeordneten Qualifikationsentwicklung laufe Gefahr, der wirklichen Bedarfsentwicklung permanent hinterherzulaufen.55 Auch vernachlässige die einseitige Anforderungsorientierung die vorhandene Wissenskompetenz der Mitarbeiter. Die Initiierung organisationaler Lernprozesse als Kernstück erfordere eine Veränderung des Selbstverständnisses der herkömmlichen Personalentwicklung. Personalentwicklung solle sich an Individuum und Organisation orientieren, sie solle potenzialorientiert ausgerichtet und von den Akteuren selbst reguliert werden. Nicht die Anpassung der Qualifikation der Mitarbeiter an neue technische oder auch strategische Gegebenheiten allein dürfe Maßstab der Bildungsarbeit sein, sondern die organisati52 53 54 55 siehe: Sonntag, K.: Personalentwicklung – ein Feld psychologischer Forschung und Gestaltung sowie Sonntag, K.; Schaper, N.: Förderung beruflicher Handlungskompetenz, in: Sonntag, K.: 2006 ebenda Seiten 18ff sowie 270ff siehe: Zenger, Ch. A.; Jung, T. (Hrsg.): Management im Gesundheitswesen und in der Gesundheitspolitik, Bern, Göttingen, Toronto, Seattle 2003 Seite 318 siehe: Aschenbrücker, K.: 1991 ebenda Seiten 87 und 138 siehe: Staudt, E.: Kompetenzentwicklung und Innovation, Münster, München, Berlin 2002 Seite 37 von 430 onale Lern- und Veränderungsfähigkeit. 56 Als weitergehende Form von Personalentwicklung wird in der Literatur das Konzept einer „Employability“, zu Deutsch: Beschäftigungsfähigkeit, propagiert57. Employability beschreibt dabei die Fähigkeit einer Person, auf Grundlage ihrer fachlichen sowie Handlungskompetenzen und ihrer Leistungsfähigkeit ihre Arbeitskraft anbieten zu können und damit in das Erwerbsleben einzutreten, die Arbeitsstelle zu behalten und –sofern erforderlich – auch eine neue Beschäftigung zu finden.58 Die Idee hinter dem Konzept der Employability grenzt sich von traditionellen Konzepten betrieblicher Personalentwicklung durch zwei Kernelemente ab: Zum einen wird dem Beschäftigten selbst die hauptsächliche Verantwortung für die eigene Entwicklung zugeschrieben. Er tritt sozusagen als „Unternehmer in eigener Sache“ auf, der eigenständig und eigeninitiativ seine Arbeitskraft vermarktet.59 Der Großteil der Verantwortung für die eigene Karriere wird auf den Mitarbeiter übertragen. Zum anderen zielt Employability nicht auf die Entwicklung in einem bestimmten Unternehmen, sondern auf die Entwicklung im Hinblick auf den gesamten Arbeitsmarkt ab. Vom Individuum wird lebenslanges aktives Lernen zum Erhalt der eigenen Beschäftigungsfähigkeit erwartet. Weiterer Bestandteil des Konzepts der Employability ist die Aufforderung an die Unternehmen, die Beschäftigungsfähigkeit als Zielgröße ihrer Personalentwicklung zu definieren. Diese Forderung wird nicht selten mit dem Hinweis kritisiert, dass die aktive Förderung von Employability die Abwanderung von Leistungsträgern fördert. 56 57 58 59 siehe: Pawlowsky, P.: Von betrieblicher Weiterbildung zum Wissensmanagement, in: Geißler, H. (Hrsg.): Organisationslernen und Weiterbildung: Die strategische Herausforderung der Zukunft, Neuwied, 1995 Seiten 425ff sowie Pawlowsky, P.; Bäumer, J.: Funktionen und Wirkungen beruflicher Weiterbildung, in: Strümpel, B.; Dierkes, M. (Hrsg.): Innovation und Beharrung in der Arbeitspolitik, Stuttgart 1993 Seiten 69ff sowie Ortner, G. E.: Objektorientiertes Organisationslernen, in: Arnold, R.; Weber, H. (Hrsg.): Weiterbildung und Organisation: Zwischen Organisationslernen und Lernen der Organisation, Berlin 1995 Seiten 127ff sowie Sonntag, K.: Lernen im Unternehmen – Effiziente Organisation durch Lernkultur, München 1996 siehe u.a.: Speck, P. (Hrsg.): Employability – Herausforderungen für die strategische Personalentwicklung, Wiesbaden, 2. Auflage 2005 siehe: Blancke, S. et al: „Employability“ („Beschäftigungsfähigkeit“) als Herausforderung für den Arbeitsmarkt. Auf dem Weg zur flexiblen Erwerbsgesellschaft, in: Arbeitsbericht Nr. 157 der Akademie für Technikfolgenabschätzung in Baden-Württemberg, Stuttgart 2000 Seite 9 siehe: Voß, G.; Pongraz, H.: Der Arbeitskraftunternehmer. Eine neue Grundform der Ware Arbeitskraft? in: Kölner Zeitschrift für Soziologie und Sozialpsychologie, 50/1998 Seite 131 Seite 38 von 430 2 Theoretische Grundlagen der Personalentwicklung Grundsätzlich wird in der wissenschaftlichen Literatur von einem nach wie vor bestehenden gravierenden theoretischen Defizit bei der Personalentwicklungsforschung ausgegangen. Prägend sei eine „populärwissenschaftlich-folkloristisch“ ausgerichtete Fachliteratur, zumeist bestückt mit Beiträgen von Praktikern großer Unternehmen.60 Die Personalentwicklungsliteratur weist viele durchaus heterogene Beiträge zu Instrumenten, Methoden und Konzepten auf. Die theoretischen Grundlagen sind oft unklar und untereinander wenig anschlussfähig. Die wissenschaftliche Personalentwicklungsdiskussion ist stark einzeldisziplinorientiert.61 Gleichwohl oder gerade deswegen erscheint es mir als Praktiker wichtig, die Wissenschaften zu befragen, was sie denn an Nutzen und Erkenntnissen stiften zum Thema Personalentwicklung in Unternehmen allgemein und in Krankenhäusern speziell. Damit lassen sich zum einen populärwissenschaftliche und auf den Verkauf von Beratungsleistungen ausgerichtete Artikel und Bücher von den wenigen wissenschaftlich fundierten Arbeiten abgrenzen. Zum anderen hilft die theoretische Auseinandersetzung per se, den kritischen Blick auf die eigene Praxis zu pflegen und diese auf dem Hintergrund aktueller wissenschaftlicher Erkenntnisse zu hinterfragen. So befrage ich im Rahmen meiner Forschungsarbeit diejenigen Wissenschaften, die für sich in Anspruch nehmen, Beiträge zur Personalentwicklung zu leisten. Eine zentrale Erkenntnis meiner Arbeit möchte ich diesbezüglich voran stellen: Jede Einzeldisziplin vermag mit ihrer ganz eigenen Spezifik einen wichtigen Beitrag für Personalentwicklung leisten. Die Erkenntnisse der Entwicklungspsychologie über die Möglichkeiten und Grenzen der Entwicklung von Denken, Wahrnehmung und Motivation im Erwachsenenalter sind für Personalentwicklung wichtig. Die Organisationssoziologie eröffnet wichtige Einblicke in die Wirkmechanismen der Gestaltung und Steuerung von Organisationen und somit Erkenntnisse für Personalentwicklung aus einem gänzlich anderen Blickwinkel. Mit der Analyse des Wechselspiels zwischen 60 61 siehe: Frey, T.: Personalentwicklung in Unternehmen – ein Arbeitsfeld für Erwachsenenpädagogen, Bielefeld 2007 Seite 8 sowie Schneider, U.: Die Evolution kennt kein Subjekt „PE“, scheint aber auf das Subjekt zu setzen – zu den Widersprüchen in der PE-Theorie und Praxis, in: Laske, S.; Gorbach, S. (Hrsg.): Spannungsfeld Personalentwicklung: Konzeptionen – Analysen – Perspektiven, Wien 1993 Seite 50 siehe: Balzereit, B.: Personalentwicklung und Personalsteuerung: Eine Untersuchung der funktionalen Beziehungen zwischen Personalentwicklung, Organisation und Führung in Betriebswirtschaften, Schriften der GHS Paderborn: Reihe Wirtschaftswissenschaften, 4, Paderborn, 1980 Seite 14 sowie Beck, S.: Skill-Management, Wiesbaden 2005 Seiten 5 und 9 Seite 39 von 430 dem autopoietischen System Mensch und seiner Umwelt liefert die Systemtheorie wesentliche Hinweise für die Einordnung der Personalentwicklung zwischen autonomer Entwicklung und struktureller Kopplung. Letztlich ist es aber die Summe der Erkenntnisse aus den zahlreichen wissenschaftlichen Einzeldisziplinen, die den Weg öffnet zu einem gesamthaften, alle Facetten betrachtenden Blick auf die Entwicklung von Menschen in Unternehmen. Und auch diese summarische Betrachtung ist letztlich nicht ausreichend, um aus den Puzzleteilen der Einzelerkenntnisse ein integriertes Bild von Personalentwicklung entstehen zu lassen. Erst die konsequent interdisziplinäre Zusammenführung, Verknüpfung und Vernetzung der Einzeldisziplinen, die kritische und reflexive Diskussion der zwangsläufig fragmentarisch angelegten Erkenntnisse aus den psychologischen Einzeldisziplinen, der Soziologie, Betriebswirtschaft, Systemtheorie, der Erziehungswissenschaft und weiterer sozialwissenschaftlicher Erkenntnisgebiete kann eine fruchtbare Basis für die Betrachtung von Personalentwicklung und darüber hinaus leisten. 2.1 Personalentwicklung und Psychologie Die moderne Psychologie fokussiert bei ihren Forschungen vor allem auf drei Aspekte: Das menschliche Verhalten, das menschliche Erleben und die Gebilde der menschlichen Kultur und ihre Bedeutung für menschliches Erleben und Verhalten.62 Die angewandte Psychologie befasst sich mit der Anwendung psychologischer Erkenntnisse allgemeiner Art mit dem Ziel, die Wechselbeziehungen von Mensch und Kultur zu verbessern.63 Wichtiger Untersuchungsgegenstand ist die Person.64 Diese fügt sich dem Sozialkörper im Sozialisierungsprozess durch Anpassung ein und wirkt zugleich formend, gestaltend und umgestaltend auf diesen ein.65 Aus psychologischer Sicht zielen Personalentwicklungsmaßnahmen auf die Gesamtpersönlichkeit des in einer Organisation tätigen Menschen. Personalentwicklung sei ein komplexer Gegenstandsbereich, der durch die Betriebswirtschaftslehre und die 62 63 64 65 siehe: Hofstätter, P.-R.: Psychologie, Fischer Lexikon Nr. 6, Frankfurt a. M. 1977 sowie Popp, M.: Einführung in die Grundbegriffe der allgemeinen Psychologie, München, Basel, 5. Auflage 1995, Seite 17f siehe: Dorsch, F.: Geschichte und Probleme der angewandten Psychologie, Bern, Stuttgart 1963, Seite 11 Der Begriff Person ist aus dem lateinischen persona entstanden, was dort „Maske, Rolle, Charakter“ bedeutet – ein nicht nur psychologisch interessanter Ursprung. siehe: Hehlmann, W.: Wörterbuch der Psychologie, Stuttgart 1974, Seite 375 Seite 40 von 430 Wirtschaftspädagogik nicht angemessen abgedeckt werden könne.66 Verschiedene Teildisziplinen der Psychologie liefern heute wichtige Grundlagen für das Themengebiet Personalentwicklung. Dabei gilt auch hier: So wertvoll die Erkenntnisse jeder dieser Teildisziplinen erscheinen mögen – der volle Erkenntnisgewinn für Personalentwicklung ergibt sich erst aus der interdisziplinären Verknüpfung. Entwicklungspsychologie Betriebspsychologie Untersuchung Betriebsklima Aufgaben-/Anforderungsanalyse; Entwicklung/Erprobung von Trainings Entwicklung als lebenslanger Prozess; Selbstgestaltung von Entwicklung; Entwicklung autonomer, sozialer, kultureller Identität Personalentwicklung Pädagogische Psychologie Optimierung von Lehr- und Lernformen; Selbstorganisiertes Lernen; Lerntransfer; kognitive und motivationale Lernaspekte; mediales Lernen Tiefenpsychologie Sozialpsychologie Entwicklung interpersoneller Kompetenzen; Sozialisationsprozesse in und durch Organisationen; Werthaltungen, Einstellungen Differentielle Psychologie Interaktion, Stabilität und Veränderbarkeit von Persönlichkeitsmerkmalen; von Person und Situation; Phänomen des Irrationalen; über die eigene Person hinausreichende Handlungsmotive Abbildung 6: Psychologische Teildisziplinen und Personalentwicklung67 Die Entwicklungspsychologie befasst sich mit der Entwicklung von Wahrnehmung, Lernen, Denken, Sprache, Motivation, Spiel und Arbeit sowie dem Verhalten in der sozialen Wirklichkeit. Hier ist insbesondere für Personalentwicklung von Interesse, auf welche Weise eine Weiterentwicklung des Menschen im Erwachsenenalter möglich ist und welche Grenzen dieser Weiterentwicklung gesetzt sind. Die Erforschung von Rahmenbedingungen und Entwicklungschancen, die einen hohen Anregungsgehalt besitzen, sind für die betriebliche Personalarbeit und insbesondere die Personalentwicklung von zentraler Bedeutung.68 Die differenzielle Psychologie befasst sich mit den interindividuellen Differenzen im 66 67 68 siehe: Sonntag, 1999 ebenda Seite 18 in Anlehnung an: Sonntag, 1999 ebenda Seite 19 nach: Oerter, R.: Menschliche Entwicklung und ihre Gestaltbarkeit – Beiträge der Entwicklungspsychologie, in: Sonntag, 1999 ebenda Seite33ff Seite 41 von 430 Verhalten und Erleben. Es geht somit um die Unterschiede zwischen verschiedenen Individuen69. Die Beachtung individueller Unterschiede bzgl. kognitiver Fähigkeiten spielt bei der Auswahl und Gestaltung von Bildungsmaßnahmen vor allem dann eine große Rolle, wenn es um die Bewältigung komplexer Fragestellungen geht. Die differenzielle Psychologie leistet für die Personalentwicklung einen wichtigen Beitrag durch die Befassung mit der Frage der Veränderbarkeit und Stabilität zentraler Persönlichkeitsmerkmale wie Lernfähigkeit oder Motiven. Traditionell befasst sich die pädagogische Psychologie mit den Bedingungen schulischen Lernens und dort mit den Zusammenhängen zwischen Lernbedingungen, Lernprozessen und Lernergebnissen. Diese traditionelle Sicht wird in neuerer Zeit durch Aspekte des Wissenserwerbs und der Selbstregulation beim Lernen erweitert. Hilfreich für Personalentwicklung sind die Forschungen zur Transferproblematik, zum Lernen mit Medien und zur Gestaltung von Lernfeldern, die die Eigeninitiative und Eigenverantwortlichkeit des Lernenden unterstützen.70 Mit dem Verhalten und Erleben von Individuen in verschiedenen Gruppen und Organisationen befasst sich die Sozialpsychologie. Für Personalentwicklung interessante Themenfelder sind Sozialisationsprozesse in und durch Organisationen, Werteerziehung der Organisationsmitglieder sowie Beeinflussung von Einstellungen und Werthaltungen durch die Gestaltung organisationaler Merkmale.71 Die Tiefenpsychologie dürfte für Fragestellungen der Personalentwicklung auf den ersten Blick weniger bedeutend sein. Rosenstiel gibt dabei einen durchaus erwähnenswerten Hinweis darauf, dass bei der Führung von Mitarbeitern im Unternehmen die rationalen Konzepte der Betriebwirtschaftslehre, der Organisationssoziologie und der Organisationspsychologie bisweilen an ihre Grenzen stoßen. In Anlehnung an tiefenpsychologische Modelle verweist er darauf, dass Menschen nicht ausschließlich rational und bewusst handeln, sondern hin und wieder auch „irrationalen“ Prozessen ausgeliefert sind, die sie häufig selbst kaum begründen können. Handlungsmotive von Menschen sind nicht ausschließlich rational kalkuliert, noch in allen Fa69 70 71 Differenzen bei einem einzelnen Individuum zu verschiedenen Zeitpunkten oder zwischen Verhalten und Erleben werden als "intraindividuelle Differenzen" bezeichnet siehe: Bredenkamp, K.: Pädagogische Psychologie, in: Steckbrief der Psychologie, Heidelberg 1977 Seite 207ff sowie Krapp, A.; Weidenmann, B.: Entwicklungsförderliche Gestaltung von Lernprozessen – Beiträge der pädagogischen Psychologie, in: Sonntag, 1999 ebenda Seiten 77ff siehe: Rosenstiel, L.: Entwicklung von Werthaltungen und interpersonaler Kompetenz – Beiträge der Sozialpsychologie, in: Sonntag, 1999 ebenda Seite 99ff Seite 42 von 430 cetten bewusst und sie reichen über die eigene Person hinaus.72 Die älteste Teildisziplin der Psychologie, die sich mit dem Menschen im Arbeitsleben auseinandersetzt, ist die Betriebspsychologie, der im weiteren Sinne auch die Arbeits- und die Organisationspsychologie zugeordnet werden können. Die Betriebspsychologie ist traditionell eine angewandte Psychologie. Sie versucht, das Verhalten und Leben der Menschen im Betrieb zu verstehen und auf das Arbeitsumfeld Einfluss zu nehmen. Zentrale Beiträge zur Personalentwicklung sind die Qualifizierung durch Arbeitsgestaltung und die Begründung der aktiven Mitwirkung der Betroffenen im Veränderungsprozess, wobei beides zu einer guten Produktivität beitragen soll.73 Die Arbeitspsychologie postuliert grundsätzlich den Vorrang der Arbeitsplatzgestaltung vor der Arbeitsmittelgestaltung.74 Sie beschreibt den Menschen als zugleich durch die Bedingungen bestimmtes wie diese beeinflussendes Subjekt. Der Mensch ringe sozial integriert, souverän und autonom mit den aktuellen Leistungsanforderungen. Über sein wertorientiertes Tätigsein gebe er der Makroperspektive seines Lebensvollzugs einen individuellen Sinn.75 Weitere wichtige Hinweise zum Thema Personalentwicklung ergeben sich aus der psychologischen Forschung zu den Themen „Lernen“ sowie „Motivation“, hier insbesondere der Leistungsmotivation. Beides sind wichtige Untersuchungsgegenstände der Psychologie und zugleich zentrale Determinanten von Personalentwicklung. Gleichwohl bleibt festzuhalten, dass es bei Personalentwicklung nicht nur um das einzelne Individuum in der Organisation geht, sondern auch um organisationale Phänomene, die unabhängig vom einzelnen Menschen existent sind und wirksam werden und die sich teilweise auch unabhängig von den Organisationsmitgliedern entwickeln, was noch hergeleitet wird.76 Insofern liefert die psychologische Sicht der Personalentwicklung zwar wertvolle Hinweise, greift aber letztlich zu kurz. 72 73 74 75 76 siehe: Rosenstiel, L.: Tiefenpsychologische Grundlagen in der Führung von Mitarbeitern, in: Rosenstiel, Regnet, Domsch, 2003 ebenda Seite 27ff siehe: Ort, M.: Betriebs- und Werbepsychologie, in: Steckbrief der Psychologie, Heidelberg, 1977 Seiten 244ff sowie Ulich, E.: Lern- und Entwicklungspotenziale in der Arbeit – Beiträge der Arbeitsund Organisationspsychologie in: Sonntag, 1999 ebenda Seiten 123ff siehe: Borsi, G.M.: Das Krankenhaus als lernende Organisation, 2. Auflage Heidelberg 1995 Seite 6 nach: Schröder, H; Schröder, C.: Gesundheit in der Einheit von Persönlichkeits- und Leistungsentwicklung, in: Schröder H.; Reschke, K. (Hrsg.): 15 Jahre Psychologie an der Alma mater Lipsiensis – Standpunkte und Perspektiven; Leipzig 1990 Seite 88 siehe Teil II Abschnitt 4 Personalentwicklung im Kontext der „Lernenden Organisation“ Seite 43 von 430 2.2 Personalentwicklung und Soziologie Der wissenschaftliche Untersuchungsgegenstand der Soziologie sind Struktur, Funktions- und Entwicklungszusammenhänge der Gesellschaft. Sie gehört zu den Sozialwissenschaften und erforscht und beschreibt mittels verschiedener soziologischer Methoden das soziale Zusammenleben in Gemeinschaften und Gesellschaften. Die Soziologie fragt nach dem Sinn und den Strukturen des sozialen Handelns und nach den damit verbundenen Normen. Sie untersucht einerseits die Gesellschaft als Ganzes, andererseits aber auch Teilbereiche wie Organisationen und dort Unternehmungen. Nach dem Untersuchungsgegenstand werden die allgemeine Soziologie und spezielle Soziologien unterschieden. Die Allgemeine Soziologie fokussiert auf die Entwicklung wichtiger theoretischer Ansätze und untersucht das Verhältnis von Person und sozialem System sowie Struktur und Wandel sozialer Systeme. Für den Themenbereich Personalentwicklung interessante Themen der Allgemeinen Soziologie sind u. a. soziales Handeln, soziale Interaktion, soziale Ungleichheit, Macht, Herrschaft, sozialer Wandel oder soziale Rollen. Die sog. „Bindestrichsoziologien“ sind spezielle Soziologien, die sich mit Strukturen und Prozessen in gesellschaftlichen Teilsystemen oder institutionellen Bereichen befassen. Für Personalentwicklung interessante Hinweise liefern hier insbesondere die Industrie- und Arbeitssoziologie, Betriebssoziologie und die Organisationssoziologie. Die in diesen speziellen Soziologien behandelten Themenfelder sind nicht immer trennscharf zu unterscheiden. Der Arbeitsbegriff der Soziologie zielt auf die sozialen Beziehungen, im Rahmen derer Arbeit verrichtet wird, auf die gesellschaftlichen Strukturen, die Arbeitsverhältnisse begründen und auf die soziale und kulturelle Bewertung und Bedeutung der Arbeit.77 Menschen eignen sich im Austausch mit der Natur ihre Umgebung an. Sie tun dies in der Regel in sozialen Formationen, so dass nicht nur Kenntnisse und Geschicklichkeit in instrumenteller Hinsicht, sondern auch Kreativität bei der sozialen Anordnung 77 siehe: Mikl-Horke, G.: Industrie- und Arbeitssoziologie, 5. Auflage, München, Wien, 2000 Seite 6 Seite 44 von 430 des Zusammenwirkens erforderlich sind.78 Mit der Entwicklung von der Industriegesellschaft zur Dienstleistungs- und Wissensgesellschaft hat sich das Verständnis von Arbeit auch für die Soziologie stark verändert. Für diese Sozialwissenschaft eher untypisch findet zwischenzeitlich auch die Dimension der Subjektivität eine gewisse Beachtung in der Soziologie. Das berufliche Handeln wird als sinnorientiertes Tun verstanden, der Mensch als Produkt und Produzent seiner eigenen Wirklichkeit akzeptiert.79 Die Arbeits- und Industriesoziologie befindet sich auf der Suche nach einem neuen Arbeitsbegriff und scheint sich hier zunehmend auch psychologischen Erkenntnissen zuzuwenden. Es dürfte auf mittlere Sicht immer schwieriger werden, sich von der Organisationspsychologie abzugrenzen. Die Organisationssoziologie ist eines der jüngsten wissenschaftlichen Fächer, welches sich erst nach Ende des letzten Weltkrieges entwickelt hat. Unter dem Einfluss von Kybernetik und Systemtheorie wurde das Phänomen Organisation zunehmend aus der Perspektive der Organisation selbst betrachtet und erforscht.80 Die Organisationssoziologie befasst sich mit der Beschreibung, der Erklärung sowie der Gestaltung und Steuerung von Organisationen. Sie ist in hohem Maße interdisziplinär ausgerichtet.81 Viele Grundlagen der Organisationssoziologie stammen aus der Industriesoziologie. Angrenzende Disziplinen sind u. a. die betriebswirtschaftliche Organisationslehre, das Verwaltungsrecht, die Organisationspsychologie sowie die Kommunikationswissenschaften.82 Insbesondere im Zusammenhang mit der Frage der kognitiven Voraussetzungen und Grenzen für koordiniertes Handeln mehrerer Akteure gelten organisationspsychologische Standardwerke als Basiswissen der Organisationssoziologie.83 Beide Wissenschaftsdisziplinen nehmen z. B. Bezug auf die berühmten Hawthorne-Untersuchungen von Roethlisberger und Dickson.84 Die Organisationssoziologie sieht in der Organisation ein soziales System, das vor 78 79 80 81 82 83 84 siehe: Prott, J.: Betriebsorganisation und Arbeitszufriedenheit, Opladen 2001 Seite 13 siehe: Mikl-Horke, G.: ebenda Seite 439 siehe: Abraham, M.; Büschges, G.: Einführung in die Organisationssoziologie, 3. Auflage, Wiesbaden 2004 Seite 75 siehe: Preisendörfer, P.: Organisationssoziologie, Wiesbaden 2005 Seite 11 siehe: Endruweit, G.: Organisationssoziologie, 2. Auflage, Stuttgart 2004 Seiten 12 und 13 siehe: Allmendinger, J.: Organisationssoziologie, Wiesbaden 2002 Seite 12 siehe: von Rosenstiel, L.; Molt, W.; Rüttinger, B.: Organisationspsychologie, 9. Auflage Stuttgart 2005 Seite 24 Seite 45 von 430 allem Koordinations- und Kooperationsprobleme zu lösen hat. Organisationen sind sog. Akteure zweiter Ordnung, in denen Ressourcen von Akteuren erster Ordnung zu einer spezifischen Zweckerreichung zusammengeführt werden. Organisationen sind Herrschaftsapparate.85 Die Verbindung von spezifischem Zweck und Arbeitsteilung definiert auch die besondere Bedeutung der einzelnen Personen für die Organisation: Diese machen nicht ihre allgemeinen Qualitäten als menschliches Wesen, noch ihre individuellen Eigentümlichkeiten und Charakterzüge aus, sondern ergeben sich aus den spezifischen Beiträgen, die sie in ihrer Funktion im arbeitsteiligen Gefüge der Organisation leisten. Dem Organisationsmanagement obliegt die Aufgabe, dafür Sorge zu tragen, dass die Organisationsmitglieder jene Leistung erbringen, die der Verwirklichung des Organisationszweckes dient, auch dann, wenn die individuellen Motive mit den organisatorischen Zwecksetzungen bisweilen konkurrieren. „Im Rahmen der organisationsspezifischen Sozialisation geht es in erster Linie darum, den Akteuren jene fachlichen Qualifikationen, technischen Fertigkeiten, sozialen Normen, Verhaltensweisen, Rollenmuster, Werthaltungen, Einstellungen und Überzeugungen zu vermitteln, die benötigt werden oder erforderlich scheinen, die Organisationszwecke im Rahmen der jeweils zugeteilten Organisationsaufgaben im arbeitsteiligen Prozess zu verwirklichen“.86 Diese zentrale Fragestellung der Organisationssoziologie macht die Nähe zu und den Nutzen für Personalentwicklung deutlich. 2.3 Personalentwicklung und Betriebswirtschaft In der Betriebswirtschaftslehre ist der Mensch im Betrieb ein Faktor, der zur Realisierung des Unternehmenszieles eingesetzt wird. Die theoretische Grundlage ist im Produktionsfaktoransatz von Gutenberg zu finden.87 Die Mitarbeiter einer Unternehmung sind Produktionsfaktoren wie Kapital, Roh- und Betriebsstoffe, Maschinen und Gebäude. Nach dieser Theorie sind die Eigenschaften dieser Mitarbeiter, ihre Ziele, Emotionen, Wünsche und Ängste lediglich Rahmenbedingungen, die beim Einsatz dieses Produktionsfaktors zu berücksichtigen und im Sinne des Unternehmenszieles zu gestalten sind.88 Der Mensch ist lediglich ein der ökonomischen Zielsetzung un- 85 86 87 88 siehe: Allmendinger, J.: 2002 ebenda Seiten 10 und 11 nach: Abraham, M.; Büschges, G.: 2004 ebenda Seiten 46 und 47 siehe: Gutenberg, E.: Grundlagen der Betriebswirtschaftslehre Band 1: Die Produktion; 24. Auflage Heidelberg 1983 siehe auch: Wöhe, G./Döhring, U.: Einführung in die allgemeine Betriebswirtschaftslehre 21. Auflage München 2002 Seite 46 von 430 tergeordnetes „Entscheidungsobjekt“.89 An einer hiernach stringent ausgerichteten Personalentwicklung wird kritisiert, dass die Ziele, Bedürfnisse und Motive insbesondere der Mitarbeiter der niederen Hierarchieebenen im Zielsystem des Unternehmens nur unzureichend berücksichtigt werden.90 In Abgrenzung zum Human-Relations-Ansatz, der vor allem in die Betriebspsychologie Eingang gefunden hat, wird durch Vertreter des personalökonomischen Ansatzes kritisiert, in den psychologischen Ansätzen der Personalentwicklung seien allenfalls Spurenelemente ökonomischen Denkens anzutreffen.91 Personalpolitische Entscheidungen, so auch Personalentwicklungsmaßnahmen, werden einem ökonomischen Kalkül unterzogen. Das damit verbundene Menschenbild ist das des „Homo Oeconomicus“, der mit seinen Handlungen streng nach dem Rationalitätsprinzip handelt und grundsätzlich nach dem jeweils größten wirtschaftlichen Nutzen strebt. Sein Verhalten sei durch drei grundsätzliche Wesensmerkmale bestimmt: Die Nutzenmaximierung, den Opportunismus und die Rationalität.92 Nutzenmaximierung bedeutet, dass der Mensch seinen persönlichen Nutzen maximiert, indem er die jeweils für ihn persönlich vorteilhafteste Handlungsalternative wählt. Die Kunst des Personalmanagements sei es, die Rahmenbedingungen so zu gestalten, dass die persönliche Nutzenmaximierung jeweils auch dem Unternehmensziel dient. Mit Opportunismus ist gemeint, dass die persönliche Nutzenmaximierung im Zweifel auch davor nicht halt macht, anderen zu schaden. Hier sei es Aufgabe des Unternehmens, die Spielräume für opportunistisches Verhalten zu reduzieren. Rationalität meint, dass der Mensch sich in der Regel nicht so verhält, dass er sich selbst schadet. Er wählt die aus seiner subjektiven Sicht hierzu notwendige Handlungsalternative. Dies sei aber nicht per se die objektiv beste Entscheidung, zumal das Individuum im Betrieb nur eingeschränkt in der Lage sei, die erforderlichen Informationen aufzunehmen und zu verarbeiten. Hier sei es Aufgabe des Managements, durch die Schaffung von Transparenz Rationalitätsverzerrungen möglichst zu minimieren.93 89 90 91 92 93 siehe: Aschenbrücker, K.: 1991 ebenda Seite 91 siehe: Staehle, W.: Die Stellung des Menschen in neueren betriebswirtschaftlichen Theoriesystemen, in: Zeitschrift für Betriebswirtschaft, 45. Jahrgang (1975), Seite 719 siehe: Wunderer, R.; Mittmann, J.: 10 Jahre Personalwirtschaftslehre – von Ökonomie nur Spurenelemente, in: DBW, 43. Jahrgang, 4, 1983 Seiten 623 bis 655 siehe: Holtbrügge, D.: Personalmanagement, 2. Auflage Berlin, Heidelberg, New York 2004 Seiten 27ff Holtbrügge zitiert in seinem Buch den US-amerikanischen Nobel-Preisträger für Ökonomie Gary S. Becker mit der Behauptung, menschliches Verhalten könne in vielen Bereichen mit Hilfe des ökonomischen Ansatzes erklärt werden. „Das beginnt mit der Entscheidung zu heiraten. Auch da steht die Frage nach dem Nutzen im Vordergrund, den ein Mensch sich von der Ehe erwartet – sowohl Seite 47 von 430 In Abgrenzung zu einerseits psychologischen oder verhaltenswissenschaftlich hergeleiteten Vorstellungen von Personalentwicklung sowie andererseits zu systemtheoretischen Ansätzen lautet die Anforderung der Betriebswirtschaftslehre an Personalentwicklung: Das Verhalten der Organisationsmitglieder ist im Unternehmensinteresse zu steuern und zu gestalten. Personalentwicklung umfasst Maßnahmen, die auf die Entwicklung und Verbesserung der Leistungsfähigkeit und Leistungsbereitschaft der Mitarbeiter zielen.94 Wesentliche Zielsetzungen der Personalentwicklung sind neben der Steigerung der Leistungsfähigkeit der Menschen im Unternehmen auch deren Funktion als Teil des betrieblichen Anreizpotentials, da der Mitarbeiter damit seine eigenen Wettbewerbschancen erhöhen kann. Als weitere wichtige Funktion von Personalentwicklung wird die Steigerung der Wettbewerbsfähigkeit des Unternehmens genannt.95 Vor dem Hintergrund der Transaktionskostentheorie wird der Vermittlung unternehmungsspezifischer Qualifikationen im Rahmen der Personalentwicklung hohe Priorität eingeräumt, da diese in Konkurrenzunternehmungen nicht verwertbar seien und dadurch die Bindung des Beschäftigten an das Unternehmen erhöhen.96 Ökonomen fordern folglich auch Kostenanalysen der Personalentwicklung, müssen aber zugleich einräumen, dass es bisher hierzu keine tatsächlich validen Instrumente gibt. Mit Mitteln des Bildungscontrollings wird versucht, die Effizienz von Personalentwicklungsmaßnahmen zu messen.97 Die Schwierigkeiten dieser Effizienzmessun- 94 95 96 97 immateriell als auch materiell. Auf dem Heiratsmarkt wird jemand so lange suchen, bis er den Partner gefunden hat, der ihm den höchsten Wert verspricht – in Form von Liebe oder materieller Vorteile in Form eines höheren Einkommens. Anders ausgedrückt: Die weitere Suche nach einer Alternative würde keine spürbare Verbesserung mehr bringen – Zeit und Kosten dafür würden den Vorteil aufwiegen“ siehe: Holtbrügge, D.: 2004 ebenda Seiten 28 f siehe: Gabler Wirtschaftslexikon, Band 6, 13. Auflage Wiesbaden 1993 Seiten 2.564 und 2.568 siehe: Gabler Wirtschaftslexikon, 1993 ebenda Seite 2.564 sowie Lamberti, M.-A.; Sommerfeld, V.: Strategische Personalentwicklung, Weinheim, Basel, Berlin, 2003 Seiten 14f sowie Eichhorn, P.; Seelos, H.-J.; Graf von Schulenburg, J.-M. (Hrsg.): Krankenhausmanagement, München, Jena 2000 Seite 409 die Transaktionskostentheorie verweist darauf, dass Abwicklungen von Transaktionen über den Markt nicht kostenlos sind. Im Bereich Personalmanagement entstehen Transaktionskosten für Anbahnung, Formulierung, Schließung, Überwachung, Durchsetzung und Anpassung von Verträgen. Die Höhe der Transaktionskosten sei von drei Rahmenbedingungen abhängig: Der Spezifität, der Unsicherheit und der Häufigkeit von Transaktionen. Siehe: Coase, R. H.: The Nature of The Firm in: „Economica“, Vol. 4,1937, Seiten 386 bis 405 sowie Williamson, O. E.: Die ökonomischen Institutionen des Kapitalismus, Tübingen 1990 Seite 45 ff nach Kirkpatrick sollen Personalentwicklungsmaßnahmen in vier Phasen auf ihre Effizienz gemessen werden: Durch eine subjektive Zufriedenheitskontrolle unmittelbar im Anschluss an die Maßnahme; durch eine Lernerfolgskontrolle soll der tatsächliche Lernerfolg gemessen werden; die Transfererfolgskontrolle soll Verhaltensänderungen am Arbeitsplatz feststellen und die Impactkontrolle soll erfassen, inwieweit Personalentwicklungsmaßnahmen auf die Ziele der Mitarbeiter Seite 48 von 430 gen liegen auf der Hand und sind dafür verantwortlich, dass bisher kaum valide empirische Untersuchungen vorliegen.98 In der Fachliteratur zur Personalentwicklung wird immer wieder darauf hingewiesen, Unternehmen sollten im Bereich der Qualifizierung der Mitarbeiter auch in wirtschaftlich schwierigen Zeiten keine Abstriche machen. Dies weist darauf hin, dass die Kostenfrage im Zusammenhang mit Personalentwicklung in der Praxis eine nicht zu unterschätzende Rolle spielt.99 In doch recht krassem Widerspruch zum selbst postulierten Anspruch der Betriebswirtschaft, für alle Facetten betrieblicher Phänomene und Entwicklungen zuständig zu sein, sind die eigenständigen Beiträge zum Thema Personalentwicklung inhaltlich stark limitiert. Letztlich bleiben der Verweis auf die Notwendigkeit, Nutzen und Aufwand von Personalentwicklungsmaßnahmen gegeneinander abzuwägen und der Versuch, hierfür Instrumente zu entwickeln. Arbeiten aus der Betriebswirtschaft, die sich mit Lernen und Entwickeln im Unternehmen auseinandersetzen, nehmen überwiegend auf die Ergebnisse der Arbeits- und Organisationspsychologie und – soziologie Bezug. Die eigenständige Auseinandersetzung mit Personalentwicklung bleibt an der Oberfläche von Personalmarketingüberlegungen und Wirtschaftlichkeitskalkül. Insofern vermag ich im Ergebnis in der Betriebswirtschaft derzeit keine Ansätze zu erkennen, ihre Eindimensionalität zugunsten eines für eine integrierte Sicht der Personalentwicklung notwendigen mehrdimensionalen Modells aufzugeben. 2.4 Personalentwicklung und Systemtheorie Zentrale Erkenntnis der Systemtheorie ist die so genannte „Autopoiesis“, die besagt, dass sich Systeme selbst erzeugen und erhalten, indem sie eine innere harmonische Geschlossenheit anstreben. Es geht dabei sowohl um die inneren Zusammenhänge und Wechselwirkungen eines Systems wie um die Beziehungen zur Systemumwelt. Erkenntnisse der Systemtheorie sind insbesondere für Großunternehmen relevant, die sich durch eine hohe Komplexität auszeichnen, in deren Folge wesentliche Ent- 98 99 und der Unternehmungen einwirken. Siehe: Kirkpatrick, J.: Evaluating Training Programs, the Four Levels, San Francisco 1998 siehe: Swig, T.: Weiterbildungsintensität und betriebliche Produktivität in: Zeitschrift für Betriebswirtschaft (ZfB), 74. Jahrgang, 7, 2004, Seiten 651 bis 668 siehe u. a.: Eichhorn,P.; Seelos, H.-J.; Graf von Schulenburg, J.-M.: 2000 ebenda Seite 414 Seite 49 von 430 scheidungen in der Regel ohne genaue Kenntnis aller entscheidungsrelevanten Informationen zu treffen sind. So ist Komplexität auch der zentrale Forschungsgegenstand der Systemtheorie und der daraus abgeleiteten Managementlehre.100 Die Perspektive der systemorientierten Managementlehre ist die Gestaltung und Lenkung von komplexen, dynamischen sozialen Systemen. In einer Gegenüberstellung grenzt Malik den evolutionär-systemischen Ansatz von der konstruktivistischtechnomorphen Denkweise ab.101 Dem konstruktivistisch-technomorphen Theorietyp liegt die Denkweise der klassischen Mechanik zu Grunde. Durch planvolles menschliches Handeln könne Komplexität so beherrscht werden, dass die Resultate des Handelns auch den zuvor gefassten Absichten und Zwecken entspricht. Nur auf diesem Weg sei es möglich, dass Zweckmäßiges entstehen könne mit der Folge, dass jede Ordnung ausschließlich durch zweckrationales und absichtsvolles Handeln zustande kommt. In Abgrenzung hierzu liegt der systemisch-evolutionären Theorie die Vorstellung der spontanen, sich selbst generierenden Ordnung zu Grunde, die sich am Entstehen lebender Organismen orientiert. Wie Organismen nicht auf Grund eines zweckrationalen Planes gemacht werden, sondern sich entwickeln, entwickeln sich auch im sozialen Bereich spontane Ordnungen. Diese seien zwar durchaus das Ergebnis menschlichen Handelns, sie entsprächen aber nicht notwendigerweise den im Voraus festgelegten Plänen und Absichten. Das „Geheimnis“ der Entstehung zweckrationaler Ordnungen liege darin, dass der Mensch nicht nur von Zielen geleitet werde, sondern sein Verhalten an Regeln orientiert, welche die Art und Weise seines Verhaltens bestimmen. Diese Regeln dienen dazu, sich zu orientieren und stabile Erwartungen über das Verhalten anderer zu bilden. Auf diese Weise könne das eigene Verhalten mit demjenigen einer sehr großen Zahl anderer Menschen koordiniert werden. In der Evolutionsgeschichte hätten diejenigen Ordnungstypen und Regelsysteme überlebt, die die Orientierung und Koordination der Menschen im Rahmen einer sozialen Organisation sinnvoll ermöglicht hätten. Regelsysteme, die zur Desorientie100 101 siehe u. a.: Luhmann, N.: Soziale Systeme, Grundriss einer allgemeinen Theorie, 6. Auflage Frankfurt/Main 2001 sowie Willke, H.: Systemtheorie I: Grundlagen, 6. Auflage Stuttgart 2000 Seiten 51 ff siehe: Malik, F.: Strategie des Managements komplexer Systeme, 7. Auflage Bern, Stuttgart, Wien 2002 Seite 36ff Seite 50 von 430 rung der Systemmitglieder führten oder die auf Dauer nicht in der Lage waren, durch Leistung die Lebensfähigkeit der Menschen im System zu garantieren, waren selbst nicht durchsetzungsfähig. Systemtheoretisches Denken verändert den Blickwinkel für Personalentwicklung im Großunternehmen: Die individuelle, auf die Einzelperson ausgerichtete Perspektive, die im psychologischen Ansatz dominiert, wird als bedeutend, aber nicht ausreichend betrachtet.102 Das Verhalten der Menschen im Betrieb wird nicht auf die interpersonelle Ebene insbesondere zwischen Vorgesetzten und Mitarbeitern beschränkt, sondern als wesentlich durch den Kontext des Systems mitbestimmt betrachtet. Das Ideal der systemischen Managementtheorie ist die Selbststeuerung und Selbstorganisation des Unternehmens.103 „Um tatsächlich ein funktionierendes System der Selbstregulation aufzubauen, sollte die Personalentwicklung darauf abzielen, dem Personal die erforderlichen Fähigkeiten zu vermitteln, um Änderungsprozesse selbst zu erkennen und durchführen zu können“.104 Vor dem Hintergrund der Systemtheorie wird deutlich, dass ein Unternehmen allein durch Entscheidungen und Anweisungen von oben oder durch die hierarchische Gestaltung von Verordnungen, Erlassen und Verfahrensanweisungen nicht wirksam geführt werden kann. Die Entwicklung einer Organisation und ihrer Subsysteme hängt von den internen Strukturen und Ressourcen ab und ist überwiegend eine Eigenleistung des jeweiligen Systems. Versuche einer direktiven Einflussnahme führen im Zweifel zu Vermeidungshaltungen und zu organisatorischer Verantwortungslosigkeit. Dies gilt für Großkrankenhäuser mit ihren komplexen Strukturen in besonderer Weise. Ein Aushandlungssystem zwischen wechselseitig abhängigen Subsystemen und dem Gesamtsystem wird zum zentralen Steuerungsinstrument. Das sog. „Steuerungsparadoxon“ beschreibt, dass die Steuerungsmöglichkeiten von außen mit dem Grad der Selbststeuerungskompetenz der Subsysteme steigt. „Je entwickelter und autonomer eine Organisation ist, je reifer sie ihre Selbstorganisation betreibt, desto eher ist sie für Steuerungsimpulse von außen ansprechbar. Kontextsteuerung und Autonomie, wirkungsvolle Einflussnahme und Selbstorganisation gehören zusammen“.105 102 103 104 105 siehe: Malik, 2002 ebenda Seite 50 siehe: Stadelmann, P.: Managementtugenden kybernetisch betrachtet – oder: die Selbststeuerung des Selbst, in: Krieg, W.; Galler, K.; Stadelmann, P.: Richtiges und gutes Management: vom System zur Praxis, Bern, Stuttgart, Wien 2005 Seite 115 siehe: Sprenger, R.: Das Prinzip Selbstverantwortung: Wege zur Motivation, 10. Auflage Frankfurt, New York, 1999 Seite 201 siehe: Grossmann, R.; Scala, K.; Heimerl, K.: Intelligentes Krankenhaus: Innovative Beispiele der Organisationsentwicklung in Krankenhäusern und Pflegeheimen, Wien 2002 Seite 19 Seite 51 von 430 Es war das Verdienst von Ulrich, in einem umfassenden, systemtheoretisch fundierten Unternehmenskonzept die soziale Perspektive konzeptionell zu verankern.106 Das Unternehmenskonzept umfasst drei Teilkonzepte, das leistungswirtschaftliche, das finanzwirtschaftliche und das soziale Konzept. Die Unternehmung wird als soziale Institution gesehen, die einerseits Bestandteil eines größeren sozialen Systems, nämlich der Gesellschaft ist und andererseits selbst als soziales System zu betrachten ist. Ulrich postuliert die Existenz einer sozialen Verantwortung der Unternehmung. Aus dieser seien konkrete Zielvorstellungen und Verhaltensgrundsätze nach außen gegenüber der Gesellschaft und nach innen gegenüber den Mitarbeitern abzuleiten. Das externe soziale Konzept beantwortet die Frage, wie das Verhältnis der Unternehmung zur Gesellschaft ist und welche Ziele und Verhaltensnormen sie anstrebt. Das interne soziale Konzept definiert das Verhältnis der Unternehmung zu ihren Mitarbeitern und deren konkreten Ansprüchen und leitet daraus soziale Ziele und Strategien ab. Das Unternehmen wird als komplexes, produktives soziales System betrachtet. Die Notwendigkeit, ein soziales Konzept zu entwickeln, leitet Ulrich aus dem Selbstwert des Menschen ab, der es verbiete, diesen als Mittel zum Erreichen wirtschaftlicher Zwecke zu betrachten. Es sei eine Aufgabe des Unternehmens, einen Beitrag zur Humanisierung der Arbeit zu leisten. Ulrich sieht vier Bereiche, in denen diese Ziele zu definieren seien: 1. Betriebsordnung/Organisation/Arbeitsgestaltung: Hier geht es um Themen wie Unfallverhütung, Vermeidung schädlicher Arbeitsbedingungen, Kompetenz- und Verantwortungsdelegation, Schaffung interessanter Aufgabenbereiche oder Anpassung der Arbeitsplätze an den Menschen. 2. Finanzielle Leistungen des Unternehmens: Hier geht es um das Lohnsystem. 3. Persönliche Förderung der Mitarbeiter: Hier geht es um Fort- und Weiterbildungsmöglichkeiten, transparente Informationen oder Führen mit Zielen. 4. Anerkennung kollektiver Interessenvertretung: Hier geht es um die Anerkennung der Gewerkschaften als soziale Partner und die Anerkennung von Mitarbeitervertretungen. An der Aufzählung ist unschwer zu erkennen, dass diese die Bedingungen der 106 siehe: Ulrich, H.; Krieg, W.: St. Galler Managementmodell, St. Gallen 1974 sowie Ulrich, H.: Gesammelte Schriften Band 1 und 2, Bern 2001 Seite 52 von 430 1970er Jahre reflektiert. Aber schon bei Ulrich geht es um die Entwicklung allgemeiner Verhaltensnormen in der Unternehmung. An dieser Stelle soll nun die systemtheoretische Sicht auf die Organisation ergänzt werden um die systemtheoretische Sicht auf das System Mensch. Bei Maturana und Varela wird auch der Mensch und insbesondere das menschliche Gehirn als autopoietisches System und somit als abgeschlossene, selbstreferenzielle Einheit betrachtet.107 Eine selbstreferenzielle Einheit wird durch die Fähigkeit bestimmt, ihre eigenen Zustände rekursiv aus früheren Zuständen (weiter)zuentwickeln.108 Vor diesem Hintergrund wird davon ausgegangen, dass Wahrnehmung als wesentliche Leistung des menschlichen Gehirns über dessen interne Kriterien (Zustände) konstruiert wird. Die Existenz einer sozusagen vom Betrachter unabhängigen Wirklichkeit wird verneint. „Die Wirklichkeit, in der ich lebe, ist ein Konstrukt des Gehirns.“109 Lebende Systeme können gleichwohl nicht unabhängig von ihrer Umwelt existieren, sie sind zwar informationell „geschlossen“, notwendigerweise zum Erhalt ihrer Lebensfähigkeit aber energetisch offen. Diese Offenheit führt auch dazu, dass lebende Systeme sich mit ihrer Umwelt strukturell verkoppeln. In Folge ergibt sich eine Doppelbindung der Strukturentwicklung lebender Systeme: Auf der einen Seite ist die individuelle Lebenswirklichkeit ein subjektives Konstrukt, welches auf der anderen Seite durch die Rahmenbedingungen seiner Umwelt beeinflusst und begrenzt wird. Hilfreich zum verstehen dessen, was sich zwischen Individuum und Umwelt im sozialen Kontext abspielt, sind auch die Ideen des sozialen Konstruktionismus, der am Konstruktivismus anknüpft, für den aber die Kommunikation zwischen den Menschen konstitutiv ist für die Entstehung von Wirklichkeit bzw. von Wahrnehmung von Wirklichkeit. Über die Kommunikation tauschen die Individuen ihre jeweiligen Wahrnehmungen aus. Auf diesem gemeinsamen Weg der Verständigung entstehen Bedeutungswirklichkeiten, die zwar wiederum subjektiv wahrgenommen und angeeignet werden, die gleichwohl aber unabdingbar in einer dynamisch sich entwickelnden Verbindung zur sozialen Umwelt stehen.110 107 108 109 110 siehe: Maturana, H.; Varela, F.: Der Baum der Erkenntnis: Die biologischen Wurzeln des menschlichen Erkennens, München 9. Auflage 2000 siehe: Kösel, E.: Die Modellierung von Lernwelten, Elztal-Dallau, 3. Auflage 1997 Seite 43 siehe: Roth, G.: Das Gehirn und seine Wirklichkeit. Kognitive Neurobiologie und ihre philosophischen Konsequenzen, Frankfurt/Main 1997 Seite 21 siehe: Gergen, K.: Konstruierte Wirklichkeiten: Eine Hinführung zum sozialen Konstruktionismus, Seite 53 von 430 Auch hier gilt allerdings: Impulse von außen können das lebende System Mensch zur Veränderung anregen, eine direkte Steuerung bleibt ausgeschlossen – eine für Personalentwicklung zentrale Aussage, die zu verstehen hilft, warum der „Traum“ des Personalers von der ultimativ wirksamen Personalentwicklungsmaßnahme auch fürderhin ein Traum bleiben wird und warum Menschen sehr unterschiedlich auf Personalentwicklungsangebote reagieren. Die Erkenntnisse der Systemtheorie führen hier auch direkt zu einer der Kardinalfragen von Personalentwicklung: Wer ist denn nun dafür verantwortlich, dass Personal sich entwickelt: Der Mitarbeiter selbst oder der Vorgesetzte oder das Unternehmen? Zum einen wird erkennbar, dass es trotz der festgestellten kognitiven Autonomie unangemessen ist, das Individuum als sozusagen unbegrenzt eigenverantwortlich zu betrachten. Die strukturelle Koppelung des Menschen an seine Systemumwelt bringt es mit sich, dass die Rahmenbedingungen das Konstrukt der eigenen subjektiven Lebenswirklichkeit beeinflussen. Letztlich könnte man sagen, dass der Mensch für die Wahl zwischen zur Verfügung gestellten Alternativen verantwortlich ist. Dafür, in welcher Zahl und welcher Qualität Alternativen zur Verfügung stehen, tragen wiederum die Akteure seiner Systemumwelt die Verantwortung, in Bezug auf Personalentwicklung zuvorderst die Vorgesetzten und die Bestimmer in der Organisation. Die Entscheidung über das Ob und das Wie der Annahme der Angebote bleibt beim Mitarbeiter. Vor diesem Hintergrund empfehlen Arnold und Siebert auch für Personalentwicklung sehr treffend „die Loslösung von den Gewissheits- und Allmachtsphantasien einer instrumentellen Einflussnahme und Belehrung des Erwachsenen“ und empfehlen stattdessen „pragmatische Gelassenheit“.111 Ergänzend empfiehlt Rausch: „Interventionen, seien sie noch so gut gemeint, müssen notwendigerweise scheitern, wenn sie über die Köpfe der Adressatinnen hinweg entwickelt werden.“ Dies lasse sich „am ehesten durch den gleichberechtigten Dialog (strukturelle Koppelung) erfüllen. Letztlich kann alleine das jeweilige Individuum darüber entscheiden, ob und inwieweit es die gemeinsam erarbeitete Orientierung in die Tat umsetzt. Es muss für sich selbst prüfen, was zur Struktur passt und was nicht.“112 111 112 Stuttgart 2002 siehe: Arnold, R.; Siebert, H.: Konstruktivistische Erwachsenenbildung, Hohengehren, 4. Auflage 2003 siehe: Rausch, G.: Gemeinschaftliche Bewältigung von Alltagsproblemen, Münster 1998 Seite 105 Seite 54 von 430 Für Personalentwicklung lassen sich heute aus der Systemtheorie – vor allem aus der systemtheoretisch unterlegten Managementlehre – verschiedene Grundsätze ableiten, deren Nutzen sich auch in meinen Forschungsergebnissen widerspiegelt: 1. Die Möglichkeiten, Problemfelder im Betrieb wie Motivation, Betriebsklima oder Arbeitszufriedenheit zu bearbeiten, sind auf der Meta-Ebene zu suchen. Ein direktes Eingreifen mit dem Ziel, Verhalten unmittelbar zu beeinflussen und zu regulieren, ist wenig hilfreich. 2. Die enorme Komplexität in großen Unternehmen macht es erforderlich, über Verhaltensnormen und Regeln sozusagen „Leitplanken“ zu definieren, innerhalb derer die Menschen im Betrieb sich weitgehend selbst organisieren und steuern können. 3. Malik postuliert für die Personalentwicklung die Orientierung an den Stärken des einzelnen Beschäftigten.113 Wer – gleich ob im Betrieb oder im privaten Bereich – Ergebnisse erzielen möchte, müsse Stärken nutzen und die Schwächen soweit bedeutungslos machen, dass sie die volle Nutzung der Stärken nicht behindern. Vor diesem Hintergrund sei die schwächenorientierte Personalentwicklung, die Schwächen als „Entwicklungspotentiale“ nett verpackt, weitgehend Ressourcenverschwendung. Es komme nicht darauf an, den wenig Erfolg versprechenden Versuch zu unternehmen, über Entwicklungsmaßnahmen Schwächen zu beseitigen. Es komme vielmehr darauf an, zu verhindern, dass Menschen dort eingesetzt werden, wo sie bekanntermaßen ihre Schwächen haben. Wenn dies gelinge, werden viele Motivationsprobleme einfach verschwinden. Die Sinnhaftigkeit der Stärkenorientierung wird von den Personalverantwortlichen der Universitätsklinika tendenziell bestätigt. 4. Personalentwicklungsmaßnahmen, die darauf abzielen, Menschen, vor allem deren Persönlichkeit, zu verändern, sind nicht zweckmäßig, da sich Menschen in letzter Konsequenz nur selbst entwickeln und nur selbst verändern könnten. Es sei zentrale Aufgabe der Personalentwicklung, die Menschen im Unternehmen so zu nehmen, wie sie sind, ihre Stärken herauszufinden und danach durch die Gestaltung ihrer Aufgaben ihnen die Möglichkeit zu geben, an dem Ort und auf die Weise so tätig zu werden, dass sie mit ihren Stärken eine Leistung erbringen und Ergebnisse erzielen können. 5. 113 Im Zentrum der Personalentwicklung muss die Möglichkeit stehen, eine Leissiehe: Malik, F.: Führen, Leisten, Leben; Stuttgart, München, 3. Auflage 2001, Seiten 114ff Seite 55 von 430 tung zu erbringen und dafür verantwortlich zu sein. Daraus abgeleitet werden Fort- und Weiterbildungsprogramme abgelehnt, an deren Ende nicht eine Aufgabe steht, für die geschult wird. 6. Ein zentrales Thema für die Personalentwicklung von Führungskräften ist das Erlernen des Umgangs mit Komplexität. 2.5 Personalentwicklung und Erziehungswissenschaft Die Erziehungswissenschaft befasst sich als Teil der Sozialwissenschaften mit der Erziehung von Menschen. Der ältere Begriff „Pädagogik“ wurde durch den Begriff Erziehungswissenschaft abgelöst. Die Erziehungswissenschaft analysiert die Institutionen, in denen Erziehung stattfindet und befasst sich mit den erzieherischen Professionen. Die Erziehungswissenschaft erforscht zum einen Bildungs- und Erziehungszusammenhänge, macht aber zugleich Vorschläge, wie die Bildungs- und Erziehungspraxis gestaltet und optimiert werden kann. Sie ist insofern durch die Handlungsorientierung geprägt. Über lange Zeit hat sich die Pädagogik auf die Schule als wichtigste gesellschaftliche Bildungsinstitution konzentriert. In den 60er und 70er Jahren des 20. Jahrhunderts hat sich die wissenschaftliche Pädagogik stark ausdifferenziert. Es entstanden zahlreiche Teildisziplinen und Fachrichtungen.114 Die Erziehungswissenschaften zeichnen sich u. a. dadurch aus, dass sie pädagogische Fragestellungen mit Hilfe der Methoden anderer Fachwissenschaften, insbesondere der Psychologie, der Soziologie, der Anthropologie, auch der Biologie und Philosophie bearbeiten. Für Personalentwicklung ist die Wirtschaftspädagogik, insbesondere die Fachrichtung Betriebspädagogik von Interesse. Vom Ursprung her befasst sich die Wirtschaftspädagogik mit der Wirtschaftserziehung, vorrangig mit Fragen der Didaktik und Methodik der Wirtschaftslehre und der Wirtschaftswissenschaften. Sie wird zwar durchaus als Teil der Erziehungswissenschaften gesehen, ist aber überwiegend bei den wirtschaftswissenschaftlichen Fächern angesiedelt. Die Betriebspädagogik ist ein wichtiges Teilgebiet der Wirt- 114 siehe: Benner, D.: Allgemeine Pädagogik, Weinheim 2005 sowie Giesecke, H.: Einführung in die Pädagogik, Weinheim, 2004 sowie Koller, H.: Grundbegriffe, Theorien und Methoden der Erziehungswissenschaft, Stuttgart 2006 sowie Krüger, H.: Einführung in Theorien und Methoden der Erziehungswissenschaft, Stuttgart 2006 sowie Marotzki, W.; Nohl, A.; Ortlepp, W.: Einführung in die Erziehungswissenschaft, Wiesbaden 2006 Seite 56 von 430 schaftspädagogik, welches sich mit den Lernvorgängen im Betrieb befasst.115 Dabei sei vor übertriebenen Erwartungen gewarnt: Kritisch bleibt festzuhalten, dass die Betriebspädagogik bis dato „keine in sich geschlossene Teildisziplin“ darstellt und über keine einheitliche Theorie betrieblicher Bildungsarbeit verfügt.116 Trotzdem lohnt sich ein Blick auf den Anspruch, den die Betriebspädagogik für sich erhebt. Die Betriebspädagogik sieht sich verortet innerhalb der Personal- und Organisationsentwicklung im Betrieb und befasst sich dort insbesondere mit Fragen des Lehrens und Lernens sowie der Sozialisation im Unternehmen. Innerhalb der Themenfelder lebenslanges Lernen oder lernende Organisation beschäftigt sich die Betriebspädagogik mit wissenschaftlichen Modellen und deren Anwendbarkeit im Unternehmen. Sie orientiert sich dabei an der ganzheitlichen Sichtweise, die Umwelt, Mensch, Ökonomie und Gesellschaft einschließt. Der Mensch wird als ganzheitliches Wesen betrachtet, emotionale, motivationale, körperliche und kognitive Anteile werden ebenso erforscht, wie die soziale Eingebundenheit in die Gruppe und die Organisation. Als Ziele der Betriebspädagogik werden genannt: • Entwicklung von Konzepten und Strategien zur Zielerreichung von Organisationen, • Etablierung einer ganzheitlichen Erwachsenen- und Weiterbildung im Betrieb, • Schaffung humaner Arbeitsbedingungen, einer positiven Unternehmenskultur und eines offenen Betriebsklimas, • Initiierung effektiver Lehr- und Lernprozesse im Unternehmen, • Förderung von Selbstverantwortung und Selbstorganisation von Managern und Mitarbeitern, • Bewusstmachung der Verantwortlichkeit von Unternehmen gegenüber den Mitarbeitern, der Gesellschaft und der Umwelt.117 Die Betriebspädagogik versucht vor diesem Hintergrund durch die Entwicklung von 115 116 117 siehe: Sloane, P.; Twardy, M.; Buschfeld, D.: Einführung in die Wirtschaftspädagogik, Paderborn 2004 siehe: Huisinga, R.; Lisop, I.: Wirtschaftspädagogik, München 1999 Seite 104 sowie Arnold, R.: Betriebspädagogik, Berlin 2. Auflage 1997 Seite 8 siehe: Pflüger, N.: Betriebspädagogik, in: http://www.betriebspaedagogik.org./ziele.htm vom 15.03.2009 Seite 57 von 430 systemischen Lern- und Entwicklungsprozessen unter Beachtung der speziellen Situationen eines Unternehmens und der individuellen Entwicklung der Mitarbeiter diesen Zielen gerecht zu werden.118 Aus den Zielen wird erkennbar, dass die Betriebspädagogik stark anwendungsorientiert ausgerichtet ist. Folgerichtig gibt es auch bis dato kaum nennenswerte empirische Studien über Personalentwicklung in Unternehmen als spezifisches Arbeitsfeld der Erziehungswissenschaft. „Personalentwicklung als Teilbereich der Wirtschaft wird in der Literatur der Erwachsenenpädagogik oftmals erwähnt oder diskutiert, ist aber aus einer explizit erwachsenenpädagogischen Perspektive noch wenig umfassend und systematisch beleuchtet worden“.119 Die Erwartung, dass die Erziehungswissenschaften zum Thema Personalentwicklung viel beizutragen hätten, bleibt erst einmal enttäuscht, und dies, obwohl gerade Lernen und auch Lernen im institutionellen Kontext das Herzstück dieser Wissenschaft und im Grunde deren ureigenes Forschungsfeld ist. So ist der traditionelle Gegenstand der Erziehungswissenschaft eben auch der Lernprozess, der die Bildung von Menschen zum Ziel hat. Zugleich ist es ein Hauptziel pädagogischen Handelns, Lernen zu ermöglichen.120 Dass bis dato das wissenschaftliche Material aus der Betriebspädagogik sich eher bescheiden ausmacht, hängt zum einen damit zusammen, dass sich die Pädagogik erst seit den 90er Jahren des vergangen Jahrhunderts mit der Wirtschaft und den Unternehmungen etwas intensiver befasst. Mit der Entdeckung des Unternehmens als Lernende Organisation halten Pädagogisierungstendenzen in der Wirtschaft Einzug.121 Auch war es in der Vergangenheit in der Pädagogik verpönt, sich mit der Wirtschaft zu befassen. Die Kritik daran, sich mit Lernen im Unternehmen auseinanderzusetzen wird besonders plastisch mit dem Hinweis dargestellt, „dass die Qualifikation der Beschäftigten vollständig dem Primat unternehmerischer Verwertungsinteressen unterstellt würde. Die Entfaltungsinteressen der arbeitenden Menschen wür118 119 120 121 siehe: Bank, V.: Von der Organisationsentwicklung zum systematischen Change Management, der Umgang mit Innovationen als didaktisches Problem der Führung in sozialen Systemen, Kiel 2004 sowie Pflüger, N.: Einführung in die Betriebspädagogik, Norderstedt 2008 siehe: Frey, T.: 2007 ebenda Seiten 16 und 19 siehe: Giesecke, H.: Pädagogik als Beruf: Grundformen pädagogischen Handelns, Weinheim 2007 Seite 25 siehe: Nittel, D.; Marotzki, W.: Berufslaufbahn und idiographische Lernstrategien, Hohengehren 1997 Seite 16 sowie Arnold, R.: Betriebliche Weiterbildung, Hohengehren, 2. Auflage 1995 Seite 58 von 430 den dem Funktionieren technischer Systeme nachgeordnet. Es gehe um Anpassung an vorgefundene Anforderungen“.122 Die Erziehungswissenschaft tat sich schwer und tut es wohl immer noch, anzuerkennen, dass Unternehmen nicht durch eine pädagogische, sondern durch eine wirtschaftliche Zielsetzung bestimmt sind. Die Irritation auf Seiten der Erziehungswissenschaft ist wohl eher noch nicht überwunden, die Erkenntnis, dass auch in nichtpädagogischen Zusammenhängen und Institutionen wie Unternehmen gelernt wird, wird erst seit wenigen Jahren in der Pädagogik akzeptiert.123 Von Seiten der Wirtschaft bzw. der Unternehmen selbst bestehen wiederum Vorbehalte gegenüber Pädagogen, denen vorgehalten wird, dass das wachsende Interesse der Pädagogik an Unternehmens- und Personalentwicklung mit den verschlechterten Einstellungsmöglichkeiten in der öffentlichen Weiterbildung korrespondiert.124 Gleichwohl ist es so, dass das Lernen in Unternehmen und die Forschung darüber, wie dieses Lernen sich vollzieht, welche Rolle dem einzelnen Menschen in der Organisation und welche Rolle der Gesamtorganisation zukommt, von fundamentalem Interesse für Personalentwicklung ist. Ausgehend von der Erkenntnis, dass Menschen trotz vielerlei Zwängen und Eingrenzungen in Unternehmen dem Grunde nach frei sind, wird die Auseinandersetzung mit Organisationen als „genuin pädagogisch“ reklamiert.125 Dies ändert wiederum nichts daran, dass die theoretischen Konzepte zum Thema Lernen im Wesentlichen in der Lernpsychologie entstanden sind und nur am Rande im Bereich der Erziehungswissenschaft. Symptomatisch hierfür mag auch stehen, dass die beiden Professoren für Pädagogik Chris Argyris und Donald A. Schön, die wesentliche Forschungsarbeiten zu Organisationalem Lernen veröffentlicht haben, ihre wissenschaftliche Fundierung als Psychologe und Wirtschaftswissenschaftler (Argyris) und als Dr. der Philosophie (Schön) aufweisen. Man kann somit feststellen, dass der Nachholbedarf in Sachen Auseinandersetzung mit Personalentwicklung, insbesondere mit Lernen im Unternehmen, bei den Erzie122 123 124 125 siehe: Voigt, W.: Berufliche Weiterbildung, München 1986 sowie Axmacher, D.: Widerstand gegen Bildung, Weinheim 1990 siehe: Buschmeyer, H.: Internetbasiertes Lernen im Kontext, in: Brödel, R. (Hrsg.): Weiterbildung als Netzwerk des Lernens, Bielefeld 2004 Seiten 161 bis 176 sowie Freericks, R.; Brinkmann, D.; u.a.: Projekt Aquilo. Aktivierung und Qualifizierung erlebnisorientierter Lernorte, Bremen 2005 siehe: Frey, T.: 2007 ebenda Seite 27 siehe: Geißler, H.: Konzepte und Modelle der Lernenden Organisation, in: Arnold, R.; Bloh, E. (Hrsg.): 2009 ebenda Seite 74 Seite 59 von 430 hungswissenschaften signifikant ist. Die Pädagogik hat die betriebliche Weiterbildung bisher kaum beachtet, ein nennenswerter eigenständiger Beitrag zur Personalentwicklung sowie zur Analyse des Lernortes Unternehmen ist kaum geleistet.126 Die zunehmende Bedeutung von Personalentwicklung in Unternehmen und die eher schlechten Berufsperspektiven im öffentlichen Bildungswesen wecken nun zunehmend auch das Interesse der Pädagogen an betrieblichen Fragestellungen. Die Betriebspädagogik kann somit als ein weiterer Schritt auf dem Weg der „Entgrenzung der Pädagogik“ verstanden werden, mit dem die Erziehungswissenschaft ihren Beitrag zur Lösung des pädagogisch verstandenen Problems Lernen in Organisationen leisten kann. Dabei kommt den Erziehungswissenschaften, insbesondere der erziehungswissenschaftlichen Forschung und Theoriebildung die interdisziplinäre Perspektive zu Gute.127 Aus dieser Interdisziplinarität erwächst auch die Chance, dass Erziehungswissenschaften für Personalentwicklung ein wichtiges Erkenntnis- und Erforschungsfeld erschließen kann: Die prozess- und mitarbeiterorientierte Herangehensweise und die nachhaltige Perspektive von Pädagogik unterstützt das Entstehen ganzheitlicher Konzepte und Herangehensweisen und kann eine neue Sicht im Sinne von Ganzheitlichkeit von Leben, Lernen und Arbeiten befördern. „Insbesondere die Teilnehmerorientierung, der Lebensweltbezug, aber auch der Ermöglichungsansatz erscheinen als für die Personalentwicklung konstruktiv nutzbare Ansätze“.128 Die nächsten Jahre werden zeigen, ob die Erziehungswissenschaften diesem hehren Anspruch gerecht werden können. Die vorgelegte Arbeit ist ein Mosaikstein auf diesem Weg. 126 127 128 siehe: Frey, T.: 2007 ebenda Seite 33 siehe: Gudjons, H.: Pädagogisches Grundwissen, Bad Heilbrunn 10. Auflage 2008 Seite 24 siehe: Frey, T.: 2007 ebenda Seite 219 Seite 60 von 430 3 Fazit zum Stand der wissenschaftlichen Auseinandersetzung mit Personalentwicklung Im Ergebnis gilt es noch einmal festzuhalten: Die Fachliteratur zum Thema Personalentwicklung ist weitgehend durch eine fehlende wissenschaftliche Fundierung geprägt. Populärwissenschaftliche und auf den Verkauf von Beratungsleistungen ausgerichtete Artikel und Bücher prägen das Bild. Wissenschaftlich fundierte Arbeiten sind die Ausnahme. Dies ist sicherlich einerseits dem allenfalls semiwissenschaftlichen Treiben unzähliger Beratungsfirmen im Managementbereich geschuldet. Im Beratungsmarkt lässt sich viel Geld verdienen. In einer immer komplexer werdenden Unternehmenswelt zunehmend hilfloser agierende Führungskräfte neigen dazu, ihr Tun durch das Heranziehen von Beratungsfirmen abzusichern. Dies lockt zahlreiche, zum Teil durchaus dubiose Consultant-Firmen an den Markt, der Konkurrenzdruck ist hoch und damit der Zwang, sich von der Konkurrenz mit immer neuen schillernden Erfindungen von Management-Tools abzugrenzen. Eine wissenschaftliche Verbrämung ist dabei verkaufsfördernd. „Lean management“ oder „business engineering“ z.B. sind als Modewellen schnell und wirkungslos in der Versenkung verschwunden. Es ist einerseits diese oberflächlich auf Markterfolg orientierte Schnelllebigkeit, die eine intensive wissenschaftliche Auseinandersetzung mit Personalentwicklung behindert. Auf der anderen Seite ist die wissenschaftliche Diskussion über Personalentwicklung stark an den Einzeldisziplinen orientiert. Die Entwicklung von Menschen in Organisationen ist aber ein Phänomen, das von keiner wissenschaftlichen Disziplin allein auch nur näherungsweise erfasst werden kann. Die Entwicklung von Menschen in sozialen Systemen ist eben mit dem eindimensionalen Fokus einer Wissenschaftsdisziplin nicht oder zumindest nur in Teilaspekten zu erfassen. Die Analyse der Nutzbarkeit der Erkenntnisse der verschiedenen Wissenschaftsdisziplinen führt die Sinnhaftigkeit interdisziplinärer Forschung zu Personalentwicklung plastisch vor Augen. Die wissenschaftlich fundierte Auseinandersetzung mit Personalentwicklung wird auch durch die Zersplitterung und mangelnde Interdisziplinarität behindert. Positiv festzustellen ist in diesem Zusammenhang, dass die Grenzen zwischen der Arbeits- und Organisationspsychologie und der Arbeits-, Betriebs- und Organisationssoziologie zunehmend durchlässiger werden und kaum noch erkennbar sind. Die Wirtschaftswissenschaften hingegen sind noch weit davon entfernt, sich zu öffnen Seite 61 von 430 und sich einzugestehen, dass Psychologie und Soziologie weit mehr wissenschaftlich fundierte Erkenntnisse zur Personalentwicklung zu bieten haben, als die Betriebswirtschaftslehre. In Anlehnung an die in dieser Arbeit verfolgte Idee der interprofessionellen Personalentwicklung im Krankenhaus möchte ich sagen, dass jedwede Forschung zum Thema Personalentwicklung erst in einem interdisziplinären Setting richtig angelegt ist. Seite 62 von 430 4 Stellenwert der Personal- und Organisationsentwicklung im Krankenhaus Organisationsentwicklung ist ein systematisch geplanter und gelenkter Prozess zur Veränderung von Struktur, Aktivitäten und Verhalten einer Organisation mit dem Ziel, die Effizienz der Problemlösungen und den Grad der Zielerreichung zu verbessern. Durch eine größtmögliche Beteiligung der Beschäftigten sollen die Bedingungen in der Organisation so verändert werden, dass diese den Bedürfnissen der Mitarbeiter und den Leistungsanforderungen an die Organisation besser entsprechen. Damit können Kreativität und Energie der Beschäftigten in den Prozess einfließen und zugleich kann verhindert werden, dass durch einseitige top down Vorgaben Widerstände und Gleichgültigkeit provoziert werden. Organisationsentwicklung im Sinne einer Weiterentwicklung der Krankenhausorganisation unter Einbeziehung und Partizipation der Mitarbeiter gilt als strategisches Erfolgspotential.129 Dies wird durch die noch darzustellenden Forschungsergebnisse zum Stand der Personalentwicklung an den Universitätsklinika Deutschlands, Österreichs und der Schweiz einerseits bestätigt.130 Andererseits zeigt sich hier aber eine deutliche Diskrepanz zwischen der postulierten und der tatsächlichen strategischen Fundierung von Organisations- und Personalentwicklung. Das Konzept der Organisationsentwicklung ist auf organisationsumfassende und langfristige Veränderungen ausgerichtet und wurde in den 70er Jahren des vergangenen Jahrhunderts entwickelt. Hintergrund der Konzeptentwicklung war die Erkenntnis, dass Organisationen als soziale, gegenüber der Umwelt offene und damit in komplexer Weise von dieser abhängige Systeme einem zunehmenden Veränderungsdruck unterliegen. Komplexität und Geschwindigkeit der erforderlichen Veränderungen haben stark zugenommen. Dies trifft auch auf Krankenhäuser zu, die auf immer wieder neue gesetzliche Regelungen im Gesundheitswesen, auf veränderte Ansprüche der Patienten und auf den medizinisch-technischen Fortschritt reagieren und sich anpassen müssen. Durch die Änderung des Finanzierungssystems der Krankenhäuser mit der Einführung der Fallpauschalenvergütung hat der Veränderungsdruck ab 2003 stark an Dynamik gewonnen. Organisationsentwicklung ist ein 129 130 vergleiche: Jung, H.: Personalwirtschaft, 6. Auflage München, Wien 2005 Seiten 262, 263, sowie Staehle, W. H.; Conrad, P.: Management: eine verhaltenwissenschaftliche Perspektive, 8. Auflage München 1999 S.867, sowie Rosenstiel, Regnet, Domsch 1995 ebenda Seiten 591 - 597 siehe Teil II Untersuchung zur Personalentwicklung an den Universitätsklinika in Deutschland, Österreich und der Schweiz Seite 63 von 430 Veränderungskonzept zur Bewältigung des erforderlichen organisationalen Anpassungsprozesses.131 Eine besondere Bedeutung wird dabei der Organisationskultur zugeschrieben, welche so ausgestaltet sein sollte, dass Veränderung und organisationaler Wandel als positive Treiber und interessante Herausforderungen verstanden werden.132 Unter den zahlreichen verschiedenen Definitionen von Organisationsoder Unternehmenskultur können als gemeinsame Schnittmenge „jene Werte, Normen, Denk- und Verhaltensmuster sowie deren Manifestationen [ …], die sich innerhalb einer bestimmten Organisation entwickelt haben und auf irgendeine Weise handlungssteuernd auf die Organisationsmitglieder wirken“ gelten.133 Während Organisationsentwicklung den umfassenden systemischen Prozess darstellt, bezieht sich Personalentwicklung in diesem Rahmen auf die personelle Ebene. Dabei sind Organisations- und Personalentwicklung in der Praxis kaum voneinander zu trennen. Beide prägen und sind geprägt durch die Unternehmensentwicklung und die Unternehmenskultur. Der Stellenwert der Personalentwicklung im Unternehmen gilt als ein Indikator für die Unternehmenskultur. Zugleich ist Personalentwicklung dann erfolgreich, wenn sie an der bestehenden Kultur im Unternehmen anknüpft.134 Dabei ist Unternehmenskultur ein durchaus nicht leicht zu fassendes Phänomen, das sich aus vielen Faktoren zusammensetzt, von denen viele unterschwellig und zum Teil auch unbewusst wirken.135 131 132 133 134 135 siehe: von Rosenstiel, L.; Molt, W.; Rüttinger, B.: Organisationspsychologie, 9. Auflage Stuttgart 2005 Seite 376 Die Diskussion über die Bedeutung der Organisationskultur wurde insbesondere durch die populärwissenschaftliche Veröffentlichung von Peters und Waterman 1982 befördert, welche der Organisationskultur einen entscheidenden Einfluss auf den Unternehmenserfolg zuweist. Siehe: Peters, Th. J.; Waterman, R. H.: Auf der Suche nach Spitzenleistungen: Was man von den bestgeführten US-Unternehmen lernen kann, 7. Auflage München 1998 siehe: Sourisseaux, A. L.: Organisationskultur: Zur facettentheoretischen Konzeptualisierung eines organisationspsychologischen Konstruktes, Frankfurt/Main, Berlin 1994 Seite 10, zitiert nach: von Rosenstiel, L.; Molt, W.; Rüttinger, B.: 2005 ebenda Seite 395 siehe: Krämer, M.: 2007 ebenda Seite 18 siehe: Dithmar, Ch.: Die Unternehmenskultur als Erfolgsfaktor für Krankenhäuser, in: Das Krankenhaus 9/2007 Seite 856; zu Unternehmenskultur siehe auch Teil II Abschnitt 3.3.5 Unternehmenskultur als Basis der Personalentwicklung Seite 64 von 430 Unternehmensentwicklung Organisationsentwicklung Personalentwicklung Abbildung 7: Unternehmens-, Organisations- und Personalentwicklung Personalentwicklung verfolgt das Ziel, Beschäftigte auf allen Ebenen des Unternehmens für die Bewältigung der Anforderungen der Organisationsentwicklung zu qualifizieren. Sie umfasst dabei neben der Qualifizierung des einzelnen Beschäftigten auch die Entwicklung interpersonaler Netze und der strukturellen Gegebenheiten. Obwohl insofern die Gleichsetzung von Personalentwicklung mit individueller Qualifizierung zu kurz greift, steht die inner- und außerbetriebliche Fort- und Weiterbildung doch im Zentrum, da sie dazu beizutragen hat, dass auch kommunikative und teamorientierte Fähigkeiten vermittelt werden. Daneben fußen strukturell organisatorische Verbesserungen letztlich immer auf individuellen Fähigkeiten.136 Personalentwicklung soll auch im Krankenhaus dazu beitragen, Differenzen zwischen den Fähigkeiten der Beschäftigten und den an sie gestellten Anforderungen zu verringern und sie bei der Bewältigung der Anforderungen der gegenwärtigen und 136 in Anlehnung an: Dahlgaard, K.: Personalarbeit und Personalentwicklung im Krankenhaus, in: führen & wirtschaften 2/1995 Seite 154, sowie Jung, H. 2005 ebenda Seite 244, sowie Schmidt, C.: Personalmanagement-Konzept für Dienstleistungsunternehmen: theoretisches Gerüst und Anwendungsfall, München 1996 Seite 102 Seite 65 von 430 künftigen Tätigkeiten zu unterstützen.137 Personalentwicklung gilt insofern als zentraler wertschöpfender Faktor des Unternehmens138 und liefert einen pragmatischen „Service für das Klinikum“.139 Diese Anforderung wird im Wesentlichen durch die Fort- und Weiterbildung abgedeckt. Die Entwicklung der Fort- und Weiterbildung an den im Rahmen der Forschungsarbeit untersuchten Universitätsklinika zeigt hier einen deutlichen Trend einerseits hin zu mehr Angeboten und andererseits zu einer Zunahme berufsgruppenübergreifender Angebote. So bieten alle Uniklinika in Österreich und der Schweiz und immerhin zwei Drittel der Klinika in Deutschland berufsgruppenübergreifende Fort- und Weiterbildungsprogramme an. Hier ist seit 1999 eine deutliche Zunahme zu verzeichnen.140 Personalentwicklung sollte sich dem Management von Wissen widmen. Lernpotentiale der Mitarbeiter sollten dabei auch tätigkeitsunabhängig zur Entfaltung gebracht werden. Diese Aufgabe widerspricht der traditionellen Sicht der Personalentwicklung, die lediglich Qualifikationen managt und auf der Grundlage tätigkeitsspezifischer Anforderungen Qualifikationen erzeugt und bereitstellt. Hier zeigen sich im Ergebnis meiner Forschungsarbeit deutliche Defizite an den deutschen Universitätsklinika, Wissensmanagement und organisationales Lernen sind hier kaum ein Thema. Anders in Österreich und – wenn auch etwas schwächer ausgeprägt – in der Schweiz. Damit einher geht die Abkehr von der Zielsetzung, einen vordefinierten Bedarf einzelner Arbeitsplätze vor dem Hintergrund der Unternehmensstrategie zu befriedigen. Personalentwicklung zielt dann auf das Management der „Humanressourcen“ im Sinne des Unternehmens und der Lern- und Fortschrittsfähigkeit des Einzelnen wie der gesamten Organisation. Letztlich gewinnbringend kann nur sein, diesen Widerspruch aufzuheben und Personalentwicklung sowohl auf die Anpassungs- wie auf die Veränderungsfähigkeit auszurichten. Den bundesdeutschen Krankenhäusern wird ein Fehlen von Ansätzen zur Organisa137 138 139 140 siehe: Eichhorn, S.; Schmidt-Rettig, B.: Mitarbeitermotivation im Krankenhaus, Gerlingen 1995 Seite 288 siehe: Loffing, Ch.; Geise, S.: Personalentwicklung in der Pflege, Bern 2005 Seite 18 nach: Grether, Th.: Die Kunst, im Klinikum menschlich zu dirigieren, in: führen & wirtschaften 2/2008 Seite 134 siehe Teil II Abschnitt 2.8 Fort- und Weiterbildung Seite 66 von 430 tions- und Personalentwicklung bescheinigt. Personalentwicklung wird in den meisten Häusern eher punktuell betrieben, auf das gesamte Krankenhaus bezogene Planungen sind die Ausnahme. Auf dem Hintergrund der hier vorliegenden Forschungsergebnisse ist diese pauschale Feststellung allerdings auszudifferenzieren. So ist an den österreichischen Universitätsklinika eine Personalentwicklung auf gutem Niveau vorzufinden, ebenso an der Mehrzahl der schweizerischen Klinika, während dies in Deutschland nur an wenigen Klinika der Fall ist. Dieses Ergebnis wird gleichwohl dadurch wiederum relativiert, dass krankenhausumfassende Konzepte auch in Österreich und der Schweiz nur in wenigen Fällen existieren.141 Insbesondere Universitätsklinika sind von jeher auch Lernort und verfügen daher über günstige Bedingungen, sich zu lernenden Organisationen zu entwickeln, sofern die Möglichkeiten auch für die eigene Organisationsentwicklung genutzt werden. Die Aufhebung der Trennung der Lernorganisation von der Arbeitsorganisation - im Krankenhaus speziell der Krankenversorgung - lässt positive Effekte auf die Motivation der Beschäftigten sowie die Effizienz der Leistungserbringung erwarten.142 4.1 Stand der Personalentwicklung im Krankenhaus Eine Studie des Arbeitskreises Personalmanagement im Krankenhaus an westdeutschen Krankenhäusern aus dem Jahre 2005 bescheinigt diesen gute Leistungen in den Bereichen Personalabrechnung und Personaladministration und deckt zugleich deutlichen Nachholbedarf in Personalmarketing und Personalentwicklung auf. Die Studie baut auf einer PIX-Befragung143 der Deutschen Gesellschaft für Personalführung auf und stellt so einen Vergleich des Standes des Personalmanagements im Krankenhaus mit anderen Branchen her.144 50 % der befragten Personalmanager der Krankenhäuser benennen die Themen Personalentwicklung und Qualifizierung 141 142 143 144 siehe Teil II Abschnitte 2.3.2 Klinikumsumfassendes Personalentwicklungskonzept sowie 2.9 Der Grad der Integration von Personalentwicklung vergleiche: Dahlgaard, K. 1995 ebenda Seite 155, sowie Damkowski, W.; Precht, C.: Konzepte und Strategien für das Krankenhausmanagement, in: Das Krankenhaus 12/1996, Seite 613, sowie Grossmann, R.: Das Krankenhaus auf dem Weg zur „lernenden Organisation“, in: Gruppendynamik 26. Jahrgang Heft 2 1995 Seite 218, sowie Lohmann, H.; Deitert, M.: Personalsteuerung und Beschäftigungssicherung im Strukturwandel am Beispiel des LBK Hamburg, in: Das Krankenhaus 7/1998 Seite 371 PIX = Professionalisierungsindex; die Studie gibt die Selbsteinschätzungen der Personalverantwortlichen im Unternehmen wieder. siehe: Deutsche Gesellschaft für Personalführung e.V.: PIX – der Personalmanagement-Professionalisierungs-Index der DGFP, Bielefeld 2005 siehe: von Eiff, W.; Stachel, K.: Kliniken vernachlässigen das Personalmanagement, in: führen & wirtschaften 4/2006 Seite 418 sowie Loffing, Ch.; Geise, S.: 2005 ebenda Seite 19 Seite 67 von 430 als wichtigste Trendthemen für die Zukunft des Personalmanagements im Krankenhaus. Dieser hohe Wert wird durch die Ergebnisse der Befragung der Personalverantwortlichen der Universitätsklinika in Deutschland, Österreich und der Schweiz noch übertroffen: 56,4 % stimmen der Aussage Personalentwicklung wird an unse- rem Klinikum in Zukunft an Bedeutung gewinnen voll zu, nimmt man diejenigen, die dem überwiegend zustimmen, hinzu, sind es gar knapp 90 %.145 95,1 % 82,5% 68,0% 47,4% 82,2% 73,7% 66,3% 49,5% 43,2% 94,7% 95,1% 94,7 % 66,1% 61,9% 52,7% 55,6% 53,6% 41,1% 46,3% 22,9% 14,7% 37,9% 30,3% Au sb ild un g W ei te rb Ve ild un rg üt g un Ab gs re ch sy nu st em ng e /A dm in ist ra Pe tio rs n on al m ar ke Pe tin rs g on al co nt Pe ro l in rs on g al fre ise tz un g 20,0% Pe rs on al pl Pe an rs un on g al re kr ut ie ru Pe ng rs on al ei Pe ns rs at on z al en tw ick lu ng 100,0% 90,0% 80,0% 70,0% 60,0% 50,0% 40,0% 30,0% 20,0% 10,0% 0,0% Kliniken PIX-Studie Abbildung 8: Kernprozesse Personalmanagement146 Obwohl somit die Notwendigkeit von Personalentwicklung kaum bestritten wird, bleibt eine als Führungsansatz verstandene zielgerichtete Personalentwicklung im Krankenhaus eher die Ausnahme.147 Krankenhäuser und insbesondere Universitätsklinika sind dabei durchaus lernfreudige Organisationen. Die fachliche Fortbildung genießt einen hohen Stellenwert, Wissen wird rasch erneuert und insbesondere in der Medizin findet neues Wissen rasch Eingang in den Arbeitsalltag.148 Gleichwohl scheitern Entwicklungschancen nicht selten an der trichotomen Versäulung im Krankenhaus, welche die divergierenden Interessen und das kontraprodukti- 145 146 147 148 siehe auch Teil II Abschnitt 2.3.6 Zukunftsbedeutung von Personalentwicklung Die Grafik stellt die Ergebnisse der PIX-Befragung der Deutschen Gesellschaft für Personalführung, die branchenübergreifend durchgeführt wurde, den Ergebnissen einer Befragung aller deutschen Kliniken aus 2005 gegenüber. Siehe: von Eiff, W.; Stachel, K.: 2006 ebenda Seite 418 siehe: Grether, Th., in: führen & wirtschaften 2/2008 Seite 135 siehe: Grossmann, R.; Scala, K.; Heimerl, K.: 2002 ebenda Seite 194 Seite 68 von 430 ve Konkurrenzdenken zwischen Medizin, Pflege und Administration zementiert.149 Ärzte und Pflege als verschiedene Professionen arbeiten am gleichen Problem „Patientenversorgung“. Sie teilen aber oft aufgrund ihrer Wissensdifferenzierung nicht den gemeinsamen Bezugsrahmen. Eine übergeordnete Problemtheorie als Instrument zur Gestaltung der Qualität und Nachhaltigkeit interprofessioneller Kooperation ist selten erkennbar.150 In die Darstellung dieses Defizits darf die Administration getrost mit einbezogen werden, deren Bezugsrahmen wiederum ein anderer ist und deren „Problembewusstsein“ stark von ökonomischen und bürokratischen Kategorien dominiert wird. Die Ergebnisse der hier vorliegenden Studie belegen die hemmende Wirkung der mangelnden Zusammenarbeit zwischen den Berufsgruppen an den deutschen Universitätsklinika, während diese Problematik in der Schweiz und in Österreich weniger ausgeprägt ist.151 Verstärkt wird die Problematik noch dadurch, dass die Managementfähigkeiten der Führungsebenen deutlich hinter denen anderer Branchen zurückbleiben. So bemängeln 63 % der Mitarbeiter nach einer Studie des Centrums für Krankenhausmanagement aus dem Jahre 2003 die Kommunikations- und Moderationsfähigkeiten ihrer Vorgesetzten.152 Zum Teil wird darauf verwiesen, dass im Zuge von Qualitätssicherung und Qualitätsmanagement eine Entwicklung von punktuellen Maßnahmen hin zu strategischer Personalentwicklung erkennbar sei.153 Aber auch hier mangelt es an der interprofessionellen Ausrichtung. Über die Grenzen des Krankenhauses hinaus wird zudem ein Widerspruch zwischen Anspruch bzw. nach außen postulierter Bekundung von Unternehmensleitungen zum hohen Stellenwert von Personalentwicklung und dem realen Handeln der Managementakteure festgestellt. Nicht selten wird Personalentwicklung letztlich als reiner Kostenfaktor gesehen, der in ökonomisch schwierigen Zeiten schnell ausgedünnt und abgebaut wird.154 Dabei darf nicht vergessen werden, dass 149 150 151 152 153 154 siehe: Riehle, M.: Personalentwicklung auf Basis einer lernenden Organisation, in: Dieffenbach, S. (Hrsg.): Managementhandbuch Pflege, Heidelberg 2004, B 1.400 Seite 13 siehe: Brendle, M.: Voraussetzungen und Besonderheiten eines interprofessionellen Ansatzes, in: Monitor 12. Gazette der Informationsstelle des Züricher Sozialwesens, URL: http://www.infostelle.ch/mon_voku.asp?Ausgabe=12 vom 10.02.2003 siehe Teil II Abschnitt 2.4.2 Zusammenarbeit der Berufsgruppen siehe: o.V.: Der Kampf ums Personal hat begonnen, Interview mit W. von Eiff, in: Krankenhausumschau 8/2003 Seite 684 siehe: Wieteck, P.: Personalentwicklung in Pflegeberufen, Bad Emstal 2000 Seite 17 siehe: Münch, W. (Hrsg.): Qualifikationsprofile entdecken und fördern; Ausbildung, Fortbildung, Personalentwicklung Band 38 Berlin 1997 Seite 12 sowie Staudt, E.; Kriegesmann, B.: WeiterbilSeite 69 von 430 sich Krankenhäuser erst seit vergleichsweise kurzer Zeit mit dem Thema Personalentwicklung befassen. Der Begriff taucht im Gesundheitswesen erstmals in den 70er Jahren des vergangenen Jahrhunderts auf.155 Die Gewinnung, Förderung und Qualifizierung der Gesundheitsberufe wird zunehmend als kritischer Faktor für die künftige Entwicklung der Gesundheitssysteme erkannt156. Die Veränderungen der Krankheitsbilder, eine permanent sich erneuernde Medizintechnik und der Druck zur Entwicklung neuer Arbeitstechniken im Gefolge der neuen Finanzierungsmodelle wie integrierte Versorgung, Fallpauschalen oder Desease-Management-Programme, verstärken die Notwendigkeit einer gezielten Personalentwicklung über die Professionsgrenzen hinweg und deren Einbindung in ein systemisch vernetztes, integriertes Krankenhausmanagement.157 4.2 Qualifikation der Führungskräfte Die Qualifikation der Führungskräfte in Krankenhäusern ist gekennzeichnet durch eine große Diskrepanz zwischen einer hohen Fachkompetenz einerseits und erheblichen Mängeln in der Führungskompetenz anderseits. Somit werden die Anforderungen an Qualifikation im Sinne der Gesamtheit der Fähigkeiten, Fertigkeiten und Kenntnisse, die zur Erfüllung der entsprechenden Führungsfunktion im Krankenhaus erforderlich sind, nicht oder nur einseitig erfüllt.158 Die Führungskräfte haben eine über die fachlichen Belange hinausreichende Aufgabe, die professionell zu bewältigen ist.159 Eine Studie des Centrum für Krankenhaus-Management Münster diagnostiziert in 2003 einen Nachholbedarf der Gesundheitsinstitutionen in Sachen Personalführung.160 Neben den allgemeinen Hinweisen auf die Führungsdefizite im Krankenhausmanadung – ein Mythos zerbricht, in: Arbeitsgemeinschaft Qualifikations–Entwicklungs–Management (Hrsg.): Kompetenzentwicklung ’99 , Aspekte einer neuen Lernkultur, Münster 1999 Seiten 17 bis 59 155 siehe: Loffing, Ch.; Geise, S.: 2005 ebenda Seite 25 156 siehe: Ewers, M.: Die Zukunft der Gesundheitsberufe, in: Dr. med. Mabuse, Mai/Juni 2008 Seite 22 157 siehe: Borsi, G.: 1995 ebenda Seiten 164 f 158 vergleiche: Graf, V. (Hrsg.): Ein Krankenhaus im Reformprozess: Total Quality Management in der Praxis, Melsungen 1998 Seite 29 sowie Herrler, M.: Verband der Krankenhausdirektoren Deutschlands, Entscheidungsorientiertes Krankenhausmanagement, Mülheim/Ruhr 1993 Seite 64, sowie Krainz, E.: Zwischen allen Stühlen, in: Gruppendynamik 26. Jg. Heft 2, 1995 Seiten 193f sowie Müller, M.: Personal-Management im Unternehmen „Krankenhaus“, Wien 1996 Seite 11 159 siehe: Grossmann, R.; Scala, K.; Heimerl, K.: 2002 ebenda Seite 152 160 siehe: von Eiff, W: Der Kampf um’s Personal hat begonnen, in: Krankenhausumschau 8/2003 Seite 684 Seite 70 von 430 gement wird insbesondere auf entsprechende Defizite im Bereich der Ärzte verwiesen. Ärzte erlangen entscheidende Führungspositionen in Krankenhäusern weitgehend ohne dass hierfür ein Befähigungsnachweis erbracht werden muss. So ist nach wie vor ausschlaggebendes Kriterium für die Erlangung einer Chefarztposition in einem Krankenhaus, insbesondere auch in Universitätsklinika, fachliche Kompetenz und fachliches Renomée. Die stillschweigende Annahme, das fachliche Expertentum verleihe zugleich die Fähigkeit, Führungstätigkeiten auszuführen,161 gerät aber zusehends ins Wanken. Eine Analyse von Stellenanzeigen für Chefarztpositionen fördert z.B. zu Tage, dass bei immerhin 22,1% der Inserate Erfahrungen in der Personalführung als erwünschte Fähigkeit genannt sind.162 Durch den Wandel im Gesundheitswesen nehmen Managementqualifikationen für die Karriere von Ärzten an Bedeutung zu, so eine empirische Studie der Universität Köln. Eine Managementqualifikation begünstige die Karriere von Ärzten. Ärzte mit Managementqualifikation erreichten eine Chefarztposition im Mittel 2 Jahre früher.163 Die berufliche Qualifikation gilt insbesondere in Dienstleistungsunternehmen als zentraler Produktivitätsfaktor und wesentliche Determinante für die Wettbewerbsfähigkeit. Dies gilt in besonderem Maße für Führungskräfte. Als zentrales Element der Qualifikation kommt zur Fachkompetenz insbesondere die soziale und Führungskompetenz hinzu, da der Leistungsprozess im Krankenhaus aufgrund der Einbeziehung des Patienten als externem Produktionsfaktor weitgehend undeterminiert bleibt. Somit ergeben sich durch Defizite in der Führungsqualifikation erhebliche Effizienzprobleme im Krankenhaus. Können diese Defizite im Pflegebereich und vor allen Dingen im ärztlichen Bereich in einem überschaubaren Zeitrahmen nicht behoben werden, könnte dies dazu führen, dass das Krankenhausmanagement zunehmend stärker von Ökonomen dominiert wird.164 Die Patienten kommen aber letztlich zum 161 162 163 164 vergleiche: Güntert, P.: Wild gewordene Ökonomen tummeln sich in der Spitalwelt, in: SPITAL MANAGEMENT 3/97 Seite 158 sowie Heuss, Ludwig T.: Der Arzt im Spannungsfeld zwischen Führungs- und Fachkompetenz, in: SPITAL MANAGEMENT 3/97 Seite 21 sowie Krainz, E.: 1995 ebenda Seiten 193f sowie Ramer, Angelika; "Brauchen Ärzte in Zukunft ein Betriebswirtschaftsstudium?", in: SPITAL MANAGEMENT 3/97 Seite 4 sowie Weber, H.: Effizientes Krankenhausmanagement: Probleme und neue Konzeptionsvorschläge, in: Zeitschrift für öffentliche und gemeinwirtschaftliche Unternehmen, 7/84 Seite 495 siehe: Lieb, N: Managementanforderungen an Chefärzte, in: Krankenhausumschau 6/2004 Seite 513 nach: Kuntz, L; Zobel, Ch.: Erfolgsfaktoren in der Karriere von Ärzten, in: das Krankenhaus 2/2007 Seite 137 vergleiche: Güntert, P.: 1997 ebenda Seite 167 sowie Schmidt, C.: Personalmanagement-Konzept für Dienstleistungsunternehmen: theoretisches Gerüst und Anwendungsfall, München 1996 Seite 75, sowie Weber, H.: Konzept eines integrierten Manegement-Systems für die Krankenhausverwaltung, Konstanz 1983 Seiten 495f Seite 71 von 430 Arzt und zur Pflegekraft, nicht zum Kaufmann.165 „Führung im Krankenhaus und ganz speziell in Krankenhausabteilungen ist konstitutiv mit der medizinischen und pflegerischen Arbeit verbunden und kann daher nicht an ein fachfremdes Management delegiert werden.“166 Dem Dienstleistungscharakter der Arbeit im Krankenhaus entspricht, dass Gefühlsarbeit als zentrale Kompetenz und fachliche Qualifikation erforderlich ist. Diese Schlüsselqualifikation kann von Ökonomen in der Regel nicht abgedeckt werden. Die Notwendigkeit der Professionalisierung von Gefühlsarbeit muss von ärztlichem und pflegerischem Führungspersonal erkannt und in ihr Führungsverhalten mit aufgenommen werden.167 Die Erkenntnis des Fehlens von Führungs-Know-how im Krankenhausmanagement, insbesondere im ärztlichen Bereich, hat dazu geführt, dass zahlreiche betriebsinterne und betriebsübergreifende Weiterbildungsangebote entstanden sind. Mit Weiterbildungen und Zusatzqualifikationen allein kann das Problem im ärztlichen Bereich aber auf Dauer nicht gelöst werden. So wird die Forderung erhoben, dass ein Fach Gesundheitsökonomie mit Elementen der Krankenhausbetriebslehre bereits in das humanmedizinische Studium integriert werden muss.168 Die für Führung erforderlichen Kompetenzen werden in der Medizinerausbildung in Deutschland nicht vermittelt. Dies kann durch die zahlreichen Angebote, dies postgraduate nachzuholen, letztlich nicht kompensiert werden.169 Die Anforderung an die Führungskraft, das sogenannte „Wandeldilemma“ zu bewältigen, nämlich die Veränderungsfähigkeit und den Veränderungswillen im Unternehmen Krankenhaus zu fördern und zugleich für Stabilität 165 166 167 168 169 siehe: Reif, M.: Zeitgemäßes Krankenhausmanagement in: Krankenhausumschau 12/2003 Seite 1218 siehe: Grossmann, R.; Scala, K.; Heimerl, K.: Wien, 2002 ebenda Seite 152 in Anlehnung an: Dunkel, W.: Wenn Gefühle zum Arbeitsgegenstand werden, in: Soziale Welt, 1/88, Seiten 66 und 79f siehe: Degenhardt, J.: Struktur und Führungswandel im Krankenhaus, Stuttgart, Berlin, Köln 1998, Seite 8, sowie Jeschke, Horst A. (Hrsg.), Krankenhausmanagement: Zwischen Frustration und Erfolg, Kulmbach 1993Seite. 51 und Jeschke, H.A.: Der Arzt im Spannungsfeld von Führungs- und Fachkompetenz, in: Führen und Wirtschaften 4/91 8. Jahrgang Seite 264, sowie Ramer, A.: 3/97 ebenda Seite 4 sowie Schumacher, Erika; "Leider fehlen in der Schweiz gute Ausbildungsstätten für Gesundheitsökonomie auf universitärer Ebene.", in: SPITAL MANAGEMENT 4/97, Seite 4 sowie Weber, H.: 1983 ebenda Seite 496 sowie Unkel, Bernhard; Anforderungen und Erwartungen an das Personalmanagement aus der Sicht von Krankenhausträger und Krankenhausleitung, in: Fachbereich Wirtschaft der FH Osnabrück (Hrsg.): Personalmanagement, Arbeitsberichte aus dem Fachbereich Wirtschaft Band 24/92, Osnabrück 1992 Seite 130 siehe: Strehlau-Schwoll, H.: Ärzte im Top-Management, in: Krankenhausumschau 6/2004 Seite 518 Seite 72 von 430 und Kontinuität zu sorgen, ist hierfür zu komplex und anspruchsvoll.170 Darüber hinaus kommen die postgraduaten Angebote letztlich auch sehr spät, da bereits im frühen klinischen Alltag vom Mediziner z.B. als Stationsarzt Führungsfähigkeiten abgefragt werden. Ein Teilergebnis der vorliegenden Untersuchung an den Universitätsklinika untermauert diese Sichtweise zumindest für die deutschen Krankenhäuser: Gezielte Schulung von Führungskräften in Personalentwicklung sind tendenziell nicht gegeben. Dabei gibt es einen sehr signifikanten Zusammenhang zwischen dem Anspruch an die Führungskräfte, Personalentwicklung als Führungsaufgabe zu verstehen, und entsprechenden Schulungsangeboten.171 5 Das Untersuchungsobjekt Krankenhaus Krankenhäuser sind Teile des Gesundheitssystems, gängiger als „Gesundheitswesen“ bezeichnet, welches wiederum Teil des gesamten Sozialwesens ist. Zentrale Aufgabe des Gesundheitswesens ist es, Krankheiten vorzubeugen und entstandene Krankheiten zu heilen. Nach den verschiedenen Aufgabenzuweisungen ist das Gesundheitswesen in Deutschland in Sektoren aufgeteilt: Die Prävention, die Kuration und die Rehabilitation. Darüber hinaus sind Forschung, Lehre und Ausbildung weitere Aufgaben im Gesundheitssystem. Neben der Abgrenzung durch die Aufgabenzuteilung, die zwischen den Sektoren in den vergangenen Jahren – wenn auch nur zögerlich – aufgeweicht wurde, liegen den Sektoren unterschiedliche Finanzierungssysteme zugrunde. 170 171 siehe: Rosenthal, T.; Wagner, E.: Organisationsentwicklung und Projektmanagement im Gesundheitswesen, Heidelberg 2004 Seiten 204f siehe Teil II Abschnitt 2.5.2 Führungskräfteschulung Seite 73 von 430 Prävention: Gesundheitsschutz, Vorsorge Kuration: Behandlung und Pflege Rehabilitation: Nachsorge Forschung, Lehre, Ausbildung Erziehung, Beratung, Aufklärung Ambulante Versorgung Ambulante Reha Forschung und Lehre Vorsorge, Früherkennung Stationäre Versorgung Stationäre Reha Ausbildung Umweltschutz, Hygiene Rettungswesen Abbildung 9: Die Sektoren des Gesundheitssystems Deutschland172 Universitätsklinika sind in allen Sektoren tätig, auch wenn der Schwerpunkt nach wie vor eindeutig in den Bereichen Kuration sowie Forschung, Lehre und Ausbildung zu finden ist. Krankenhäuser sind nach ihrer Legaldefinition „Einrichtungen, in denen durch ärztliche und pflegerische Hilfeleistung Krankheiten, Leiden oder Körperschäden festgestellt, geheilt oder gelindert werden sollen, oder Geburtshilfe geleistet wird und in denen die zu versorgenden Personen untergebracht und gepflegt werden können.“173 Die Kernleistung des Krankenhauses ist das Erkennen, Heilen, Lindern oder Bessern von Krankheit, Leiden oder Körperschäden seiner Patienten. Es geht primär um immaterielle Dienste am Patienten, erst sekundär um die Bereitstellung von Sachleistungen. Als Betrieb ist das Krankenhaus nach folgenden Gliederungsmerkmalen zu typisieren: • Nach der Art der Leistungserstellung als Dienstleistungsbetrieb, • nach den überwiegend eingesetzten Produktionsfaktoren als arbeitsintensiver Be- 172 173 in Anlehnung an: Haubrock, M.; Schär, W. (Hrsg.): Betriebswirtschaft und Management im Krankenhaus, 4. Auflage Bern 2007 Seite 46 § 2 Krankenhausfinanzierungsgesetz (KHG) Seite 74 von 430 trieb, • nach der Zielrichtung als bedarfswirtschaftlich orientiert mit zunehmend betriebswirtschaftlichen Zügen.174 Aus systemischer Sicht sind Krankenhäuser hochkomplexe soziotechnische Systeme.175 „Im Sinne von komplexem System verwendet, bezeichnet System einen ganzheitlichen Zusammenhang von Teilen, deren Beziehungen untereinander quantitativ intensiver und qualitativ produktiver sind als ihre Beziehungen zu anderen Elementen. Diese Unterschiedlichkeit der Beziehungen konstituiert eine Systemgrenze, die System und Umwelt des Systems trennt.“176 Krankenhäuser haben eine der komplexesten Organisationsformen unserer Gesellschaft.177 Die Organisationstheorie sieht in Krankenhäusern Expertenbetriebe, da die Gruppe der formal wie inhaltlich als Experten einzustufenden Beschäftigten vergleichsweise hoch ist.178 Die von Krankenhäusern erbrachte Dienstleistung umfasst sowohl innovative Produkte und kundenorientierte Marktleistungen auf dem Hintergrund der hierzu erforderlichen Sachkompetenz, als auch zwischenmenschliche Produkte und soziale Beziehungen auf dem Hintergrund der hierfür erforderlichen Verhaltenskompetenz. Dabei ist die Bedeutung der zwischenmenschlichen Interaktion hoch anzusetzen.179 Die Dienstleistung des Krankenhauses ist die Wiederherstellung der Gesundheit des Patienten und somit abstrakt und schwer messbar.180 174 175 176 177 178 179 180 Mit dem Anstieg der Zahl privater Krankenhausträger sowie privater Rechtsformen wird die bedarfswirtschaftliche Ausrichtung zunehmend durch die erwerbswirtschaftliche verdrängt oder zumindest ergänzt. In Weiterentwicklung von: Eichhorn, S.: Krankenhausbetriebslehre: Theorie und Praxis des Krankenhausbetriebes, Band 1 Stuttgart 1992, Seiten 25, 32 vergleiche: Rathje, E.: Führungsanspruch in Krankenhäusern, in: Führen und Wirtschaften 2/1996 Seite 124 sowie Winter, U. J.; Baumberger, J. (Hrsg.): Modernes Krankenhaus-Management, Stuttgart 1997 Seite 94 sowie Leuzinger, A.; Luterbacher, T.: Mitarbeiterführung im Krankenhaus, 3. Auflage Bern, Göttingen, Toronto Seattle 2000 Seite 33 Willke, H.: 2000 ebenda Seite 250 Nach: Raem, A. (Hrsg.), Der Arzt als Manager, München 1996 Seite 63 Strehlau-Schwoll, H.: 2004 ebenda Seite 518 In Anlehnung an: Dunkel, W.: Wenn Gefühle zum Arbeitsgegenstand werden – Gefühlsarbeit im Rahmen personenbezogener Dienstleistungstätigkeiten, in: SOZIALE WELT 2/1988, Seite 66 nach: Boehnisch, W., Schütz, R.: Human ressource - Studie im Auftrag der konfessionellen Krankenhäuser Österreichs, Institut für Unternehmensführung, Schwerpunkt Personalwirtschaft, Johannes-Kepler-Universität Linz 1995, Seite 87 sowie Eichhorn, S. (Hrsg.) Motivation im Krankenhaus: Tagungsbericht zum 21. Colloquium Gesundheitsökonomie der Robert-Bosch-Stiftung, Gerlingen 1990 Seite 47 Seite 75 von 430 Die Leistungserstellung im Krankenhaus ist durch einige Besonderheiten geprägt: Wie in allen Betrieben liegt ihr die Kombination der Produktionsfaktoren menschliche Arbeit, Sachgüter und Betriebsmittel zugrunde. Planung, Organisation und Kontrolle des Kombinationsprozesses obliegt dem dispositiven Faktor Krankenhausmanagement. Dazu kommt als Besonderheit der Patient, der nicht nur Objekt der Leistungserstellung ist, sondern auch aktiv auf den Leistungsprozess einwirkt.181 Die Krankenhausleistung wird durch das Uno-actu-Prinzip geprägt. „Produzent“ und „Konsument“ arbeiten bei der Leistungserstellung unmittelbar zusammen. Ärztliche Untersuchungen und Therapien, pflegerische Leistungen und physikalische und andere Anwendungen geschehen unmittelbar mit und am anwesenden Patienten. Dabei ist der Patient direkt am Gesundungsprozess beteiligt und beeinflusst diesen durch seine Mitwirkung positiv oder seine Verweigerung auch negativ. Aus der Perspektive der im Krankenhaus in direktem Kontakt mit dem Patienten arbeitenden Berufsgruppen bedeutet dies die unmittelbare Konfrontation mit dem Ergebnis der Arbeit. Dieser Umstand sowie generell die Dienstleistung an Physis und Psyche des Menschen unterscheidet das Krankenhaus von allen anderen Betrieben.182 Die im Dienstleistungsunternehmen Krankenhaus erbrachte Leistung ist jeweils ein Unikat. Krankenhäuser verfügen über ein sehr breites Leistungsspektrum. Die Leistungserstellung erfolgt in einem gesteuerten, interaktiven Prozess mit zum Teil stark differenziertem Mitteleinsatz in komplexen Beziehungen und kann als zweistufiger Prozess dargestellt werden (s. Abb. 10). Am Prozess beteiligt sind Mediziner, Pflegepersonal, Medizinisch-technisches Personal, Beschäftigte in den Servicebereichen und in der Verwaltung. Darüber hinaus ist die Nachfrage nach Leistungen oft nicht vorhersehbar und somit schwer planbar, was eine hohe Flexibilität der Leistungserstellung erfordert sowie hohe Anforderungen an Qualifikation und Beweglichkeit der Beschäftigten stellt.183 Krankenhäuser sind durch zahlreiche Widersprüche geprägte Organisationen. Diese sind in der Literatur vielfältig beschrieben. Treffend beschreiben Grossmann et al vier zentrale Widersprüche wie folgt: 181 182 183 siehe: Eichhorn, S. 1990 ebenda Seite 5 sowie Eichhorn, S. 1992 ebenda Seite 14 siehe: Trill, R.: Krankenhausmanagement – Aktionsfelder und Erfolgspotentiale, 2. Auflage Neuwied, Kriftel, Berlin 2000 Seite 233 nach: Peters, S. H.F.; Schär, W.: Betriebswirtschaft und Management im Krankenhaus, Berlin 1996 Seiten 92 – 94, 104 - 107 Seite 76 von 430 • Widerspruch zwischen Fach- und Professionssystem einerseits und Organisation andererseits, • Widerspruch zwischen der ausgeprägten Expertenkultur und der Notwendigkeit, die Kunden- bzw. Patientensicht als relevante Messgröße in die Ausrichtung der Arbeit zu integrieren, • Widerspruch zwischen der fortschreitenden Arbeitsteilung und Spezialisierung und dem Bedarf an fach- und berufsgruppenübergreifender Kooperation in den Leistungsprozessen, • Widerspruch zwischen der Eigendynamik und Autonomie der Fachbereiche und dem Bedarf an Integration und Handlungsfähigkeit der Gesamtorganisation.184 184 nach: Grossmann, R.; Scala, K.; Heimerl, K.: 2002 ebenda Seite 25 Seite 77 von 430 Krankenhaus Sekundär-Input Arbeit, Betriebsmittel, Sachgüter, dispositiver Faktor Sekundär-Output/ Primär-Input Leistungsspektrum: Diagnostik, Therapie, Pflege, Versorgung, Verwaltung Patient Gesundheitszustand bei Aufnahme Primär-Output Statusveränderung Patient Gesundheitszustand bei Entlassung Abbildung 10: Prozess der Leistungserstellung im Krankenhaus185 5.1 Untersuchungsobjekt Universitätsklinika Die Universitätsklinika sind Teil des Krankenhaussystems des jeweiligen Landes. Sie leisten einen großen Teil der Maximalversorgung und unterscheiden sich in vielerlei Hinsicht wenig von anderen Großkrankenhäusern. Insbesondere teilen sie mit diesen im Kern dieselben Kosten- und Finanzierungsprobleme. Gleichwohl haben Universi185 in Anlehnung an: Radke, Ch.: Die interne Budgetierung im Krankenhausbetrieb, Berlin 1991 Seite 78 von 430 tätsklinika unter den Krankenhäusern eine besondere Stellung. In Deutschland stellen sie mit 34 Einrichtungen lediglich 1,5 % der Akutkrankenhäuser. Die deutschen Universitätsklinika versorgen über 9% aller stationären Patienten und haben im Jahr 2003 ca. 15% aller ambulanten Operationen durchgeführt. Als bedeutende Versorgungsleistung außerhalb des stationären Bereichs gelten die Spezialambulanzen, die es nur an den Universitätsklinika gibt. Sie dienen der Sicherstellung der Krankenversorgung im Bereich seltener Erkrankungen. Die Universitätsklinika decken 18% der intensivmedizinischen Versorgung in Deutschland ab. Sie beschäftigen ca. 20% aller Krankenhausärzte.186 Nahezu jeder sechste Beschäftigte in deutschen Krankenhäusern arbeitet in einem Universitätsklinikum.187 Mit ca. 137.000 Vollzeitkräften wird pro Jahr ein Umsatz von rund 13 Milliarden Euro erwirtschaftet, ca. 8 Milliarden für die stationäre Patientenversorgung und 1 Milliarde aus Leistungen in den Polikliniken, Hochschulambulanzen und Hilfsbetrieben. Für den Bereich Forschung und Lehre stehen ca. 4 Milliarden Euro aus überwiegend staatlichen Mitteln zur Verfügung.188 Die Universitätsklinika werden durch zwei Merkmale wesentlich geprägt:189 1. Universitätsklinika sind Krankenhäuser der höchsten Versorgungsstufe (so genannte „Maximalversorgung“). In Deutschland erfüllen sie im Rahmen der Krankenhauspläne der Länder sowohl lokale und regionale wie auch überregionale Aufgaben. An einigen Standorten übernehmen die Universitätsklinika auch die Funktion eines allgemeinen Krankenhauses.190 Zur Erfüllung der Aufgaben der Maximalversorgung verfügen die Universitätsklinika über Leistungsangebote in allen medizinischen Fachrichtungen inklusive der zugehörigen wesentlichen Teil- und Spezialgebiete. Sie garantieren eine ständige Aufnahmebereitschaft und unterliegen einer umfassenden Behandlungsverpflichtung. In der Schweiz sind die Universitätsspitäler staatliche oder staatlich unterstützte Einrichtungen, deren Leistungsspektrum durch die kantonale Spitalplanung de- 186 nach: Wissenschaftsrat, Empfehlungen zu Public Private Partnership (PPP) und Privatisierungen in der universitätsmedizinischen Krankenversorgung, Berlin, 27.01.2006 Seite 20 187 nach: Statistisches Bundesamt, Gesundheitswesen – Fachserie 12, Reihe 6.1 2004: danach arbeiteten in 2003 von insgesamt 805.988 Krankenhausbeschäftigten 135.609 in Universitätsklinika 188 nach: Gürkan, I.: Universitätsklinika im Wandel, in: Verbandszeitschrift des VUD 2/2004, Seite 3, ergänzt nach:VUD (Hrsg.): Spitzenmedizin – das Magazin der deutschen Hochschulmedizin, Erstausgabe Juli 2008 Seite 20 189 siehe auch Abbildung 5 190 so zum Beispiel in Freiburg im Breisgau, das über kein eigenes städtisches Krankenhaus verfügt. Seite 79 von 430 finiert wird. Der Leistungsauftrag umfasst - mit Deutschland vergleichbar - die maximale Krankenversorgung, die Forschungs- sowie die Ausbildungstätigkeit. Alle Leistungen, die durch die Bezirks- und Regionalspitäler nicht erbracht werden, sind durch die Universitätsspitäler abgedeckt. Auf dem Hintergrund der gesetzlich vorgeschriebenen kantonalen Spitalplanung ist in der Schweiz in den letzten Jahren ein vermehrter Leistungstransfer von der Peripherie in die Zentrumsspitäler zu verzeichnen. In Österreich unterscheidet sich die Landschaft der Universitätsmedizin eher auf der universitären Seite. Während in Deutschland die Forschung und Lehre in der Medizinischen Fakultät beheimatet und somit in die jeweilige Universität eingegliedert ist, bestehen in Österreich eigenständige Medizinische Universitäten mit voller Rechtsfähigkeit als juristische Personen des öffentlichen Rechts. Mit dem österreichischen Universitätsgesetz von 2002 wurde den Universitäten eine nur durch die staatliche Rechtsaufsicht und die Finanzierung durch den Bund eingeschränkte Autonomie verliehen. Auf dieser Basis wurde zum Beispiel die Medizinische Universität Innsbruck zum 01. Januar 2004 aus der Leopold-Franzens-Universität ausgegliedert. Das dortige Universitätsklinikum gehört nicht zur Universität, sondern dem Land Tirol als Landeskrankenhaus (Tiroler Landeskrankenanstalten – TILAK). Die Zusammenarbeit zwischen der Medizinischen Universität und den Tiroler Landeskrankenanstalten wird über einen Kooperationsvertrag geregelt. 2. Universitätsklinika nehmen als Teil der Universität Aufgaben in Forschung und Lehre wahr. Im Zentrum der Lehre stehen die ärztliche Ausbildung vom Studium bis zur Facharztweiterbildung sowie darüber hinaus auch die ärztliche Fortbildung. An den medizinischen Fakultäten der deutschen Universitäten werden über 100.000 Studenten der Human- und der Zahnmedizin ausgebildet.191 Daneben sind die Universitätsklinika auch Ausbildungsstätten für die Pflegeberufe sowie eine Vielzahl so genannter Heilhilfsberufe.192 191 192 siehe: Wissenschaftsrat Stellungnahme zur Entwicklung der Hochschulmedizin, in: Wissenschaftsrat: Empfehlungen und Stellungnahmen 1995, Köln 1996 Seite 80 So werden an den Universitätsklinika u.a. Gesundheits- und Krankenschwestern bzw. -pfleger, Gesundheits- und Kinderkrankenschwestern bzw. -pfleger, Krankenpflegehelferinnen und –helfer, Physiotherapeuten, medizinisch-technische Laboratoriumsassistenten, medizinisch-technische Radiologieassistenten, Logopäden, Diätassistenten, Beschäftigungstherapeuten oder Hebammen ausgebildet. Seite 80 von 430 • Klinische Forschung (patientenorientiert) • Zugang zur grundlagenorientierten Forschung (CampusGedanke) • Koordination von klinischen und Forschungsschwerpunkten • Lehre • Medizinische Hilfsberufe (Ausbildung) • Weiterbildung • Fortbildung • Stationäre und ambulante Krankenversorgung • Supramaximale Krankenversorgung • „Unikat“-Leistungen Abbildung 11: Aufgaben von Universitätsklinika im Überblick193 Ebenfalls in enger Anbindung an die Medizinische Fakultät der jeweiligen Universität wird an den Universitätsklinika vor allem Grundlagenforschung betrieben. Im Rahmen der Forschungstätigkeiten werden neue Diagnose- und Therapiemethoden und neue medizintechnische Geräte und Arzneimittel eingeführt.194 Aus der engen Verzahnung von Krankenversorgung und Forschung erwächst den Universitätsklinika die Rolle medizinischer Trendsetter. Das Diagnoseprofil der Patienten und damit die Anforderungen an die Qualität der Krankenversorgung sind im Vergleich zu außeruniversitären Krankenhäusern komplexer.195 Das Aufgabenspektrum, einerseits Krankenversorgung auf breitem und zugleich 193 194 195 © Verband der Universitätsklinika Deutschlands (VUD), nach: Gürkan, I. 2004 ebenda Seite 3 siehe: Buchholz, W., Eichhorn, P.: Wirtschaftliche Führung von Krankenhäusern, Baden-Baden 1992 Seite 33 nach: Baugut, G., Forschung und Lehre in Hochschulkliniken und akademischen Lehrkrankenhäusern, in: Das Krankenhaus 78. Jg. 1986 Seite 390 sowie Wissenschaftsrat, 1996 ebenda Seite 81, wo den Universitätsklinika eine „Rolle als Schrittmacher medizinischer Innovation“ zugestanden wird. Seite 81 von 430 hoch spezialisiertem Niveau und andererseits Forschung und Lehre im universitären Rahmen leisten zu müssen, führt seit Jahren zur Diskussion darüber, welcher der beiden großen Bereiche Dominanz besitzen soll. Vor allem von Vertretern der Wissenschaft wird Forschung und Lehre als Hauptaufgabe deklariert.196 Praktiker halten dagegen, die Patientenversorgung genieße Vorrang. Hinter ihr müssten die Erfordernisse der Wissenschaft zurücktreten, zumal der größte Teil der Leistungen der Kliniken auf die Krankenversorgung entfalle.197 Im 25. Entwicklungsplan der Medizinischen Universität Wien wird als erstes allgemeines strategisches Ziel die Festlegung der Definition von Forschung, Lehre und Patientenversorgung als gleichwertige Kernaufgaben (triple track) postuliert.198 Eine ähnliche Diskussion gibt es auch an den schweizerischen Universitätsspitälern. So fordert z.B. der schweizerische Wissenschafts- und Technologierat, welcher als unabhängiges Gremium den schweizerischen Bundesrat in Fragen der Wissenschaft, Bildung und Technologie berät, die Lehre und Forschung solle von der Krankenversorgung getrennt und nicht wie bisher durch die Sanitätsdepartemente, sondern durch die Universitäten finanziert und fachlich kontrolliert werden. Es wird bemängelt, dass die Budgets für die Krankenversorgung, die Lehre und Forschung an den Universitätsspitälern nicht klar getrennt sind, was dazu führe, dass eine gute Patientenversorgung oberstes Prinzip sei und die Forschung nur mit letzter Priorität finanziert werde.199 Die Balance zwischen den drei tragenden Säulen des Leistungsgeschehens stellt das Management vor komplexe Anforderungen. Das Ziel, die miteinander eng verknüpften Aufgaben gegenseitig zu fördern, wird in wirtschaftlich schwierigen Zeiten zunehmend schwerer erreichbar. Die enger werdenden Finanzspielräume stören das Gleichgewicht. Die unterschiedlichen Aufgabenschwerpunkte Forschung und Lehre 196 197 198 199 So fordert der Wissenschaftsrat das Primat von Forschung und Lehre, indem er empfiehlt, „das in Hochschulkliniken geleistete Ausmaß an Krankenversorgung stärker am Bedarf von Forschung und Lehre zu orientieren.“, siehe: Wissenschaftsrat, 2006 ebenda Seite 17; siehe ebenfalls: Freymann, H.: Universitätsklinika: Überlegungen zur Verbesserung der Betriebsführung, in: führen & wirtschaften, 11. Jg. Seite 196 sowie Eichhorn, S. 1992 ebenda Seite 33 und Keldenich, K.: Universitätskliniken und wirtschaftliche Betriebsführung – ein Gegensatz?, in: Das Krankenhaus 1982 Seite 370 siehe: Buchholz, Eichhorn, 1992 ebenda Seite 25 siehe: Medizinische Universität Wien, Mitteilungsblatt Studienjahr 2004/2005 – ausgegeben am 17.05.2005 – 16. Stück: 25. Entwicklungsplan der Medizinischen Universität Wien Schweizerischer Wissenschafts- und Technologierat: Klinische Forschung in der Schweiz, SWTR Schrift 3/2002, Bern 2002, Seiten, 7, 10, 11, 18, 21 Seite 82 von 430 angesiedelt bei der Medizinischen Fakultät - und Krankenversorgung - angesiedelt beim Klinikum - werden von unterschiedlichen Geldgebern finanziert, die Krankenversorgung überwiegend von den Krankenkassen, Forschung und Lehre von den Ländern und von Drittmittelgebern. Der Großteil an Forschung und Lehre ist auf die unmittelbare Verbindung mit der Krankenversorgung angewiesen. Diese gegenseitige Durchdringung hat zur Folge, dass zahlreiche Entscheidungen nicht vom Management des Klinikums alleine getroffen werden können, eine Abstimmung mit der universitären Fakultät ist erforderlich. Dies betrifft insbesondere wichtige Entscheidungen wie die Ausrichtung des fachlichen Spektrums der Krankenversorgung, die strukturelle und organisatorische Gliederung des Klinikums, die Personalstruktur, insbesondere im ärztlichen Bereich oder auch bauliche Angelegenheiten.200 Innerhalb der Universität ist die Stellung der Universitätsmedizin dadurch geprägt, dass sie wesentlich aus den Einnahmen der medizinischen Dienstleistungen finanziert wird und damit über einen deutlich höheren Haushalt verfügt, als alle anderen nichtmedizinischen Fächer. Diese Tatsache schiebt sie in weit höherem Maße in den Focus von Reformbemühungen und gesetzlichen Eingriffen, als andere Fachdisziplinen. In den vergangenen Jahren wurde die Universitätsmedizin konfrontiert mit Einsparmaßnahmen durch Absenkung der Landesbeiträge und drastische Kürzungen der Hochschulbaufinanzierung und darüber hinaus mit den finanziellen und strukturellen Änderungszwängen durch den Kostendruck im öffentlichen Gesundheitswesen. Um diese Situation besser bewältigen zu können, gab es für die Großzahl der deutschen Universitätsklinika in den vergangenen Jahren einen Rechtsformwechsel mit dem Ziel, ihnen eine gewisse Selbständigkeit und damit die Grundlagen für ein stärkeres unternehmerisches Handeln zu gewähren.201 Das Management der Universitätsklinika und Fachleute aus dem Krankenhausbereich halten diesen Schritt allerdings für nicht ausreichend.202 200 201 202 siehe: Meinhold, H.: Medizinische Fakultäten und Universitätsklinika im DRG-Zeitalter (I), in: Das Krankenhaus 8/2004 Seite 614 siehe: Wissenschaftsrat: 2006, ebenda Seiten 19f sehr dezidiert äußert sich z. B. Helmut Meinhold, versierter Kenner der Hochschulmedizin, der 20 Jahre im baden-württembergischen Wissenschaftsministerium an leitender Stelle für die Hochschulmedizin wirkte und elf Jahre lang den Vorsitz in der Arbeitsgruppe Hochschulmedizin der Kultusministerkonferenz innehatte: "Der Anstaltsmantel wurde einem kaum regierbaren und fast undurchschaubaren Konglomerat voller Besitzstandsfreude, Bequemlichkeit und Reformunlust übergeworfen. … Die Umwandlung in Anstalten war zum Teil ein Täuschungsmanöver". Meinhold, H.: 2004, ebenda Seite 612. Seite 83 von 430 Für das Krankenhausmanagement eines Universitätsklinikums ergibt sich aus der speziellen Stellung, dass neben der Krankenhausführung eine Universitätshierarchie besteht, die über die Medizinische Fakultät Einfluss ausübt, eine zusätzliche Brisanz.203 Hierdurch vergrößert sich das durch unterschiedliche Interessenlagen und Einflusssphären hervorgerufene Spannungsfeld, in dem sich das Management eines Universitätsklinikums bewegt.204 5.2 Management von Universitätsklinika Universitätsklinika sind Krankenhäuser der höchsten Versorgungsstufe und somit Leistungsanbieter in allen medizinischen Fachrichtungen. Zugleich haben sie die Aufgabe, mit ihrer Krankenversorgung die Forschung und Lehre an den Medizinischen Fakultäten der Universitäten zu garantieren. Beide Aufgaben zugleich machen die Universitätsklinika zu Trendsettern der Hochleistungsmedizin sowie der Krankenhausentwicklung. „Niemand kann sagen, wie ein Krankenhaus tatsächlich ist und wie es wirklich funktioniert. Niemand kann sagen, was und wie Menschen an sich oder wie bestimmte Menschen sind und weshalb sie sich auf eine bestimmte Weise verhalten. Genauer hin und dahinter gesehen, haben wir es hier mit wesentlich komplexeren Systemen zu tun, als wir gemeinhin annehmen. […] In der Komplexität liegt die Ursache für die Schwierigkeiten, mit denen die Führungskräfte, die Helfer und die Patienten zu kämpfen haben und hierin liegt die Ursache für die große Belastung, der alle im Krankenhaus ausgesetzt sind. Wenn wir die Probleme im Krankenhaus überwinden wollen, müssen wir den Dialog mit allen Beteiligten suchen. Wir müssen unsere Vorstellungen von der Organisation eines Krankenhauses grundlegend ändern.“ 205 Im Widerspruch zur innovativen, zukunftsorientierten Rolle auf dem Gebiet der Medizin finden aktuelle Erkenntnisse der Betriebswirtschaft im Krankenhausmanagement der Universitätsklinika nur langsam Eingang. Insbesondere der für die Leistungs203 204 205 siehe: Lindner, T.; Domayer, E.; Fodor, G.: Organisationsentwicklung an einer Universitätsklinik für Orthopädie, in: Gruppendynamik 2/1995 Seite 159 siehe: Mlynek, F.: Privatkapital für Universitätsklinika – Ultima ratio oder Irrweg?, in: Krankenhausumschau Nr. 10/1996 Seite 733 aus: Pruckner Maria: Hilfe Krankenhaus – Chancen erkennen und Krisen bewältigen, Wien 1999 Seite 9. Seite 84 von 430 erbringung maßgeblichen Ebene der Chefärzte sind unternehmerische und betriebswirtschaftliche Grundregeln nicht in dem Tempo vermittelbar, das zur Bewältigung des strukturellen Umbruchs erforderlich wäre. Die Gründe hierfür sind in der speziellen Situation der Universitätsklinika zu suchen: • Im Spannungsfeld zwischen den Anforderungen der Krankenversorgung einerseits und den Anforderungen von Forschung und Lehre andererseits entstehen an den Universitätsklinika zusätzliche Zielkonflikte. • Organisationen im Gesundheitswesen gelten als Expertenorganisationen, gekennzeichnet durch eine hohe Autonomie ihrer Mitglieder.206 Dies gilt in besonderem Maße für Universitätsklinika, deren Mitglieder sich über ihre professionellen Bezugsgruppen identifizieren, welche auch über die individuellen Karrierechancen entscheiden. Der Widerspruch hinsichtlich Ziel und Steuerung zwischen dem fachlich organisierten Expertensystem und dem sozialen System der Organisation ist deutlich u. a. daran erkennbar, dass Innovationen innerhalb des jeweiligen Faches oder der jeweiligen Abteilung schnell umsetzbar sind, während Veränderungen der Gesamtorganisation Universitätsklinikum nur träge und verzögert erkennbar werden.207 • Die starke, vom Gesamtunternehmen Universitätsklinikum teilweise nicht beeinflussbare autonome Stellung der Chefärzte an Universitätsklinika fördert Interessenkonflikte und behindert das Herausbilden einer Unternehmensidentität. • Der Bereich der Personalwirtschaft ist in noch stärkerem Maße als in anderen Krankenhäusern durch berufsständische Interessen geprägt. Der Anteil der Ärzte an der Gesamtbelegschaft ist im Vergleich zu anderen Krankenhäusern erheblich höher. • Mit der Überführung zahlreicher Universitätsklinika in die Rechtsform Anstalt des öffentlichen Rechts wurde in Deutschland die Zuordnung des Personals so geregelt, dass das wissenschaftliche Personal – überwiegend Ärzte – bei der Medizinischen Fakultät und damit beim Land verblieben sind, während das nichtwissenschaftliche Personal in die Universitätsklinika überführt wurden. Somit verbleibt ein 206 207 siehe: Grossmann, R.; Pellert, A.; Gotwald, V.: Krankenhaus, Schule, Universität: Charakteristika und Optimierungspotentiale, in: Grossmann, R.: Besser, billiger, mehr. Zur Reform der Expertenorganisation Krankenhaus, Schule, Universität, Wien 1999 Seiten 24 bis 42 sowie Lega, F.; De Pietro, C.: Converging Patterns in Hospital Organisation: Beyond the Professional Bureaucracy, Health Policy 2005; 74: Seiten 261 bis 281 siehe: Schrappe, M.: Wandel der Berufsbilder im Krankenhaus: Neues Umfeld, neue Aufgaben, in: Wissenschaftliches Institut der AOK, Krankenhausreport 2007, Bonn Seite 180 Seite 85 von 430 wesentlicher – für die medizinische Leistungserbringung sogar der zentrale – Teil des Personals der Universität zugehörig, deren unternehmerische und betriebswirtschaftliche Ausrichtung kaum mit der des Universitätsklinikums vergleichbar ist. Die Universitätsklinika in der Schweiz sind auf dem Hintergrund des dortigen Finanzierungssystems in stärkerem Maße staatlich subventioniert, als in Deutschland. Allerdings ist absehbar, dass auch die Schweiz auf das deutsche Fallpauschalensystem umsteigen wird. In Österreich sind Forschung und Lehre in stärkerem Masse über die dortigen Medizinischen Universitäten von den als Universitätsklinika fungierenden Landeskrankenhäusern abgegrenzt, als dies in Deutschland und in der Schweiz der Fall ist. Die mit den Medizinischen Universitäten verbundenen Krankenhäuser wie das Allgemeine Krankenhaus in Wien als größtes Krankenhaus Österreichs, stehen eigenständig ergänzend neben den Medizinischen Universitäten. 5.3 Das Untersuchungsobjekt Personal im Krankenhaus 5.3.1 Bedeutung des Personals im Dienstleistungsunternehmen Krankenhaus In einem Dienstleistungsunternehmen bildet das Humanpotential die bedeutendste Basis des Leistungsvermögens. Das Krankenhaus gehört zu den personalintensiven Dienstleistungsunternehmen. Den Mitarbeitern kommt eine Schlüsselposition hinsichtlich der Wettbewerbsfähigkeit der Krankenhäuser zu.208 Es existiert ein enger Zusammenhang zwischen personellen und finanziellen Ressourcen. Das Krankenhaus ist von der Kostenseite her ein lohnintensiver Betrieb, die Personalkosten betragen ca. 2/3 der Betriebskosten. Neben dem Kostenaspekt macht die Bedeutung der Arbeitskräfte im Krankenhaus für die Qualität von Behandlung und Pflege die Personalführung zur Schlüsselaufgabe des Managements.209 208 209 siehe u.a.: Eichhorn, S.: Krankenhausmanagement im Werte- und Strukturwandel, Stuttgart 1995 Seiten 27, 28 sowie in Bezug auf alle Nonprofit Organisationen: Eckardstein, D., Ridder, H.-G.: Anregungspotenziale für Nonprofit Organisationen aus der wissenschaftlichen Diskussion über strategisches Personalmanagement, in: Eckardstein, D., Ridder, H.-G. (Hrsg.): Personalmanagement als Gestaltungsaufgabe im Nonprofit und Public Management, München, Mering 2003 Seite 11 vergleiche: Eichhorn, S. 1992 ebenda Seite 291 sowie Rathje, E. 1996 ebenda Seite 124 sowie Sidamgrotzki, E.: Kompendium des integrierten Krankenhausmanagements, Schweiz 1994 Seite 110 sowie Trill, R. 1996 ebenda Seiten 60, 61, 173 Seite 86 von 430 Für Dienstleistungsunternehmen branchenübergreifend relevante Dimensionen der Dienstleistungsqualität wurden vielfach empirisch erforscht. Von den zehn wichtigsten Merkmalen beziehen sich allein acht auf das Personal: Verlässlichkeit, Reagibilität, Kommunikation, Glaubwürdigkeit, Sicherheit, Kompetenz, Höflichkeit und Verständnis. Personalarbeit ist somit im Dienstleistungsunternehmen wesentlicher Ansatzpunkt für unternehmerische Profilierung und Differenzierung.210 Die Erkenntnisse über die zentrale Bedeutung der Personalführung hat deren Stellung im Unternehmen verändert: noch Anfang der 80er Jahre galt das Personalwesen als ein betriebliches Aufgabengebiet neben anderen wie Beschaffung, Produktion oder Vertrieb. Heute findet eine Neuorientierung statt hin zu einer strategischen Sichtweise des Faktors menschliche Arbeitskraft. Personalarbeit wird zur zentralen Managementaufgabe, die über die bloße Anwendung von Personaltechniken hinausreicht. Personalentwicklung, Personaleinsatz und Personalplanung bleiben zwar in Grossbetrieben zumeist hoch spezialisierten Führungskräften in den Personalabteilungen zugewiesen, die normativen und strategischen Elemente der Personalarbeit werden aber zusehends auf höchster Führungsebene entwickelt. Als maßgebliche Determinanten für die geschilderte Entwicklung sind anzusehen: • Wandlungen des gesellschaftlichen Menschenbildes, die in Forderungen nach Persönlichkeitsentfaltung im Arbeitsleben und Humanisierung der Arbeitswelt zum Ausdruck kommen, • Zunahme der Bedeutung von Qualitätserfordernissen und damit zusammenhängend wachsendes Bewusstsein, dass der Unternehmenserfolg eng mit der Mitarbeiterqualität zusammenhängt, • Veränderung der physischen und psychischen Leistungsanforderungen an die Mitarbeiter durch technologisch-organisatorische Weiterentwicklungen, • Erfordernis für rationellen Personaleinsatzes aufgrund steigender Personalkosten. Der Produktionsfaktor Arbeit dominiert somit den Leistungsprozess im Krankenhaus. Auch hier gilt: das Management muss sich sowohl in der normativen wie in der strategischen und operationalen Ausrichtung mit Fragen der personellen Quantität und Qualität befassen. Dabei ist der Zusammenhang zwischen finanziellen und personel210 nach: Schmidt, C. 1996 ebenda Seite 74 Seite 87 von 430 len Ressourcen nur ein Aspekt. Es gibt im Dienstleistungsunternehmen Krankenhaus keine Elemente, die nicht mit dem Humanpotential verknüpft wären.211 Die Schlüsselfunktion der Personalführung wird auch durch die soziale Interaktion zwischen Mitarbeitern und Patienten geprägt, welche Einfluss auf den Gesundungsprozess und somit den Unternehmenserfolg des Krankenhauses nimmt.212 Eine Sichtweise des Krankenhauses als Dienstleistungsbetrieb spezifischer Art, in dem es gilt, soziale und wirtschaftliche Zielkomponenten zugleich ins Auge zu fassen und hierfür zeitgemäße, überprüfbare und mitarbeiterorientierte Lösungsansätze zu finden, ist zu entwickeln.213 Eine Professionalisierung des Personalmanagements ist zur Bewältigung der Anforderungen im Krankenhaus notwendig.214 Diese Anforderung steht in deutlich erkennbarem Widerspruch zur Realität. Die Kliniken vernachlässigen das Personalmanagement – so das lapidare Resümee der Studie „Professionelles Personalmanagement in Kliniken“ des Arbeitskreises Personalmanagement im Krankenhaus. Während die Kernprozesse Personalabrechnung und Personaladministration sehr gut strukturiert seien, wird deutlicher Nachholbedarf in den Themenfeldern Personalmarketing und Personalentwicklung konstatiert.215 Dieses durch zahlreiche Studien belegte Faktum wird auch durch die vorliegende Studie für die Universitätsklinika in Deutschland, Österreich und der Schweiz untermauert.216 Dies ist umso drängender, als die Krankenhäuser heute einem enormen wirtschaftlichen Druck bei gleichzeitig wachsenden Anforderungen an die Qualität der Patientenversorgung ausgesetzt sind. Die vielfältigen Aufgaben und Probleme, die beispielsweise mit der Einführung des Fallpauschalensystems oder der Implementie- 211 212 213 214 215 216 nach: Adam, D.: Krankenhausmanagement im Konfliktfeld zwischen medizinischen und wirtschaftlichen Zielen, Wiesbaden 1972 Seite 94 sowie Bammel, E.; Bijkerk, J. A.; Peil, F.: Motivation von Führungskräften und Mitarbeitern über Arbeitsinhalt und Arbeitssituation, in: Eichhorn, S. 1990 ebenda Seite 146 sowie Staehle, W.H., Conrad, P. 1999 ebenda Seite 748 vergleiche: de Wendt, V.: Analyse der Mitarbeiterzufriedenheit als Instrument des Qualitätsmanagements im Krankenhaus, in: Gesundheitsökonomie & Qualitätsmanagement 2/1997, Seite A 79 sowie Trill, R. 1996, ebenda Seite 186 vergleiche: Trill, R. 1996, ebenda Seiten 3f Die Studie im Auftrag der konfessionellen Krankenhäuser Österreichs führte u.a. zu dem Ergebnis, dass auf die Frage nach dem zukünftigen Handlungsbedarf das Personalmanagement mit 85% der Nennungen an erster Stelle lag und von allen gebildeten Untergruppen (Ärzte, Pflege, Verwaltung) am häufigsten genannt wurde. Siehe: Boehnisch, W.; Schütz, R.: 1995 ebenda Seiten 28, 29; siehe auch: Bemmlotte, J.: Mitarbeiterführung als Aufgabe des Krankenhausmanagements - Auf der Suche nach dem richtigen Führungsstil, in: Steinmetz, F. (Hrsg.): Praxis moderner Krankenhausführung, Hamburg 1991 Seite 8 sowie Dahlgaard, K. 1995 ebenda Seiten 151 und 156 sowie Eichhorn S. 1995, ebenda Seiten 27f sowie Trill, R. 1996, ebenda Seite 131 siehe: von Eiff, W.; Stachel, K.: 2006 ebenda Seite 416, 418 siehe Teil II Abschnitt 2.3.6 Zukunftsbedeutung von Personalentwicklung Seite 88 von 430 rung von Qualitätsmanagementsystemen verbunden sind, erfordern umfangreiche organisatorische und personelle Umstrukturierungen. 5.3.2 Personalstruktur im Krankenhaus Das Personal im deutschen Krankenhaus ist organisatorisch in unterschiedliche Strukturen eingebunden. Die medizinische Behandlung ist in der Regel nach Fachabteilungen gegliedert. Diese werden von einem Chefarzt geleitet, dem die Ärzte und das medizinisch-technische Personal sowohl fachlich wie disziplinarisch unterstellt sind. Die fachliche Weisungsbefugnis, nicht aber die disziplinarische, erstreckt sich auch auf den Pflegedienst, der in der Fachabteilung tätig ist. Diese Organisationsform fördert ein berufsständisches Denken, welches angesichts der hoch vernetzten Leistungserbringung im Krankenhaus zwangsläufig zu Problemen führt. Der Pflegedienst ist noch überwiegend hierarchisch zentral organisiert. An seiner Spitze steht eine Pflegedirektion für das gesamte Krankenhaus, darunter ihr unterstellte Pflegedienstleitungen. Diese zweite Hierarchie-Ebene in der Pflege ist überwiegend nicht den Fachabteilungen zugeordnet. Somit ist die Station oder der Funktionsbereich die erste organisatorische Einheit, in welcher der Stationsarzt und die pflegerische Stationsleitung für denselben räumlichen und sachlichen Aufgabenbereich zuständig sind.217 Ebenfalls überwiegend zentral hierarchisch organisiert ist die Administration, so dass auch hier keine der Fachabteilung vergleichbare organisatorische Struktur gegeben ist. Aus organisationssoziologischer Sicht stellt das Krankenhaus eine Mischform aus Linienorganisation und Elementen einer Matrixorganisation dar. Im Leistungsprozess spielen die Ärzte und die Pflege eine bedeutende Rolle. Zugleich verkörpern sie auch das Erscheinungsbild des Krankenhauses nach außen. Die meisten der dem Berufsfeld „Gesundheit und Pflege“ zuzuordnenden über 50 Berufe sind im Krankenhaus vertreten.218 217 218 siehe: Schmid, R.: Personalwirtschaft im Krankenhaus: Entwicklungslinien, Sachstand und Handlungsbedarf, in: Eckardstein, D., Ridder, H.-G.: Personalmanagement als Gestaltungsaufgabe im Nonprofit und Public Management, München, Mering 2003 Seite 299 siehe: Eichhorn, P., Seelos, H.-J.; Graf von Schulenburg, J.-M. (Hrsg.): Krankenhausmanagement , München, Jena 2000 Seite 361 Seite 89 von 430 Berufsgruppen Beschäftigte Ärzte (ohne Ärzte im Praktikum) Teilzeitbesch. Vollkräfte 136.267 18.596 126.610 1.533 371 - Pflegedienst 392.896 183.312 298.325 Medizinisch-Technischer Dienst 158.853 72.164 123.774 7.054 3.160 - Med.-techn. Radiologieassistenten/-innen 15.951 6.517 - Med.-techn.Laboratoriumsassi. 20.582 9.562 - 6.257 2.455 - 1.666 464 - 15.933 6.907 - Masseure inkl. med. Bademeister/-innen 3.341 1.310 - Sozialarbeiter/-innen 7.029 3.937 - 72.044 32.889 - 107.410 44.760 86.216 Personal im Operationsdienst 31.505 10.234 Personal in der Anästhesie 16.403 5.562 Personal in Ambulanz und in Polikliniken 17.210 8.326 8.071 5.576 14.679 6.332 Klinisches Hauspersonal 19.118 12.042 14.010 Wirtschafts- und Versorgungsdienst 60.882 26.313 48.546 Technischer Dienst 19.216 2.024 18.038 Verwaltungsdienst 70.055 25.598 56.914 4.772 1.858 3.873 Sonstiges Personal 24.949 3.696 16.604 Personal insgesamt 994.418 390.363 792.909 6.063 2.483 - 72.330 192 - Zahnärzte Med.-techn. Assistenten/-innen Apothekenpersonal Apotheker/-innen Krankengymnasten/-innen Sonstiges med.-techn. Personal Funktionsdienst Hebammen/Entbindungspfl. Sonstiges Personal im Funktionsdienst Sonderdienste Personal der Ausbildungsstätten Schüler/-innen, Auszubildende Tabelle 1: Krankenhauspersonal nach Berufsgruppen 2007219 219 nach: Statistisches Bundesamt, Fachserie 12, Reihe 6.1.1, 2007 Seite 90 von 430 Die größte Berufsgruppe im Krankenhaus stellt der Pflegedienst, hier gefolgt vom medizinisch-technischen Dienst und den Ärzten. An Universitätsklinika ist die Situation insofern anders, als die Gruppe der Ärzte im Vergleich zum medizinischtechnischen Dienst auch quantitativ stärker vertreten ist.220 Die Personalsituation hat sich für die beiden zentralen Berufsgruppen Ärzte und Pflege in den vergangenen Jahren unterschiedlich entwickelt. Die Zahl der Beschäftigten im Krankenhaus sank von 1993 bis 2007 um 9,39 %. Im gleichen Zeitraum stieg die Zahl der Ärzte um 32,38 %, während die Zahl der Pflegenden zwischen 1993 und 2007 um 10,34 % zurückging. Berufsgruppen 1993 2007 ∆ in % Ärzte 95.640 126.610 32,38% Pflegedienst 332.724 298.325 -10,34% Medizinisch-Technischer Dienst 121.748 123.774 1,66% Funktionsdienst 79.737 86.216 8,13% Klinisches Hauspersonal 37.980 14.010 -63,11% Wirtschafts- und Versorgungsdienst 91.885 48.546 -47,17% Technischer Dienst 22.791 18.038 -20,85% Verwaltungsdienst 60.137 56.914 -5,36% Sonderdienste 11.564 3.873 -66,51% Sonstiges Personal 20.904 16.604 -20,57% Personal insgesamt 875.115 792.909 -9,39% Tabelle 2: Entwicklung des Krankenhauspersonals (Vollkräfte)221 Während die Zahl der Ärzte an Krankenhäusern seit 1993 stetig gestiegen ist, hat die Zahl der Beschäftigten anderer Professionen sich gegenläufig entwickelt. Besonders gravierende Rückgänge haben das Klinische Hauspersonal und die Wirtschafts- und Versorgungsdienste zu verzeichnen, was neben dem Trend zum Outsourcing auch auf starke Rationalisierungsmaßnahmen zurückzuführen ist. 220 221 siehe auch Teil I Abschnitt 5.3.4 Personalstruktur in einem Universitätsklinikum nach: Statistisches Bundesamt, Fachserie 12, Reihe 6.1.1, 2007 Seite 91 von 430 Entwicklung Krankenhauspersonal (Vollkräfte) 140,00% 120,00% 100,00% 80,00% 60,00% 40,00% 20,00% 19 91 19 92 19 93 19 94 19 95 19 96 19 97 19 98 19 99 20 00 20 01 20 02 20 03 20 04 20 05 20 06 20 07 0,00% gesamt Ärzte nichtärztl. Personal Abbildung 12: Entwicklung Krankenhauspersonal (Vollkräfte in %)222 Dies wird auch im Vergleich der dominierenden Berufsgruppen in der jüngeren Vergangenheit deutlich, wenngleich sich hier ein etwas differenzierteres Bild ergibt: von 2001 bis 2007 steigt die Zahl der Ärzte um 14,39 %, während die Beschäftigten im Pflege- und Funktionsdienst, im medizinisch-technischen Dienst und in der Verwaltung zurückgehen. Den stärksten Rückgang verzeichnet dabei der Pflegedienst mit 10,0 %.223 Rückschlüsse auf die Steigerung der Belastung der verschiedenen Berufsgruppen geben tendenziell die Verhältniszahlen von Vollkräften zu Krankenhausfällen. Hier zeigt sich eine deutliche Belastungszunahme im Pflegebereich um 55,05 % von 1991 bis 2007, während auf Seiten der Ärzte im selben Betrachtungszeitraum eine Belastungsreduzierung um 10,95 % zu verzeichnen ist. Wenn man von der Prämisse ausgeht, dass eine Änderung der Schwere der Erkrankungen und auch die Verkürzung der Liegezeiten der Patienten im Krankenhaus beide Berufsgruppen weitgehend gleichermaßen be- oder entlastet, ist hier eine deutliche Verschiebung erkennbar. Im Vergleich weit höher belastet werden aber das Personal im Wirtschafts- und Versorgungsdienst und das Klinische Hauspersonal, wobei diese Zahlen wiederum zu relativieren sind: durch die Übertragung der Arbeit dieser Berufsgruppen an Privatunternehmen wurden Aufgaben ausgelagert, die nun nicht mehr von krankenhauseigenem Personal erledigt werden.224 222 223 224 Quelle: Deutsche Krankenhausgesellschaft, Krankenhausstatistik, III/Re 03. Januar 2007 siehe: Statistisches Bundesamt: Basisdaten des Gesundheitswesens, September 2007 errechnet aus den Daten des Statistischen Bundesamts, Fachserie 12, Reihe 6.1.1, 2007 Seite 92 von 430 Fälle pro Vollkraft 700,0 600,0 Fälle/VK 500,0 400,0 300,0 200,0 100,0 0,0 1995 2000 2005 Jahr Ärzte Med.-techn. Dienst Klin. Hauspersonal Verwaltung Pflegedienst Funktionsdienst Wirtschafts- u. Versorgung Abbildung 13: Belastungszahl nach Fällen225 Die Anzahl der Fälle pro Vollkraft gilt im Krankenhaus als – je nach Blickwinkel Leistungs- oder Belastungskennzahl für das Personal. Während beim ärztlichen Personal eine abnehmende Fallzahl pro Vollkraft zu verzeichnen ist, steigt diese Zahl bei den anderen Berufsgruppen. Wenden wir uns nun den wichtigsten Berufsgruppen im Krankenhaus zu. 5.3.2.1 Die Ärzte Der in Deutschland als freier Beruf geltende Arztberuf ist in verschiedenen öffentlich rechtlichen Regelungen wie der Bundesärzteordnung, der Approbationsordnung, der Musterberufsordnung und Weiterbildungsordnung, den Heilberufs- und Kammergesetzen der Bundesländer sowie den jeweiligen länderspezifischen Berufsordnungen definiert. Nach diesen Berufsordnungen ist es Aufgabe des Arztes „das Leben zu erhalten, die Gesundheit zu schützen und wiederherzustellen sowie Leiden zu lindern. Der Arzt übt seinen Beruf nach den Geboten der Menschlichkeit aus.“ 226 225 226 Quelle: Statistisches Bundesamt: Basisdaten des Gesundheitswesens, September 2007 siehe zum Beispiel: Berufsordnung der Landesärztekammer Baden-Württemberg, Neufassung vom 9. Februar 2005, zuletzt geändert am 17. Januar 2007, § 1 Absatz 2, in URL: http://www.aerztekammer-bw.de/20/arztrecht/05kammerrecht/index.html, 08.04.2007 Seite 93 von 430 Die wirtschaftliche Leistungserstellung im Krankenhaus wird in starkem Maße von ärztlichen Entscheidungen bestimmt. Dies ist einerseits historisch begründet und ergibt sich andererseits aus der gesetzlich normierten primären Verantwortung der Ärzte für die Patientenversorgung. Auf Grund dieser zentralen Aufgabe kommt den Ärzten bei der Ressourcenallokation wie bei der Definition von Prozessen die Hauptverantwortung zu. Die anderen Funktionsgruppen müssen sich meist an den Bedürfnissen der Ärzteschaft orientieren, was Widerstände und Diskussionen auslöst.227 Hieraus abgeleitet obliegt dem ärztlichen Leiter die Dienst- und Fachaufsicht nicht nur über den ärztlichen Dienst, sondern auch über den medizinisch-technischen Dienst und darüber hinaus auch die Fachaufsicht über den Pflegedienst. Die leitenden Krankenhausärzte haben somit neben der Aufgabe der Patientenversorgung auch die Aufgabe der Mitarbeiterführung.228 Für diese anspruchsvolle Arbeit sind sie allerdings in der Regel nicht ausgebildet, was in einem Mangel an Personalführung durch Vorgesetzte im ärztlichen Bereich zum Ausdruck kommt.229 Die idealtypische Arbeitssituation des Arztes im Krankenhaus ist gekennzeichnet durch die Dyade Arzt – Patient, in der der Arzt letztlich als Einzelperson faktisch entscheidet – insbesondere in der Intensivmedizin nicht selten über Leben und Tod. Ärzte sind tendenziell eher Einzelkämpfer und stehen insbesondere während ihrer Weiterbildung an einem Universitätsklinikum unter Konkurrenzdruck.230 Die Karriere im ärztlichen Bereich setzt eine langjährige Aus- und Weiterbildung voraus. Nachdem die Approbation erreicht ist, folgt eine mindestens vierjährige Weiterbildung zum Facharzt. Danach können weitere Fachgebietsbezeichnungen oder Schwerpunkt- und Zusatzbezeichnungen erworben werden. Ärzte haben die Verpflichtung, sich ständig fortzubilden. Viele promovieren oder habilitieren sich. Durch das über die lange Ausbildung erworbene spezifische Wissen sind Ärzte auf ihrem Gebiet als Experten ausgewiesen. Sie verfügen über eine relativ hohe Handlungsautonomie und Machtstellung innerhalb des Krankenhauses. 227 228 229 230 siehe: Heuss, L.-Th. et al.: Leitende Spitalärzte im Spannungsfeld medizinischer und ökonomischer Zwänge, in: Die Volkswirtschaft, das Magazin für Wirtschaftspolitik 11, 2002 Seiten 53 bis 57 siehe: Eichhorn, S., Freymann, H.: Wirtschaftliches Krankenhaus, WIBERA Fachschriften 9, Köln 1989 Seite 21 sowie Jeschke, H. A., in: Eichhorn, S. 1990, ebenda Seite 27 sowie Küster, J., in: Eichhorn, S. 1990, ebenda Seite 49, sowie Peters, S., Schaer, W. 1996 ebenda Seite 107 siehe: Zenger, Ch. A.; Jung, T. (Hrsg.): 2003 ebenda Seite 324 siehe: Bartholomeyczik, S.: Verantwortung – eine Frage der Professionalität in: Mabuse Nr. 160, März/April 2006 Seite 54 sowie Ament-Rambow, Ch.: Alles wird anders – wie können Mitarbeiter in Veränderungsprozesse einbezogen werden?, in: Krankenhausumschau 7/2005 Seite 566 Seite 94 von 430 Die Karriere eines Arztes im Krankenhaus verläuft stufenweise über die Hierarchie vom Assistenzarzt über den Facharzt zum Oberarzt auf der mittleren Ebene und im Idealfall zum Chefarzt auf der obersten Ebene. Eine empirische Untersuchung an der Universität Köln zu Erfolgsfaktoren in der Karriere von Ärzten zeigt auf, dass ein Arzt, der im Krankenhaus sein Berufsleben verbringt, durchschnittlich 3,31-mal das Krankenhaus wechselt. Ärzte mit vielen Krankenhauswechseln erreichen auch häufiger eine Chefarztposition. Berufs- bzw. karrierebedingt ist somit die Fluktuation im ärztlichen Bereich signifikant höher, als bei anderen Berufsgruppen im Krankenhaus. Die Untersuchung belegt ebenfalls eine zunehmende Bedeutung von Managementqualifikationen im ärztlichen Bereich. Ärzte mit einschlägiger Zusatzqualifikation erreichen die Position des Chefarztes früher, als andere.231 Dem Arzt wird ein „professioneller Mythos“ zugeschrieben, geprägt durch überhöhte Vorstellungen bezüglich der Möglichkeiten der Medizin.232 Dieser Mythos hat seine Wurzeln in den intensiven Auseinandersetzungen um die Vorherrschaft in der Medizin. Als historisch von zentraler Bedeutung gelten die Integration der Medizin in die Universität und die Inquisition. Der in den Händen kluger Frauen liegende Teil der Volksmedizin des Mittelalters wurde mit der Hexenverfolgung zurückgedrängt, was die Vormachtstellung der ärztlich dominierten Medizin befördert hat.233 Ebenfalls im Mittelalter etablierte sich die ärztlich vertretene Medizin als eigenständige Universitätsausbildung. Damit verbunden war das Recht, Inhalt und Methoden der Krankenbehandlung zu bestimmen. Die historisch gewachsene starke autonome Stellung des Mediziners verliert seit Jahren zusehends an Bedeutung. „Die stetige Entwicklung weg von der Restautonomie des Ärztestandes entspricht der zunehmenden Zahl an Krankenhausärzten und der immer mehr abnehmenden Zahl an Freiberuflichen, wobei gerade letztere sich immer mehr mit den eng gesetzten Restriktionen der Krankenversicherungsträger auseinandersetzen müssen. Von einer attraktiven beruflichen Autonomie kann 231 232 233 siehe: Kuntz, L.; Zobel, Ch.: 2007 ebenda Seiten 136 bis 138 siehe: Grahmann, R.; Gutwetter, A.: Konflikte im Krankenhaus, Bern, Göttingen, Toronto, Seattle, 2. Auflage 2002 Seiten 106 f siehe: Hege, M.: Die steinerne Fee, Weinheim, Basel 1985 Seite 95 von 430 keine Rede sein, allenfalls von geringen Resten davon, die im Krankenhaus auf ihre Grenzen, gesetzt durch die Ärztehierarchie und die Krankenhausverwaltung, treffen. […] Mit den veränderten ökonomischen Bedingungen, wie z. B. der zunehmenden Unsicherheit im freiberuflichen Bereich, ergibt sich, dass der Angestelltenstatus in der Biographie des einzelnen Arztes immer mehr zum Dauerzustand wird, was bedeutet, dass der Krankenhauskontext auch weiterhin an Bedeutung gewinnen wird“.234 Die Ärzte werden in immer größerer Zahl zunehmend an das Krankenhaus „gebunden“, verbunden mit Autonomieverlust, was die Frustrationen unter den Medizinern wachsen lässt. In diesem Zusammenhang wird ein zunehmendes Konkurrenzverhalten unter den Ärzten festgestellt, welches nicht selten unfaire Züge annimmt und an Universitätsklinika besonders ausgeprägt erscheint.235 Als ein äußerer Ausdruck dieser insgesamt von den Krankenhausärzten sehr unbefriedigend erlebten Berufssituation dürfen die Streikaktionen an den Universitätsklinika in Deutschland im Jahr 2006 gelten. Auch wenn dieser Streik vordergründig der materiellen Anerkennung der Leistungen der Ärzte galt, scheint der Weg von dem autonomen, professionell überhöhten Arztbild zum „ganz normalen“ Arbeitnehmer vorgezeichnet. Das Tätigkeitsspektrum der Ärzte im Krankenhaus hat sich in den letzten Jahren weiter stark verändert, einerseits durch eine Zunahme bürokratischer administrativer Aufgaben im Zusammenhang mit der Einführung des Fallpauschalensystems und andererseits durch steigende Anforderungen in den Bereichen Qualitätsmanagement, Controlling und betriebswirtschaftliches Handeln. Vor dem Hintergrund der oben genannten Definition des Berufes Arzt wird leicht verstehbar, warum diese von außen aufgezwungenen Veränderungen in der Ärzteschaft selbst bisher eher Unmut, als ein neues Selbstverständnis auslösen.236 Die medizinische, ethische und letztlich auch haftungsrechtliche Letztverantwortung des Arztes wird durch restriktive ökonomische Vorgaben beeinträchtigt. Das Erfordernis, ärztliche Kompetenz auch in kaufmännische Entscheidungen einzubeziehen, wird von ärztlicher Seite zunehmend betont.237 Die wesentliche Schaltstelle der patientenbezogenen Leistungserbringung im Kran234 235 236 237 siehe: Grahmann, R.; Gutwetter, A.: 2002 ebenda Seiten 121 f siehe: Grahmann, R.; Gutwetter, A.: 2002 ebenda Seite 171 siehe: Eiff, W.: Der Kampf ums Personal hat begonnen, in: Krankenhausumschau 8/2003 Seiten 684 f so wurde beim dritten Jahreskongress der Deutschen Gesellschaft der Ärzte im Krankenhausmanagement diese Forderung plakativ unterstrichen: „Die Patienten kommen nicht zum Kaufmann, sondern zum Arzt“, siehe: Tagungsbericht in Krankenhausumschau 12/2003 Seite 1.218 Seite 96 von 430 kenhaus ist die Arbeitsteilung zwischen Ärzten und Pflege. Die Schnittstelle zwischen diesen beiden größten und wohl auch wichtigsten Berufsgruppen im Krankenhaus ist geprägt durch eine enge und vielschichtige Kooperation mit all ihren Problemen.238 Auch dies unterscheidet die alltägliche Tätigkeit des Arztes im Krankenhaus wesentlich von der seines niedergelassenen Kollegen. 5.3.2.2 Die Pflege Nach Änderung des Krankenpflegegesetzes tragen die Pflegeberufe in Deutschland die Bezeichnungen „Gesundheits- und Krankenpflegerin" oder "Gesundheits- und Krankenpfleger", "Gesundheits- und Kinderkrankenpflegerin" oder "Gesundheits- und Kinderkrankenpfleger“. Das Berufsbild wird in § 3 des Krankenpflegegesetzes umfassend beschrieben: „§ 3 Ausbildungsziel (1) Die Ausbildung für Personen nach § 1 Abs. 1 Nr. 1 und 2 soll entsprechend dem allgemein anerkannten Stand pflegewissenschaftlicher, medizinischer und weiterer bezugswissenschaftlicher Erkenntnisse fachliche, personale, soziale und methodische Kompetenzen zur verantwortlichen Mitwirkung insbesondere bei der Heilung, Erkennung und Verhütung von Krankheiten vermitteln. Sie bezieht sich auf die heilende Pflege, die unter Einbeziehung präventiver, rehabilitativer und palliativer Maßnahmen auf die Wiedererlangung, Verbesserung, Erhaltung und Förderung der physischen und psychischen Gesundheit der Patientinnen und Patienten auszurichten ist. Dabei sind die unterschiedlichen Pflege- und Lebenssituationen sowie Lebensphasen und die Selbständigkeit und Selbstbestimmung der Patientinnen und Patienten zu berücksichtigen (Ausbildungsziel). (2) Die Ausbildung für die Pflege nach Absatz 1 soll insbesondere dazu befähigen 1. die folgenden Aufgaben eigenständig auszuführen: a) Erhebung und Feststellung des Pflegebedarfs, Planung, Organisation, Durchführung und Dokumentation der Pflege, 238 siehe: Dahlgaard, K.; Stratmeyer, P.: Kooperatives Prozessmanagement im Krankenhaus, in: Das Krankenhaus 8/2004 Seite 634 Seite 97 von 430 b) Evaluation der Pflege, Sicherung und Entwicklung der Qualität der Pflege, c) Beratung, Anleitung und Unterstützung von Patientinnen und Patienten und ihrer Bezugspersonen in der individuellen Auseinandersetzung mit Gesundheit und Krankheit, d) Einleitung lebenserhaltender Sofortmaßnahmen bis zum Eintreffen der Ärztin oder des Arztes, 2. die folgenden Aufgaben im Rahmen der Mitwirkung auszuführen: a) eigenständige Durchführung ärztlich veranlasster Maßnahmen, b) Maßnahmen der medizinischen Diagnostik, Therapie oder Rehabilitation, c) Maßnahmen in Krisen- und Katastrophensituationen, 3. interdisziplinär mit anderen Berufsgruppen zusammenzuarbeiten und dabei multidisziplinäre und berufsübergreifende Lösungen von Gesundheitsproblemen zu entwickeln.“ Das Berufsbild der Pflege unterliegt seit einigen Jahren einem starken Veränderungsprozess. Die aus der Veränderung der Krankenhauslandschaft resultierenden höheren Managementanforderungen an leitende Pflegekräfte gehen einher mit einer Akademisierung der Berufsausbildung. Nach der grundständigen Ausbildung findet zunehmend eine Differenzierung statt, die sich im Laufe der jeweiligen Berufskarriere weiter ausprägt.239 Typische Spezialisierungen sind Fachpflegeausbildungen in den Bereichen OP, Anästhesie und Notfallmedizin, Psychiatrie oder Onkologie. Eine besondere Rolle spielt das Berufsbild der Study Nurse, die auf dem Hintergrund der Pflegewissenschaft in der Forschung tätig ist, nicht selten in gemeinsamen Forschungsprojekten mit den Medizinern. Eine über drei Jahre durchgeführte Studie an Krankenhäusern der Maximalversorgung zeigt ein Absinken des relativen Anteils patientennaher Tätigkeiten, die als pflegerische Tätigkeiten und Mitarbeit bei ärztlicher Diagnostik und Therapie gemes- 239 siehe: Braun, G. E.: Berufsbilder im Krankenhaus, in: Eichhorn, P.; Seelos, H.-J.; Graf von Schulenburg, J.-M. (Hrsg.): 2000 ebenda Seite 364 sowie Krankenhausumschau: Die neuen Aufgaben der Pflege, in: Krankenhausumschau 2/2006 Seite 92 Seite 98 von 430 sen wurden. Signifikant ist der Rückgang der direkten Pflege, während die ärztlich delegierten Tätigkeiten tendenziell eher zunehmen. Signifikant ist auch der Rückgang der Kommunikation im Rahmen der pflegenden Tätigkeit, während die eigentlich pflegefremde Hausarbeit inzwischen mehr als 10 % erreicht hat.240 Relative Anteile von Tätigkeiten des Pflegeteams 2003 2004 Ha us ar be it Pf le ge do ku Kö rp er pf le ge n m un ik at io Ko m De le g. Är z tl. Pf le ge 30,00% 25,00% 20,00% 15,00% 10,00% 5,00% 0,00% 2005 Abbildung 14: Relative Tätigkeiten der Pflege241 Im Pflegedienst besteht eine mit teilweise eigenständigen, teilweise parallelen Befugnissen ausgestattete eigene Hierarchie. Leitung und Organisation des Pflegedienstes obliegt der leitenden Pflegekraft, der je nach Größe des Krankenhauses zumindest eine mittlere Führungsebene nachgeordnet ist.242 Im gesamten Gesundheitswesen waren 2004 710.000 Gesundheits- und Krankenschwestern und -pfleger, daneben 221.000 Krankenpflegehelfer und -helferinnen beschäftigt. Seit dem Jahr 2001 ist in den deutschen Krankenhäusern eine Reduzierung der Stellen in der Pflege um ca. 9 % erfolgt. Das Verhältnis von Vollzeitbeschäftigung zu Teilzeit hat sich zu Gunsten der Teilzeit verschoben. Parallel zu dieser Entwicklung ist ein Abbau von Ausbildungsplätzen zu verzeichnen.243 240 241 242 243 Die Studie wurde in den Jahren 2003 bis 2005 durchgeführt und ist näher dokumentiert in: Bartholomeyczik, S.: Referat „DRGs und ihre Auswirkungen aus Sicht der Pflege“ beim Kongress „Medizin und Gewissen“ der IPPNW vom 21.10.2006, URL: www.mabuse-verlag.de/Zeitschrift/166_ Bartholomeyczik.pdf vom 22.03.2007 Bartholomeyczik, S.: 21.10.2006 ebenda in Anlehnung an: Eichhorn, S.; Freymann, H.: 1989 ebenda Seiten 28, 31 siehe: Die neuen Aufgaben der Pflege, Krankenhausumschau 2/2006 Seiten 92 bis 93 Seite 99 von 430 Unbestritten hat die Pflege einen großen Einfluss auf den Genesungsprozess der Patienten. Ihr wird zentral die Verantwortung für Menschlichkeit und Empathie in der Patientenbehandlung und psychosoziale Zuwendung zu den Patienten zugewiesen. Die traditionellen Wurzeln des Pflegeberufes reichen zurück in die Zeit der Armenund Siechenpflege in den Hospizen und kirchlichen Einrichtungen des Spätmittelalters. Sie war geprägt durch Frauen aus der bürgerlichen Schicht mit den Idealen der Unterordnung unter die Dominanz der Männer, der Selbstlosigkeit und Hingabe.244 Im Gegensatz zu dem eher auf Einzelkämpfertum ausgerichteten Berufsbild des Arztes wird Teamarbeit bereits in der Ausbildung der Pflege gelehrt. Das Pflegepersonal gilt als „Rückgrat der Kontinuität bei den Dienstleistungen“245 und ist im Krankenhaus am direktesten mit Patienten und deren Wünschen konfrontiert. Dies mag erklären, warum aus dem Bereich der Pflege in höherem Maße Veränderungsprozesse im Krankenhaus angestoßen werden, als aus anderen Berufsgruppen.246 Aus dieser aktiven, dem Patienten direkt zugewandten Rolle resultiert nicht selten eine Überhöhung des eigenen Berufsstandes und zugleich – bei näherem Hinsehen kein Widerspruch – die Wahrnehmung, gegenüber anderen Berufsgruppen, insbesondere den Ärzten, nachrangig behandelt zu werden.247 Der Pflegedienst macht von Personalentwicklungsmaßnahmen vielfältig Gebrauch, es fehlt aber in der Regel an einer systematischen und strukturierten Einordnung von Personalentwicklung in den Gesamtrahmen des Personalmanagements eines Krankenhauses.248 Häufig wird Personalentwicklung lediglich als Reaktion auf bereits aufgetretene Probleme eingesetzt. Gleichwohl wird dem Pflegebereich auch in der vorliegenden Untersuchung an den Universitätsklinika in Deutschland, Österreich und der Schweiz eine Vorreiterrolle in Sachen Personalentwicklung bescheinigt, allerdings zumeist auf die eigene Profession beschränkt. Die berufsständisch ausgerichtete Personalentwicklung im Pflegebereich wirkt an den Schnittstellen zu den anderen Berufsgruppen kontraproduktiv: Das eigene pro244 245 246 247 248 siehe: Grahmann, R.; Gutwetter, A.: 2002 ebenda Seite 17 Broome, A.: Change Management in der Pflege, Bern, Göttingen, Toronto, Seattle, 2. Auflage 2000 Seite 105 siehe: Ament-Rambow, Ch.: 2005, ebenda Seite 567 so sieht Wieteck z.B. die Pflegeperson am Bett des Patienten als die zentrale Größe für die Dienstleistungsqualität im Gesundheitswesen und für das Image der Einrichtung. siehe: Wieteck, P.: 2000 ebenda Siehe: Eichhorn, S.; Schmidt-Rettig, B.: 1995 ebenda Seite 291 Seite 100 von 430 fessionelle Verständnis wird weiterentwickelt, Denkmuster und Wirklichkeitskonstruktionen entstehen nur innerhalb des eigenen Berufsstandes, wodurch Abgrenzung gefördert und die Zusammenarbeit erschwert wird. Dies weist auf ein weiteres Dilemma des Pflegeberufes hin: die Professionalisierung der Pflege wird von den Pflegenden einhellig als wichtig angesehen. Es soll damit verbunden Anerkennung und gesellschaftliche Macht erlangt werden, die akademische Bildung soll Pflegeberufe mit anderen Akademikern auf eine Stufe stellen. Zugleich wird die Bevormundung durch die Ärzte beklagt. Dabei wird leicht übersehen, dass in dem derzeitigen Krankenhaussystem in Deutschland der Arzt für die Behandlung des Patienten die letzte Verantwortung trägt, verbunden mit einer detaillierten Rechenschaftspflicht und einer persönlichen Haftung. Eine durchaus nicht auszuschließende Veränderung, die es den Pflegenden ermöglicht, mehr Verantwortung zu übernehmen, müsste zwingend ebenso eine persönliche Verantwortung mit Rechenschaftspflicht und Haftung einschließen. Dieser Aspekt wird in der Diskussion bisher eher umgangen.249 Dabei wird nicht verkannt, dass im Arbeitsalltag im Krankenhaus durch die einseitige Verantwortungszuweisung an die Mediziner erhebliche Spannungen entstehen. Nicht selten verfügen Pflegekräfte mit Berufserfahrung in Intensiv- und in Spezialbereichen über erheblich mehr Fachkenntnisse, als die noch in der Ausbildung stehenden Ärzte, die ihnen gegenüber weisungsbefugt sind. In besonderem Maße trifft dies in Universitätsklinika zu. Im Rahmen der Forschungsarbeit zur Personalentwicklung an den Universitätsklinika wird erkennbar, dass der österreichische Weg, dem Pflegebereich mehr Verantwortung bei gleichzeitiger Haftung für pflegerisches Tun gesetzlich zuzugestehen, erst einmal die Spannungen zwischen Ärzten und Pflege anwachsen lässt. In der Schweiz dagegen fühlt sich der Pflegebereich weitgehend auf Augenhöhe zu den Medizinern – die entsprechenden gesetzlichen Grundlagen wurden dort weit früher gelegt. International entwickelt sich die Pflege immer stärker hin zu einer eigenständigen Profession, von der Pflegewissenschaft begleitet. Qualifizierte Pflegekräfte übernehmen in vielen Ländern Bereiche der Diagnostik und Therapie autonom und stellen damit die klassische Rollenzuweisung an die Ärzteschaft in Frage. Im Kontrast hierzu 249 siehe: Bartholomeyczik, S.: 2006 ebenda Seiten 52, 54 Seite 101 von 430 besteht in Deutschland nach wie vor das Primat ärztlicher Zuständigkeit, Pflegekräfte sind nach der bestehenden Rechtslage in das Delegationsverfahren eingebunden.250 5.3.2.3 Die Administration Die Berufsbilder der Administration, zumeist traditionell noch „Verwaltung“ genannt, haben sich in den vergangenen Jahren grundlegend verändert und befinden sich weiterhin im Umbruch. Noch gibt es einen erheblichen Teil der traditionellen Verwaltungsberufe. Durch die stärkere wirtschaftliche Orientierung der Krankenhäuser halten aber vermehrt Betriebswirte, Controller und speziell auf das Gesundheitswesen ausgerichtete kaufmännische Berufe Einzug. Sichtbare Zeichen hierfür sind z.B. die Veränderung der Rolle des traditionellen Verwaltungsleiters zum Krankenhausmanager mit kaufmännischer Verantwortung oder die Einführung des neuen Berufsbildes Kauffrau/-mann im Gesundheitswesen. Auch registriert das Deutsche Krankenhausinstitut einen deutlichen Stellenaufbau im Bereich Medizincontrolling. So hat sich die Anzahl der Medizincontroller in den zugelassenen Allgemeinkrankenhäusern binnen zwei Jahren von 2002 bis 2004 von ca. 750 auf 1.500 Vollkräfte verdoppelt.251 Insbesondere in den Bereichen Controlling und Qualitätsmanagement werden verstärkt Mitarbeiter mit einer pflegerischen oder ärztlichen Ausbildung, die über eine Zusatzqualifikation im Bereich Betriebswirtschaft oder Krankenhausmanagement verfügen, eingesetzt.252 Das zwischenzeitlich immer stärker im Krankenhaus Einzug haltende Primat der Ökonomie stärkt einerseits die Stellung des administrativen Bereiches, bringt ihn aber andererseits auch zunehmend selbst unter Druck. Die Machtposition der Verwaltung wird als stark und gegenüber der Medizin und der Pflege dominierend erlebt.253 Zugleich wird der Verwaltung im Alltag des Krankenhausbetriebes die Hauptverantwortung für die ökonomischen Probleme zugeschrieben.254 250 251 252 253 254 siehe: Schmacke, N.: Ärztemangel? Viele Fragen werden noch nicht diskutiert, in: Dr. med. Mabuse 173 Mai/Juni 2008 Seite 32 siehe: Blum, K.; Schilz, P.: Deutsches Krankenhausinstitut, Krankenhausbarometer Umfrage 2005, Düsseldorf 2005 Seite 52 siehe: Eichhorn, P., Seelos, H.-J.; Graf von Schulenburg, J.-M. (Hrsg.): 2000 ebenda Seite 365 siehe: Grahmann, R.; Gutwetter, A.: 2002 ebenda Seite 74 siehe: Grahmann, R.; Gutwetter, A.: 2002 ebenda Seite 77 Seite 102 von 430 5.3.2.4 Weitere Berufsgruppen Eine große Berufsgruppe insbesondere an den Universitätsklinika sind die medizinisch-technischen Berufe. Sie sind direkt der Ärztlichen Leitung unterstellt und verfügen nur in großen Bereichen über eine eigene Führung. Die Veränderungen sind hier insbesondere dadurch geprägt, dass der Beruf der medizinisch-technischen Laborassistentin tendenziell an Bedeutung verliert, je mehr die Technisierung im Laborbereich dazu führt, dass Arbeitsplätze durch Diagnosegeräte ersetzt werden. Mit fortschreitender Technik im Bereich der Radiologie gewinnt dagegen der Beruf der medizinisch-technischen Radiologieassistentin eher an Bedeutung. Als weitere Berufsgruppen im Krankenhaus, die in nennenswertem Umfang vertreten sind, sind die Beschäftigten in den Infrastrukturbereichen (z.B. Technik, Reinigung, Speisenversorgung) zu nennen, die in der Regel der Administration zugeordnet sind, sowie die Beschäftigten in den Sekretariaten, denen die verwaltungsorganisatorische Zuarbeit in den Abteilungen zukommt. 5.3.3 Probleme der Personalstruktur im Krankenhaus Krankenhäuser sind geprägt durch eine berufsständische Leitungsorganisation verbunden mit einer vertikal versäulten Organisationsstruktur. Die Trennung der Berufsgruppen Ärzte, Pflege und Verwaltung mit ihren parallelen Hierarchien führt zu einer doppelten, nämlich einer hierarchischen und einer professionellen Segmentierung. Die Existenz dieser Subkulturen im Krankenhaus drückt sich aus in einer starken Identifikation mit den Zielen des jeweils eigenen Berufsstandes und einer starken Dominanz von Partialinteressen.255 Diese starke Trennung der Berufsgruppen entspricht historisch gewachsenen Sozialisationsmustern. Ihre Zählebigkeit lässt sich zum einen aus den Traditionen und zum anderen daraus herleiten, dass sie durchaus stabilisierenden Charakter haben. Die Bereichsabgrenzung dient der Bestandssicherung, stellt eine einfache Form der Kon255 vergleiche: Adam, D.: Krankenhausmanagement: Auf dem Weg zum modernen Dienstleistungsunternehmen, Wiesbaden 1996 Seite 13 sowie Böhnisch, W.; Schütz, R.: 1995 ebenda Seite 47, sowie Dahlgaard, K.: 1995, ebenda Seite 152 sowie Eichhorn, S.: 1990, ebenda Seite 149, sowie Eichhorn, S.: 1995, ebenda Seite 244 sowie Fachbereich Wirtschaft der FH Osnabrück (Hrsg.): Personalmanagement, Arbeitsberichte Band 24/92, Osnabrück 1992 Seite 75, sowie Grossmann, R.: 1995 ebenda Seite 213 sowie Müller, M.: 1996 ebenda Seiten 70f sowie Sidamgrotzki, E.: 1994 ebenda Seite 78 Seite 103 von 430 fliktbewältigung dar und stärkt die einzelnen Berufsgruppen scheinbar in den alltäglichen Ressort- und Interessenkonflikten.256 Die Strukturen im Krankenhaus sind nach wie vor stark hierarchisch geprägt, in besonderem Maße gilt dies für Universitätsklinika. Je hierarchischer aber die Struktur, desto stärker ausgeprägt ist die Konkurrenz zwischen den Berufsgruppen und desto geringer die Selbstverantwortung und Kooperation.257 Die deutliche Trennung der drei Berufsstränge, die in Deutschland schon in der Zusammensetzung des Klinikumsvorstandes – dominiert von Medizinern – zementiert wird, behindert einen kooperativen Austausch über Fachgrenzen hinweg und setzt auf Grund der differierenden Interessenlagen „gravierende Inter- und IntraGruppenkonflikte linear von oben bis unten durch alle Hierarchieschichten hindurch“ fort.258 Zugleich kulminieren in Universitätsklinika hohe medizinisch-technologische Standards, wissenschaftliche Forschung und Lehre und supramaximale Leistungen in der Gesundheitsversorgung. Die Beschäftigten empfinden so die Arbeit in diesen Kliniken der Maximalversorgung häufig als besonders qualifiziert und prestigeträchtig. Zugleich sind sie aber Gefühlen von Entfremdung, Überforderung, Beziehungslosigkeit und zwischenmenschlichen Konflikten in besonderem Maß ausgesetzt. Ausgangspunkt der negativen Folgen der Versäulung der Krankenhäuser ist das Fehlen einer Abstimmung der unterschiedlichen Erwartungshaltungen sowie Normund Zielvorstellungen, was die notwendige Betonung einer gemeinsamen Aufgabenstellung in den Hintergrund drängt. Die Bereiche folgen ihren berufsspezifischen Werten, Normen und Zielen und entwickeln so eine eigene Entscheidungsrationalität und Logik. Für den Ausgleich der dadurch entstehenden Zielkonflikte werden aufwändige Abstimmungsverhandlungen geführt, die durch eine latente Sprachlosigkeit erschwert sind. In Folge der überschneidenden Kompetenzen einerseits und Kompetenzlöchern andererseits fehlt es an der erforderlichen Koordination der Leistungsbe- 256 257 258 vergleiche: Degenhardt, J.: 1998 ebenda Seite 32, sowie Meyer, D.: Wettbewerb im Krankenhaussektor in der Zeit nach dem GSG - was kann das einzelne Krankenhaus tun?, in: Das Gesundheitswesen 55/1993, Seiten 662, 663, sowie Sidamgrotzki, E.: 1994 ebenda Seite 118 sowie Jung, K.: Co-Management und Gegenmacht, Frankfurt/Main 1999 Seite 20 sowie Dahlgaard, K.; Jung, K.; Schelter, W.: Profit-Center-Strukturen im Krankenhaus; Frankfurt/Main 2000 Seite 52 siehe: Grahmann, R.; Gutwetter, A.; 2002 ebenda Seite 14 Siehe: Studt, J.: Systemische Beratung als Mittel der Organisationsentwicklung im Gesundheitswesen, in: Gros, E. (Hrsg.): Anwendungsbezogene Arbeits-, Betriebs- und Organisationspsychologie, Göttingen 1994 Seite 426 Seite 104 von 430 reiche. Dabei können sich insbesondere die beiden Berufsgruppen Ärzte und Pflege nicht aus dem Weg gehen und sind permanent aufeinander angewiesen. Im Alltag der Patientenversorgung und medizinischen Therapie und Diagnostik treten die Störmomente in besonderer Weise in Erscheinung. Unterschiedliche berufliche Leitorientierungen, nur schwer zu vereinbarende Arbeitsauffassungen, hohe, kaum zu erfüllende Erwartungen an die jeweils andere Berufsgruppe, Kompetenzstreitigkeiten und informelle Absprachen, wo formelle Vereinbarungen sinnvoll wären, wirken störend auf die Patientenbehandlung und zermürbend auf Mitarbeiter beider Professionen.259 Die alltäglichen Probleme der Zusammenarbeit zwischen Pflege und Ärzten im Krankenhaus lassen sich in etwa so darstellen: • die Prioritäten in der Aufgabenerfüllung sind unterschiedlich, nicht selten sich diametral widersprechend, • Ärzte empfinden den Pflegedienst als wenig flexibel und kaum bereit, sich auf sich ändernde Situationen in der Patientenversorgung einzustellen, • Pflegende beklagen Mängel in der Arbeitsorganisation der Ärzte, genannt werden verzögerte Entscheidungen, häufige Störungen durch kurzfristige Anweisungen und schlechte Planung, • beide beklagen unabgestimmte und unklare Zuständigkeiten bei der jeweils anderen Berufgruppe und • Pflegende erleben Ärzte als arrogant und überlegen. Ärzte beklagen mangelnden Respekt der Pflegenden vor ihrer hohen Verantwortung und Arbeitsbelastung.260 Es wird konstatiert, dass es in der vorhandenen Organisationskultur schwierig ist, Verbindlichkeit herzustellen. Einmal getroffene Entscheidungen werden immer wieder informell unterlaufen, Partikularinteressen gepflegt. Überlagert wird dies noch durch eine überkommene Geschlechter- und Professionshierarchie.261 Dies alles behindert die Entwicklung des Krankenhauses, das sich wie jedes andere soziale Sys- 259 260 261 siehe: Dahlgaard, K.; Stratmeyer, P.: Kooperatives Prozessmanagement im Krankenhaus, in: Das Krankenhaus 8/2004 Seite 636 sowie Schmitz, Ch.; Hollmann, J.: Zukunftssicherung mit neuen Ansätzen des Changemanagements, in: Das Krankenhaus 10/2007 Seiten 973 bis 977 nach: Dahlgaard, K.; Stratmeyer, P.: Kooperatives Prozessmanagement im Krankenhaus, Handout der Hochschule für Angewandte Wissenschaften Hamburg siehe: Nolte, A.: „Schwester, können Sie das heute mal übernehmen?“, in: Heilberufe – Das Pflegemagazin Berlin 12/2007 Seite 45 Seite 105 von 430 tem letztlich über seine offiziellen und anerkannten Entscheidungs- und Arbeitsstrukturen festigen muss.262 In zahlreichen Studien ist belegt, dass beide Berufsgruppen wenig Verständnis für die berufliche Situation der jeweils anderen Gruppe haben.263 In der Konkurrenz der Berufsgruppen um Macht und Einfluss geht allzu leicht unter, dass es im Krankenhaus primär um die Versorgung der Patienten und nicht um den Bedeutungszuwachs einer Berufsgruppe geht.264 Der Wandel der Anforderungen in den Gesundheitssystemen, speziell auch im Krankenhaus, erfordert, dass Menschen mit unterschiedlichen Ausbildungsprofilen auf Augenhöhe agieren und ihre jeweiligen professionellen Expertisen bündeln. Dies ist insbesondere in Deutschland schwierig, werden hier doch die Gesundheitsberufe traditionell in sehr unterschiedlich gewichtete Kategorien eingeteilt. So stehen z.B. dem ärztlichen Heilberuf die pflegerischen und medizinisch-technischen Heilhilfsberufe gegenüber.265 Die Berufsgruppenausrichtung in den Krankenhäusern verliert zusehends ihre stabilisierende Funktion und wird mehr und mehr zur Hemmschwelle für Innovation und führt zur Beeinträchtigung der Effektivität des Krankenhausmanagements. Insbesondere verstellen Partikularinteressen und Ressortdenken den Blick auf prozessorientierte und ganzheitliche Ansätze.266 Dies wird in einer Zeit, in der höhere medizini- 262 siehe: Grossmann, R.; Heller, A.: Organisationsentwicklung im Krankenhaus: Herausforderung für leitende Pflegekräfte, in: Pflegemanagement 2, 1/1994 Seite 16 263 siehe: Studie Arbik: Im Forschungsprojekt „Arbeitsbedingungen im Krankenhaus“ beschäftigen sich WissenschaftlerInnen der Universität Witten/ Herdecke in Kooperation mit KollegInnen aus dem Supervisionsdienst am Universitätsklinikum Freiburg mit der Verbesserung der Arbeitssituation von pflegerischen und ärztlichen Beschäftigten in Krankenhäusern. Ziel des Projektes ist die Erstellung eines wissenschaftlich evaluierten Handlungskonzeptes zur Verbesserung der Arbeitsbedingungen der Beschäftigten auch unter den Bedingungen eines erhöhten ökonomischen Drucks im Gesundheitssektor. Siehe: URL: http://wga.dmz.uni-wh.de/pflege/html/default/arbik_profil, 08.04.2007 264 siehe: Schrappe, M.: 2007, ebenda Seite 185 265 Ewers, M.: 2008 ebenda Seite 23 266 in Anlehnung an: Böhnisch, W.; Schütz, R.: 1995, ebenda Seite 124 sowie Eichhorn, S.: 1990 ebenda Seite 149 sowie Eichhorn, S.: Krankenhausmanagement – Führungsaufgaben und Leitungsorganisation, in: führen & wirtschaften 04/1991 Seite 244, sowie in: Fachbereich Wirtschaft der FH Osnabrück, 1992, ebenda Seite 75, sowie Grossmann, R.: 1995, ebenda Seite 213 sowie Hohmann, C.: Krankenhausmanagement, Klinikärzte sind gefordert, in: Deutsches Ärzteblatt Heft 17/1997, Seite A 1107 sowie Herrler, M.: Verband der Krankenhausdirektoren Deutschlands, Entscheidungsorientiertes Krankenhausmanagement, Mülheim/Ruhr 1993, Seiten 72f sowie Müller, M. 1996 ebenda Seiten 11, 54, 57 sowie Patzen, M.; Güntert, B. J.: Wir brauchen neues Denken, Handeln und Wissen in: SPITAL MANAGEMENT, 04/1997, Seite 13 sowie Peters, S. H. F.; Schär, Seite 106 von 430 sche Qualität bei tendenziell sinkenden Kosten zu erbringen ist, zunehmend deutlicher sichtbar.267 Im Ergebnis der hier vorliegenden Forschung ist nun aber festzuhalten, dass dieser schier unüberwindbar erscheinende Graben zwischen den Berufsgruppen insbesondere zwischen den Medizinern und der Pflege an den schweizerischen und den österreichischen Universitätsklinika weit weniger dominant ist, als an den deutschen. So bewerten die Personalverantwortlichen der österreichischen Klinika die Zusammenarbeit zwischen den Berufsgruppen als weitgehend reibungsarm und konstruktiv, ihre Schweizer Kollegen bewerten sie neutral, während die Bewertung der deutschen Personalverantwortlichen tendenziell negativ ausfällt. Die Experteninterviews bestätigen, dass die Problematik der Zusammenarbeit zwischen Ärzten, Pflegepersonal und Verwaltungsmitarbeitern an den Universitätsklinika in Österreich eher als nachrangig und in der Schweiz als nicht dominant angesehen wird, während sie an den deutschen Universitätsklinika eine erkennbar bedeutende Rolle spielt. Die Personalentwicklung in Österreich und der Schweiz ist stärker interprofessionell ausgerichtet, als in Deutschland. Eine signifikante Korrelation zur Qualität der Zusammenarbeit ließ sich aber nicht nachweisen. Ein signifikanter Zusammenhang besteht aber zwischen dem Stellenwert der Personalentwicklung im Klinikum und der Qualität der Zusammenarbeit der Berufsgruppen.268 Die Zusammenarbeit zwischen den Ärzten und dem Pflegepersonal ist prägend für die Kultur und auch die Leistungsfähigkeit eines Universitätsklinikums. Die von den deutschen Personalverantwortlichen in den Experteninterviews genannten Gründe für die Probleme und Konflikte zwischen den Berufsgruppen bestätigen die in der Literatur genannten weitgehend: • Ein fehlender Abgleich der Interessen der Berufsgruppen untereinander, • ein ausgeprägtes Abteilungsdenken und Abteilungsegoismen, • Mängel in der Kommunikation, • Mängel in der Zusammenarbeit der Führung, • mangelndes Wissen und Verstehen der Tätigkeit und der Handlungsmotive der 267 268 W.: 1996 ebenda Seite 131 siehe: Eiff, W.: 2003 ebenda Seite 684 Siehe Teil II Abschnitt 2.4.2 Zusammenarbeit der Berufsgruppen Seite 107 von 430 jeweils anderen Berufsgruppen, • fehlende Wertschätzung und Anerkennung unter den Berufsgruppen, • zunehmender Kostendruck in den Krankenhäusern. Die Frage, was getan werden kann, um die Zusammenarbeit zwischen den Berufsgruppen konfliktfreier und konstruktiver zu gestalten, ergibt einige zentrale Herangehensweisen, die übereinstimmend und unabhängig davon genannt werden, wie die Zusammenarbeit der Berufsgruppen an dem jeweiligen Universitätsklinikum eingeschätzt wird. Im Zentrum des Interesses stehen dabei Maßnahmen, mit denen das gegenseitige Verstehen der Tätigkeit, der Handlungsmotive und der Interessen der Berufsgruppen gefördert werden kann. Erwähnt wird auch die Ausarbeitung von Behandlungspfaden bzw. Patientenpfaden als Motor für eine prozessorientierte und integrierte Zusammenarbeit insbesondere zwischen den Ärzten und den Pflegenden. Als zentrale Maßnahme wird immer wieder die interprofessionelle Führungskräfteentwicklung genannt. Auf der Führungsebene werden auch die meisten Konflikte und Probleme zwischen den Berufsgruppen diagnostiziert. Die Führungskräfteentwicklung und das Verhalten der Führungskräfte haben vor dem Hintergrund, dass Krankenhäuser und insbesondere Universitätsklinika nach wie vor stark hierarchisch geprägte Organisationen sind, eine besondere Bedeutung. Auch wenn hier ein signifikanter Zusammenhang wie oben erwähnt nicht nachgewiesen werden konnte, sehen die Experte zwischen der interprofessionell ausgerichteten Führungskräftequalifizierung und der Qualität der Zusammenarbeit der Berufsgruppen einen engen Zusammenhang. 5.3.4 Personalstruktur in einem Universitätsklinikum Der augenfälligste Unterschied der Personalstruktur eines Universitätsklinikums in Abgrenzung zu anderen Großkrankenhäusern ist eine deutliche Dominanz des Arztberufes. Die Universitätsklinika stellen 1,63 % aller Krankenhäuser. In ihnen arbeiten 16,03 % des Personals und 19,26 % aller Ärzte.269 Dies ist darauf zurückzuführen, dass dem Wissenschaftlichen Dienst – zu über 90 % ärztliche Mitarbeiter – neben den Aufgaben und Tätigkeiten im Rahmen der Krankenversorgung auch diejenigen 269 siehe: Statistisches Bundesamt, Fachserie 12, Reihe 6.1.1 2007 Seite 108 von 430 in den Bereichen Forschung und Lehre obliegen.270 An den Universitätsklinika werden Ärzte ausgebildet. Demzufolge wird der ärztliche Dienst auch dadurch geprägt, dass dort viele noch unerfahrene und nicht fertig ausgebildete Mediziner tätig sind. Es gibt einen hohen Anteil an weiterzubildenden Ärzten und daneben einen vergleichsweise geringeren Teil an Fachkräften. Der Personaleinsatz der Ärzte ist dadurch geprägt, dass die vielschichtigen Aufgaben eines hoch spezialisierten Krankenhauses der Maximalversorgung mit den Erfordernissen der Forschung und Lehre auf dem Hintergrund des sehr unterschiedlichen Erfahrungsstandes der Ärzte unter einen Hut zu bringen sind. Dies führt zu einer tendenziell hohen Beanspruchung der Mediziner an Universitätsklinika. Eine weitere Besonderheit ist, dass an den Universitätsklinika ungefähr 27 % des medizinisch-technischen Personals aller Krankenhäuser Deutschlands arbeiten. Dies ist einerseits darauf zurückzuführen, dass Universitätsklinika mit einem hohen Anteil an Intensivpflege auch über sehr viel Diagnostik verfügen und in Folge dessen durch höhere Anforderungen an die Laborbereiche gekennzeichnet sind. Zum anderen arbeiten in den Forschungsbereichen viele Beschäftigte in medizinisch-technischen Assistenzberufen. Universitätsklinika sind durch die Medizinerausbildung geprägt. Daneben wurden im Jahr 2007 an den 34 Universitätsklinika auch insgesamt 12,32 % der Auszubildenden und Schüler an deutschen Krankenhäusern ausgebildet. Den Grossteil hiervon stellen die Auszubildenden in den Bereichen Krankenpflege und Kinderkrankenpflege. Daneben wird in gewerblichen, medizinisch-technischen und kaufmännischen Berufen ausgebildet. Nicht zuletzt ist das Universitätsklinikum in Abgrenzung zu andern Großkrankenhäusern durch die Medizinstudenten geprägt, die während der Semester nicht nur bei praktischen Einsätzen, sondern auch zu Vorlesungen und Seminaren an den Klinika präsent sind. Das wissenschaftliche Personal der Universitätsklinika, insbesondere die Ärzte, ist nicht nur in die Organisationsstruktur des jeweiligen Klinikums eingebunden, sondern 270 Buchholz, W.; Eichhorn, P.: (Hrsg.) 1992 ebenda Seite 74 Seite 109 von 430 auch in diejenige der Universität. Dies ist nicht nur aus dem Blickwinkel des Personalmanagements und der Personalentwicklung von besonderer Bedeutung. Die universitären Strukturen unterscheiden sich zum Teil wesentlich von den Strukturen des Großkrankenhauses Universitätsklinikum. Universitäten unterscheiden sich sehr deutlich von erwerbswirtschaftlich ausgerichteten Organisationen. Die Widersprüche zwischen den beiden rechtlich eng verflochtenen Großorganisationen nehmen dabei mit einer zunehmend stärkeren Ökonomisierung der Universitätsklinika an Schärfe zu. Das Personalmanagement an Universitäten ist geprägt durch eine hohe Regelungsdichte, die Beschäftigungsverhältnisse sind in der Regel öffentlich rechtlich geprägt. Die Organisation Universität ist gekennzeichnet durch eine starke interne Vielfalt einerseits bei gleichzeitig hoher Autonomie der Subsysteme.271 In den weitgehend unabhängigen Subsystemen Institut und Abteilung spielt Personalarbeit eine untergeordnete Rolle, das Interesse an professionellem Personalmanagement ist der individuellen Prägung des jeweiligen Leiters überlassen. Der Zentrale (Rektorat) bleibt die Personaladministration als Aufgabe, die zumeist auf bürokratisch ausgeprägte Weise erledigt wird. Die relative Unterentwicklung des Personalmanagements erklärt sich so einerseits aus der inneren strukturellen Logik der Universität, sie steht andererseits in deutlichem Widerspruch dazu, dass gerade in einer wissensgetriebenen Organisation das Personal der zentrale Kompetenzträger und Erfolgsfaktor ist.272 Ein weiteres Hemmnis für professionelles Personalmanagement und Personalentwicklung an Universitäten ist die starke Orientierung der vorgesetzten Wissenschaftler an inhaltlichen Fachfragen. Das Erlernen von Managementfähigkeiten ist in der Karriere eines Hochschullehrers und Forschers nicht vorgesehen, Personalmanagementfähigkeiten sind zumeist autodidaktisch gewachsen. So bleiben bis dato an Universitäten systematische Lern- und Entwicklungsprozesse für das wissenschaftliche Personal allenfalls Randerscheinungen.273 271 272 273 siehe: Weick, K. E.: Educational Organizations as loosely coupled systems, in: Administrative Science quarterly 21, 1976 Seiten 1 bis 19 sowie Orton, J. D.; Weick, K. E.: Loosely coupled Systems. A reconceptualization, in: Academy of Management Review 15, 1990 Seiten 203 bis 223 sowie Laske, S.: Führung als Management von Widersprüchen – Gedanken zur Steuerung von Bildungsorganisationen, in: Benedikter, R. (Hrsg.): Wirtschaft und Kultur im Gespräch – Zukunftsperspektiven der Wirtschaftskultur, Meran Seite 146 siehe: Auer, M.; Laske, S.: Personalpolitik an Universitäten – Bestandsaufnahme und kritische Analyse, in: von Eckhardstein, D.; Ridder, H.-G. (Hrsg.): Personalmanagement als Gestaltungsaufgabe im Nonprofit und Public Management, München und Mehring 2003 Seite 185 siehe: Meister–Scheytt, C.; Laske, S.: How Universities learn and unlearn, Paper presented at 23rd Seite 110 von 430 Die Berufsgruppen jenseits der Ärzte bleiben im Arbeitsalltag der Universitätsklinika von den universitären Gepflogenheiten und Strukturen weitgehend unberührt. 5.4 Anforderungen an die Personalarbeit im Krankenhaus Der in der Literatur beschriebene unbefriedigende Zustand an den Krankenhäusern wird durch die Forschungsergebnisse bestätigt: Die Bedeutung der Personalfunktion wird in den Universitätsklinika mit wenigen Ausnahmen deutlich unterschätzt. Während die obersten Personalverantwortlichen in großen Unternehmen in der Regel im Vorstand vertreten sind, ist dies lediglich in einem Universitätsklinikum in der Schweiz der Fall. Ansonsten dominiert die Unterstellung unter die Kaufmännische Direktion und somit unter die ökonomische Funktion. Deutlich wird die Geringschätzung der Personalarbeit durch die Berichte der obersten Personalverantwortlichen zahlreicher Universitätsklinika in Deutschland über vergebliche Versuche, sich bei den Vorständen Gehör zu verschaffen und Personalentwicklung an den Klinika zum Thema zu machen. Durch die Befragung wird dieser Eindruck untermauert, wenn an lediglich 6 deutschen Universitätsklinika die Klinikumsvorstände sich regelmäßig mit Fragen der Personalentwicklung befassen. Das Topmanagement blockiert überwiegend die Personalarbeit, anstatt sie zu fördern. Diese im Grundsatz richtige Einschätzung ist auf dem Hintergrund der Forschungsergebnisse aber durchaus differenziert zu bewerten: Immerhin 11 deutsche Universitätsklinika verfügen über eine eigene Organisationseinheit, ein klinikumsumfassendes Personalentwicklungskonzept gibt es dagegen lediglich an 5 Universitätsklinika in Deutschland. Die Universitätsspitäler in der Schweiz und die Universitätsklinika in Österreich sind hier deutlich weiter, sie verfügen durchgehend über eine auch organisatorisch verankerte Personalentwicklung. Die Ergebnisse aus den Vergleichen der Erhebung 1999 mit denen von 2007 stimmen insofern optimistisch, was die Entwicklung an den deutschen Universitätsklinika angeht, als zentrale Instrumente der Personalentwicklung in 2007 deutlich häufiger genutzt werden, insbesondere bei den Ärzten zeigt sich ein deutlicher Sprung nach annual EAIR Forum, Porto 2001, zitiert nach: Auer, M.; Laske, S.: 2003 ebenda Seiten 197 f Seite 111 von 430 vorne z.B. bei der Durchführung von Mitarbeitergesprächen. Man könnte meinen, die Krankenhäuser holen in Sachen Personalentwicklung auf, man darf dabei allerdings nicht vergessen, dass die Entwicklung in den Dienstleistungsunternehmen jenseits der Krankenhauslandschaft nicht stehen geblieben ist. Auf dem Hintergrund meiner Forschungsergebnisse lässt sich festhalten, dass die Bedeutung der Personalentwicklung sehr hoch eingeschätzt wird. In deutlichen Kontrast hierzu steht aber die Realität an den deutschen Universitätsklinika. Hier gibt es deutlichen Nachholbedarf. Die Zusammenarbeit der Berufsgruppen als zentraler Erfolgsfaktor eines Krankenhauses wird an den deutschen Universitätsklinika als nach wie vor sehr kritisch angesehen. Sie verläuft nach überwiegender Auffassung der obersten Personalverantwortlichen weder reibungsarm noch konstruktiv. Diese Feststellung korreliert damit, dass die Personalentwicklung, so sie denn überhaupt verankert ist, wenig interprofessionell ausgerichtet ist. Es dominiert die Personalentwicklung im berufsständischen Kontext mit der Folge, dass Abgrenzung und unvernetztes Arbeiten zementiert werden. Eine auf die eigene Profession beschränkte Personalentwicklung wird dem Arbeitsalltag des Krankenhauses nicht gerecht, sie untermauert separatistisches Denken und Handeln. Erste Voraussetzung für eine reibungsarme und konstruktive Zusammenarbeit ist das Verstehen der Werte, Denkweisen und Handlungshintergründe der jeweils anderen Berufsgruppen. Um dies zu erreichen muss Personalentwicklung ganzheitlich und somit interprofessionell ausgerichtet sein. Seite 112 von 430 Teil II: UNTERSUCHUNG ZUR PERSONALENTWICKLUNG AN DEN UNIVERSITÄTSKLINIKA IN DEUTSCHLAND, ÖSTERREICH UND DER SCHWEIZ 1 Das Forschungskonzept Die zentrale Frage des theoretisch-konzeptionellen Teils ist: Wie lässt sich eine integrierte Personalentwicklung an Universitätsklinika definieren, inwiefern lässt sich deren Notwendigkeit für die Sicherung der Lebensfähigkeit des Unternehmens belegen und inwieweit lässt sich eine integrierte Personalentwicklung etablieren? Um diese Fragen zu beantworten, wird das Problemfeld inhaltlich und begrifflich durchleuchtet. Der Begriff "Personalentwicklung" wird herausgearbeitet und der Sinngehalt von "integriert" darauf Bezug nehmend speziell für ein Universitätsklinikum definiert. Daran anknüpfend wird das Erfordernis einer integrierten Personalentwicklung auf dem Hintergrund der sozialen und ökonomischen Situation der Universitätsklinika dargestellt. Als ein mögliches Modell der Etablierung zentraler Elemente integrierter Personalentwicklung wird in Folge die Entwicklung des Konzepts für eine integrierte Personalentwicklung am beforschten Universitätsklinikum dargestellt. Die zentralen Fragestellungen des empirisch explorativen Teils sind: Wie ist der Stand der Personalentwicklung an den Universitätsklinika in Deutschland, Österreich und der Schweiz? Gibt es erkennbare Unterschiede im Ländervergleich sowie innerhalb Deutschlands zu den neuen und den alten Bundesländern sowie innerhalb der alten Bundesländer zwischen Nord und Süd? Wie ist der Grad der integrativen Aspekte von Personalentwicklung einzuschätzen? Welche Perspektiven für Personalentwicklung, insbesondere für eine integrierte Personalentwicklung an Universitätsklinika, sind erkennbar? Die Forschungsstrategie war durch den praxisbezogenen Kontext teilgeprägt: Unter meiner Federführung wurden am beforschten Universitätsklinikum normative und konzeptionelle Grundlagen einer integrierten Personalentwicklung erarbeitet mit dem Ziel, diese im Klinikum zu etablieren. Das Forschungsprojekt wurde parallel hierzu durchgeführt, wobei das Personalentwicklungsprojekt selbst im Wege einer praxisorientierten Handlungsforschung einen Teil dieser Arbeit darstellt. Seite 113 von 430 Das Forschungsprojekt war multimethodisch mit folgenden Bausteinen angelegt: 1. Theoretische Fundierung zum Thema Personalentwicklung über eine umfangreiche Literaturrecherche. Die Darstellung verschiedener Ansätze und Herangehensweisen an die Thematik wird auf dem Hintergrund verschiedener wissenschaftlicher Disziplinen erläutert. Als wesentliche Disziplinen werden dabei Psychologie, Organisationssoziologie, die Betriebswirtschaft, Erziehungswissenschaft und die Systemtheorie in Bezug genommen. 2. Eine Erhebung des Ist-Standes und der Perspektiven der Personalentwicklung an den Universitätsklinika Deutschlands, Österreichs und der Schweiz wurde im Wege einer schriftlichen Befragung der ranghöchsten Personalverantwortlichen durchgeführt. Der Fokus der strukturierten Befragung lag dabei auf interprofessionellen und integrativen Fragestellungen. Die Ergebnisse einer im Rahmen meiner Diplomarbeit274 1999 durchgeführten Befragung mit vergleichbaren Funktionsträgern wurden zum Vergleich herangezogen. 3. Im Nachgang zur schriftlichen Befragung wurden Experteninterviews mit 18 ausgewählten Teilnehmern der Befragung durchgeführt, analysiert und ausgewertet. 4. Die aktive Teilnahme und teilnehmende Beobachtung an der Ausarbeitung des integrierten Personalentwicklungskonzepts am beforschten Universitätsklinikum ergänzt das Forschungsergebnis um eine unmittelbar praktische Handlungsforschung. Die Entscheidung, eine postalische schriftliche Befragung durchzuführen und diese durch Experteninterviews zu ergänzen, ist in Bezug auf das Untersuchungsziel als angemessen zu beurteilen. Die Handlungsforschung gibt vertiefende Hinweise insbesondere auf die praktischen Umsetzungsprobleme bei der Implementierung eines Konzeptes einer integrierten Personalentwicklung. Ihre sozialwissenschaftliche Aussagekraft ist insofern als begrenzt zu bewerten, als sie keine verallgemeinerbaren Ergebnisse liefert, was der Handlungsforschung aber durchaus entspricht. Die hohe Praxisrelevanz und Realitätsnähe der Ausarbeitung und Implementierung des inter274 Jung, K.: Ist-Analyse und konzeptionelle Weiterentwicklung der Mitarbeiterführung im Krankenhausmanagement unter besonderer Berücksichtigung der Universitätsklinika, Diplomarbeit an der Ostdeutschen Hochschule für Berufstätige Leipzig 1999 Seite 114 von 430 professionell ausgerichteten Konzepts am beforschten Universitätsklinikum, die Transparenz des Forschungsprojekts und der hohe Grad an Interaktion erfüllen zentrale Implikationen von Handlungsforschung. 1.1 Die Befragung in der Sozialforschung Als Instrumente bzw. Techniken der Datenerhebung im Rahmen meines Forschungsvorhabens habe ich mich für zwei Formen der Befragung entschieden, eine schriftliche und eine mündliche Befragung, letztere in Form sogenannter Experteninterviews. Mit dem standardisierten Interview habe ich mich für den „Königsweg der empirischen Sozialforschung“ entschieden. Die Befragung ist seit Jahrzehnten das gängige Instrument empirischer Sozialforschung, um Fakten, Wissen, Meinungen und Einstellungen im sozialwissenschaftlichen Kontext zu erheben.275 Die theoretische Fundierung und die Darstellung der Durchführung der Experteninterviews werden weiter hinten in Teil II Abschnitt 3 Die Experteninterviews erläutert. Wie jedes Verfahren der Datenerhebung weist auch die postalische Befragung methodische und inhaltliche Vor- und Nachteile auf, welche an dieser Stelle benannt und vor dem Hintergrund der hier durchgeführten Befragung bewertet werden sollen. Als Vorteile werden genannt:276 • Interviewfehler werden vermieden, • die Antworten sind „ehrlicher“ als bei Anwesenheit eines Interviewers,277 • die Befragung ist kostengünstig und weniger zeit- und personalaufwändig, • die Antworten sind besser durchdacht, da mehr Zeit zum ausfüllen des Fragebogens zur Verfügung steht, • die Zusicherung der Anonymität wird als glaubwürdiger erlebt. 275 276 277 siehe: Kaase, M. (Hrsg.): Empirische Sozialforschung in der modernen Gesellschaft, Frankfurt/Main 1983 Seite 17 sowie Schnell, R.; Hill, P.; Esser, E.: Methoden der empirischen Sozialforschung, 8. Auflage, München, Wien 2008 Seite 320 f sowie Atteslander, P.; Cromm, J.: Methoden der empirischen Sozialforschung, 12. Auflage Berlin 2008 Seiten 122 f vgl.: Schnell, R.; Till, P.; Esser, E.: 2008 ebenda Seite 359 sowie Atteslander, P.; Cromm, J.: 2008 ebenda Seite 147 was in dieser Allgemeinheit durchaus kritisch zu hinterfragen ist. In einer direkten Interviewsituation mag für einzelne Menschen die Hemmschwelle, zu übertreiben oder zu beschönigen, durchaus höher sein, als bei einer schriftlichen Befragung, bei der einem niemand über die Schultern schaut. Außerdem sind die Messmöglichkeiten hier kaum gegeben. Seite 115 von 430 Die hohe Rücklaufquote von insgesamt über 90 % zeigt jedenfalls, dass die Fragestellungen das Interesse der Adressaten wecken konnten. Dabei kommt der Befragung sicherlich zu Gute, dass es sich beim Kreis der Befragten um eine homogene Gruppe gehandelt hat. Ebenfalls gehe ich davon aus, dass die Tatsache, dass ich als Kollege in gleicher Funktion die Befragung durchgeführt habe, zur hohen Rücklaufquote beigetragen hat und eine gewisse Aufmerksamkeit und Sorgfalt durch die Befragten garantiert. Als Nachteile werden genannt: • üblicherweise eine höhere Ausfallquote, • damit einhergehend möglicherweise systematische Lücken, da insbesondere Personen, die stark am Thema interessiert sind, den Fragenbogen zurücksenden, • damit einhergehend möglicherweise erhebliche Stichprobenverzerrungen,278 • nicht hinreichend kontrollierbare Befragungssituation (andere Personen können die Antwort des Befragten beeinflussen, es kann nicht festgestellt werden, wer letztlich den Fragebogen ausgefüllt hat), • Missverstehen von Fragen seitens des Befragten sind nicht feststellbar, • die Seriosität und Ernsthaftigkeit des Befragten kann nicht überprüft werden, • spontane Antworten können nicht erfasst werden. 278 Die hohe Rücklaufquote belegt, dass diese Nachteile bei der durchgeführten Befragung nicht zum Tragen gekommen sind. Seite 116 von 430 Die Typen der Befragung unterscheiden Atteslander und Cromm wie folgt: Kommunikationsform Kommunikationsart mündlich schriftlich wenig strukturiert teilstrukturiert Typ I • informelles Gespräch • Experteninterview Typ III • Leitfadengespräch • Intensivinterview • Gruppenbefragung • Expertenbefragung Typ IV • Expertenbefragung Typ II • informelle Anfrage bei Zielgruppen Erfassen qualitativer Aspekte "Interpretieren" hoch stark strukturiert Typ V • Einzelinterview, telef. Befragung • Gruppeninterview • Panelbefragung Typ VI • postalische Befragung • persönliche Verteilung und Abholung • gemeinsames Ausfüllen von Fragebogen • Panelbefragung Typ VII (mündl. u. schriftl. Kombiniert) • telefonische Ankündigung des Versandes von Fragebogen • Versand oder Überbringung der schriftl. Fragebogen • telef. Kontrolle, evtl. telef. Ergänzungsbefragung Erfassen quantitativer Aspekte "Messen" Reaktivität tief Tabelle 3: Typen der Befragung279 Abhängig vom Forschungsvorhaben und Forschungsziel finden durchaus verschiedene Typen Anwendung. So habe ich die unterlegten Typen Leitfadengespräch und schriftliche, postalische Expertenbefragung angewandt. 1.2 Die schriftliche Befragung Die schriftliche, postalisch durchgeführte Befragung erfolgte mittels eines standardisierten Fragebogens. Aufgrund der leichteren Auswertbarkeit sowie der geplanten mündlichen Interviews verzichtete ich dabei auf offene Fragen. Mir war dabei bewusst, dass ich an dieser Stelle durchaus auf Hinweise verzichtete, die über offene Fragestellungen erreichbar gewesen wären. Andererseits gewinnt die Vergleichbarkeit der Ergebnisse durch die klare Struktur an Güte. Mit dieser standardisierten schriftlichen Befragung wurden Wissen und persönliche Einschätzungen der ranghöchsten personalverantwortlichen Funktionsträger aller Universitätsklinika Deutschlands, Österreichs und der Schweiz erhoben. Aufgrund des überschaubaren Personenkreises konnte auf eine Stichprobenbildung hier verzichtet werden. Mit einer Ratingscala habe ich mich für die in der Marktforschung am häufigsten ver- 279 nach: Atteslander, P.; Cromm, J.: 2008 ebenda Seite 123 Seite 117 von 430 wendete Skalierungsmethode entschieden.280 Um das Antwortschema möglichst fein zu halten und zugleich das Differenzierungsvermögen und die Differenzierungsbereitschaft der Befragten nicht zu sehr zu strapazieren, habe ich mich für die klassische Ausprägung mit fünf Antwortvorgaben entschieden. Die Befragung erfolgte auf dem postalischen Weg. Ein kleiner Pre-Test mit fünf Personen – eine davon die Person, mit der auch das Pre-Interview durchgeführt wurde – wurde der Befragung vorangestellt. Den Personen wurden die Fragebogen nicht nur zur Beantwortung, sondern auch mit der Aufforderung, die Inhalte kritisch danach zu hinterfragen, ob alle wesentlichen Facetten der Personalentwicklung abgefragt sind, ob Lücken erkennbar werden oder logische Brüche. zugesandt. Die in der Literatur empfohlene „Wegwerf-Frage“ zum Einstieg in den Fragebogen, die als Türoffner dienen soll, habe ich weggelassen. Zum einen bin ich davon ausgegangen, dass angesichts der Überschaubarkeit des Fragebogens sich die Notwendigkeit eines auflockernden und anlockenden Einstiegs erübrigt. Zum anderen musste ich angesichts der Professionalität der Befragten davon ausgehen, dass diese die geringe Relevanz einer solchen Frage erkennen und diese möglicherweise als Veralberung empfinden könnten. Die schriftliche Befragung war bewusst knapp gehalten. Nachstehende Aussagen wurden erhoben: 1. Das Klinikum verfügt über eine eigene Organisationseinheit für Personalentwicklung. Als Antwortmöglichkeiten waren lediglich ja/nein vorgegeben. Die Frage diente der einfachen Informationsgewinnung. Um den Stellenwert der Personalentwicklung zu erheben und zugleich festzustellen, inwieweit eine klinikumsumfassende Vorstellung von Personalentwicklung besteht, wurden nachstehende Aussagen 2. bis 7. angeboten mit der Möglichkeit, diese auf einer 5er-Skala von „trifft voll zu“ bis „trifft nicht zu“ wie folgt zu bewerten: 280 siehe: Berekhoven, L.; Eckert, W.; Ellenrieder, P.: Marktforschung, Wiesbaden 1999 Seite 72 Seite 118 von 430 Trifft voll zu Trifft meist zu Trifft teilweise zu Trifft kaum zu Trifft nicht zu 2. Grundsätze der Personalentwicklung sind in unserem Leitbild verankert. Diese Aussage gibt Auskunft darüber, ob und in welchem Umfang Personalentwicklung im Leitbild als oberstes unternehmerisches Postulat nach außen und innen berücksichtigt ist. 3. Es existiert ein klinikumsumfassendes Konzept der Personalentwicklung. Die Aussage gibt Auskunft über eine der drei Ebenen integrierter Personalentwicklung. 4. Der Klinikumsvorstand befasst sich regelmäßig mit Themen der Personalentwicklung. Der Klinikumsvorstand ist das oberste Leitungsorgan eines Universitätsklinikums. Die Aussage gibt Auskunft darüber, ob Personalentwicklung im Topmanagement des Klinikums thematisiert wird. 5. Personalentwicklung hat am Klinikum einen hohen Stellenwert. Die Aussage ist in Abgrenzung zu den Aussagen 2, 3 und 4 bewusst allgemein gehalten. Sie gibt Hinweise auf die eher grundsätzliche und allgemeine Einschätzung der befragten Person zum Stellenwert der Personalentwicklung im Unternehmen. 6. Es stehen ausreichend Ressourcen (Geld, Zeit, Infrastruktur) für Personalentwicklung zur Verfügung. Das Vorhandensein von Ressourcen ist eine Grundvoraussetzung für Maßnahmen der Personalentwicklung. Die Aussage gibt Aufschluss darüber, in welchem Maß solche Ressourcen zur Verfügung stehen. 7. Personalentwicklung wird an unserem Klinikum in Zukunft an Bedeutung gewinnen. Seite 119 von 430 Die Aussage gibt Aufschluss über die persönliche Einschätzung des Befragten in seiner Position als ranghöchster Personalverantwortlicher des jeweiligen Klinikums. Die interprofessionelle Zusammenarbeit wird neben den traditionellen Merkmalen stark von aktuellen Änderungserfordernissen geprägt.281 So kommt der Sachverständigenrat zur Begutachtung der Entwicklung im Gesundheitswesen in seinem Gutachten 2007 zu dem Ergebnis, dass mehrere Entwicklungen eine Anpassung der Berufsbilder erforderlich machten: „Der sich wandelnde Bedarf einer älter werdenden Gesellschaft, die hohen Anforderungen durch den Fortschritt der Medizin, die Rechtsunsicherheit bei der Aufgabenverteilung, fehlende berufliche Standards, die teilweise ineffiziente Zentrierung auf den Arzt sowie die mangelnde Ausbildung der Gesundheitsberufe zu einer interdisziplinären Zusammenarbeit.“282 Um ein Bild über die Zusammenarbeit der Berufsgruppen zu gewinnen, wurden folgende zwei Aussagen erneut mittels der oben genannten Ratingskala zur Bewertung angeboten: 8. Die Personalentwicklung ist gezielt interprofessionell ausgerichtet. Die Aussage gibt Aufschluss über eine weitere Ebene der integrierten Personalentwicklung, nämlich die interprofessionelle Ausrichtung. 9. Die Zusammenarbeit zwischen den Berufsgruppen verläuft weitgehend reibungsarm und konstruktiv. Die Aussage gibt Auskunft darüber, wie ausgeprägt die Problematik der mangelnden Zusammenarbeit zwischen den Berufsgruppen nach Einschätzung des Befragten gegeben ist. Zum Themenfeld Führungskräfte und Personalentwicklung wurden die nachstehenden zwei Aussagen mittels der bekannten Ratingskala zur Bewertung angeboten: 281 282 siehe auch Teil I Abschnitt 5.3.3 Probleme der Personalstruktur im Krankenhaus siehe: Baden-Württembergische Krankenhausgesellschaft: BWKG Mitteilung 259/2007 vom 17.07.2007 Seite 120 von 430 10. Personalentwicklung ist bei uns in erster Linie Aufgabe unserer Führungskräfte. Die Aussage gibt Auskunft darüber, in welchem Umfang Personalentwicklung als konkrete Aufgabe für die Führungskräfte gesehen wird. 11. Alle Führungskräfte werden gezielt in Personalführung und –entwicklung geschult. Die Aussage gibt Aufschluss darüber, in welchem Umfang Führungskräfte für Personalführungsaufgaben befähigt werden. Weitere Elemente der Befragung waren: 12. Das Thema "Wissensmanagement" oder "organisationales Lernen" spielt bei uns eine wichtige Rolle. Organisationales Lernen und Wissensmanagement beinhalten wesentliche Elemente für eine lern- und entwicklungsförderliche Arbeitsgestaltung. Mit dieser Aussage wird insofern die dritte Ebene der integrierten Personalentwicklung erhoben. Erneut wurde die Ratingskala verwendet. 13. – 15. Mitarbeitergespräche mit Zielvereinbarung werden durchgeführt. Hier werden die drei Antwortmöglichkeiten "klinikumsweit, punktuell, gar nicht" gegeben. Darüber hinaus wird gezielt nach Pflegebereich, ärztlichem Bereich und Verwaltungsbereich gefragt. Damit wurde die Vergleichbarkeit mit einer 1999 durchgeführten Befragung an den deutschen Universitätsklinika hergestellt. Die Aussage zielt auf eine konkrete Maßnahme der Personalentwicklung, wie sie in modernen Industrie- und Dienstleistungsunternehmen inzwischen state of the art ist. 16. und 17. Es gibt ein Fort- und Weiterbildungsprogramm. Hier wird die Möglichkeit gegeben, jeweils mit ja/nein zu antworten. Die Aussage wird durch die Attribute "berufsgruppenspezifisch" und "berufsgruppenübergreifend" ergänzt. Beide Attribute sind separat zu beantworten. Fort- und Weiterbildung gilt als zentrales Element von Personalentwicklung. Die Aussage gibt Aufschluss darüber, in Seite 121 von 430 welchem Umfang Fort- und Weiterbildungsprogramme vorliegen und in welchem Umfang diese interprofessionell angelegt sind. Auch hier wurde die Vergleichbarkeit mit einer 1999 durchgeführten Befragung an den deutschen Universitätsklinika hergestellt. 1.3 Hypothesen und Vermutungen zum Untersuchungsgegenstand Als Messmodell dienten nachstehende Vermutungen über Zusammenhänge zwischen einzelnen Variablen: 1. Es werden Unterschiede in Bezug auf die abgefragten Grundlagen und Maßnahmenfelder von Personalentwicklung sowie in Bezug auf den Stellenwert von Personalentwicklung zwischen den Ländern Österreich, Schweiz und Deutschland vermutet. Ebenso werden solche Unterschiede innerhalb Deutschlands zwischen den Regionen Ost und West sowie zwischen Universitätsklinika im Norden und im Süden der alten Bundesländer vermutet. 2. Die Verankerung der Personalentwicklung im Leitbild eines Klinikums ist ein Hinweis darauf, dass der Stellenwert der Personalentwicklung am Klinikum tendenziell höher ist, als an Klinika, in deren Leitbild Personalentwicklung nicht genannt ist oder die über kein Leitbild verfügen. 3. Der Stellenwert, den der Klinikumsvorstand der Personalentwicklung zumisst, ist maßgeblich für ein umfassendes Verständnis von Personalentwicklung. 4. Klinika, in deren Vorstand Personalentwicklung regelmäßig thematisiert wird, verfügen über eine organisatorisch verankerte Personalentwicklung. 5. Klinika, an denen Personalentwicklung einen hohen Stellenwert hat, schätzen die Zusammenarbeit der Berufsgruppen tendenziell positiver ein, als Klinika, die der Personalentwicklung einen eher geringen Stellenwert einräumen. 6. Wissensmanagement und organisationales Lernen sind an Universitätsklinika kaum entwickelt. 7. Mitarbeitergespräche mit Zielvereinbarung setzen sich als Führungsinstrument an den Universitätsklinika durch. Ein Vergleich der Ergebnisse der Befragung Seite 122 von 430 von 1999 mit der Befragung von 2007 zeigt einen deutlichen Anstieg. 8. Die Nutzung des Führungsinstruments Mitarbeitergespräche mit Zielvereinbarung ist im ärztlichen Dienst deutlich weniger ausgeprägt, als im Pflegebereich und im Verwaltungsbereich. 9. Eine berufsgruppenübergreifend ausgerichtete Fort- und Weiterbildung ist noch die Ausnahme. 10. Die wichtige Verantwortung der Führungskräfte für Personalentwicklung wird anerkannt. Führungskräfte werden hierfür aber nicht ausreichend geschult. 11. Weibliche Personalverantwortliche messen der Personalentwicklung einen höheren Stellenwert bei, als männliche. 12. Die Zusammenarbeit der Berufsgruppen wird länderspezifisch unterschiedlich bewertet. 1.4 Untersuchte Korrelationen, Codierung Zur Auswertung der Aussagen 2 – 12 wurde eine Codierung vorgenommen, indem den Kategorien Zahlen wie folgt zugeordnet wurden: Trifft voll zu 5 Trifft meist zu Trifft teilweise zu 4 3 Trifft kaum zu 2 Trifft nicht zu 1 Ein Wert höher als vier weist somit einen hohen Grad, ein Wert unter zwei einen geringen Grad an Zustimmung auf. Das erhobene Datenmaterial eignet sich für die Beschreibung von Verteilungen und Zusammenhängen mittels univariater, bivariater und in einem Fall auch multivariater Analysen.283 Alle Aussagen der strukturierten Befragung wurden im Ländervergleich wie beschrieben analysiert. 283 siehe: Mayer, H.: Interview schriftliche Befragung, 3. Auflage, München, Wien 2006 Seite 111 Seite 123 von 430 Die Aussagen 5 (Stellenwert der Personalentwicklung) und 7 (zukünftige Bedeutung) wurden geschlechtsspezifisch ausgewertet. Im Wege bivariater Analysen wurden nachstehende Korrelationen untersucht: konstante Variable abhängige Variable 1. Organisationseinheit 5. Stellenwert 1. Organisationseinheit 6. Ressourcen 2. Leitbild 5. Stellenwert 4. Klinikumsvorstand 5. Stellenwert 8. Interprofessionell 9. Zusammenarbeit 10. Führungskräfte 11. Schulungen Führungskräfte Bei den konstanten Variablen 2, 4, 8 und 10 wurden jeweils zwei Gruppen gebildet, denen die entsprechenden Aussagen der abhängigen Variable gegenüber gestellt wurden. Die erste Gruppe bestand jeweils aus denjenigen Befragten, die die Aussage als "trifft voll zu" oder "trifft meist zu" bewertet hatten, die zweite Gruppe aus denjenigen, die die Aussage mit "trifft kaum zu" oder "trifft nicht zu" gewertet hatten. Diejenigen Befragten, die sich für den Mittelwert der Ratingskala, also für "trifft teilweise zu" entschieden hatten, wurden nicht berücksichtigt. Im ersten Schritt wurde mittels des Vierfeldertests die Wahrscheinlichkeit für das Vorliegen eines Zufallsbefunds ermittelt. Mittels des in der Medizin oft verwendeten Vierfeldertests kann auf relativ einfache Weise die Häufigkeit eines Merkmals in zwei unabhängigen Gruppen bzw. Aussagen verglichen und die Signifikanz der Befunde bzw. Aussagen bewertet werden.284 Ergänzend wurden im zweiten Schritt dann mit dem Chi-Quadrat-Test die Häufigkeitsverteilungen überprüft, sofern die Zufallswahrscheinlichkeit unter 5% lag. Jeder befragten Person wurden die für die Herstellung der Korrelation getroffenen zwei Aussagen sozusagen als Merkmale zugeordnet. Mit dem Chi-Quadrat-Test wurde dann die Hypothese überprüft, die beiden Merkmale seien voneinander unabhängig. Da beim Chi-Quadrat-Test nur Häufigkeiten verglichen werden, ist es bei diesen Tests letztlich egal, was als unabhängige und was als abhängige Variable angesehen wird. Aus den beiden Merkmalen Aussage 1 und Aussage 2 mit den je zwei Kategorien 284 siehe: Bühner, M.; Ziegler, M.: Statistik für Psychologen und Sozialwissenschaftler, München 2008 sowie http://www.mh-hannover.de/institute/biometrie/JUMBO/bio/vierf.html 16.08.2008 Seite 124 von 430 „Zustimmung“ und „Ablehnung“ resultierten somit vier Teilgruppen, für die man die beobachteten Häufigkeiten in eine Kreuztabelle einträgt. Die beobachtete Häufigkeit wird dann der erwarteten Häufigkeit gegenübergestellt. Der allgemein üblichen Bezeichnung folgend, habe ich einen p-Wert unter 0,05 mit "signifikant" und unter 0,01 mit "sehr signifikant" bezeichnet.285 Im Wege einer multivariaten Analyse wurde der Grad der Integration von Personalentwicklung bewertet. Dabei wurden die Werte folgender Aussagen auf dem Hintergrund der getroffenen Definition integrierter Personalentwicklung (siehe Einführung Abschnitt 0.1 Ziele des Forschungsprojekts) als Indikatoren herangezogen: Aussagen 8 Interprofessionalität und 17 berufsgruppenübergreifendes Fort- und Wei- terbildungsprogramm als Indikatoren für den Grad der interprofessionellen Ausrichtung von Personalentwicklung. Die Aussage 17 berufsübergreifendes Fort- und Weiterbildungsprogramm wurde dabei wie folgt kodiert: Ja = 4 Nein = 0. Die Aussagen 2 Leitbild und 3 klinikumsumfassendes Konzept als Indikatoren für eine klinikumsumfassende Ausrichtung der Personalentwicklung. Die Aussage 12 organisationales Lernen als Indikator für eine lern- und entwicklungsförderliche Ausrichtung der Arbeitsgestaltung. Aus der gemittelten Summe der Werte ergibt sich der "Integrationswert",286 der Aufschluss über den Grad der Integration von Personalentwicklung am jeweiligen Klinikum gibt. Die sich ergebenden Integrationswerte habe ich für die Bewertung der Entwicklungsstände der Länder und Regionen herangezogen. Darüber hinaus habe ich sie auch bei der Analyse der Experteninterviews mit den dort getroffenen Aussagen verglichen. 1.5 Validität und Reliabilität Während die methodisch erforderliche Objektivität durch den Durchführungsweg und auch in Bezug auf die Auswertung der Ergebnisse gegeben ist, kann es durch die Themenstellung impliziert eine Interpretationsobjektivität nicht geben.287 Die Reliabilität oder Zuverlässigkeit der Erkenntnisgewinnung bezieht sich auf die Stabilität und 285 siehe: Bühner, M.; Ziegler, M.: Statistik für Psychologen und Sozialwissenschaftler, München 2008 sowie: http://daten-consult.de/statistikkurs/statistik_32.html, 16.08.2008 286 Es handelt sich hier um eine von mir gewählte Begrifflichkeit, die in dieser Form sicherlich nicht verallgemeinerbar ist. Der so ermittelte "Integrationswert" ist ein begründbarer Indikator, wenn auch zweifelsohne nicht der einzig denkbare. 287 Zu Durchführungs-, Auswertungs- und Interpretationsobjektivität siehe: Schumann, S.: Repräsentative Umfrage, München, Wien 1999 Seite 29 sowie Berekhoven, L.; Eckert, W.; Ellenrieder, P.: 1999 ebenda Seite 86 Seite 125 von 430 Genauigkeit der Antworten. Sie gilt als gegeben, wenn davon ausgegangen werden kann, dass eine wiederholte „Messung“ unter gleichen Bedingungen gleiche Ergebnisse erbringt. Das Gütekriterium stammt aus der quantitativen Forschung, wird aber auch in der qualitativen Forschung in reformulierter Form als angemessen betrachtet.288 In der qualitativen Forschung werden dabei als Maßstäbe angelegt: • Es gilt, offenzulegen, welche Daten und Aussagen von den Befragten stammen und wo die Interpretation des Forschers ansetzt.289 • Die Unterlagen sind nachvollziehbar vorzuhalten. Die Fragen nach der Validität und der Reliabilität der Daten der schriftlichen Befragung wird auf diesem Hintergrund wie folgt bewertet: Die Zuverlässigkeit (Reliabilität) der Befragung ist grundsätzlich gegeben. Kritisch bleibt zu berücksichtigen, dass von keinem eindeutigen Personalentwicklungsbegriff ausgegangen werden kann, auch nicht von einem einheitlichen Begriff bei allen Befragten. Die tendenziell eher geringe Befassung mit Elementen organisationalen Lernens und von Wissensmanagement legt die Vermutung nahe, dass auch hier nicht von einem durchgehend einheitlichen Verständnis ausgegangen werden kann. Dies erscheint mir aber eher vernachlässigbar, weil die Aussage, man habe sich eher kaum oder nicht mit organisationalem Lernen und Wissensmanagement befasst, eine begriffliche Klarheit nicht voraussetzt, oder um es anders herum zu formulieren: Erst mit der Auseinandersetzung mit Phänomenen des organisationalen Lernens kann eine Begrifflichkeit hierüber erarbeitet werden. Von diesen Einschränkungen abgesehen garantiert die Standardisierung der Befragung eine angemessene Reliabilität. Die Validität als Maß der Brauchbarkeit der Forschungsmethoden ist durch die standardisierte Befragung ergänzt durch die Experteninterviews gesichert. 288 289 siehe: Knoblauch, H.: Zukunft und Perspektiven qualitativer Forschung, in: Flick, U., Kardorff, E., Steinke, I. (Hrsg.): Qualitative Forschung. Ein Handbuch, Reinbek 2000 Seite 628 siehe: Flick, U.: Qualitative Forschung. Theorie, Methoden, Anwendungen in Psychologie und Sozialwissenschaften, Reinbek 1999 Seite 243 Seite 126 von 430 2 Ergebnisse der schriftlichen Befragung 2.1 Teilnahme Befragt wurden die ranghöchsten personalverantwortlichen Funktionsträger aller Universitätsklinika Deutschlands,290 Österreichs und der Schweiz. In Deutschland gibt es 34, in der Schweiz 5 und in Österreich 4 Universitätsklinika. Die Beteiligung war hoch, sodass die Ergebnisse von hoher Relevanz sind. Teilnehmende Uniklinika 40 35 30 25 20 15 10 5 0 Deutschland Österreich Schweiz gesamt 34 4 5 Teilnehmer 30 4 5 Abbildung 15: Universitätsklinika, die an der Befragung teilgenommen haben Während die schweizerischen und österreichischen Universitätsklinika sich komplett beteiligten, waren es von den deutschen Universitätsklinika 88,24 %. Insgesamt haben 90,70 % der befragten Personen den Befragungsbogen ausgefüllt zurückgesandt. 290 Die „fusionierten“ Universitätsklinika Schleswig-Holstein und München-Großhadern wurden jeweils als ein Klinikum angesehen, die Universitätsklinika Marburg und Gießen wurden separat gezählt, da sie zum Zeitpunkt der Untersuchung noch über eine Doppelstruktur im Personalbereich verfügten. Seite 127 von 430 Innerhalb Deutschlands war die Teilnahme der Klinika nach Regionen wie folgt verteilt:291 Süd Nord292 Ost West Gesamtzahl 10 5 7 27 Teilnehmer 7 5 7 23 Tabelle 4: Teilnehmende Universitätsklinika nach Regionen 2.2 Eigene Organisationseinheit Personalentwicklung Die Frage Das Klinikum verfügt über eine eigene Organisationseinheit für Personal- entwicklung konnte mit trifft zu oder mit nein beantwortet werden. Ein Befragungsbogen kam hier ohne Angabe zurück. Während alle Universitätsklinika in Österreich und der Schweiz über eine eigene Organisationseinheit für Personalentwicklung verfügen, geben dies lediglich 37% der deutschen Universitätsklinika an. Hier zeigt sich ein erster deutlicher Unterschied zwischen den deutschen Universitätsklinika und denjenigen der südlichen Nachbarländer. Organisationseinheit Personalentwicklung 20 15 10 5 0 Uniklinika Deutschland Uniklinika Österreich Uniklinika Schweiz Trifft zu 11 4 5 Nein 18 0 0 1 0 0 kA Abbildung 16: Organisationseinheit Personalentwicklung 291 292 Da einzelne Klinika doppelt zugeordnet werden können (z.B. zur Kategorie Süd und zur Kategorie West respektive Nord und West) ergibt sich eine höhere Gesamtzahl. Der Kategorie „Nord“ wurden ausschließlich die in den alten Bundesländern liegenden nördlichen Universitätsklinika zugeordnet. Seite 128 von 430 Im innerdeutschen Vergleich fällt auf, dass von den südlichen Universitätsklinika die Frage nach der Existenz einer eigenen Organisationseinheit für Personalentwicklung nur von einem Klinikum bejaht wird, während alle fünf nördlichen Universitätsklinika über eine solche Einheit verfügen. nur Universitätsklinika Deutschland Trifft zu Nein kA Ost 2 5 0 West 9 13 1 Nord 5 0 0 Süd 1 5 1 nur Universitätsklinika Deutschland-West Tabelle 5: Organisationseinheit Personalentwicklung - Deutschland Ein nennenswerter Unterschied zwischen Ost und West ist dagegen nicht zu verzeichnen. Inwieweit sich zwischen der Existenz bzw. Nicht-Existenz einer eigenen Organisationseinheit Personalentwicklung und dem Stellenwert der Personalentwicklung am jeweiligen Klinikum und zur Verfügbarkeit ausreichender Ressourcen für Personalentwicklung eine signifikante Korrelation ergibt, wird noch dargestellt. 2.3 Grundsätze und Stellenwert Um den Stellenwert der Personalentwicklung zu erheben und zugleich festzustellen, inwieweit eine klinikumsumfassende Vorstellung von Personalentwicklung besteht, wurden nachstehende Aussagen angeboten mit der Möglichkeit, diese auf der dann codierten 5er-Skala zu bewerten:293 • Grundsätze der Personalentwicklung sind in unserem Leitbild verankert. • Es existiert ein klinikumsumfassendes Konzept der Personalentwicklung. • Der Klinikumsvorstand befasst sich regelmäßig mit Themen der Personalentwicklung. • Personalentwicklung hat am Klinikum einen hohen Stellenwert. • Es stehen ausreichend Ressourcen (Geld, Zeit, Infrastruktur) für Personalentwicklung zur Verfügung. 293 Zur Ratingskala siehe Teil II Abschnitt 1.2 Die schriftliche Befragung, zur Codierung Abschnitt 1.4 Untersuchte Korrelationen, Codierung Seite 129 von 430 • Personalentwicklung wird an unserem Klinikum in Zukunft an Bedeutung gewinnen. 2.3.1 Leitbild Bei der Aussage Grundsätze der Personalentwicklung sind in unserem Leitbild ver- ankert weichen die Mittelwerte im Ländervergleich deutlich voneinander ab. Den deutlich höchsten Wert verzeichnen die österreichischen Universitätsklinika, dort wird die Frage einmal mit trifft meist zu beantwortet, ansonsten wird bestätigt, dass die Aussage voll zutrifft. Die Mittelwerte von Deutschland und der Schweiz liegen erkennbar niedriger, wobei die Schweiz einen leicht mehr bejahenden Wert aufweist. Personalentwicklung im Leitbild verankert 5,00 4,50 4,00 3,50 3,00 2,50 2,00 1,50 1,00 0,50 0,00 4,75 3,11 3,40 3,32 Uniklinika Deutschland Uniklinika Österreich Uniklinika Schweiz Uniklinika alle Mittelwerte Abbildung 17: Personalentwicklung im Leitbild Im innerdeutschen Vergleich liegen die Mittelwerte der westdeutschen Universitätsklinika deutlich höher, als die der ostdeutschen und die der norddeutschen Universitätsklinika ebenso deutlich höher, als die der süddeutschen. Den erkennbar niedrigsten Wert weisen die ostdeutschen Universitätsklinika auf, lediglich ein Uniklinikum verfügt hier über ein Leitbild mit Bezug zur Personalenwicklung. Seite 130 von 430 Leitbild - innerdeutsche Werte 5,00 4,50 4,00 3,50 3,00 2,50 2,00 1,50 1,00 0,50 0,00 4,40 3,62 3,00 1,57 1 Mittelwerte Nord Süd Ost West Abbildung 18: Personalentwicklung im Leitbild – Deutschland An dieser Stelle will ich der Darstellung der Befragungsergebnisse einige Ausführungen zum Nutzen von Leitbildern und zu den Leitbildern an den Universitätsklinika anfügen, um dann abschließend die Ergebnisse zu dieser Frage zu bewerten. Über den Nutzen von Leitbildern lässt sich trefflich streiten. Die Managementliteratur ist voll von Artikeln zum Themenkomplex Corporate Identity, Business Mission oder einfach Leitbild und Vision. „Ein Unternehmensleitbild, so ein knackiges Mission-Statement mit einer klaren Vision und präzise aufgelisteten Werten zur magnetisierenden Orientierung aller Mitarbeiter - das ist schon etwas ganz Wichtiges für ein Unternehmen.“ So die Einschätzung eines leidgeprüften Autors, der unter der Überschrift „Dichtung und Wahrheit“ dann die Diskrepanz zwischen dem Leitbild und der Wirklichkeit einer großen Fluggesellschaft schildert.294 Die Bedeutung, die Leitbildern zugeschrieben wird, differiert allerdings erheblich. Die in der Managementliteratur durchaus weit verbreitete euphemistische Sicht sieht im Unternehmensleitbild die ausformulierte Unternehmenskultur und eine wesentliche Grundlage für die Entwicklung eines Wir-Gefühls im Unternehmen, der sogenannten Corporate Identity. Das Leitbild wird als Grundlage der Unternehmensführung verstanden, es verdeutlicht den Mitarbeitern die Hauptziele und Rahmenbedingungen 294 aus: Hendrich, F.: Das Leader-Buch, Ratschläge und Seitenhiebe für Manager, Wien 2002 Seite 111 Seite 131 von 430 für das Betriebsgeschehen. Dies wiederum sei ein Schlüssel zum Erfolg am Markt.295 Daneben geradezu ernüchternd wirkt die Feststellung eines Praktikers der Unternehmensberatung, dass keinem einzigen Leitbild, das er in seiner Praxis kennengelernt habe, eine greifbar positive Wirkung zugeschrieben werden könne. Dies liege einfach daran, „dass auch die sorgfältigste Beschreibung, wie man die Welt gerne hätte, nicht bewirkt, dass die Welt so wird. Im günstigsten Fall werden Leitbilder, Führungsgrundsätze etc. schlicht ignoriert, im ungünstigeren richten sie sogar Schaden an. […] Je umfassender, vollständiger und herzergreifender Leitsätze geraten sind, desto mickriger fällt im Vergleich dazu die Realität aus – zumal viele Führungskräfte angesichts eines Maßstabes, der ihnen einen heiligmäßigen Lebenswandel abverlangen würde, resignieren und sich gar nicht mehr um Verbesserungen bemühen.“296 Eine kritische Sicht auf die oft überzogenen Erwartungen an die Wirkungen von Leitbildern ist angesichts der zumeist doch großen Diskrepanz zur Unternehmensrealität durchaus berechtigt und auch empfehlenswert.297 Dies darf aber nicht zu dem Schluss führen, die Bedeutung von Werten und Sinnfindung in der Arbeit gleichermaßen gering zu schätzen. Im Gegenteil: Letztlich entscheiden Motivation und die erkannte Sinnhaftigkeit des Tuns in weit stärkerem Maße über Leistungsbereitschaft und Leistungsvermögen, als Lohn und Prämienzahlungen. Und Motivation und Sinn sind zugleich weit weniger von Außen beeinflussbar, als sich dies Führungskräfte bisweilen wünschen und es ihnen gerne von Consultants aller Couleur eingeredet wird. An dieser Stelle sei auf den Abschnitt Zur Theorie der Bedürfnisse und der Mo- tivation verwiesen.298 Zurück zu den Leitbildern und deren Bedeutung in dieser Arbeit. Die Bezugnahme auf die Leitbilder im Kontext der Darstellung der Personalentwicklung an den Universitätsklinika in Deutschland, Österreich und der Schweiz soll hier lediglich dazu die295 296 297 298 siehe: Wikipedia, Internetlexikon Artikel „Leitbild“ vom 18.06.2007 sowie Umwelt-Lexikon, Stichwort Leitbild in Internet: http://www.umweltdatenbank.de/lexikon/leitbild.htm ebenfalls vom 18.06.2007 siehe: Berner, W.: Leitbild und Führungsgrundsätze: Weshalb sie nichts verändern, 2002 aus: Internet http://www.umsetzungsberatung.de/unternehmenskultur/leitbild.php vom 18.06.2007 In den Experteninterviews wird auf dieses Phänomen wiederholt hingewiesen, als exemplarisch darf die Aussage gelten: Wir haben einen Satz im Leitbild, der lautet: wir am Klinikum C pflegen einen kooperativen Führungsstil und erreichen dadurch eine vertrauensvolle erfolgreiche Zusammenarbeit. Na ja, die meisten wedeln sich mit dem Kärtchen [auf dem das Leitbild abgedruckt ist] Luft zu oder so irgendwas, das heißt, das hat nicht den Stellenwert, den es haben sollte. siehe Teil III Abschnitt 1.1 Seite 132 von 430 nen, Hinweise darauf zu bekommen, inwieweit Personalentwicklung in den vorhandenen Leitbildern vorkommt. Dies wiederum soll als ein Hinweis auf die Bedeutung von Personalentwicklung am jeweiligen Universitätsklinikum verstanden werden. Die Ausführungen sollen an dieser Stelle durch Zitate aus Leitbildern der teilnehmenden Universitätsklinika illustriert werden: Universitätsklinikum 1 „Unsere Ziele verwirklichen wir durch ein enges Zusammenwirken aller Berufsgruppen und verstehen uns als Teil eines multiprofessionellen Teams. Ein kollegialer und wertschätzender Umgang miteinander ist für uns Verpflichtung. Als Beschäftigte setzen wir unsere Fähigkeiten zum Wohl des Universitätsklinikums ein. Um die Qualität unserer Arbeit zu sichern, setzen wir auf neuere Instrumente der Personalentwicklung. Wir schaffen Anreize, um die persönliche und fachliche Entwicklung der Beschäftigten nachhaltig zu fördern.“ Universitätsklinikum 2 „Wir alle sind der Schlüssel zum Erfolg, deshalb fördern und fordern wir hohe Fach- und Sozialkompetenz jedes Einzelnen.“ „Wir pflegen und vertiefen Teamarbeit und Kooperation.“ Universitätsklinikum 3 „Die berufliche und individuelle Entwicklung unserer Mitarbeiter nach deren Fähigkeiten, Fertigkeiten und Interessen ist unser Ziel“. „Fachliche, gesetzliche, ökonomische und gesellschaftliche Anforderungen verändern sich ständig. Deshalb ist es erforderlich, jedem Mitarbeiter die Möglichkeit zur Weiterentwicklung zu geben. Die berufliche und individuelle Entwicklung unserer Mitarbeiter nach deren Fähigkeiten, Fertigkeiten und Interessen ist unser Ziel. Wir streben die berufliche und individuelle Entwicklung unserer Mitarbeiter an durch: • Erkennen und Fördern der individuellen Fähigkeiten, Fach- und Führungspotential • Fachliche und fachübergreifende Weiterbildung und Berücksichtigung des betrieblichen und gesellschaftlichen Bedarfs • Übertragung von Verantwortung und Kompetenz. • Anerkennung von Leistung • Rechtzeitige und offene Korrektur • Vermittlung übergreifender Zusammenhänge und Verpflichtung auf das Gemeinwohl.“ Universitätsklinikum 4 „Personalentwicklung ist Teil unserer Hochschulstrategie das bedeutet für uns: • Personalentwicklung fördert die persönliche und berufliche Qualifikation aller Beschäftigten und vermittelt soziale, methodische und fachliche Fähigkeiten. • Personalentwicklung ist Führungsaufgabe; jedoch sind alle Beschäftigten für ihre individuelle Fort- und Weiterbildung sowie ihre berufliche Entwicklung mit verantwortlich.“ Seite 133 von 430 Universitätsklinikum 5 „Exzellente Wissenschaft braucht neue Köpfe: Die Förderung des wissenschaftlichen Nachwuchses steht bei uns im Vordergrund.“ „Ständige Qualifizierung unserer Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter durch Fort- und Weiterbildung sind Grundpfeiler der hohen Qualität in Krankenversorgung, Forschung und Ausbildung.“ Universitätsklinikum 6 „Wir richten besonderes Augenmerk auf eine professionelle Personalentwicklung.“ Universitätsklinikum 7 „Eine praxis- und zukunftsorientierte Ausbildung, regelmäßige Fortbildung sowie eine strukturierte Weiterbildung unserer Mitarbeiter sichern die Qualität im Klinikum.“ Universitätsklinikum 8 „Wir verstehen uns als lernende Organisation. Wir beteiligen uns als Lehrer und Lernende an Aus-, Weiter- und Fortbildung.“ Universitätsklinikum 9 „Ein umfassendes Personalentwicklungskonzept fördert leistungsbereite Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter in ihrer Fach- und Sozialkompetenz. Unser Bildungszentrum für Gesundheitsberufe setzt Maßstäbe durch ein innovatives und bedarfsgerechtes Schulungsangebot.“ Universitätsklinikum 10 “Als lernende Organisation überprüfen wir permanent unsere strategischen unternehmenspolitischen Positionen und Grundsätze.“ Universitätsklinikum 11 „Unser Maßstab ist fachliches Spitzenniveau als Kompetenzführer in der Region.“ „Der Maßstab des Wirkens ist das internationale fachliche Spitzenniveau. Alle Mitarbeiter sind dieser Zielstellung verpflichtet und sorgen durch eine konsequente Eigenqualifikation sowie Nutzung der Qualifizierungsangebote in und außerhalb unserer Einrichtung für die notwendigen individuellen Voraussetzungen.“ Universitätsklinikum 12 „Unsere Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter – Kapital unseres Klinikums“ „In Personalentwicklungsmaßnahmen und durch Fort- und Weiterbildung fördern wir unsere Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter individuell. … Mängel oder Fehler werden nicht als persönliches Versagen, sondern als Quelle ständiger Qualitätsverbesserung begriffen.“ Abbildung 19: Ausgewählte Auszüge aus Leitbildern von Universitätsklinika Die Auswertung der Einschätzungen der Aussage „Grundsätze der Personalentwicklung sind in unserem Leitbild verankert“ in Korrelation zu den Angaben zur Aussage „Personalentwicklung hat am Klinikum einen hohen Stellenwert“ lässt eine signifikante Korrelation erkennen: Während 50% der Befragten von Klinika mit einer Verankerung der Personalentwicklung im Leitbild den Stellenwert der Personalentwicklung in ihrem Haus tendenziell als hoch bezeichnen, sind dies bei den Befragten von Klinika ohne Leitbildverankerung lediglich 18,18%. 36,36% der Befragten von Klinika ohne Seite 134 von 430 Leitbildverankerung der Personalentwicklung schätzen den Stellenwert der Personalentwicklung in ihrem Haus als tendenziell gering ein, während kein Befragter aus Häusern mit Leitbildverankerung einen geringen Stellenwert angibt. Somit kann die Hypothese 2., nach der die Verankerung der Personalentwicklung im Leitbild eines Klinikums ein Hinweis darauf ist, dass der Stellenwert der Personalentwicklung am Klinikum tendenziell höher ist, als an Klinika, in deren Leitbild Personalentwicklung nicht genannt ist oder die über kein Leitbild verfügen, bestätigt werden. 2.3.2 Klinikumsumfassendes Personalentwicklungskonzept Die Bewertungen der Aussage Es existiert ein klinikumsumfassendes Konzept der Personalentwicklung liegen deutlich unter dem Durchschnitt. Lediglich an österreichischen Universitätsklinika zeigt sich eine leichte Tendenz, die Existenz eines umfassenden Konzepts als eher gegeben zu sehen. Auffallend ist, dass lediglich 2 Universitätsklinika die Aussage als voll zutreffend bezeichnen, während 11 sie als unzutreffend bewerten. Klinikumsumfassendes Konzept 4,00 3,50 3,00 2,50 2,00 1,50 1,00 0,50 0,00 3,75 2,33 Uniklinika Deutschland Uniklinika Österreich 2,60 2,51 Uniklinika Schweiz Uniklinika alle Abbildung 20: Klinikumsumfassendes Konzept der Personalentwicklung Im innerdeutschen Vergleich ergeben sich keine erwähnenswerten Unterschiede. 2.3.3 Interesse der Klinikumsvorstände an Personalentwicklung In der Fachliteratur ist unbestritten, dass Personalentwicklung ein wichtiges ThemenSeite 135 von 430 feld für das Topmanagement im Unternehmen sein muss. Dies wird als essentielle Voraussetzung für eine wirksame und erfolgreiche Personalentwicklung angesehen. Insofern interessiert hier zum einen, in wie weit diese Erkenntnis in die Klinikumsvorstände der Universitätsklinika als oberster operativer Führungsebene bereits Einzug gehalten hat. Zum anderen ist von Interesse, ob und in welchem Umfang das Interesse der Klinikumsvorstände an Personalentwicklung und deren Befassung mit diesem Teil des Personalmanagements Einfluss auf den Stellenwert der Personalentwicklung an den Klinika hat. Klinikumsvorstände und Personalentwicklung 3,25 3,50 3,00 2,67 2,80 2,74 Uniklinika Schweiz Uniklinika alle 2,50 2,00 1,50 1,00 0,50 0,00 Uniklinika Deutschland Uniklinika Österreich Abbildung 21: Befassung der Klinikumsvorstände mit Personalentwicklung Im Ergebnis ergeben sich auch bei der Aussage Der Klinikumsvorstand befasst sich regelmäßig mit Themen der Personalentwicklung erkennbar unterdurchschnittliche Mittelwerte. Erneut ist es den österreichischen Universitätsklinika überlassen, eine leichte Tendenz, die Aussage als eher zutreffend zu bezeichnen, aufzuweisen. Insgesamt bestätigen die Bewertungen, dass Personalentwicklung im zentralen Gremium des Topmanagements der Universitätsklinika als wichtiges Thema erst gering verankert ist. Das Thema geht zwar nicht gänzlich an den Vorständen vorbei, es wird von diesen aber auch nicht gerade als zentral und bedeutend erkannt. Dabei zeigt die Korrelation zwischen den Bewertungen der Aussagen Der Klinikums- vorstand befasst sich regelmäßig mit Themen der Personalentwicklung und Personalentwicklung hat am Klinikum einen hohen Stellenwert deutlich den in der Fachliteratur beschriebenen Zusammenhang zwischen der Bedeutung von Personalentwicklung und dem Interesse des Topmanagements. Die Zufallswahrscheinlichkeit der Seite 136 von 430 Korrelation zwischen den beiden Aussagen liegt mit 4,26% unter der Signifikanzgrenze von 5 %. Der Chi-Quadrat-Wert liegt bei 4,108, die zweiseitige Signifikanz bei 0,043, das Ergebnis ist signifikant. 75% der Befragten, die die Frage nach der regelmäßigen Thematisierung von Personalentwicklung durch den Klinikumsvorstand tendenziell eher als zutreffend bezeichnen, erkennen an ihrem Klinikum auch einen tendenziell höheren Stellenwert für Personalentwicklung. Befasst sich der Klinikumsvorstand nicht mit Themen der Personalentwicklung, wird von den Befragten in keinem Fall ein tendenziell höherer Stellenwert bescheinigt. Bei 45% der Antworten korreliert das tendenzielle NichtInteresse der Vorstände mit einem eher niedrigen Stellenwert der Personalentwicklung. 12,5 % der Befragten bewerteten den Stellenwert der Personalentwicklung trotz Befassung des Vorstandes mit Themen der Personalentwicklung als tendenziell gering. Insofern wird die Hypothese 3., dass der Stellenwert, den der Klinikumsvorstand der Personalentwicklung zumisst maßgeblich für ein umfassendes Verständnis von Personalentwicklung ist, hier bestätigt. Nicht bestätigt wird dagegen die Hypothese 4., nach der Klinika, in deren Vorstand Personalentwicklung regelmäßig thematisiert wird, auch über eine organisatorisch verankerte Personalentwicklung verfügen. Die Hälfte der Klinika, deren Vorstände sich kaum oder gar nicht mit Personalentwicklung befassen verfügen gleichwohl über eine Organisationseinheit Personalentwicklung. Im innerdeutschen Vergleich gibt es einen signifikanten Unterschied zwischen den nördlichen Universitätsklinika, deren Mittelwert mit 3,20 über dem Durchschnitt liegt und durchaus mit dem Wert der österreichischen Klinika Schritt hält, während der Mittelwert der im Süden Deutschlands beheimateten Universitätsklinika mit 2,14 deutlich nach unten ausschlägt. 2.3.4 Stellenwert der Personalentwicklung Die Bewertung der Aussage Personalentwicklung hat am Klinikum einen hohen Stel- lenwert durch die ranghöchsten Personalverantwortlichen der Universitätsklinika ergibt in Deutschland einen exakt durchschnittlichen Wert, während in Österreich und der Schweiz der Stellenwert der Personalentwicklung tendenziell als eher hoch anSeite 137 von 430 gegeben wird. Stellenwert der Personalentwicklung 4,00 3,50 3,00 2,50 2,00 1,50 1,00 0,50 0,00 3,75 3,80 3,18 3,00 Uniklinika Deutschland Uniklinika Österreich Uniklinika Schweiz Uniklinika alle Abbildung 22: Stellenwert der Personalentwicklung Im innerdeutschen Vergleich bewerten die Nord-Klinika den Stellenwert der Personalentwicklung mit 3,20 erkennbar höher, als die Süd-Klinika mit 2,57. Die Universitätsklinika in den fünf neuen Bundesländern sehen den Stellenwert mit 2,86 leicht unterdurchschnittlich, die Universitätsklinika in den alten Bundesländern mit 3,04 leicht überdurchschnittlich. Die Korrelation zwischen den Universitätsklinika, die über eine eigene Organisationseinheit für Personalentwicklung verfügen mit denjenigen, die den Stellenwert höher bewerten und denjenigen ohne eine solche Einheit mit denjenigen, die den Stellenwert niedrig bewerten, ergibt nach dem Vierfeldertest eine Zufallswahrscheinlichkeit von 27,74 %. Somit ist statistisch ein signifikanter Unterschied nicht feststellbar. Gleichwohl ist im Vergleich erkennbar: Universitätsklinika mit eigener Organisationseinheit weisen bei der Bewertung des Stellenwerts mit 3,50 einen erkennbar höheren Mittelwert auf, als diejenigen ohne entsprechende Organisationseinheit, deren Mittelwert bei 2,83 liegt. Die Zufallswahrscheinlichkeit der Korrelation zwischen der Aussage 2 Grundsätze der Personalentwicklung sind in unserem Leitbild verankert und der Aussage 5 Personalentwicklung hat am Klinikum einen hohen Stellenwert liegt mit 49,8% weit über der Signifikanzgrenze von 5 %. Insofern ist hier eine Aussage nicht möglich und die Hypothese 2 Die Verankerung der Personalentwicklung im Leitbild eines Klinikums Seite 138 von 430 ist ein Hinweis darauf, dass der Stellenwert der Personalentwicklung am Klinikum tendenziell höher ist, als an Klinika, in deren Leitbild Personalentwicklung nicht genannt ist oder die über kein Leitbild verfügen nicht möglich. Eine Gegenüberstellung der Bewertungen durch die Personalverantwortlichen nach Geschlecht zeigt, dass die männlichen Interviewten der Personalentwicklung einen erkennbar höheren Stellenwert geben, als die weiblichen. Insofern wird an dieser Stelle die Hypothese 11. „Weibliche Personalverantwortliche messen der Personalentwicklung einen höheren Stellenwert bei, als männliche“ nicht bestätigt. Aus den Unterlagen ist eine Erklärung hierfür nicht ableitbar. Die weiblichen Personalverantwortlichen sind über die verschiedenen Länder und auch innerhalb Deutschlands nicht abweichend von der Gesamtverteilung der Klinika verteilt. Stellenwert Personalentwicklung 3,30 3,26 3,25 3,20 3,15 3,10 3,05 3,00 3,00 2,95 2,90 2,85 Weiblich Männlich Abbildung 23: Vergleich Stellenwert nach Geschlecht 2.3.5 Ressourcen für Personalentwicklung Die Bewertungen der Aussage Es stehen ausreichend Ressourcen (Geld, Zeit, Infra- struktur) für Personalentwicklung zur Verfügung ist auf den ersten Blick insofern überraschend, als hier die schweizerischen Universitätsklinika in ihrer Bewertung mit einem Mittelwert von 3,80 doch deutliche Zustimmung signalisieren, während die österreichischen Klinika mit 2,75 unter dem mittleren Wert bleiben. Die deutschen Universitätsklinika bewerten die Verfügbarkeit ausreichender Ressourcen mit 2,37 deutlich unter dem mittleren Wert. Seite 139 von 430 Ressourcen für Personalentwicklung 4,00 3,50 3,00 2,50 2,00 1,50 1,00 0,50 0,00 3,80 2,75 2,37 Uniklinika Deutschland Uniklinika Österreich 2,59 Uniklinika Schweiz Uniklinika alle Abbildung 24: Verfügbarkeit von Ressourcen für Personalentwicklung Überraschend ist dieses Ergebnis in Hinblick auf die österreichischen Universitätsklinika, die für Personalentwicklung eine ansonsten eher exponierte Stellung ausweisen: Alle verfügen - wie die schweizerischen Universitätsklinika auch - über eine eigene Organisationseinheit für Personalentwicklung und bewerten auch die anderen Aussagen zu Grundsätzen und Stellenwert der Personalentwicklung eher zustimmend. Denkbar wäre hier, dass das Anspruchsniveau an den österreichischen Universitätsklinika, was den ausreichenden Einsatz von Ressourcen angeht, schlicht höher ist, als an z.B. den deutschen Universitätsklinika. Diese Annahme wird durch Äußerungen und Darstellungen in den Experteninterviews an den vier österreichischen Universitätsklinika gestützt. Auf dem Hintergrund der insgesamt eher geringen Zustimmung zu dieser Aussage ergeben sich im innerdeutschen Vergleich keine interessanten Werte. Universitätsklinika mit eigener Organisationseinheit für Personalentwicklung bewerten nicht ganz überraschend die Verfügbarkeit von Ressourcen mit 2,90 höher als diejenigen ohne Organisationseinheit mit 2,26. Die Zufallswahrscheinlichkeit der Korrelation zwischen der Aussage 1 Das Klinikum verfügt über eine eigene Organisati- onseinheit für Personalentwicklung und der Aussage 6 Es stehen ausreichend Ressourcen (Geld, Zeit, Infrastruktur) für Personalentwicklung zur Verfügung liegt mit 3,17% unter der Signifikanzgrenze von 5 %. Der Chi-Quadrat-Wert liegt bei 4,601, die zweiseitige Signifikanz bei 0,032, das Ergebnis ist signifikant. Seite 140 von 430 Die insgesamt niedrigen Werte deuten auf einen erkennbaren Nachholbedarf für Investitionen in Personalentwicklung hin. 2.3.6 Zukunftsbedeutung von Personalentwicklung Die Aussage Personalentwicklung wird an unserem Klinikum in Zukunft an Bedeu- tung gewinnen erfährt in der gesamten Befragung mit einem Mittelwert von 4,46 erkennbar die höchste Zustimmung. Am höchsten liegt die Zustimmung dabei mit 4,53 an den deutschen Universitätsklinika, in Österreich sind es 4,50 und in der Schweiz 4,00. Diese Bewertungen belegen den hohen Stellenwert, den die Personalverantwortlichen der Universitätsklinika der Personalentwicklung für die Zukunft einräumen.299 An den deutschen Universitätsklinika, die bei der Bewertung des Ist-Standes der Personalentwicklung deutlich hinter den Klinika in der Schweiz und in Österreich liegen, wird die Bedeutung für die Zukunft möglicherweise gerade deshalb besonders hoch eingeschätzt. Zukunftsbedeutung Personalentwicklung 4,60 4,50 4,40 4,30 4,20 4,10 4,00 3,90 3,80 3,70 4,53 4,50 4,46 4,00 Uniklinika Deutschland Uniklinika Österreich Uniklinika Schweiz Uniklinika alle Abbildung 25: Bedeutung der Personalentwicklung in der Zukunft Auch im innerdeutschen Vergleich bewerten diejenigen Klinika, deren Ist-Analysen einen höheren Nachholbedarf in Sachen Personalentwicklung aufweisen, die Zu299 Diese Tendenz deckt sich im Übrigen mit den Ergebnissen der in schweizerischen Unternehmen durchgeführten Prognosestudie des Instituts für Führung und Personalmanagement (I.FPM) der Universität St. Gallen, welche der Personalentwicklung nicht nur eine zunehmend steigende Bedeutung zumisst, sondern sie für die Zukunft als wichtigste Personalfunktion identifiziert: Wunderer, R.; Dick, P.: Personalmanagement – Quo vadis? 5. Auflage Köln 2007 Seite 136 Seite 141 von 430 kunftsbedeutung von Personalentwicklung tendenziell höher: Der Mittelwert an den ostdeutschen Universitätsklinika liegt bei 4,71, an den westdeutschen bei 4,48. Der Mittelwert der Süd-Klinika beträgt 4,71 und der der Nord-Klinika 4,40. Die Gegenüberstellung der Bewertungen durch die Personalverantwortlichen nach Geschlecht zeigt, dass die männlichen Interviewten der Personalentwicklung auch für die Zukunft einen höheren Stellenwert geben, als die weiblichen. Insofern wird an dieser Stelle die Hypothese 11 Weibliche Personalverantwortliche messen der Per- sonalentwicklung einen höheren Stellenwert bei, als männliche erneut nicht bestätigt. Zukunftsbedeutung Personalentwicklung 4,60 4,52 4,50 4,40 4,30 4,20 4,10 4,08 4,00 3,90 3,80 Weiblich Männlich Abbildung 26: Vergleich Zukunftsbedeutung nach Geschlecht 2.4 Interprofessionelle Zusammenarbeit Die interprofessionelle Zusammenarbeit wird neben den traditionellen Merkmalen auch von aktuellen Änderungserfordernissen geprägt. So kommt der Sachverständigenrat zur Begutachtung der Entwicklung im Gesundheitswesen in seinem Gutachten 2007 zu dem Ergebnis, dass mehrere Entwicklungen eine Anpassung der Berufsbilder erforderlich machten: „Der sich wandelnde Bedarf einer älter werdenden Gesellschaft, die hohen Anforderungen durch den Fortschritt der Medizin, die Rechtsunsicherheit bei der Aufgabenverteilung, fehlende berufliche Standards, die teilweise ineffiziente Zentrierung auf den Arzt sowie die mangelnde Ausbildung der Seite 142 von 430 Gesundheitsberufe zu einer interdisziplinären Zusammenarbeit.“300 Um ein Bild über die Zusammenarbeit der Berufsgruppen zu gewinnen, wurden zwei Aussagen zur Bewertung angeboten: • Die Personalentwicklung ist gezielt interprofessionell ausgerichtet (interprofessionell meint hier die gemeinsame Personalentwicklung von Pflege, Ärzten, Verwaltung mit der Intention, deren Zusammenarbeit gezielt zu verbessern). • Die Zusammenarbeit zwischen den Berufsgruppen verläuft weitgehend reibungsarm und konstruktiv. 2.4.1 Interprofessionelle Personalentwicklung Bei der Bewertung der Aussage Die Personalentwicklung ist gezielt interprofessionell ausgerichtet ist die Diskrepanz zwischen den deutschen Universitätsklinika und den Klinika unserer südlichen Nachbarländer augenfällig. Während die Bewertung in Österreich mit 4,00 und in der Schweiz mit 3,80 deutlich den mittleren Wert übersteigt, wird dieser mit einem Mittelwert von 2,93 an den deutschen Universitätsklinika nicht erreicht. Interprofessionelle Personalentwicklung 4,50 4,00 3,50 3,00 2,50 2,00 1,50 1,00 0,50 0,00 4,00 3,80 3,16 2,93 Uniklinika Deutschland Uniklinika Österreich Uniklinika Schweiz Uniklinika alle Abbildung 27: Interprofessionelle Ausrichtung der Personalentwicklung 300 siehe: Baden-Württembergische Krankenhausgesellschaft: BWKG Mitteilung 259/2007 vom 17.07.2007 Seite 143 von 430 Im innerdeutschen Vergleich fällt die doch erheblich unterdurchschnittliche Bewertung der ostdeutschen Universitätsklinika mit einem Mittelwert von 2,00 auf bei einem Mittelwert von 3,23 an den westdeutschen Universitätsklinika. 2.4.2 Zusammenarbeit der Berufsgruppen Die Aussage Die Zusammenarbeit zwischen den Berufsgruppen verläuft weitgehend reibungsarm und konstruktiv findet an den österreichischen Universitätsklinika mit einem Mittelwert von 3,75 die höchste Zustimmung. An den deutschen Universitätsklinika liegt der Mittelwert mit 2,89 am niedrigsten, an den schweizerischen Universitätsklinika mit 3,00 genau auf dem mittleren Wert. Die Zusammenarbeit der Berufsgruppen wurde von 8% der Befragten gar nicht bewertet. Im Ergebnis wird die Hypothese 12., nach der die Zusammenarbeit der Berufsgruppen länderspezifisch unterschiedlich bewertet wird, bestätigt. Zusammenarbeit der Berufsgruppen 4,00 3,50 3,00 2,50 2,00 1,50 1,00 0,50 0,00 3,75 2,89 Uniklinika Deutschland Uniklinika Österreich 3,00 3,00 Uniklinika Schweiz Uniklinika alle Abbildung 28: Zusammenarbeit der Berufsgruppen Auffällig im innerdeutschen Vergleich ist die deutlich unterdurchschnittliche Bewertung an den nördlichen Universitätsklinika mit 2,40, während die Zusammenarbeit der Berufsgruppen an den südlichen Universitätsklinika mit einem Mittelwert von 3,33 tendenziell eher als reibungsarm und konstruktiv bewertet wird. Das Gesamtergebnis wird durch die Experteninterviews insofern untermauert, als ich bei deren Durchführung die Erfahrung gemacht habe, dass die Problematik der Zusammenarbeit zwischen Ärzten, Pflegepersonal und Verwaltungsmitarbeitern an den Seite 144 von 430 Universitätsklinika in Österreich eher als nachrangig und in der Schweiz als nicht dominant angesehen wurde, während sie für eine ganze Reihe der Interviewpartner an den deutschen Universitätsklinika eine erkennbar bedeutende Rolle spielte. In diesem Zusammenhang wurde immer wieder auf den Ärztestreik des Jahres 2006 verwiesen, der die Zusammenarbeit stark belastet habe.301 Tendenziell bewerten die weiblichen Personalverantwortlichen mit einem Mittelwert von 3,18 die Zusammenarbeit etwas positiver, als die männlichen mit einem Mittelwert von 2,92. Die Korrelation zwischen den Aussagen Die Personalentwicklung ist gezielt interpro- fessionell ausgerichtet und Die Zusammenarbeit zwischen den Berufsgruppen verläuft weitgehend reibungsarm und konstruktiv gibt nur wenig Aufschluss über die Wirkung einer interprofessionell ausgerichteten Personalentwicklung auf die Zusammenarbeit der Berufsgruppen. Die Zufallswahrscheinlichkeit der Korrelation zwischen den beiden Aussagen liegt mit 49,71% weit über der Signifikanzgrenze von 5 %. Die Zusammenarbeit wurde von 27,78% der Klinika, die ihre Personalentwicklung eher interprofessionelle ausgerichtet haben, tendenziell als reibungsarm und konstruktiv bewertet, von Klinika ohne interprofessionelle Ausrichtung mit 23,08%. Auffälliger ist der Unterschied bei der eher negativen Beurteilung der Zusammenarbeit: Einer tendenziell eher ablehnenden Bewertung der Aussage, die Zusammenarbeit verlaufe reibungsarm und konstruktiv schließen sich nur 11,11% der Klinika mit interprofessioneller Ausrichtung an, dagegen 46,15% der Klinika ohne interprofessionelle Ausrichtung der Personalentwicklung. Man könnte hier den vorsichtigen Schluss wagen, dass eine interprofessionell ausgerichtete Personalentwicklung dazu beiträgt, besonders negativen Bewertungen der Zusammenarbeit zwischen den Berufsgruppen zu begegnen, während sie nicht automatisch zu einer überwiegend positiven Bewertung führt. Diese Interpretation ließe sich auf dem Hintergrund dessen, dass die Zusammenarbeit zwischen den Berufsgruppen von komplexen Faktoren abhängig und stark traditionell geprägt ist, vertreten. Denkbar wäre aber auch, dass die Tradition einer interprofessionellen Ausrichtung von Personalentwicklung noch recht jung ist und somit Aussagen über signifikante Auswirkungen noch nicht möglich 301 siehe hierzu Teil II Abschnitt 3.3 Deduktive Auswertung der Experteninterviews, insbesondere Abschnitt 3.2.9 Zusammenarbeit der Berufsgruppen Seite 145 von 430 sind. Die Hypothese 5., nach welcher Klinika, an denen Personalentwicklung einen hohen Stellenwert hat, die Zusammenarbeit der Berufsgruppen tendenziell positiver einschätzen, als Klinika, die der Personalentwicklung einen eher geringen Stellenwert einräumen, wird durch die Befragung unterstützt: während 60 % der Klinika, die der Personalentwicklung einen tendenziell hohen Stellenwert beimessen die Zusammenarbeit der Berufsgruppen auch als weitgehend reibungsarm und konstruktiv bewerten, bewerten 75 % der Klinika, die der Personalentwicklung einen tendenziell eher geringen Stellenwert beimessen die Zusammenarbeit der Berufsgruppen auch als tendenziell problematisch. 2.5 Führungskräfte und Personalentwicklung Den Führungskräften kommt bei der Bewältigung der komplexen Aufgaben im Krankenhaus eine zentrale Stellung zu. Sie tragen nicht nur organisatorische und Ressourcenverantwortung, ihr Verhalten prägt auch das Arbeitsklima in ihrem Verantwortungsbereich. Die Qualifikation der Führungskräfte und ihr ist ein Eckpfeiler Engagement für (oder gegen) Personalentwicklung. Zu diesem Themenfeld wurden wiederum zwei Aussagen für eine Bewertung angeboten: • Personalentwicklung ist bei uns in erster Linie Aufgabe unserer Führungskräfte [Der Fokus liegt hier insbesondere auf der oberen Führungsebene (Abteilungsleiter, Pflegedienstleitungen etc.)] • Alle Führungskräfte werden gezielt in Personalführung und –entwicklung geschult. 2.5.1 Personalentwicklung als Führungsaufgabe Die Aussage Personalentwicklung ist bei uns in erster Linie Aufgabe unserer Füh- rungskräfte wird von den Befragten hoch bewertet, am höchsten mit einem Mittelwert von 4,00 an den schweizerischen Universitätsklinika, danach mit 3,77 an den deutschen Universitätsklinika und mit 3,50 an den österreichischen. Damit wird insgesamt der wichtigen Rolle und Verantwortung der Führungskräfte für Personalentwicklung, die auch in der Fachliteratur postuliert werden, Rechnung getragen. Seite 146 von 430 Führungsaufgabe Personalentwicklung 4,10 4,00 3,90 3,80 3,70 3,60 3,50 3,40 3,30 3,20 4,00 3,77 3,77 3,50 Uniklinika Deutschland Uniklinika Österreich Uniklinika Schweiz Uniklinika alle Abbildung 29: Personalentwicklung als Führungsaufgabe Am höchsten wird die Aufgabenzuschreibung für Personalentwicklung an die Führungskräfte an den ostdeutschen Universitätsklinika mit einem Mittelwert von 4,14 bewertet, an den westdeutschen Universitätsklinika beträgt der Mittelwert 3,65. 2.5.2 Führungskräfteschulung Die Bewertung der Aussage Alle Führungskräfte werden gezielt in Personalführung und –entwicklung geschult zeigt die höchste Zustimmung an den schweizerischen Universitätsklinika mit einem Mittelwert von 3,80 gefolgt von den österreichischen mit 3,50. Tendenziell eher als nicht gegeben wird die gezielte Schulung von Führungskräften in Personalführung und –entwicklung an den deutschen Universitätsklinika mit 2,62 bewertet. Seite 147 von 430 Schulung von Führungskräften 4,00 3,50 3,00 2,50 2,00 1,50 1,00 0,50 0,00 3,50 3,80 2,87 2,62 Uniklinika Deutschland Uniklinika Österreich Uniklinika Schweiz Uniklinika alle Abbildung 30: Schulung für Führungskräfte in Personalentwicklung Einen gleichermaßen geringen Mittelwert weisen mit 2,43 die Universitätsklinika in den fünf neuen Bundesländern Deutschlands und die im Süden der Republik liegenden Universitätsklinika auf. Die Zufallswahrscheinlichkeit der Korrelation zwischen der Aussage 10 Personalent- wicklung ist bei uns in erster Linie Aufgabe unserer Führungskräfte und der Aussage 11 Alle Führungskräfte werden gezielt in Personalführung und –entwicklung geschult liegt mit 0,03% deutlich unter der Signifikanzgrenze von 5 %. Der Chi-Quadrat-Wert liegt bei 12,600, die zweiseitige Signifikanz bei < 0,001, das Ergebnis ist sehr signifikant. Lediglich 28,57% der Klinika allerdings, die Personalentwicklung tendenziell in erster Linie als Aufgabe der Führungskräfte verstehen, führen für diese Zielgruppe auch gezielte Schulungen in Personalführung und –entwicklung durch. Die Klinika, die Personalentwicklung eher nicht als Führungsaufgabe begreifen, bieten nur in geringem Umfang solche Schulungen an, 75% davon kaum oder gar nicht. Eine Gegenüberstellung der Aussage Personalentwicklung ist bei uns in erster Linie Aufgabe unserer Führungskräfte mit der gezielten Schulung der Führungskräfte im Ländervergleich zeigt an den deutschen Universitätsklinika eine deutliche Diskrepanz. Während Personalentwicklung als wichtige Führungsaufgabe postuliert wird, werden die Schulungen diesem Anspruch nicht gerecht. Anders an den Universitätsklinika in Österreich und der Schweiz. Insofern trifft die Hypothese 10., nach der die wichtige Verantwortung der Führungskräfte für Personalentwicklung zwar anerkannt wird, dieSeite 148 von 430 se hierfür aber nicht ausreichend geschult werden, nur auf die deutschen Klinika zu. Hier wird ein Handlungsbedarf deutlich erkennbar insbesondere im Hinblick auf die durchgängig hoch bewertete Zukunftsbedeutung des Themas Personalentwicklung. 2.6 Wissensmanagement und organisationales Lernen Die Bewertung der Aussage Das Thema „Wissensmanagement“ oder „organisationa- les Lernen“ spielt bei uns eine wichtige Rolle weist erneut eine deutliche Diskrepanz auf zwischen einer deutlich geringen Zustimmung an den deutschen Universitätsklinika mit einem Mittelwert von 2,21 bei durchaus hoher Zustimmung mit 3,75 an den österreichischen Universitätsklinika und einem tendenziell ebenfalls eher auf Zustimmung hinweisenden Mittelwert von 3,20 an den schweizerischen Universitätsklinika. Wissensmanagement und organisationales Lernen 4,00 3,50 3,00 2,50 2,00 1,50 1,00 0,50 0,00 3,75 3,20 2,50 2,21 Uniklinika Deutschland Uniklinika Österreich Uniklinika Schweiz Uniklinika alle Abbildung 31: Wissensmanagement und organisationales Lernen Die geringen Mittelwerte – an den süd- und ostdeutschen Universitätsklinika liegen die Mittelwerte gleichermaßen niedrig bei 1,86 – deuten darauf hin, dass die Themen Wissensmanagement und organisationales Lernen an den deutschen Universitätsklinika noch ein Mauerblümchendasein fristen. Insofern kann die Hypothese 6., Wissensmanagement und organisationales Lernen seien an Universitätsklinika kaum entwickelt, nur auf Deutschland bezogen als bestätigt gelten, während sie auf die Universitätsklinika in Österreich und der Schweiz nicht zutrifft. Seite 149 von 430 2.7 Mitarbeitergespräche mit Zielvereinbarung Die Frage nach der Durchführung von Mitarbeitergesprächen mit Zielvereinbarungen wird in zweifacher Hinsicht fokussiert: zum einen wird hier nach den drei wesentlichen Beschäftigtengruppen unterschieden und Pflegebereich, ärztlicher Bereich und Verwaltungsbereich separat erfragt, zum anderen wird danach gefragt, ob in dem jeweiligen Bereich die Gespräche klinikumsweit, punktuell oder gar nicht durchgeführt werden. Damit wird die Vergleichbarkeit mit einer 1999 durchgeführten Befragung an den deutschen Universitätsklinika hergestellt. Damals beteiligten sich 18 Personalleiter deutscher Universitätsklinika, insofern wird der Vergleich auf diese Universitätsklinika beschränkt. Mitarbeitergespräche im Pflegebereich Mitarbeitergespräche Pflegebereich in % 80% 70% 60% 50% 40% 30% 20% 10% 0% klinikumsweit Uniklinika Deutschland punktuell Uniklinika Österreich garnicht keine Angaben Uniklinika Schweiz Uniklinika alle Abbildung 32: Mitarbeitergespräche im Pflegebereich An 75% der österreichischen Universitätsklinika werden im Pflegebereich Mitarbeitergespräche mit Zielvereinbarung klinikumsweit durchgeführt, an einem Klinikum punktuell. Damit liegt Österreich deutlich an der Spitze, gefolgt von den deutschen Universitätsklinika, an denen zu 50% klinikumsweit und zu 37% punktuell im Pflegebereich solche Mitarbeitergespräche stattfinden. 3 Universitätsklinika in Deutschland geben an, im Pflegebereich Mitarbeitergespräche mit Zielvereinbarung gar nicht durchzuführen. An den schweizerischen Universitätsklinika werden je zu 40% Mitarbeitergespräche klinikumsweit und punktuell durchgeführt, ein Klinikum lieferte hier keine Angabe. Seite 150 von 430 Mitarbeitergespräche im ärztlichen Dienst Mitarbeitergespräche Ärzte in % 80% 70% 60% 50% 40% 30% 20% 10% 0% klinikumsweit Uniklinika Deutschland punktuell Uniklinika Österreich garnicht keine Angaben Uniklinika Schweiz Uniklinika alle Abbildung 33: Mitarbeitergespräche im ärztlichen Dienst In der Schweiz werden Mitarbeitergespräche mit Zielvereinbarung im ärztlichen Bereich an immerhin 40% der Klinika klinikumsweit und an 40% punktuell durchgeführt, ein Klinikum machte erneut hierzu keine Angaben. In Deutschland geben 27% der Universitätsklinika an, im ärztlichen Dienst keine Mitarbeitergespräche zu führen, 60% führen sie punktuell und lediglich 10% klinikumsweit durch. An 75% der österreichischen Universitätsklinika werden im ärztlichen Dienst Mitarbeitergespräche mit Zielvereinbarung punktuell durchgeführt, von einem Klinikum fehlt die Angabe. Seite 151 von 430 Mitarbeitergespräche in der Verwaltung Mitarbeitergespräche Verwaltung in % 80% 70% 60% 50% 40% 30% 20% 10% 0% klinikumsweit Uniklinika Deutschland punktuell Uniklinika Österreich garnicht keine Angaben Uniklinika Schweiz Uniklinika alle Abbildung 34: Mitarbeitergespräche in der Verwaltung Flächendeckend werden an österreichischen Universitätsklinika Mitarbeitergespräche mit Zielvereinbarung in der Verwaltung geführt, an 75% klinikumsweit, an 25% punktuell. Ein anderes Bild ergibt sich für die deutschen Universitätsklinika, von denen 17% angeben, dieses Führungsinstrument nicht zu nutzen. 23% führen Mitarbeitergespräche klinikumsweit und 60% punktuell. In der Schweiz geben jeweils 40% der Klinika an, solche Gespräche klinikumsweit respektive punktuell durchzuführen, ein Klinikum liefert keine Angabe. Seite 152 von 430 Mitarbeitergespräche im Vergleich – deutsche Universitätsklinika Mitarbeitergespräche Deutschland in % 70% 60% 50% 40% 30% 20% 10% 0% klinikumsweit punktuell Pflege garnicht Ärzte keine Angaben Verwaltung Abbildung 35: Mitarbeitergespräche an deutschen Universitätsklinika An den deutschen Universitätsklinika werden Mitarbeitergespräche mit Zielvereinbarung im Pflegebereich deutlich am häufigsten durchgeführt. Sie können hier als gängiges Führungsinstrument verstanden werden, an der Hälfte der Klinika finden sie flächendeckend statt. Auch für den ärztlichen Dienst und den Verwaltungsbereich geben deutlich mehr als die Hälfte der Klinika an, Mitarbeitergespräche mit Zielvereinbarung durchzuführen, hier allerdings eher in geringem Umfang klinikumsweit. Die Befragung in 1999 ergab zum damaligen Zeitpunkt erkennbar geringere Werte:302 Im Pflegebereich waren es 44% gegenüber 50% 2007, im ärztlichen Dienst gerade 5,6% gegenüber 10% und im Verwaltungsbereich 16,7% gegenüber 23%, wobei zu berücksichtigen ist, dass die damalige Befragung berufsgruppenspezifisch nicht zwischen klinikumsweiter und lediglich punktueller Durchführung unterschieden hat. In 1999 konnte als Fazit der Befragung festgestellt werden, „dass diese Managementtechnik an deutschen Universitätsklinika […] zum Alltag gehört“. Zugleich wurde auf die geringe Nutzung dieses Führungsinstruments im ärztlichen Bereich hingewiesen. Mitarbeitergespräche mit Zielvereinbarung seien hier quasi „inexistent“. Insgesamt spielten Mitarbeitergespräche mit Zielvereinbarung eine „nennenswerte 302 siehe: Jung, K.: Ist-Analyse und konzeptionelle Weiterentwicklung der Mitarbeiterführung im Krankenhausmanagement unter besonderer Berücksichtigung der Universitätsklinika, Diplomarbeit 1999 Seite 153 von 430 Rolle“ und seien „weiter ausbaufähig.“303 Die damalige Einschätzung wird durch die Befragung 2007 weitgehend bestätigt ebenso wie die Hypothesen 7. und 8.: Mitarbeitergespräche mit Zielvereinbarung haben sich an den Universitätsklinika in Deutschland weiter ausgebreitet, nach wie vor ist der Pflegebereich führend und nach wie vor besteht im ärztlichen Bereich der größte Nachholbedarf. Mitarbeitergespräche im Vergleich – österreichische Universitätsklinika Mitarbeitergespräche in Österreich in % 80% 70% 60% 50% 40% 30% 20% 10% 0% klinikumsweit punktuell Pflege garnicht Ärzte keine Angaben Verwaltung Abbildung 36: Mitarbeitergespräche an österreichischen Universitätsklinika Während 75% der österreichischen Universitätsklinika im Pflegebereich und in der Verwaltung Mitarbeitergespräche mit Zielvereinbarung klinikumsweit durchführen, wird dieses Führungsinstrument im ärztlichen Dienst zu 75% nur punktuell genutzt, für ein Uniklinikum liegen hier keine Angaben vor. Insgesamt kann von einer hohen Durchdringung an den österreichischen Universitätsklinika gesprochen werden mit Abstrichen in Bezug auf den ärztlichen Dienst. 303 siehe: Jung, K.: Diplomarbeit 1999 ebenda Seiten 58 f Seite 154 von 430 Mitarbeitergespräche im Vergleich – schweizerische Universitätsklinika Mitarbeitergespräche Schweiz in % 45% 40% 35% 30% 25% 20% 15% 10% 5% 0% klinikumsweit punktuell Pflege garnicht Ärzte keine Angaben Verwaltung Abbildung 37: Mitarbeitergespräche an schweizerischen Universitätsklinika Ein komplett homogenes Bild zwischen den Berufsgruppen weisen die Universitätsklinika in der Schweiz auf. So wurden an jedem Klinikum die Angaben für alle drei Bereiche identisch abgegeben. Auch hier kann von einer hohen Durchdringung gesprochen werden. An dieser Stelle möchte ich noch einige inhaltliche Aspekte der Mitarbeitergespräche mit Zielvereinbarung vertiefen, zumal sich aus den Experteninterviews noch einige interessante Aspekte ergaben, die an dieser Stelle ergänzend erwähnt werden sollen. So zeigt die Erfahrung der Befragten, dass dieses Führungsinstrument sorgfältig begleitet sein will und seine Zeit braucht, bis es tatsächlich wirksam wird. Schulungsangebote sowohl für Vorgesetzte, als auch für Mitarbeiter sind dabei ebenso wichtig, wie eine kontinuierliche und flächendeckende Durchführung der Mitarbeitergespräche. So erläutert eine interviewte Person: A: Mitarbeitergespräche sind bei uns Standard. Wir erfassen dann auch in der Mitarbeiterbefragung: Wie zufrieden ist man mit den Mitarbeitergesprächen, was empfindet man auch als Mitarbeiter. Wir bilden die Leute aus, sowohl die Vorgesetzten wie die Mitarbeiter. Um das Mitarbeitergespräch kommt niemand drum herum, der Chefarzt, der schlechte Quoten hat oder die Gespräche nicht führt, bekommt ein Gespräch beim Leitenden Ärztlichen Direktor. Seite 155 von 430 Eher zurückhaltend äußern sich die Befragten zu einer systematischen Beurteilung und zu einer Verknüpfung der Mitarbeitergespräche mit leistungsorientierter Bezahlung. Diese Aspekte sind in allen drei Ländern weitgehend auf die obere Führungsebene beschränkt und in Deutschland dem sogenannten außertariflichen Bereich vorbehalten. 2.8 Fort- und Weiterbildung Fort- und Weiterbildung ist zentrales Element und Instrument der Personalentwicklung. Die Befragung zielt darauf, in Erfahrung zu bringen, ob ein Fort- und Weiterbildungsprogramm besteht und ob dieses berufsgruppenspezifisch und/oder berufsgruppenübergreifend ausgerichtet ist. Auch hier wird die Vergleichbarkeit mit der 1999 durchgeführten Befragung an den deutschen Universitätsklinika hergestellt. Fort- und Weiterbildungsprogramm 120,00% 100,00% 80,00% 60,00% 40,00% 20,00% 0,00% übergreifend Uniklinika Deutschland spezifisch Uniklinika Österreich beides Uniklinika Schweiz keines Uniklinika alle Abbildung 38: Fort- und Weiterbildungsprogramm Lediglich ein Uniklinikum – es liegt in Deutschland – verfügt über kein Fort- und Weiterbildungsprogramm, weder berufsgruppenspezifisch noch berufsgruppenübergreifend. Zwei Drittel der deutschen Universitätsklinika haben ein berufsgruppenübergreifendes Fort- und Weiterbildungsprogramm, in Österreich und der Schweiz haben dies alle Universitätsklinika. In Deutschland haben 63% der Klinika sowohl ein übergreifendes als auch ein berufsgruppenspezifisches Programm, in Österreich 75% und in der Schweiz haben alle Klinika neben einem übergreifenden auch ein berufsSeite 156 von 430 gruppenspezifisches Fort- und Weiterbildungsprogramm. In 1999 ergab die Befragung an den deutschen Universitätsklinika, dass lediglich 22,22 % über ein berufsgruppenübergreifendes Fort- und Weiterbildungsprogramm verfügten, 83,33% aber über ein berufsgruppenspezifisches Programm. Der Trend zeigt eindeutig eine verstärkte Implementierung gemeinsamer Fort- und Weiterbildungsprogramme, was als wichtiger Schritt hin zu einer stärkeren Integration dieser wichtigen Säule der Personalentwicklung zu interpretieren ist. Die eher pessimistische Annahme der Hypothese 9., berufsgruppenübergreifende Fort- und Weiterbildung stelle noch die Ausnahme dar, darf als widerlegt gelten. 2.9 Der Grad der Integration von Personalentwicklung Aus den Bewertungen der Aussagen • Grundsätze der Personalentwicklung sind in unserem Leitbild verankert, • Es existiert ein klinikumsumfassendes Konzept der Personalentwicklung, • Die Personalentwicklung ist gezielt interprofessionell ausgerichtet, • Es gibt ein berufsgruppenübergreifendes Fort- und Weiterbildungsprogramm, • Das Thema „Wissensmanagement“ oder „organisationales Lernen“ spielt bei uns eine wichtige Rolle wurde als Mittelwert der Integrationswert ermittelt, der Auskunft über den Grad der Integration von Personalentwicklung gibt.304 304 siehe auch Teil II Abschnitt 1.3 Hypothesen und Vermutungen zum Untersuchungsgegenstand Seite 157 von 430 Integrationswert 4,50 4,05 4,00 3,50 3,08 3,00 2,65 2,85 2,50 2,00 1,50 1,00 0,50 0,00 Uniklinika Deutschland Uniklinika Österreich Uniklinika Schweiz Uniklinika alle Abbildung 39: Grad der Integration der Personalentwicklung Die österreichischen Universitätsklinika weisen den höchsten Grad einer integrierten Personalentwicklung auf, mit deutlichem Abstand gefolgt von den schweizerischen Universitätsklinika. Dann folgen erneut mit deutlichem Abstand die deutschen Universitätsklinika. Im innerdeutschen Vergleich weisen die ostdeutschen Universitätsklinika mit 2,17 den tiefsten Wert aus, die westdeutschen Klinika liegen bei 2,80. Die nördlichen Universitätsklinika liegen mit einem Wert von 3,12 in etwa auf schweizerischem Niveau während die süddeutschen Universitätsklinika mit 2,54 einen unterdurchschnittlichen Integrationswert ausweisen. In der Einzelbetrachtung schwanken die Werte zwischen 1,40 eines süddeutschen Uniklinikums und 4,80 eines österreichischen Uniklinikums. Der höchste Wert eines deutschen und eines schweizerischen Uniklinikums liegt bei jeweils 4,40. Der niedrigste Wert eines österreichischen Klinikums liegt mit 3,60 noch deutlich über den Mittelwerten der Schweiz und Deutschlands. Der tiefste Wert eines schweizerischen Klinikums beträgt 1,80. Abschließend soll die Haltbarkeit der Hypothese 1. noch bewertet werden: „Es werden Unterschiede in Bezug auf die abgefragten Grundlagen und Maßnahmenfelder von Personalentwicklung sowie in Bezug auf den Stellenwert von Personalentwicklung zwischen den Ländern Österreich, Schweiz und Deutschland vermutet. Ebenso werden solche Unterschiede innerhalb Deutschlands zwischen den Regionen Ost und West sowie zwischen Universitätsklinika im Norden und im Süden der alten Seite 158 von 430 Bundesländer vermutet.“ Grundsätzlich kann dem zugestimmt werden. Insbesondere in der Gesamtschau ergibt sich in Sachen Personalentwicklung ein deutlicher Vorsprung der Universitätsklinika in Österreich und in der Schweiz vor den deutschen Klinika. Innerhalb Deutschlands wird die Bedeutung von Personalentwicklung an den norddeutschen Klinika deutlicher gesehen, als im Süden. Die Probleme sind im Norden aber auch deutlicher erkennbar. Dieser Eindruck wird durch die Experteninterviews bestätigt. Ähnlich verhält es sich im Verhältnis zwischen Ost und West: den erkennbar größten Nachholbedarf in Sachen integrierte Personalentwicklung weisen die Universitätsklinika in den neuen Bundesländern auf. Seite 159 von 430 Seite 160 von 430 3 Die Experteninterviews 3.1 Wissenschaftliche Basis für die Durchführung der Experteninterviews 3.1.1 Methodologische Einordnung und Definition Die überschaubare Methodendebatte über Experteninterviews ist noch relativ jung.305 Das Experteninterview ist den qualitativen Erhebungsmethoden zuzuordnen. Es ist innerhalb des qualitativen Paradigmas nicht allgemein anerkannt. Gleichwohl dienen Leitfadengespräche in der empirischen Sozialforschung immer wieder als Ergänzung und zur Validierung anderer Forschungsinstrumente und als eigenständiges Instrument qualitativer Sozialforschung.306 Das Experteninterview ist eine Variante des Leitfadeninterviews, spezifisch ist insofern nicht die Methode, sondern die Zielgruppe der Experten. Die leitfadenorientierte Gesprächsführung entspricht hierbei dem thematisch eingegrenzten Forschungsinteresse einerseits und dem Expertenstatus der Interviewpartner andererseits. Das Leitfadeninterview ist die ökonomisch sinnvolle Art, konkrete Aussagen und Daten zu erhalten. Die Vergleichbarkeit der Texte wird hergestellt, durch die Fragen entsteht eine Struktur, das Interview wird gesteuert. 307 Die Definitionen von Experteninterview in der Methodenliteratur variieren erheblich. Einen dezidiert qualitativ orientierten Ansatz auf theoretisch anspruchsvollem Niveau fundieren Michael Meuser und Ulrike Nagel. 308 Der Experte wird durch das Forschungsinteresse definiert. Experte zu sein ist insofern kein absoluter, sondern ein relationaler Status. Er gilt für den definierten Wirk305 Bogner u. Menz verorten den Beginn der Methodendebatte, die sich ausführlich und explizit mit Experteninterviews befasst, auf ca. 1995, übersehen dabei allerdings die frühe Arbeit von Meuser und Nagel aus 1991 (siehe unten). Siehe: Bogner, A.; Menz, W.: Expertenwissen und Forschungspraxis: Die modernisierungstheoretische und die methodische Debatte um die Experten, in: Bogner, A.; Littig, B.; Menz, W. (Hrsg.): Das Experteninterview, 2. Auflage, Wiesbaden 2005 Seite 17 306 siehe: Schnell, R.; Till, P.; Esser, E.: 2008 ebenda Seite 387 307 siehe: Mayer, H.: Interview und schriftliche Befragung, 3. Auflage, München, Wien 2006 Seite 36 308 erstmals 1991 in dem Artikel ExpertInneninterviews – vielfach erprobt, wenig bedacht. Ein Beitrag zur qualitativen Methodendiskussion, in: Garz, D.; Kraimer, K. (Hrsg.): qualitativ empirische Sozialforschung. Konzepte, Methoden, Analysen. Opladen Seiten 441 bis 471. Weitere Arbeiten hierzu sind: Expertenwissen und Experteninterview, in: Hitzler, R.; Honer, A.; Maeder, Ch. (Hrsg.): Expertenwissen. Die institutionalisierte Kompetenz zur Konstruktion von Wirklichkeit, Opladen 1994 Seiten 180 bis 192 sowie: Das ExpertInneninterview – wissenssoziologische Grundlagen und methodische Durchführung, in: Friebertshäuser, B.; Prengel, A. (Hrsg.): Handbuch qualitative Forschungsmethoden in der Erziehungswissenschaft, Weinheim, München 1997 Seiten 481 bis 491 Seite 161 von 430 lichkeitsausschnitt, auf den das Forschungsinteresse zielt, hier also auf die Betrachtung von Personalentwicklung an Universitätsklinika in Deutschland, Österreich und der Schweiz. Das Expertenwissen wird dabei u. a. definiert als überblicksartigen, spezifischen Typus von Problemlösungswissen, welches man braucht, um Ursachen von Problemen und Grundsätze von Problemlösungen zu erkennen.309 Auch im Nachgang zu den durchgeführten insgesamt 18 Experteninterviews erweist sich die Definition von Bogner und Menz, der ich nun folgen möchte, als hilfreich und stimmig:310 "Der Experte verfügt über technisches, Prozess- und Deutungswissen, das sich auf sein spezifisches, professionelles oder berufliches Handlungsfeld bezieht. Insofern besteht das Expertenwissen nicht allein aus systematisiertem, reflexiv zugänglichem Fach- oder Sonderwissen, sondern es weist zu großen Teilen den Charakter von Praxis- oder Handlungswissen auf, in das verschiedene und durchaus disparate Handlungsmaximen und individuelle Entscheidungsregeln, kollektive Orientierungen und soziale Deutungsmuster einfließen. Das Wissen des Experten, seine Handlungsorientierungen, Relevanzen usw. weisen zudem – und das ist entscheidend – die Chance auf, in der Praxis in einem bestimmten organisationalen Funktionskontext hegemonial zu werden, das heißt, der Experte besitzt die Möglichkeit zur (zumindest partiellen) Durchsetzung seiner Orientierungen. Indem das Wissen des Experten praxiswirksam wird, strukturiert es die Handlungsbedingungen anderer Akteure in seinem Aktionsfeld in relevanter Weise mit." Das systematisierte Experteninterview fokussiert auf das exklusive Expertenwissen, auf Erfahrungs- und Handlungswissen, das beim Experten als reflexiv verfügbar und auch kommunizierbar vermutet wird. Hier erfolgt die Interviewführung strukturiert anhand eines ausdifferenzierten Leitfadens, nicht zuletzt um die Vergleichbarkeit der erhobenen Daten zu gewährleisten. Das theoriegenerierende Experteninterview zielt darüber hinaus "auf die kommunikative Erschließung und analytische Rekonstruktion der ‚subjektiven Dimension’ des Expertenwissens. Subjektive Handlungsorientierungen und implizite Entscheidungsmaximen der Experten aus einem bestimmten fachlichen Funktionsbereich" stehen 309 siehe: Pfadenhauer, M.: Auf gleicher Augenhöhe reden. Das Experteninterview – ein Gespräch zwischen Experte und Quasiexperte, in: Bogner, A.; Littig, B.; Menz, W. (Hrsg.): 2005 ebenda Seite 115 310 siehe: Bogner, A.; Littig, B.; Menz, W. (Hrsg.): 2005 ebenda Seite 46 Seite 162 von 430 hier im Zentrum des Interesses.311 Jedes Interview erfasst somit die soziale Wirklichkeit nur ausschnittsweise, liefert aber gleichwohl Aussagen über diese soziale Wirklichkeit.312 Für mein Forschungsvorhaben habe ich mich neben dem systematisierenden Experteninterview auch für die Nutzung von Elementen des theoriegenerierenden Interviews entschieden. Dabei verfolge ich die Intention, Einstellungen, Wissen und Handlungsstrukturen der Experten zu generalisieren und Aussagen zu treffen, die auch für entsprechende gleich liegende Handlungssysteme Geltung beanspruchen können.313 Es gilt somit, die Frage zu beantworten: Welche Eigenschaften, Konzepte oder Kategorien bestimmen und beeinflussen Personalentwicklung im Krankenhaus, welche normativen Vorstellungen liegen welchen Handlungsstrukturen zugrunde? 3.1.2 Forschungsfrage und Auswahl der Expertengruppe An dieser Stelle sei noch einmal ausgeführt:314 Das Forschungsprojekt dient zum einen der Erhebung des Ist-Standes der Personalentwicklung an den Universitätsklinika in Deutschland, Österreich und der Schweiz. Zum zweiten sollen die Perspektiven der Personalentwicklung in den nächsten Jahren insbesondere in Bezug auf eine integrierte Ausrichtung diskutiert werden. Die Integration wird dabei auf drei Ebenen bzw. in drei Feldern definiert und untersucht: 1. Stand und Perspektiven einer interprofessionell ausgerichteten, die tradierten berufsständischen Grenzen überwindenden Personalentwicklung, 2. Möglichkeiten und Grenzen eines unternehmensweiten, für das jeweilige gesamte Klinikum geltenden Konzepts von Personalentwicklung und 3. Möglichkeiten und Grenzen von Personalentwicklung am Arbeitsplatz durch Schaffung eines lern- und entwicklungsförderlichen Arbeitsumfeldes. Hier soll auch die Tauglichkeit der Anwendung von Elementen organisationalen Lernens geprüft werden. 311 312 313 314 siehe: Bogner, A.; Menz, W.: Das theoriegenerierende Experteninterview. Erkenntnisinteresse, Wissensformen, Interaktion, in: Bogner, A.; Littig, B.; Menz, W. (Hrsg.): 2005 ebenda Seite 38 siehe: Atteslander, P.; Cromm, J.: 2008 ebenda Seite 160 siehe: Meuser, M.; Nagel, U.: ExpertInneninterviews – vielfach erprobt, wenig bedacht, in: Bogner, A.; Littig, B.; Menz, W. (Hrsg.): 2005 ebenda Seite 77 wie in der Einführung unter 0.1 bereits ausgeführt Seite 163 von 430 Es geht somit beim Begriff integrierte Personalentwicklung um integrierend zwischen den Berufsgruppen, um integrierend in Bezug auf das Gesamtunternehmen Krankenhaus und um integrierend in den Arbeitsalltag. Aus der Verzahnung dieser drei Ebenen soll eine nachhaltige Wirkung erzielt werden, die weder durch berufsständische Grenzkonflikte noch durch lediglich partielle Wirkungskreise und arbeitsalltagferne Ausrichtung konterkariert wird. Integrierte Personalentwicklung Interprofessionelle Personalentwicklung Klinikumsumfassende Personalentwicklung Lern- und entwicklungsförderliche Arbeitsgestaltung Ist/Heute Soll/Zukunft Abbildung 40: Ebenen integrierter Personalentwicklung Mit den Experteninterviews ziele ich zum einen darauf, über die Interviewtexte hinweg Gemeinsamkeiten herauszufiltern, gemeinsam geteilte Wissensbestände, Relevanzstrukturen, Deutungsmuster und repräsentative Aussagen zu beschreiben. Dabei wird die Vergleichbarkeit der Texte durch einen gemeinsamen institutionellen und professionellen Kontext der Experten gesichert. Zum zweiten sollen dann aber auch eher untypische und originelle Lösungsansätze beschrieben werden. Ich habe die hierarchisch ranghöchsten Personalverantwortlichen der Universitätsklinika als für das Forschungsvorhaben zweckdienliche Expertengruppe identifiziert und bin dabei von nachstehenden Überlegungen ausgegangen: Die Forschungsfragestellung und der methodische Ansatz machen die personalverantwortlichen Funktionsträger an den Universitätsklinika zu Experten. Sie werden aber auch dem sozial repräsentationalen Ansatz gerecht, nach welchem eine Person durch das soziale Umfeld, sozusagen gesellschaftlich zum Experten gemacht wird, weil er eben als solcher angesehen wird. Die Zuschreibung der Expertise in PersoSeite 164 von 430 nalentwicklung für die obersten Personalverantwortlichen in Großkrankenhäusern leitet sich dabei u. a. aus der Zuordnung der Verantwortung für Personalentwicklung beim Personalmanagement von großen Unternehmen aller Branchen ab. Dass sich bei einigen wenigen Interviewpartnern dann gezeigt hat, dass Wissen und Erfahrung zu Personalentwicklung doch eher marginal vorhanden waren, vermag die funktionale Zuschreibung nicht in Frage zu stellen, sondern ist eher als Zeichen dafür zu werten, dass Personalentwicklung an Universitätsklinika nicht in dem Maße entwickelt ist, wie in größenvergleichbaren Industrieunternehmen. Hier differiert eben die gesellschaftliche Zuschreibung als Träger von spezifischem Wissen von der tatsächlich gegebenen Wissensstruktur und -form des einzelnen Experten. Ausgehend von der gewählten Definition des Expertenbegriffs erfüllen letztlich die hierarchisch ranghöchsten Personalverantwortlichen der Universitätsklinika alle Kriterien: Sie verfügen grundsätzlich über technisches, Prozess- und Deutungswissen zu Personalmanagement in Großkrankenhäusern. Die Interviews belegen eindrücklich das Erfahrungs- und Handlungswissen und auch die durchaus zum Teil widersprüchlichen Handlungsmaximen. Sie sind auch insofern forschungsrelevant, als sie potenziell in der Lage sind, ihre besonderen Deutungen in der Personalarbeit des jeweiligen Klinikums durchzusetzen. Im Vorfeld der Auswahl des Personenkreises wusste ich dabei durchaus aus eigener Anschauung und durch erste Kontakte zu den entsprechenden Verantwortlichen, dass deren Wirkmächtigkeit sehr unterschiedlich ausgeprägt ist. Die Bandbreite reicht von einem rein auf eine bürokratisch reibungslose Personaladministration ausgerichteten Verständnis von Personalarbeit bis zum proaktiven, handlungs- und durchsetzungsfähigen Personalmanager, der alle Felder der Personalarbeit besetzt und gestaltet. Im Laufe der Untersuchung sollte sich dann zeigen, dass mit zwei Ausnahmen alle Interviewpartner über ein erkennbar hohes Maß an Spezialwissen zu Personalentwicklung verfügten, die Durchsetzungsfähigkeit in ihrer Stärke aber durchaus stark differierte. Letztlich bestätigten die Interviews dann auch die Vermutung, dass die in der Hierarchie eines Universitätsklinikums am höchsten angesiedelten gesamtpersonalverantwortlichen Funktionsträger insofern wirkmächtig sind, als sie als Motor oder auch als Bremser einer systematischen und integrierten Personalentwicklung wirken. Für zwei der durchgeführten Experteninterviews standen mir nicht die ranghöchsten Seite 165 von 430 personalverantwortlichen Funktionsträger zur Verfügung, sondern die Leiter der Stabsstelle bzw. Abteilung Personalentwicklung. Diese beiden Interviews habe ich im Rahmen der Inhaltsanalyse bei der deduktiven Kategorienanwendung herangezogen, bei der induktiven Kategorienanwendung dann aber nicht mehr verwendet. Dies erscheint mir angezeigt, weil damit der Sachgehalt und die themenbezogene Information verarbeitet wurden. Zugleich gehe ich davon aus, dass auf dem Hintergrund der unterschiedlichen hierarchischen Stellung, des deutlich differierenden Verantwortungsumfangs und der tendenziell eher wenig gegebenen Wirkmächtigkeit diese beiden Interviews für eine vergleichende Betrachtung tiefer gehender Inhalte ungeeignet sind. In einer Diplomarbeit 1999 zum Thema "Personalführung an Universitätsklinika" hatte ich seinerzeit eine Befragung auch bei den Pflegedienstleitungen und Personalratsvorsitzenden durchgeführt. Insofern lag nahe, im Vorfeld zu prüfen, ob diese ebenfalls als Experten in Frage kommen. Bei beiden habe ich diesen Gedanken verworfen. Bei den Funktionsträgern des Pflegedienstes war hierfür die Überlegung maßgebend, dass dort die institutionelle und personelle Verantwortung per se berufsständisch und somit zu eng ausgerichtet ist. Bei den Personalräten muss ich davon ausgehen, dass sie letztlich allenfalls in Ausnahmefällen über Expertise in Personalentwicklung verfügen und es auch an der Wirkmächtigkeit fehlt. Die Vorstände habe ich außen vor gelassen, weil deren zentrales Interesse in anderen Themenfeldern liegt. Die Experteninterviews zielen nicht allein auf die Erhebung des Wissens, von themen- und forschungsrelevanten Informationen, sondern auch auf das Deutungswissen der befragten Akteure. Insbesondere letzteres ist – so meine Annahme vorab, die sich während der Untersuchung bestätigt hat – durchaus für die Praxis der Personalarbeit am Universitätsklinikum von hoher Relevanz. Bei einem reinen Rekurrieren auf Wissen und Informationen wären Interviews mit Personalberatern und Mitarbeitern von Stabsstellen für Personalentwicklung möglicherweise ergiebiger gewesen. Diesen fehlt aber in entscheidendem Maße die soziale Wirkmächtigkeit, die Möglichkeit, aus der hierarchisch exponierten Funktion heraus tatsächlich ihr Wissen in Handlung auch anderer Akteure umzusetzen. Seite 166 von 430 Das Ziel der Erhebung "sachdienlicher Informationen"315 und von "Deutungswissen" ist letztlich mit der Fokussierung auf die hierarchisch obersten Personalverantwortlichen der Universitätsklinika wirksam verfolgt. 3.1.3 Die Samplingstruktur Eine Festlegung der Stichprobe vor Beginn der Befragung war insofern erschwert, als in der Befragung selbst die Bereitschaft, für ein Experteninterview zur Verfügung zu stehen, erst abgefragt werden musste. Auf dem Hintergrund des Forschungsinteresses, einen Ländervergleich zwischen Deutschland, Österreich und der Schweiz herauszuarbeiten, war es zwingend, in der Stichprobenbildung alle drei Länder zu berücksichtigen. Angesichts der historisch sehr unterschiedlichen Entwicklung erschien es mir darüber hinaus wichtig, Repräsentanten aus Universitätsklinika der neuen Bundesländer dabei zu haben. Ein weiteres Kriterium war eine angemessene Vertretung weiblicher und männlicher Interviewpartner. Auch sollten innerhalb der alten Bundesländer Klinika aus dem Süden und Klinika aus dem Norden vertreten sein, da in der Krankenhauslandschaft immer wieder von dem so genannten Nord-Süd-Gefälle die Rede ist. Damit wird letztlich das Phänomen beschrieben, dass sich die wirtschaftliche Entwicklung der Universitätsklinika im Süden deutlich besser darstellt, als die der im Norden angesiedelten Klinika. Inwieweit und in welchem Umfang die Interviewpartner über themenrelevantes Wissen und eine entsprechende Erfahrung verfügten, war nur in zwei Fällen für mich vorab erkennbar. Es handelte sich um zwei Personen, die ganz neu als Branchenfremde in die personalverantwortliche Funktion an ihrem Klinikum gekommen waren. Beide habe ich bei der Stichprobenbildung folglich nicht berücksichtigt. 315 nach: Deeke, A.: Experteninterviews – ein methodologisches und forschungspraktisches Problem, in: Brinkmann, C.; Deeke, A.; Volkel, B. (Hrsg.): Experteninterviews in der Arbeitsmarktforschung. Diskussionsbeiträge zu methodischen Fragen und praktischen Erfahrungen. Beiträge zur Arbeitsmarkt- und Berufsforschung 191, Nürnberg 1995 Seite 167 von 430 Letztlich ergab sich dann folgende Samplestruktur: Interviewte 316 Gesamtzahl Perso- nen männlich weiblich männlich weiblich Österreich 2 2 2 2 Schweiz 2 3 1 1 22 8 9 3 Deutschland Tabelle 6: Samplestruktur im Ländervergleich Für Deutschland ergab sich ein differenziertes Sampling wie folgt: Interviewte Gesamtzahl Per- sonen männlich weiblich männlich weiblich D Ost 4 2 1 1 18 6 8 2 Nord 4 1 4 0 Süd 7 2 2 1 D West davon Tabelle 7: Samplestruktur deutsche Universitätsklinika Von den Interviewten hatten bei der Befragung 13 angegeben, dass ihr Klinikum über eine eigene Organisationseinheit Personalentwicklung verfügt, fünf hatten diese Frage verneint. Die Stichprobenbildung erwies sich im Hinblick auf das Ziel der Untersuchung als ausreichend und auch unter ökonomischen Gesichtspunkten als vertretbar. Durch das gewählte Sampling ist die Heterogenität falltypologisch repräsentiert. Spätestens das Interview mit dem „Nachzügler“ zeigte im Ergebnis dann auch, dass sich keine neuen Informationen mehr ergaben, die Stichprobe insofern also als saturiert betrachtet werden darf.317 316 317 Gesamtzahl der an der Befragung beteiligten Personen siehe auch: Helfferich, C.: Die Qualität qualitativer Daten, 2. Auflage, Wiesbaden 2005 Seiten 154f sowie Merkens, H.: Auswahlverfahren, Sampling, Fallkonstruktion. In: Flick, U.; von Kardorff, E.; Steinke, I. (Hrsg.): Qualitative Forschung, Reinbek 2000 Seiten 286 bis 299 Seite 168 von 430 3.1.4 Durchführung der Interviews Über den Leitfaden habe ich meine Experteninterviews stark auf das Thema Personalentwicklung an Universitätsklinika strukturiert. Gleichwohl habe ich keine rein argumentativ diskursive Gesprächsführung gewählt, sondern mich dafür entschieden, innerhalb der abgegrenzten Themenstellung Personalentwicklung im Krankenhaus weitgehend den Interviewpartnern das Wort zu überlassen und mich auf eine suspensive Haltung festgelegt. Für mich war schwer abschätzbar, ob eine für das Forschungsvorhaben ausreichende Zahl von Experten die Bereitschaft zeigen würde, ihr Wissen und ihre Erfahrungen preiszugeben. Die Befürchtung, dies könne nicht so sein, hat sich nicht bestätigt. Die Interviews konnten überwiegend in einer offenen Atmosphäre geführt werden, die meisten Interviewten zeigten wenig Scheu, auch Defizite in der Personalentwicklung zu benennen und auf eigene Versäumnisse hinzuweisen. Meine Rolle war die eines Co-Experten, die Kommunikationsstruktur war symmetrisch ausgerichtet, die Fragestellungen des strukturierten Leitfadens zielten in erster Linie auf das Fachwissen meines Gegenüber und ermöglichten ihm eine engagierte und argumentative Gesprächsführung, ohne dass die Interviews – mit Ausnahme weniger Passagen – dadurch ausgesprochen diskursiv wurden. Die Interviews waren in Bezug auf die Kommunikationsregeln und damit auch in Bezug auf die Erwartungen der Interviewten von der im betrieblichen Alltag prägenden Frage-AntwortStruktur dominiert.318 Nahezu ausschließlich hatte ich den Eindruck, dass die Interviewten in mir weniger den von reinem Erkenntnisinteresse geleiteten Wissenschaftler sahen, als vielmehr den Kollegen Personalleiter. Die Interviews wurden in der Zeit vom 23. Juli 2007 bis zum 12. September 2007 durchgeführt. Ein Pre-Interview wurde am 27. Juni 2007 und ein "Nachzügler" am 7. März 2008 durchgeführt. Letzteres war mir wichtig, um aus der Schweiz zwei Interviews zu bekommen. Die doch recht lange Zeitspanne ist dem hohen logistischen Aufwand geschuldet. Da in dieser Zeit keine rechtlichen oder tatsächlichen Bege318 Insofern kann die Darstellung von Trinczek bestätigt werden, dass Experteninterviews mit Managern innerhalb des Spektrums eingeübter betrieblicher Alltagssituationen verankert sind. Siehe: Trinczek, R.: Wie befrage ich Manager? Methodische und methodologische Aspekte des Experteninterviews als qualitativer Methode empirischer Sozialforschung, in: Bogner, A.; Littig, B.; Menz, W. (Hrsg.): 2005 ebenda Seite 216 Seite 169 von 430 benheiten zu verzeichnen waren, die Einfluss auf das Personalmanagement der Universitätsklinika hätten haben können, hatte die Zeitspanne keinen Einfluss auf das Ergebnis. Das Pre-Interview fand in meinem Büro statt, nahezu alle anderen Interviews an den jeweiligen Arbeitsstätten der Interviewten, zumeist in deren Büro, einmal in einem Aufenthaltsraum. Zwei Interviews wurden am Rande von Kongressen in einem Hotelzimmer aufgenommen. Alle Interviews habe ich persönlich durchgeführt und digital aufgezeichnet. Die Dauer der Interviews lag zwischen 10 Minuten 36 Sekunden und 47 Minuten 39 Sekunden. Im Durchschnitt dauerte ein Interview 30 Minuten 14 Sekunden. Bei den beiden Interviews an ostdeutschen Universitätsklinika waren jeweils zwei Personen zugegen. Es waren diese neben dem personalverantwortlichen Funktionsträger noch je eine Mitarbeiterin der Personalabteilung, die im Laufe des Interviews in einem Fall selbst gar nichts sagte. Im zweiten Fall brachte sich die Mitarbeiterin aktiv in das Gespräch ein. 3.1.5 Analyse und Bewertung Das Wissen der Experten in Form der "sachdienlichen Information" wird in enger Koppelung mit den Ergebnissen der Befragung in Teil II Abschnitt 3.2. Deduktive Auswertung der Experteninterviews dargestellt. Über die Erhebung des Expertenwissens hinaus gilt die Analyse aber auch den Argumentations- und Legitimationsmustern, den Motiven, Werthaltung und Deutungen der Interviewpartner. Der Expertenstatus ist von der Subjekthaftigkeit letztlich nicht wirklich zu trennen.319 Hilfreich ist hier in Anlehnung an die wissenssoziologische Diskursanalyse die Annahme, "dass alles, was wir wahrnehmen, erfahren, spüren über sozial konstruiertes, typisiertes, in unterschiedlichen Graden als legitim anerkanntes und objektiviertes Wissen (Bedeutungen, Deutungs- und Handlungsschemata) vermittelt wird."320 319 siehe: Bogner, A.; Menz, W.: Expertenwissen und Forschungspraxis: Die modernisierungstheoretische und die methodische Debatte um die Experten, in: Bogner, A.; Littig, B.; Menz, W. (Hrsg.): 2005 ebenda Seite 15 320 nach: Keller, R.: 2007 ebenda Seite 57 Seite 170 von 430 Im Fokus der Experteninterviews steht gleichwohl nicht die Gesamtperson des Befragten, sondern der spezifische organisatorische und institutionelle Zusammenhang mit der Folge, dass die individuellen Erfahrungen in der Funktion des Personalverantwortlichen im Mittelpunkt meiner Interviews stehen. Dabei kommt es mir eben nicht allein auf den (vermeintlichen) Sachgehalt der Schilderungen und Äußerungen der Befragten an, sondern ebenso auf die individuelle Einstellung zur Personalentwicklung, auf das dahinterliegende Menschenbild und die eigene Rollenwahrnehmung. Ich ziele einerseits auf das gemeinsam geteilte Wissen der Experten, auf ihre den Einzelfall übergreifenden Relevanzstrukturen. Andererseits sollen aber auch abweichende Erfahrungen, Haltungen und Deutungen dargestellt und analysiert werden, sofern sie von besonderer Relevanz für die Thematik Personalentwicklung sind. Die Fachliteratur durchzieht der Streit darüber, ob letztlich die Perfektionierung des einem Interview zu Grunde liegenden Fragebogens über die Validität und Qualität der erhobenen Daten entscheidet oder ob der Sinn von Interviews nur im je individuellen Kontext einer ganz bestimmten sozialen Situation verstehbar wird. Beiden Extrempositionen kann bis dato eine ausreichende theoretische Fundierung nicht bescheinigt werden.321 Die in der Fachliteratur propagierte Vorstellung einer möglichst störungsfreien Interviewsituation mit einem neutralen, weitgehend "unsichtbaren" Interviewer ist (nicht nur) für das Experteninterview methodisch nicht haltbar. Das Ideal einer Datenproduktion unter quasi laborähnlichen Bedingungen ist eine realitätsfremde Vorstellung, die der irrigen Auffassung anhängt, ein Interviewer könne beobachten, Daten erheben, kommunizieren ohne sich selbst. Die Auswertung des Sachgehalts der Texte erfolgt in Anlehnung an Mühlfeld u. a. in einem sechsstufigen Verfahren.322 In einem zweiten Auswertungsschritt wurden die Texte dann hermeneutisch nach Metathemen im Wege einer qualitativen Inhaltsanalyse untersucht und ausgewertet. Diese systematische, regelgeleitete qualitative Analyse bedient sich methodischer Stärken der quantitativen Inhaltsanalyse und weitet diese zu einem qualitativ orientierten Instrumentarium der Textanalyse aus.323 321 322 323 siehe: Atteslander, P.; Cromm, J.: 2008 ebenda Seiten 121 f siehe: Mühlfeld, C. u. a.: Auswertungsprobleme offener Interviews, in: Soziale Welt, Jahrgang 32 Seiten 325 – 352, dargestellt in: Mayer, H.: 2006 ebenda Seiten 46 ff siehe: Mayring, Ph.: Qualitative Inhaltsanalyse, in: Forum Qualitative Sozialforschung/Forum Qualitative Social Research [On-line Journal], 1 (2), Juni 2000, abrufbar über: http://qualitativeSeite 171 von 430 Über den primären Inhalt der Texte hinaus werden so auch latente Inhalte erschlossen. Bei der Analyse der sprachlichen Inhalte habe ich mich sowohl auf ein vorher festgelegtes Auswertungsschema bezogen und die Texte nach Indikatoren danach untersucht, inwieweit die im Auswertungsschema, welche sich an den Inhalten des Interviewleitfadens orientiert, festgelegten Kategorien im Text wiederfinden. Darüber hinaus habe ich aus den Texten mit Unterstützung weiterer Interpretatoren Kategorien herausdestilliert, die unabhängig vom Raster des Leitfadens in mehreren Interviews auffindbar waren. Als deduktive Kategorien wurden dabei die inhaltlichen Aspekte, sozusagen die Experteninformationen definiert, wie sie anhand des strukturierten Interviewleitfadens festgelegt waren. Die induktiven Kategorien wurden im Wege systematischer Reduktion aus den Texten herausdestilliert. Die so identifizierten Themen sind in Teil II Abschnitt 3.3 Induktive Auswertung der Experteninterviews dargestellt. Dabei bleibt stets zu berücksichtigen, dass es keine eindeutigen Interpretationen von Texten geben kann, auch nicht im Experteninterview. Die Texte bieten durchaus Möglichkeiten konkurrierender Deutungen.324 Das Experteninterview ist wie jede Kommunikation situativ und kontextgesteuert und durch die stattfindenden Interaktionen beeinflusst. Die Kommunikation ist komplex. Die gegenseitigen Erwartungen, Übertragungen und Gegenübertragungen von Interviewer und Interviewtem steuern die "Datenproduktion".325 Ausgehend von der Erkenntnis, dass die Äußerungen der Interviewpartner immer auch in Relation dazu zu bewerten sind, sind die Interaktionsstrukturen im Interview unter dem Aspekt der personalen Perzeption und zugeschriebenen Kompetenzen im Bezug auf den Interviewer zu analysieren.326 Dabei will ich auf meinem Erlebnishintergrund bei den Interviews nicht so weit gehen, die Äußerungen der Befragten als wesentlich durch deren Bild über meine Kompetenz, funktionale und fachliche Her- research.net/fqs/fqs-d/2-00inhalt-d.htm [Zugriff: 20.03.2008] siehe: Spöhring, W.: Qualitative Sozialforschung, Stuttgart 1995 Seite 159 325 siehe: Helfferich, C.: Qualität quantitativer Daten – Manual zur Durchführung qualitativer Einzelinterviews, Opladen 2004 Seite 49 326 siehe: Bogner, A.; Menz, W.: Das theoriegenerierende Experteninterview: Erkenntnisinteresse, Wissensformen, Interaktion, in: Bogner, A.; Littig, B.; Menz, W. (Hrsg.): 2005 ebenda Seite 49 324 Seite 172 von 430 kunft und Einstellung geprägt zu sehen.327 Eine Änderung der Interaktionsstruktur dergestalt, dass sich die Erwartungen und Zuschreibungen im Verlauf des Interviews revidieren, konnte ich nicht feststellen. Hierfür war sicherlich maßgeblich und stabilisierend, dass die Interviewten durch die vorangegangene schriftliche Befragung bereits über das Forschungsinteresse informiert worden waren. Da die Gesprächspartner ihre Bereitschaft zu einem Interview über die Befragung signalisiert hatten, konnte davon ausgegangen werden, dass sie sich hier intensiv und interessiert mit der Materie auseinandergesetzt hatten. Dies wurde von den meisten dadurch dokumentiert, dass sie Kopien der von ihnen ausgefüllten Befragungsbogen beim Interview vorliegen hatten. In einigen Fällen erbat der Interviewte zu Beginn eine Erläuterung des Forschungsvorhabens. Die Erläuterung des Erkenntnisinteresses sowie des beruflichen Hintergrunds dieses Interesses von meiner Seite war ein "Türöffner" für einen guten Gesprächsverlauf. In der Fachliteratur wird in Bezug auf Interviews mit Managern beschrieben, dass diese häufig zur Selbstinszenierung mit kathartischen Effekten neigten und so pathogene Kommunikationskonstellationen entstünden, die teilweise die Interviews nicht nutzbar machten.328 Diese Erfahrung habe ich nicht gemacht. Von vorneherein darauf eingestellt war ich, dass mir die befragten Experten bisweilen nicht die "ganze Wahrheit" mitteilen oder dazu neigen, Dinge zu "beschönigen" (was letztlich kein Spezifikum von Experteninterviews darstellt). Um dies zumindest ansatzweise zu erkennen, habe ich im Vorfeld jedes Interviews über das Internet recherchiert, ob und wie Personalentwicklung organisatorisch, personell und räumlich an dem jeweiligen Universitätsklinikum von außen erkennbar vertreten ist, welche Einrichtungen und Angebote von Fort- und Weiterbildung es gibt, ob ein Leitbild existiert und ob in diesem Personalentwicklung eine Rolle spielt. Die Leitbilder haben in Auszügen Eingang in diese Arbeit gefunden.329 Nach meiner Wahrnehmung erlag lediglich ein Interviewpartner der Versuchung, den Stand der Personalentwicklung in seinem Klinikum zu beschönigen. Möglicherweise wurde der Drang zur Beschöni- 327 328 329 Anderer Auffassung sind hier Bogner und Menz, die bei der Analyse der Interaktionsstrukturen im Experteninterview davon ausgehen, dass die Äußerungen des Befragten sich wesentlich an dessen Vorstellung und Mutmaßungen über den Interviewer orientieren. So beschrieben in: Kern, B.; Kern, H.; Schumann, M.: Industriesoziologie als Katharsis, in: Soziale Welt Jahrgang 39 1988 Seite 94 siehe Teil II Abschnitt 2.3.1 Leitbild Seite 173 von 430 gung dadurch eher gebremst, dass meine Gesprächspartner wussten, dass auch ihre Kollegen interviewt werden.330 In einer ganzen Reihe von Interviews wurde ich mit Rückfragen zur Situation in meinem Universitätsklinikum oder zur eigenen Meinung zum einen oder anderen Diskussionspunkt konfrontiert. Mit einer Ausnahme gaben sich die Gesprächspartner mit der Bitte zufrieden, nach Beendigung des Interviews von meiner Seite die Fragen zu beantworten. In einem Interview gelang es dem Gesprächspartner, einen Rückkoppelungseffekt herzustellen, so dass ich mich vorübergehend in der Rolle der ausgefragten Person befand. An einigen Stellen wurde ein vermeintlich gemeinsam geteilter Vorrat an Wissen und Kenntnissen erst einmal vom Interviewpartner nur angerissen. Wo es mir für das Forschungsthema wichtig erschien, habe ich hier hinterfragt, um zu erreichen, dass diese Aspekte expliziert werden. Dies hat bei einigen Gesprächspartner Irritationen hervorgerufen ("ja, ist das bei Ihnen denn nicht so?"). Gleich in mehreren Interviews ergab sich eine solche Situation, als die Sprache auf die Rolle Ärztlicher Direktoren im Bezug auf Personalentwicklung kam. Offensichtlich gilt bei vielen personalverantwortlichen Funktionsträgern im Management die Wahrnehmung, Ärztliche Direktoren seien per se personalentwicklungsresistent als quasi nicht mehr näher zu erläuterndes Allgemeinwissen. Dies im Übrigen in erkennbarem Kontrast zu konkreten Erfahrungen einiger meiner Interviewpartner. Wo sich Äußerungen über einen gemeinsam geteilten Erfahrungshintergrund für mich als unbedeutend für die Themenstellung darstellten, habe ich diese unhinterfragt gelassen. Zwei Interviewpartner zeigten zu Beginn des Gesprächs deutliche Anzeichen von Misstrauen, das sich aber mit der Erläuterung des Forschungsvorhabens und dem Hinweis auf bereits durchgeführte Interviews schnell legte. Ein Interviewpartner hatte kurz vor unserem Gesprächstermin schlechte Erfahrungen mit einem Presseinterview gemacht und reagierte insofern erst einmal zurückhaltend. Er hatte auch eine zuhörende Mitarbeiterin dabei. Erst die Zusicherung der Anonymität stellte die Bereitschaft zum Gespräch her. Einige Interviewpartner nutzten das Gespräch, um ihre eigene berufliche Unzufrie330 siehe: Meuser, M.; Nagel, U.: ExpertInneninterviews – vielfach erprobt, wenig bedacht, in: Bogner, A.; Littig, B.; Menz, W. (Hrsg.): 2005 ebenda Seite 91 Seite 174 von 430 denheit zu äußern. Sie schilderten, dass ihre Bemühungen, Elemente von Personalentwicklung zu implementieren oder Personalentwicklung überhaupt zum Thema zu machen, von "oben" geblockt werden. Diese bisweilen als "Katharsiseffekt"331 bezeichnete Interaktionssituation wurde aber in keinem der Gespräche dominierend oder störend.332 I: Wir haben immer eine Verwaltungsklausur zweimal im Jahr und jedes Mal spreche ich das wieder an in diesem Kreis. Da sitzen der Kaufmännische Direktor mit Pflegedirektion und Geschäftsbereichsleitern und debattieren da so Themen und da steht jedes Mal Personalentwicklung drauf und es kommt eigentlich jedes Mal von Seiten der Direktion: Das wollen wir nicht, derzeit, wir haben keine Zeit. [...] In der nächsten Klausur, da strecke ich wieder den Finger hoch, sag, wie sieht's denn aus mit Personalentwicklung. Dann sagen schon alle: Die schon wieder mit ihrem Lieblingsthema, jetzt hat sie wieder die alte Leier, fällt der nix Neues mehr ein? Aus einem anderen Interview: L: Wie hier bisher eben auch nicht so die Bedeutung dieser Personalentwicklung auf der Vorstandsebene erkannt wurde, haben wir einen gewissen Nachteil. [...] Wir kriegen demnächst hier einen neuen Kaufmännischen Direktor, auch einen neuen Ärztlichen Direktor und da habe ich gewisse Hoffnungen, dass mit jüngeren Leuten da auch die Idee reinkommt, dass wir Personalentwicklung flächendeckend machen müssen hier im Haus. Nicht zuletzt werden die Kontextbedingungen eines Interviews auch durch Altersund Geschlechtsunterschiede der Beteiligten beeinflusst. Diesbezüglich ist aus meinen Interviews erwähnenswert, dass die Anlaufphase in einem Interview mit einer deutlich jüngeren Frau erkennbar länger, als in anderen Gesprächen dauerte. Zur verwendeten Form der Zitate aus den Interviews sei noch angemerkt, dass ich hier die direkte Sprache weitgehend übernommen habe. Glättungen habe ich dann vorgenommen, wenn Sätze zu sehr zerhakt und grammatikalisch falsch geäußert wurden. Insofern habe ich anstelle des Setzens in Anführungszeichen die kursive Schriftform gewählt. Der Sinngehalt bleibt in jedem Fall erhalten. 331 332 nach: Kruse, J.: Reader "Einführung in die qualitative Interviewforschung", Freiburg, Oktober 2007 Seite 181 Aus den nach GAT transkribierten Texten wurden alle zitierten Passagen der besseren Lesbarkeit halber geglättet übertragen. Seite 175 von 430 3.2 Deduktive Auswertung der Experteninterviews 3.2.1 Zentrale Organisationseinheit Personalentwicklung Nahezu übereinstimmend kommen die Befragten zu dem Schluss, dass eine zentrale Organisationseinheit eine Grundvoraussetzung für erfolgreiche Personalentwicklung an Universitätsklinika ist. Diese Auffassung wird unabhängig davon vertreten, ob an dem betreffenden Klinikum bereits eine solche Organisationseinheit besteht oder nicht. B: Für mich ist Personalentwicklung eigentlich eine fundamental wichtige strategische Aufgabe, die auch so benannt und etabliert werden muss. Insofern ist es aus meiner Sicht zwingend, dass das an einer Stelle institutionalisiert wird. L: Ganz ohne irgendeine Infrastruktur werden Sie das nicht hinbekommen. So eine Organisationsarbeit, die Personalentwicklung heißt, mit einem gewissen personellen Unterbau – das müssen nicht viele Leute sein – und einem gewissen Budget. In der Praxis findet man derzeit verschiedene Modelle vor: zum einen eine zentrale Organisationseinheit – entweder als Stabsstelle oder als Abteilung – mit Verantwortung für grundsätzliche Entscheidungen. Daneben gibt es dezentrale Elemente von Personalentwicklung in den verschiedenen Bereichen, insbesondere für den Pflegebereich wird immer wieder konstatiert, dieser sei in Sachen Personalentwicklung re- lativ gut organisiert, während dies im ärztlichen Bereich weniger oder so gut wie gar nicht gegeben sei. Als weiteres Modell an einigen Universitätsklinika existieren in Tochtergesellschaften ausgegliederte Organisationen mit dem Schwerpunkt Fort- und Weiterbildung. Diese sind stark auf Marktfähigkeit ausgerichtet. Eine ganze Reihe von Universitätsklinika verfügen über keine zentrale Organisationseinheit Personalentwicklung, die Verantwortung ist dezentral angesiedelt. Insbesondere an diesen Einrichtungen wird die Personalentwicklung als wenig koordiniert beschrieben. Einige Interviewpartner berichten von gescheiterten Versuchen, Personalentwicklung zentral zu institutionalisieren. Es gibt aber auch erfolgreiche Beispiele. Seite 176 von 430 O: An meiner vorherigen Arbeitsstelle ist es gelungen, die drei Bereiche Schulen, Fach- und Weiterbildung der Pflege und den kleinen Bereich Personalentwicklung aus dem Personaldezernat zusammen zu legen zu einer Bildungsakademie. Als das dann organisatorisch zusammengehörte und die Mitarbeiter verstanden hatten, da läuft jetzt was anderes mit einer anderen Zielrichtung, da ging das ganze plötzlich ab wie die Feuerwehr. Als spannende und konfliktbehaftete Aufgabe einer zentralen Organisationseinheit Personalentwicklung wird geschildert, dass es bisweilen schwierig ist, sich dagegen zur Wehr zu setzen, dass das Thema Personalentwicklung aus den Bereichen und Abteilungen an die zentrale Einheit delegiert wird. Personalentwicklung ist zuvorderst Aufgabe der unmittelbaren Vorgesetzten und der Führungsebene vor Ort. Eine zentrale Einheit kann und sollte nur unterstützend tätig werden, indem sie berät und Werkzeuge zur Verfügung stellt. Alle Versuche der dezentralen Führungsebene, sich aus der Verantwortung für Personalentwicklung herauszuschleichen, müssen als kontraproduktiv erkannt und sozusagen abgewehrt werden. P: Der unmittelbare Vorgesetzte ist der beste Personalentwickler, den es überhaupt gibt. E: Anfangs haben wir das vielleicht auch ein bisschen zu häufig angenommen, diese Vorstellung, ich als Chef brauche mich nicht mehr um Personalentwicklung zu kümmern, es gibt ja diese Stelle. Inzwischen achten wir da sehr darauf, dass immer klar wird: Wir stellen Ressourcen, Instrumente, Möglichkeiten zur Verfügung, aber Personalentwicklung ist eure Aufgabe in den Abteilungen, soweit das eben machbar ist. Während für die meisten Personalverantwortlichen der Universitätsklinika die organisatorische Zuordnung der Personalentwicklung zum Personalbereich unstrittig ist, verweist ein Interviewpartner darauf, dass sich die Herauslösung der Personalentwicklung aus dem Personalmanagement und die Zuordnung zum Geschäftsführer für den Bereich Medizin und Qualität als sehr hilfreich erwiesen habe. Bei näherem Hinsehen zeigt sich, dass dort zuvor Personalentwicklung als Wurmfortsatz eines stark administrationslastigen Personalmanagementbereichs in der eigenen Innovationsfähigkeit deutlich gehemmt war. Seite 177 von 430 3.2.2 Verfügbarkeit von Ressourcen Die Anzahl der für Personalentwicklung zur Verfügung stehenden Mitarbeiter bzw. Stellen variiert an den Universitätsklinika, die über eine entsprechende Organisationseinheit verfügen, erheblich. Eine Abteilung mit 12 Mitarbeitern ist dabei der Ausreißer nach oben, ansonsten reicht die Bannbreite von 0,7 bis 4,3 Stellen. Eine ganze Reihe von Universitätsklinika – alle in Deutschland liegend – verfügen über keine Budgets für Personalentwicklung. Dabei wird von den Personalverantwortlichen die Notwendigkeit hierfür deutlich gesehen. Q: Wir haben keine Ressourcen, muss man klar sagen. So eine Personalentwicklung kann man aber sicherlich nicht so nebenbei machen, sondern da bräuchte man Ressourcen. L: Was man schon bräuchte wäre ein gewisser personeller Unterbau und halt auch ein gewisses Budget, wo man einfach sagt, pro Jahr habe ich da 50.000 Euro, 100.000 Euro, also einen fixen Betrag. Es muss erst einmal eine gewisse Infrastruktur da sein, mit der man arbeiten kann. Die Regel ist allerdings, dass es für Fort- und Weiterbildung Budgets gibt, mit denen zum Teil auch darüber hinausgehende Personalentwicklungsmaßnahmen finanziert werden können. Die Formen der Budgets sind sehr unterschiedlich: Es gibt zentrale Budgets, es gibt dezentrale Budgets und es gibt Formen der innerbetrieblichen Leistungsverrechnung von Schulungskosten zwischen den nutzenden Abteilungen und dem anbietenden zentralen Schulungszentrum. Die zentralen Sachmittelbudgets schwanken zwischen 230.000 Euro und 600.000 Euro pro Jahr.333 Im Vergleich zu Industrieunternehmen mit vergleichbaren Mitarbeiterzahlen liegen die an Universitätsklinika ausgegebenen Mittel für Personalentwicklung deutlich niedriger. Dies liegt zum einen am (noch) geringeren Stellenwert für Personalentwicklung, zum anderen aber auch an den limitierten Finanzmittel der Universitätsklinika. Die Einschätzung darüber, ob hier in Zukunft größere Spielräume ermöglicht werden, ist so auch eher verhalten. 333 Siehe im Materialband Interviews mit den Personen G Seite 170 und H Seite 187 Seite 178 von 430 H: Ich glaube auch nicht, dass es realistisch ist, dass ich in den nächsten fünf Jahren deutlich mehr Budget für die Personalentwicklung bekomme und deshalb muss ich halt sehen, dass ich die geringen Gelder, die ich habe, effektiver einsetze. Ungeachtet dessen wird die Notwendigkeit, in Personalentwicklung zu investieren, deutlich gesehen, insbesondere auch an den Klinika, die bisher kein Geld hierfür zur Verfügung stellen. I: Wir haben hier kein Budget für Personalentwicklung, wir haben derzeit auch keine Zeit dafür. Ich meine, ich wüsste wirklich nicht, wann wir das jetzt gerade noch machen sollten. Trotzdem ist es natürlich ein Thema, was ein Thema ist und ich denke, irgendwie holt uns das irgendwann ein. 3.2.3 Stellenwert von Personalentwicklung Die obersten personalverantwortlichen Funktionsträger an Universitätsklinika in allen drei Ländern sind mit einer Ausnahme auf der zweiten hierarchischen Ebene unterhalb des Klinikumsvorstandes angesiedelt. Die Ausnahme bildet eine Personaldirektorin, die als Mitglied im Spitalvorstand im obersten Organ angesiedelt ist. Ihre Situation ist zwar unüblich, aber in dem betreffenden Universitätsklinikum gleichwohl unbestritten. Die Personalentwicklung darf dort durchaus als vorbildlich bezeichnet werden. Der Integrationswert liegt mit 4,0 weit über dem Durchschnitt von 2,85. Ein Zusammenhang zwischen dem hohen Stellenwert der Personalentwicklung und der Integration der Personalfunktion im Vorstand liegt nahe. Der zeitliche Umfang, in welchem sich die Personalleiter mit Fragen der Personalentwicklung befassen, ist extrem unterschiedlich. Die Zeitangaben differieren von nicht mehr als 2 % bis zu deutlich mehr als für den sonstigen Personalalltag. Dass Personalentwicklung aber nicht einfach nur Mehrarbeit für die Personalleiter bedeutet, sondern auch entlastend sein kann, schildert ein Interviewter so: O: Wir haben keine systematische Personalentwicklung und so habe ich sozusagen ständig mit den Exzessen des nicht Stattfindens von Personalentwicklung zu tun. Was den Stellenwert am jeweiligen Klinikum selbst angeht, ist die Bandbreite verSeite 179 von 430 gleichbar groß: An einer Reihe von Universitätsklinika ist Personalentwicklung Teil der Unternehmensstrategie und in recht umfassendem Maße integrierter Bestandteil der Personalarbeit. Der Integrationswert von Personalentwicklung liegt dort auch deutlich höher, als in anderen Universitätsklinika. Eine weitere Gruppe von Personalleitern berichtet, dass Personalentwicklung zwar thematisiert sei, man aber noch ganz am Anfang des Weges stehe. An einigen Universitätsklinika findet Personalentwicklung bisher keine Akzeptanz oder wird als Einsparpotential betrachtet. Auch wird darauf hingewiesen, dass die ökonomisch schwierige Situation wenig Raum für einen Start von Personalentwicklung lasse. C: Personalentwicklung hat bei uns nicht den Stellenwert, den sie haben sollte. Im Augenblick geht es so ein bisschen mit der Maslowschen Pyramide einfach um Essen und Überleben. Das Unternehmen hat letztes Jahr knackige Verluste gemacht und dann ist es unheimlich schwierig, Personalentwicklung durchzubringen. G: Wir müssen komplett bei Null anfangen, was natürlich im Moment in der Situation, in der wir stehen mit all den Veränderungen und mit einem Klinikneubau, der gerade entsteht, so ein wenig schwieriges Beigeschäft ist. An dieser Stelle nicht mehr überraschen kann die nahezu übereinstimmende Aussage, dass Personalentwicklung im Pflegebereich einen hohen Stellenwert genießt, während dem Ärztlichen Bereich bescheinigt wird, dass dort Personalentwicklung allenfalls in Ansätzen, oft auch gar nicht vorhanden ist. I: Personalentwicklung gibt’s im Ärztlichen Bereich so gut wie gar nicht bzw. da läuft das auf der alten Hierarchieebene: Der Chef sagt, wie’s geht. Viele Ärztliche Direktoren haben ja nach wie vor eine archaische Vorstellung. Personalentwicklung ist, wenn ich sage, Du bist gut und ich nehm’ dich, und dich nehm’ ich nicht, du kannst gleich gehen. H: Wir haben gedacht, wir machen mal eine Marketingoffensive und stellen die Personalentwicklung mit Inhalten und Bildern im Intranet vor. Das erste war dann, dass bei einer Einspardiskussion im Senat einer gesagt hat, guckt euch doch mal die Personalentwicklung an, das ist doch das erste Einsparpotential, was wir heben können. Als Gründe für eine zunehmende Bedeutung von Personalentwicklung werden der Seite 180 von 430 perspektivisch zu erwartende Arbeitskräftemangel und eine an einigen Standorten bereits bestehende Konkurrenzsituation mit industriellen Großunternehmen am Arbeitsmarkt geschildert. Auch wird die Notwendigkeit erwähnt, angesichts zunehmender Arbeitsbelastung und Leistungsverdichtung Personalentwicklung dazu zu nutzen, die Mitarbeiter dazu zu qualifizieren, mit den höheren Anforderungen umgehen zu können. Übereinstimmend bewerten die Interviewten Personalentwicklung als Feld, das über einen langen Zeitraum bestellt werden muss, bis es Früchte trägt. A: Ich denke, wir haben lange daran gearbeitet und jetzt fallen so die einzelnen Bausteine wie wunderschön zusammen. 3.2.4 Top-down – Klinikumsvorstand und Personalentwicklung Als Grundvoraussetzung für eine funktionierende Personalentwicklung an Universitätsklinika wird die Verankerung dieses Themas im Topmanagement angesehen. Der Klinikums- bzw. Spitalvorstand ist gefordert, sich mit Fragen der Personalentwicklung auseinanderzusetzen und sich dem Thema aktiv zu stellen. D: Ich glaube, es ist entscheidend: Sie brauchen einen Vorstand, der das promoted. Wenn sie keinen Vorstand haben, der das wirklich auch für notwendig ansieht und dafür auch Zeit einräumt und es auch als wichtiges Thema ansieht, dann haben sie keine Chance. A: Was sind die Voraussetzungen, dass sich Personalentwicklung überhaupt als Thema etablieren kann? Ich denke, ich würde da als Antwort geben: es braucht ein klares Commitment auf Unternehmensleitungsebene, also nicht nur schriftlich sondern auch gelebt. Wenn das nicht da ist, dann fliegt nichts. Die Auffassung, dass das Topmanagement sich für Personalentwicklung interessieren muss, soll diese letztlich funktionieren, teilen sowohl die Personalleiter der Klinika, an denen dies bisher noch nicht der Fall ist, wie auch diejenigen, bei denen sich der Vorstand zum Teil sehr aktiv mit einbringt. Als vorteilhaft wird das persönliche Engagement einzelner Vorstandsmitglieder insbesondere im Rahmen von Veranstaltungen zur Führungskräfteentwicklung oder bei sogenannten Netzwerkaktivitäten Seite 181 von 430 beschrieben. Das Maß des Interesses des Vorstandes bestimmt letztlich auch darüber, ob und in welchem Umfang finanzielle und personelle Ressourcen für Personalentwicklung zur Verfügung stehen. Es ist die Aufgabe der personalverantwortlichen Leiter, das Interesse des Vorstandes für die Entwicklung der Beschäftigten zu wecken und den Nutzen von Personalentwicklung zu begründen. Dies gelingt wohl nur zum Teil, aus einigen Häusern wird berichtet, dass die Bemühungen, die Vorstände von der Notwendigkeit einer systematischen Personalentwicklung zu überzeugen, bisher auf keinen fruchtbaren Boden gefallen sind. 3.2.5 Umfassendes Personalentwicklungskonzept Eine Reihe von Universitätsklinika verfügen über ein weitgehend einheitliches Verständnis von Personalentwicklung über das Gesamtklinikum hinweg. Es sind dies diejenigen Universitätsklinika, die Personalentwicklung in der Unternehmensstrategie, im Leitbild oder in Form eines Personalentwicklungshandbuches verankert haben. Diese Klinika bilden eine Minderheit. An den meisten Universitätsklinika gibt es kein einheitliches Verständnis von Personalentwicklung, zum Teil ist Personalentwicklung kaum ein Thema, zum Teil ist das Verständnis je nach Berufsgruppe unterschiedlich ausgeprägt. D: Das ist gar nicht gewollt. Die Bewertung, ob Personalentwicklung sinnvoll ist oder nicht ist auch ganz unterschiedlich. Viele halten das für völligen Unsinn, andere halten das für ganz ganz wichtig. An den wenigen Häusern, an denen Personalentwicklung grundsätzlich Bottom-up auf Grundlage von Bedarfsmeldungen durchgeführt wird, wird ein umfassendes Verständnis von Personalentwicklung für überflüssig gehalten. Personalentwicklung müsse sich entwickeln. Ein zentrales Konzept sei nicht sinnig, es gelte, die unterschiedlichen Bedürfnisse der Abteilungen und Bereiche aufzunehmen. Seite 182 von 430 3.2.6 Entwicklungschancen für Mitarbeiter Die Chancen für Mitarbeiter an Universitätsklinika, sich beruflich weiterzuentwickeln, werden von den obersten Personalverantwortlichen überwiegend positiv beurteilt. A: Es steht alles offen, aber nicht auf dem Serviertablett. Gleichwohl werden die Entwicklungschancen für Beschäftigte der verschiedenen Berufsgruppen unterschiedlich bewertet. Am positivsten werden die Chancen im Pflegebereich beurteilt. Dort werden zwei Karrierewege gesehen: zum einen die Möglichkeit, über die Übernahme von Leitungsfunktionen von der Stationsleitung bis zur Pflegedienstleitung sich zu entwickeln. Auf der anderen Seite werden aufgrund der fachlichen Differenzierung sowie durch die Einrichtung verschiedener Stabsstellen im Bereich der Pflege Karrierechancen ermöglicht. Die Fachkarrieren in den Kernbereichen der Krankenhäuser werden in den nächsten Jahren durch den entstehenden Fachkräftemangel geprägt sein. Pflegekräfte mit Zusatzqualifikationen in den Bereichen Intensiv, Anästhesie, OP und Onkologie werden auf diesem Hintergrund schon jetzt in vielen Krankenhäusern über Bonuszahlungen finanziell besser gestellt. L: Da kann also wirklich die junge Krankenschwester, die hier anfängt, wenn sie durchhält – das ist von den Belastungen her oft natürlich nicht so einfach – die Chance nutzen, intern ordentlich aufzusteigen. Die Karrierechancen im Bereich der Führung der Pflege sind dabei eher eingeschränkt. Zwar hat sich die Pflege über eine intensive Führungsfortbildung an den meisten Universitätsklinika in den vergangenen Jahren in diesem Bereich attraktiv ausgestaltet. Zugleich werden aber in der jüngeren Vergangenheit aus ökonomischen Gründen größere Einheiten geschaffen, was zu einem Wegfall von Führungspositionen auf der mittleren Ebene führt. Ebenfalls werden die Verantwortungsbereiche für Pflegedienstleitungen eher vergrößert, mit demselben Effekt. Die Entwicklungschancen im ärztlichen Bereich werden durch die klassische wissenschaftliche Hochschulkarriere vorgegeben: vom Assistenzarzt zum Facharzt und Oberarzt. Danach eröffnen sich Karrierechancen in der Regel lediglich außerhalb des jeweiligen Universitätsklinikums als Chefärzte an anderen Universitätsklinika oder Krankenhäusern. Nach Abschluss der Facharztausbildung entscheiden sich nach wie Seite 183 von 430 vor viele Ärzte für die Übernahme einer Praxis. Die klassische Arztkarriere an einem Universitätsklinikum ist durch die im wissenschaftlichen Bereich gängige Praxis befristeter Arbeitsverhältnisse geprägt. Die Entwicklungschancen im Verwaltungsbereich werden extrem heterogen beurteilt. An einer Reihe von Universitätsklinika werden die Entwicklungsmöglichkeiten eher als gering angesehen. Es wird darauf verwiesen, dass eine deutlich geringere Fluktuation im Bereich der attraktiven Stellen in der Verwaltung, als z. B. im Pflegebereich oder im ärztlichen Bereich, die Spielräume einengt. H: In der Verwaltung sind die Aufstiegsmöglichkeiten durch die teilweise noch festgefahrene BAT- oder Beamtenstruktur nicht so toll, da geht’s eher darum, horizontal die Qualifizierung zu ändern oder Chancen zu nutzen, in anderen Bereichen tätig zu werden. An einigen anderen Universitätsklinika werden die Chancen, sich im Bereich der Verwaltung zu entwickeln, wiederum als sehr stark ausgeprägt geschildert. K: Im Verwaltungsbereich gibt es teilweise bemerkenswerte Karrieren von Mitarbeitern, die sich von ziemlich weit unten relativ zügig nach weit oben gearbeitet haben […] Man kommt hier einfach schneller an spannende Themen ran, hat deutlich schneller mehr Verantwortung als im Dienstleistungsbereich draußen. Das ist sicherlich einer unserer großen Vorteile, die wir hier bieten. Damit sind wir auch in der Lage, die im Vergleich zur freien Wirtschaft niedrigeren Gehälter zu kompensieren. Ich behaupte mal, hier gibt’s die spannenderen Jobs. Dies gilt sicherlich weniger für die traditionell ebenfalls zum Verwaltungsbereich gezählten Bereiche Technik und Wirtschaftsbetriebe. Hier hält der Trend zur Ausgliederung aus den Universitätsklinika nach wie vor an. In den Bereichen jenseits von ärztlichem Dienst, Pflege und Verwaltung scheinen die Entwicklungschancen allenfalls punktuell im Fokus der personalverantwortlichen Funktionsträger zu sein. Durch die nach wie vor starke dezentrale Verantwortung in den Abteilungen gibt es nur randständig Beispiele für die bewusste Förderung von Beschäftigten, z. B. im medizinisch-technischen Bereich. E: Die Entwicklungsmöglichkeiten der nicht wissenschaftlichen Mitarbeiter ist sehr Seite 184 von 430 begrenzt und wird durch die dezentralen Strukturen behindert. Eine Abteilung ist immer noch eine Art Königreich, in die niemand reinregieren darf. Als Einzelbeispiele, die das Gesamtbild nicht prägen, werden Lehrgänge in den Bereichen Anästhesie, bei Servicekräften und Versorgungsassistenten und zur Ausbildung von medizinisch-technischen Assistentinnen zur Spezialisierung für die Forschung genannt. Grundsätzlich sind die Entwicklungschancen an Universitätsklinika aufgrund der Größe dieser Unternehmen und der Komplexität und Vielfalt ohne Zweifel höher, als in anderen Krankhäusern oder Dienstleistungsunternehmen. I: Wir haben durchaus die unterschiedlichsten Jobs für interdisziplinär denkende Menschen und für Quereinsteiger. Wer einen guten Job macht, kann da ganz schnell alles Mögliche machen. Das liegt aber nicht daran, dass wir eine so tolle Personalentwicklung hätten, sondern weil’s einfach so groß ist. 3.2.7 Personalentwicklung als Führungsaufgabe Die Anforderung an Führungskräfte, Verantwortung für die Personalentwicklung ihrer Mitarbeiter zu übernehmen, ist sehr unterschiedlich ausgeprägt. Während an einigen Universitätsklinika die Anforderungen diesbezüglich an die Führungskräfte definiert sind und auch eingefordert werden, wird diese Frage an anderen Universitätsklinika mehr oder weniger dem Zufall bzw. der persönlichen Präferenz der Führungskräfte überlassen. A: Einer von zwei Schwerpunkten unserer Strategie im Bereich Personal ist die Führungskultur. Wir wollen eine einheitliche Führungsgruppe haben und das ist jetzt das Thema: wie bringt man eine gemeinsame Führungskultur hin, wo ist der Zettel, auf dem draufsteht, was gemeinsame Führungskultur ist. Den gibt es nicht. Wir haben aber klar definiert, was wir unter Führung verstehen, was wir von einer Führungsperson erwarten. Dazu gehört, dass sich jede Führungsperson sehr stark für die Weiterentwicklung ihrer Mitarbeitenden verantwortlich fühlt. G: Da finden Sie bei uns ein sehr diffuses, unterschiedliches Bild, was auch sehr stark von der individuellen Prägung abhängt. Seite 185 von 430 Auch hier zeigen sich unterschiedliche Entwicklungsstände und Herangehensweisen in den Berufsgruppen. Das Bewusstsein für Personalentwicklung ist im Pflegebereich sehr viel stärker ausgeprägt, als im ärztlichen Bereich, welchem zum Teil ein völliges Fehlen des Bewusstseins für Personalentwicklung als wichtige Führungsaufgabe bescheinigt wird. N: Im ärztlichen Bereich wird der Bedarf immer erst dann erkannt, wenn es ein Problem gibt. H: Den Ärztlichen Direktoren kann man da nichts erklären. Sie meinen, sie können alles selber machen. Übereinstimmend wird aber der Bedarf insbesondere im ärztlichen Bereich gesehen, Führungskräfte in Personalentwicklungsfragen zu schulen und zu stärken. J: Wir wollen, dass Führungskräfte, die zukünftig in Leitungspositionen kommen, ein gewisses Niveau an Kenntnissen über Techniken, Verfahren und Praktiken der Personalführung kennen, aber auch ein differenziertes Selbstbild darüber entwickeln, was es heißt, als Arzt auch Führungskraft zu sein. Da legen wir ganz besonderen Wert darauf, diese Rollenreflexion, was eigentlich macht einen Arzt als Führungskraft in einem Krankenhaus aus, zu reflektieren. Und da ist es dann für viele erstaunlich, dass sie für die Personalentwicklung zuständig sind. An einigen Universitätsklinika wird über den Aufbau von Führungskräftenetzwerken angestrebt, ein gemeinsames Verständnis für Personalentwicklung zu finden. Die Personalverantwortlichen der Universitätsklinika setzen dabei auch darauf, dass die nachwachsenden Führungskräfte dem Thema Personalentwicklung eher aufgeschlossen gegenüberstehen und schon – wenn auch nur in begrenztem Maße – Vorkenntnisse mitbringen. 3.2.8 Führungskräfteschulung An zahlreichen Universitätsklinika gibt es gezielte Führungskräfteschulungen. Daneben gibt es aber durchaus eine nennenswerte Zahl von Klinika, die dies nicht gezielt anbieten, sondern dem persönlichen Engagement einer Führungskraft überlassen, ob sie sich nun weiterbildet, oder nicht. Eine interprofessionelle FührungsSeite 186 von 430 kräfteentwicklung ist dagegen eher noch die Ausnahme. L: Wir schulen die Führungskräfte eigentlich bislang mehr oder weniger gar nicht. Wenn nicht einer selber von sich aus sagt und es sich bei unserem Kaufmännischen Direktor gewissermaßen ertrotzt, dann muss er eigentlich schauen, dass er selber sich fortbildet. I: Ansonsten muss ich zugeben, geht die Führungskräfteentwicklung doch so ein bisschen so ach ja, der ist ganz gut, der könnte da eigentlich was machen, dann soll er es doch mal ausprobieren. Also irgendwie Versuch und Irrtum so ungefähr, ist zwar peinlich, aber es ist so. Der Fokus der Führungskräfteentwicklung gilt an den Universitätsklinika überwiegend den Leitungskräften der zweiten Ebene, also den Oberärzten und Leitenden Oberärzten, den Pflegedienstleitungen und Abteilungsleitern oder Geschäftsbereichsleitern des administrativen Bereiches. Begründet wird dies zum einen damit, dass bei dieser Personengruppe das Interesse und die Bereitschaft, sich weiter zu entwickeln, noch ausgeprägt vorhanden ist, da die Führungskräfte noch nicht am Ende der Karriereleiter angekommen sind. Führungskräfteschulungen für Chefärzte sind die Ausnahme. Sie werden als erfolgreich auch nur dann geschildert, wenn sie vom Klinikums- bzw. Spitalvorstand verpflichtend eingefordert und auch durchgesetzt werden. Dies funktioniert an einem Haus, in welchem die Personalfunktion im Vorstand verankert ist sowie an einem anderen Haus, in welchem die Personal- und Organisationsentwicklung direkt beim Leitenden Ärztlichen Direktor angesiedelt ist. A: Wir setzen da an, wo noch Bewegung ist, wo Menschen noch etwas gestalten möchten, auch an ihrer eigenen Karriere arbeiten. N: Die Investition in den Workshop mit der obersten Führungsebene ist vergeudete Zeit, vertanes Geld, einfach mühsam und vergebener Aufwand. E: Wir haben die Erfahrung gemacht, dass die Abteilungsleiter selbst für die Führungskräfteentwicklung nicht so zu gewinnen waren. Da sind wir bei den Oberärzten in den Abteilungen auf ein sehr viel aufgeschlosseneres Klientel gestoßen, das muss man schon sagen. Die kommen gerne und immer zahlreicher, weil sich offensichtlich zunehmend rumspricht, dass so was auch mal gefragt wird, wenn man sich irgendwo vorstellt. Seite 187 von 430 H: Wir sehen da große Bedarfe insbesondere, was Führungskompetenzen angeht, kommen aber an die erste Riege im Grunde genommen nicht dran und haben deshalb auch gesagt, wir starten mal mit der zweiten Ebene, mit den Oberärzten. A: Die Spitalleitung hat im Zusammenhang mit der Strategieentwicklung entschieden, dass sie die Führungsausbildung verbindlicher haben möchte. Wir machen jetzt ein aktives Einladungsverfahren und gewinnen das Interesse der Chefärzte vor allem, weil ich den Leitenden Ärztlichen Direktor gewinnen konnte. Die Notwendigkeit einer einheitlichen, interprofessionell ausgerichteten Führungskräfteschulung wird von allen Interviewten bejaht unabhängig davon, ob in dem jeweiligen Haus bereits ein entsprechendes Angebot existiert oder nicht. Überwiegend wird hier auch ein Top-down Ansatz mit klaren Verpflichtungen präferiert. R: Meine Wunschvorstellung wäre schon eine Führungsausbildung mit verschiedenen Modulen und dass es dann auch obligatorisch wird, diese Führungsmodule zu machen als Kultur förderndes und die Gemeinsamkeit förderndes Instrument. 3.2.9 Zusammenarbeit der Berufsgruppen Bei der Bewertung der Zusammenarbeit der Berufsgruppen zeigen sich erkennbare Unterschiede zwischen den drei Ländern Deutschland, Österreich und Schweiz. In Deutschland wird insbesondere das Zusammenspiel zwischen den drei großen Berufsgruppen Ärzte, Pflege und Verwaltung als problematisch und konfliktbelastet beschrieben. Die positive Beurteilung dieser Zusammenarbeit ist an deutschen Universitätsklinika die Ausnahme. Eine positive Bewertung ist dagegen an den Universitätsklinika in Österreich und der Schweiz eher die Regel, wenn auch nicht durchgehend gegeben. Die Zusammenarbeit zwischen den Ärzten und dem Pflegepersonal wird als prägend für die Kultur und auch die Leistungsfähigkeit eines Universitätsklinikums angesehen. Deutliche Unterschiede sind bei der Stellung der Pflege in den drei Ländern zu erkennen. Der Pflegebereich hat an Schweizer Universitätsklinika einen hohen Stellenwert. A: Die Pflege hat in der Schweiz einen anderen Status als in Deutschland, sie fühlt Seite 188 von 430 sich gleichberechtigt. Mit dem neuen Gesundheits- und Krankenpflegegesetz, welches im Jahre 2004 in Kraft getreten ist, verfügt der Pflegeberuf nun auch in Österreich über eine höhere Autonomie334. Diese Veränderung wird im Verhältnis zwischen Ärzten und Pflege aber durchaus nicht konfliktfrei erlebt. J: Durch das neue Gesetz hat bei uns die Autonomie der Pflege sehr stark zugenommen. Dieses Mehr an Autonomie spüren ganz klar die Ärzte. Es gibt Separierungstendenzen bei der Pflege, man könnte es auch als größeres Selbstbewusstsein deuten, d. h. die Mitarbeiter wissen klarer, wofür sie da sind und artikulieren das auch. Das führt zu einer größeren Trennung und die Ärzte nehmen das eher als problematisch wahr. Durch diese Separierungstendenzen kommt natürlich immer mehr an Gräben zwischen den Berufsgruppen hervor. Das Verhältnis in Deutschland ist traditionell durch die klare Dominanz der Ärzte geprägt, deren Letztverantwortung auch für pflegerisches Handeln im Krankenhausalltag gesetzlich normiert ist. Auch werden die Streiks und die Tarifauseinandersetzung, die in Deutschland zu einem Spartentarifvertrag für Ärzte an Universitätsklinika geführt haben, als Konflikt verschärfend zwischen den Berufsgruppen erlebt. C: In den Zeitraum fiel allerdings weniger Arbeit im Thema Personalentwicklung sondern mehr Abwicklung des 16 Wochen dauernden Streiks und des Tarifvertrages der hintendran kam. Interviewer: Wie sehen sie denn in Ihrem Haus die Zusammenarbeit zwischen den 334 In Österreich wird die Ausbildung und Berufsberechtigung für Gesundheits- und Krankenpflege im gehobenen Dienst (diplomierte Krankenschwestern und Krankenpfleger) im Gesundheits- und Krankenpflegegesetz (GuKG) geregelt. Bei den gehobenen Gesundheits- und Krankenpflegediensten unterscheidet man dabei einen eigenverantwortlichen Tätigkeitsbereich, einen mitverantwortlichen Tätigkeitsbereich und einen interdisziplinären Tätigkeitsbereich. Im Bereich eigenverantwortlicher Tätigkeiten sind die Angehörigen des gehobenen Dienstes für Gesundheits- und Krankenpflege für Schäden, die sie in Folge nicht fachgemäßer Behandlung verursachen, persönlich haftbar. Die Eigenverantwortlichkeit ist nicht nur ein Recht gegenüber dem Arbeitgeber und dem Vorgesetzten, sondern auch eine unverzichtbare Berufspflicht. Mit dem eigenverantwortlichen Tätigkeitsbereich ist die fachliche Weisungsfreiheit verbunden, welche nur durch grundlegende Anordnungen im Rahmen der Organisation des Pflegedienstes durch den Arzt eingeschränkt werden kann. Das diplomierte Pflegepersonal trägt die Durchführungsverantwortung für pflegerische Maßnahmen, insbesondere für den gesamten Pflegeprozess von der Pflegeanamnese bis zur Pflegeevaluation. Dies umfasst auch die strafrechtliche Einlassungsfahrlässigkeit. Dabei kommt es nicht darauf an, ob eine mangelhafte Ausführung der Tätigkeit durch eine dauernde Unzulänglichkeit, eine physische oder psychische Ausnahmesituation oder durch mangelnde Ausbildung verursacht ist. Die Pflegeperson hat jedenfalls die Durchführung der Tätigkeit zu unterlassen bzw. abzulehnen, wenn sie dazu nicht in der Lage ist. Seite 189 von 430 Berufsgruppen? D: konfliktbeladen, insbesondere durch die Streiks die da noch mal im letzten Jahr das Ihrige dazugetan haben. Insgesamt haben die Streiks aber schon und die Tarifpolitik einen ziemlichen Keil zwischen die Belegschaft reingeschoben. L: Das Verhältnis zwischen Pflege und Ärzten wird immer noch von altem Denken geprägt. Die Ärzte sehen die Pflege quasi als Hilfskräfte an. Wir sind die großen Ärzte. Teilweise sind die Pflegekräfte auch wieder selbst dran schuld, wenn sie ärztliche Tätigkeiten ablehnen so wie das Blut abnehmen, obwohl das ja in jeder Arztpraxis eine Arzthelferin macht, die ja weit schlechter ausgebildet ist. Da hängt bei beiden noch diese alte Standespolitik drin. Ungeachtet der grundsätzlichen Problematik in der Zusammenarbeit zwischen den Berufsgruppen wird diese im Krankenhausalltag sehr stark durch die handelnden Personen geprägt. E: Es gibt im Haus drei zentral wichtige Gruppen, das eine ist der Ärztliche Dienst, das andere ist der Pflegedienst und das dritte ist die Verwaltung, die keiner mag. Alle drei schaffen es immer, sich zu zweit gegen den überbleibenden Dritten zu verbünden, wie das unter Kindern manchmal so ist, so ist es auch hier. Im Prinzip achtet jeder darauf, dass seine Säule sozusagen unangetastet von den anderen bleibt. A: Wenn es Gräben gibt, gibt es sie eigentlich mehr zwischen den Personen als zwischen den Berufsgruppen. H: Es hängt im Grunde genommen nur von den Personen ab. Da, wo die sich menschlich und persönlich gut verstehen, wo die miteinander reden, läuft es gut. Wo das nicht passiert, wo man nicht das Gefühl hat, man wird mit seinen Problemen ernst genommen, werden viele Hürden aufgebaut, die nicht sein müssten. Die Zusammenarbeit zwischen dem Ärztlichen Dienst und der Administration wird vor allem aufgrund der Ressourcenknappheit als konfliktträchtig erlebt. Mit der zunehmenden Anforderung an den Ärztlichen Dienst, sich mit Management- und Steuerungsaufgaben auseinanderzusetzen auf der einen Seite und der zunehmenden Anforderung an die Administration, medizinische Leistungsprozesse und Indikationsstellungen zu verstehen, rücken diese beiden Berufsgruppen aber zwangsläufig näher zusammen. Dort, wo die beiden Gruppen auf ihren traditionellen Kompetenzen beSeite 190 von 430 harren – die Administration auf ihrer „Herrschaft“ über Finanz- und Investitionsmitteln, die Ärzte auf ihrer alleinigen und unantastbaren Dominanz des medizinischen Leistungsprozesses – spitzen sich die Konflikte zu. An den Klinika, an denen die Mediziner Managementkompetenz und Interesse an administrativen Erfordernissen gewinnen und zugleich die medizinische Kompetenz in den Verwaltungen etabliert wird, erreicht die Zusammenarbeit eine neue, stärker durch unternehmerisches Denken geprägte Qualität. L: Die Zusammenarbeit zwischen Ärzten und Verwaltung ist im Prinzip eigentlich besser geworden. Wir haben in der Verwaltung nun ein Referat Medizincontrolling, da sind selber Ärzte drin und denen können sie natürlich nicht mehr erzählen sozusagen, dass die Erde eine Scheibe ist oder mit dem Leichentuch wedeln. Für die Probleme und Konflikte zwischen den Berufsgruppen werden zahlreiche Gründe genannt, dominierend sind dabei: • Der fehlende Abgleich der Interessen der Berufsgruppen untereinander, • ein ausgeprägtes Abteilungsdenken und Abteilungsegoismen, E: Da läuft uns dieses Denken völlig quer in den Abteilungen: Meine Abteilung, mein Personal, meine Ressourcen. E: Ein Abteilungsleiter hat mir gegenüber das mal so beschrieben: Dieses Klinikum ist ein einziges Haifischbecken. Selbst wenn man hier als Friedfisch reinkommt, gibt es nur die beiden Varianten: Man wird selber zum Raubfisch oder man wird aufgefressen. • Mängel in der Kommunikation, • Mängel in der Zusammenarbeit der Führung, N: Die Qualität der Zusammenarbeit hängt sehr stark von den einzelnen Abteilungen ab, in manchen Abteilungen funktioniert es perfekt, bei anderen ist es halt ein bisschen schwieriger. Dies liegt eindeutig an der Führung. I: Das funktioniert denk ich sehr gut, weil es auf der Leitungsebene sehr gut funktioniert, sprich: Die Zusammenarbeit zwischen Verwaltung und Pflegedirektion funktioniert gut und das geht runter auch auf die Ebenen drunter. Seite 191 von 430 • mangelndes Wissen und Verstehen der Tätigkeit und der Handlungsmotive der jeweils anderen Berufsgruppen, C: Ein ganz wichtiger Punkt ist: Man kennt sich überhaupt nicht, weiß nicht, was jemand macht. Da heißt für mich ein Zauberwort „Wertschätzung“, das ist sehr oft sehr unbekannt. Wir reden über die „Weiskittel“, wenn man dann von der Krankenschwester redet dann muss ich sagen, die heißen ja heut nicht mehr so, aber das ist dann auch schon so ein bisschen runtergezogen. Und die Verwaltung ist bei uns fast schon ein Schimpfwort. • fehlende Wertschätzung und Anerkennung unter den Berufsgruppen, • zunehmender Kostendruck in den Krankenhäusern. An einigen Häusern wird die Zusammenarbeit zwischen Ärzten und Pflege im Alltag der Krankenversorgung als gut erlebt, während es auf der Leitungsebene und bei grundsätzlichen Fragestellungen deutliche Konflikte gibt. Jenseits der drei großen Berufsgruppen wird die Integration und Zusammenarbeit mit dem medizinisch-technischen Personal als weiterer Konfliktbereich identifiziert. A: Der Laborbereich ist bei uns kritisch, da sind die Karrieremöglichkeiten sehr eng, die Laborantinnen stoßen sehr schnell an. Sie haben dann bald das Gefühl, sie wissen eigentlich mehr als die Ärzte und da knirscht es dann manchmal. Ich denke, das ist systembedingt. B: Das größte Sorgenkind ist eigentlich der medizinisch-technische Dienst, der hängt so ein bisschen zwischen Baum und Borke. Da kommt es darauf an, wie sich der Klinikdirektor für diesen Bereich interessiert. Als weitere kleinere Berufsgruppe mit deutlichem Verbesserungspotential in Bezug auf Zusammenarbeit und Stellung am Universitätsklinikum werden die Sekretärinnen genannt. A: Bei einer Mitarbeiterbefragung vor vielen Jahren haben wir eine Berufsgruppe entdeckt, der ging es wirklich schlecht, das waren die Sekretariate. Eigentlich ist Seite 192 von 430 das eine ganz wichtige Schlüsselstelle, ein schlecht gelauntes Sekretariat richtet enormen Schaden an, ein schlecht informiertes ebenso. Wir haben dann eine Laufbahnplanung gemacht: Was sind die verschiedenen Stufen in den Sekretariaten, was kann man erreichen. Das Resultat in der folgenden Mitarbeiterbefragung hat uns gezeigt: Dieser Berufsgruppe geht es deutlich besser. Die Frage, was getan werden kann, um die Zusammenarbeit zwischen den Berufsgruppen konfliktfreier und konstruktiver zu gestalten, ergibt einige zentrale Herangehensweisen, die übereinstimmend und unabhängig davon genannt werden, wie die Zusammenarbeit der Berufsgruppen an dem jeweiligen Universitätsklinikum eingeschätzt wird. Im Zentrum des Interesses stehen dabei Maßnahmen, mit denen das gegenseitige Verstehen der Tätigkeit, der Handlungsmotive und der Interessen der Berufsgruppen gefördert werden kann. A: Nur wenn man sich gegenseitig versteht, bringen wir auch gute Resultate. C: Wenn man das hinkriegt mit der Wertschätzung ist das ein erster Schritt. Wie kriegt man das hin? Durch Kenntnis, durch Nähe, durch Wissen, was die anderen Leute machen und das muss natürlich von oben vorgelebt werden. Wenn man als Außenstehender, als Zuschauer manchmal sieht, wie sich die einzelnen Berufsgruppen auf Vorstands- oder welcher Ebene auch immer nicht so toll verstehen, dann ist das natürlich für viele, die hintendran stehen, klasse, weil dann kann man ja ungestraft ins gleiche Horn blasen. Die Treppe wird von oben gekehrt. L: Wir brauchen eine gemeinsame Personalentwicklung, gemeinsame Projekte, gemeinsame Seminare, dann lernen sich die Leute kennen. Wir müssen die Berufsgruppen einfach mehr zusammenbringen. Erwähnt wird die Ausarbeitung von Behandlungspfaden bzw. Patientenpfaden als Motor für eine prozessorientierte und integrierte Zusammenarbeit insbesondere zwischen den Ärzten und den Pflegenden. Als zentrale Maßnahme wird immer wieder die interprofessionelle Führungskräfteentwicklung genannt. Auf der Führungsebene werden auch die meisten Konflikte und Probleme zwischen den Berufsgruppen diagnostiziert. Die Führungskräfteentwicklung und das Verhalten der Führungskräfte haben vor dem Hintergrund, dass KranSeite 193 von 430 kenhäuser und insbesondere Universitätsklinika nach wie vor stark hierarchisch geprägte Organisationen sind, eine besondere Bedeutung. O: Nur die berufsgruppenübergreifende Personalentwicklung macht Sinn, alles andere ist Braten im eigenen Saft und den Anforderungen derzeit nicht geschuldet. E: In der Führungskräfteentwicklung kommen Oberärzte, Leiter großer Sachgebiete und Pflegedienstleitungen dann plötzlich mit der anderen Berufsgruppe in einem anderen Kontext zusammen und plötzlich fangen die an, Verständnis füreinander zu entwickeln. Das trägt auch immer eine gewisse Zeit nach der Veranstaltung noch. Der Effekt geht nur leider wieder zurück, weil natürlich niemand aus der Kultur, in der er lebt, auf die er existenziell angewiesen ist, hier im Hause also einfach aussteigen kann, nur weil er eine Einsicht gehabt hat. Wenn sich das Drumherum nicht ändert, wird sich da auch nichts ändern. J: Wir bieten in einem interprofessionellen Führungskräfteentwicklungsprogramm Teamentwicklungsmaßnahmen und Führungskräftethemen im klassischen Personalführungsbereich an. Das wird gestartet mit einer zweitägigen OutdoorVeranstaltung für alle Mitarbeiter, die eine leitende Funktion in den drei großen Berufsgruppen Pflege, Ärzte und Verwaltung haben. Die Resonanz war, dass das Reden darüber, wie wichtig es ist, dass wir kooperieren, nicht so viel ausgemacht hat, wie das Erleben, was Kooperation heißt, was es heißt, wenn man gemeinsam eine Aufgabe zu erfüllen hat, wie wichtig es ist, dass man da nicht mehr in Berufsgruppen denkt. Das hat anscheinend sehr viel bewirkt. Ein hoher Effekt für eine Verbesserung der interprofessionellen Zusammenarbeit wird der Bildung sog. „Netzwerke“ über das gesamte Klinikum zugeschrieben. Zumeist rekrutieren sich die Mitglieder solcher Netzwerke aus berufsgruppenübergreifend ausgerichteten Führungskräfteschulungen. Das Festhalten am Kontakt und Austausch zwischen diesen Personen fördert das Verständnis untereinander und die Entwicklung einer unternehmensweiten Gesamtsicht. A: Wir machen da eine Art Zukunftswerkstatt, ein großes Netzwerktreffen. Da sind auch die Spitalleitungsmitglieder vor Ort einen Nachmittag und einen Abend lang. Das ist Austausch, das war sehr energiespendend. Ich habe Professoren gesehen, die haben Zukunftsvisionen in Sketche umgesetzt, so was kennt man sonst bei uns nicht. Die interprofessionelle Zusammenarbeit kann sowohl durch das Top-Management Seite 194 von 430 top down angestoßen und durchgesetzt werden, als auch im Wege der Bedarfsabfrage bottom up. G: Unser Vorstand hat bestimmte Strukturen festgelegt und die Teams verpflichtet, miteinander zu arbeiten. Das war am Anfang nicht ganz so einfach, muss man ganz klar sagen. Es funktioniert aber nach einer gewissen Zeit und irgendwann würde ich mal behaupten, macht das dann auch in den Köpfen der Einzelnen „klick“. D: Das funktioniert so, dass die Leitung eines Zentrums mit einem ausgewählten Personenkreis definiert, was sie im Zentrum erreichen wollen und wo sie auch Begleitung wünschen. Das sieht ganz unterschiedlich aus. Wir haben ein Zentrum, die möchten eher Führungsinstrumente etablieren, die möchten gerne Leistungsbeurteilung machen und Führen mit Zielen. Da wird das dann zentral begleitet. Wir haben ein anderes Zentrum, das möchte sich erst einmal darauf konzentrieren, individuelles Coaching für die Leitungsebene anzubieten. Also es gibt ganz unterschiedliche Dinge, ganz unterschiedliche Entwicklungsstände und die werden halt auch von der Zentralen Personalentwicklung unterstützt. A: Ein Erfolgsrezept von uns ist, dass wir nicht zentral einfach etwas drüberstülpen und sagen: Es ist richtig so, das haben wir gelesen und eingekauft und das machen wir jetzt, sondern wir versuchen immer, sehr stark abzustimmen, was ist möglich als nächster Schritt, wo entwickelt sich etwas, das man abholen kann und das passend ist, damit wir das nicht verlieren. Der Personalentwicklung mit interprofessioneller Ausrichtung wird eine zentrale Rolle bei der Überwindung der traditionellen Grenzen und der alltäglichen Spannungen zwischen den Berufsgruppen im Krankenhaus zugeschrieben. Die in den letzten Jahren an vielen Universitätsklinika angestoßenen Aktivitäten, nicht zuletzt im Rahmen des Qualitätsmanagements, gilt es, weiter auszubauen. Die guten Ergebnisse, auch ökonomisch betrachtet, an den wenigen Universitätsklinika, insbesondere in Österreich und der Schweiz, die ihr Augenmerk schon seit vielen Jahren auf eine interprofessionelle Personalentwicklung legen, belegen den Nutzen. Die Befürchtung, dass diese Bemühungen an den Häusern, die damit erst jetzt beginnen, möglicherweise durch den zunehmenden Kostendruck konterkariert werden könnten, ist nicht von der Hand zu weisen. Ein Argument dafür, letztlich auf Aktivitäten zur kontinuierlichen Verbesserung der Zusammenarbeit zwischen den Berufsgruppen zu verzichten, mag dies allerdings nicht sein. Seite 195 von 430 3.2.10 Evaluation Die klassischen Kurse und Seminare im Rahmen von Fort- und Weiterbildungsmaßnahmen werden an den Universitätsklinika überwiegend durch Rückmeldebögen evaluiert. Wo dies noch nicht der Fall ist, ist es zumindest geplant. Darüber hinaus werden Personalentwicklungsmaßnahmen aber nur in Einzelfällen und nicht flächendeckend evaluiert. Diese Beobachtung deckt sich mit der Diagnose, dass in deutschen Kliniken Evaluation von Personalentwicklungsmaßnahmen noch eher selten anzutreffen ist.335 E: Insgesamt muss man aber sagen, das ist noch zu wenig systematisch. Ich würde gerne auch dazu kommen, es mit Kennzahlen in Zusammenhang zu bringen, einfach auch aus Argumentationsgründen, aber im Moment kriegen wir den Aufwand nicht gerührt. G: Ich glaube, wir werden das in Zukunft sehr viel besser und strukturierter machen müssen. Führungsausbildungen, die in der Regel einen höheren Aufwand verursachen und auch teurer sind, als gängige Schulungsmaßnahmen, werden auf unterschiedliche Weise evaluiert. Neben den gängigen, bereits genannten Instrumenten, wird die Führungsausbildung zum Teil wissenschaftlich begleitet oder auch sehr intensiv durch Nachgespräche evaluiert. N: Zwei Monate nach Abschluss dieser Ausbildung werden noch mal Transfergespräche geführt mit den Teilnehmern: Was ist noch da, was haben Sie mitgenommen, was konnten Sie umsetzen, was ist positiv, was war weniger gut und was würden Sie sich wünschen, damit das auch präsent bleibt 3.2.11 Entwicklungsförderliche Arbeitsgestaltung Insgesamt können die Vorstellungen der Personalverantwortlichen zur Frage, wie 335 siehe: Grether, Th.: Die Kunst, im Klinikum menschlich zu dirigieren in: führen & wirtschaften 2/2008 Seite 135 Seite 196 von 430 man es schafft, die Arbeit so zu organisieren, dass Lernen und Entwickeln gefördert werden, durchaus als spärlich bezeichnet werden. Eine Maßnahme, die von mehreren interviewten Personen als entwicklungs- und lernförderlich angesehen wird, ist die Einbindung in Projektarbeit, speziell in berufsgruppen- und abteilungsübergreifenden Projekten. L: Da können die Leute ungeheuer viel lernen, weil sie da Einblicke auch noch in ganz andere Bereiche bekommen, also auch andere Abteilungen, auch im Ärztebereich und so weiter. Wenn so ein Projekt dann geklappt hat, ist es ja auch ein Erfolgserlebnis. A: Das Projekt an sich ist es gar nicht, sondern eher das: Wie macht ihr das, wie geht ihr das interdisziplinär an, eine Idee zu generieren, wie steht ihr gemeinsam für das Resultat ein. Der Effekt der Projekte war viel höher, als wir erwartet hatten: die haben sich nicht nur in kurzer Zeit zusammengerauft, sondern es sind auch Ideen entstanden, die man sich sonst nicht zutraut, im Haus auszusprechen. Als weitere Maßnahmen einer entwicklungsförderlichen Arbeitsgestaltung wurden genannt: • Etablierung einer Fehlerkultur, die es ermöglicht, Fehler einzugestehen und zu reflektieren, um diese für die Zukunft zu vermeiden. Hier wird die Möglichkeit erwähnt, im Intranet Fehler und Fehlhaltungen auch anonym darzustellen. Über eine zentrale Auswertung werden Fehlerhäufigkeiten analysiert. In einer Art öffentlichem Forum können Tipps zur künftigen Fehlervermeidung ausgetauscht werden. • Schaffung von Entscheidungsfreiräumen im Arbeitsalltag: B: Entscheidungsfreiräume in der Arbeit einräumen, das setzt unheimlich viel Potential frei. C: Das Thema „ich mach’s lieber selbst, bevor ich’s einem erkläre“ ist sehr kontraproduktiv, das schafft nur dressierte Affen. • Ein Interviewpartner schlägt ein gemäßigtes Rotationsprinzip vor: L: Jemand kann nur wirklich gut werden, wenn er auch in verschiedenen Bereichen sich mal bewährt hat, in verschiedene Bereiche hineingeblickt hat und eben nirSeite 197 von 430 gendwo der totale Fachidiot wird. Es ist natürlich gut, wenn einer auf einem Gebiet spezialisiert ist, dann kann man auch eine hohe Leistung von ihm erwarten. Aber irgendwann wird er wahrscheinlich auch mal betriebsblind und ich meine halt, wenn man hier jemanden wirklich dann in die echt guten Beförderungsposten befördert, dann muss er sich an verschiedenen Stellen bewährt haben. 3.2.12 Wissensmanagement und organisationales Lernen Insgesamt sind Wissensmanagement und Fragen des organisationalen Lernens an den Universitätsklinika allenfalls rudimentär vorhanden. Eine Ausnahme bildet das Intranet, auf welches gesondert einzugehen ist. Über das Intranet hinausgehende DV-basierte Lösungen konnten sich bisher an Universitätsklinika nicht durchsetzen. Es werden wenige Versuche geschildert, solche Lösungen zu testen. Die Systeme wurden aufgrund ihrer IT-Lastigkeit aber letztlich wieder verworfen. E: Genauso ist das mit Wissensmanagement. Es gibt ganz viele hochtrabende ehrgeizige Projekte aus dem EDV-Bereich, die durchaus im Trend liegen. Immer wenn man hinguckt und guckt, was ist davon Realität geworden und was wird davon umgesetzt, gelangt man in lauter Halbheiten. Im Zuge der Etablierung verschiedenster Systeme von Qualitätsmanagement wird sehr viel Wissen über Prozesse und Standards mit Handbüchern festgehalten. Das Anlegen solcher Wissensspeicher geschieht durchaus auch systematisch, die Pflege der Dokumente ist davon abhängig, welchen Stellenwert ein kontinuierliches Qualitätsmanagement am jeweiligen Universitätsklinikum hat. Diese Wissensspeicher existieren dezentral und sind nur in Ausnahmefällen miteinander verknüpft und vernetzt im Sinne eines permanenten Austausches und einer Weiterentwicklung von Wissen. Vereinzelt werden weitere Beispiele von Maßnahmen genannt, mit denen Wissen im Unternehmen gesichert und weiterentwickelt wird. F: Wir haben einen Expertisepool gegründet, in den wir Experten und Expertinnen im Haus quasi aufgenommen haben, die ihrerseits Wissen aktiv weitergeben und das eben kostenlos und in regelmäßigen Abständen. Seite 198 von 430 J: Die haben auf der Gynäkologie jeden Montag ein Power-Learning, das dauert nur eine Viertelstunde, wo einer irgendwas Neues, sei es eine neue Nahttechnik oder ein neuer Verband oder sonst irgendwas, vorstellt, um sozusagen das, was an einem Pol an neuem Wissen entsteht auch zu verbreiten und zu verteilen. C: Das mit dem Wissensmanagement hat früher sehr oft geklappt, weil die Leute sich kannten. Es bestanden zwar offizielle Anweisungen, die hat aber kein Mensch beachtet. Der Egon und der Jupp, die haben das gewusst und die konnten das und dann sind der Egon und der Jupp in Rente gegangen und dann entstand das klassische Dilemma. Wir haben dann einfach begonnen, viele Sachen im Handbuchsinne festzuhalten, haben aber auch über die Regelkommunikation versucht, das weiter zu entwickeln. Wir haben zum Beispiel in einem Bereich in der Logistik einen Mitarbeiter gehabt, der war viele Jahre die zentrale Person, der wusste alles und kannte alles. Da haben wir gemerkt, dass es natürlich nicht reicht, jetzt ein paar Prozessbeschreibungen zu haben, sondern wir haben festgestellt, man muss dann die Leute aus ihrer Berufsphase sozusagen ausgleiten lassen. Der ist in den letzten zwei Jahren immer mehr aus dem Operativen direkt rausgekommen und hat sich auf so ne Art Senior Consult Rolle zurückziehen können. Damit haben wir sehr viel Wissen auf die nächsten Führungskräfte, die neu gekommen sind, übertragen. 3.2.13 Wissenstransfer durch das Intranet Alle Universitätsklinika verfügen über ein Intranet und somit über eine interne, dem Internet nachgebildete elektronische Plattform. Die Nutzung des Intranets und sein Nutzen werden zwar insgesamt tendenziell positiv, dabei aber sehr unterschiedlich gesehen. Das Intranet dient nahezu ausschließlich als Informationsplattform, in der klar dokumentierbares Wissen hinterlegt wird. Genannt werden exemplarisch Formulare, Nachschlagewerke, Informationen über Veranstaltungen und Mitteilungen des Vorstandes. Als Dialogplattform, die auch Diskussionen ermöglicht, wird das Intranet nur an wenigen Standorten und nur punktuell genutzt. C: Eigentlich ist das Intranet eine perfekte Lösung, um Leute sofort zu informieren. Es ist keine Kommunikationsplattform, weil es ja eine Einwegsache ist, also so `nen Chatroom, das will ich ja auch nicht, weil die Mitarbeiter sollen ja nicht da irgendwie rumchatten. R: ohne Intranet wäre es nicht mehr denkbar heute. Es ist, denke ich, schon fast Seite 199 von 430 das wichtigste schriftliche Informationsmedium heute bei uns. Insbesondere Führungskräfte holen sich Informationen aus dem Intranet. Eine in 2007 an einem Universitätsklinikum durchgeführte Mitarbeiterbefragung ergab hier einen Nutzungsgrad von 84 %. Die Vielzahl der an Universitätsklinika arbeitenden Menschen macht das Intranet, das die Verfügbarkeit von Informationen für Viele ermöglicht, zum wertvollen Instrument des Wissensmanagements. Trotzdem ist die Einschätzung des Intranets und seines Nutzens nicht durchgehend positiv. Ob und welche Informationen hier angeboten werden, unterliegt oft dem Zufallsprinzip. K: Wir haben das Intranet sehr unterschiedlich gefüllt, manche nutzen das sehr gut, manche weniger. O: Mein Kaufmännischer Vorstand hat mal gesagt, wenn man was versenken will an Informationen, dann muss man das ins Intranet stellen. Als problematisch zu betrachten ist die Tatsache, dass trotz nahezu flächendeckender elektronischer Vernetzung innerhalb der Universitätsklinika nach wie vor viele Mitarbeiter keinen Zugang zum Intranet haben. Nicht nur aus diesem Grund existieren an nahezu allen Universitätsklinika parallel noch interne Printmedien. Der Nutzen des Intranets für Wissensmanagement wird stark davon geprägt, wie systematisch dieses gepflegt und aktuell gehalten wird. Weitere wichtige Aspekte sind die Struktur des Intranets, seine Performance, insbesondere die Bildschirmoberfläche und die Qualität der Hardware. Mängel in diesen Bereichen schränken den Nutzen und letztlich auch die Nutzung des Intranets erheblich ein. K: Das System ist völlig überlastet, das war eine Fehlinvestition. Es ist eigentlich für ein paar hundert Mitarbeiter konfiguriert und nicht für ein Haus mit 6.500, so dass man mit dem System eigentlich schlecht arbeiten kann. H: Unser Intranet ist vom Aufbau her eine Katastrophe, da sind sich alle einig. Da fehlt eine Struktur und deshalb ist es schwierig, das, was man sucht, da auch zu finden. Seite 200 von 430 3.2.14 Perspektiven einer Personalentwicklung an Universitätsklinika Einigkeit besteht unter den Personalleitern der Universitätsklinika darüber, dass Personalentwicklung in so großen Unternehmen mit mehreren tausend Beschäftigten das Vorhalten einer entsprechenden Infrastruktur voraussetzt. So weisen diejenigen Befragten, in deren Klinika noch keine Organisationseinheit für Personalentwicklung besteht, übereinstimmend darauf hin, dass ein eigener Bereich und ein eigenes Budget für Personalentwicklung wichtige Voraussetzung und angestrebtes Ziel für die Zukunft seien. Auf die Frage, wie die Personalentwicklung in der Zukunft aussehen müsse, damit sie den Vorstellungen der Befragten entspricht, wurde vereinzelt darauf hingewiesen, dass es ein Idealbild einer Personalentwicklung an Universitätsklinika nicht geben könne, da Personalentwicklung selbst einerseits einem ständigen Wandel unterzogen ist und andererseits auch abhängig ist vom Reifegrad jedes Unternehmens. Überwiegend bestehen aber konkrete Vorstellungen darüber, welche Instrumente und Maßnahmen der Personalentwicklung in der Zukunft angeboten werden sollen. Genannt werden: • Stellenbeschreibungen, • regelmäßige Mitarbeitergespräche, • wertschätzender Umgang mit den Mitarbeitern, • durchgehend standardisierte Führungskräfteentwicklung, • Coaching, • Teamentwicklung, • Fort- und Weiterbildung mit Schwerpunkt Schlüsselqualifikation, • Elektronische Erfassung von Qualifikationen, • Gesundheitsmanagementprogramme, • Angebote zum Lernen im Alter, • Einführung betriebliches Vorschlagswesen, • Laufbahnbegleitung, • Potentialanalyse und darauf aufbauend Entwicklungspläne. Seite 201 von 430 Auch an dieser Stelle wird darauf hingewiesen, dass die Verankerung der strategischen Personalentwicklung auf der Vorstandsebene anzustreben ist. Auch werden ganz allgemein der Ausbau von Netzwerken sowie die Förderung des Verständnisses zwischen den Berufsgruppen benannt. Ebenfalls wird darauf hingewiesen, dass ein umfassendes Personalentwicklungskonzept ein geeignetes Instrument für die Außendarstellung, das Personalmarketing ist und dass dieser Aspekt in Zukunft noch an Bedeutung gewinnen wird. Die Personalentwicklung an Universitätsklinika wird sich künftig auch verstärkt über die Grenze des eigenen Klinikums hinaus vernetzen müssen, um insbesondere spezialisierten Fachkräften im ärztlichen und pflegerischen Bereich Weiterentwicklung durch Einsätze in anderen Krankenhäusern zu ermöglichen. Im ärztlichen Bereich sind hier Austauschprogramme und Einsätze über die Ländergrenzen hinweg durchaus nicht unüblich. Mit der zunehmenden Professionalisierung und Ausdifferenzierung des Pflegebereiches, zum Teil auch der medizinisch-technischen Berufe, wird auch dort eine kooperative Vernetzung über die Grenzen des jeweiligen Universitätsklinikums hinaus zunehmend an Bedeutung gewinnen. 3.3 Induktive Auswertung der Experteninterviews 3.3.1 Problembewältigung und Personalentwicklung Gibt es eine Korrelation zwischen der Grundeinstellung des Interviewten in Bezug auf Problembewältigung und dem Integrationswert der Personalentwicklung im jeweiligen Klinikum? Welche Grundhaltungen dominieren unter den obersten Personalverantwortlichen der Universitätsklinika in Bezug auf das Problem oder die Herausforderung Personalentwicklung? Die durchgeführten Experteninterviews habe ich danach analysiert, inwieweit eine pessimistische, eine optimistische oder eine eher skeptische, ambivalente Einstellung der Interviewten zum Thema Personalentwicklung erkennbar wird. Im Ergebnis ist festzuhalten, dass sowohl eine ausgeprägt optimistische wie auch eine ausgeprägt pessimistische Grundhaltung die Ausnahmen sind. Zu einer deutlich optimistischen Sichtweise tendieren zwei weibliche Interviewte, die berichten, dass die Leute sehr gut unterwegs sind, Personalentwicklung eine enorme Seite 202 von 430 Dynamik habe. Bei zwei männlichen Interviewten ist eine durchweg pessimistische Grundhaltung erkennbar. Es wird befürchtet, dass das Verhältnis der Berufsgruppen sich noch weiter aufspalten wird, es wird ausschließlich von deutlichen Problemen gesprochen, die man zwar sehe, aber bei denen man keine Lösung habe. Die eigenen Handlungsmöglichkeiten werden als faktisch nicht gegeben angesehen. H: Ich finde, das ist eine Glaubenssache. Solange das Präsidium glaubt, das bringt was, unterstützen sie das und wenn sie’s nicht mehr glauben, ist es nix. Die meisten Interviewten sind verhalten optimistisch. Der Optimismus speist sich dabei aus der Einschätzung, dass Personalentwicklung an Bedeutung gewinnen wird. Dies deckt sich auch mit dem Ergebnis der Befragung. Die Aussage Personalent- wicklung wird an unserem Klinikum in Zukunft an Bedeutung gewinnen erfährt in der gesamten Befragung die höchste Zustimmung.336 Diesem Optimismus zur Seite steht aber die Skepsis, ob und wie Personalentwicklung konzeptionell und zeitnah angegangen werden kann. Immer wieder wird die Hoffnung geäußert, dass mit einer neuen Generation von Führungskräften insbesondere im ärztlichen Bereich auch mehr Offenheit für Personalentwicklung in den Klinika Einzug halten wird. Man sieht sich ganz am Anfang des Weges, man hofft, dass der Wind sich dreht und setzt auf die nächste Generation sozusagen nach der Gründungsgeneration, die offen für solche Themen ist. H: Das ist bislang erst einmal eine Idee in unseren Köpfen, aber wir haben noch kein Projekt, wo wir das einbringen können, aber das ist das Ziel und das ist der Weg, wo wir gern hin wollen, aber ich kann Ihnen heute nicht sagen, wann wir da sein werden. G: Da müssen wir komplett bei Null anfangen und müssen dort erst einmal Grundstrukturen legen, was natürlich im Moment in der Situation, in der wir stehen mit all den Veränderungen so ein wenig schwieriges Beigeschäft ist. C: Und wenn wir das große Gesamte weiterentwickeln, da hat jeder seine eigene Arbeit und darf nicht nur warten, bis von oben was kommt. Dann glaub ich, kriegen wir das irgendwann soweit hin, dass wir die kritische Masse haben um Brücken zu schließen, damit das Eis wieder zufriert und dann können wir da drüber laufen, und dann haben wir das Jahr 2000 und ich weiß nicht was. 336 siehe Teil II Abschnitt 2.3.6 Zukunftsbedeutung von Personalentwicklung Seite 203 von 430 Abschließend sei noch erwähnt, dass der Integrationswert an den beiden Universitätsklinika mit Personalleiterinnen mit durchweg optimistischer Grundhaltung bei 3,2 bzw. 4,0 liegt, während beide Klinika mit Personalleitern mit grundsätzlich pessimistischer Haltung bei 2,6 liegen. 3.3.2 Personalmanager oder Personalentwickler – vom Umgang mit Rollenambiguität Das Rollenverständnis der Personalleiter in Bezug auf Personalentwicklung differiert zwischen den Personen deutlich. Nicht selten finden sich widersprüchliche Rollenverständnisse in einer Person. Aus den Interviews lassen sich induktiv drei Rollenmodelle erkennen: A) Die Rolle des Treibers, eines Motors der Personalentwicklung Der Personalleiter versteht sich als aktiver Entwickler von Personal. Seine Aufgabe ist es, bei Führungskräften und bei Mitarbeitern das Bewusstsein für die Notwendigkeit der Teilnahme an Fort- und Weiterbildungsmaßnahmen sowie der Nutzung von Personalentwicklungsinstrumenten zu wecken. Dabei hält er es durchaus für notwendig, auch Druck ausüben zu können und Verbindlichkeit einfordern zu dürfen. In diesem Rollenverständnis tendiert der Personalchef zur Entwicklung zentraler Instrumente, die es Top-Down zu implementieren gilt. Er versteht sich als Macher, Personalentwicklung ist für ihn eine proaktiv anzugehende Aufgabe. H: Da wollen wir halt ansetzen und das Problembewusstsein wecken. Auf der anderen Seite muss es aber auch dann klare Vorgaben geben, damit man Eitelkeiten und sonstige Sachen, die nicht sein müssten, auch mit Druck überwinden kann. A: Das Thema Einfordern von Verbindlichkeiten nimmt zu. B) Die Rolle des Ermöglichers, des Mentors und Unterstützers von Personalentwicklung Dieses Rollenverständnis geht davon aus, dass es letztlich zuvorderst Aufgabe und Interesse des einzelnen Mitarbeiters ist, sich zu entwickeln. Der Personalleiter als Seite 204 von 430 Personalentwickler gibt lediglich Hinweise und stellt einen Werkzeugkasten bzw. ein Instrumentarium zur Personalentwicklung zur Verfügung. Er versteht sich als Begleiter des Mitarbeiters, welcher letztlich selbst über den Weg und über die Annahme verschiedener Angebote entscheidet. J: Durch Personalentwicklungsmaßnahmen wollen wir einerseits durch Trainings und Fort- und Weiterbildung das Qualifikationsniveau halten und verbessern. Auf der anderen Seite wollen wir die Selbststeuerungsfähigkeit unserer Organisationseinheiten fördern und stärken, weil wir glauben, dass gut selbstorganisierte Bereiche auch besser steuerbar sind, als schlecht organisierte Bereiche. Die Personalentwicklung soll einen Beitrag dazu leisten, dass die Kliniken und die Primariate337 und alle unsere Organisationseinheiten einfach aus sich heraus besser mit Veränderungen, mit neuen Herausforderungen umgehen können. N: Ich bin ja nicht der Problemlöser für alle, der jetzt für alle Lösungen anbietet, sondern eigentlich jeden unterstützt in der Lösungsfindung. In meiner Rolle bin ich ein Berater, d. h., ich kann was anbieten. Ich kann das aber nicht über die Köpfe der Führungskräfte hinweg entscheiden. C: Ich glaube nicht, dass man Personalentwicklung verordnen kann. Wenn es ein Problem gibt irgendwo, z. B. einen Konfliktfall, dann bieten wir Unterstützungen im Rahmen der Mediation an. Aber ob die das dann wahrnehmen, die jeweiligen Führungskräfte, ist dann die zweite Sache, verordnen können Sie das nicht. C) Durch ökonomisches Denken geprägtes Rollenverständnis, welches Personalentwicklung im Wesentlichen vor dem Hintergrund von Kosten und Nutzen beurteilt Der Personalleiter sieht sowohl das Personal wie auch die Personalentwicklung zuvorderst als Kostenfaktor. Personalentwicklungsmaßnahmen müssen sich vor diesem Hintergrund rechnen und ihren Nutzen belegen können. Personalentwicklung wird im Wesentlichen verstanden als ein Angebot verschiedener Maßnahmen, die je nach Bedarf eingesetzt werden können. Der Fokus liegt stark auf der Fort- und Weiterbildung. Sofern in Eigenregie Fort- und Weiterbildungsmaßnahmen angeboten werden, sollten diese marktfähig sein und auch nach außen verkauft werden können. Personalentwicklung dient auch als Hilfsmittel zur Umsetzung von Personalabbau. 337 entspricht an deutschen Universitätsklinika den ärztlich geleiteten Abteilungen Seite 205 von 430 H: In letzter Zeit ist die Pflege eher ein Kostenproblem geworden. Wir haben im Vergleich eine gut ausgebildete und gut qualifizierte Pflege, aber die Durchschnittspersonalkosten sind relativ hoch. H: Ob das Geld, was da für Personalentwicklung ausgegeben wird, in jedem Fall nutz- und sinnbringend eingesetzt ist, darf bezweifelt werden. B: Wir machen wirklich nur das, was notwendig ist. H: Wir müssen aus der reinen Beraterrolle in die Rolle des Geschäftspartners reinkommen. H: Da muss ich mir auch die Frage stellen, wie entwickle ich Personen aus dem Klinikum hinaus. Die genannten idealtypischen Rollenmodelle sind unter den interviewten Personalleitern sozusagen in „Reinform“ nur in Ausnahmefällen zuordenbar. Ca. 1/3 der interviewten Personen schwanken zwischen den Rollenmodellen A und C, 2/3 zwischen den Rollenmodellen A und B. Rollenkonflikte werden insbesondere zwischen der Rollenerwartung an den Personalmanager und Personalchef einerseits und an den Personalentwickler andererseits deutlich. Als Personalchefs sind die Interviewten verantwortlich für die Umsetzung der Unternehmensinteressen im Personalbereich. Insbesondere bei sogenannten „harten“ Maßnahmen wie Kündigungen, Abmahnungen oder Nichtverlängerung von Beschäftigungsverhältnissen ist ein partizipatives, per se mitarbeiterfreundliches Selbstverständnis eher hinderlich. Als Personalentwickler, der sich nach dem Rollenmodell B als Förderer und Begleiter von Prozessen der Selbstorganisation und der Selbstentwicklung versteht, ist ein partizipatives und mitarbeiterorientiertes Denken unabdingbar. Diese Doppelfunktion, in der sich viele Personalleiter sehen, wird zum Teil durchaus als problematisch und widersprüchlich erlebt. Andererseits wird an Hand der Interviews aber auch deutlich, dass hier bisweilen zwei eigentlich unvereinbare Rollenmodelle in einer Person sozusagen unverknüpft nebeneinander stehen. In zahlreichen Interviews wird betont, wie wichtig die Freiwilligkeit der Teilnahme an Personalentwicklungsmaßnahmen sei. Mitarbeiter und insbesondere Führungskräfte müssten mit viel Geduld und immer wieder überzeugt und auf ihrem jeweiligen Entwicklungsstand abgeholt werden. Dieselben Personalleiter betonen aber zum Teil nur wenige Sätze weiter die Notwendigkeit von Seite 206 von 430 Verbindlichkeit, von verpflichtenden Veranstaltungen und dass es eben nicht ausbleiben könne, immer wieder auch Druck auszuüben. Anschaulich wird von einem Interviewten erklärt, die Personalentwicklung in seinem Haus verfolge einen ganzheitlichen Beratungsansatz und verstehe sich als Begleiter der Mitarbeiter. Nur wenig später wird dann erklärt, man müsse von der Beraterrolle weg hin zur Rolle des Geschäftspartners, der auch Umsetzungsverantwortung trage. Diese Ambivalenz spiegelt sich ein Stück weit auch in der organisatorischen Zuordnung von Personalentwicklung wieder: Die Anzahl der Universitätsklinika, an denen eine bestehende Organisationseinheit Personalentwicklung als Stabstelle eingerichtet ist und die Zahl derer, an denen die Organisationseinheit in die Linienorganisation eingebunden ist, hält sich in etwa die Waage. Die Antwort auf die Frage, ob Personalentwicklung nun mit Entscheidungs- und Durchsetzungsmacht auszustatten ist oder besser als lediglich beratende und unterstützende Funktion vorgehalten werden soll, bleibt offen. Der auch in der Organisation erkennbare Spagat zwischen diesen beiden Polen pflanzt sich in der Rollenambiguität vieler Personalleiter fort. 3.3.3 Menschenbild und Personalentwicklung Die Analyse der Interviews in Bezug auf die Frage, welches Menschenbild aus dem Interview erkennbar wird und wie dieses das Verständnis von Personalentwicklung beeinflusst, soll entlang der nachstehend genannten drei idealtypischen Menschenbilder im Personalmanagement erfolgen: A) Tayloristisch geprägtes Menschenbild Der Interviewte ist eher einer tayloristischen Sichtweise des Mitarbeiters zugewandt. Der Mitarbeiter hat per se wenig Eigeninteresse, sich zu entwickeln und muss mit Lenkung, Führung und Druck, bisweilen auch mit Androhung von Sanktionen in die Richtung entwickelt werden, die dem Unternehmen dienlich ist. In der XY-Theorie nach McGregor haben wir es hier mit einem Personalleiter zu tun, der dem Menschenbild nach der Theorie X anhängt.338 Dieses Menschenbild wird in Aussagen erkennbar, die im Zusammenhang mit Personalentwicklung betonen, Mitarbeiter seien nur durch aktives Einwirken von Außen respektive von Oben zu entwickeln. 338 Zum Menschenbild des „Economic Man“ nach Frederik Winslow Taylor siehe nähere Ausführungen in Teil III Abschnitt 1.1.2. Modelle des arbeitenden Menschen, zur XY-Theorie von McGregor siehe Abschnitt 1.1.4. Motivationstheorien Seite 207 von 430 Diese Grundhaltung wird bei einer ganzen Reihe von Interviewten erkennbar, wenn von Personalanpassungsprojekten die Rede ist oder der manipulative Charakter von Personalentwicklungsmaßnahmen recht unverhohlen dargestellt wird. K: Die Ärzte und damit auch die Klinikdirektoren sind disziplinarisch dem Rektor der Universität unterstellt und damit nicht im disziplinarischen Zugriff des Vorstandes der Uniklinik und da muss man schon in irgend `ner Form mit Überzeugungsarbeit oder eben mit Mitteln der Personalentwicklung ansetzen. Bei einigen Interviewten wird der Hang zur tayloristischen Vorgehensweise vor allem dann deutlich, wenn über Personalentwicklung im ärztlichen Bereich gesprochen wird. Da soll Personalentwicklung verkauft werden, es müssen Veranstaltungen angeboten werden, wo die sich ihre Weiterbildungspunkte holen können. Auch ein Verständnis, das unter Personalentwicklung auch versteht, dass man sich beispielswei- se von Mitarbeitern, die längere Zeit krank sind oder die jetzt auffällig sind im Leistungs- oder Verhaltensbereich trennt, kann hier subsummiert werden. B) Mitarbeiterorientiertes Menschenbild Der Interviewte sieht den Mitarbeiter in Anlehnung an das Menschenbild der Human Relations-Bewegung als Menschen, dem er sich zuwenden und um dessen Entwicklung er sich aktiv und direkt kümmern muss. Personalentwicklung wird in erster Linie als Aufgabe des Topmanagements und der Führungskräfte gesehen, der Mitarbeiter ist sozusagen Objekt von deren Entwicklungsbemühungen. Die Entscheidung, in welchen Feldern und Inhalten sich Personal entwickeln soll, wird dem Grunde nach top down entschieden, ohne dabei aber die Interessen und Bedürfnisse der Mitarbeiter gänzlich zu ignorieren. Dieses Menschenbild korreliert stark mit dem Rollenverständnis des Treibers und Motors der Personalentwicklung. Elemente dieses Menschenbildes und Selbstverständnisses dominieren bei den Interviewten deutlich. Äußerungen wie A: Da fühlt sich jede Führungsperson sehr stark für die Weiterentwicklung ihrer Mitarbeitenden verantwortlich. oder Seite 208 von 430 P: Der unmittelbare Vorgesetzte ist der beste Personalentwickler, den es überhaupt gibt. seien exemplarisch erwähnt. C) Partizipativ ausgerichtetes Menschenbild Der Interviewte sieht den Mitarbeiter grundsätzlich als ein aus sich selbst entwicklungsfähiges und entwicklungswilliges Wesen. Die Personalentwicklung orientiert sich damit stark auf die Gestaltung lern- und entwicklungsförderlicher Rahmenbedingungen und verzichtet weitgehend auf ein direktes Einwirken auf die Mitarbeiter. Der Einsatz von Personalentwicklungsinstrumenten orientiert sich an den bottom up entwickelten Konzepten und artikulierten Bedürfnissen. Dieses Menschenbild und das damit zusammenhängende Verständnis von Personalentwicklung werden deutlich, wenn von der Selbststeuerungsfähigkeit unserer Organisationseinheiten die Rede ist, die es zu fördern und zu stärken gilt. Eine partizipative Grundeinstellung wird bei einem Viertel der interviewten Personalleiter erkennbar artikuliert. Das aus dem Gesagten in Konturen erkennbare Menschenbild beinhaltet aber neben den partizipativen Anteilen immer auch Elemente des Menschenbilds B. A: Es lebt alles über die Menschen. Ich behaupte mal ganz frech, es steht alles offen, aber nicht auf dem Serviertablett. A: Es geht darum, dass wir attraktive Arbeitsplätze haben, an denen man durch das Arbeiten auch einen Schritt weiter kommt. B: Wir haben nie, sagen wir mal, zwangsverordnet und gesagt, jeder muss da hin oder da wird ne Marke darangesetzt und gut, sondern: Es entwickelt sich etwas als Bedürfnis, dann wird es gemacht, dann wird es positiv reflektiert und dann kommen andere und sagen, das würden wir auch gerne machen. B: Entscheidungsfreiräume in der Arbeit einzuräumen, das setzt unheimlich viel Potential frei. O: Das geht nur mit den Mitarbeitern, ohne die funktioniert es gar nicht. D: Aber verordnen können Sie das nicht. Seite 209 von 430 R: Personalentwicklung ist für mich mal primär eigene Verantwortung, dann schon auch Führungsanforderung, aber ich denke, es muss ein ganz großer Anteil an Eigenverantwortung drin sein. Das Unternehmen wird dann sicher unterstützen und die Rahmenbedingungen zur Verfügung stellen, aber der erste Antrieb, der muss eigentlich vom Mitarbeiter selbst kommen. Die Nähe dieses Menschenbildes zum Rollenverständnis des Personalleiters als Ermöglicher, Mentor und Unterstützer von Personalentwicklung liegt auf der Hand. Überhaupt hat die Fragestellung nach dem hinter dem Personalentwicklungsverständnis des jeweiligen Personalleiters erkennbar werdenden Menschenbild eine deutliche inhaltliche Nähe zu seinem Rollenverständnis. Während bei Ersterem aber die Frage bearbeitet wird, wie der Personalleiter seine Rolle im Unternehmen sieht, ging es hier um die Fragestellung, wie der Personalleiter seine Mitarbeiter sieht. Und dass beides eng miteinander verknüpft ist, liegt auf der Hand: Das persönliche Rollenverständnis prägt die Sicht auf die Mitarbeiter ebenso, wie das Mitarbeiterbild des Personalleiters dessen Rollenverständnis beeinflusst. Im Ergebnis der Analyse ist festzuhalten, dass diejenigen Universitätsklinika, deren Personalleiter deutliche partizipative Ansätze verfolgen, durchweg einen hohen Integrationswert erreichen. Es gibt allerdings auch Häuser mit einem hohen Integrationswert, deren Personalleiter auch zu tayloristischen Sichtweisen neigen. Die Analyse lässt letztlich den Schluss zu, dass eine mitarbeiterorientierte, partizipative Denkund Handlungsweise des hierarchisch obersten personalverantwortlichen Funktionsträgers eine integrierte Personalentwicklung befördert und unterstützt. Die Analyse der Interviews dahingehend, ob es im Bezug auf das Menschen- bzw. Mitarbeiterbild des Personalleiters zwischen den männlichen und den weiblichen Interviewten signifikante Unterschiede gibt, führt im Ergebnis zur Feststellung, dass dem nicht so ist. Die Verteilung partizipativ orientierter und eher einer tayloristischen Sichtweise zugeneigter Personalverantwortlicher weicht zwischen Männern und Frauen nicht signifikant ab. 3.3.4 Verräterische Sprache – die Semantik der Interviews Die Auswertung nach der Semantik ergibt über alle Interviews keine verallgemeinerbar signifikanten Ergebnisse. Bei den meisten Interviews stehen ein auf Integration Seite 210 von 430 ausgerichteter Sprachgebrauch und ein eher auf Fragmentierung hinweisender Sprachgebrauch nebeneinander. Nahezu alle sprechen von der Notwendigkeit ko- operativ zu sein, vernetzt oder in Netzwerken zu arbeiten. Die Notwendigkeit, zusammenzuarbeiten in gemeinsamen Projekten und das gegenseitige Verständnis zu fördern, wird betont. Zugleich wird von Gräben und Grabenkämpfen, von Kollision und dem Keil zwischen der Belegschaft berichtet. Maßnahmen der Personalentwicklung werden einzelfallbezogen, begrenzt, dezentral oder punktuell und selektiv geschildert. Auffallend ist der stark integrierende, auf die Gesamtheit orientierte Sprachgebrauch der Personalleiterin eines Universitätsklinikums mit einem hohen Integrationswert der Personalentwicklung (4,0). Bei insgesamt vier Interviewten dominiert die auf Fragmentierung und Separierung insbesondere der Berufsgruppen hin deutende Semantik deutlich. Der Integrationswert der Personalentwicklung schwankt dort zwischen 2,2 und 3,6. Eine Gegenüberstellung der Semantik in Bezug auf die Diskurslogiken Markt/Ökonomie versus Mensch ergibt eine deutliche Dominanz der Verwendung semantischer Elemente aus dem Bereich Markt/Ökonomie. Diese Dimensionen werden in jedem Interview mehr oder weniger stark betont bzw. erwähnt. Im Gegensatz hierzu ist ein auf menschliche Aspekte ausgerichteter Sprachgebrauch jenseits der allgemein üblichen, eher an der Oberfläche bleibenden Semantik nur in wenigen Interviews zu identifizieren. Äußerungen dahingehend, Personalentwicklung dazu zu nutzen, dass sich die Beschäftigten gegenseitig besser verstehen und eine Vertrau- ensbasis entsteht, sind hier zuzuordnen ebenso wie der Hinweis auf einen wertschätzenden Umgang. Die explizite Benennung als Ziel der Personalentwicklung dafür Sorge zu tragen, dass niemand ausbrennt und niemand auf der Strecke bleibt, bleibt die Ausnahme. Der Einfluss ökonomischer Dimensionen auf die Personalentwicklung wird vielfach deutlich. Am häufigsten wird auf verschiedenste Weise auf den Kostendruck und Sparzwang verwiesen, je nach persönlicher Grundeinstellung oder Disposition als Kostenproblem oder Anforderung zur Kostenoptimierung. Mitarbeiter werden als Potentialträger, als Abbaupotential und somit Objekte für Kostendämpfung verstanden. Ein Interviewpartner berichtet von Personalanpassungsprojekten. Seite 211 von 430 Personalentwicklung wird mit der Notwendigkeit von Wertschöpfung in Verbindung gebracht, sie müsse sich mittelfristig rechnen und einen Mehrwert rausholen und Synergien schaffen. Sie müsse Produkte entwickeln und diese marktfähig machen. Über die Verkaufsschiene sei Personalentwicklung ein wichtiger Teil des Marketings. Der Integrationswert der Personalentwicklung liegt bei den Universitätsklinika, deren Personalleiter in den Interviews nahezu durchgängig einen ökonomisch geprägten Jargon verwenden zwischen 2,2 und 3,8. In den Interviews mit Personalleitern aus den sechs Universitätsklinika mit einem Integrationswert von 4,0 oder höher werden neben ökonomischen Sequenzen auch mitarbeiterorientierte Sprachelemente verwendet. Wie eingangs erwähnt sind die Ergebnisse an dieser Stelle aus meiner Sicht nicht ausreichend signifikant. Trotzdem möchte ich im Ergebnis die These wagen, dass eine integrierte Personalentwicklung auf hohem Niveau im Verantwortungsbereich eines Personalleiters tendenziell eher vorzufinden ist, der in seinem Sprachgebrauch die Gesamtheit betont und eine integrierende Semantik verwendet und darüber hinaus die ökonomische Logik mit der mitarbeiterorientierten Denkweise zu verbinden vermag. 3.3.5 Unternehmenskultur als Basis der Personalentwicklung Nachdem von einigen Personalleitern der Zusammenhang zwischen der Unternehmenskultur ihres Klinikums und der Personalentwicklung hergestellt wird, habe ich die Interviews nach Merkmalen der Unternehmenskultur und deren Prägung für die Personalentwicklung analysiert. Dabei ging es mir um Fragen wie: Welche Unternehmenskulturen sind an den Universitätsklinika dominant? Welche erkennbaren Merkmale von Unternehmenskultur werden von den Personalleitern in Verbindung mit Personalentwicklung genannt? Die Universitätsklinika können in Bezug auf ihre Unternehmenskultur danach unterschieden werden, ob diese eher von einer gemeinsamen, das gesamte Klinikum umfassenden Unternehmens- und Führungskultur geprägt werden oder von den bestehenden Subkulturen in den dominierenden Berufsgruppen. (Noch) sind diejenigen Seite 212 von 430 Universitätsklinika, die über wesentliche und prägende Elemente einer einheitlichen Unternehmenskultur verfügen, in der Minderheit. Das Bestreben, die Grenzen der Subkulturen zu überwinden, ist gleichwohl an den meisten Klinika erkennbar. I: Es gibt einfach schon eine Separierung in der Zusammenarbeit. Zum Beispiel zwischen den zwei Berufsgruppen Pflege und Ärzte, vieles was die verbindet, ist die Opposition gegenüber der Verwaltung. H: Ein klinikumsweites Verständnis für Personalentwicklung gibt es auf keinen Fall, es gibt vielleicht in den Berufsgruppen ein einheitliches Verständnis. […] Es ist verdammt schwierig, dieses Gucken über den Tellerrand mit der anderen Berufsgruppe zusammen. Aber auch: I: Gewünscht wäre, alle Leitungsmitarbeiter wüssten über ihre Personalentwicklungsaufgaben genauestens Bescheid und würden das auch leben. Die Universitätsklinika, deren Personalleiter über eine klinikumsweite Unternehmenskultur berichten, zeichnen sich zum einen dadurch aus, dass über die Grenzen der Berufsgruppen hinweg in netzwerkähnlichen Strukturen gearbeitet wird und zum anderen dadurch, dass ein erkennbares Engagement der obersten Führungsebene für die Unternehmens- und Führungskultur einhergeht mit partizipativen Elementen der Führung. A: Personalentwicklung hat bei mir sehr viel auch mit Kultur und Kulturverständnis zu tun, da investieren wir recht viel Zeit. Sicherlich viel viel mehr Zeit von mir geht in die Personalentwicklung in verschiedenen Facetten und nicht in den Personalalltag, also Lohnadministration. […] Wir haben ein Netzwerk aufgebaut über das ganze Haus hinweg, mit dem es möglich ist, sich auszutauschen auch über unkonventionelle Ideen. Erwähnenswert an dieser Stelle ist, dass in solchen Häusern das Personalcasino bzw. die Personalkantine, in der den Mitarbeitern eine vergünstigte Verpflegung angeboten wird, als zentraler Ort der Kommunikation und der Unternehmenskultur genannt wird. Weitere Kulturmerkmale sind erwähnenswert: Die Häuser mit einer einheitlichen UnSeite 213 von 430 ternehmenskultur zeichnen sich dadurch aus, dass eine formulierte Führungskultur existent ist, die von den Führungskräften auch eingefordert wird. Ein weiteres Kulturmerkmal ist der Grad der Wertschätzung gegenüber den Mitarbeitern. B: Also die intensivste Form sind unsere QM-Prozesse und da sind alle, sagen wir mal, unter dem Sachziel der Prozessoptimierung gefragt. Jeder ist an seiner Stelle wichtig, das wird auch verbal transportiert und es wird auch gelebt und das schweißt ganz anders zusammen. Von Personalleitern norddeutscher Universitätsklinika und von Klinika der neuen Bundesländer wird die Unternehmenskultur als sehr stark durch den Sparzwang und die Notwendigkeit, Personalabbau zu betreiben geprägt beschrieben. Als prägend für die Unternehmenskultur gilt die Zusammenarbeit zwischen dem ärztlichen und dem pflegerischen Bereich. Hier sind in den Interviews deutliche Unterschiede zwischen den drei Ländern erkennbar. In Deutschland ist die Kultur dieser Zusammenarbeit nach wie vor geprägt durch die Unterordnung der Pflege unter die Ärzteschaft. Beide Berufsgruppen pflegen ihre eigene, in vielerlei Hinsicht mit der anderen schwer kompatible Subkultur. In Österreich ist die Kultur der Zusammenarbeit stark geprägt durch das gesetzlich untermauerte Bestreben des Pflegebereiches, seine Autonomie und sein professionelles Selbstverständnis zu artikulieren, durchzusetzen und zu festigen, was bei den Ärzten eher Verunsicherung auslöst. Die Suche nach einem neuen Gleichgewicht zwischen diesen beiden Berufsgruppen ist zum Zeitpunkt der Interviews in 2007 keineswegs abgeschlossen. Das Verhältnis zwischen Ärzten und Pflegenden in der Schweiz ist dagegen durch eine Zusammenarbeit auf Augenhöhe geprägt. Immer wieder werden auch Elemente der Mikropolitik als die Kultur prägend beschrieben.339 H: Wir haben irgendwie so eine Kultur, dass die Leute in den offiziellen Besprechungen den Mund nicht aufmachen und wenn Pause ist oder wenn die Flurgespräche losgehen, dass gibt’s immer drei, vier, die sagen, das kann ja alles nicht funktionieren und die werden so ne negative Stimmung reinbringen und das beherrscht dann das Klima. 339 zum Thema Mikropolitik siehe Teil II Abschnitt 4.5 Mikropolitik oder die Grenzen der Personalentwicklung Seite 214 von 430 Als zentrales Kulturmerkmal wird die Partizipation der Mitarbeiter auf unterschiedliche Weise benannt. An einigen Universitätsklinika ist die Unternehmenskultur durch eine stark hierarchisch direktive Vorgehensweise geprägt, an anderen Universitätsklinika wird auf die Einbeziehung der Mitarbeiter dagegen deutlich Wert gelegt. B: Diese Akzeptanz von unten ist uns mehr Wert und da sagen wir eben: Gut, es dauert halt ein bisschen, aber wir gehen den Weg. G: Also ich würde mal sagen, da finden Sie bei uns ein sehr diffuses, unterschiedliches Bild was noch sehr stark von der individuellen Prägung abhängt. Auch da sind wir erst auf dem Weg, ein gemeinsames Entwicklungsverständnis zu erzeugen und das müssen Sie aus meiner Sicht von oben nach unten runter brechen, indem Sie bestimmte Vorgaben machen, nicht nur über ein Leitbild, sondern vielleicht auch über Entwicklungskonzepte, Entwicklungspläne und bestimmte Vorgaben. Den Rest müssen dann natürlich die Beschäftigten tun. C: Wir haben einen Vorstand gehabt, der hat das Thema Leitbild mit viel Aufwand ins Unternehmen gebracht und da haben wir einen Leitsatz, der eben lautet: Wir am Klinikum pflegen einen kooperativen Führungsstil und erreichen dadurch eine vertrauensvolle, erfolgreiche Zusammenarbeit. Na ja, die meisten wedeln sich mit dem Leitbild frische Luft zu oder so irgendwas. Seite 215 von 430 Seite 216 von 430 4 Personalentwicklung im Kontext der „lernenden Organisation“ Die Veränderungen im Umfeld von Unternehmen insgesamt und von Universitätsklinika im Speziellen vollziehen sich in einem immer schneller werdenden Tempo. Die Fähigkeit, hierauf flexibel und schnell reagieren zu können, wird zunehmend zu einem zentralen strategischen Erfolgsfaktor. Diese ständig steigende Geschwindigkeit des Wandels und der daraus resultierende Zwang, sich in einer zunehmend komplexer werdenden Umwelt zu orientieren, macht Lernen für Unternehmen zu einer absoluten Priorität. In der Managementliteratur wird seit längerem vorausgesagt, dass diejenigen Unternehmen, die sich mit den Aspekten des organisationalen Wandels und der Förderung ihrer Entwicklungsfähigkeit nicht erfolgreich auseinandersetzen, das Risiko eingehen, auf absehbare Zeit von der Bildfläche zu verschwinden.340 Eine us-amerikanische Studie identifiziert bereits in den 80er-Jahren des vergangenen Jahrhunderts eine enge Verbindung von Unternehmensentwicklung und gemeinsamem Lernen als kennzeichnend für erfolgreiche Unternehmungen. Aus Interviews mit neunzig erfolgreichen Unternehmensvorständen wurden diese als „Experten einer besonderen Art des Lernens – Lernen im organisatorischen Kontext“ bezeichnet.341 Die Managementforschung hat vor diesem Hintergrund unterschiedliche Konzepte entwickelt wie Business Re-Engineering, Lean Management oder Kaizen. Zu diesen gehört auch „Organisationales Lernen“, welches, im Gegensatz zu eher modischen Konzepten des Change Managements mit einer tendenziell kurzen Verfallszeit, eine hohe Aufmerksamkeit sowohl in der Wissenschaft als auch in der Praxis findet.342 In der Managementpraxis wird die „Lernende Organisation“ als Lösung des Problems des kontinuierlichen gesellschaftlichen und technologischen Wandels vorgeschlagen. Die organisationale Lernbereitschaft und Lernfähigkeit führe zu einer Wissenserweiterung, zu einer besseren Umweltanpassung und einer Steigerung der Innovationsfähigkeit und werde so zum Garanten für das Überleben des Unternehmens. Die wissenschaftliche Auseinandersetzung mit dem Konstrukt der lernenden Organi340 341 342 siehe: Berthel, J.; Becker, F. G.: Personal-Management; 7. Auflage Stuttgart 2003 sowie Grossmann, R.; Scala, K.; Heimerl, K.: 2002 ebenda Seite 194 sowie Probst, G.; Büchel, B.: Organisationales Lernen: Wettbewerbsvorteil der Zukunft, Wiesbaden 1994 Seite V. siehe: Bennis, W.; Nanus, B.: Führungskräfte. Die vier Schlüsselstrategien erfolgreichen Führens, 5. Auflage, Frankfurt/Main 1992 Seite 176 siehe: Kieser, A.: Moden/Mythen des Organisierens, in: Die Betriebswirtschaft 56, 1996 Seiten 7 bis 29 Seite 217 von 430 sation relativiert die bisweilen euphorischen Versprechungen der verkaufsorientierten Managementliteratur. Ungeachtet dessen hat aber auch die Wissenschaft die Organisationen als zentrale Lernorte in der heutigen Gesellschaft entdeckt.343 Auch die wissenschaftlichen Vorstellungen von lernender Organisation sehen in ihr einen Beitrag dazu, die Handlungsfähigkeit der Organisation zu erhöhen, sie zu befähigen, ständig sich komplexer gestaltende, widersprüchliche Anforderungen aushalten und ausbalancieren zu können. Es gelte, Kommunikationsprozesse zu entwickeln und zu gestalten, die Verständigung über die verschiedenen Gruppen und Teilsysteme einer Organisation hinweg zu fördern. Die Idee der lernenden Organisation ist die Idee einer ständigen Bereitschaft zur Veränderung in einer komplexen Umwelt.344 Dabei können Entwicklung und Lernen durch einen sinnvollen Kontext gefördert und unterstützt werden, sie können weder angeordnet noch auf irgendeine mechanische Weise konstruiert werden. Lernen wird verstanden als die Änderung von Handlungen, um künftige Erwartungsenttäuschungen zu vermeiden.345 4.1 Theorien des organisationalen Lernens Neben dem Begriff „organisationales Lernen“ haben sich eine ganze Reihe anderer Begriffe in der Literatur entwickelt, die parallel zumeist das gleiche meinen. Es finden sich Begriffe wie „organisatorisches Lernen“ oder „Organisationslernen“. Darüber hinaus hat sich in jüngerer Zeit insbesondere im Bereich der Managementliteratur der Begriff „lernende Organisation“ etabliert. Diese Begriffe zielen alle auf denselben Beobachtungsgegenstand: Das Lernen von Organisationen als Entitäten, in Abgrenzung zum Lernen in Organisationen durch die Organisationsmitglieder. Allen gemein ist zumindest implizit ein kognitives Lernverständnis. Lernen wird als reflexive Auseinandersetzung mit der Umwelt verstanden mit der Folge, dass die kognitiven Strukturen des lernenden Systems und die dort angelegten Vorstellungen von dieser Umwelt an Komplexität zunehmen. Denkbar sind Ausdifferenzierungen dieser Strukturen, aber auch Neuverknüpfungen. Dieser Lernbegriff grenzt sich deutlich von dem klassischen behavioristischen Verständnis ab, wonach lernen dem Prinzip von Anreiz und Reaktion folgt und an den Veränderungen des Verhaltens gemessen wird. Hier sei auch erwähnt, dass es bezüglich der zentralen Aspekte des Phänomens Lernen 343 344 345 siehe u. a.: Türk, K.: Neuere Entwicklungen in der Organisationsforschung. Ein Trendreport, Stuttgart 1989 nach: Borsi, G.: ebenda 1995 Seite 134 Nach: Neuberger, O.: Personalentwicklung, Stuttgart 2. Auflage 1994 Seite 261 Seite 218 von 430 in der Wissenschaft wenig Konsens gibt.346 Eine erste Definition organisationalen Lernens könnte hieraus abgeleitet wie folgt lauten: Der von den Organisationsmitgliedern relativ unabhängige Lernvorgang auf der Ebene der Organisation mit der Folge der Veränderung der kognitiven Strukturen und der darin enthaltenen Umweltinterpretationen der Organisation bezeichnet organisationales Lernen. Die individuelle und die kollektive Ebene werden so per Definition voneinander getrennt, wobei davon auszugehen ist, dass zwischen beiden Lernebenen Wechselbeziehungen bestehen. „A learning organization is an organization which facilitates the learning of all its members and continually transforms itself“.347 Die theoretische wie gestaltungsorientierte Beschäftigung mit organisationalem Lernen folgt einem impliziten gemeinsamen Paradigma: Einerseits wird Bezug genommen auf einen kognitiven Lernbegriff. Andererseits wird die Organisation als ein eigenständiges Handlungs- und Kognitionssystem verstanden. Beides führt organisationales Lernen zu einem Phänomen sozialer Wirklichkeitskonstruktion zusammen, indem es die kollektive Informationsverarbeitung beschreibt, mittels derer gemeinsame Realitätsentwürfe, hinterlegt in einem organisationalen Wissensspeicher, weiterentwickelt werden. Organisationales Lernen als eine andauernde Organisationsentwicklung fußt somit auf den Grundelementen „Lernkreisläufe“ und „Wissensumwandlung“.348 Es beschreibt „the process of improving actions through better knowledge and understanding“.349 Organisationales Lernen verfolgt das Ziel, die Lernfähigkeit der Organisation selbst zu erhalten und zu entwickeln sowie die organisationale Wissensbasis zu erweitern.350 Von organisationalem Lernen kann erst gesprochen werden, wenn Organisationslernen nicht mit der Summe des Lernens der Organisationsmitglieder gleichgesetzt wird. Ausgangspunkt ist die Erkenntnis, dass Organisationen Eigenschaften haben, die Individuen, auch aggregiert, eben nicht aufweisen können. Prozesse in Organisationen sind nicht in toto auf das individuelle Verhalten der Organisationsmitglieder 346 siehe: Sonntag, K.; Stegmaier, R.: Arbeitsorientiertes Lernen, Stuttgart 2007 Seite 19 Garratt, B.: Creating a Learning Organisation, Cambridge 1990 Seite 77 348 Brehm, S.: Konzepte zur Unternehmensveränderung. Organisationales Lernen und Vorschlagswesen, Qualitätszirkel und Kaizen-Workshops. Dissertation, Wiesbaden 2001 Seite 69 349 Fiol, C. M.; Lyles, M. A.: Organizational Learning in: Academy of Management Review, Heft 4, Seite 803 350 siehe: Becker, M.: 2005 ebenda Seiten 438f 347 Seite 219 von 430 rückführbar.351 Immer, wenn Menschen in Organisationen ein Problem zu lösen versuchen, bearbeiten sie auch ihre Beziehungen und sich selbst. Es ändern sich die Menschen und die Arbeits- und Organisationsstrukturen.352 Dies allein kann natürlich keine lernende Organisation begründen, ist aber eine wichtige Erkenntnis für die Entwicklung einer Idee organisationalen Lernens. Unter organisationalem Lernen ist der Prozess der Erhöhung und Veränderung der organisationalen Wert- und Wissensbasis, die Verbesserung der Problemlösungs- und Handlungskompetenz sowie die Veränderung des gemeinsamen Bezugsrahmens innerhalb der Organisation zu verstehen.353 Lernfähige Organisationen werden so von ihren Mitgliedern durch Kommunikation erzeugt. Sie können auf Basis der Theorie autopoietischer Systeme durch „Autonomie“ und „Selbstreferenz“ charakterisiert werden.354 In der Forschung zu organisationalem Lernen werden drei verschiedene, sich gleichwohl ergänzende Perspektiven unterschieden: Organisationales Lernen als Anpassung (Adaptation), organisationales Lernen als Konstruieren einer gemeinsamen Wirklichkeit und organisationales Lernen als Entwicklung einer gemeinsamen Wissensbasis.355 Organisationales Lernen dient dazu, die organisatorische Wissensbasis zu nutzen, zu verändern und fortzuentwickeln.356 Lernende Organisationen können insofern auch als „Inkarnation kollektiver Personalentwicklung“ verstanden werden.357 Zugleich bieten lernende Organisationen auch den stimulierenden Rahmen für die 351 352 353 354 355 356 357 siehe: Cranach, M.; von Ochsenbein, G.; Tschan, F.: Arbeitsgruppen, in: Greif, S.; Holling, H.; Nicholson, N. (Hrsg.): Arbeits- und Organisationspsychologie. Internationales Handbuch in Schlüsselbegriffen, München 1989 zitiert nach Greif, S.: Kommentar zu „Identitätsprobleme Organisationspsychologischer Forschung“ von G. F. Müller. Zeitschrift für Arbeits- und Organisationspsychologie 34, 1990 Seite 96 siehe Novak, H.: Gruppenarbeit: Ein neuer Maßstab für Organisationsentwicklung und berufliche Bildung? in: Binkelmann, P. et. al. (Hrsg.): Entwicklung der Gruppenarbeit in Deutschland, Frankfurt Main 1993 Seite 412 Probst, G.; Büchel, B.: 1994 ebenda Seite 17 siehe: Reinhardt, R.: Das Modell organisationaler Lernfähigkeit und die Gestaltung lernfähiger Organisationen. Europäische Hochschulschriften Band 1.425, 2. Auflage Frankfurt/Main 1995 Seite 275 siehe: Sackmann, S.: Die lernfähige Organisation, in: Fatzer, G. (Hrsg. ): Organisationsentwicklung für die Zukunft, 2. Auflage Köln 1999 Seite 229 siehe: Pautzke, G.: Die Evolution der organisatorischen Wissensbasis. Bausteine zu einer Theorie des organisatorischen Lernens, München 1989 siehe: Wunderer, R.: Führung und Zusammenarbeit: Eine unternehmerische Führungslehre, München 2006 Seite 237 Seite 220 von 430 individuelle Personalentwicklung. Und: Die im Rahmen des organisationalen Lernens entwickelten Entscheidungsregeln, Wissensbestände, Informationspools und Interpretationsmuster sind immer zugleich auch Basis für zukünftiges Handeln in Organisationen. 4.1.1 Der erfahrungsorientierte Ansatz Als wohl älteste Schule mit einheitlicher theoretischer Fundierung und kontinuierlicher Weiterentwicklung einer klar umrissenen Vorstellung von organisationalem Lernen kann der erfahrungsorientierte Ansatz gelten.358 Der erfahrungsorientierte Ansatz versteht lernen als „adaptive learning“ und wurzelt in der verhaltenswissenschaftlichen Entscheidungstheorie.359 Im Zentrum des Erkenntnisinteresses der verhaltenswissenschaftlichen Entscheidungstheorie steht die Frage, wie Organisationen ihre Existenz durch Anpassung an eine sich permanent in Veränderung befindliche komplexe Umwelt sichern. Die Antwort wird in menschlichem Entscheidungsverhalten gesucht. Die Grundlage des Entscheidungsverhaltens wird in der Konstruktion der begrenzten Rationalität gesehen. Individuen handeln zwar durchaus rational, die Grenzen der Informationsaufnahme und –verarbeitung limitieren aber diese Rationalität. So sei auch organisationales Lernen demzufolge begrenzt rational, weil es immer auf Grundlage unvollständiger Informationen stattfindet. Um trotzdem Entscheidungen treffen zu können, verwenden Individuen primär drei verschiedene Entscheidungsregeln.360 Erstens geben sich Individuen in den meisten Entscheidungssituationen mit der Suche nach befriedigenden Lösungen zufrieden und verzichten darauf, alle möglichen Entscheidungsalternativen zu betrachten. Zweitens werden diese befriedigenden Lösungen am jeweiligen Anspruchsniveau gemessen, welches mit den Erfahrungen der Individuen variiert. Dabei geht der entscheidungsorientierte Ansatz davon aus, das Anspruchsniveau steige hierbei 358 359 360 Erste Grundlagen des Ansatzes sind zu finden in: Cyert, R.M.; March, J. G.: The Behavioral Theory of the Firm, Englewood Cliffs 1963. Die Weiterentwicklung bis heute ist stark durch die Arbeiten von March geprägt, zu nennen wären hier z. B.: March, J. G.; Olsen, J. P.: Ambiguity and Choice in Organizations, Bergen 1976 sowie: Exploration and Exploitation in Organizational Learning, in: Organization Science, 2/1991 Seiten 71 bis 87 Als Hauptvertreter der in den Dreißigerjahren entstandenen verhaltenswissenschaftlichen Entscheidungstheorie sind Chester I. Barnard, Herbert A. Simon, James G. March, Johan P. Olsen, Richard M. Cyert und Michael D. Cohen zu nennen. nach: March J. G.; Simon, H. A.: Organisation und Individuum: Menschliches Verhalten in Organisationen, Wiesbaden 1976 Seiten 129 ff. Seite 221 von 430 langsam an. Und Drittens entscheidet das Individuum vor dem Hintergrund seiner selektiven Wahrnehmung. Eine komplexe Situation wird gedanklich vereinfacht, indem zahlreiche Aspekte des Entscheidungsproblems ausgeblendet werden. Die verbleibende Definition des Problems ist dann stark von den subjektiven Wahrnehmungsmustern sowie den Erfahrungen und Wertvorstellungen des Individuums beeinflusst. Die Entscheidungstheorie grenzt sich mit ihrem Modell der begrenzten Rationalität von der so genannten "objektiven Rationalität" der neoklassischen Nationalökonomie ab, der das Modell des Entscheiders zugrunde liegt, der alle Alternativen kennt und rational diejenige auswählt, die der optimalen Zielerreichung dient. Das Modell, nach welchem Organisationen sich adaptiv rational verhalten, indem sie schrittweise aus Erfahrungen lernen, wird im entscheidungsorientierten Ansatz zu einem späteren Zeitpunkt relativiert und durch ein komplexeres Modell ersetzt, das den Lernprozessen auch unter der Bedingung von Mehrdeutigkeit gerecht werden soll. Hierzu später mehr.361 4.1.1.1 Das Organisationsverständnis im entscheidungsorientierten Ansatz Die Vorstellung von Organisationen als begrenzt rational handelnde Entscheidungserzeuger wurzelt – wie bereits erwähnt – in der verhaltenswissenschaftlichen Theorie. Eine Organisation gilt dabei als „ein System von wechselseitig abhängigen sozialen Verhaltensweisen einer Anzahl von Personen, die als Organisationsteilnehmer bezeichnet werden".362 Die Entscheidungen verarbeiten also Erfahrungen und erzeugen ein Regelwerk verhaltensleitender Routinen. Neue Erfahrungen führen zur Anpassung des Erfahrungsschatzes einer Organisation und somit zur Veränderung kognitiver Strukturen. "Organizations and the people learn from experience. They act, observe the consequences of their action, make inferences about those consequences, and draw implications for future action."363 Organisationales Lernen wird somit verstanden als Pro361 362 363 siehe: March, J. G.; Olsen, J. P. : Die Unsicherheit der Vergangenheit: Organisatorisches Lernen unter Ungewissheit, in: March, J. G. (Hrsg.): Entscheidung und Organisation: Kritische und konstruktive Beiträge, Entwicklungen und Perspektiven, Wiesbaden 1990 Seiten 373 bis 398. siehe: March, J. G.; Simon, H. A.; 1976 ebenda Seite 81 vgl. March, J. G.; Olsen, J. P. 1976 ebenda Seite 67 Seite 222 von 430 dukt begrenzt rationaler Entscheidungen und Überlegungen einerseits. Andererseits speist sich organisationales Lernen aus der Erfahrung, dem Lernen aus der Vergangenheit. Die Organisation besteht somit aus den Handlungen der Organisationsteilnehmer und nicht, wie in den gängigen betriebswirtschaftlichen Organisationslehren aus Menschen, Anlagen, Sachmitteln und Räumen. Diese Sicht von Organisation fokussiert ausschließlich auf die Organisationsteilnehmer und deren Handeln in Organisationen. Hintergrund dieser Sichtweise ist die Erkenntnis, dass Menschen zugleich Mitglieder vieler Organisationen sind, in denen sie jeweils einen Teil ihrer individuellen Aktivitäten einbringen und in denen sie – von möglicherweise vereinzelten pathologisch zu bezeichnenden Fällen abgesehen – niemals vollständig aufgehen. Die Beiträge, die sie zur Organisation leisten, sind durch ihre jeweils individuell geprägten Fähigkeiten und Fertigkeiten einerseits sowie durch ihre Herkunft und kulturelle Prägung andererseits gekennzeichnet. Zwischen den persönlichen Motiven des Individuums und den Zielen der Organisation werden Differenzen zugelassen. Die Unterordnung bzw. Einordnung in die Organisation geht mit einer tendenziellen Entpersönlichung des Individuums einher, zumindest in dem Umfang, in dem das erforderliche Handeln für die Organisation den persönlichen Motiven und Zielen widerspricht.364 Zwar wird das Handeln des Individuums in der Organisation einerseits nicht mehr allein von den persönlichen, sondern stark von den Zielen der Organisation geleitet. Andererseits werden aber die Organisationsziele über den Aushandlungsprozess der Organisationsteilnehmer und ihrer verschiedenen persönlichen Ziele beeinflusst. Das Ergebnis des Aushandlungsprozesses entspricht in der Regel nicht den aggregierten Intensionen der handelnden Individuen, sondern führt zumeist zu auch unerwarteten, manchmal sogar unerwünschten Ergebnissen.365 Die Entscheidungstheorie versteht somit formale Organisationen als eigenständige soziale Gebilde, deren jeweils spezifische Struktur das Ergebnis einer Vielzahl aufeinander bezogener sozialer Handlungen der Organisationsteilnehmer ist. Dies garantiert letztlich auch den Bestand der Organisation unabhängig von der Fluktuation der Organisationsteilnehmer. 364 365 siehe: Berger, U.; Bernhard-Mehlich, I.: Die verhaltenswissenschaftliche Entscheidungstheorie, in: Kieser, A. (Hrsg.): Organisationstheorien, Stuttgart 1995 Seite 126 Ein für mich persönlich anschauliches Beispiel hierfür zeigt sich an den Universitätsklinika in Deutschland im Ergebnis der heftigen Tarifauseinandersetzung zwischen dem Marburger Bund und der Tarifgemeinschaft deutscher Länder, begleitet vom ersten Ärztestreik in der Geschichte der Universitätsklinika. Nachdem das zumindest auch von Experten in Teilen unerwartete Ergebnis in Form eines Tarifvertrages vorlag, wurde es von beiden Seiten als in großem Maße unbeabsichtigt und auch unerwünscht erklärt. Zugleich ein anschauliches Beispiel für die Wirkung begrenzter Rationalität in Organisationen. Seite 223 von 430 4.1.1.2 Der Begriff des Lernens im entscheidungsorientierten Ansatz Drei Annahmen der Entscheidungstheorie bestimmen das Modell des organisationalen Lernens: "Organizational learning is viewed as routine-based, history dependent and target-oriented. Organizations are seen as learning by encoding inferences from history into routines that guide behaviour."366 Handlungen der Organisationsmitglieder werden somit von Routinen geführt, die als formale Regeln, Konventionen, Technologien, formale Überzeugungen, Paradigmen und Kulturen definiert sind.367 Darüber hinaus ist das Verhalten in Organisationen davon abhängig, inwieweit das angestrebte Ergebnis durch das Verhalten tatsächlich erreicht wird. Wenn die Routinen zu Ergebnissen führen, die von den angestrebten Zielen abweichen, werden diese verändert. Der organisationale Lernprozess erinnert hier an das Versuch-undIrrtumprinzip: Das Organisationsverhalten ruft eine Umweltreaktion hervor, die dazu führt, dass neue Verhaltensregeln aufgestellt (gelernt) werden, sofern die Reaktion nicht mit dem gewünschten oder erwarteten Ergebnis übereinstimmt. Im anderen Fall werden die Regeln bzw. Routinen eben beibehalten. Organisationales Lernen kann somit als erfolgreiche Anpassung an Umweltherausforderungen beschrieben werden. Neben dem „Trial and Error Experimentation“ wird ein zweiter Anpassungsprozess beschrieben, der als „Organizational Search“ bezeichnet wird.368 Dem Erfahrungslernen durch Versuch und Irrtum wird der Effekt zugeschrieben, dass mit der Häufigkeit der Verwendung bestimmter Routinen deren Effizienz zunimmt. Dieser Effekt ist umgangssprachlich unter der Redensart „Learning by doing“ bekannt. „Organizational Research“ beschreibt die Vorgehensweise, die vom Individuum gewählt wird, wenn ein neuer Stimulus auftritt oder die Anwendung einer Routine nicht als zielführend bewertet wird. Es werden dann Suchaktivitäten ausgelöst, die zu einer geeigneten Lösungsalternative führen sollen. Als mögliche Anpassungsformen sind beschrieben: Die Anpassung der organisationalen Ziele, die Anpassung der Aufmerksamkeitsregeln für Umweltereignisse und die Anpassung der Suchregeln für Problemlösungen. Organisationales Lernen führt hier insgesamt zu einer Veränderung der zielbezogenen Wertmaßstäbe (Anpassung der organisationalen Ziele), der Beobachtungskriterien von Umweltereignissen (Anpassung der Aufmerksamkeitsregeln) und der Klassi366 siehe: Levitt, B.; March, J. G.: Organizational Learning, in: Annual review of sociology, Jahrgang 14, 1988, Seite 319 367 siehe: Levitt, B.; March, J. G.: 1988 ebenda Seite 320 368 siehe Levitt, B. March, J.G., 1988 ebenda Seite 321 Seite 224 von 430 fizierung von Lösungen und Problemen (Anpassung der Suchregeln).369 Lernen durch Trial and Error und Organizational Search wird mit der Vorstellung verbunden, der organisationale Entwicklungsprozess gehe mit einer Verbesserung des organisationalen Verhaltens einher. Organisationales Lernen wird als ein adaptiv rationaler Prozess verstanden, der vom Lernen einzelner Individuen abstrahiert. Individuelle Lernerfahrungen werden in Routinen formalisiert, standardisiert und gespeichert. Darin liegt das Geheimnis dafür, dass Organisationen weitgehend unabhängig von den Erfahrungen eines einzelnen Organisationsmitglieds über Wissen verfügen und Wissen verändern. Einerseits geht der entscheidungsorientierte Ansatz davon aus, dass organisationales Lernen über individuelles Lernen geschieht, andererseits wird organisationalen Lernprozessen eine eigenständige soziale Qualität zugewiesen. In der Beschreibung des Lernens geht die Trennschärfe zwischen individuellem und organisationalem Lernen im entscheidungsorientierten Ansatz aber weitgehend verloren. Die Voraussetzung dieses erfahrungsbezogenen Anpassungslernens, die Folgen des Handelns des Individuums und der Organisation seien relativ klar erkennbar und dem Handeln jeweils auch kausal zurechenbar, wurden zunehmend kritisiert. Die vorausgesetzte Klarheit darüber, was an Umweltreaktionen auf organisationales Handeln folgt, sei in der Realität nur selten gegeben. Wäre es denn so, dass organisationales Lernen bzw. adaptives Lernen sozusagen „automatisch“ zu einer immer besseren Anpassung an die Umwelt bei steigendem Anspruchsniveau führt, bliebe die Frage unbeantwortet, warum Organisationen, insbesondere Unternehmen an groben Fehlinterpretationen der Umwelt, zumeist des Marktes, scheitern, auch solche, die Jahrzehnte am Markt erfolgreich agiert hatten. Ausgehend von dieser Erkenntnis wurde im Rahmen des entscheidungsorientierten Ansatzes das Modell des organisationalen Lernens unter den Bedingungen von Mehrdeutigkeit weiterentwickelt. Das beschriebene Anpassungsmodell erfährt eine deutliche Modifikation. Lernen unter Bedingungen der Mehrdeutigkeit ist nur begrenzt möglich. Diese Mehrdeutigkeit (ambiguity) entsteht dadurch, dass das Individuum nicht in der Lage ist, alle Informationen aufzunehmen und zu verarbeiten, die eine Entscheidungssituation kennzeichnen. Damit gehen Entscheidungsalternativen verlo- 369 siehe Cyert, R. M.; March, J. G.: A Behavioral Theorie of the Firm, Cambridge, Massachusetts 1992 Seiten 172 ff Seite 225 von 430 ren. Die gewonnenen Erfahrungen einer Organisation seien höchst interpretationsbedürftig, sobald Ziele unklar sind oder Zielkonflikte bestehen, sobald Erfolg oder Misserfolg nicht eindeutig bestimmbar sind und eine kausale Zuordnung von Ereignissen schwierig sei .370 Die Schilderung der Mehrdeutigkeit könnte hier gewinnbringend durch das Einführen des Begriffes "Komplexität" ergänzt werden. Letztlich entsteht die subjektiv empfundene Mehrdeutigkeit durch die selektive Wahrnehmung des Individuums. Selektive Wahrnehmung kann durchaus, als die latente Unfähigkeit, ein Geschehen in seiner ganzen Komplexität zu erfassen, verstanden werden. Aber was ist Komplexität? „Man bezeichnet auch im täglichen Leben einen Sachverhalt dann als komplex, wenn er schwierig zu erfassen und vielschichtig ist und unter verschiedenen Aspekten betrachtet werden kann, die jeweils eine andere Seite der Angelegenheit beleuchten. Aus dynamischer Sicht äußert sich die Komplexität in einer Vielzahl von Zuständen, die ein System annehmen kann; die Anzahl möglicher unterschiedlicher Systemzustände wird in der Kybernetik als Maß für Komplexität verwendet und als Varietät bezeichnet. Offensichtlich ist die Komplexität eines Systems abhängig von der Anzahl seiner Elemente und dem Ausmaß ihrer gegenwärtigen Verknüpfung wie auch von der Anzahl verschiedener Zustände, die jedes einzelne Element annehmen kann. Einfache Berechnungen zeigen nun, dass bereits recht einfache Systeme eine sehr hohe Varietät aufweisen können.“371 Das Grundproblem von Management ist die Beherrschung von Komplexität. Dabei geht es nicht um das Management von Kleinsystemen wie Teams, Arbeitsgruppen oder Familien, mit denen sich ein Grossteil der systemischen Literatur befasst – die großen Managementprobleme existieren jenseits der Grenzen dieser kleinen Systeme, in Organisationen mit mehreren Hundert oder mehreren Tausend Menschen.372 Komplexität im Zusammenhang mit Systemen meint, dass große Systeme extrem viele Zustände aufweisen können. Varietät ist die „Messgröße“ für Komplexität und 370 371 372 siehe: March, J. G.; Olsen, J. P.:1990 ebenda Seite 375 siehe: Ulrich, H.: Gesammelte Schriften Band II, das St. Galler Management Modell, Bern, Stuttgart, Wien 2001 Seite 391 siehe: Malik, F.: Strategie des Managements komplexer Systeme, Bern, Stuttgart, Wien 7. Auflage 2002 Seite 226 von 430 bezeichnet die Anzahl der unterscheidbaren Zustände eines Systems oder die Anzahl der unterscheidbaren Elemente einer Menge. Komplexität entsteht wesentlich aus den Interaktionen der Elemente. Komplexes enthält prinzipiell mehr Information, als das menschliche Gehirn erfassen kann. Die menschliche Unwissenheit im Zusammenhang mit komplexen Sachverhalten ist eine absolute, die durch noch so große Fortschritte in den Computerwissenschaften nicht beseitigt werden kann.373 Der entscheidungsorientierte Ansatz präzisiert das Reizreaktionsschema (Trial and Error) wie folgt: "Zu einem bestimmten Zeitpunkt stellen einige Beteiligte eine Diskrepanz zwischen dem fest, wie nach ihrer Meinung die Welt aussehen sollte (gegenwärtige Möglichkeiten und Einschränkungen vorausgesetzt), und dem, wie die Welt tatsächlich ist. Diese Diskrepanz führt zu individuellem Verhalten, das sich zu kollektivem (organisatorischem) Handeln oder Wahlverhalten verbindet. Die Außenwelt reagiert dann auf dieses Wahlverhalten in einer Weise, die wiederum die individuellen Beurteilungen sowohl des Zustandes der Welt als auch der Wirksamkeit der Handlungen beeinflusst."374 373 374 Der Versuch bzw. die Illusion, über komplexe Systeme alle erforderlichen Informationen erfassen und verarbeiten zu können, um dieses System in konstruktivistischem Sinne zielsicher steuern zu können, scheitert an der Begrenztheit des menschlichen Wissens. Der Wissenschaftler Bremerman hat 1960 mit dem nach ihm benannten „Bremermanschen Limit“ eine Formel für die obere Grenze der Informationsverarbeitung gefunden, die von keinem Gehirn und von keinem Computer überschritten werden kann: „Kein aus Materie bestehendes System kann mehr als mc²/h bits pro Sekunde verarbeiten.“ Dabei ist m = Masse des Systems, c = Lichtgeschwindigkeit und h = Plank’sche Konstante. 47 Die hieraus sich ergebende obere Grenze beträgt ca. 2 x 10 bits pro Gramm pro Sekunde. Schon für Systeme mittlerer Komplexität reicht diese Verarbeitungskapazität nicht mehr aus. Hieraus ergibt sich, dass die Unwissenheit im Zusammenhang mit komplexen Sachverhalten eine Absolute ist, die auch durch noch so gigantische Fortschritte der Computertechnologie nicht überwunden werden kann. siehe: March, J. G.; Olsen, J. P.:1990 ebenda Seite 376 Seite 227 von 430 Individuelle Überzeugung Individuelle Handlung Umweltreaktion Organisatorische Handlung Abbildung 41: Der organisationale Entscheidungs- und Lernzyklus375 Die Gestaltung der individuellen Wahrnehmung, wie Beteiligte trotz Ungewissheit und Unsicherheit Erklärungen für Geschehnisse suchen, wird wie folgt beschrieben: „Er sieht, was gesehen wird. Er mag, was gemocht wird. Er sieht, was er zu sehen erwartet. Er mag, was er zu mögen erwartet. Er sieht, was zu sehen von ihm erwartet wird. Er mag, was zu mögen von ihm erwartet wird.“376 Die individuelle Wahrnehmung wird somit von zwei Faktoren wesentlich beeinflusst, nämlich zum einen durch den Grad der Integration des Einzelnen in die Organisation und zum anderen durch die interindividuellen Beziehungen.377 Integrierte Organisationsmitglieder – so die Vorstellung – sehen tendenziell eher das Positive, nicht integrierte Organisationsmitglieder eher das Negative. Individuen tendieren dazu, durch selektive Wahrnehmung ihre Wertvorstellungen zu bekräftigen. Diese Annahme erscheint auf den ersten Blick plausibel, kann allerdings auch problemlos vice versa formuliert werden: Organisationsmitglieder, denen das, was sie sehen, gefällt, sind eher zur Integration in die Organisation bereit, als diejenigen, denen das, was sie 375 376 377 siehe: March, J. G.; Olsen, J. P.: 1990 ebenda Seite 386 siehe: March, J. G.; Olsen, J. P.: 1990 ebenda Seite 391 vgl.: Berger, U.; Bernhard-Mehlig, I.: 1995 ebenda Seiten 144 f Seite 228 von 430 sehen, missfällt. Die interindividuellen Beziehungen beeinflussen die individuelle Wahrnehmung, da Organisationsmitglieder sich bei ihren Bewertungen auch an anderen Organisationsmitgliedern orientieren. Der Grad der Orientierung korreliert hierbei in der Regel mit dem Grad des Vertrauens in die andere Person. Auch unter der Voraussetzung der Mehrdeutigkeit können so in Organisationen von vielen Organisatiosmitgliedern geteilte Überzeugungen einen zuverlässigen Lernerfolg auslösen.378 Organisationales Lernen kann somit als eine kollektive Kumulation und Entwicklung von individuellen Realitätsdeutungen und Wirklichkeitsbewertungen interpretiert werden. Zugleich wird anerkannt, dass ein vollständiger Lernzyklus nicht der Regelfall, sondern die ideale Ausnahme darstellt. Es werden vier Arten von Komplikationen des organisationalen Lernens beschrieben, abhängig davon, welche der vier Beziehungen des Lernzyklus problembehaftet sind.379 Beim rollenbeschränkten Erfahrungslernen kann ein Individuum seine Handlungsmöglichkeiten nicht ausschöpfen und sein individuelles Erfahrungswissen nicht umsetzen, insoweit es durch definierte Regeln und standardisierte Verfahrensabläufe daran gehindert ist. Können individuelle Handlungen nicht in organisationale Handlungen umgesetzt werden, wird von präorganisationalem Erfahrungslernen gesprochen. Dies kann eintreffen, wenn der Erfahrungsschatz eines Organisationsmitgliedes deshalb als unbedeutend angesehen wird, weil das Organisationsmitglied selbst für unbedeutend gehalten wird. Von abergläubischem Erfahrungslernen wird gesprochen, wenn eine Verbindung zwischen organisationalem Handeln und Umweltreaktion fehlt, die Umweltreaktion aber irrtümlich als Reaktion eines vorangegangenen Organisationshandelns verstanden wird. Das Handeln wird so in einer nur dem Anschein nach angemessenen Weise modifiziert.380 Von experimentellem Lernen unter Ungewissheit wird gesprochen, wenn die Kontaktstelle zwischen Umweltereignissen und individueller Wahrnehmung unterbrochen ist. Dem Individuum ist unklar, was und warum sich etwas ereignet hat. Diese vier Arten von Komplikationen des organisationalen Lernens führen dazu, dass 378 379 380 nach: March, J. G.; Sproull, L. S.; Tammuz, M.: Learning from Samples of One or Fewer, in: Organizational Science Jahrgang 2, 1991 Nr. 1 Seiten 6 f siehe: Abbildung 12: Der organisationale Entscheidungs- und Lernzyklus sowie March, J. G., Olsen, J. P.: 1990 ebenda Seiten 386 ff zur Thematik Unsicherheit der Kausalzusammenhänge siehe auch: Weick, K. E.: Management of organizational change among loosely coupled Elements, in: Paul S. Goodman and Associates (Hrsg.) Change in organizations: new perspectives on theory, research and practice, 2. Auflage San Francisco 1984 Seite 393 Seite 229 von 430 die organisationalen Lernprozesse nicht unbedingt zu einem verbesserten Anpassungsverhalten führen. Es wird erkannt, dass unter den Bedingungen der Mehrdeutigkeit organisationale Lernprozesse nicht zwangsläufig zu adaptiv rationalem Verhalten führen müssen. Ein verbessertes Organisationshandeln durch Lernen wird infolgedessen speziell für mehrdeutige Situationen in Frage gestellt. Die systematische Berücksichtigung von Beschränkungen der Rationalität in einer Theorie des organisationalen Lernens wird gefordert. Somit darf wohl zu Recht konstatiert werden, dass der entscheidungsorientierte Ansatz sich weiterhin in der Entwicklung befindet: „Um Lerntheorien […] entwickeln zu können, benötigen wir wahrscheinlich Vorstellungen von Informationsaufdeckung, Gedächtnis und Wiederfinden von Lernanreizen, von Überzeugungsstrukturen und der Mikroentwicklung von Überzeugungen in Organisationen.“381 Zum Schluss sei noch darauf verwiesen, dass in jüngerer Zeit im Rahmen des entscheidungsorientierten Ansatzes zwischen zwei Erscheinungsformen unterschieden wird: Einerseits der Exploitation als der Verbesserung des bestehenden Regelwerkes (Effizienz) und andererseits der Exploration als grundsätzliche Überarbeitung des Regelwerkes (Effektivität).382 Die gedankliche Nähe zum Double-LoopLearning einerseits und dem Deutero-Learning des interpretationsorientierten Ansatzes andererseits insbesondere bei Argyris und Schön ist augenfällig.383 4.1.2 Der informationsorientierte Ansatz Als jüngster Ansatz in der Forschung zu organisationalem Lernen entwickelte sich Ende der 80er Jahre der informationsorientierte Ansatz. Dieser Ansatz wurzelt in der kybernetischen Organisationstheorie, welche Organisationen als informationsverarbeitende Systeme definiert.384 Die kognitiven Strukturen in Systemen werden von Informationen bestimmt, deren Veränderungen wiederum als informationsverarbeitende Prozesse zu verstehen sind. „An entity learns if, through its processing of information, the range of its potential behaviours is changed. … an organization learns if any of its units acquire knowledge that it recognizes as potentially useful to the or381 382 383 384 siehe March, J. G.; Olsen, J. P.:1990 ebenda Seite 374 vgl.: March, J. G.: 1991 ebenda Der interpretationsorientierte Ansatz ist in Abschnitt 4.1.3 beschrieben. Kybernetik ist die Wissenschaft von der Kontrolle (im Sinne von „Beherrschung“) von Systemen. Das Paradigma eines kybernetischen Systems ist der lebende Organismus, der sich in ständiger Interaktion mit seiner Umwelt entwickelt, lernt und zu einem Fliessgleichgewicht mit seiner Umwelt kommt. Das zentrale Problem der Management-Kybernetik ist die Frage, wie Systeme die Komplexität ihrer Umwelt bewältigen können, die vor allem aus den permanenten Änderungen sowie der Änderungsgeschwindigkeit resultiert. Seite 230 von 430 ganisation.”385 Der Lernprozess wird als Informationsverarbeitung auf Organisationsebene beschrieben, wobei die Informationsbasis gleichmäßig ausdifferenziert wird. Die Organisation ist mit einer Flut von Informationen konfrontiert, die sie berücksichtigen muss: Informationen werden gewonnen, dann verteilt, schließlich interpretiert und gespeichert.386 Die „Learning Mode“ einer Organisation, also ihr spezifisches Muster, nach dem die Organisation Informationen verarbeitet, bzw. lernt, bildet die Basis für organisationales Lernen. Es werden die „Traditional Bureaucracy“ mit einem sowohl quantitativ wie qualitativ niedrigen Informationsniveau, die „Extended Bureaucracy“ mit einem zumindest quantitativ hohen Informationsstand sowie die „Self Designing Organisation“ mit einem qualitativ hohen, wenn auch quantitativ niedrigen Informationsniveau beschrieben. Daneben wird noch die „Experimenting Organisation“ mit einem quantitativ und qualitativ umfangreichen Informationsstand unterschieden.387 Wie diese spezifischen Muster und mit ihnen die Lernbedingungen zustande kommen, ist im Konzept der „Information Richness“ beschrieben. Wichtige Taktgeber sind dabei kulturelle und strukturelle Gegebenheiten, aber auch die Kompetenz, Informationen sinnvoll interpretieren zu können.388 Bei der Informationsgewinnung wird zwischen verschiedenen Wegen unterschieden.389 Das Wissen, das bereits bei der Entstehung der Organisation vorhanden ist oder entwickelt wird, wird im Lebenszyklus einer Organisation ergänzt um das Lernen aus der Erfahrung (Experiential Learning), dem Lernen als Imitation von Wissen (Vicarious Learning) oder als Kauf von Wissen durch die Einstellung neuer Arbeit385 386 387 388 389 siehe: Huber, G. P.: Organizational Decision Making and the Design of Decision Support Systems, Management Information Systems Quarterly, 5 (2) 1981 Seite 89. Der informationsorientierte Ansatz basiert im Wesentlichen auf den Arbeiten von Georges P. Huber und R. L. Daft und ist erstmals umfassend beschrieben in Daft, R. L.; Huber, G. P.: How Organizations learn: A Communication Framework, in: Research in the Sociologie of Organizations Nr. 5, 1987 Seiten 1 bis 36 siehe: Daft, R. L.; Huber, G. P.: 1987 ebenda sowie Huber, G. P.: Organizational Learning – The Contributing Process and the Literatures, in: Organization Science 2/1991 Seiten 88 bis115 sowie Dixon, N. M.: Organizational Learning – a Review of the Literature with Implications for HRD Professionals in: Human Resource Development quarterly Jahrgang 3, Nr. 1/1992 Seiten 29 bis 49 siehe: Daft, R. L.; Huber, G. P.: 1987 ebenda siehe: Daft, R. L.; Lengel, R.: Information Richness – A new Approach to Managerial Behaviour and Organization Design, in: Research in Organizational Behaviour, 6/1990 Seiten 191 bis 233 vgl.: Heftberger, S.; Stary, Ch.: Partizipatives Organisationales Lernen, Wiesbaden 2004 Seiten 29 ff Seite 231 von 430 nehmer oder den Aufkauf von Firmen (Grafting). Als „Searching and Noticing“ werden die Aufnahme von Information und die gezielte Suche nach neuen Informationen bezeichnet. Ein wesentlicher Bestandteil organisationalen Lernens ist dann die Informationsverteilung innerhalb der Organisation. Diese soll Synergien sichern und zugleich dazu beitragen, dass durch Selektion eine Überflutung mit Informationen verhindert wird. In der Literatur werden verschiedene Faktoren beschrieben, die die Informationsverteilung positiv oder negativ beeinflussen.390 Die Wahrscheinlichkeit, dass ein Organisationsmitglied oder eine Organisationseinheit A Informationen an die andere Einheit oder Person B weitergibt, wird danach beeinflusst − positiv durch die von A vermutete Relevanz der Information für B, − positiv durch Status und Stärke von B innerhalb der Organisation, − negativ durch die von A vermuteten Kosten, die ihm selbst durch die Informationsweitergabe entstehen, − negativ durch die Arbeitsbelastung von A, − positiv durch von A erwartete Belohnung und negativ bei erwarteten Sanktionen als Folge der Informationsweitergabe, − positiv durch die Häufigkeit des Informationsaustausches in der Vergangenheit und − positiv durch die Zahl der Schnittstellen in der Kommunikationskette zwischen A und B. Der Überführung von Information in Wissen dient die Informationsinterpretation, deren Lerneffekt umso höher ist, je mehr Interpretationsmöglichkeiten gegeben sind. Hier geht der informationsorientierte Ansatz davon aus, dass Lernen zu einer potentiellen Verhaltenserweiterung führt. Dabei ist zu berücksichtigen, dass Informationen unterschiedlich verarbeitet und interpretiert werden, je nachdem, welche persönlichen Präferenzen und mentalen Modelle bei der verarbeitenden Person vorliegen. Der Hinweis auf das „Unlearning“, unter dem der Prozess des Verlernens von Wissen verstanden wird, kann sozusagen zwischen Informationsinterpretation und orga390 siehe: Huber, G. P.: 1981 ebenda Seite 142 Seite 232 von 430 nisationalem Gedächtnis angesiedelt werden. Das Verlernen wird als notwendig betrachtet, damit neues Wissen Platz finden kann, welches sinnigerweise dann ein effektiveres Handeln in der Organisation ermöglichen soll.391 Lernen wird hier als ein Prozess der Wissenskreation und Verlernen als ein Prozess des Verwerfens von nicht mehr nützlichem Wissen verstanden. Im Grunde kann somit auch Verlernen als Teil der Wissenskreation verstanden werden, da die Erkenntnis zu Grunde liegt, dass das früher gewonnene Wissen nun nicht länger angemessen ist.392 Mit dem organisationalen Gedächtnis soll das Wissen einer Organisation unabhängig vom Wissen der Einzelpersonen gespeichert und erhalten werden. Damit soll den üblichen Problemen und der Mitarbeiterfluktuation begegnet werden. Als Unterprozesse werden beschrieben: Zum einen die Speicherung von organisationalem Wissen in Routinen, Handbüchern, Verfahrensanweisungen oder Richtlinien (Storing and Retrieving Information) und zum anderen in Form des „Computer based Organizational Memory“, also sogenannten Expertensystemen auf DV-Basis. Ein gängiges Beispiel ist z. B. das Intranet eines Unternehmens. Auch im informationsorientierten Ansatz findet organisationales Lernen auf der Basis von individuellem Lernen statt, ohne dass beide Komponenten deutlich voneinander abgegrenzt werden. Der informationsorientierte Ansatz befindet sich weitgehend noch im Stadium der konzeptionellen Entwicklung, so dass kaum Äußerungen über die praktische Anwendung zu finden sind.393 4.1.3 Der interpretationsorientierte Ansatz Der interpretationsorientierte Ansatz ist nach dem erfahrungsorientierten Ansatz der zweite Versuch, organisationales Lernen in ein umfassendes Konzept zu fassen. Er liefert das bis heute dominierende Paradigma der Forschung zum organisationalen Lernen und ist vor allem im Bereich der Managementforschung das dominierende 391 392 393 siehe: Hedberg, B.: How Organizations Learn and Unlearn, in: Nystrom P.; Starbuck, W. (Hrsg.): Handbook of Organizational Design, Oxford 1981 Seiten 3 bis 27 siehe: Weber, Ch.: Die Rolle der Zeit im Prozess organisationalen Lernens, in: Zeitschrift für Betriebswirtschaft, Ergänzungsheft 1, Wiesbaden 2001 Als einzige Ausnahme können die Arbeiten von Dixon gelten, der fordert, die im Rahmen einer Personalentwicklung initialisierten individuellen Lernprozesse sollten in organisationale Kontexte eingebunden sein. Seite 233 von 430 Konzept der organisationalen Lerntheorie. Die Grundannahme ist das organisationale Lernen als Entwicklung geteilter Annahmen über Wirkungszusammenhänge organisationalen Handelns, „the organizational learning as sharing of assumptions.“394 Als Grundlagen für das Entstehen einer Organisation werden bestimmte politische Regelhaftigkeiten angesehen, welche drei Dimensionen umfassen: Entscheidungsregeln, welche das einzelne Organisationsmitglied ermächtigen, Entscheidungen im Namen der Gesamtorganisation treffen zu können, Delegationsregeln, die festlegen, auf welche Art Organisationsmitglieder bestimmt werden, Entscheidungen auszuführen und welche Rechte und Pflichten zwischen den Organisationsmitgliedern bestehen sowie Mitgliedschaftsregeln, die festlegen, wer Mitglied der Organisation werden darf. Diese konstitutiven Regeln bilden den Rahmen für das Sozialverhalten der Organisationsmitglieder, ohne dass diese ihnen zwingend bewusst sein müssen. Über das Einhalten der Regeln wird die Mitgliedschaft innerhalb der Organisation festgelegt.395 Eine Organisation wird im interpretationsorientierten Ansatz als Instrument zur Erreichung von Zielen und Zwecken verstanden.396 Als wesentlicher Bestandteil der Organisationsbildung wird dabei eine einheitliche Deutung der Wirklichkeit im Bezug auf deren Phänomene und der Wirkungszusammenhänge verstanden. Hierbei ist kritisch anzumerken, dass die Sichtweise stark auf ein zweckrationales Verhalten verkürzt ist, was dazu führt, dass die politischen, sozialen und motivationalen Merkmale vor dem Hintergrund des instrumentellen Charakters der Organisation vernachlässigt bleiben.397 4.1.3.1 Aktionstheorien in Organisationen Der interpretationsorientierte Ansatz unterscheidet nun zwei Formen von Aktionstheorien oder Handlungsmustern in Organisationen: Einerseits die espoused-theories (vertretene Theorien) und andererseits die theories-in-use (handlungsleitende Theorien). Bei den espoused-theories handelt es sich um die in einer Organisation offiziell vertretenen und legitimierten Handlungsmuster, niedergelegt z. B. in Organigrammen, Stellenbeschreibungen oder Unternehmensgrundsätzen. Es sind sozusagen 394 395 396 397 Als Grundlagenwerk des interpretationsorientierten Ansatzes gilt: Argyris, C.; Schön, D. A.: Organizational Learning: A Theory of Action Perspective, Reading Massachusetts 1978 siehe: Argyris, C.; Schön, D. A: 1978 ebenda Seite 13 siehe: Argyris, C.; Schön, D. A: 1978 ebenda Seite 14 siehe: Geißler, H.: Grundlagen des Organisationslernens, Weinheim 1995 Seiten 86 f Seite 234 von 430 die für eine gemeinsame Ausrichtung der Organisationsmitglieder gewünschten Handlungsmuster. Die in jeder Organisation vorhandenen inoffiziellen Handlungsmuster werden unter den theories-in-use verstanden. Diese müssen nicht mit den espoused-theories übereinstimmen. Es handelt sich um von den Organisationsmitgliedern kollektiv geteilte Annahmen über das, was als handlungsleitende Regeln täglich zur Anwendung kommen sollte. Theories-in-use stellen die intersubjektiv geteilte Wirklichkeit in Organisationen dar und bestimmen so die Handlungen der Organisationsmitglieder und die Identität der Organisation unabhängig davon, ob diese Regeln und Hypothesen den Organisationsmitgliedern selbst bewusst sind.398 Die inhaltliche Nähe dieser beiden Aktionstheorien zur formalen und informellen Organisation der Organisationstheorie ist augenfällig. Zur Veranschaulichung der „Speichermedien“, in denen die zumeist inoffiziellen handlungsleitenden Vorstellungen gesichert werden, verwendet der interpretationsorientierte Ansatz die beiden Konstrukte „private images“ und „organizational maps“. Die organizational maps umfassen die in der Organisation allgemein zugänglichen Beschreibungen in Form von Richtlinien oder Diagrammen. In Abgrenzung hierzu entwickeln die Organisationsmitglieder ihre „private images“, also ihre persönlichen Bilder, individuell. Diese werden als mentale Modelle verstanden. Organisationales Lernen basiere dann auf organisationalen Karten und persönlichen Bildern, die im Prozess des Lernens Veränderungen erfahren. Dies wiederum führe dann auch zur Veränderung der handlungsleitenden Muster.399 4.1.3.2 Das Verständnis von organisationalem Lernen Erkennen Organisationsmitglieder, dass die handlungsleitenden Muster (theories-inuse) nicht zu den von der Organisation erwarteten Ergebnissen führen, wird dies als Fehler (error) erkannt. Organisationales Lernen wird ausgelöst: Gemeinsam suchen die Organisationsmitglieder eine neue Lösung, setzen Lösungsvorschläge um und bewerten diese. Werden diese als tauglich erkannt, da sich nun der Erfolg einstellt, der erwartet wird, muss diese Lösung nun noch in die organisational maps und die 398 399 siehe: Argyris, C.; Schön, D. A: 1978 ebenda Seite 15 siehe: Argyris, C.; Schön, D. A: 1978 ebenda Seite 17 Seite 235 von 430 private images der Organisationsmitglieder Eingang finden, um für vergleichbare Situationen in der Zukunft zur Verfügung zu stehen. In diesem Sinne bilden die organisational maps und die private images das Gedächtnis der Organisation. Gelingt es nicht, gewonnene Erkenntnisse in das organisationale Gedächtnis zu transferieren, haben lediglich die Individuen gelernt und nicht die Organisation. Es wird deutlich, dass die Individuen die Akteure des organisationalen Lernens sind, die sozusagen als Agenten der Organisation handeln. An anderer Stelle wird die lernende Organisation als eine Gruppe von Menschen dargestellt, die einander brauchen, um etwas zu erreichen und die im Laufe der Entwicklung ihre Fähigkeiten, zu lernen und das gelernte organisational umzusetzen, Stück für Stück ausweiten. Eine eigenständige, von den Organisationsmitgliedern tendenziell unabhängige Lernfähigkeit einer Organisation wird im interpretationsorientierten Ansatz verneint. „Ein Ding, das da lernende Organisation heißt, gibt es nicht.“400 Organisationales Lernen ist somit ein Lernprozess der Organisation, welcher durch die Lernprozesse der einzelnen Organisationsmitglieder ermöglicht wird. 4.1.3.3 Die drei Ebenen des organisationalen Lernens Die Suche nach neuen Problemlösungen infolge sogenannter Fehler in den theoriesin-use führen zu Lernschleifen. Das Konzept dieser „learning loops“ hat die organisationale Lerntheorie stark geprägt. Nach dem Reflektionsgrad über die eigenen Handlungen der Organisationsmitglieder wird zwischen drei Lernschleifen unterschieden, dem single-loop-learning, dem double-loop-learning sowie dem deutero-learning. Single-loop-learning bezeichnet den Vorgang, mit dem Organisationsmitglieder auf unvorhergesehene Veränderungen der internen und externen organisationalen Umwelt reagieren, ohne die bestehenden handlungsleitenden Theorien zu verändern. Single-loop-learning - etwas holprig mit „Ein-Schleifen-Lernen“ ins Deutsche übersetzt - zielt auf Fehlererkennung und –korrektur. Die institutionellen Normen und Werte der Organisation (theories-in-use) werden hierbei nicht infrage gestellt. Die grundlegenden Merkmale der praktizierten Handlungsmuster bleiben unverändert, single-loop-learning zielt somit in erster Linie auf die Effizienzsteigerung der Organisation. Mit dem Ziel, das Unternehmen zu beherrschen und zu steuern orientiert sich 400 nach Senge, P.: Die fünfte Disziplin, Kunst und Praxis der lernenden Organisation, Stuttgart 1996 Seite 500 Seite 236 von 430 die Organisation immer wieder an den selbst auferlegten Normen und Standards.401 Single-loop-learning stößt dort an die Grenzen, wo nicht erwünschte Ergebnisse des Handelns nicht mehr durch Effizienzsteigerung und nicht mehr im Rahmen der bestehenden Normen verhindert werden können. Es werden Lernprozesse notwendig, die grundlegende Wertvorstellungen einer Organisation betreffen. So werden beim double-loop-learning nicht nur die bestehenden Strategien und Annahmen hinterfragt, sondern auch die Normen des Handelns in Frage gestellt und verändert: Neue Lösungen werden in das organisationale Gedächtnis eingebettet. Während die theories-in-use beim single-loop-learning unangetastet bleiben, werden sie beim doubleloop-learning in ihrer Gesamtheit reflektiert und alternative, neue organisational maps und private images gestaltet. In einem kommunikativen Prozess der Organisationsmitglieder wird ein kollektives Verständnis darüber entwickelt, warum bestimmte Handlungs- und Denkweisen in der Organisation gewählt worden sind und wie diese im Wege der Festlegung neuer Normen, Strategien und Annahmen zukünftig verändert werden sollen. Die Nähe von double-loop-learning zu Konzepten der Organisationsentwicklung und des Change-Managements sind augenfällig. Vereinfacht könnte man auch sagen, single-loop-learning zielt darauf, die Dinge richtig zu tun, also auf Effizienz, während double-loop-learning darauf zielt, die richtigen Dinge zu tun, also auf Effektivität. In der Literatur finden sich zahlreiche Darstellungen mit jeweils wieder anderen Bezeichnungen, die eng an die Unterscheidung von single- und double-loop-learning angelehnt sind, so z. B. Lernen als „Adaptive“ und „Generative-Learning“,402 lernen als „First-„ und „Second-Order-Learning“403 oder Lernen als „Linear-„ und „NonLinear-Learning“.404 Mit den Bedingungen des Lernens selbst befasst sich das deutero-learning. Bedingungen des Lernkontextes und Aspekte des Lernprozesses werden reflektiert. Deutero-learning zielt darauf ab, in der Organisation neue Lernstrategien zu entwickeln, zu testen und – sofern als tauglich befunden – als neue Lernnormen in das organisa401 402 403 404 siehe: Argyris, C.; Schön, D. A: 1978 ebenda Seiten 18 ff so bei Senge, P.: The Leaders New York – Building Learning Organizations, in: Sloan Management Review, Fall 1990 Seiten 7 bis 23 siehe bei Pascale, R.: The Two Faces of Learning, Modern Office Technologie, March 1991 Seiten 14 bis 16 so bei Weick, K.: The Non Traditional Quality of Organizational Learning, Organization Science, 1, 1991 Seiten 116 bis 124 Seite 237 von 430 tionale Gedächtnis einzuspeisen. Es gilt, zuerst festzustellen, wie Lernen in der Organisation stattfindet, an welchen Orten, von wem, in welchem Zeitrahmen und mit welchen Inhalten. Dann geht es darum, herauszufinden, wie in der Organisation in Zukunft ökonomisch, effektiv und zielorientiert gelernt werden kann. Deutero-learning kann single-loop-learning unterstützen, wenn es gelingt, den Organisationsmitgliedern die Kompetenz zu vermitteln, neue Verfahren und Handlungsweisen schneller zu erkennen, zu erlernen und zu implementieren. Double-loop-learning kann durch deutero-learning unterstützt werden, wenn es gelingt, bei den Organisationsmitgliedern Lernprozesse auszulösen, die diesen ermöglichen, Reflektionsprozesse über kollektiv geteilte Normen erfolgreich zu gestalten. Reflexion, Analyse und Herstellung Sinnbezug deutero learning Institutionalisierte Normen und Werte Handlungen double loop learning single loop learning Handlungsergebnisse Erkenntnisse Abbildung 42: Single-loop, double-loop und deutero-learning405 In einigen Werken, die dem interpretationsorientierten Ansatz zuzuordnen sind, wird der Vorgang des Lernens noch um eine sozusagen vorgeschaltete Phase des aktiven Verlernens ergänzt. Diese wird als notwendig erachtet, um überholte Umweltinterpretationen abzulegen und für das Lernen neuer Umweltinterpretationen Platz zu schaffen. Im organisationalen Gedächtnis werden alte Regeln, Normen und Handlungsmuster sozusagen in das Archiv gegeben.406 Inwieweit in einer Organisation neben dem üblichen single-loop-learning auch double-loop-learning oder gar deutero-learning etabliert ist, hängt stark von den dominierenden Interpretationsmustern einer Organisation ab. So führen innovationsfeindliche 405 406 nach: Argyris, C.: Overcoming Organizational Defenses, Boston 1990 Seite 94 so z. B. zu finden bei Hedberg, B.: 1981 ebenda sowie bei Klein, J.: Parenthetic Learning in Organizations, in: Journal of Management, 26/1989 Seiten 291 bis 308 sowie bei McGill, M. E.; Slocum, J.: Unlearning the Organization, in: Organizational Dynamics, 3. Quartal 1993 Seiten 67 bis 79 Seite 238 von 430 Interpretationsmuster zu Widerstandstrategien, sogenannten „Defensive Routines“, die fundamentales Lernen behindern. Als Beispiel wird das Verhalten von Führungskräften beschrieben, die ihre Abteilungen gegen die Einflussnahme durch die Zentrale abschotten, anstatt Konflikte mit der zentralen Führung über double-loop-learning zu lösen. Auch tendierten Manager auf allen Ebenen dazu, Informationen zu verschleiern und mit ihnen zu spielen („Organisational Games“).407 Rahmenbedingungen, die organisationales Lernen befördern, sind somit zugleich Voraussetzung und auch Ergebnis von organisationalem Lernen. Vor diesem Hintergrund verwundert nicht, dass der interpretationsorientierte Ansatz die Führungskräfte als zentrale Akteure organisationalen Lernens versteht. Es werden verstärkt Managementprobleme diskutiert, organisationales Lernen hat sich aus dem organisationstheoretischen Kontext gelöst und wird verstärkt als managementbezogener Gestaltungsansatz behandelt. Infolgedessen entstanden aus diesem Ansatz auch praxisbezogene Gestaltungsempfehlungen, die kontinuierliches Lernen in einer Organisation fördern sollen.408 4.1.4 Der wissensorientierte Ansatz Mit der Vorstellung, dass Organisationen über eigene Wissensbestände verfügen, die losgelöst von deren Mitgliedern Kenntnisse über die Effektivität organisationalen Handelns beinhalten, grenzt sich dieser Ansatz deutlich von den bereits beschriebenen ab. Am interpretationsorientierten und am erfahrungsorientierten Ansatz wird kritisiert, diese würden sich im wesentlichen darauf beschränken, Lernen von Individuen in Organisationen und damit eher individuelles als organisationales Wissen zu thematisieren.409 Das Organisationsverständnis des wissensorientierten Ansatzes nimmt Bezug auf die kontingenztheoretische Organisationsforschung. Organisationen gelten als offene Systeme, die sich dann besonders effektiv im Austausch mit ihrer Umwelt befinden, wenn sie die internen Prozesse und Strukturen mit der Umwelt optimal abstimmen. 407 408 409 siehe: Argyris, C.; Schön, D. A.: 1978 ebenda Seite 37 zu finden vor allem bei Senge, P.: The fifth Disziplin – The Art and Practise of the Learning Organization, New York 1990 siehe: Duncan, R.; Weiss, A.: Organizational Learning: Implications for Organizational Design, in: Research in Organisational Behaviour, Jahrgang 1 Nr. 1/1979 Seiten 78 und 88 f Seite 239 von 430 Auf Änderungen in der Umwelt muss die Organisation, um effektiv zu bleiben, mit einer Änderung ihres Designs reagieren.410 Der wissensorientierte Ansatz konzentriert sich nahezu ausschließlich auf diejenigen Handlungen von Organisationsmitgliedern, die in Bezug zum Zweck der Organisation stehen. In der Organisation wird ein Input in einen bestimmten zweckgerichteten Output transformiert im Wege des Organisierens. Ziel des Organisierens ist es zum einen, den Gesamtprozess der Organisation, der zum angestrebten Output führen soll, in Einzelprozesse zu zerlegen, so dass jedes Organisationsmitglied seine klar umrissene Aufgabe bekommt. Darüber hinaus dient das Organisieren dazu, die Organisation strategisch auszurichten.411 Die Effektivität der Organisation hängt also im Wesentlichen von der Fähigkeit zum Organisieren ab, welche wiederum ein umfangreiches Wissen über Relationen zwischen Handlungen und Handlungsergebnissen, über die sozialen und technologischen Bedingungen des Produktionsprozesses und der internen und externen Umwelt voraussetzt. Darüber hinaus wird Wissen benötigt, welches dazu befähigt, relevante Veränderungen der Rahmenbedingungen der Organisation zu erkennen und für die daraus entstehende erforderliche Anpassung organisationalen Handelns zu sorgen. Dieses Wissen wird als organisationales Wissen bezeichnet. Es muss keineswegs von allen Organisationsmitgliedern besessen werden, wichtig ist vielmehr der Zugang zu relevantem Wissen für alle Organisationsmitglieder. Für die einflussreichen Entscheidungsträger an der Spitze der Organisation ist die Verfügbarkeit organisationalen Wissens von besonderer Bedeutung. Dieses institutionelle Wissen muss in der Organisation öffentliches Wissen sein. Öffentlichkeit setzt voraus, dass das Wissen zwischen den Organisationsmitgliedern kommunizierbar, konsensfähig und in die Strukturen und Prozesse integriert ist.412 4.1.4.1 Organisationales Lernen als Entwicklung der Wissensbasis Bei organisationalem Lernen handelt es sich um einen kontinuierlichen interaktionalen Prozess der gemeinsamen Konstruktion von Wirklichkeit, in dem individuelles Wissen überprüft und zu organisationalem Wissen integriert wird. Im Ergebnis ent410 411 412 siehe: Duncan, R.; Weiss, A.: 1979 ebenda Seiten 76 ff siehe: Duncan, R.; Weiss, A.: 1979 ebenda Seite 80 ff siehe: Staehle, W.: Management – Eine verhaltenswissenschaftliche Perspektive, München 1991 Seite 845 Seite 240 von 430 stehen vereinfachte, von den Organisationsmitgliedern gemeinsam geteilte Vorstellungen der Realität und generalisierte Vorstellungen über Handlungs-ErgebnisBeziehungen. Bleibt die tatsächliche Leistung der Organisation (Output) hinter dem angestrebten Ergebnis zurück, entsteht eine Leistungslücke (Performance Gap). Diese Leistungslücke gibt den Anstoß für die Suche nach alternativen erfolgreicheren Strategien, die im Ergebnis zur Erweiterung oder Veränderung der organisationalen Wissensbasis führen. Im ersten Schritt geht es dabei durchaus um individuelles Lernen. Das individuelle Wissen fließt in die organisationale Wissensbasis ein, wenn es über die Diskussion der Organisationsmitglieder als sozial valide, relevant und nutzbar akzeptiert wird. Ausgehend von dem weitgehend zweckrationalen Ansatz wird neues Wissen dann als akzeptabel erkannt, wenn es zu wachsender Effektivität der Organisation beiträgt. Hier kann es aber gleichwohl zu Verzerrungen in der Akzeptanz kommen, da neues Wissen nur dann akzeptiert wird, wenn es mit dem existierenden Rahmen der Organisation (Paradigmatic Framework) und den gegebenen Paradigmen übereinstimmt. Als wichtige Rahmenbedingung bzw. Paradigma in der Organisation wird im wissensorientierten Ansatz auch das Machtgefüge innerhalb der Organisation angesprochen. Machtstrukturen413 sind in der Lage, die Aufnahme neuen Wissens in die organisationale Wissensbasis zu verhindern, zumal wesentliche Veränderungen in der organisationalen Wissensbasis von Veränderungen der Macht in der Organisation begleitet werden, so dass organisationale Lernprozesse oft konfliktgeladene Prozesse sind.414 Diese Einschränkung wird nur gebrochen, wenn die Leistungslücken so gravierend sind, dass der Glaube an den Nutzen des vorhandenen organisationalen Wissens nicht mehr gegeben ist. Sowohl soziale, wie auch psychische Systeme entwickeln eine eigene Vorstellung von der Wirklichkeit, die ihnen hilft, sich in ihrer Umwelt zu bewegen. Diese Vorstellung bilden die Wissensbestände eines Systems und somit zugleich die Maßstäbe für das eigene Verhalten. Diese Grundannahmen bilden die Basis organisationaler Lernforschung.415 In einem allgemeinen Lernmodell wird die Weiterentwicklung der Wissensbestände eines Systems beschrieben: Neue Informationen werden wahrgenommen, interpre- 413 414 415 zu Macht siehe die näheren Ausführungen in Teil II Abschnitt 4.5.3 Macht im Betrieb siehe: Duncan, R.; Weiss, A.: 1979 ebenda Seiten 95 f vgl.: Luhmann, N.: Soziale Systeme, Frankfurt/Main 1984 sowie Eberl, P.: Die Idee des organisationalen Lernens, Bern 1996 Seite 241 von 430 tiert und gespeichert und werden so zu Wissen. Die Wirklichkeitskonstruktion wird auf diesem Weg überarbeitet und sichert die Systementwicklung. Systementwicklung Informationswahrnehmung Wissensspeicher Informationsinterpretation Informationsspeicherung Abbildung 43: Allgemeines Lernmodell Auf individueller Ebene wird Lernen als psychischer Vorgang verstanden, auf kollektiver Ebene als ein kommunikatives Phänomen.416 Der wissensorientierte Ansatz unterscheidet drei Formen organisationalen Lernens: Die Ergänzung vorhandenen Wissens, den Austausch offensichtlich falschen Wissens oder die Bestätigung richtigen Wissens durch Zusatzinformationen. Während in den ersten Werken zum wissensorientierten Ansatz keine einzelnen Phasen im Lernprozess unterschieden werden, werden zwischenzeitlich drei Phasen dargestellt: Die Wissensschaffung, die Wissensverbreitung und die Wissensveränderung417 bzw. Wissensgewinnung, Wissenskollektivierung und Wissensgeneralisierung.418 Ebenfalls wird in neueren Werken die Struktur der bereits vorhandenen Wissensbestände 416 417 418 siehe: Miller, M.: Kollektive Lernprozesse: Studien zur Grundlegung einer soziologischen Lerntheorie, Frankfurt/Main 1986 Bei Slepian, J.: Learning, Beliefe and Action in Organisational Workgroups – a Conceptual Model of Workgroup Learning, 1993, nicht veröffentlicht, zitiert nach: Klimecki, R.; Thomae, M.: Organisationales Lernen – eine Bestandsaufnahme der Forschung, Managementforschung und Praxis, Konstanz 1997 Seite 7 siehe: Nevis, E.; Dibella, A.; Gould, J.: Understanding Organizations as Learning Systems, in: Sloan Management Review, 1995 Seite 242 von 430 einer Organisation als bedeutend für Ausmaß und Wirkung organisationalen Lernens beschrieben. Es werden Kern- und Randwissen unterschieden und Umfang und Grad der Vernetzung des Wissens als wichtiger Gradmesser für die Wirksamkeit erkannt.419 Mit dem Verweis auf nach wie vor bestehende konzeptionelle Lücken in der Forschung des organisationalen Lernens verzichten die Autoren des wissensorientierten Ansatzes bewusst auf Gestaltungsaussagen. Sie vermuten, diese Lücken seien möglicherweise der Tatsache geschuldet, dass die Konzepte des organisationalen Lernens zu stark und zu früh anwendungsorientiert verwendet werden.420 4.1.5 Zusammenfassung und Gemeinsamkeiten der Ansätze Im Zentrum der Forschung zum organisationalen Lernen sind die dargestellten vier Ansätze von zentraler Bedeutung. Im erfahrungsorientierten Ansatz beschreiben vor allem March und Olsen organisationales Lernen als Verhaltensanpassung auf organisationaler Ebene. Im interpretationsorientierten Ansatz beschreiben vor allem Agyris und Schön organisationales Lernen als Veränderung organisationaler Verhaltensmuster und im wissensorientierten Ansatz beschreiben vor allem Duncan und Weiss organisationales Lernen als Weiterentwicklung des organisationalen Wissens. Im informationsorientierten Ansatz beschreiben vor allem Daft und Huber organisationales Lernen als Informationsverarbeitung auf organisationaler Ebene. Während der erfahrungsorientierte Ansatz Lernprozesse an manifestiertem Verhalten misst, ist bei den anderen drei Ansätzen die direkte Verbindung von Lernen und Verhalten aufgehoben, es wird jeweils eine zusätzliche Analyseebene einbezogen. Eine vergleichbare Entwicklung ist in den individuellen Lerntheorien erkennbar, die zwischenzeitlich ebenfalls komplexere Modelle heranziehen. Die ehemals behavioristischen Lerntheorien werden von kognitiven abgelöst. Entsprechend könnte man sagen, der erfahrungsorientierte Ansatz fußt auf einem behavioristischen Lernverständnis und kann als adaptiv bezeichnet werden. Organisationales Lernen wird verstanden als Verhaltensänderung in Reaktion auf einen bestimmten Umweltanreiz nach dem Prinzip des Anreiz-Reaktions-Modells. Die Verhaltensänderung vollzieht sich als Abfolge 419 420 siehe: Lyles, M.; Schwenk, T.: Top-Management, Strategie and Organizational Knowledge Structures, in: Journal of Management Studies, 29/1992 Seiten 155 bis 174 siehe: Duncan, R.; Weiss, A.: 1979 ebenda Seiten 78 f Seite 243 von 430 von Versuch und Irrtum, bis eine bessere Anpassung erreicht ist. Der kognitiven Schule können dagegen die anderen drei Ansätze zugeordnet werden. Eigentliches Merkmal von organisationalem Lernen sind die Veränderungen mentaler Strukturen, die zwischen Stimulus und Response eintreten. Dem interpretationsorientierten, dem wissensorientierten und dem informationsorientierten Ansatz liegt somit zumindest implizit gemeinsam ein kognitives Lernverständnis zu Grunde. Sie unterscheiden sich bezüglich des Verständnisses von organisationalem Lernen, in Bezug auf das Lernobjekt und den Lernprozess. Der interpretationsorientierte Ansatz geht von Handlungstheorien aus, die sich in einer Organisation als Verhaltensmuster herausgebildet haben. Lernprozesse finden als einfache Reaktionsänderungen (single-loop-learning), als Verhaltens- und Normänderung (double-loop-learning), im Idealfall begleitet von einer Auseinandersetzung über das Lernen selbst (deutero-learning), statt. Der wissensorientierte Ansatz stellt organisationsweit geteilte Wissensbestände in den Mittelpunkt. Organisationales Lernen führt dazu, dass diese Wissensbestände ergänzt, ausgetauscht oder abgesichert werden. Im informationsorientierten Ansatz setzt organisationales Lernen an den Informationen an, die von der Organisation gesammelt, verteilt und interpretiert werden müssen. Seite 244 von 430 Erfahrungsorien- Interpretationsori- Wissensorientier- Informationsorien- tierter Ansatz entierter Ansatz ter Ansatz tierter Ansatz Hauptwerke March/Olsen Agyris/Schön Duncan/Weiss Daft/Huber Verständnis von Verhaltensanpas- Veränderung Weiterentwicklung Organisationale organisationa- sung, Verhaltensmustern organisationalen Informationsverar- lem Lernen onales Lernen als Wissens beitung Wissensbestände Informationen organisati- von „Exploitation“ und „Exploration“ Lernobjekt Verhalten Handlungstheorien aus der Umwelt Lernprozess Versuch und Irr- Korrektur der Um- Wissenserwerb, Informationsgewin- tum weltinterpretation; Wissensaus- nung, Informations- Verlernen, tausch, Wissens- verteilung, Informa- absicherung tionsinterpretation neu Lernen und organisationales Gedächtnis Lernfaktoren Begrenzte Ratio- Innovationsfreund- nalität organisati- liche onaler feindliche Umwelt- Aufnahmefähig- Lernens; „Informa- dungen; Lokalisie- interpretation; keit als Folge der tion Richness“ rung und Substi- Lernkultur als Folge Qualität von Wis- tuierung organisa- struktureller sensbeständen tionalen Lernens kultureller Einflüsse Entschei- oder – und Normen/Werte Spezifisches und ter organisationalen Mikropolitik; Mus- Tabelle 8: Schulen und Basiskonzepte organisationalen Lernens421 Gemeinsamkeiten weisen alle vier Ansätze im Bezug auf die Beschreibung der Verhaltenswirksamkeit organisationalen Lernens, bei der Beurteilung der unterschiedlichen Qualitäten organisationalen Lernens sowie in Bezug auf die Beschreibung der Kultur- und Strukturabhängigkeit organisationalen Lernens auf. Exemplarisch hierfür mag die Unterscheidung zwischen Anpassungslernen, Veränderungslernen und Prozesslernen in Anlehnung an das Konzept des single-loop, double-loop und deuterolearning gelten. Ob es um Entscheidungsregeln, um Interpretationsmuster, Wissensbestände oder 421 in Anlehnung an: Klimecki, R. G.; Thomae, M.: Zwischen Differenzierung und Internationalisierung, Managementforschung und Praxis, Diskussionsbeitrag Nr. 11 August 1995 Seite 4 sowie Klimecki, R. G.; Thomae, M.: 1997 ebenda Seite 9 Seite 245 von 430 den Informationspool geht, in jedem Ansatz besteht Einigkeit darüber, dass organisationales Lernen zu Verhaltensänderungen führt. Ebenfalls kommt auf die eine oder andere Art in allen vier Ansätzen die Erkenntnis zum Tragen, dass Lernprozesse einer Organisation von unterschiedlicher Tragweite sein können. Es wird danach unterschieden, ob die Umweltinterpretationen lediglich verfeinert oder neu formuliert werden. Auch besteht Einigkeit darin, dass die Rahmenbedingungen organisationalen Lernens dessen Ausmaß erheblich beeinflussen und dass die grundsätzliche Lernbereitschaft von Organisation zu Organisation sich unterschiedlich darstellt. Als wesentliche Einflussfaktoren werden die Organisationskultur und die jeweilige Organisationsstruktur herausgearbeitet. 4.1.6 Der Zusatznutzen organisationalen Lernens Allen Ansätzen in der Literatur ist gemeinsam, dass sie organisationales Lernen nicht völlig unabhängig von individuellem Lernen konzipieren. Es ist in der Tat auch schwer vorstellbar, dass organisationale Orientierungssysteme, Handlungsmuster und Regelkataloge vollständig unabhängig von Individuen, die mit ihnen konfrontiert werden, verändert werden können. Worin liegt nun der Zusatznutzen bzw. die Zusatzleistung organisationalen Lernens im Gegensatz zu individuellem Lernen? Ein zentraler Unterschied zwischen individuellem und organisationalem Lernen liegt in der Konstruktion bzw. Gestaltung sozialer Wirklichkeit. Diese wird aus den Motiven und Werthaltungen mehrerer, möglichst aller Organisationsmitglieder entwickelt. Der kollektive Bezugsrahmen kennzeichnet somit organisationales Lernen. Es geht nicht um individuelle Motive sondern sozusagen um überpersönliche Erfahrungswelten und eine normative Ordnung, die eine Einigung in kollektiv verbindlichen Entscheidungsverfahren herbeiführt. Bereits angemerkt wurde, dass die Wissensbestände einer Organisation und die Wissensbestände der Organisationsmitglieder nicht deckungsgleich sind. Ein Teil des individuellen Wissens ist der Organisation nicht bekannt und auch nicht zugänglich. Im Laufe der Zeit speichern Organisationen in ihrem organisationalen Gedächtnis, in ihren Wissensarchiven aber auch Wissen, welches bei Individuen nicht mehr vorhanden ist. Ob das organisationale Wissen letztlich mehr ist, als die Summe des Wissens der Organisationsmitglieder oder weniger, mag dahingestellt bleiben. Es ist Seite 246 von 430 in jedem Fall ein anderes Wissen. Auch hier wird deutlich, dass organisationales Lernen eine eigenständige soziale Qualität besitzt, die sich von der des individuellen Lernens unterscheidet. Gedanklich lässt sich hier an die Systemtheorie anknüpfen: „Lassen wir zunächst offen, ob das Ganze wirklich ‚mehr’ ist; es genügt zu sagen, dass das Ganze etwas anderes ist als Summe seiner Teile. Es hat sich in einigen Zweigen der Evolutionstheorie eingebürgert, dieses „andere“ als emergente Eigenschaften von Systemen zu bezeichnen. Damit ist gemeint, dass Systeme im Laufe ihrer Entwicklung Eigenschaften hervorbringen, die aus den Eigenschaften ihrer Elemente gerade nicht mehr erklärbar sind, die mithin neu und charakteristisch nur und erst für die Ebene des jeweiligen Systems sind.“422 Auch werden Wissensstrukturen organisational institutionalisiert durch einen kommunikativen Aushandlungsprozess zwischen verschiedenen Wirklichkeitskonstruktionen. „Organisationen lernen nicht dadurch, dass ihre Mitglieder lernen, sondern dadurch, dass sich ihre Kommunikationsstrukturen weiterentwickeln.“423 So entstehen in einer Organisation gemeinsame Vorstellungen und Überzeugungen bezüglich der für die gemeinsame Tätigkeit relevanten Ausschnitte der organisationalen Wirklichkeit. Diese im Idealfall von allen Organisationsmitgliedern geteilten Wirklichkeitskonstruktionen werden gemeinsam in kommunikativen Prozessen entwickelt, bestätigt und gefestigt. 4.2 Organisationales Lernen und Personalentwicklung Anfang der 90er Jahre wird in der Managementliteratur vermehrt der Anspruch formuliert, die betriebliche Personalentwicklung solle sich im Rahmen einer lernenden Organisation bewegen und dort eine zentrale Funktion einnehmen.424 Ein evolutionä- 422 423 424 siehe: Willke, H.: 2000 ebenda Seiten 130f, vgl. ergänzend: Kofman, F.; Senge, P.: Communities of commitment: The heart of the learning organization, in: Organizational Dynamics, 1994 Seiten 5 bis 22 sowie Krohn, W.; Küppers, G.(Hrsg.): Emergenz: Die Entstehung von Ordnung, Organisation und Bedeutung, Frankfurt/Main 1992 siehe: Grossmann R.; Scala, K.; Heimerl, K.: 2002 ebenda Seite 196 siehe z. B.: Meyer-Dohm, P.: Bildungsarbeit im Lernenden Unternehmen, in: Meyer-Dohm, P.; Schneider, P. (Hrsg.): Berufliche Bildung im Lernenden Unternehmen: Neue Wege zur beruflichen Qualifizierung, Stuttgart 1991 Seiten 19 bis 32 sowie Geißler, H.: Vom Lernen in der Organisation zum Lernen der Organisation, in: Sattelberger, T. (Hrsg.): Die Lernende Organisation: Konzepte für eine neue Qualität der Unternehmensentwicklung, Wiesbaden 1994 Seiten 79 bis 96 sowie Sattelberger, T.: Die lernende Organisation im Spannungsfeld zwischen Strategie, Struktur und Kultur sowie: Personalentwicklung neuer Qualität durch Renaissance helfender Beziehungen, beide ArtiSeite 247 von 430 res und fortschrittsfähiges Management habe die Aufgabe, im Unternehmen neues Wissen zu generieren und zu ermöglichen.425 Personalentwicklung im Rahmen einer lernenden Organisation trage dazu bei, nicht nur die Effizienz, sondern auch die Effektivität des Unternehmens zu steigern und sorge dadurch für einen Marktvorsprung vor der nicht lernenden Konkurrenz. Fast schon verklärend wird die Lernende Organisation als Möglichkeit beschrieben, individuelles Lernen und organisationales Lernen in „Höchstform“ zu bringen.426 Die Forderung, Personalentwicklung und organisationales Lernen zusammenzuführen, wird mit der Kritik an der traditionellen Personalentwicklung verbunden. In der traditionellen Literatur zur Personalentwicklung dominieren Verfahren, Methoden und Instrumente zur Ermittlung des Qualifikationsbedarfs und zur Angleichung der Qualifikationen der Arbeitnehmer an den Bedarf. Diese Sichtweise wird von den Verfechtern einer Personalentwicklung im Rahmen organisationalen Lernens als zu eng kritisiert, die Sicht auf Alternativen würde versperrt, diese individualisierten Lernprozesse ließen kaum positive Auswirkungen auf den Arbeitsprozess erkennen.427 Individuelle Lernprozesse seien für die Organisation in dem Maße bedeutungslos, wie sie nicht in eine lernende Organisation eingebunden sind und einen Beitrag zur Veränderung und Erweiterung des organisationalen Wissensbestandes leisten. Die Lebensfähigkeit eines Unternehmens hänge aber in Zukunft immer stärker von ihrer Fähigkeit ab, als Organisation zu lernen. An die Personalentwicklung richtet sich die Forderung, analytische, auf die Lösung von Detailproblemen fokussierte Maßnahmen zu ergänzen durch ganzheitliche, auf die Entwicklung von Individuum und Organisation fokussierte Angebote. Im Fokus der Personalentwicklung soll somit nicht mehr allein das Individuum stehen. Es gelte, die in der einschlägigen Fachliteratur ebenso wie in der Praxis über- 425 426 427 kel in: Derselbe (Hrsg.): Die lernende Organisation: Konzepte für eine neue Qualität der Unternehmensentwicklung, Wiesbaden 1994 Seiten 11 bis 56 sowie 207 bis 228 sowie Ortner, G. E.: Objektorientiertes Organisationslernen, in: Arnold, R.; Weber, H. (Hrsg.): 1995 ebenda sowie Pawlowsky, P.; Bäumer, J.: Funktionen und Wirkungen beruflicher Weiterbildung, in: Strümpel, B.; Dierkes, M. (Hrsg.): ebenda 1993 siehe: Probst, G. J. B.; Büchel, B. S.T.: 1994 ebenda sowie Kirsch, W.: Fortschrittsfähige Unternehmung, rationale Praxis und Selbstorganisation, in: Dürr, W. (Hrsg.): Selbstorganisation verstehen lernen: Komplexität im Umfeld von Wirtschaft und Pädagogik, Frankfurt/Main, 1995 Seiten 91 bis 150 nach: Ackermann, K.F.: Führungskräfteentwicklung unter dem Aspekt der „Empolyability“, in: Speck, P. (Hrsg.): 2005 ebenda Seite 263 siehe: Weber, H.: Lernende Organisationen: Die neuen Wettbewerber, in: Arnold, R.; Weber, H. (Hrsg.): Weiterbildung und Organisation: Zwischen Organisationslernen und lernenden Organisationen, Berlin 1995 Seiten 30 bis 44 Seite 248 von 430 wiegende personalorientierte Perspektive der Personalentwicklung zu überwinden. Mit der klassischen betrieblichen Weiterbildung, so die Kritik, würde die Wissensbasis in Organisationen nicht verbreitert, sondern eher segmentiert. Spezialistentum werde gefördert und die Kluft zwischen qualifizierten Arbeitnehmern und sogenannten „Bildungsbenachteiligten“ werde größer mit der Folge, dass die organisationale Wissensbasis eher geschmälert, als gefördert werde.428 Diese Art der betrieblichen Weiterbildung sei zwar kurzfristig kostengünstiger, vernachlässige aber die Dynamik von Wissen in einer Organisation. Reflektierend auf die Ergebnisse meiner Forschung ist zu konstatieren: Diese Kritik trifft in besonderem Maße auf die deutschen Universitätsklinika zu. Nur in einer Minderheit der deutschen Klinika gibt es eine institutionalisierte Personalentwicklung, während an allen Universitätsklinika eine betriebliche Weiterbildung im traditionellen Sinne etabliert ist. Die Arbeit der Organisationseinheiten, die für Personalentwicklung zuständig sind, ist stark auf die individuelle Personalentwicklung, allenfalls ergänzt um Entwicklung von Gruppen und Teams, fokussiert. Diese Praxis steht durchaus in einem erkennbaren Kontrast zum Universitätsklinikum als Wissensbetrieb mit der zentralen gesellschaftlichen Aufgabe, Lehre und Forschung zu betreiben. Dass an den österreichischen und den schweizerischen Universitätsklinika organisationales Lernen ein wichtiges Thema ist, zeigt zugleich, dass eine mit organisationalem Lernen verknüpfte Personalentwicklung im Krankenhaus machbar ist und gewinnbringend etabliert werden kann. Die Personalentwicklung in der lernenden Organisation hat die Aufgabe, Entwicklungs- und Lernprozesse auf der individuellen, auf der Gruppen- und auf der Organisationsebene anzustoßen und zu gestalten. Der Transfer von Wissen zwischen der individuellen und der organisationalen Ebene soll gefördert und gestaltet werden. Voraussetzung für die Generierung neuen Wissens ist sowohl die Bereitschaft und Offenheit des Individuums für neues Wissen wie auch die Schaffung von Spielräumen für neue Ideen und neues Wissen in Gruppen und ganzen Organisationen. Anschaulich beschreibt der indische Philosoph Krishnamurti die erforderliche individuelle Grundhaltung: „Lernen geschieht von Augenblick zu Augenblick; es ist eine Bewegung, in der Sie sich selbst unaufhörlich betrachten, niemals verdammen, niemals beurteilen, niemals bewerten, sondern nur betrachten. In dem Augenblick, da Sie 428 siehe: Pawlowsky, P.; Bäumer, J.: 1993 ebenda sowie Pawlowsky, P.: Von betrieblicher Weiterbildung zum Wissensmanagement, in: Geißler, H. (Hrsg.): 1995 ebenda Seite 249 von 430 verdammen, interpretieren oder bewerten, handeln Sie nach der Schablone Ihres Wissens, Ihrer Erfahrung und diese Schablone behindert Sie am Lernen.“429 Wie dargestellt erschöpfen sich einfache Lernvorgänge im Sinne von Anpassungslernen auf der ersten Ebene in Organisationen darin, Fehlerursachen bei Normabweichungen zu finden und zu korrigieren – ein zentrales Element des Qualitätsmanagements. Die Double-Loop-Learning-Prozesse unterziehen dagegen die Handlungstheorien der Organisation einer kritischen Prüfung durch die Konfrontation mit Umweltbeobachtungen. Sie ermöglichen somit Entwicklungslernen. Dieser Lerntypus wird auch als „turnover-learning“ bezeichnet und sieht wie dargestellt die Fähigkeit eines Systems auch zum Verlernen bisheriger Handlungsmaximen und Routinen als wesentliche Voraussetzung an.430 Insgesamt richtet sich der Hauptfokus für Prozesse der Wissensentwicklung auf die Organisation als systemische Einheit. In dem Maße, wie es der Personalentwicklung gelingt, diese Wechselbeziehung zwischen organisationalem und individuellem Lernen zu fördern, in dem Maße erfüllt sie ihre Aufgabe im Rahmen der lernenden Organisation.431 Sehr weitgehend ist die Forderung, die zumeist isoliert voneinander betrachteten Bereiche individuelle Personalentwicklung auf der einen und Organisationsentwicklung auf der anderen Seite zu einem integrierten Personal- und Organisationsentwicklungskonzept zusammenzuführen, welches die lernende Organisation als Bezugspunkt hat. Ziel dieser Zusammenführung müsse es sein, ein dynamisches Lernsystem zu schaffen, welches sowohl individuelles Lernen fördert, als auch die Weiterentwicklung organisationalen Wissens.432 Etwas bescheidener nehmen sich die Forderungen nach neuen Lernformen im Unternehmen aus, die auf arbeitsplatzintegrierte Lernkonzepte bauen, bei denen Erfahrungsaustausch, Projektarbeit und Methoden virtueller Zusammenarbeit eine zentrale Rolle spielen.433 Die Nähe zur Idee des organisationalen Lernens ist 429 siehe: Krishnamurti, Jiddu: Das Wesentliche ist einfach: Antworten auf Fragen des Lebens, Freiburg, Basel, Wien 2005 Seite 13 430 siehe: Hedberg, B.: 1981 ebenda Seite 10 431 siehe Pawlowsky, P.: Betriebliche Qualifikationsstrategie und organisationales Lernen, in: Staehle, W. H.; Conrad, P. (Hrsg.): Managementforschung 2, Berlin 1992 Seiten 226 f 432 siehe Ortner, G. E.: Objektorientiertes Organisationslernen in: Arnold, R.; Weber, H. (Hrsg.): 1995 ebenda Seiten 128 ff 433 So wird in der in schweizerischen Unternehmen durchgeführten Prognosestudie des Instituts für Führung und Personalmanagement (I.FPM) der Universität St. Gallen unter den Personalentwicklungsinstrumenten und –maßnahmen die „Teilnahme an bzw. Leitung von Projektgruppen“ in der Reihe der Bedeutung nach an erster Stelle genannt: Wunderer, R.; Dick, P.: 2007 ebenda Seite 139, siehe auch: Wegerich, Ch.: Neue Lernformen in Unternehmen, in: Schwuchow, K.; Gutmann, J.: 2007 ebenda Seite 221 Seite 250 von 430 gleichwohl unverkennbar. Personalentwicklung auf Basis organisationalen Lernens bekommt im Unternehmen einen völlig neuen Stellenwert. Während traditionelle Personalentwicklung eine strategieumsetzende Funktion hat, soll diese Funktion nun strategiegestaltend ausgebildet werden. Der Bezugspunkt und die Zielperspektive verändern sich: Im Rahmen der Strategieumsetzung ist es Aufgabe der Personalentwicklung, den aus der Strategie des Unternehmens abgeleiteten Bedarf zu realisieren. Eine strategiegestaltende Personalentwicklung findet in den Mitarbeiterpotentialen ihren Bezugspunkt. Sie hat die Aufgabe, das Optimum der Mitarbeiterpotentiale, neudeutsch zumeist als „Humanressourcen“ bezeichnet, dadurch zu fördern, dass deren Lern- und Fortschrittsfähigkeit gezielt gefordert und unterstützt wird. Die Schwächen der rein strategieumsetzenden Funktion von Personalentwicklung werden vor allem darin gesehen, dass arbeitsplatznahe Handlungspotentiale, die außerhalb der institutionalisierten Ausbildung entstehen und entwickelt werden, tendenziell vernachlässigt bleiben. Die Qualifikationen werden weitgehend begrenzt auf Fähigkeiten und Fertigkeiten zur Erfüllung vorgegebener Arbeitsanforderungen. Damit würden zentrale Potentiale für die Organisationsentwicklung verschenkt. Aufgabe einer strategiegestaltenden Personalentwicklung sei es, das vorhandene und entwickelbare Mitarbeiterpotential als Verhandlungsgegenstand in den Strategieformulierungsprozess einzubringen. Strategie sei damit nicht mehr nur ein Planungs- und Kontrollinstrument, sondern Grundlage eines Gestaltungsprozesses. „Der zu organisierende iterative Abstimmungsprozess zwischen Entwicklungspotentialen und Zielen ist erst noch als zusätzlicher bewusster und gestaltbarer Suchprozess in die betrieblichen Geschehnisse zu integrieren. Erst dann erschließen sich zusätzliche Ressourcen für die Unternehmensentwicklung und schafft man neue Grundlagen für die Unternehmensplanung und Weiterentwicklung auf ein höheres Niveau.“434 Die Personalentwicklung wird somit aktiver Teil eines Prozesses der Unternehmensgestaltung, dessen Resultat offen ist. Sie befördert Gestaltungs- und Lernprozesse in der Organisation und konfrontiert die vorhandenen Strategien und Strukturen kontinuierlich mit den Mitarbeiterpotentialen und leistet so ihren Beitrag zur Entwicklung der lernenden Organisation.435 434 435 Staudt, E.: Technische Entwicklung und betriebliche Restrukturierung oder: Innovation durch Integration von Personal- und Organisationsentwicklung, in: Geißler, H. (Hrsg.): 1995 ebenda Seite 53 siehe auch: Flohr, B.; Niederfeichtner, F.: Zum gegenwärtigen Stand der Personalentwicklungsliteratur: Inhalte, Probleme und Erweiterungen, in: Zeitschrift für betriebswirtschaftliche Forschung, Jahrgang 34, Sonderheft 14, 1992 Seiten 11 bis 48 Seite 251 von 430 Die lernende Organisation schließt somit auch Organisationsentwicklung ein bzw. macht diese als eher zeitlich limitierten und projektorientierten Veränderungsprozess überflüssig. Gleichwohl gibt es derzeit keine Klarheit darüber, wie ein Prozess einer sich permanent entwickelnden Organisation in der Praxis aussehen mag und mit welchen Verfahren und Instrumenten man einen solchen Prozess gestalten kann.436 An der Idee des organisationalen Lernens orientierte Personalentwicklung managt nicht nur Qualifikationen, sondern vor allem Wissen mit der Aufgabe, tätigkeitsunabhängig Lernpotentiale der Mitarbeiter zur Entfaltung zu bringen und zugleich dafür Sorge zu tragen, dass die organisationale Wissensbasis erweitert wird. Diese Forderung wird in der Literatur recht global erhoben, während konkrete Vorstellungen über die Umsetzbarkeit im Unternehmen allenfalls in Ansätzen erkennbar sind. Organisationales Lernen befasst sich selten mit Lerninhalten (wie z. B. Umgang mit Patienten oder Formen interprofessioneller Zusammenarbeit), sondern nahezu ausschließlich mit Metathemen wie der Beseitigung von Lernbarrieren oder dem Aufbau eines Lernkontextes, der ein exploratives Lernen gewährleisten soll. In den praktischen Empfehlungen wird in der Regel auf die Gestaltung von Kontext und Rahmenbedingungen eingegangen. In der Literatur findet man so auch keinen allgemeingültigen Methodenkasten zur Unterstützung organisationalen Lernens. Gleichwohl finden sich in der Literatur Hinweise auf unterstützende Methoden, die eingesetzt werden können, um die Wahrscheinlichkeit zu erhöhen, dass sich neues Wissen entwickelt und organisationales Lernen ermöglicht wird. Sie firmieren landläufig unter Begriffen wie „Lernlaboratorien“, „Denkwerkstätten“ oder „Kreativitätsteams“ und zielen in der Regel auf die Gruppenebene.437 Forschung und Gestaltungspraxis organisationalen Lernens sind bisher nur wenig miteinander verbunden. Zentrales Ziel der Personalentwicklung im Rahmen organisationalen Lernens ist es, die Arbeitnehmer zu befähigen, auf Grundlage des organi- 436 437 siehe: Rosenthal, T.; Wagner, E.: 2004 ebenda Seite 83 Der Ölkonzern Shell veranstaltet in regelmäßigen Abständen sog. „Szenario–Planning–Workshops“ für die Konzernspitze (siehe: http://www.shell.com/home/cotent/aboutshell/our_strategy/shell_global_scenarios/dir_global_scena rios_07112006.html vom 13.04.2009). In diesen Sitzungen werden bewusst utopische und abenteuerliche Zukunftsbilder entwickelt. Auf diesem Weg hatte Shell auch als einziger Mineralölkonzern ein Szenario für die Energiekrise in den 70er-Jahren bereits zuvor entwickelt, was ihm ermöglichte, auf die neue Situation schnell und flexibel zu reagieren. Dass dies nicht für alle Szenarien gelingt, wurde dann allerdings bei der Krise um die Ölplattform Brend Spa deutlich. Seite 252 von 430 sationalen Wissens sozusagen im Wege der Selbstregulation Probleme vor Ort lösen zu lernen und zugleich in diesem Prozess erarbeitete neue Lösungswege durch Kommunikation dem organisationalen Wissensbestand zuzuführen. Für die Personalentwicklung ist Wissen somit Instrument der Veränderung und zugleich Ergebnis des Veränderungsprozesses, also gleichzeitig „Werkzeug und Werkstück“.438 Im Zusammenhang mit dem „Pflegenotstand“439 wurde im Gesundheitswesen Anfang der 90er Jahre des vergangenen Jahrhunderts erstmals der Vorschlag breiter diskutiert, Krankenhäuser auf allen Ebenen zu einer lernenden Organisation zu entwickeln. Lernen solle auf allen Ebenen, in allen Bereichen und über alle Berufsgruppen des Krankenhauses etabliert werden als zentrale Voraussetzung für die Bewältigung der Krise.440 Die Auseinandersetzung mit Fragen des organisationalen Lernens ist an den Universitätsklinika heute sehr unterschiedlich ausgeprägt. In Österreich spielt organisationales Lernen in Verbindung mit Personalentwicklung eine wichtige Rolle, auch in der Schweiz, wenn auch nicht so stark, während dieses Thema an deutschen Universitätsklinika als stark vernachlässigt zu bewerten ist.441 4.2.1 Handlungsfelder und Maßnahmen 4.2.1.1 Lernen fördern durch Fehlerfreundlichkeit Wie bereits erwähnt, existiert in der Literatur kein Maßnahmenkatalog - sozusagen als Rezeptbuch - für die Entwicklung einer lernenden Organisation. Gleichwohl gibt es eine Reihe von Gestaltungsvorschlägen, die Basis und Rahmen für ein organisationales Lernen bilden sollen. So besteht Einigkeit darüber, dass exploratives Lernen eine gewisse Risikobereitschaft der Arbeitnehmer voraussetzt. Voraussetzungen für 438 439 440 441 siehe: Pawlowsky, P.; Bäumer, J.: 1993 ebenda Seite 193 Der „Pflegenotstand“ wurde Ende der 80er Jahre zu geflügelten Wort an bundesdeutschen Krankenhäusern. Gemeint war damit im Wesentlichen die Tatsache, dass nicht mehr ausreichend examiniertes Pflegepersonal für die Krankenhäuser zur Verfügung stand. Die Verweildauer im Pflegeberuf betrug damals gerade noch 4 Jahre und somit nicht viel mehr, als die zur Ausübung des Berufs erforderliche Ausbildungszeit von 3 Jahren. Der „Pflegenotstand“ bezeichnet – aus der Perspektive des organisationalen Lernens - jenen Zustand, bei dem die althergebrachten Lösungswege und Denkmuster nicht mehr ausreichen, die anstehenden Probleme zu lösen, was den idealen Nährboden für Organisationales Lernen bietet. siehe: Betz, G.: Krankenhaus als lernende Organisation, in: Krankenhausumschau 4/1991 Seiten 300 bis 304 siehe Teil II Abschnitt 2.6 Wissensmanagement und organisationales Lernen Seite 253 von 430 die geforderte Bereitschaft zum Ausbruch aus routinisierten Handlungsmustern sind neben der persönlichen Disposition vor allem normative Strukturen im Unternehmen, die Lernprozesse nach dem Muster von Versuch und Irrtum zulassen. Gehören Fehlerfreundlichkeit und Lernförderlichkeit zur Unternehmenskultur, bieten diese eine wichtige Basis für organisationales Lernen. Die Erwartungen, die das Organisationsmitglied in den Handlungsleitlinien der Organisation und bei den Führungspersonen im Unternehmen vermutet, haben einen starken Einfluss auf die Lernbereitschaft und das Lernverhalten. Arbeitnehmer erkennen schnell, ob das Hinterfragen von Standardprozeduren und Routineverfahren oder das Eingehen von Risiken in der Organisation erwünscht ist und gefördert wird oder eben nicht. Eine Fehlervermeidungskultur behindert die Suche nach neuen Lösungen. Normative Strukturen dagegen, die offene Dialoge, Minderheitenmeinungen, Experimentierbereitschaft und Diskussionsfreude zulassen, steigern die Chancen für organisationales Lernen.442 Der Ruf nach Experimentierfreude wird auch damit begründet, dass eine sich immer schneller wandelnde Umwelt auch immer schneller neue, andersartige und stets nur vorläufig brauchbare Lösungen verlangt. Und Experimentierfreude setzt Fehlerfreundlichkeit voraus. Dies mag auf den ersten Blick eine für ein Krankenhaus kritisch zu betrachtende Forderung sein. Der Slogan „Wir sind ein fehlerfreundliches Krankenhaus“ dürfte kaum vertrauenerweckend auf Patienten wirken. Diese Kritik trifft allerdings den Kern nicht. Fehlerfreundlichkeit bedeutet, dass grundsätzlich toleriert wird, dass Fehler vorkommen können. Dies ist die erste Voraussetzung dafür, Fehler zu vermeiden. Im Krankenhaus werden Fehler weitgehend tabuisiert, was eine wirkungsvolle Strategie zur Fehlervermeidung behindert. Zugleich sind Krankenhausorganisationen in ihrer hohen Komplexität sowohl an den Mensch-MaschinenSchnittstellen wie auch insbesondere in der interpersonellen Kommunikation überaus fehleranfällig443. Das offene Eingeständnis, dass in der komplexen und schnell sich wandelnden Medizin und Pflege Fehler nicht zu vermeiden sind, veröffentlicht in einer Broschüre des Aktionsbündnisses Patientensicherheit mit Berichten von Ärzten und Pflegenden über eigene Fehler in der Patientenbehandlung, wurde als bedeutender Schritt, das unselige Tabu zu brechen, in den Medien gewürdigt. „Hohe Qualität und Sicherheit der gesundheitlichen Versorgung lassen sich längerfristig nur erhalten, wenn jeder konsequent versucht, aus vermeidbaren Fehlern, Schäden und 442 443 siehe u. a.: Pawlowsky, P.: Betriebliche Qualifikationsstrategien und organisationales Lernen, in: Staehle, W. H.; Conrad, P. (Hrsg.): 1992 ebenda Seiten 229 f sowie Hanft A.: Personalentwicklung zwischen Weiterbildung und „organisationales Lernen“: Eine strukturationstheoretische und machtpolitische Analyse der Implementierung von PE-Bereichen, München 1995 Seite 64 siehe: Schrappe, M.: 2007 ebenda Seite 184 Seite 254 von 430 Beinahe-Schäden zu lernen. Dazu gehört in erster Linie, dass solche Ereignisse nicht verschwiegen werden, sondern dass darüber gesprochen oder – zumindest anonym – berichtet wird, um Schwachstellen aufzudecken und wirksame Strategien der Risiko- und Fehlerprävention entwickeln zu können.“444 Die Gefahr, dass Fehler wiederholt werden, ist auf Grund der Tendenz zum Vertuschen in Organisationen weit größer, in denen Fehler zu Sanktionen führen. Fehlerfreundlichkeit impliziert eben auch, Fehler offen anzusprechen und zuzulassen, dass das eigene Verhalten kritisch bewertet wird. Fehler werden hier verstanden als grundsätzlich vermeidbare Abweichungen von angestrebten Ergebnissen. Fehler führen zu Frustration und Stress. Sie können aber auch als natürliche Bestandteile von Lernprozessen verstanden werden, was die Entfaltung von Lernpotentialen zur Folge haben kann und somit Frustration und Stress abbaut.445 So können Wissenslücken geschlossen und Verhaltensdefizite beseitigt werden.446 Eine Studie, welche empirisch und vergleichend die Beziehung von Fehlerkulturen und Innovationserfolg genau analysiert, zeigt ein differenziertes Bild.447 Bei einer 444 445 446 447 So wurde über die als Sensation empfundene Veröffentlichung an prominenter Stelle in allen führenden Medien über die Grenzen Deutschlands hinaus berichtet. Siehe: Aktionsbündnis Patientensicherheit e.V.: Aus Fehlern lernen, Broschüre, Bonn 2008 Seite 3 siehe: Wehner, T.; Mehl, K.: Fehler und Fehlhandlung, in: Schuler, H.; Sonntag, K. (Hrsg.): Handbuch der Arbeits- und Organisationspsychologie, Göttingen 2007 eine interessante Untersuchung haben Heinbeck, Frese, Sonnentag und Keith 2003 durchgeführt: In drei verschiedenen Trainingsgruppen mit je 29 Teilnehmern wurde der Umgang mit einem Tabellenkalkulationsprogramm erlernt. Die erste Gruppe wurde über Instruktionen ausdrücklich darauf hingewiesen, wie wichtig Fehler für den Lernprozess sind. Es wurden weitere Hinweise zum Fehlermanagement gegeben und während des Kurses auch wiederholt erläutert. Die zweite Trainingsgruppe erhielt diesbezüglich keinerlei Instruktionen. Die dritte Trainingsgruppe erhielt detaillierte schriftliche Instruktionen, wie die einzelnen Aufgaben zu bearbeiten sind verbunden mit dem Hinweis, dass dies zur Fehlervermeidung dienen sollte. Im Ergebnis zeigte die Studie, dass die Teilnehmergruppe mit Instruktionen zum Fehlermanagement eine bessere Leistung erbracht hat, als die beiden anderen Gruppen, die sich untereinander nicht unterschieden. Siehe: Heinbeck, G.; Frese, F.; Sonnentag, S.; Keith, N.: Integrating areas into the training process: The function of error management instructions and the role of goal orientation, in: Personnel Psychology, 56, 2003 Seiten 333 bis 361. In einer weiteren Untersuchung gleichen Gully, Payne, Koles und Whiteman 2002 Trainingsformen mit Merkmalen der Trainingsteilnehmer ab. Im Ergebnis halten sie fest, dass Teilnehmer mit starken kognitiven Fähigkeiten durch ein Training, das fehlerfreundlich angelegt ist, eine höhere Selbstwirksamkeit erzielen. Teilnehmer mit schwächeren kognitiven Fähigkeiten erzielen bessere Ergebnisse durch ein Fehler vermeidendes Training. Siehe: Gully, S. M.; Payne, S. C.; Koles, K.; Witheman, J.: The Impact of Error training and individual differences on training outcomes: An attribute-treatment interaction perspective, in: Journal of Blade Psychology 87, 2002 Seiten 143 bis 155. Beide Forschungsergebnisse sind zitiert nach: Sonntag, K.; Stegmaier, R.: Arbeitsorientiertes Lernen: Zur Psychologie der Integration von Lernen und Arbeit, Stuttgart 2007 Seiten 101 f siehe: Kriegesmann, B.; Kerka, F.; Kley, T.: Fehlerkulturen und Innovationserfolg: Eine vergleiSeite 255 von 430 schwierigen Herzoperation ist ebenso wie bei der Qualität der Flugzeugwartung die Fehlerintoleranz eine conditio sine qua non, da es im Zweifel um das Leben des Patienten oder des Passagiers geht. Fehlertoleranz oder Fehlerfreundlichkeit ist somit durchaus ein zweischneidiges Schwert. Fehlerfreundlichkeit findet dort ihre Grenzen, wo das Risiko besteht, verhängnisvolle Folgen zu zeitigen. Sie ist immer dort angebracht, wo sie mit vertretbarem Aufwand und Risiko Lernen ermöglicht. Zur Risikominimierung gehört auch, genügend Redundanz vorzuhalten, um Fehler auffangen zu können. Auch sind Experimente im Kopf und im Computer grundsätzlich fehlertolerant, was die zunehmende Bedeutung von Simulationen erklärt.448 So kann hier abschließend festgehalten werden, dass eine nachhaltige Fehlerkultur Innovationen und organisationales Lernen fördert und einen wenn auch nicht risikofreien Weg bietet, sich von Tradiertem zu lösen und innovative Ziele zu verfolgen. 4.2.1.2 Lernern fördern durch Hierarchieabbau Eine weitere Rahmenbedingung für organisationales Lernen wird in einer hierarchiearmen, nicht von engmaschiger Kontrolle und detaillierten Arbeitsanweisungen geprägten Unternehmenskultur gesehen. Starre Hierarchien, eine stark arbeitsteilige Organisation und eng geführte Kontrollen werden als strukturelle Lernbarrieren identifiziert, welche die Lernfähigkeit und Lernbereitschaft der Arbeitnehmer beeinträchtigen. In Hierarchien ist die Kommunikation von vorne herein durch eine Definition der Position der Beteiligten vorstrukturiert. Hierarchische Positionen sind in diesem Sinne mit „Standpunkten“ verknüpft.449 In Universitätsklinika kann durchgehend davon ausgegangen werden, dass organisationales Lernen genau durch diese strukturellen Lernbarrieren verhindert oder zumindest behindert wird. Krankenhäuser und besonders Universitätsklinika sind stark hierarchisch gegliederte Unternehmen. Neben der dadurch bestehenden vertikalen Abschottung der Subsysteme im Unternehmen Krankenhaus ist die funktionale Abschottung als weitere strukturelle Lernbarriere anzusehen. Die berufsständische Abschottung zwischen Ärzten, Pflege und Administration verhindert darüber hinaus die Verbreitung von Wissen zwischen den einzelnen Funktionssystemen. Die Bildung von „Fürstentümern“ wird gefördert, die wiederum versuchen, ihre Partialinteressen zu Lasten der gesamten Organisation durchzuset- 448 449 chende empirische Analyse, in: Zeitschrift für Personalforschung 20 (2), Mehring 2006 Seiten 141 bis 159 siehe: Schwaninger, M.: Fehlertoleranz – ein zweischneidiges Schwert, in: Zeitschrift für Personalforschung, 20 (3), Mehring 2006 Seiten 277 bis 281 siehe: Pawlowsky, P.: 1995 ebenda Seite 446 Seite 256 von 430 zen. Aus Sicht der Personalentwicklung bilden sich Wissensinseln, in der Folge kommt es zu Steuerungs-, Koordinations- und Kommunikationsproblemen. 4.2.1.3 Lernbarriere zertifiziertes Qualitätsmanagement Eine weitere strukturelle Lernbarriere entsteht aus meiner Sicht aus dem Qualitätsmanagement in Krankenhäusern. Die Krankenhäuser sind gehalten, ein Qualitätsmanagement einzuführen. An den deutschen Universitätsklinika spielt die Zertifizierung nach KTQ eine zunehmend größere Rolle. KTQ ist ein Zertifizierungsverfahren für deutsche Krankenhäuser. KTQ steht für „Kooperation für Transparenz und Qualität im Krankenhaus“. Ziel ist die kontinuierliche Qualitätsverbesserung in Krankenhäusern. Das KTQ-Modell ist ein praxisbezogenes Verfahren zur Beurteilung der Qualität und der Sicherheit. Weitere Ziele sind die Erhöhung der Transparenz der Leistungsqualität, die Optimierung der medizinischen Leistung im Sinne des Patienten und die Motivation, neue Elemente der Qualitätssicherung zu implementieren. Träger des Verfahrens sind die Bundesärztekammer, die deutsche Krankenhausgesellschaft, der deutsche Pflegerat, der Dachverband der privaten Krankenkassen, die wesentlichen gesetzlichen Krankenkassen sowie die Bundesknappschaft. 450 450 Auf ihrer Internetseite stellt sich die KTQ selbst wie folgt dar: „In vierjähriger Entwicklungsarbeit haben Experten aus der Krankenhauspraxis unter der Leitung von Vertretern der Spitzenverbände der Krankenkassen, der Bundesärztekammer, der Deutschen Krankenhausgesellschaft und des Deutschen Pflegerates ein Verfahren entwickelt, welches seit 2002 zur Bewertung des Qualitätsmanagements in Krankenhäusern eingesetzt wird. Ziel der KTQ-Zertifizierung ist stets die Verbesserung und Optimierung von Prozessen und Ergebnissen innerhalb der Patientenversorgung. Zentrales Ergebnis der Entwicklungsarbeit ist der sogenannte KTQ-Katalog. In diesem KTQKatalog wurden Kategorien zusammengestellt, die im Rahmen der Zertifizierung von Akutkrankenhäusern abgefragt werden, um Aussagen über die Qualität der Prozessabläufe in der medizinischen Versorgung treffen zu können. Die gegenwärtig 70 Kriterien gliedern sich in folgenden Kategorien: • • • • • • die Patientenorientierung, die Mitarbeiterorientierung, die Sicherheit im Krankenhaus, das Informationswesen, die Krankenhausführung und das Qualitätsmanagement. Den einzelnen Kriterien wurden jeweils eigene Fragenpakete zugeordnet. Erst über dieses aufwändige Verfahren war es möglich, ein adäquates Instrumentarium für die Leistungsdarstellung berufsgruppen- und hierachieübergreifend in einem gesamten Krankenhaus herzustellen. Damit steht für die vorgeschaltete Selbstbewertung und die über die KTQ-Zertifikatsvergabe entscheidende Fremdbewertung eine schlüssige Systematik als Grundlage zur Verfügung, die eine transparente und nachvollziehbare Bewertung ermöglicht. Das KTQ-Zertifizierungsverfahren, speziell für das deutsche Gesundheitswesen entwickelt, orientiert sich dabei auch an bewährten Systemen, wie beispielsweise dem Australian Council on Healthcare Standards. Die Schritte des KTQ-Bewertungsverfahrens im Einzelnen: Seite 257 von 430 Dem in Deutschland weit verbreiteten Zertifizierungsgedanken folgend sind die zu erfüllenden Kriterien abschließend und zum Teil auch sehr eng vorgegeben. Die Anforderungen unter der Überschrift Personalentwicklung sind z. B. auf nur wenige Punkte beschränkt.451 Die dort hinterlegten Anforderungen decken lediglich einen Teil der Anforderungen an eine integrierte Personalentwicklung ab. Interessant wird es sein, zu beobachten, wie weit die Universitätsklinika in Deutschland sich im Hinblick auf die gewünschte Zertifizierung oder Rezertifizierung weitgehend auf die im KTQ-Katalog hinterlegten Teilbereiche der Personalentwicklung konzentrieren. Die Grundgesamtheit der nach KTQ zertifizierten Klinika reichte zum Zeitpunkt meiner Forschungen noch nicht aus, hier eine valide Aussage treffen zu können. In einer ersten Phase der Einführung des Qualitätsmanagements befassen sich die Arbeitnehmer und die Subsysteme umfangreich mit ihrer eigenen Arbeitsorganisation. Diese wird hinterfragt und im positiven Falle werden Schnittstellen zu anderen Subsystemen gemeinsam definiert. Diese erste Phase kann als durchaus lernförderlich bezeichnet werden. Dieser folgt aber in der Regel die Zeit der Verfahrensanweisungen und QM-Dokumente, die als Handlungsleitlinien verpflichtend gelten sollen. Je detaillierter diese Dokumente ausgearbeitet sind, desto größer ist die Chance, im Zertifizierungsprozess zu punkten. Ist diese aufwändige Kleinarbeit erledigt und die Zertifizierung erreicht, verschwinden diese Dokumente nicht selten in den Schubla- • • • • 451 Selbstbewertung des Krankenhauses Anmeldung zur Fremdbewertung bei einer der KTQ-Zertifizierungsstellen Fremdbewertung durch ein KTQ-Visitorenteam Zertifizierung und Veröffentlichung des KTQ-Qualitätsberichts Gemäß der gesetzlichen Vorschriften nach § 137 SGB V müssen Krankenhäuser ab 2005 einen Nachweis über ein internes Qualitätsmanagement erbringen. Welches Verfahren sie dazu anwenden, bleibt den Entscheidern selbst überlassen. Die KTQ® ist und bleibt ein freiwilliges Verfahren das zum aktuellen Zeitpunkt allerdings im Gegensatz zu anderen Verfahren auf die speziellen Anforderungen in Krankenhäusern ausgelegt ist. Auf Grund der Akzeptanz des KTQ-Zertifizierungsverfahrens in der stationären Akutversorgung sowie den spürbaren Verbesserungen in den Krankenhäusern, die sich mit diesem Verfahren auseinander setzen, wird das international bewährte Grundkonzept als geeignet angesehen, für andere Versorungsbereiche im deutschen Gesundheitswesen Anwendung zu finden. So etwa im Bereich der vertragsärztlichen Versorgung.“ Aus: http://www.ktq.de/ktq_verfahren/index.php vom 09.08.2008 Der KTQ-Katalog sieht für die Personalentwicklung sechs Subkategorien vor, von denen fünf auf die Fort- und Weiterbildung fokussieren. Darüber hinaus wird zwar "systematische Personalentwicklung" als Subkategorie benannt. Hier tauchen aber bei den Inhalten lediglich die klassischen Personalentwicklungsfelder wie Karriereplanung, Beurteilungssystem, Mitarbeitergespräch, Einführung neuer Mitarbeiter oder Zufriedenheitsbefragung auf. Der Fokus richtet sich ausnahmslos auf das Individuum. Seite 258 von 430 den, um rechtzeitig vor der Re-Zertifizierung wieder herausgeholt zu werden. Das nur eingeschränkt auf Innovation ausgerichtete KTQ-System führt so nicht zu einer permanenten Auseinandersetzung mit den Handlungsleitlinien, schon gar nicht mit den Normen und Werten im Krankenhaus und ist somit eher dazu angetan, das Entstehen einer lernenden Organisation zu behindern. Diese Einschätzung relativierend sei darauf hingewiesen, dass der dem KTQ-System immanente PDCA-Zyklus (Plan, Do, Check, Act) eine permanente Reflexion der eigenen Handlungsweise einfordert. Dies vermag aber nicht über den grundsätzlichen Mangel an innovativem, kreativem Problemlösungsdenken jenseits der Leitplanken der Zertifizierungskategorien hinwegzutäuschen. 4.2.1.4 Lernen fördern durch Partizipation Als weiter lernförderlich wird eine partizipative Unternehmenskultur bezeichnet. Insbesondere die verschiedenen Formen von Gruppenarbeit fördern organisationales Lernen. Wissensentwicklung wird so auch als Prozess in sozialen Gruppen verstanden und Team-Learning als zentraler Baustein organisationaler Lernprozesse.452 Dabei können Gruppen aber eben auch massive Widerstände und Mauern gegen neues Wissen und Veränderungen verkörpern. Partizipation ist gleichwohl ein Schlüssel zur Gewinnung von Gruppen für innovative Ideen. Partizipation wird allgemein verstanden als die Beteiligung aller Betroffenen an einem Entscheidungsprozess, der diese selbst betrifft. Partizipation und Gruppenkonzepte führen vor allem zur Nutzung des Lernpotentials der betroffenen Organisationsmitglieder. Vor diesem Hintergrund wird in den Gruppenkonzeptionen ein positiver Ansatz für die Initiierung organisationaler Lernprozesse gesehen, sie gelten als Lernfelder kooperativer Selbstqualifizierung. Im Hinblick auf organisationales Lernen werden der Arbeit in Gruppen in der Literatur zwei Funktionen zugeschrieben: Zum einen die Transferfunktion, die dadurch gegeben ist, dass individuelles Wissen in der Gruppe weitergegeben werden kann, zum anderen die kollektive Lernfunktion, die dadurch gegeben ist, dass Lernprozesse auf Gruppenebene ermöglicht werden, die qualitativ das individuelle Lernen übertreffen.453 Partizipationsangebote gelten als 452 453 siehe z.B. in Nonaka, I.; Takeuchi, H.: Die Organisation des Wissens : wie japanische Unternehmen eine brachliegende Ressource nutzbar machen, Frankfurt 1997 sowie Senge, P.: 1996 siehe: Pawlowsky, P.: 1992 ebenda Seiten 221 ff sowie Oberschulte, H.: Organisatorische Intelligenz: Ein Vorschlag zur Konzeptdifferenzierung, in: Schreyögg, G.; Conrad, P. (Hrsg.): Managementforschung 6, Berlin 1996 Seiten 61 ff Seite 259 von 430 förderlich für Kreativität und Selbstorganisation. Der Personalentwicklung kommt dabei die Rolle eines Ermöglichers oder Moderators zu und nicht die eines Machers, der die Dinge plant und überwacht.454 Die Schaffung von Entscheidungsfreiräumen im Arbeitsalltag wird als wichtiges Element einer entwicklungsförderlichen Arbeitsgestaltung in den Experteninterviews meiner Forschungsarbeit bestätigt. Die Einbindung in berufsgruppen- und abteilungsübergreifende Projektarbeit wird daneben als wichtiges partizipatives Element adressiert. Als weitere wichtige Voraussetzung wird die Etablierung einer Fehlerkultur genannt, die es ermöglicht, Fehler einzugestehen und zu reflektieren. Die geforderte aktive Unterstützung einer partizipativen Personalarbeit an den Universitätsklinika wird durch die Doppelrolle der Personalverantwortlichen behindert: einerseits sind sie für Personalmaßnahmen wie Abmahnungen und Kündigungen zuständig, für deren Durchführung eine partizipative Grundhaltung eher als hinderlich erlebt wird, andererseits wird ihnen die Rolle des Motors der Personalentwicklung zugeschrieben. Diese Rollenambiguität wird als problematisch und belastend empfunden.455 Gleichwohl wird die Partizipation der Mitarbeiter als zentrales Kulturmerkmal auf unterschiedliche Weise benannt. An einigen Universitätsklinika ist die Unternehmenskultur durch eine stark hierarchisch direktive Vorgehensweise geprägt, an anderen Universitätsklinika wird auf die Einbeziehung der Mitarbeiter dagegen deutlich Wert gelegt.456 4.2.1.5 Lernen fördern durch Transparenz Ausgehend von der Erkenntnis, dass Kommunikation das entscheidende Medium für Lernen ist, erhebt sich die Frage nach der Art und Weise, in der diese Kommunikation stattfinden soll, so sie den Anforderungen einer lernenden Organisation gerecht werden soll. Hier wird in der Literatur vor allem Transparenz, Verständlichkeit und persönliche Integrität im Kommunikationsprozess eingefordert. Dies setzt die Bereitschaft der Akteure voraus, die Gründe ihrer Argumente offen zu legen. Aufgabe der Personalentwicklung ist es, dafür Sorge zu tragen, dass die Rahmenbedingungen so 454 455 456 siehe u.a.: Antony, C.: Qualitätszirkel als Medium der betrieblichen Personal- und Organisationsentwicklung, in: Geißler, H. (Hrsg.): Arbeit, Lernen und Organisation: Ein Handbuch, Weinheim 1996 Seiten 191 bis 214 siehe Teil II Abschnitt 3.3.2 Personalmanager oder Personalentwickler – vom Umgang mit Rollenambiguität siehe Teil II Abschnitt 3.3..5 Unternehmenskultur als Basis der Personalentwicklung Seite 260 von 430 gestaltet werden, dass die Bereitschaft zur Offenlegung erhöht wird und so individuelle Kommunikations- und Lernbarrieren abgebaut werden und der freie Austausch von Informationen gefördert wird.457 Behindert wird eine transparente Kommunikation nicht selten durch hierarchische Blockaden und mikropolitische Taktiken. Andererseits hat Personalentwicklung aber auch zu respektieren, dass es Teil der Persönlichkeitsrechte der Organisationsmitglieder ist, nicht alles und jedes offen zu legen. Die Aufrechterhaltung sogenannter individueller Transparenzschutzzonen ist als Teil der Behauptung der eigenen Identität zu akzeptieren. Diese Erkenntnis darf nun aber nicht als Alibi für intransparentes Handeln missbraucht werden. Wo immer Handlungsweisen und Entscheidungen im Betrieb, insbesondere von Führungskräften, auf die Arbeits- und Lebenssituation von Beschäftigten Einfluss nehmen, sind die Handlungsmotive offenzulegen. Dessen ungeachtet zielt die Schaffung einer weitgehend transparenten Kommunikation, die auch die Offenlegung von Handlungsgründen und eine transparente Organisationsumwelt voraussetzt, insgesamt auf die Erweiterung der organisationalen Wissensbasis. 4.2.1.6 Vom Single-Loop zum Double-Loop-Learning Die bisher genannten Voraussetzungen bzw. Grundlagen für organisationales Lernen – Fehlerfreundlichkeit, Hierarchieabbau, Partizipation und Transparenz – führen in der Praxis überwiegend zu eher exploitativem als zu explorativem Lernen. Menschen tendieren eben trotz Gewährung von Handlungsspielräumen dazu, tendenziell eher nur das zu sehen, was auf Grund der bestehenden „Informationsverarbeitungsprogramme“ wahrgenommen werden kann. Dieses Phänomen wird landläufig als Strukturdeterminiertheit bezeichnet. Die Lernprozesse greifen nicht in bestehende normative Systeme ein, sondern verbleiben überwiegend auf der single-loop-Ebene. Es wird das gelernt, was man für eine Verbesserung des Arbeitsprozesses benötigt, die normativen Handlungsleitlinien bestimmen die Handlungsabläufe. Damit wird ein wesentliches Ziel organisationalen Lernens nicht erreicht, die aktive Reflektion und Gestaltung der normativen Strukturen bleibt aus. Wie aber kann das Ziel erreicht werden, die Deutungsmuster zu reflektieren und über die bekannten und zugängli457 siehe u.a.: Drosten, S.: Integrierte Organisations- und Personalentwicklung in der lernenden Unternehmung: Ein zukunftsweisendes Konzept auf der Basis einer Fallstudie, Bielefeld 1996 sowie Felsch, A.: Personalentwicklung und organisationales Lernen: Mikropolitische Perspektiven zur theoretischen Grundlegung, Hamburg 1996 Seiten 101 ff Seite 261 von 430 chen Interpretationsmuster hinauszugehen? Der Personalentwicklung wird in diesem Zusammenhang die Aufgabe zugewiesen, dazu beizutragen, dass die normativen Strukturen und Handlungsleitlinien erst einmal identifiziert werden. Das aus der Metaplantechnik entwickelte Instrument des Mind-Mapping wird hier als besonders geeignet benannt.458 Dem Mind-Mapping liegt die Erkenntnis zugrunde, dass eine visualisierte Darstellung über Karten und Bilder den verinnerlichten kognitiven Karten und Bildern eines Menschen besser zugänglich sind, als reine sprachliche Vermittlung. Eine gelungene Darstellung der Handlungsleitlinien und normativen Strukturen löst aber per se noch keinen Reflektionsprozess aus. Aus der Darstellung der verschiedenen Ansätze der Forschung zum organisationalen Lernen ist deutlich geworden, dass diese Handlungsleitlinien und Normen in der Regel so lange nicht in Frage gestellt werden, wie kein Problem auftaucht, welches mit den alten Routinen nicht mehr lösbar ist. Somit legt erst der Zweifel an der Gültigkeit des vorhandenen Wissens die Grundlage für Lernen. Diese Zweifel treten aber in der Regel erst dann auf, wenn eine tiefer gehende Verunsicherung entstanden ist. Das Problem für die Sinnhaftigkeit organisationalen Lernens ist dann, dass die Notwendigkeit für organisationales Lernen und in dessen Folge für die Veränderung der geltenden Handlungsleitlinien erst dann erkannt wird, wenn gravierende Probleme auftreten. Somit werden Lösungen erst mit einer deutlichen Zeitverzögerung gesucht und dann gefunden. Als Gestaltungsansatz wird nun empfohlen, Problemdruck als organisationsinhärentes Merkmal zu institutionalisieren, um so die interne Sensibilität für Widersprüche und erforderliche Veränderungen zu erhöhen. Auch Wissen, das sich in Handlungssituationen als zweckmäßig erwiesen hat, soll in vergleichbaren Situationen nicht unhinterfragt wieder übernommen, sondern immer wieder aufs neue auf seine Angemessenheit überprüft werden. Diese Forderung ist aus meiner Sicht durchaus kritisch zu betrachten: Die in einem Unternehmen entwickelten Handlungsleitlinien und Routinen sind gerade Grundlage für Produktivität. Ein ständiges Hinterfragen all der Routinen und Handlungsleitlinien in einem permanenten Diskussionsprozess birgt die Gefahr, dass Diskussion und permanente Kreation neuer Lösungen zu Lasten der 458 siehe: Probst, G. J. B.; Büchel, B. S.T.: 1994 ebenda Seite 262 von 430 Produktivität gehen. Dieses Dilemma organisationalen Lernens ist derzeit letztlich nicht schlüssig auflösbar. Möglicherweise kann ein gangbarer Weg gefunden werden, wenn Routinen und Handlungsleitlinien in regelmäßigen Abständen systematisch hinterfragt werden, auch wenn sie noch nicht zu größeren Problemen geführt haben. Hierbei können Meinungsverschiedenheiten, unterschiedliche Standpunkte und variierende Werthaltungen als Rohstoffe für Lernprozesse genutzt werden. Dann wäre es Aufgabe der Personalentwicklung, derartige Lernprozesse zu initiieren und zu institutionalisieren. Diese Art der institutionalisierten reflektiven Auseinandersetzung kann z. B. in sogenannten Reflektionszirkeln stattfinden, in denen in kleineren Gruppen die Handlungsroutinen auf ihre Funktionalität für die betrieblichen Abläufe und für die Entwicklung des gesamten Unternehmens überprüft werden. 4.2.2 Grenzen des organisationalen Lernens Die immanenten Grenzen organisationalen Lernens sind in der Forschung bisher wenig aufgearbeitet. Dies wird u. a. darauf zurückgeführt, dass die starke Managementorientierung den instrumentellen Charakter organisationalen Lernens überbetont und die kritischen Momente eher ausblendet, da diese tendenziell wenig verkaufsfördernd sind. Folgt man dem Paradigma organisationalen Lernens, dann sind Handlungsspielräume Voraussetzung für jede Art von Veränderung und je größer der Handlungsspielraum, den die Organisation gewährt, desto größer auch die Chance für neue Lösungen und Veränderungsprozesse. Detaillierte Stellenbeschreibungen, klar definierte Dienstvorschriften und Arbeitszeitregelungen sind hier ebenso hinderlich, wie ausgeprägte normative Handlungsleitlinien. Diese behindern nur die Suche nach neuen, effizienteren Regeln. Aus dieser Perspektive wäre ein völlig entkoppeltes System auch das veränderungsfähigste. Allumfassende Handlungsspielräume implizieren aber auch den Verlust des gemeinsamen Handlungs- und Sinnbezugs, die Organisation verliert dann ihre Identität und löst sich letztendlich auf. So darf der zweckrationale Charakter der Organisation durch organisationales Lernen nicht aufgehoben werden, würde sich organisationales Lernen dadurch nicht zuletzt selbst erübrigen. Der Lernenden Organisation wird die Zweckrationalität der Organisation als Grenze gesetzt. Damit verfliegen im Angesicht der betrieblichen Realität und Notwendigkeit jedwede übertriebenen Hoffnungen, über organisationaSeite 263 von 430 les Lernen und selbstreflexive Personalentwicklung etwa eine neue Art des Wirtschaftens schaffen zu können. In Bezug auf Konzepte zur Selbstorganisation wird in der Literatur die Frage gestellt, was denn passiere, wenn eine Arbeitsgruppe eigenverantwortlich beschließt, ihre Arbeitsleistung um 10 % zu senken, damit die Gruppenmitglieder zufriedener werden. „Nun, dieser Fall ist nicht vorgesehen. Die Reorganisationskonzepte zielen ausschließlich darauf ab, die Arbeitsleistung (und damit die Produktivität und letztlich den Profit) zu erhöhen. Darin liegen Anlass (erinnert sei an die verschärfte Konkurrenzsituation) und primärer Zweck der Reorganisation.“459 Der formalen Veränderungsstrategie des organisationalen Lernens sind in zweckorientierten Arbeitsbeziehungen Grenzen gesetzt. Die im Sinne des Erhalts der Lebensfähigkeit einer Organisation sinnvolle Unterordnung unter die Zweck- und Zielsetzung der Organisation strukturiert organisationales Wissen vor und behindert somit notwendigerweise die Anschlussfähigkeit für nicht konforme Informationen, welche andererseits für das organisationale Lernen als wichtiges Potential betrachtet werden. Normative und strukturelle Handlungsspielräume finden dort ihre Grenzen, wo sie den Zielen der Organisation zu widersprechen drohen. Dies hat auch Konsequenzen für die Personalentwicklung im Betrieb. „Ziel von Personalentwicklung ist nicht die Förderung der Menschwerdung oder Menschmachung (Humanisierung), sondern Personalwerdung oder –machung“460 und weiter: „Lauter selbststeuernde Menschen verträgt keine Organisation, denn sie ist trotz gegenteiliger Begründungen keine Versammlung von individualistischen Intrapreneurs – davon kann man sich nur wenige leisten. Organisationen sind Veranstaltungen zur Beherrschung von Anarchie und Willkür, die sie andererseits jedoch ungewollt erzeugen und vermutlich sogar zum Überleben benötigen.“461 Verstehbar wird dies, wenn man sich vor Augen führt, dass das Subjekt organisationalen Lernens das Individuum in seiner Eigenschaft als Organisationsmitglied und nicht als Gesamtpersönlichkeit ist. Das Fehlen ausreichender Ressourcen ist ein weiteres Hindernis für organisationales Lernen im Unternehmen. Ein lernförderlicher Kontext setzt Zeit - im Unternehmen somit Arbeitszeit - und auch sachliche Ressourcen voraus. Unter zunehmendem Kostendruck besteht die Gefahr, dass beides nicht in ausreichendem Maße zur Verfügung steht. 459 460 461 siehe: Pongratz, H. J.; Voß G. G.: Fremdorganisierte Selbstorganisation: Eine soziologische Diskussion aktueller Managementkonzepte, in: Zeitschrift für Personalforschung Nr. 1/1997 Seite 35 Neuberger, O.: Personalentwicklung, Stuttgart 1994 Seite 8 Neuberger, O.: 1994 ebenda Seiten 11 f Seite 264 von 430 Eine weitere Grenze organisationalen Lernens wird als deren Paradoxon beschrieben: Organisationales Lernen fußt auf der Auseinandersetzung mit abweichendem, konträrem Wissen, welches dadurch mobilisiert wird, dass vorhandenes Wissen nicht mehr ausreicht, um Probleme zu lösen. Organisationales Lernen führt dann zu neuem Wissen und neuen Lösungen, welche organisational gespeichert werden und fortan die entstandene Unsicherheit auflösen. Dieses Wissen steht dann erst einmal sozusagen außer Frage und schließt damit abweichendes Wissen wieder aus. Die Organisation erlebt die Umwelt als weitgehend sicher und verliert über diese Wirklichkeitskonstruktion sich selbst als Interpretationsproblem. „To learn as a community, organisational members must simultaneously agree and disagree.”462 So wird die Stabilität organisationaler Wissensstrukturen zum Problem, weil Organisationen mit weitgehenden Speicherungen immer weniger in der Lage sind, ihr Interpretationswissen an neue Anforderungen anzupassen. Das Problem einer überstabilen Organisation ist das direkte Ergebnis aus früherem organisationalem Lernen. Betrachtet man dieses Paradoxon, wird deutlich, dass die Vorstellung von der permanent lernenden Organisation eher ein Wunschbild oder Managementmärchen ist. In der betrieblichen Realität werden sich Phasen intensiven organisationalen Lernens mit Phasen der Stabilität und hoher Produktivität im Idealfall ablösen oder anders ausgedrückt: Phasen der Stabilität werden durch Phasen der Erneuerung und tendenziellen Instabilität abgelöst, die wiederum in eine neue Phase der Stabilität münden muss, wenn Organisation nicht grundsätzlich in Frage gestellt werden soll. 4.2.3 Organisationales Lernen – die (bisher) verpasste Chance der Personalentwicklung in Krankenhäusern Im Ergebnis meiner Forschung ist festzuhalten, dass Wissensmanagement und Elemente organisationalen Lernens an den Universitätsklinika allenfalls rudimentär vertreten sind. Daran ändert auch die durchgängige Nutzung eines Intranets wenig. Zugleich belegt das Ergebnis die Notwendigkeit und die Chancen organisationalen Lernens im Krankenhaus. Mit dem faktischen Verzicht auf deutero-learning und somit auf die Entwicklung neuer Lernstrategien und der allenfalls in wenigen Universitätsklinika erkennbaren Nutzung und systematischen Förderung von double-loop462 siehe: Fiol, C. M.: Consensus, Diversity and Learning in Organizations, in: Organization Science Jahrgang 5, Nr. 3/1994 Seite 404 Seite 265 von 430 learning bleiben wichtige Möglichkeiten der Personalentwicklung im organisationalen Kontext ungenutzt. Die bewusste Förderung von Netzwerken zum Wissensaustausch insbesondere unter den Führungskräften bildet die Ausnahme. Der Nutzen dieser Netzwerke für die Entwicklung ganzheitlicher Wirklichkeitskonstruktionen und zur Weiterentwicklung komplexer Kommunikationsstrukturen wird gleichwohl in Ansätzen belegt. Organisationales Lernen bietet einen Rahmen für Lernen und Entwickeln am Arbeitsplatz und im Kollektiv. Die Kommunikationsstrukturen werden weiterentwickelt, es entstehen Wissen generierende und speichernde Netzwerke, die den beschränkten Fokus auf die Einzelperson zu überwinden vermögen. Diese Chance, die Begrenztheit einer lediglich auf das Individuum abgestellten Personalentwicklung zu überwinden, wird insbesondere an den deutschen Universitätsklinika nicht ergriffen. Organisationales Lernen eröffnet auch die Möglichkeit, die alten berufsständischen Barrieren zu überwinden und durch ein neues Normen- und Wertegerüst zu ersetzen – das Hinterfragen althergebrachter Normen und Werte ist Wesensmerkmal von deutero learning. An den österreichischen und den schweizerischen Universitätsklinika sind Ansätze erkennbar, für die obersten Personalverantwortlichen der deutschen Universitätsklinika ist organisatorisches Lernen dagegen kein Thema. In den Experteninterviews wird dabei erkennbar, dass nicht nur das Wissen fehlt, sondern auch die Zeit, sich dieses Wissen anzueignen. Dass in Österreich und in der Schweiz eine Aufwertung des Pflegeberufes auch seinen Niederschlag in gesetzlichen Regelungen gefunden hat, ist weniger Ursache als vielmehr Ergebnis eines organisationalen Lern- und Entwicklungsprozesses. Dasselbe gilt für die Verankerung von Modulen zur interprofessionellen Zusammenarbeit und zum Erlernen von Managementfähigkeiten in den Curricula der Medizinerausbildung in Österreich und der Schweiz. Diese Lern- und Entwicklungsschritte stehen im deutschen Gesundheitswesen noch aus. Organisationales Lernen im Krankenhaus stößt unter den derzeit gegebenen Rahmenbedingungen an deutliche Grenzen: Der hohe ökonomische Druck von Außen, unter dem die Krankenhäuser stehen, erfordert eine hohe Produktivität, um das eigene wirtschaftliche Überleben zu sichern. Dies wiederum setzt eine hohe Stabilität Seite 266 von 430 der Organisation voraus, die Voraussetzungen für eine intensive Phase organisationalen Lernens sind dadurch deutlich eingeschränkt. Andererseits erfordert die gerade auch ökonomisch hinderliche berufsständische Zergliederung der Arbeitsorganisation und der Unternehmenskultur im Krankenhaus eine solche intensive Phase organisationalen Lernens, um eine höhere Form der Stabilität des Zusammenwirkens über die Professionsgrenzen hinweg zu erreichen. Dieses Dilemma aufzulösen wird nicht leicht, gleichwohl führt daran kein Weg vorbei. 4.3 Theorie und Praxis arbeitsbezogenen Lernens Die Frage, wie im Arbeitsprozess selbst Lernen geschieht und gezielt gefördert werden kann, ist seit Mitte der 90er Jahre des vergangenen Jahrhunderts zunehmend interessanter geworden. Die Formen der Arbeitsorganisation haben sich verändert, Aufgaben und Verantwortungsbereiche der Mitarbeiter sind eher größer geworden und Projektarbeit spielt eine zunehmend bedeutendere Rolle, auch im Unternehmen ist die Welt komplexer geworden und scheint sich immer schneller zu drehen.463 Neben dem klassischen Lernen als Anpassung an vorgegebene sozio-technische und organisatorische Veränderungen – vornehmlich abgedeckt durch Schulungseinrichtungen, die von Beschäftigten unabhängig und getrennt vom Arbeitsplatz besucht werden – gewinnt der fachliche und soziale Kompetenzerwerb im Prozess der Arbeit selbst an Bedeutung. Neue Formen des Lernens wie Lernen in Netzwerken, Qualitätszirkel oder die Ausrichtung auf sog. „Lernende Unternehmen“ unterstreichen diesen Trend.464 In der in schweizerischen Unternehmen zwischenzeitlich wiederholt durchgeführten Prognosestudie zur Personalarbeit werden die Maßnahmen zur Unterstützung von Lernmotivation und Entwicklung der Beschäftigten über die Gestaltung der Arbeitssituation als „strukturelle Personalentwicklung“ bezeichnet. Die Ergebnisse der beiden Prognosestudien im Hinblick auf die Jahre 1999 und 2010 zei463 464 siehe: Dehnbostel, P.: Lernen – Arbeiten – Kompetenzentwicklung: Zur wachsenden Bedeutung des Lernens und der reflexiven Handlungsfähigkeit im Prozess der Arbeit, in: Wiesner, G.; Wolter, A. (Hrsg.): Die lernende Gesellschaft, Weinheim, München 2005 Seite 111 sowie Colla, H.; Faulstich, W. (Hrsg.): „Panta Rhei“ – Beiträge zum Begriff und zur Theorie der Geschichte, München 2008 Seite 7 sowie Arnold, R.; Lermen, M.: Lernen, Bildung und Kompetenzentwicklung – neuere Entwicklungen in der Erwachsenenbildung und Weiterbildung, in: Wiesner, G.; Wolter, A. (Hrsg.): ebenda Seite 45 sowie Reuther, U.; Weiß, R.: Der Programmbereich „Lernen im Prozess der Arbeit“, in: Quem Report Nr. 79/2003 Seite 92 siehe: Reinmann-Rothmeier, G.; Mandl, H.: Lernen im Unternehmen: Von einer gemeinsamen Vision zu einer effektiven Förderung des Lernens, in: Dehnbostel, P.; Erbe, H.; Novak, H. (Hrsg.): Berufliche Bildung im Lernenden Unternehmen: Zum Zusammenhang von betrieblicher Reorganisation, neuen Lernkonzepten und Persönlichkeitsentwicklung, Berlin 1989 Seite 201 sowie Dehnbostel, P.: Lernorte, Lernprozesse und Lernkonzepte im Lernenden Unternehmen aus berufspädagogischer Sicht, in: Dehnbostel, P.; Erbe, H.; Novak, H. (Hrsg.): 1998 ebenda Seite 183 Seite 267 von 430 gen einen deutlichen Bedeutungszuwachs. Bedeutung struktureller Ansatzpunkte der PE Aufgabenvielfalt 2,9 Ganzheitl. Aufgabe 3 3,7 3,8 mehr Verantwortung 3,3 Soz. Interaktion 3,3 Entwicklungsmögl. 4 4,1 4,1 2,9 0 0,5 1 1,5 2 2,5 << geringe Bedeutung 3 3,5 4 4,5 hohe Bedeutung >> 1999 2010 Abbildung 44: Arbeitsgestaltung und Personalentwicklung465 Während das klassische Lernen in Schulen und Weiterbildungseinrichtungen sich aus der linearen Sicht der Wissensvermittlung entwickelt hat, bei der der Lehrende sein Wissen auf den Lernenden überträgt, liegt dem arbeitsbezogenen Lernen eine konstruktivistische Sichtweise zugrunde. Im Fokus steht die Eigenleistung des Lernenden, der vor dem Hintergrund seines eigenen Wissens und seiner eigenen Erfahrung durch Interpretation seiner Arbeitswelt neues Wissen konstruiert und generiert. So führt arbeitsbezogenes Lernen durch „arbeitsnahe Kontexte und lernförderliche Arbeitsformen zu einer tätigkeitsbezogenen Erweiterung, Neustrukturierung oder Löschung vorhandener Kompetenzen.“466 Nicht die Instruktion steht im Vordergrund, sondern sog. „informelles Lernen“. Über das arbeitsimplizite Lernen werden fachliche, soziale und persönliche Kompetenzen des Mitarbeiters entwickelt, was wiederum seine Handlungsfähigkeit stärkt und damit zu einer besseren Leistung führt.467 465 466 467 siehe: Wunderer, R.; Dick, P.: 2007 ebenda Seiten 140f siehe: Kirchhöfer, D.: Lernkultur Kompetenzentwicklung: Begriffliche Grundlagen, Berlin 2004 Seite 129 siehe: Dehnbostel, P.: 1998 ebenda Seite 185 Seite 268 von 430 Arbeitsorientiertes Lernen - - Voraussetzung für baut auf erhält arbeitsgebunden arbeitsverbunden Leistung Kompetenzen entwickelt Leistung -Fähigkeiten, -Motive, -Kenntnisse, - Einstellungen bewirken befähigen zu -aufgabenbezogen -umfeldbezogen Abbildung 45: Prozess arbeitsorientierten Lernens468 Unter „informellem Lernen“ wird dem Grunde nach das gesamte ungeregelte Lernen im Alltag verstanden, welches vom formellen Lernen durch Wissensvermittlung in Schule oder Weiterbildungen abgegrenzt wird. Informelles Lernen wird bisweilen auch als „Selbstlernen“ bezeichnet, welches sich „in unmittelbaren Lebens- und Erfahrungszusammenhängen außerhalb des formalen Bildungswesens entwickelt.“469 Dabei ist nicht zuletzt der Lebenszyklus des Mitarbeiters zu beachten, der in Abhängigkeit von seinem Alter und von dem Zyklus, in dem er sich befindet, die Welt jeweils anders sieht.470 Informelles Lernen im Arbeitskontext ist stark geprägt durch Lernen im Handlungskontext, oder neudeutsch formuliert durch „Learning by doing“. Das Lernergebnis bzw. das neue Wissen sind nicht angestrebtes Ziel, sondern ergeben sich aus Handlungsfolgen und Problemlösungen. Wichtige Taktgeber sind dabei die Reflexionsfähigkeit über die eigene Handlung sowie die individuelle Fähigkeit, implizit lernen zu können. Die Fähigkeit zum impliziten Lernen wird als die Fähigkeit, „unausgesprochenes Wissen in der Handlung“ aufzunehmen, verstanden.471 Als Beispiele für die Adaption impliziten Lernens werden Schwimmen oder Autofahren betrachtet. Die Möglichkeit, im Arbeitsprozess Ziele, Inhalte und Formen beeinflussen zu können, ermöglicht selbstgesteuertes Lernen. Dies wiederum ist wesentlicher Bestandteil der Selbstregulation bzw. Selbststeuerung menschlichen Verhaltens in Organisationen. An die Mitarbeiter werden hierbei hohe Anforderungen zur Eigensteuerung des Lernens gestellt. Der Personalentwicklung kommt dabei die Aufgabe zu, Metho468 469 470 471 in Anlehnung an: Sonntag, K.; Stegmaier, R.: 2007 ebenda Seite 13 siehe: Arnold, R.; Lermen, M.: 2005 ebenda Seite 56 sowie Roßnagel, Ch.; Picard, M; Voelpel, S.: Lernen jenseits der 40, in: Personal, Heft 04/2008 Seite 40 siehe: Colla, H.; Faulstich, W. (Hrsg.): „Panta Rhei“ – Beiträge zum Begriff und zur Theorie der Geschichte, München 2008 Seite 10 siehe: Schön, D.: The reflective practitioner: How professionals think in action, San Franzisko 2. Auflage 2002 Seite 49 Seite 269 von 430 den und Werkzeuge bereitzustellen, die es den Mitarbeitern ermöglichen, die erforderlichen kognitiven und motivationalen Voraussetzungen aufzubauen.472 Nicht zuletzt gehört zu einem lernförderlichen Klima, dass Veränderungsbereitschaft und Eigeninitiative positiv bewertet werden. Die Diskussion um die im Rahmen der Ausarbeitung eines Konzepts für eine integrierte Personalentwicklung am beforschten Universitätsklinikum definierten Leitlinien für eine entwicklungsförderliche Arbeitsgestaltung belegt ein durchaus hohes Interesse an der Fragestellung, wie Arbeit so gestaltet werden kann, dass Entwicklung und Lernen jenseits expliziter Personalentwicklungsmaßnahmen initiiert werden kann. Da an den Universitätsklinika die Auseinandersetzung mit dieser Thematik aber noch in den Kinderschuhen steckt, sind aus den Forschungsergebnissen valide Aussagen über die Wirkung und den Nutzen nicht ableitbar.473 Ziel des arbeitsbezogenen Lernens ist es nicht, formales Lernen durch informelles Lernen zu ersetzen, sondern zu ergänzen. Mit der bewussten Kombination von Erfahrungslernen mit formellem Lernen soll ein die Handlungskompetenz und damit die Leistung steigerndes Lernfeld geschaffen werden. Arbeitsinhalt und Arbeitsabläufe und die damit zusammenhängenden Probleme und Aufgaben bestimmen die Lerninhalte und den Lernprozess. Im Idealfall verschmelzen Arbeits- und Lernort. Ergänzt wird dieses arbeitsgebundene Lernen durch Lernformen in unmittelbarer Verbindung mit dem Arbeitsprozess wie Feedback- und Arbeitsbesprechungen oder auch Qualitätszirkel. Nach dem Grad der Arbeitsbezogenheit wird zwischen arbeitsgebundenem, arbeitsverbundenem und arbeitsorientiertem Lernen unterschieden. 472 473 siehe: Sonntag, K.; Stegmaier, R.: 2007 ebenda Seiten 45 bis 47 siehe Teil III Abschnitt 2 Der Prozess der Entstehung des Konzepts für eine integrierte Personalentwicklung Seite 270 von 430 Lernort Lernart Arbeitsgebundenes Lernen Arbeitsverbundenes Ler- Arbeitsorientiertes nen Lernen Arbeitsplatz Arbeitsplatznah - Informell, lernen Selbst- - Formell, Außerhalb kontext Arbeits- - Formell - Informell - Verbindung von formellem und informellem Lernen Anwendung - Learning by Doing, - Arbeitsbesprechungen, - Schulungszentren, - Versuch und Irrtum - Feedbackgespräche, - Berufsschule, - Qualitätszirkel - Akademien Tabelle 9: Arbeitsbezogene Lerntypen474 Aus Forschungsarbeiten zum sensumotorischen Lernen entstand Mitte der 60er Jahre des vergangenen Jahrhunderts erstmals eine theoretisch begründete, experimentell überprüfte Methodenentwicklung arbeitsorientierten Lernens.475 Im Zusammenhang mit arbeitsplatzbezogenem Lernen spielt Personalentwicklung „on the job“ eine wichtige Rolle. Als Personalentwicklung on the job werden sowohl Lernprozesse verstanden, die die Arbeitsausführung begleiten, als auch solche, die in einem arbeitsbezogenen Lernkontext stattfinden. Das Lernen in der Arbeit geschieht sozusagen durch die Aufgabenbewältigung selbst. Aufgabe und Inhalte sind identisch mit dem Arbeitsauftrag und den Bedingungen der Tätigkeitsausführung. Das arbeitsplatzbezogene Lernen findet hingegen in Qualifizierungszentren statt, wobei Lernaufgabe und Lerninhalt auf der Basis vorangegangener Analysen der Arbeitstätigkeit am Arbeitsplatz konstruiert sind. 474 475 in Anlehnung an: Dehnbostel, P.: 2005 ebenda Seite 112 siehe z. B.: Ulich, E.: Das Lernen sensumotorischer Fertigkeiten, in: Handbuch der Psychologie, Band 1 (2), Göttingen 1964 Seiten 326 bis 346 sowie Volpert, W.: Sensumotorisches Lernen, zur Theorie des Trainings in Industrie und Sport, Frankfurt 1971 Seite 271 von 430 Die Ermöglichung des Lernens durch unmittelbares Handeln am Arbeitsplatz („learning by doing“) und damit verbunden die Bedarfsbezogenheit des Lernens werden als Vorteile der Personalentwicklung on the job gesehen. Der starke Betriebsbezug und das weitgehend unsystematische Lernen werden eher als problematisch verstanden. Typische Maßnahmen für Lernen in der Arbeit sind: • Teilautonome Arbeitsgruppen, • Maßnahmen des "Job enrichment",476 • Projektgruppen, • Coaching. Als typische Maßnahmen arbeitsplatzbezogenen Lernens gelten: • Teamentwicklung, • Feedbackgespräche, • Qualitätszirkel, • Kognitive Trainings, • computergestütztes mediales Lernen. Nicht jede Tätigkeit hat auch zugleich einen nennenswerten Lerneffekt. Voraussetzungen für eine wirksame Qualifizierung on the job sind lern- und entwicklungsförderliche Arbeitsstrukturen und entsprechende soziale Beziehungen.477 Nachstehende Merkmale wurden als lernrelevant in der Arbeitssituation herausgefunden:478 • Ausmaß der erforderlichen Denkprozesse in der Arbeit, • Größe des Handlungsspielraums sowie der Entscheidungsfreiheit, • Häufigkeit der Veränderung der Arbeitssituation und des organisatorischen Umfel476 477 478 Job enrichment umfasst Maßnahmen zur vertikalen, qualitativen Vergrößerung des Aufgabeninhaltes insbesondere durch eine Erweiterung der Entscheidungs- und Kontrollspielräume des Mitarbeiters. Siehe: Jung, H.: Personalwirtschaft, 3. Auflage, München, Wien Seite 206 siehe: von Rosenstiel, Lutz; Molt, Walter; Rüttinger, Bruno: Organisationspsychologie, 9 Auflage Stuttgart 2005 Seite 405 siehe: Kleinmann, M., Strauß, B. (Hrsg.): Potentialfeststellung und Personalentwicklung, 2. Auflage, Göttingen 2000, Seite 187 sowie Ackermann, K.F.: Führungskräfteentwicklung unter dem Aspekt der „Employability“, in: Speck, P. (Hrsg.): Employability – Herausforderung für strategische Personalentwicklung, Wiesbaden 2005 Seite 262 sowie Frei, F.; Duell, W.; Baitsch, Ch.: Arbeitsund Kompetenzentwicklung: theoretische Konzepte zur Psychologie arbeitsimmanenter Qualifizierung, Bern, Stuttgart, Wien 1984 Seite 272 von 430 des (Abwechslungsreichtum), • Vielfalt der Handlungsfunktionen (Orientierung, Planung, Ausführung und Kontrolle), die der Lernende ausführen muss, • qualifikatorischer Nutzwert im Hinblick auf das künftige Arbeitsfeld, bzw. Berufsleben, • soziale Unterstützung durch Mitarbeiter und Führung. Somit sind Routinegrad, Kooperation, Beeinflussbarkeit, Vielfalt und Variabilität der Tätigkeiten sowie der Verantwortungsumfang wesentliche Gradmesser für das Lernpotential in der Arbeit. Seite 273 von 430 Gestaltungsansatz Intentionen Personalentwicklungsmaßnahmen und Instrumente Arbeitsstrukturaler An- Schaffung von Lern- und Gruppenarbeit, Qualitätszir- satz Entwicklungspotentialen der Arbeit Individuelle Anleitung Festigung durch beit des Wissens Planmäßige unmittelbare übung im Funktionsfeld. Situativ erfahrungsbe- Förderung zogene Ansätze in kel, Job rotation, ProjektarUnterweisung, Aus- Beratung durch den Vorgesetzten expertenähnli- Cognitive apprenticeship479 chen Handlungswissens Computergestützte me- Erhöhung des Aktivierungs- Simulation, Planspiele, CBT diale Ansätze potentials, Förderung des (computer based trainings) explorativen Lernens Trainingsbezogene An- Förderung von Problemlöse- Kompetenz- und Verhaltenssätze fähigkeiten, Verhaltensmodi- trainings fikation Integrative Ansätze Förderung arbeitsplatzbezo- Dezentrale genen Lernens betriebliche Lernortsysteme Tabelle 10: Maßnahmen und Instrumente personaler Förderung "on the job"480 Eine verstärkte Hinwendung zu Lernmethoden "on the job" ist zu beobachten, seitdem festgestellt wurde, dass bei traditionellen Weiterbildungsmethoden vor allem passiv-rezeptives Lernen gefördert wird. Dies hat die negative Folge, dass beim Lernenden sogenanntes "träges Wissen" produziert wird. Damit ist gemeint, dass das durchaus vorhandene Wissen nicht in die Praxis übertragen wird. Erklärt wird dieses Phänomen zum einen mit Mängeln in der metakognitiven Steuerung, fehlendem Interesse und auch emotionalen Aspekten wie Angst, fehlendes Selbstbewusstsein und mangelnde Selbstsicherheit. Nicht selten gelingt es auch nicht, dem Wissen einen 479 480 „Cognitive Apprenticeship“ ist ein Oberbegriff für eine interaktive (zwischen Lernendem und Experten) Lernmethode, die die effektiven Bestandteile des traditionellen Meister-Lehrling Verhältnisses auf kognitive Lernziele anwendet. Solche Bestandteile sind zum Beispiel Modelling des Lernstoffes und intensive Rückmeldung über die Lernfortschritte.“ Nach: Adams, T.: Cognitive Apprenticeship Teaching the Crafts of Reading, Writing and Mathematics, in: http://www.iim.unigiessen.de/osinet/paedagog/instrukt/konstruk/cognappr.HTM (29.06.2008) nach: Sonntag, K.: Personalentwicklung "on the job", in: Kleinmann, M., Strauß, B. (Hrsg.): 2000 ebenda Seite 192 Seite 274 von 430 konkreten Handlungsbezug zu geben. Das Wissen wird nur in der spezifischen Lernsituation angewendet, die Übertragung auf problemrelevante neue Situationen scheitert.481 Dieser mangelnde Transfer des Gelernten entfällt bei der Gestaltung von Lernprozessen in der Arbeit. Nicht für jede Art von Wissen bietet arbeitsintegriertes Lernen aber den geeignetsten Weg. Grundlagenwissen und theoretisches Spezialwissen wird gewinnbringender in klassischen Weiterbildungsveranstaltungen vermittelt.482 Die Arbeit selbst bietet eine wichtige Bedingung für den Erwerb von Qualifikationen. Die Mitarbeiter benötigen hier Handlungsspielräume zur aktiven und selbständigen Auseinandersetzung mit den Arbeitsaufgaben. Eine vollständige Gestaltung der Arbeitsaufgaben von der Zielformulierung über die Ausführung bis hin zur Ergebniskontrolle schafft aufgrund der dadurch ermöglichten Rückkoppelungen eine wichtige Voraussetzung für arbeitsorientiertes Lernen. Dabei darf die Leistungsvoraussetzung des Mitarbeiters nicht außer Betracht bleiben. Erst wenn diese den Anforderungen der Tätigkeit auch gerecht wird, kann Über- oder Unterforderung vermieden und ein fruchtbares Lern- und Entwicklungsfeld geschaffen werden. Fähigkeiten und Kenntnisse werden durch die Arbeitshandlung erworben und damit zugleich ein Gefühl der Handlungs- und Lernkompetenz gefördert.483 Damit ist eine wichtige Voraussetzung gegeben, nicht nur „den Anforderungen einer konkreten Aufgabe gerecht zu werden. Vielmehr muss arbeitsintegriertes Lernen dazu beitragen, dass ein Mitarbeiter die Sprache, Ziele, Werte und die Geschichte seiner Organisation besser versteht. Gerade auch der Aufbau funktionierender sozialer Beziehungen und Netzwerke sollte als ein Ziel arbeitsintegrierten Lernens verstanden werden. Letztlich geht es darum, durch Lernen und Sozialisation Rollenklarheit, Aufgabenbeherrschung und soziale Integration gleichermaßen zu erreichen.“484 Die besondere Bedeutung dieser Erkenntnisse für die Leistungserbringung an Krankenhäusern und speziell an Universitätskliniken wird durch die Ergebnisse des Forschungsprojekts zur Personalentwicklung an Universitätsklinika in Deutschland, Österreich und der Schweiz eindrücklich bestätigt. Die insbesondere an den deutschen 481 siehe: Sonntag, K.; Stegmaier, R.: 2007 ebenda Seite 136 siehe: Sonntag, K.; Stegmaier, R.: 2007 ebenda Seite 21 483 siehe: Semmer, N; Utris, I: Bedeutung und Wirkung von Arbeit in: Schuler, H. (Hrsg.): Lehrbuch Organisationspsychologie, Bern 1993, Seite 134 sowie Roßnagel, Ch.; Picard, M; Voelpel, S.: 04/2008 ebenda Seite 41 484 siehe: Sonntag, K.; Stegmaier, R.: 2007 ebenda Seiten 76 f 482 Seite 275 von 430 Uniklinika ausgeprägten Probleme in der Zusammenarbeit der Berufsgruppen sind in starkem Maße auf die Unkenntnis der Wert- und Zielvorstellungen der jeweils anderen Profession und auf die latente Unfähigkeit, einen Abgleich der unterschiedlichen Interessen hinzubekommen, zurückzuführen. Mit dem Aufbau funktionierender sozialer Beziehungen und Netzwerke und dem Finden einer gemeinsamen Sprache, gemeinsamer Ziele und Werte kann die Qualität der Zusammenarbeit der Berufsgruppen erheblich verbessert werden. Dies belegen die Ergebnisse der Untersuchung an den österreichischen und den schweizerischen Universitätsklinika. 4.3.1 Wissensmanagement Wissensmanagement verfolgt das Ziel, das Wissen der Mitarbeiter eines Unternehmens oder in weiterem Sinne einer Organisation umfassend zu erschließen und nutzbar zu machen. Die Wissensbasis, um welche es dabei geht, wird verstanden als die Gesamtheit der Daten, Informationen, des Wissens und der Fähigkeiten, die in der Organisation zur Lösung ihrer Aufgaben vorhanden sind. Seine theoretische Fundierung findet Wissensmanagement in der Organisationslehre und in Theorien des Organisationalen Lernens. Das Organisationale Lernen wird bisweilen als eine Voraussetzung für Wissensmanagement gesehen.485 Wissen wird in einer komplexer werdenden Umwelt zunehmend als strategischer Faktor für die Unternehmensentwicklung gesehen. Es wird als wichtiger Produktionsfaktor bezeichnet, die Rede ist von „wissensbasierten Unternehmen“ und einer „wissensbasierten Unternehmensführung“.486 In der Praxis stehen im Zusammenhang mit Wissensmanagement IT-gestützte Informationssysteme im Vordergrund, welche auf die Sicherung und Verarbeitung kodifizierbaren, expliziten Wissens abzielen. In Krankenhausinformationssystemen (KIS) verschiedenster Art werden Daten, Informationen und Dokumente gesammelt und zur Verfügung gestellt. Ebenfalls State of the Art sind in Großkrankenhäusern Intranet basierte Informationsangebote. 485 486 siehe: Nohr, H.: Einführung in das Wissensmanagement, Arbeitspapier Wissensmanagement Nr. 5/2000, Hamburg Seite 8 siehe: Stewart, Th. A.: Der vierte Produktionsfaktor: Wachstum und Wettbewerbsvorteile durch Wissensmanagement, München 1998 sowie Kurtzke, Ch.; Popp, P.: Das wissensbasierte Unternehmen: Praxiskonzepte und Managementtools, München 1999 sowie North, K.: wissensorientierte Unternehmensführung: Wertschöpfung durch Wissen, 2. Auflage, Wiesbaden 1999 Seite 276 von 430 Weitaus komplexer und anspruchsvoller stellt sich die Nutzung impliziten Wissens dar, welches nicht in kodifizierbarer Form zur Verfügung gestellt werden kann. Dieses Wissen zu managen bedeutet die gezielte Förderung von wissensteilender Kommunikation im Unternehmen. Hier wird die Verzahnung von Wissensmanagement und Personalentwicklung besonders deutlich. Wesentliche Voraussetzung hierfür sind die Schaffung einer wissensfreundlichen Unternehmenskultur und die Gestaltung von organisationalen Rahmenbedingungen, die den Erfahrungsaustausch und die Wissensgenerierung gezielt fördern. Das Generieren von Wissensberichten und die Verankerung von Wissen als zentrales Zielfeld der Unternehmensstrategie neben medizinischer Versorgungsqualität, Wirtschaftlichkeit und Wachstum - in den Helios-Kliniken GmbH ist in der deutschen Krankenhauslandschaft noch die löbliche Ausnahme.487 Im Gegensatz zu dem sonst üblichen Weg kam die Initiative hierzu nicht aus dem IT-Bereich, sondern aus dem Personalmanagement. Ein letztlich für das Krankenhaus umfassend nutzbares Wissensmanagement hat drei Bausteine zu berücksichtigen und miteinander zu verzahnen: Zum einen gilt es, die vorhandenen Daten, Informationen und Dokumente in einem IT-basierten System vorzuhalten und so zur Verfügung zu stellen, dass die Datenflut nutzbar gemacht werden kann. Zum zweiten gilt es, einen effizienten Wissensaustausch zu ermöglichen und zum dritten gilt es, dafür zu sorgen, dass die Mitarbeiter ermutigt werden, ihr Wissen anzuwenden.488 4.3.2 Wissenslogistik als Aufgabe für Personalentwicklung Im Rahmen der lernenden Organisation ist es Aufgabe der Personalentwicklung, das in der Organisation vorhandene Wissen so zu erfassen und zu verteilen, dass diejenigen Organisationsmitglieder, die ein bestimmtes Wissen brauchen, dieses auch in einer für sie verwertbaren Form erhalten. Die Kunst besteht nun darin, individuelles Wissen, von allen geteiltes und potentiell allen zugängliches Wissen in einem sinnvollen Verhältnis zu gestalten. Dahinter steht die Erkenntnis, dass ein zu viel an Wissen schnell zum Problem werden kann, da es Unsicherheit fördert und zur Konfusion beiträgt. Der qualitative Aspekt ist hier höher zu bewerten, es gilt, vernunftgesteuert Wissen abzuwehren. Der „information overflow“ kostet nicht nur Zeit, sondern min487 488 siehe: o. V.: Wissenspflege als strategisches Ziel, in: Personalmagazin 2/2006 Freiburg Seite 19 siehe: o. V.: Der Personalchef als Wissensmanager, in: Personalmagazin 2/2006 Freiburg Seite 21 Seite 277 von 430 dert auch die Bereitschaft, die zur Verfügung stehenden Informationen zu nutzen.489 Unter dem Stichwort „Wissenslogistik“ hat Personalentwicklung relevantes Wissen zum richtigen Zeitpunkt zum richtigen Empfänger zu bringen. Da es sich um organisationales Wissen handelt, welches in der Regel einem größeren Kreis von Organisationsmitgliedern zur Verfügung stehen soll, dienen der Wissenslogistik heute insbesondere elektronische Informationssysteme. Über diese soll Personalentwicklung neben der traditionellen Organisation von Bildungsveranstaltungen die Organisationsmitglieder in die Lage versetzen, eigeninitiativ die benötigten Informationen abzurufen und die Pflege der Wissensbasis zu gewährleisten. Dies sollen Intranets gewährleisten, dem Internet nachgebildete elektronische Plattformen zur betriebsinternen Nutzung. Das Forschungsergebnis zeigt, dass alle Universitätsklinika über ein solches Intranet verfügen. In der Nutzung zeigen sich allerdings deutliche Unterschiede. Überwiegend wird das Intranet als reine Informationsplattform genutzt, die interaktive Dialogplattform ist die Ausnahme und wird z.T. aktiv abgelehnt, da dies die Mitarbeiter nur von der Arbeit abhalte. An diesen elektronischen Informationssystemen wird ein doppeltes Dilemma der Wissensgenerierung und Wissenserhaltung deutlich: In den elektronischen Informationssystemen vorgehaltenes Wissen veraltet bisweilen schon in relativ kurzer Zeit. Dieses Wissen immer aktuell zu halten erfordert einen enormen Arbeitsaufwand und zugleich ein hohes Maß an Aufmerksamkeit. Darüber hinaus ist für die einen Organisationsmitglieder relevantes und erforderliches Wissen für andere Organisationsmitglieder wiederum nicht erforderliches und bisweilen verwirrendes Wissen. Auch die Pflege der Zugangswege und Zugangsberechtigungen erfordert in einem Großbetrieb wie einem Universitätsklinikum einen enormen Arbeitsaufwand. Die zunehmende Speicherung organisationalen Wissens in IT-Systemen befördert des Weiteren tendenziell eine Blockade organisationalen Lernens: Eine erwünschte freie Diskussion über mögliche neue Lösungswege wird zusehends überschattet von der allgegenwärtigen Frage, ob dies denn auch im vorhandenen IT-System abbildbar ist. Das Forschungsergebnis belegt, dass die Bedeutung von Wissensmanagement im 489 siehe: Krämer, M.: 2007 ebenda Seite 219 sowie Howaldt, J.; Klatt, R.; Kopp, R.: Neuorientierung des Wissensmanagements. Paradoxien und Disfunktionalitäten im Umgang mit der Ressource Wissen, Wiesbaden 2004 Seite 14 sowie Brauner, E.; Becker, A.: Wissensmanagement und Organisationales Lernen: Personalentwicklung und Lernen durch transaktive Wissenssysteme, in: Hertel, G.; Konradt, U. (Hrsg.): Management im Inter- und Intranet, Göttingen 2004 Seiten 241 ff Seite 278 von 430 Rahmen der Personalentwicklung an den deutschen Universitätsklinika eher als gering eingeschätzt wird, die Universitätsklinika in der Schweiz und insbesondere in Österreich messen ihm eine deutlich höhere Bedeutung zu. Universitätsklinika verfügen dabei über eine durchaus hohe Expertise in Sachen Wissensmanagement: So stellt z.B. die von deutschen Universitätsklinika unterstützte internationale gemeinnützige Organisation Cochrane Collaboration aktuelles Wissen („Evidenz“) zu therapeutischen und diagnostischen Fragen auf der Basis der Ergebnisse klinischer Studien weltweit im Internet zur Verfügung – ein Musterbeispiel für aktives, nutzbringendes Wissensmanagement. Auch hier ist es so, dass in Forschung und Lehre verfügbares Wissen sozusagen zum Greifen nahe verfügbar wäre, aber für die eigene Personalentwicklung nicht genutzt wird. Die für das Personalmanagement Verantwortlichen sind an dieser Stelle aufgefordert, den Kontakt zu den Wissensmanagern im Bereich der Forschung und der Lehre herzustellen und deren Know how für die Mitarbeiter nutzbar zu machen. Es gehört zu den vornehmen Aufgaben der Personalentwicklung, Wissen in gestaltbaren, offenen Handlungssituationen anwendbar und nutzbar zu machen.490 Wissenserfassung und –transfer in das Unternehmen wird als integraler Bestandteil der Personalentwicklung zunehmend zu einer zentralen Leitungsaufgabe.491 Der medizinisch-technische Fortschritt erfordert insbesondere von den Gesundheitsarbeitern nicht nur Flexibilität und eine permanente Anpassungsbereitschaft, sondern auch (berufs-) lebenslanges Lernen.492 4.4 Strategische Personalentwicklung Soll Personalentwicklung im Unternehmenskontext nachhaltig wirksam werden, bedarf es zu ihrer Fundierung einer längerfristigen, an den Unternehmenszielen ausgerichteten strategischen Orientierung. Fehlt diese, besteht die Gefahr, dass mit einem bunten Strauß vielfältiger Maßnahmen zwar Personalentwicklungsaktivität nach außen und innen dokumentiert wird. Eine nachhaltige Wirksamkeit dürfte damit aber kaum erzielbar sein. „Strategisch“ meint dabei die Ausrichtung auf einen Zeitraum 490 siehe: Schweer, A.: Betriebliche Innovation und strategische Personalentwicklung, Berlin 2005 Seite 181 491 siehe: Behr, T.: Personalführung und Personalentwicklung, Hannover 2005 Seite 46 492 siehe: Ewers, M.: 2008 Seite ebenda 22 Seite 279 von 430 von 3 bis 5 Jahren und darüber hinaus auch die grundlegende inhaltliche Ausrichtung der Personalentwicklung auf die langfristige Sicherung eines ausreichend qualifizierten Personalstamms. „Personalarbeit ist gegenwärtig eher auf dem operativen Niveau anzusiedeln, strategisch konzeptionelles Denken fehlt weitgehend. Oder gänzlich ungeschminkt: Strategisches Denken wird – wenn überhaupt – an anderen Stellen im Unternehmen positioniert als in der Personalabteilung. Dies führt in einigen Fällen zu einer sehr ernüchternden Beschreibung vom gegenwärtigen strategischen Personalmanagement. […] Sicherlich ist es für viele interessanter, strategischen Visionen nachzujagen, statt sich der täglichen Arbeit zu widmen. Trotzdem: Gerade die operative Arbeit wird als Entschuldigung herangezogen, damit sich die Personalabteilung eben nicht mit strategischem Denken auseinandersetzen muss. […] Bei näherem Hinsehen entpuppt sich strategisches Personalmanagement allerdings sehr schnell als die zentrale Überlebensfrage des Unternehmens.“493 Diese eher ernüchternde Bilanz gilt sicherlich nicht nur, aber in besonderem Maße auch in Krankenhäusern.494 Dabei kommt dem Personalbereich auf strategischer Ebene eine fundamentale Bedeutung zu, nicht nur in Bezug auf die Personalgewinnung, sondern stärker noch bei der Ausschöpfung und Erweiterung der Fähigkeiten und Fertigkeiten der Mitarbeiter. So ergibt eine Befragung von Geschäftsführern, Vorständen und Aufsichtsräten von Unternehmen in Deutschland, Österreich und der Schweiz im Jahre 2006, dass „die Attraktivität eines Unternehmens für gute Mitarbeiter […] eines der am häufigsten genannten Kriterien für die Wettbewerbsfähigkeit eines Unternehmens“ ist.495 Die Betonung der Bedeutung weist zugleich eine deutlich ungleichgewichtige Verteilung zwischen der Schweiz (83%) und Deutschland (67%) auf. In Bezug auf Personalentwicklung werden diese Ergebnisse durch die hier vorliegende Studie an Universitätsklinika in Deutschland, Österreich und der Schweiz bestätigt und ergänzt: Die Bedeutung der Personalentwicklung für die Zukunftsperspektiven der Klinika wird durchweg hoch geschätzt. In der Realität findet 493 494 495 aus: Scholz, Ch.: Strategisches Personalmanagement als Konzept zwischen Fata Morgana und aufkommender Morgenröte (Überblick), aus: Internet vom 30.12.2006 vgl.: Pollack, W.; Pirk, D.: Personalentwicklung in lernenden Organisationen, Wiesbaden 2001 Seite 56 Die Befragung wurde vom Malik Management Zentrum St. Gallen über alle Branchen im 2. Halbjahr 2006 durchgeführt, siehe: Malik-mzsg: Management Summary CG Studie, 2007 Seite 280 von 430 dies allerdings in den Universitätsklinika der Schweiz und Österreichs in weit höherem Maße seinen Niederschlag, als in Deutschland.496 In erkennbarem Widerspruch zur postulierten Bedeutung wird in der Malik-Studie aber die Gewinnung und Entwicklung von Führungskräften lediglich von der Hälfte der Befragten als zentrale Aufgabe der Vorstände gesehen. Möglicherweise ist dies ein (erneuter) Hinweis auf das zentrale Dilemma strategischer Personalentwicklung: sie wird verbal hoch geschätzt, dabei bleibt es dann aber allzu oft. Die Anforderungen an das Personalmanagement steigen zusehends. Es wird verstärkt erwartet, dass die Personalbereiche aktiv die Unternehmensstrategie mit gestalten und einen Wertschöpfungsbeitrag leisten. Die Personalabteilungen werden zunehmend für den Unternehmenserfolg mit verantwortlich gemacht und sind gehalten, sich an der Unternehmensstrategie zu orientieren. Die Existenz einer effektiven, aus der Gesamtstrategie abgeleiteten Personalstrategie ist Voraussetzung, um die Personalbereiche als Partner des Topmanagements zu etablieren. Strategische Personalentwicklung ist dabei ein Mosaikstein. Der Kienbaum HR-Strategiestudie 2005 ist zu entnehmen, dass knapp die Hälfte der befragten Personalbereiche über eine schriftlich fixierte und durch den Vorstand verabschiedete Personalstrategie verfügen. Ein Einfluss des Personalbereiches auf die Unternehmensstrategie wird bei 40,9 % der befragten Unternehmen bejaht, während lediglich 33,3 % einen regelmäßigen HR-Strategieprozess durchführen.497 Personalentwicklungsstrategien werden oft unterschieden nach dem Ausmaß des Aufwands, der in einem Unternehmen hierbei betrieben wird. Am einen Ende der Skala wird die Strategie beschrieben, die darauf setzt, vakante Stellen im Betrieb ausschließlich mit fertig ausgebildeten Beschäftigten von Außen zu besetzen, die wieder ersetzt werden, wenn sie die geforderte Leistung nicht erbringen. Eigentlich kann man hier gar nicht von einer Personalentwicklung sprechen. Die Strategie besteht darin, Personalentwicklung anderen Unternehmen oder Ausbildungsstätten zu überlassen. Am anderen Ende der Skala wird das Unternehmen gesehen, das junge Nachwuchskräfte einstellt und diese dann systematisch schult und fördert mit dem Ziel, auf die Bedürfnisse des Unternehmens hin gezielt qualifizierte Fachkräfte zu 496 497 siehe u.a. Teil II Abschnitt 2.9 Der Grad der Integration von Personalentwicklung siehe: Kienbaum HR-Strategiestudien 2005 „Strategie und Organisation des Human Ressourcemanagements im deutschsprachigen Raum“, in: Schwuchow, K.; Gutmann, J.: 2007 ebenda Serviceteil auf CD-ROM Seite 281 von 430 erhalten. Personalentwicklung zieht sich hier flächendeckend durch das Unternehmen. In der Literatur durchgehend kritisiert wird eine konjunkturabhängige Personalentwicklung, die in wirtschaftlich schwierigen Zeiten zur Disposition gestellt wird. Der Blick auf die strategische Bedeutung der Personalentwicklung als zentraler Beitrag zur Wertschöpfung im Unternehmen bleibt verstellt. Personalentwicklerische Aktivitäten werden als Incentives wahrgenommen, ihr Fokus liegt eher auf dem persönlichen Mehrwert für die Beschäftigten. Dass eine Personalentwicklung in Zeiten der Kostendämpfung einem besonderen Sparzwang unterliegt und zu den ersten Bereichen gehört, denen die Ressourcen in schlechten Zeiten entzogen werden, wird durch die Studie für den Bereich der Universitätsklinika weitgehend bestätigt. Untersuchungen zur Personalentwicklung zeigen, dass in den Unternehmen, in denen das Topmanagement sich für Personalentwicklung überhaupt interessiert, es in dieser vornehmlich die Aufgabe der Sicherstellung der Leistungsfähigkeit der Mitarbeiter an ihrem Arbeitsplatz sieht.498 Strategische Personalentwicklung wird dann insbesondere als notwendig erachtet, wenn die Einzigartigkeit der menschlichen Arbeit einen Engpassfaktor darstellt und damit zum Wettbewerbsvorteil wird.499 Dies ist in einem Krankenhaus, speziell in einem Universitätsklinikum, in besonderem Maße der Fall. Strategische Personalentwicklung beschäftigt sich mit den gegenwärtigen und den zukünftigen Mitarbeitern des Unternehmens mit dem Ziel der Schaffung eines strategischen Wettbewerbsvorteils durch eine ausreichende Anzahl qualitativ geeigneter Mitarbeiter.500 Eine integrative strategische Personalentwicklung leitet ihre Ziele aus der Unternehmensstrategie ab, definiert die Zielgruppen und Anforderungsprofile und gleicht sie mit den vorhandenen Potentialen ab. Sie leitet Maßnahmen hieraus ab, setzt diese durch und kontrolliert den Erfolg im Hinblick auf die Gesamtstrategie. Die Unternehmenskultur definiert dabei den normativen Rahmen der strategischen Personalent498 499 500 siehe u. a.: Steinkamp, T.: Unternehmenstheorien zur Personalentwicklung, in: Beiträge zur Unternehmensführung, 2, Bayreuth 1989 Seite 325 sowie Becker, M.: Die neue Rolle der Personalentwicklung, in: Personal 2/2003 Seite 15 siehe: Krulis-Randa, J.: Strategisches Personalmanagement, in: Lattmann, Ch.; Krulis-Randa, J. (Hrsg.): Die Aufgaben der Personalabteilung in einer sich wandelnden Umwelt, Heidelberg 1989 Seiten 218 f siehe: Scholz, Ch.: 2006 ebenda Seite 4 Seite 282 von 430 wicklung.501 Personalentwicklung steht immer im Spannungsfeld zwischen ökonomischer Rationalität und mikropolitischen Interessen. Neben der engen Anbindung an die Unternehmensstrategie sollte die Personalentwicklungsstrategie angesichts der zunehmend komplexer sich gestaltenden Umfeldbedingungen flexibel gestaltet sein.502 Im Unternehmenskontext zielt strategische Personalentwicklung auf das Verhalten der Mitarbeiter sowie auf die Gestaltung der Aktivitäten und ist eng mit Fragestellungen strategischer Organisationsentwicklung verknüpft. Bei der Strategieentwicklung wird einerseits die anforderungsgesteuerte, andererseits die Potential steuernde Personalentwicklung unterschieden. Erstere zielt stark auf die Schließung der Lücke zwischen künftigen Leistungs- und Qualifikationsanforderungen und den vorhandenen und künftigen Mitarbeiterpotentialen. Bei der Potential steuernden Personalentwicklung wird dem Management die Aufgabe zugewiesen, unter Berücksichtigung der Umweltsituation sowie der unterschiedlichen Interessen von Anspruchsgruppen ein integriertes Konzept operativer Personalentwicklungsmaßnahmen zu entwickeln und zu steuern mit dem Ziel, einen permanenten Entwicklungsprozess am Leben zu halten.503 Zentrale Basis einer strategischen Personalentwicklung muss dabei stets die Erkenntnis sein, dass Personalentwicklung eine nicht delegierbare Führungsaufgabe ist.504 Als wesentliche Voraussetzungen für die strategische Wirkung von Personalentwicklung gilt somit zum einen, dass das Unternehmen weiß, wohin es will und dies den Mitarbeitern auch mitteilt und zum anderen, dass die Unternehmensleitung die Verantwortung für die strategische Personalentwicklung übernimmt.505 „Personalentwicklungsstrategie bedeutet proaktive Anpassung der Qualitätsstrukturen. Hierbei sollen Fähigkeitslücken mit Engpasswirkung auf strategische Ziele vorrangig abgebaut werden.“506 501 502 503 504 505 506 siehe: Beck, S.: Skill-Management: Konzeption für die betriebliche Personalentwicklung, Wiesbaden 2005 Seite 43 siehe: Müller, J. F. W.: Organisationsentwicklung und Personalentwicklung im Qualitätsmanagement der Einrichtungen des Sozial- und Gesundheitswesens am Beispiel Altenhilfe, München, Mehring 2004 Seite 154 siehe: Ridder, H.-G.; Bruns, H.-J.: Personalentwicklung, in: Eichhorn, P.; Seelos, H.-J.; Graf Schulenburg, M.: 2000 ebenda Seiten 411 f siehe: Müller, J. F. W.: 2004 ebenda Seite 158 siehe: Böhme, K.: 2003 ebenda Seite 7 nach: Becker, M.: Personalentwicklung: Bildung, Förderung und Organisationsentwicklung in TheoSeite 283 von 430 Strategisch ausgerichtete Personalentwicklung Fragestellungen Was kann eine Organisation mit ihren Mitgliedern leisten? Welche Werthaltungen und Motivationen der Mitarbeiter beinhalten Chancen und Potentiale für die Strategieumsetzung? Worin könnten Restriktionen liegen? Könnten die Chancen mit anderen Mitarbeitern verbessert werden? Könnten andere Mitarbeiter dazu beitragen, die Restriktionen überwinden zu helfen? Welche Schlüsselqualifikationen werden benötigt, um die strategischen Ziele zu erreichen? Wie wird sich das Angebot an qualifizierten Fachkräften, die für das Unternehmen gebraucht werden, entwickeln? Aufgaben Von strategischen Vorgaben ausgehen, Rahmenbedingungen, Ziele und Prioritäten definieren, Den strategischen Personalentwicklungsplan auf die einzelnen strategischen Ziele des Unternehmens ausrichten, Schlüsselkompetenzen innerhalb der Organisation entwickeln.507 Tabelle 11: Fragestellungen und Aufgaben einer strategisch ausgerichteten Personalentwicklung508 Im Krankenhaus ist es die Aufgabe strategischer Personalentwicklung, die sich ändernden Leistungsprogramme des Krankenhausbetriebes und die Qualifikation der Mitarbeiter aufeinander abzustimmen. Die strategische Personalentwicklung ist im Umfeld der sich schnell wandelnden Anforderungen flexibel zu gestalten und auf die Fähigkeit zu schneller Anpassung auszurichten. Zugleich sind die Einflüsse und Vorstellungen zahlreicher Anspruchsgruppen wie Krankenhausträger und Beschäftigtenvertretung zu integrieren.509 507 508 509 rie und Praxis, 3. Auflage, Stuttgart 2002 Seite 84 „Wer Mitarbeiter mit den entsprechenden Fähigkeiten innerhalb der Organisation besitzt, kann diese relativ schnell als Nukleus für das Vorantreiben von Innovation nutzen. Hier liefert die strategische Personalentwicklung das Potential für zukünftigen Unternehmenserfolg.“ Einsiedler, H. E.: Strategische Steuerung der Personalentwicklung, in: Schwuchow, K.; Gutmann, J. (Hrsg.): Jahrbuch Personalentwicklung und Weiterbildung, München, Unterschleisheim 2004 Seite 291 in Anlehnung an: Beck, R.; Schwarz,. G.: Personalentwicklung, 2. Auflage, Augsburg 2004 Seite 96 siehe: Ridder, H.-G.; Bruns, H.-J.: Personalentwicklung, in: Eichhorn, P.; Seelos, H.-J.; Graf Schulenburg, M.: 2000 ebenda Seite 411 Seite 284 von 430 Als zentrale Teilziele strategischer Personalentwicklung lassen sich Allokationsziele im Sinne einer ziel- und zeitoptimalen Verteilung der Qualifikationen und Matchingziele im Sinne der Zuordnung der Personen auf Positionen ableiten.510 Ein weiteres wichtiges strategisches Ziel ist die Qualifikation der Schlüsselpersonen im Unternehmen, welche über große Handlungsspielräume verfügen und deren Entscheidungen maßgeblich die Entwicklung des Unternehmens beeinflussen.511 An Universitätsklinika sind ausformulierte strategische Vorstellungen zu Personalentwicklung die Ausnahme. Zwei Beispiele sollen an dieser Stelle vorgestellt werden: die strategischen Ziele der Medizinischen Universität Wien sowie des Universitätsklinikums Freiburg, beginnend mit Wien: „Allgemeine strategische Ziele im Bereich der Personalentwicklung: a. Umsetzung von qualitativ hochwertigen Ausbildungsprogrammen für MitarbeiterInnen in Forschung, Lehre und Krankenversorgung – im Sinne einer modernen Personalentwicklungsstrategie; b. Vereinbarung von Leistungszielen, Schaffung von Karrieremodellen als Leistungsanreiz für alle MitarbeiterInnen, c. Entwicklung von familienfreundlichen Karrieremodellen, stetige Optimierung der arbeits- und sozialrechtlichen Bedingungen aller MitarbeiterInnen.“512 Die Strategischen Ziele der Personalarbeit am Universitätsklinikum Freiburg in der Fassung vom November 2007 lauten: „Präambel Grundlagen der strategischen Ziele der Personalarbeit sind die Strategie von Klinikumsvorstand und Aufsichtsrat sowie das Leitbild des Klinikums. Bezug genommen wird auf nachstehende Teile des Leitbildes: 510 511 512 siehe: Kräkel, M.: Ökonomische Analyse der betrieblichen Karrierepolitik, 2. Auflage, München, Mehring 1999 Seiten 103 bis 116 siehe: Scholz, Ch.: Strategische Personalentwicklung (Überblick) in: Scholz, Ch.; Djarrahzadeh, M. (Hrsg.): Strategisches Personalmanagement: Konzeptionen und Realisation (USW Schriften für Führungskräfte, 28), Stuttgart 1995 Seite 236 siehe: o.V.: 25. Entwicklungsplan der Medizinischen Universität Wien, in: Mitteilungsblatt der Medizinischen Universität Wien Studienjahr 2004/2005 – ausgegeben am 17. Mai 2005 – 16. Stück Seite 285 von 430 Kommunikation und Zusammenarbeit: Unsere Ziele verwirklichen wir durch ein enges Zusammenwirken aller Berufsgruppen und verstehen uns als Teil eines multiprofessionellen Teams. Ein kollegialer und wertschätzender Umgang miteinander ist für uns Verpflichtung. Als Beschäftigte setzen wir unsere Fähigkeiten zum Wohle des Universitätsklinikums ein. Innovation und Weiterentwicklung: Durch eine ständige konzeptionelle und organisatorische Weiterentwicklung aller Arbeitsbereiche sichern wir die Wettbewerbsfähigkeit unseres Klinikums. Kompetenz und Weiterbildung: Um die Qualität unserer Arbeit zu sichern setzen wir auf neuere Instrumente der Personalentwicklung. Wir schaffen Anreize, um die persönliche und fachliche Entwicklung der Beschäftigten nachhaltig zu fördern. Als Führungskräfte ist es unsere Aufgabe, Rahmenbedingungen zu schaffen, um unsere Aufgaben exzellent zu erfüllen. Transparenz der Entscheidungen sowie die Bereitschaft, Verantwortung und Kompetenzen weiterzugeben, sind uns ein Anliegen. Verantwortung für Mensch und Umwelt: Als größter Arbeitgeber Südbadens stellt sich das Universitätsklinikum seiner Verantwortung für Mensch und Umwelt in der „Regio“. Die strategischen Ziele 1. Integrierte Personalentwicklung Die Arbeit in den Abteilungen, Geschäftsbereichen und Zentralen Einrichtungen ist so gestaltet, dass Lernen und Weiterentwicklung der Organisation und ihrer Beschäftigten gefördert wird. Durch gezielte Maßnahmen im Rahmen des Konzepts integrierte Personalentwicklung sind dem Beschäftigten Chancen zur Weiterqualifizierung und zum beruflichen Fortkommen eröffnet. Im Zentrum stehen hierbei die Führungskräfteentwicklung, die interprofessionelle Teamarbeit sowie die Gewinnung und Bindung guter Mitarbeiter. 2. Personalcontrolling Die Führungspersonen des Klinikums, insbesondere Klinikumsvorstand und die Führungsspitzen der ärztlichen, pflegerischen und kaufmännisch administrativen BereiSeite 286 von 430 che verfügen über ein aktuelles, überschaubares, als Frühwarnsystem funktionierendes und als Planungsinstrument einsetzbares Personalcontrolling. Damit sind verbesserte Voraussetzungen für die Personalführung und die Personalkostenoptimierung geschaffen. 3. Dienstleistung der Personalabteilung Der bürokratische Aufwand der Personaladministration ist für die internen Kunden513 auf ein Minimum reduziert. Die Personalabteilung kennt die Anforderungen ihrer internen Kunden, greift diese zeitnah auf und ist ein anerkannter Dienstleistungsbereich des Klinikums. 4. Sicherung Personalbedarf Der Personalbedarf des Klinikums ist trotz demografisch bedingter Verknappung gesichert. Garanten hierfür sind • der Erhalt der Ausbildungsintensität mit gezielter Ausrichtung auf die Engpassberufe, • ein Netzwerk von Kontakten zu Ausbildungseinrichtungen, Schulen und Hochschulen, • ein offensives Personalmarketing nach Innen und Außen. Arbeitsgestaltung und arbeitsbegleitende Angebote sind auf das ansteigende Durchschnittsalter der Belegschaft ausgerichtet.“514 4.4.1 Exkurs: Das St. Galler Management-Modell Das St. Galler Management-Modell515 gehört zu den bekanntesten entwickelten Führungsmodellen. Es erscheint für das Verständnis des Nonprofit-Unternehmens geeignet, weil es ein umfassendes Abbild der Beziehungen zwischen den Gestaltungsbereichen und –ebenen der Unternehmensführung gibt. Mit der modellhaften Darstellung des Unternehmensgeschehens werden Stellenwert und richtige Verortung einer strategischen Personalentwicklung im Kontext des Gesamtunternehmens herstellbar. Deshalb soll es hier kurz dargestellt werden. Dabei sei vorab darauf hingewiesen, dass kein Führungsmodell als „Rezept“ verstanden werden darf. 513 514 515 Interne Kunden sind die Abteilungen, Geschäftsbereiche, Zentralen Einrichtungen und dort die personalverantwortlichen Personen, aber auch jede/r einzelne Mitarbeiter/in. Beschluss des Klinikumsvorstands des Universitätsklinikums vom 13. November 2007 die umfassende Darstellung des Modells ist zu finden in: Ulrich, H.; Krieg, W.: St. Galler Management Modell, St. Gallen 1974 Seite 287 von 430 Das St. Galler Management-Modell dient als gedankliches Ordnungsgerüst zur ganzheitlichen Erfassung und Integration von Aspekten und Problemen der Unternehmungsführung. Personalentwicklung ist ein Teil davon. Die Führungskraft als Handlungsträger im Kontext komplexer Systeme steht im Zentrum des St. Galler Management-Modells. Geschichtlich markiert das 1972 erstmals publizierte St. Galler Management-Modell den Übergang von einer auf dem Systemansatz basierenden Betriebswirtschaftslehre zu einer systemorientierten Managementlehre. Es dient dem Management Zentrum St. Gallen als wissenschaftliche Grundlage seiner Arbeit. Die in Matrixform dargestellten verschiedenen Gestaltungsfelder sind als Einheit zu verstehen. Zwischen ihnen gibt es vielfältige Wechselbeziehungen. Die Struktur beeinflusst z.B. das Problemverhalten, die Unternehmenspolitik das Leistungs- und Kooperationsverhalten und umgekehrt. Diese ganzheitliche Sichtweise wird ergänzt durch eine prozessorientierte Interpretation der Unternehmensentwicklung. Von praktischer Bedeutung ist der Hinweis auf ganzheitliche Problemlösungen und eine ebensolche Sichtweise, die die vernetzten Beziehungen und die verschiedensten Einzelaspekte des Managements zusammenführt. In einer komplexer werdenden Umwelt wird diese Sicht der Unternehmensführung zunehmend zum Erfolgsfaktor. Seite 288 von 430 Vision bzw. Managementphilosophie normatives Management (begründend) Unternehmensverfassung Unternehmenspolitik: Leitbild Unternehmenskultur strategisches Management (ausrichtend) Organisationsstruktur, Managementsystem Strategisches Programm Organisationsentwicklung Problemverhalten Personalentwicklung operatives Management (ausführend) Organisatorische Prozesse, Dispositionssysteme Strukturen Aufträge Aktivitäten Leistungs- und Kooperationsverhalten Verhalten Innere und äußere Unternehmensentwicklung Abbildung 46: Personal- und Organisationsentwicklung im Kontext des St. Galler Management-Modells516 Das St. Galler Management-Modell ist eine umfassende, alle wesentlichen Führungsaspekte berücksichtigende Managementkonzeption. Der St. Galler Ansatz rich- 516 in Anlehnung an: Bleicher, K.: Das Konzept Integriertes Management, 4. Auflage Frankfurt/Main 1996 Seiten 76 und 81 sowie Gomez, P.; Zimmermann, T.: Unternehmensorganisation: Profile, Dynamik, Methodik, 2. Auflage, Frankfurt/Main 1993, Seite 22 Seite 289 von 430 tet sich an der Systemtheorie und der Kybernetik517 aus und wird deshalb auch als Systemansatz bezeichnet. Ausgangspunkt des St. Galler Management-Modells ist die ständige Wechselbeziehung zwischen Unternehmung und Umwelt. Sie stellt das Management vor die Hauptaufgabe, für ein sich immer wieder neu bildendes Gleichgewicht zwischen den unterschiedlichen Anforderungen zu sorgen, die an die Unternehmung gestellt werden. Durch die Gestaltung, Lenkung und Entwicklung des produktiven sozialen Systems Unternehmung wird dessen Überlebensfähigkeit sichergestellt. Die Unternehmensziele sind die Vorgaben, die das Soll bestimmen. Das Management muss nun durch geeignete Planung, Entscheidung und Durchsetzung so auf das System Unternehmung einwirken, dass Ist und Soll zum Zeitpunkt des Vergleichs möglichst nahe beieinander liegen und im Idealfall übereinstimmen. Dabei sind mögliche Störgrößen (z.B. Einflüsse durch die Konkurrenz, den Staat, die konjunkturelle Entwicklung) in den Managementhandlungen zu berücksichtigen. Anhand von Kontrollinformationen überprüft das Management in seiner Controlling-Funktion die erreichte Übereinstimmung der tatsächlichen Resultate mit den Unternehmenszielen. Falls notwendig, werden Korrekturmaßnahmen ausgelöst. Die Unternehmung erreicht so ein sogenanntes Fließgleichgewicht: Sobald Abweichungen vom Soll erkannt werden, wird in das System korrigierend eingegriffen. Das Modell orientiert sich an sechs Grundsätzen: Grundsatz der Ganzheitlichkeit: Alle wesentlichen Aspekte einer Unternehmung sind zu erfassen. 517 Der Begriff Kybernetik wurzelt im griechischen kybernetes = Steuermann. Die Kybernetik befasst sich traditionell mit Regelungs- und Steuerungsvorgängen. Mittels mathematischer und elektronischer Methoden sollen systematisch die Regel- und Steuerungsmechanismen biologischer Wesen nachgeahmt werden. Ursprüngliche Betätigungsfelder sind Automation, elektronische Rechenanlagen, Fernlenkung und Fernsteuerung. In der systemischen Managementtheorie ist allerdings nicht die Regelungstheorie und Regelungstechnik gefragt, sondern die Kybernetik der komplexen Systeme, der organismischen, selbst organisierenden und evolvierenden Systeme, die Kybernetik somit als Wissenschaft von der Kontrolle von Systemen (Kontrolle im Sinne von „Beherrschung“). Neben der Systemlenkung geht es um die Berücksichtigung der tatsächlichen Komplexität realer Systeme. „Das Paradigma eines kybernetischen Systems ist der lebende Organismus, der sich in ständiger Interaktion mit seiner Umwelt entwickelt, lernt und zu einem Fliessgleichgewicht mit seiner Umwelt kommt.“ Siehe: Malik, F.: 2002 ebenda Seite 290 von 430 • Grundsatz der Vieldimensionalität: Die Führungskonzeption hat alle Dimensionen (z.B. Technologie, Finanzen, soziale und personelle Aspekte) angemessen einzubeziehen. • Grundsatz der Integration: Die einzelnen Teile eines Management-Modells müssen zusammenpassen und ein harmonisches und funktionsfähiges Ganzes ergeben. • Grundsatz der Modularität: Zugleich gilt, dass ein integriertes ManagementModell aus einzelnen Modulen oder Bausteinen besteht, die in sich geschlossen betrachtet und moduliert werden können. • Grundsatz der Verständlichkeit: Das Modell soll verstehbar sein. Hier stößt das Managementkonzept an seine Grenzen. Der recht hohe Abstraktionsgrad und die systemtheoretische Ausrichtung des Modells stoßen in der Praxis zum Teil auf Skepsis. • Grundsatz der Stufengerechtigkeit: Das integrierte Management-Modell ist auf allen Führungsebenen stufengerecht anzuwenden. Je nach den Gegebenheiten des einzelnen Unternehmens sind Anpassungen möglich und gewünscht. Inhaltlich besteht das St. Galler Management-Modell aus drei konzeptionellen Bausteinen: dem Umweltkonzept, dem Unternehmungskonzept und dem Führungskonzept. Diese werden in einer Zusammenfassung des Management Zentrums St. Gallen wie folgt erläutert:518 4.4.1.1 Das Umweltkonzept Im Verständnis des St. Galler Management-Modells stellen Unternehmungen nicht bloß "Wirtschaftssubjekte" dar. Als gesellschaftliche Institutionen sind sie vielmehr Teil der Gesellschaft und haben als solche einen sinnvollen Beitrag zu deren Funktionieren zu leisten: Sie werden in der Absicht gegründet, für diese ganz bestimmte Zwecke zu erfüllen und Nutzen zu stiften ("Business Mission"). 518 siehe: http://www.mzsg.de, 2002 Seite 291 von 430 Eine Unternehmung kann deshalb langfristig nur bestehen, wenn sie sich immer wieder von Neuem mit ihren sich ständig ändernden Umweltbedingungen und Umweltanforderungen befasst, diese in Beziehung setzt zu den eigenen Gegebenheiten, Mitteln und Möglichkeiten und daraus die Grundlagen ihres gegenwärtigen und zukünftigen Handelns ableitet. Das Umweltkonzept erfasst demzufolge im Sinne einer Lagebeurteilung die für die Unternehmung wichtigen Entwicklungen in den verschiedenen Umweltbereichen. Hierbei werden institutionale (Anspruchsgruppen) und funktionale Perspektiven in wechselseitiger Ergänzung verwendet. Seite 292 von 430 ökologische Umwelt technologische Sphäre ökonomische Sphäre soziale Sphäre Diverse Institutionen Arbeitnehmer Unternehmung Lieferanten Kunden Kapitalgeber Konkurrenten Abbildung 47: Unternehmensumwelt519 4.4.1.2 Das Unternehmungskonzept Im Unternehmungskonzept werden die im Rahmen des gesellschaftlichen Zwecks anzustrebenden Unternehmungsziele, die dafür zu beschaffenden und einzusetzenden Leistungspotenziale sowie die anzuwendenden Strategien langfristig festgelegt. Es beinhaltet demnach jene grundlegenden Basisentscheidungen, welche das We- 519 siehe: Ulrich, Hans: Das St. Galler Management-Modell, in: Ulrich, Hans, Gesammelte Schriften, Band 2, Bern, Stuttgart, Wien 2001 S. 24 Seite 293 von 430 sen der Unternehmung, ihr Verhalten und ihre Beziehung zur Umwelt auf lange Sicht festlegen. In Analogie zu den funktionalen Dimensionen im Umweltkonzept gliedern sie sich nach leistungswirtschaftlichen, finanzwirtschaftlichen und sozialen Gesichtspunkten. Das Unternehmungskonzept umfasst folglich drei Teilkonzepte, deren Inhalte aufeinander abgestimmt werden müssen: das leistungswirtschaftliche Konzept legt die zu erbringenden Leistungen (Produkte, Dienstleistungen) fest, das finanzwirtschaftliche bestimmt die damit zu erreichenden geldmäßigen Ziele und das soziale Konzept konkretisiert die menschlichen und gesellschaftlichen Wertvorstellungen der Unternehmung. Inhaltlich entspricht das Unternehmungskonzept der Unternehmungspolitik: Leistungswirtschaft- Finanzwirtschaftliches liches Konzept Konzept Marktziele, Liquiditätsziele, Gesellschaftliche Ziele, Produktziele, Gewinnziele, Mitarbeiterorientierte Produktivitätsziele Wirtschaftlichkeitsziele Ziele Leistungs- Absatzpotenzial, Finanzielles Potenzial, Soziales Potenzial potenzial Kapitalstruktur Ziele Produktionspotenzial, Soziales Konzept Entwicklungspotenzial Strategien Absatzstrategie, Finanzierungsstrategie, Gesellschaftliche Stra- Produktionsverfahren, Rechnungsverfahren tegie, Entwicklungsstrategie Führungsstil Tabelle 12: Unternehmenspolitik im St. Galler Management-Modell520 4.4.1.3 Das Führungskonzept Zweck der Unternehmungsführung ist es, die Stellung der Unternehmung in ihrer Umwelt permanent zu überwachen und dafür zu sorgen, dass die für eine erfolgreiche Anpassung erforderlichen Gestaltungs-, Lenkungs- und Entwicklungsprozesse funktionieren. Oberziel ist die Erhaltung der Lebensfähigkeit der Unternehmung. Unternehmungsführung ist also nicht nur Menschenführung, sondern Führung eines komplexen Systems in einer dynamischen Umwelt. Das Führungskonzept ist das Kernstück des St. Galler Management-Modells. Die 520 siehe: Ulrich, Hans, ebenda S. 37 Seite 294 von 430 Elemente Führungssystem, Organisationskonzept, Führungsmethodik und Führungskräfte sind miteinander durch vielfältige Beziehungen verknüpft: • Führungssystem: Zusammenhänge zwischen Planungs-, Entscheidungs-, Auftragserteilungs-, Ausführungs- und Kontrollmechanismen, • Organisationskonzept: Grundsätze, nach denen die Unternehmung organisiert sein soll (Darstellung z.B. in Stellenbeschreibungen, Organigrammen), • Führungsmethodik: Verfahren und Hilfsmittel, welche den Führungskräften einer Unternehmung zusammen mit den Grundsätzen des Führungsverhaltens zur Verfügung stehen, • Führungskräfte: Führungskräftebedarf und Führungskräftepotential werden systematisch erfasst. Geeignete Führungskräfte werden eingestellt und auf ihre Weiterentwicklung Wert gelegt. Das St. Galler Management-Modell gehört sicher zu den zurzeit umfassendsten Führungskonzeptionen. Die Umsetzung in die Praxis orientiert sich am Einzelfall und berücksichtigt die jeweiligen konkreten Umstände (z.B. Firmengröße, Branche, Marktbedingungen). Es reicht zwar weit über das Themenfeld Personalentwicklung hinaus, erscheint mir aber auch zu dessen Einordnung und Verständnis hilfreich. Zurück nun zu den zentralen Problemen und Handlungsfeldern der Personalentwicklung. 4.4.2 Probleme und Entwicklungsbedarf der Personalentwicklung Personalentwicklung kostet Geld, ohne dass ein unmittelbarer Investitionserfolg erzielbar ist und sichtbar wird. In Unternehmen, die unter einem starken Kostendruck stehen - und welche Nonprofit-Unternehmen stehen gegenwärtig nicht unter einem starken Kostendruck - wird Personalentwicklung unter der Prämisse eines Spardiktates in eher bescheidenem Umfang betrieben. Neben diesem rein ökonomischen Problem haben empirische Untersuchungen über Maßnahmen der Personal- und Organisationsentwicklung vor allem zwei weitere große Problembereiche er- Seite 295 von 430 forscht:521 Zum einen Transfer- und zum anderen Akzeptanzprobleme.522 Das Transferproblem beschreibt die Schwierigkeit, erlernte Kenntnisse und Fertigkeiten, somit neues Wissen, am Arbeitsplatz umzusetzen. Bei Personalentwicklungsmaßnahmen off the job zeigt sich oft das Problem, dass das erlernte Wissen am Arbeitsplatz nicht umgesetzt werden kann. Haupthindernis dabei ist die Trägheit der sozialen Ordnung im Arbeitsalltag, die sowohl Vorgesetzte wie Mitarbeiter an den Gewohnheiten festhalten lässt. Dieses Problem ist unter dem Begriff „Transferlücke“ oder „Transferproblem“ in der Literatur vielfach beschrieben.523 Der Lerntransfer ist Kernstück der Kompetenzerweiterung der Beschäftigten im Betrieb. Ein Akzeptanzproblem entsteht einerseits immer dann, wenn die persönlichen Interessen und Neigungen der Beschäftigten mit den Entwicklungsanforderungen des Unternehmens nicht kompatibel, zumindest nicht deckungsgleich sind. Im Rahmen der Ausarbeitung von Richtlinien und Eckpfeilern einer integrierten Personalentwicklung am beforschten Universitätsklinikum wurden auch die Mitarbeiter zur Diskussion über das Intranet aufgefordert. Zahlreiche Diskussionsbeiträge befassten sich dabei mit der Frage, ob Personalentwicklung sich zuvorderst an den Erfordernissen und Zielen des Unternehmens Universitätsklinikum zu orientieren habe oder an den Bedürfnissen der Mitarbeiter. Die Auffassungen gingen hier recht weit auseinander.524 Auch stoßen Personalentwicklungsmaßnahmen, die perspektivisch den Beschäftigten keine persönlichen Karrierechancen einräumen, auf Widerstände. Andererseits führen Personalentwicklungsmaßnahmen vor dem Hintergrund mikropolitischer Interessenkalküle ebenfalls zu Akzeptanzproblemen, da die manipulative Absicht zumeist erkannt wird. Werden betriebliche Personalentwicklungsaktivitäten überwiegend reaktiv in der Form initiiert, dass die Abteilungen und Bereiche eigene Bedarfe anmelden im Rahmen von Budgetvorgaben, tritt dieses Akzeptanzproblem verstärkt 521 522 523 524 siehe: Ridder, H. G.: Human resource management, Leitideen für die Personalarbeit der Zukunft in: Bruch, H.; Eickhoff, M.; Thiem, H. (Hrsg.): Zukunftorientiertes Management - Handlungshinweise für die Praxis, Frankfurt 1996, sowie Rieckhoff, H. C. (Hrsg.): Strategien der Personalentwicklung, 3. Auflage, Wiesbaden 1992, sowie Jung, H.: 2005 ebenda Seiten 301 ff siehe: Drumm, H.-J.: Personalwirtschaftlehre, 3. Auflage Berlin 1995 Seite 346 sowie Rieckhof, H.Ch. (Hrsg.): Strategien der Personalentwicklung, 3. Auflage Wiesbaden 1992 siehe: Wegerich, Ch.: Neue Lernformen in Unternehmen, in: Schwuchow, K.; Gutmann, J.: 2007 ebenda Seite 223 siehe Teil III Abschnitt 2.2 Der Verlauf der Entstehung des Konzepts Seite 296 von 430 auf. Während Consulting-Unternehmen aller Art Glauben machen wollen, mit Personalentwicklung könne eine umfassende Gestaltbarkeit des Unternehmens erreicht werden, muss die Frage, ob Personalentwicklung dem Doppelanspruch tatsächlich gerecht werden kann, die Unternehmensziele und die Mitarbeiterbedürfnisse unter einen Hut zu bekommen, nach wie vor als unbeantwortet angesehen werden. Zu Recht stellt Neuberger fest: „OE-Praktiker verheißen die gleichzeitige Erfüllung humaner und ökonomischer Ziele. Dass an dieses unwahrscheinliche Ergebnis geglaubt wird, ist vermutlich vor allem damit zu erklären, dass die Verbindung von Effizienz, Produktivität, Flexibilität, Problemlösefähigkeit einerseits mit Partizipation, Authentizität, Selbstverwirklichung und Gesundheit andererseits eine solche große Attraktivität besitzt, dass eine kritische Realitätsprüfung ausgeschaltet wird. Es besteht die Neigung, kontrafaktisch zu glauben, was man sich wünscht.“525 Somit bleibt als großes Problem von Personalentwicklung die Beurteilung deren eigener Leistungsfähigkeit, hervorgerufen durch die latente Zieldiffusität im Spannungsfeld organisations- und mitarbeiterbezogener Ziele. Auch das Forschungsergebnis belegt, dass Personalentwicklungsmaßnahmen an den Universitätsklinika nur in Einzelfällen und nicht flächendeckend evaluiert werden. Diese Beobachtung deckt sich mit der Diagnose, dass in deutschen Kliniken Evaluation von Personalentwicklungsmaßnahmen noch eher selten anzutreffen ist. Neben diesen beiden als bedeutend identifizierten Problemen der Personalentwicklung wären als weitere Probleme zu nennen: Nicht von allen Mitarbeitern kann gleichermaßen erwartet werden, dass sie sich für Personalentwicklungsmaßnahmen interessieren und bereit sind, an diesen teilzunehmen. Der Umgang mit eher entwicklungsresistenten Mitarbeitern im Rahmen von Personalentwicklungsmaßnahmen ist immer dann besonders schwierig, wenn es sich um gruppenorientierte Maßnahmen oder um Teamentwicklungsmaßnahmen handelt. 525 siehe: Neuberger, O.: 1994 ebenda Seite 256 Seite 297 von 430 Ein weiteres Problem kann sich über Zielkonflikte zwischen der Personalentwicklung und der Organisationskultur insgesamt ergeben. Gehört es zum Beispiel zur Führungskultur in der Unternehmung, dass Vorgesetzte grundsätzlich an der Zahl ihrer Überstunden und am Ausmaß des sichtbaren Gestresst-Seins gemessen werden, machen Zeitmanagementseminare für den Führungskräftenachwuchs wenig Sinn. Die Unternehmenskultur ist einerseits Rahmenbedingung und Zielvorgabe für die Personalentwicklung, andererseits nicht selten aber auch Beschränkung und Entwicklungshemmer. Die Studie über die Universitätsklinika in Deutschland, Österreich und der Schweiz zeigt dies anschaulich: an Universitätsklinika mit einer durch die Subsysteme und deren Eigenleben geprägten Unternehmenskultur steht eine integrierte Personalentwicklung konträr zur Kultur und gerät ins Hintertreffen.526 4.4.3 Personalentwicklung, Partizipation und Mitbestimmung Entwicklung setzt die Bereitschaft voraus, Beschäftigte aktiv zu beteiligen und einzubeziehen. Maßnahmen, die top down an den Bedürfnissen und der Situation der Beschäftigten vorbei entwickelt werden, sind allenfalls teuer, selten wirksam. Die Erarbeitung eines Personalentwicklungskonzepts muss insofern mit der Feststellung der Ist-Situation der Mitarbeiter sowie der Bedürfnisse der Mitarbeiter beginnen und unter partizipativer Einbeziehung der Mitarbeiter entwickelt werden. Partizipation527 meint dabei die aktive Einflussnahme von Mitarbeitern im Arbeitsprozess und die Beteiligung an den Entscheidungen. Sie entspricht dem zunehmenden Wunsch der Mitarbeiter nach stärkerer Mitwirkung, Mitverantwortung und Selbstverwirklichung im Arbeitsprozess. Partizipation dient dabei dem Zweck, Verantwortung zum Bestandteil der Aufgabe zu machen. Darüber hinaus dient Partizipation dazu, das Wissen der Mitarbeiter in Entscheidungen einfließen zu lassen.528 Vor allem für Hightech-Unternehmen wird konstatiert, dass Partizipation der Mitarbeiter dadurch begründet ist, dass Führungskräfte kaum mehr in alle Spezialgebiete der Beschäftigten Einblick haben können. Auch wurden in einer Reihe klassischer Experimente eindeutig positive Zusammenhänge zwischen Partizipation und Leistungsniveau festgestellt, sofern tatsächlich Entscheidungsbefugnisse übertragen werden.529 Ein 526 527 528 529 siehe Teil II Abschnitt 3.3.5 Unternehmenskultur als Basis der Personalentwicklung siehe auch Teil II Abschnitt 4.2.1 Handlungsfelder und Maßnahmen siehe: Malik, F.: Führen, Leisten, Leben, 3. Auflage, Stuttgart, München 2002 Seite 188 so verweist Staehle auf Experimente von Lewin/Lippitt/White (1939), von Koch/French (1948) sowie Marrow u.a. (1967), die allesamt zu dem Ergebnis kommen, dass Partizipation in Gruppen das Seite 298 von 430 hohes Maß an Delegation und Partizipation geht in der Regel einher mit neuen Formen der Kooperation, insbesondere Teamarbeit, da Partizipation die Akzeptanz und Einsatzbereitschaft im Unternehmen fördert. Einschränkend ist allerdings zu ergänzen, dass ein Partizipationsangebot bei Mitarbeitern auch zu Überforderung und Verunsicherung führen kann, sofern es die Partizipationserwartungen übersteigt oder die Möglichkeiten der Mitarbeiter falsch einschätzt. Neben den Mitarbeitern sollte auch die institutionalisierte Beschäftigtenvertretung wie Betriebsrat oder Personalrat, auch die Frauenvertretung und die Schwerbehindertenvertretung von vornherein mit einbezogen werden. Personalentwicklungsmaßnahmen berühren in vielerlei Hinsicht Beteiligungsrechte der Personalräte und Betriebsräte. Im Betriebsverfassungsgesetz und den Personalvertretungsgesetzen wird Personalentwicklung allerdings nicht explizit benannt, so dass sich eine Verbindung zu gesetzlich normierten Beteiligungsrechten nicht auf Anhieb erschließt, bisweilen muss sie konstruiert werden. Nachstehende gesetzlich normierte Mitbestimmungsrechte der Beschäftigtenvertretung können im Zusammenhang mit Personalentwicklung gesehen werden: • Personalfragebogen, Beurteilungsgrundsätze, • Allgemeine Fragen der beruflichen Fortbildung und Weiterbildung, • Personelle Auswahl, • Organisationsuntersuchungen, • Grundsätze über die Durchführung von Gruppenarbeit (nur im Bereich Betriebsverfassung), • Personalplanung (nur im Bereich Betriebsverfassung). Daneben stehen die Beteiligungsrechte bei Einzelmaßnahmen, die sich unter Umständen im Zusammenhang mit Personalentwicklung ergeben können. Es wird deutlich, dass der Gesetzgeber den Betriebs- und Personalräten im ZusamLeistungsniveau erhöht, siehe: Staehle, W.: Management: eine verhaltenswissenschaftliche Perspektive, 7. Auflage, München 1994, Seite 269 Seite 299 von 430 menhang mit Personalentwicklung im Unternehmen erst einmal keine aktive Rolle zugedacht hat. Personal- und Organisationsentwicklung, die im Unternehmen tatsächlich greift und die Unternehmenskultur zu beeinflussen vermag, ist in der Praxis kein bevorzugtes Tätigkeitsfeld von Betriebs- und Personalräten, führt sie diese doch in ein Dilemma: Je erfolgreicher Formen der direkten Beteiligung von Beschäftigten im Unternehmen die Kultur bestimmen, desto mehr stößt die gesetzlich normierte und in jahrzehntelanger Praxis ritualisierte Form der Mitbestimmung an ihre Grenzen. Formen der direkten Mitarbeiterpartizipation stellen für Betriebs- und Personalräte eine Herausforderung dar: Wo Beschäftigte sich in betriebliche Prozesse direkt einbringen, scheint erst einmal für die stellvertretende Interessenvertretung kein Raum zu sein. Beschäftigte nehmen ihre Interessen selbst in die Hand, vertreten ihre Anliegen als autonome, selbstbewusste Menschen und delegieren ihre Interessen nicht an eine gewählte Vertretung. Dies löst bei Betriebs- und Personalräten nicht selten Ängste aus und Zweifel an der eigenen Rollendefinition. Die Befürchtung, die Beteiligung der betroffenen Beschäftigten an Problem- und Konfliktlösungen solle die echte Mitbestimmung substituieren und die formalrechtlich abgesicherte Beteiligung unterhöhlen, befördert eine distanzierte Haltung der Betriebsvertretung gegenüber Personal- und Organisationsentwicklungsprojekten. Betriebs- und Personalräte geraten ebenso unter Veränderungsdruck, wie das Management im Unternehmen. So ergeben sich im Alltag bisweilen ungewollte Allianzen zwischen dienstanweisungsverliebten Vorgesetzten und ihren Beschäftigtenvertretungen, die gemeinsam eine desinteressierte bis ablehnende Haltung gegenüber Personalentwicklungsprojekten an den Tag legen. Die aktive Einbeziehung und Teilnahme von Betriebs- und Personalräten an Personalentwicklungsmaßnahmen ist gleichwohl von zentraler Bedeutung, trägt sie doch zur Akzeptanz dieser Maßnahmen im Unternehmen bei und bietet den Betriebs- und Personalräten selbst die Chance, sich weiterzuentwickeln. „An der Reibungsfläche zwischen traditioneller, institutionalisierter und oft ritualisierter Verhandlungsmitbestimmung und sich zunehmend entwickelnder temporärer, flexibler Partizipation in neuen Arbeitsformen stehen auch die betrieblichen Interessenvertreter vor der Frage, an tradierten (in der Realität oft nur minimalen) Machtprivilegien festzuhalten und Mitarbeiterpartizipation zu blockieren oder sich auf das Abenteuer einzulassen, die Seite 300 von 430 eigene Rolle neu zu definieren. Organisations- und Personalentwicklungsprozesse bieten gute Chancen für die Stärkung der Verhandlungsmacht der Betriebs- oder Personalräte, sofern diese bereit und fähig sind, sich auf neue Art einzumischen: Anstelle der herkömmlichen Muster weitgehend routinierter Verhandlungen mit der Arbeitgeberseite ist ständige, aktive und bewusste Mitarbeit an der Entwicklung konkreter Alternativen gefragt. Lohnenswertes Ziel von Beschäftigtenvertretern kann es dabei sein, darauf zu achten, dass mitarbeiterbezogene Gestaltungskriterien dominant werden.“530 So kann es lohnenswerte und unterstützende Aufgabe der Beschäftigtenvertretung sein, darauf zu achten, dass für Personalentwicklung ausreichend Ressourcen zur Verfügung gestellt werden und dass für die Beschäftigten eine allgemeine Zugänglichkeit und auch Verbindlichkeit im Unternehmen garantiert wird. Konstitutive Voraussetzung hierfür ist allerdings, dass von den Beschäftigtenvertretungen erkannt und anerkannt wird, dass die direkte Beteiligung der Beschäftigten, die aktive Personalentwicklung und Partizipation unverzichtbare Elemente von betrieblicher Gestaltung und demokratischer Teilhabe sind. 4.4.4 Entwicklungsbedarf der strategischen Personalentwicklung in Universitätsklinika Personalentwicklung braucht eine strategische Fundierung, um nachhaltig wirksam zu werden. Diese unternehmerische Binsenweisheit ist an den erforschten Universitätsklinika zumindest bei den obersten Personalverantwortlichen bekannt und akzeptiert. In den Vorständen ist diese grundlegende Erkenntnis in vielen Fällen allerdings noch nicht verankert, was zu deutlichen Defiziten der Personalentwicklung beiträgt: • Während alle Universitätsklinika in Österreich und der Schweiz über eine eigene Organisationseinheit Personalentwicklung verfügen, weisen lediglich knapp 40 % der deutschen Universitätsklinika eine solche institutionalisierte Personalentwicklung auf. • Die Verankerung der Personalentwicklung im Leitbild eines Klinikums lässt Rückschlüsse auf deren strategische Bedeutung zumindest in der Außendarstellung 530 nach: Jung, K.: 1999 ebenda Seiten 23 f Seite 301 von 430 zu. Lediglich eine Minderheit der deutschen Universitätsklinika erwähnt Personalentwicklung in ihrem Leitbild. • Darüber hinaus lässt sich an der Existenz eines klinikumsumfassenden Konzepts von Personalentwicklung und an der Intensität, mit der sich die Vorstände mit Personalentwicklungsthemen befassen, die strategische Bedeutung festmachen. Auch hier ist ein hoher Stellenwert an den österreichischen Universitätsklinika feststellbar und ein eher geringer an den deutschen Universitätsklinika, während die Universitätsspitäler der Schweiz einen Mittelwert aufweisen. Tatsächliche strategische Überlegungen sind bei den obersten Personalverantwortlichen nur randständig zu erkennen und dies in Großkrankenhäusern, die als personalintensive Dienstleitungsunternehmen von der personellen Leistungserbringung geprägt sind. Eine aktive Rolle des Personalbereiches zur Unterstützung der Unternehmensentwicklung ist an deutschen Universitätsklinika die Ausnahme. Lediglich in einem Universitätsspital in der Schweiz ist die Personalfunktion in den Vorstand direkt eingebunden. Ausgehend von der Erkenntnis, dass Personalentwicklung nur dann strategisch und nachhaltig wirksam werden kann, wenn die Unternehmensziele klar formuliert und den Mitarbeitern mitgeteilt sind und wenn die Unternehmensleitung die Verantwortung für die strategische Personalentwicklung übernimmt, fällt das Fazit des Forschungsergebnisses ernüchternd aus: Die Mehrzahl der Universitätsklinika insbesondere in Deutschland sind noch weit von diesen Anforderungen entfernt. Einzelne positive Beispiele und die Situation an den österreichischen und schweizerischen Universitätsklinika zeigen andererseits, dass eine strategisch ausgerichtete Personalentwicklung gerade auch im Krankenhaus machbar und zweckmäßig ist. Die tendenzielle Hilflosigkeit gegenüber strategischen Personalproblemen an deutschen Universitätsklinika soll am Beispiel der Verknappung von Pflegekräften mit speziellen Zusatzqualifikationen ergänzend und vertiefend erläutert werden. Die Arbeit von Pflegenden in Intensiveinheiten, in OPs oder auf onkologischen Stationen erfordert zum Einen spezialisierte technische und auch medizinische Kenntnisse, sie ist zum Anderen physisch und psychisch sehr anspruchsvoll. Um diesen Anforderungen gerecht zu werden, werden in der Pflege Zusatzqualifikationen im Wege von Seite 302 von 430 Weiterbildungen angeboten. Die Zahl der Pflegekräfte mit solchen Zusatzqualifikationen deckt bei weitem nicht den Bedarf in den Krankenhäusern. Die Fluktuation in den genannten Bereichen ist sehr hoch. Diese Situation ist nicht neu, verschärft sich aber unter dem zunehmenden Arbeitsdruck in Folge der ökonomischen Zwänge in den Krankenhäusern. Einer strategischen Personalentwicklung kommt hier die Aufgabe zu, diesen Trend frühzeitig zu erkennen bzw. erkannt zu haben und auf Basis einer Analyse der Ursachen für die Verknappung der Arbeitskräfte nachhaltig wirksame Maßnahmen zur Gewinnung und Bindung von Pflegekräften mit Zusatzqualifikation zu ergreifen. Dieser Anforderung steht das Personalmanagement an den deutschen Universitätsklinika weitgehend hilflos gegenüber. Mit außer- und übertariflichen Zulagen wird versucht, das Problem zu lösen, was dem jeweiligen Krankenhaus allenfalls so lange einen kleinen Vorsprung bei der Personalgewinnung bietet, bis das konkurrierende Krankenhaus nachzieht. Übersehen wird, dass solche Maßnahmen zum Einen nur eine Kurzzeitwirkung haben und zum Anderen als Motivatoren einen geringen Nutzen aufweisen.531 Übersehen werden dabei auch die zahlreichen Studien über die Arbeitsbedingungen von Pflegenden an schweizerischen Krankenhäusern, die belegen, dass die Arbeitsbedingungen insgesamt und insbesondere die Zusammenarbeit auf Augenhöhe und die partnerschaftliche Kommunikation über die Professionsgrenzen hinweg als positive und motivierende Faktoren genannt werden. Im Ergebnis des Forschungsprojekts sei noch einmal festgehalten, dass die Universitätsklinika in Deutschland einen deutlichen Nachholbedarf an strategischer Personalentwicklung aufweisen. Dabei kann davon ausgegangen werden, dass sie dieses Schicksal mit den nicht universitären Krankenhäusern teilen. Positiv bleibt zu vermerken, dass das Bewusstsein hierüber und die grundsätzliche Bereitschaft, umzudenken und die Situation zu ändern, zumindest bei den obersten Personalverantwortlichen weit verbreitet ist. 531 siehe auch die Forschungsergebnisse zum Thema Motive im Arbeitsprozess, dargestellt in Teil III Abschnitt 1.1.4 Motivationstheorien Seite 303 von 430 4.4.5 Eckpfeiler eines krankenhaustauglichen Verständnisses von Personalentwicklung Die Arbeit im Krankenhaus erfordert - gleich auf welcher Ebene und in welcher Funktion – ein hohes Maß an sozialer Kompetenz. Die Arbeit mit den Patienten ist stark beziehungsgeprägt, erfordert Empathie, Selbst- und Fremdvertrauen und nicht zuletzt die Fähigkeit, sich in einem komplexen, sich schnell verändernden Umfeld selbst zu organisieren. Dies schließt eine reduktionistische, rein auf ökonomische Effizienzziele ausgerichtete Personalentwicklung aus. Der Selbstwert des Menschen verbietet per se, ihn zum betrieblichen Akteur zur Erreichung ökonomischer Ziele zu reduzieren. Dies muss im Krankenhaus in besonderer Weise gelten. Personalentwicklung im Krankenhaus muss darauf zielen, die persönlichen Entwicklungspotentiale der Mitarbeiter zu entfalten, die Reflexionsfähigkeit anzuregen, zu fördern und zu entwickeln. Im Ergebnis der durchgeführten Forschung wird deutlich, dass eine dem Mitarbeiter zugewandte und Partizipation zulassende Sicht der Personalentwicklung letztlich erfolgreich im Sinne der Organisation und der Mitarbeiter ist. Der sich selbst entwickelnde, an der eigenen Weiterentwicklung interessierte Mensch muss das Leitbild sein, die Personalentwicklung hat für ihn Rahmenbedingungen zu schaffen, die Optionen für Lernen und Entwicklung eröffnen. Zugleich zeigt das Forschungsergebnis aber, dass ein reduktionistisches, auf kurzfristige Effizienzvorteile ausgerichtetes Verständnis von Personalentwicklung insbesondere an den deutschen Universitätsklinika noch weit verbreitet ist. Zielkonflikte zwischen den persönlichen Interessen und Möglichkeiten des Mitarbeiters auf der einen und den vordergründigen betrieblichen Interessen und Möglichkeiten auf der anderen Seite sind nicht selten. Eine Personalentwicklung, die nicht auf den Ausgleich von Defiziten der beruflichen Qualifikation allein setzt, sondern auch Kreativität, Querdenken und Innovationsbereitschaft fördern will, muss diese Zielkonflikte erkennen, zulassen und Freiräume für persönliche Entwicklung jenseits der betrieblichen Alltagserfordernisse schaffen. Solche Freiräume sind wesentliche Voraussetzung für Forschung und Entwicklung. Ein solches Denken ist den Universitätsklinika nicht fremd, es wird für die Entwicklung der eigenen Mitarbeiter aber nur selten genutzt. Dies gilt es zu ändern. Seite 304 von 430 Mitarbeiter Unternehmen/Organisation mit seinen persönlichen Bedürfnissen, Interessen und Möglichkeiten mit den Erfordernissen und Ansprüchen Entwicklungsziele Evaluation Maßnahmen Personalentwicklung Potenzialbeurteilung Planung Abbildung 48: Wirkgrößen der Personalentwicklung Soweit es der Personalentwicklung im Krankenhaus gelingt, die individuelle Sicht mit der organisationalen Sicht zu verknüpfen und neben der persönlichen Entwicklung auch die Lern- und Veränderungsfähigkeit der Organisation zu fördern, eröffnet sich die Chance, Wissen, Können und Innovationsbereitschaft zu potenzieren. So zeigen meine Forschungsergebnisse, dass die wenigen Universitätsklinika, in denen sich diese Grundhaltung und Herangehensweise bereits etabliert hat, erkennbar weniger Probleme mit der Personalgewinnung und –bindung haben. Die demografische Entwicklung trägt dazu bei, dass qualifizierte Arbeitnehmer auch im Krankenhaus in begrenztem Umfang die Möglichkeit erhalten, sich ihren Arbeitgeber auszusuchen. Der Mangel an Pflegenden mit Zusatzqualifikation in den Bereichen Intensiv, Anästhesie oder Onkologie ist evident. Ebenso gibt es zunehmend einen Ärztemangel in Fächern wie Radiologie oder Anästhesie. In dieser Situation Seite 305 von 430 bietet sich vor allem den begehrten jungen Qualifizierten die Chance, eine Arbeitsstelle auch wieder zu verlassen, an der sie sich in ihrer persönlichen Entwicklung behindert sehen. Dieser Trend wird sich in den kommenden Jahren noch verschärfen. Gerade die Bereiche Anästhesie, Intensiv und OP sind die Zentren der Leistungserbringung im Krankenhaus. Häuser, in denen aufgrund Personalmangels Patienten mit überdurchschnittlich langen Wartezeiten konfrontiert sind oder gar abgewiesen werden müssen, verlieren rapide an Attraktivität und geraten auf mittlere Sicht in Existenznöte. Private Krankenhausträger haben dies seit einigen Jahren erkannt und werben aktiv mit den Möglichkeiten der Personalentwicklung.532 Bei näherem Hinsehen haben sie zwar nicht mehr zu bieten, als gut aufgestellte öffentliche und freigemeinnützige Häuser. Sie verstehen ihre Angebote aber zu vermarkten, was zeigt, dass dort der Stellenwert von Personalentwicklung für die Personalgewinnung höher eingeschätzt wird. Die vorliegenden Ergebnisse zeigen, dass eine auf die individuelle und die organisationale Entwicklung ausgerichtete Personalentwicklung eine zentrale Voraussetzung für eine erfolgreiche Mitarbeitergewinnung und –bindung ist, ohne die eine qualitativ hochwertige Krankenversorgung auf Dauer kaum zu leisten sein wird. Die Qualität der Personalentwicklung entscheidet dabei nicht nur darüber, wer die begehrten Arbeitskräfte an sich zu binden vermag, sondern letztlich auch über die Attraktivität des Arbeitsplatzes Krankenhaus insgesamt und somit darüber, ob mehr junge Menschen sich für einen heilenden oder pflegenden Beruf entscheiden. 4.5 Mikropolitik oder die Grenzen der Personalentwicklung Universitätsklinika sind besondere Horte der Mikropolitik. Die nachstehend zitierte sarkastisch-kabarettistisch anmutende Beschreibung des Lebens in Organisationen schildert bei genauerem Hinsehen den Organisationsalltag an Universitätsklinika 532 siehe: http://www.helios-kliniken.de/ueber-helios/organisationsstruktur/zentrale-dienste/personal. html, 13.04.2009. Helios setzt offensiv auf Wissensmanagement. Jährlich wird konzernintern ein Innovationspreis vergeben. „Erfolgreiches Wissensmanagement und das Aufbauen von optimalen Kommunikationsstrukturen für den internen Wissenstransfer ist eine wichtige Aufgabe für Unternehmen und deren Management, von ganz wesentlicher Bedeutung ist dies auf einem Dienstleishttp://www.heliostungsmarkt wie dem deutschen Gesundheitswesen.“ Siehe: kliniken.de/medizin/wissenschaft-und-lehre.html 13.04.2009 Seite 306 von 430 durchaus sehr treffend: „In Organisationen tobt das Leben. Weit von jenen anämischen Gebilden entfernt, die in der althergebrachten Forschung unter dem Namen „Organisationsstruktur“ ihr schattenhaftes Dasein fristen und von oben bis unten vermessen werden, sind sie in Wirklichkeit Arenen heftiger Kämpfe, heimlicher Mauscheleien und gefährlicher Spiele mit wechselnden Spielern, Strategien, Regeln und Fronten. Der Leim, der sie zusammenhält, besteht aus partiellen Interessenkonvergenzen, Bündnissen und Koalitionen, aus side payments und Beiseitegeschafftem, aus Kollaboration und auch aus Résistance, vor allem aber: aus machtvoll ausgeübtem Druck und struktureller Gewalt; denn wer wollte glauben, dass dieses unordentliche Gemenge anders zusammen- und im Tritt gehalten werden könnte? Die Machiavelli der Organisation sind umringt von Bremsern und Treibern, change agents und Agenten des ewig Gestrigen, Märtyrern, und Parasiten, grauen Eminenzen, leidenschaftlichen Spielern und gewieften Taktikern: Mikropolitiker allesamt. Sie zahlen Preise und stellen Weichen, errichten Blockaden oder springen auf Züge, geraten aufs Abstellgleis oder fallen die Treppe hinauf, gehen in Deckung oder seilen sich ab, verteilen Schwarze Peter und holen Verstärkung, suchen Rückendeckung und Absicherung, setzen Brückenköpfe und lassen Bomben platzen, schaffen vollendete Tatsachen oder suchen das Gespräch. Dass es ihnen um die Sache nicht ginge, lässt sich nicht behaupten; aber immer läuft mit: der Kampf um Positionen und Besitzstände, Ressourcen und Karrieren, Einfluss und Macht.“533 Wie gesagt: Universitätsklinika sind besondere Arenen der Mikropolitik. Die „Machiavelli“ und Platzhirsche der Berufsstände verteidigen ihre Reviere gegen jedwede Einmischung. Die allfällige Vergeudung von Zeit, Material und Motivation wird der Desorganisation der jeweils anderen Profession und deren Unfähigkeit, sich an den eigenen Standards, Plänen, QM-Vorgaben und Organisationsstrukturen zu orientieren, zugeschrieben. Die Ärzte warten auf die Schwestern und umgekehrt, die Anästhesisten auf die Chirurgen und umgekehrt, die Betriebswirte verstehen die Mediziner nicht und die Mediziner vertrauen den Zahlen der Controller allenfalls, wenn diese ein Plus verheißen. Die einvernehmliche Besetzung eines Vorstandspostens ohne 533 siehe: Küpper, W.; Ortmann, G.(Hrsg.): Rationalität, Macht und Spiele in Organisationen, 2. Auflage Opladen 1992 Seite 7 Seite 307 von 430 Ränkespiele, ohne das Spiel der Beziehungsnetze und Intriganten, ohne von Eigennutz geleiteter Einmischung und ohne brodelnde Gerüchteküche ist die seltene Ausnahme. Corporate Identity, abgestimmte Arbeitsabläufe, eine geregelte und von Offenheit geprägte Kommunikation, das berühmte Ziehen an einem Strang scheitern an Macht und Partialinteressen, am Spiel der Mikropolitiker. Vor diesem Hintergrund mag die Aufforderung, eine integrierte Personalentwicklung zu betreiben, erst einmal naiv und weltfremd erscheinen. Und in der Tat besteht die Gefahr, dass Personalentwicklung im Krankenhaus zur Spielwiese verkommt, ein Beiwerk bleibt, das man nach Außen und Innen gut verkaufen kann, ohne dass ein wirklich messbarer Beitrag zum Unternehmenserfolg erkennbar wird. Die Darstellung der Erkenntnisse aus der Erforschung des Phänomens Mikropolitik in Organisationen mag in zweierlei Hinsicht hilfreich sein: Zum einen hilft es, übertriebene Hoffnungen in die Wirksamkeit von Personalentwicklung in Unternehmen in eine realistischere Sichtweise und Erwartungshaltung zu überführen und die Grenzen von Personalentwicklung aufzuzeigen; zum anderen ist die Kenntnis der Mechanismen der Mikropolitik eine Grundvoraussetzung für die Entwicklung eines an den betrieblichen Realitäten orientierten und robusten Personalentwicklungskonzepts. 4.5.1 Begriffsbestimmung von Mikropolitik In einer frühen Definition wird Mikropolitik bestimmt als „die Bemühungen, die systemeigenen materiellen und menschlichen Ressourcen zur Erreichung persönlicher Ziele, insbesondere des Aufstiegs im System selbst und in anderen Systemen, zu verwenden sowie zur Sicherung und Verbesserung der eigenen Existenzbedingungen.“534 Mikropolitik meint somit politisches Handeln in einer Organisation und ist bei jeder Betrachtung eines Unternehmens in den Fokus zu nehmen, in besonderer Weise dann, wenn es um Personal und Führung geht. Dabei muss jede Analyse „Macht in das Zentrum ihrer Überlegungen stellen, denn kollektives Handeln ist im Grunde nichts anderes als tagtägliche Politik. Macht ist ihr ‚Rohstoff’“.535 Es geht also immer auch um die in einer Organisation permanent aufbrechenden Widersprüche zwischen der egoistischen Strategie der Akteure und der zweckgebundenen Kohärenz 534 535 nach: Bosetzky, H.: Die instrumentelle Funktion der Beförderung in: Verwaltungsarchiv 63, 1972 Seite 382 nach: Crozier, M.; Friedberg, G.: Macht und Organisation. Die Zwänge kollektiven Handelns, Königstein/Taunus 1979 Seite 14 Seite 308 von 430 des Systems.536 4.5.2 Autonomie und Organisation Handeln in Organisationen wird einerseits determiniert durch die Organisation, das System selbst mit seinen Strukturen und Zwängen; andererseits wird aber dieses System durch das Handeln der Akteure geschaffen und permanent reproduziert. Mikropolitik betrachtet insofern nicht nur die im System gegebenen Spielräume, sondern insbesondere deren beständige Verschiebung, Lockerung, Überschreitung und Neugestaltung durch mikropolitisches Handeln der Akteure und Gruppen im Unternehmen.537 Aus der Sicht des Individuums, welches in eine Organisation eintritt, indem es z. B. an einem Universitätsklinikum einen Arbeitsvertrag unterschreibt, stellt sich der Rollenwechsel wie folgt dar: Der Eintritt in die Organisation bedingt zumindest zu einem Teil die Aufgabe der eigenen Autonomie und die Unterordnung unter die Organisationszwecke und -zwänge. Dies bedient zwar einerseits das dem Menschen inne wohnende Sicherheitsbedürfnis, es konkurriert aber mit dem ebenfalls zumindest bei den meisten Menschen mehr oder weniger ausgeprägt vorhandenen Bedürfnis nach Selbstbestimmung und Autonomie. Das Individuum in seiner Rolle als Organisationsmitglied befindet sich sozusagen in einem ständigen „Kampf“ zwischen dem Bedürfnis, die eigene Autonomie weitgehend zu erhalten und zugleich sich unter die Organisationszwecke und Ziele unterordnen zu müssen. Gerne wird Organisation verstanden als ein weitgehend zweckrational determiniertes System. „Einerseits kann sie als horizontales und vertikales Arrangement von Positionen und Ressourcen verstanden werden, das den übergreifenden Zweckbestimmungen des Betriebes im Sinn einer Arbeitsorganisation entsprechen soll. Rückgekoppelt und legitimiert durch den institutionellen Rahmen, ist die Arbeitsorganisation eine skalare Struktur von Autoritätsdifferenzierungen, in denen sich Herrschaft ausdrückt. Doch die Organisation an sich verkörpert in systemtheoretischer Perspektive auch einen selbstbezüglichen Eigensinn, der Bestandssicherung aus routinierten Verfahrensweisen gewinnt, die nicht in jedem Fall das Maß an Rationalität verkör- 536 537 siehe: Crozier, M.; Friedberg, G.: 1979 ebenda Seite 138 vgl.: Küpper, W.; Ortmann, G. (Hrsg.): 1992 ebenda Seite 8 Seite 309 von 430 pern, das der rein instrumentellen Zweckbestimmung innewohnt.“538 So stehen in Organisationen eben Formelles neben Informellem, Pläne neben ungeplanten Ereignissen und Handlungen, offizielle neben inoffiziellen Normen und Regeln und all dies findet gleichzeitig statt und durchdringt sich gegenseitig. Mit Fragen der Autonomie ganzer Systeme befasst sich das Autopoiese-Konzept, welches davon ausgeht, dass es offensichtlich Systeme gibt, die sich selbst reproduzieren. „Der Begriff bezeichnet in der Systemtheorie eine Organisation der Operationen eines Systems, durch welche alle Elemente eines Systems durch die selektive Verknüpfung der Elemente dieses Systems erzeugt werden. Der Begriff impliziert, dass nur das System selbst seine Elemente erzeugen kann und in der tiefen Struktur seiner Selbststeuerung von seiner Umwelt unabhängig ist.“539 Es wird angenommen, dass soziale Systeme dann ohne Ausnahme sich als selbstreferenzielle autopoietische Systeme bilden und dass dies deshalb auch für organisierte soziale Systeme gelten muss.540 Orientiert man sich an dieser Theorie, können organisierte Sozialsysteme verstanden werden als Systeme, die aus Entscheidungen bestehen und die Entscheidungen, aus denen sie bestehen, durch die Entscheidungen, aus denen sie bestehen, selbst anfertigen.541 Die autopoietische Sicht der Organisation scheint nun erst einmal zu implizieren, dass hier eigentlich wenig Raum für Mikropolitik sei, geschieht doch die Entwicklung in der Organisation sozusagen wie von selbst. Dem ist nicht so. Die Erkenntnis über die Systemrelativität weist lediglich darauf hin, dass eine Organisation durch systemexterne Erwartungen und Appelle in der Regel nur wenig beeindruckbar ist. Der Hinweis auf den Stellenwert der organisationsinternen Entscheidungen ist aber zugleich der Hinweis darauf, dass die in der Organisation bestehenden Entscheidungsregeln und insbesondere die Entscheider selbst – auch in ihrer Rolle als Mikropolitiker – wesentlichen Einfluss auf das Organisationsgeschehen nehmen. Das Maß der Beeinflussbarkeit von Organisationen durch mikropolitisches Handeln ist in der Fachliteratur umstritten. Es gibt die Auffassung, dass es in großen Organisationen nur beschränkt Freiräume gäbe. „Die Dominanz bürokratischer Elemente 538 539 540 541 siehe: Prott, J.: 2001 ebenda Seite 186 nach: Willke, H.: 2000 ebenda Seite 246 siehe: Luhmann, N.: 1984 ebenda siehe: Luhmann, N.: Organisation, in: Küpper, W.; Orthmann, G.(Hrsg.): 1992 ebenda Seite 166 Seite 310 von 430 erscheint mir unbestreitbar; zu viel an Abläufen und Handlungen ist a priori festgelegt, ist unverrückbar in Routineprogramme gegossen, kann durch mikropolitisches Handeln im Wesentlichen nicht verändert werden, zumal in den unteren Rängen; der Schwanz kann nicht mit dem Hunde wedeln.“ 542 Mikropolitik wird gar als elementare Prozessfunktion angesehen, die die Umweltanpassung und Integration der Systemelemente sichern hilft.543 An anderer Stelle werden Organisationen als künstliche Gebilde verstanden, deren Lebensfähigkeit permanent bedroht ist durch die begrenzte Rationalität des Verhaltens der Organisationsmitglieder, durch die begrenzte Interdependenz der Organisationsmitglieder und die begrenzte Legitimität der Organisationsziele. „Kurzum, Organisationen, wie jede andere menschliche Gruppierung, können nur bestehen und sich entwickeln, wenn sie sich auf eine menschliche Strukturierung der ihnen zugrunde liegenden Handlungsfelder stützen können, durch die die ihr innewohnenden Zentrifugalkräfte in Schach gehalten und die nötige zwischenmenschliche Zusammenarbeit sichergestellt werden können.“544 Bei dieser Sichtweise wird unschwer erkennbar, dass Mikropolitik neben einer stabilisierenden vor allem auch eine destabilisierende Funktion zugeschrieben wird. Als interessante Variante sei noch die Sicht der Organisation als „Gesamtheit aneinander gegliederter Spiele“ erwähnt.545 Aus der Vielzahl der Erklärungen mikropolitischen Handelns in Organisationen mit der Spiele-Metapher sei die Typologie der Spiele von Caillois erwähnt.546 Auf der Grundlage der beiden Spielweisen „Paidia“ und „Ludus“ unterscheidet er die Spielformen „Agon, Alea, Mimicry und Ilinx“. Agon beschreibt den Wettkampf „bei dem eine künstliche Gleichheit der Chancen geschaffen wird, damit sich die Wettkämpfer unter idealen Bedingungen miteinander messen können, unter Bedingungen, die es ermöglichen, dem Triumph des Sieges als einen präzisen und unbestreitbaren Wert zu verleihen.“547 „Der Agon erweist sich als die reine Form der persönlichen Leistung und dient dazu, diese zum Ausdruck zu 542 543 544 545 546 547 siehe: Bosetzky, H.: Mikropolitik, Machiavellismus und Machtkumulation, in: Küpper, W.; Ortmann, G. (Hrsg.): 1992 ebenda Seite 37 siehe: Parsons, T.: The Social System, 4. Auflage New York 1963 nach: Friedberg, E.: Zur Politologie von Organisationen, in: Küpper, W.; Ortmann, G. (Hrsg.): 1992 ebenda Seite 39 nach: Crozier, M.; Friedberg, G.: 1979 ebenda Seite 69 siehe: Caillois, R.: Die Spiele und die Menschen. Maske und Rausch, Stuttgart 1960 siehe: Caillois, R.: 1960 ebenda Seite 21 Seite 311 von 430 bringen.“548 Übertragen auf die betriebliche Wirklichkeit geht es hier um den wirtschaftlichen Konkurrenzkampf, um Prüfungen, z. B. Examina oder auch um das Erreichen höherer Leistungszahlen. Alea (lat.: Würfelspiel) bezeichnet alle Spiele, die „auf einer Entscheidung basieren, die nicht vom Spieler abhängig ist und auf die er nicht den geringsten Einfluss hat, bei denen es infolge dessen weniger darum geht, einen Gegner zu besiegen, als vielmehr das Schicksal zu bezwingen…Der eigentliche Antrieb des Spieles ist gerade die Willkür des Zufalls.“549 „Alea erscheint wie eine unverschämte und überlegene Verhöhnung jeder persönlichen Leistung. Es setzt seitens der Spieler eine Haltung voraus, die derjenigen des Agon genau entgegengesetzt ist. Dort rechnet der Spieler nur mit sich selbst. Beim Alea verlässt er sich auf alles, nur nicht auf sich selbst.“550 Übertragen auf die Wirtschaftswelt kann man hier z. B. Börsenspekulationen assoziieren. Mimicry fußt auf der zeitweiligen Annahme einer Illusion. Das Spiel besteht darin, „selber zu einer illusionären Figur zu werden und sich dementsprechend zu verhalten. Man steht einer Reihe verschiedener Manifestationen gegenüber, deren gemeinsamer Grundzug es ist, dass das Subjekt spielt, es glaube oder möchte andere glauben machen, dass es etwas anderes als es selbst sei. Der Mensch vergisst, verstellt sich, er entäußert sich vorübergehend seiner Persönlichkeit um dafür eine andere vorzutäuschen.“551 Das betriebliche Mimicry ist vielfältig: Es reicht von Ritualen und Zeremonien über tatsächliche „Verkleidungen“, z. B. dem weißen Kittel, den der Arzt auch dann nicht ablegt, wenn er zum Mittagessen im Casino seine Patienten verlässt, bis zum Starkult, der gerade in größeren Organisationen zunehmend Raum greift. Als Ilinx werden jene Spiele bezeichnet, „die auf dem Begehren nach Rausch beruhen und deren Reiz darin besteht, für einen Augenblick die Stabilität der Wahrnehmung zu stören und dem klaren Bewusstsein eine Art wollüstige Panik einzuflößen. Es geht hier stets darum, sich in einen tranceartigen Betäubungszustand zu verset- 548 549 550 551 siehe: Caillois, R.: 1960 ebenda Seite 22 nach: Caillois, R.: 1960 ebenda Seiten 24f nach: Caillois, R.: 1960 Seite 25 nach: Caillois, R.: 1960 ebenda Seiten 27 f Seite 312 von 430 zen, der mit kühner Überlegenheit die Wirklichkeit verleugnet.“552 Ilinx geht einher mit einem Rausch „moralischer Art, eine plötzliche das Individuum ergreifende Besessenheit. Meist tritt dieses Schwindelgefühl zusammen mit dem normalerweise unterdrückten Hang zur Unordnung und Zerstörung auf. Es bringt primitive und brutale Formen der Selbstbehauptung zum Ausdruck.“553 In der Wirtschaftswelt ist dieses Phänomen bei Berufen zu finden, deren Ausübung die Beherrschung des Rausches voraussetzt, etwa im alpinen Sport oder bei professionellen Skispringern. Untersuchungen zu den Gründen der signifikant höheren Alkoholabhängigkeit unter Chirurgen identifizieren bei diesem Beruf durchaus vergleichbare Anforderungen. Die Spielweisen „Paidia“ und „Ludus“ bezeichnen die beiden Extreme zwischen Chaos (Paidia) auf der einen und Disziplin bzw. Regelhaftigkeit (Ludus) auf der anderen. Zurück zum Kernstück der Mikropolitik: Entscheidungsprozesse in Organisationen erscheinen als politische Prozesse, ihre Akteure als Mikropolitiker. „Ihre Vernunft kann nicht errechnet werden, nicht als one best way gegeben sein. Auf der Strecke bleibt sie, solange die Rationalität der Organisation wie die Effizienz einer Maschine erwartet wird; solange sie nicht als kontingentes Resultat politisch praktischen Handelns und andauernder Kommunikation unter Mikropolitikern aufgefasst wird.“554 Gleichwohl bleibt es dabei, dass keine Organisation lauter selbststeuernde Menschen verträgt. Sie ist eben „keine Versammlung von individualistischen Intrapreneurs – davon kann man sich nur wenige leisten. Organisationen sind Veranstaltungen zur Beherrschung von Anarchie und Willkür, die sie andererseits jedoch ungewollt erzeugen und vermutlich sogar zum Überleben benötigen.“555 Dabei darf getrost als unbestritten gelten, dass eine verlässliche Akzeptanz von Entscheidungen in Organisationen die Bedingung für die Lebensfähigkeit der Organisation darstellt.556 Macht und Freiheit, Abhängigkeit und Autonomie bedingen einander – dies wird in Organisationen per se und in Unternehmen im speziellen deutlich. Universitätsklinika bieten mit ihrem bisweilen extrem und anachronistisch anmutenden Nebeneinander von nahezu archaischen Machtstrukturen und ausgeprägtem Autoritätsgehabe einer552 553 554 555 556 siehe: Caillois, R.: 1960 ebenda Seite 32 siehe: Caillois, R.: 1960 ebenda Seite 33 siehe: Küpper, W.; Ortmann, G. (Hrsg.): 1992 ebenda Seite 9 siehe: Neuberger, O.: 1994 ebenda Seiten 11 f siehe: Martens, W.: Organisation, Macht und Kritik, in: Küpper, W.; Ortmann, G. (Hrsg.): 1992 ebenda Seite 187 Seite 313 von 430 seits und streng gehüteten Autonomierechten und Freiheitsräumen andererseits ein besonders anschauliches Beispiel. Die Hinweise der Personalverantwortlichen der Universitätsklinika als Experten meines Forschungsprojekts, die Frage, ob Personalentwicklung als Thema im eigenen Unternehmen durchsetzbar sei, hänge entscheidend von den wichtigen, hierarchisch hoch angesiedelten Akteuren ab, gibt hiervon Zeugnis. Bisweilen bleibt ihnen nur die Hoffnung auf einen personellen Neuanfang.557 4.5.3 Macht im Betrieb Die bekannteste Definition von Macht in der ökonomischen Theorie definiert diese als jede Chance, innerhalb einer sozialen Beziehung den eigenen Willen auch gegen Widerstreben durchzusetzen, gleichviel worauf diese Chance beruht.558 Ein Akteur A übt in dem Maße Macht über B aus, als er B dazu bringen kann, etwas zu tun, was B sonst nicht getan hätte.559 Macht findet folglich in jeder nur denkbaren sozialen Beziehung statt, zwischen Eltern und Kindern, Staat und Bürger, Lehrer und Schüler und eben auch zwischen Vorgesetzten und Mitarbeitern, Betrieb und Beschäftigten. Herrschaft als Sonderform der Macht unterscheidet Max Weber nach Herrschaftskraft Interessenkonstellation und Herrschaftskraft Autorität. Bei der Herrschaftskraft Interessenkonstellation fügt sich der Beherrschte aus zweckrationalen Motiven. Er gehorcht, weil dies unter den gegebenen Bedingungen seinen eigenen Interessen entspricht. Der Stumme Zwang der herrschenden Verhältnisse übt Macht aus. Die Herrschaftskraft Autorität beruht dagegen auf einer „von allen Motiven und Interessen absehenden schlechthinigen Gehorsamspflicht.“560 In der Fachliteratur gibt es eine Vielfalt von Machtdefinitionen, die auf die eine oder andere Weise Bezug auf die Webersche Definition nehmen. Macht ist dabei keine Eigenschaft der Akteure, sondern eine Beziehung zwischen Akteuren.561 Während viele Menschen mit der Existenz von Machtverhältnissen etwas Negatives assoziieren, ist in der Fachliteratur unbestritten, dass Macht eine ordnungspolitisch wichtige 557 siehe Teil II Abschnitte 3.2.4 Top down – Klinikumsvorstand und Personalentwicklung sowie 3.3.1. Problembewältigung und Personalentwicklung 558 siehe Weber, M.: Wirtschaft und Gesellschaft, Grundriss der verstehenden Soziologie, 5. Auflage Tübingen 1985 Seite 28 559 siehe: Duda, H.; Fehr, E.: Macht und Ökonomie, in: Küpper, W.; Ortmann, G. (Hrsg.): 1992 ebenda Seite 133 560 siehe: Weber, M.: 1985 ebenda Seite 542 561 siehe: Crozier, M.; Friedberg, G.: 1979 ebenda Seite 39 Seite 314 von 430 Größe darstellt. Sie „stellt sozusagen mittels der Bildung von sozialen Systemen, insbesondere organisierte Systeme bereit und leistet so einen Beitrag zur gesellschaftlichen Ordnung. Vor allem bei der (Re)Produktion der gesellschaftlichen Subsysteme Ökonomie und Politik spielt Macht auf diese Weise eine wichtige Rolle.“562 Im Zentrum der wichtigen Foucaultschen Studien über Macht stehen die Machtbeziehungen. Macht wird als ein produktives Netz, das die Gesellschaft durchzieht, bezeichnet. Macht ist eine zwiespältige produktive Größe. Verschiedene Kräfte bewegen sich in einem komplexen, produktiven Netzwerk, in welchem sich die Pole permanent verschieben. Diese Kräfteverhältnisse implizieren Macht, sie erzeugen „durch ihre Ungleichheit unablässig Machtzustände, die immer lokal und instabil sind.“563 Macht ist in sozialen Beziehungen omnipräsent. Sie wird nicht von einer gesellschaftlichen oder betrieblichen Instanz besessen und ausgeübt. „Die Frage lautet nicht, wie Macht sich manifestiert, sondern wie sie ausgeübt wird, also was da geschieht, wenn jemand, wie man sagt, Macht ausübt. (….) In Wirklichkeit sind Machtbeziehungen definiert durch eine Form von Handeln, die nicht direkt und unmittelbar auf andere, sondern auf deren Handeln einwirkt. Eine handelnde Einwirkung auf Handeln, auf mögliches oder tatsächliches, zukünftiges oder gegenwärtiges Handeln.“564 Macht wird als grundlegendes Entwicklungs- und Integrationsprinzip der modernen Gesellschaft verstanden. Sie verifiziert sich in unterschiedlichsten Formen in jeweils eigener Funktionsweise. In Anlehnung an Foucault könnte man sagen: Universitätsklinika sind Archipel aus verschiedenen Mächten.565 Macht zirkuliert in einem Netzwerk. „Und über dieses Netz zirkulieren die Individuen nicht nur, sondern sind auch stets in der Lage, diese Macht zu erleiden und auch sie auszuüben; sie sind niemals die träge oder zustimmende Zielscheibe der Macht; sie 562 563 564 565 siehe: Martens, W.: Organisation, Macht und Kritik in: Küpper, W.; Ortmann, G. (Hrsg.): 1992 ebenda Seite 188 siehe: Foucault, M.: Sexualität und Wahrheit, Band 1: Der Wille zum Wissen, Frankfurt 1976 Seite 114 siehe: Foucault, M.: Subjekt und Macht, in: Foucault, M.: Schriften in vier Bänden, Band IV, herausgegeben von Defert, D. und Ewald, F., Frankfurt/Main 2005 Seiten 281 und 285 siehe: Foucault, M.: Die Maschen der Macht, in: Foucault, M.: Schriften in vier Bänden, Band IV, ebenda Seite 229 Seite 315 von 430 sind stets deren Überträger.“566 Macht und Freiheit bedingen sich gegenseitig, Freiheit wird als Voraussetzung der Macht betrachtet, „als Vorbedingung, insofern Freiheit vorhanden sein muss, damit Macht ausgeübt werden kann, und auch als dauerhafte Bedingung, denn wenn die Freiheit sich der über sie ausgeübten Macht entzöge, verschwände im selben Zuge die Macht und müsste bei reinem Zwang oder schlichter Gewalt Zuflucht suchen.“567 In der Macht erkennt Foucault eine autonome Wirklichkeitsebene, auf der sich spezifische Handlungen vollziehen. Entscheidend ist deswegen, in welcher Form sie sich darstellt und wie die Machtbeziehungen beschaffen sind. Da es Macht immer gibt, ist es ein aussichtsloses Unterfangen, sie überwinden oder aus ihr heraustreten zu wollen. Eine für die Auseinandersetzung mit Macht im Betrieb hilfreiche Differenzierung in instruktive Macht und destruktive Macht findet sich bei Kraus: „Mit der Kategorie der instruktiven Interaktion sollen Interaktionen bezeichnet werden, die das Verhalten oder Denken des Gegenübers determinieren. Im Unterschied dazu soll die Kategorie der destruktiven Interaktion ein Interagieren bezeichnen, das die Möglichkeiten des Gegenübers reduziert. Basierend auf dieser Unterscheidung soll instruktive Macht die Möglichkeit zu instruktiven Interaktionen bezeichnen, während destruktive Macht aus der Chance zur Reduktion von Möglichkeiten, also aus der Chance zu destruktiven Interaktionen resultiert.“568 Destruktive Macht schränkt somit die Möglichkeiten für einen Menschen oder eine Gruppe ein, indem bestimmte Optionen ausgeschlossen bzw. „zerstört“ werden. Instruktive Macht ist in Abgrenzung dazu darauf aus, einen Menschen oder eine Gruppe zu steuern, das Verhalten oder Denken zu determinieren. Destruktive Macht ist unabhängig vom Eigensinn des Betroffenen, während diese grundsätzlich immer die Möglichkeit haben, sich instruktiver Macht zu verweigern. Unter Verweis auf Bourdieu werden sprachliche Monopole als Mittel destruktiver 566 567 568 siehe: Foucault, M.: Vorlesung vom 14. Januar 1976, in: Foucault, M. (Hrsg): Schriften Band III Frankfurt /Main 2003 Seite 238 Foucault, M.: Subjekt und Macht, in Foucault, M.(Hrsg): Schriften Band IV Frankfurt/Main 2005 Seite 287 siehe: Kraus, B.: Konstruktivismus – Kommunikation – soziale Arbeit. Radikalkonstruktivistische Betrachtungen zu den Bedingungen des sozialpädagogischen Interaktionsverhältnisses, Heidelberg 2002 Seite 183 Seite 316 von 430 Macht erwähnt. Indem Gruppen eine eigene, für ihren Diskurs notwendige Sprache sprechen, schließen sie zugleich alle anderen von diesem Diskurs aus. Ein anschauliches Beispiel liefert im Gesundheitswesen die Medizinersprache, die Patienten und auch andere Berufsgruppen aus dem Diskurs über Medizin und Heilung tendenziell ausschließt. Die asymmetrische Machtbeziehung zwischen Arzt und Patient wird dadurch gesichert. Wissen wird vorenthalten und die „Unwissenden“ werden dadurch an bestimmten Überlegungen oder Handlungen gehindert, ihre Möglichkeiten werden reduziert und somit wird auch auf kognitiver Ebene destruktive Macht ausgeübt. Dieser Hinweis gilt natürlich nicht nur für die Medizinersprache, es gibt zahlreiche sprachliche Subkulturen vor allen Dingen im wissenschaftlichen Bereich oder auch in betrieblichen Machthierarchien, manifestiert z. B. im sich ausbreitenden Managementjargon. Auch beim Vorenthalten von Ressourcen handelt es sich ebenso wie beim Vorenthalten von Wissen um gesellschaftlich wie betrieblich relevante Phänomene destruktiver Macht. Von instruktiver Macht als soziales Phänomen ist dann auszugehen, wenn der Betroffene entgegen seinen eigenen Intentionen den instruktiven Vorgaben des Mächtigen folgt, weil er ihm diese Macht zuschreibt – im Betrieb ein Alltagsphänomen. Den zahlreichen Managementtheorien zu Unternehmenskultur und deren Wandel liegt zumeist die idealistische Vorstellung zu Grunde, über Ziele und Visionen ließe sich ein Kulturwandel vollziehen. Übersehen wird dabei, dass es gerade bei der Durchsetzung und Veränderung von Kultur sehr massiv auch um Macht, soziale Position und Autorität geht.569 Neben vielen anderen Mitteln zur Ausübung von Macht im Unternehmen wird in der Literatur des öfteren z. B. das Don Corleone Prinzip genannt, bei dem der Machtpotenzierer anderen hilft und dann später von diesen hierfür eine Gegenleistung verlangt.570 Ebenfalls weit verbreitet ist ein Verhalten mit dem Ziel, andere glauben zu machen, man hätte ein sehr viel größeres Machtpotential als man im Ernstfall wirk- 569 570 siehe: Schoenberger, E.: The Cultural Crisis of the Firm, Cambridge, Mass.-Oxford 1997 sowie Mikl-Horke G.: 2000 ebenda Seiten 230 f so z. B. bei Bosetzky, H.: Das Don Corleone Prinzip in der öffentlichen Verwaltung, in: BadenWürttembergische Verwaltungspraxis 1. Seite 317 von 430 lich aktivieren kann.571 Ebenfalls erwähnenswert erscheint mir die Erkenntnis, dass ökonomische oder formale Rationalität gerade unter den Bedingungen von Unsicherheit eher einen machtspendenden Mythos darstellt, der betriebliches Handeln und Entscheiden nach Innen und Außen legitimiert. Dieser Mythos von der Rationalität des ökonomischen Prinzips in privaten Unternehmen „beugt gesellschaftlichem Legitimationsverfall, der mit der Einsicht in den politischen Charakter vieler betrieblicher Entscheidungen verbunden sein könnte“ vor.572 Diese Rationalitätsmythen wirken auch dadurch stabilisierend auf die Organisation, dass sie auf die Interaktion zwischen den Organisationsmitgliedern einwirken und deren zur mikropolitischen Interessendurchsetzung gewählte Strategien sozusagen begrenzen.573 4.5.4 Hierarchische Strukturen und Macht im Krankenhaus Das Krankenhauswesen Deutschlands zeichnet sich weit überwiegend durch eine traditionell hierarchische Organisation mit einem hohen Grad an Formalismus und Zentralisation aus. Den überwiegend nach dem Linienmodell gesteuerten Krankenhäusern wird bescheinigt, sie gehörten wohl zu den hierarchischsten Unternehmen der Gegenwart.574 Aus der Vielzahl der Gründe für die hierarchische Ausrichtung sollen nachstehende 571 572 573 574 siehe: Bosetzky, H.: Mikropolitik, Machiavellismus und Machtkumulation, in: Küpper, W.; Ortmann, G. (Hrsg.): 1992 ebenda Seite 32 siehe: Berger, U.: Rationalität, Macht und Mythen, in: Küpper, W.; Ortmann, G. (Hrsg.): 1992 ebenda Seiten 127 f siehe: Pietsch, G.: Wertorientierte Personalarbeit zwischen Mythos und Mikropolitik, in: Zeitschrift für Personalforschung, 20. Jg., Heft 2, Mehring 2006 Seite 169 Bisweilen finden sich in der Literatur hierfür recht deftige Beschreibungen, die den Krankenhäusern bescheinigen, sie seien "mitunter noch nach obrigkeitsstaatlichen Prinzipien geführt" (siehe: Winter, U.; Sabin, G.; Rötzscher, V. (Hrsg.): Modernes Krankenhausmanagement, Stuttgart 1997 Seite 117) oder es werden „feudale Herrschaftsstrukturen mit den Fürsten an der Spitze und Vasallen in der Belegschaft" diagnostiziert (siehe: Huber, E. in: Die Zeit 16.10.1992, zitiert nach: Meyer, J.: Menschen im Krankenhaus in: Die Schwester/Der Pfleger 8/93 Seite 700); vergleiche auch: Eichhorn, S.: Krankenhausmanagement - Führungsaufgaben und Leitungsorganisation, in: führen & wirtschaften 4/91 Seite 244 sowie Grossmann, R.: Das Krankenhaus auf dem Weg zur „lernenden Organisation“, in: Gruppendynamik 26. Jg. Heft 2, 1995 Seite 209 sowie Krainz, E.: 1995 ebenda Seite 197 sowie Krczal, A.: Beiträge zur Praxis des Krankenhausmanagements: Festschrift Michael Hofmann zum 60. Geburtstag, Wien 1992 Seite 105 sowie Morra, F.: Festschrift Michael Hofmann zum 60. Geburtstag, Wien 1992 Seite 166 sowie Trill, R.: Informieren, Inspirieren und Umsetzen ist besser als über Qualitätsmanagement zu reden, in: Krankenhausumschau 9/97 Seite 708 Seite 318 von 430 hervorgehoben werden: • Krankenhäuser sind durch starke Machtverhältnisse gekennzeichnet, in deren Mittelpunkt die ausgeprägte Abhängigkeit des Patienten und die außergewöhnlich starke Stellung der Ärzteschaft steht.575 • Konkurrenz und Abteilungsegoismus in den Leitungsgremien sind stark ausgeprägt. Dieser Aspekt der Krankenhaushierarchie wird in Universitätsklinika dadurch verstärkt, dass dort ärztliche Abteilungsleiter zugleich als Hochschullehrer weitgehende Autonomierechte besitzen. Diese autonomen Entscheidungsrechte können letztlich auch durch Entscheidungen des höchsten Leitungsgremiums Klinikumsvorstand nur unzureichend begrenzt werden. • Traditionell wird medizinische Arbeit nicht diskutiert, sondern von oben nach unten angeordnet. Die starre Hierarchie in den Krankenhäusern gerät zusehends in die Kritik, da immer deutlicher wird, dass diese Organisationsform den Anforderungen einer sich schnell ändernden Krankenhausumwelt ebenso wenig gerecht wird, wie den sich verändernden Anforderungen der Beschäftigten und der zunehmenden Komplexität des Krankenhausbetriebes.576 Eine hierarchische Struktur führt zu langen Entscheidungswegen und behindert Flexibilität, sie dämpft die Arbeitszufriedenheit der Mitarbeiter, die eher zum Unterlassen, als zum Unternehmen motiviert werden. Letztlich wird durch die vertikal versäulte Organisationsstruktur die Qualität der Arbeitsleistung und in Folge der Patientenversorgung in Frage gestellt.577 Dass die Schaffung von Entscheidungsfreiräumen im Arbeitsalltag als ein Element von Partizipation und Enthierarchisierung eine wichtige Rolle für Personalentwicklung zukommt, wird in den Experteninterviews meiner Forschungsarbeit bestätigt. Ebenso die für die Unternehmensentwicklung schädliche Wirkung der mangelhaften Koope- 575 576 577 in Anlehnung an: Grahmann, R.; Gutwetter, A.: Konflikte im Krankenhaus, Bern, Göttingen, Toronto, Seattle, 2. Auflage 2000 Seite 14 sowie Nolte, A.: „Schwester, können Sie das heute mal übernehmen?“, in: Heilberufe – Das Pflegemagazin Berlin 12/2007 Seiten 45 f sowie Degenhardt, J.: 1998 ebenda Seite 26 sowie Sidamgrotzki, E.: Kompendium des integrierten Krankenhausmanagements, Lengwil 1994 Seite 306 in Anlehnung an: Krainz, E.: 1995 ebenda Seite 197 vergleiche: Trill, R.: Krankenhausmanagement - Aktionsfelder und Erfolgspotentiale, Neuwied, Kriftel, Berlin 2. Auflage 2000 Seite 121 sowie Besser, G.; Hildebrandt, H.: Teamarbeit und Kooperation - Illusion oder Notwendigkeit zur Qualitätssicherung? in: Krankenhausumschau 1/97, Seite 28 sowie Köster, J., in: Eichhorn, S. (Hrsg.): Motivation im Krankenhaus: Tagungsbericht zum 21. Colloquium Gesundheitsökonomie der Robert-Bosch-Stiftung, Gerlingen 1990 Seite 49 Seite 319 von 430 ration der Berufsgruppen, die nicht zuletzt dem Machterhalt der jeweiligen Akteure dient.578 4.5.5 Personalentwicklung vor dem Hintergrund von Mikropolitik Mikropolitische Aktivitäten können Personalentwicklung deutlich behindern. Sachliche Auseinandersetzungen werden nicht selten durch die drei wesentlichen Faktoren politischer Prozesse, nämlich Macht, Interessen und Konflikte überlagert.579 Folgt man der eingangs dargestellten Definition von Mikropolitik, nach welcher der Mikropolitiker persönliche Ziele, insbesondere seinen Aufstieg im System und die Sicherung und Verbesserung seiner eigenen Existenzbedingungen im Fokus hat, wird zumindest jener Sicht von Personalentwicklung eine klare Grenze aufgezeigt, die da meint, Methoden entwickeln zu können, die letztlich dazu führen, Menschen im Unternehmen anzupassen und auszurichten. Das Wissen um das Phänomen der Mikropolitik offenbart das „personalwirtschaftliche Dilemma“580: Personal wird als planbare und als unplanbare Größe gebraucht. Gefordert sind seine Disponibilität, die Bereitschaft und Fähigkeit zur schnellen Anpassung und sein Eigensinn im Sinne von Querdenken und manchmal auch –handeln, um die Widersprüche herauszufordern, die letztlich Entwicklung fördern. Insofern ist es vornehme Aufgabe der Personalentwicklung, beides im Fokus zu behalten: Das Fördern von Kreativität und die zielgerichtete Qualifizierung. Dass dies auf der Schaubühne der Mikropolitik Universitätsklinikum eine besonders spannende Herausforderung ist, wurde bereits geschildert. Dass es gerade in einem Universitätsklinikum auch von besonderer Bedeutung ist, um die Zentrifugalkräfte des mikropolitischen Handelns zumindest ein Stück weit zu bändigen, sei ergänzend hinzugefügt. Reflektierend auf die Ergebnisse der vorgelegten Forschungsarbeit bleibt festzuhalten: Personalentwicklung braucht Treiber und Unterstützer, diese wiederum sind auf Bündnisse und Koalitionen angewiesen, um sich durchsetzen zu können. Zu glauben, ein einmal entwickeltes Konzept oder ein positiver Vorstandsbeschluss garan- 578 579 580 siehe u.a. Teil II Abschnitte 3.2.9 Zusammenarbeit der Berufsgruppen sowie 3.2.11 Entwicklungsförderliche Arbeitsgestaltung siehe: Rosenthal, T.; Wagner, E.: 2004 ebenda Seite 81 siehe: Krell, G.; Ortmann, G.: Personal, Personalwirtschaft, Beschäftigungskrise, in: Staehle, W. H.; Stoll, E. (Hrsg.): Betriebswirtschaftslehre und ökonomische Krise. Kontroverse Beiträge zur betriebswirtschaftlichen Krisenbewältigung, Wiesbaden 1984 Seite 320 von 430 tierten schon eine stabile Personalentwicklung, wäre naiv. Die vielen Beispiele aus den Interviews der Personalexperten der Universitätsklinika zeigen – positiv wie negativ – dass Personalentwicklung von mikropolitischen Rahmenbedingungen in starkem Maße beeinflusst wird. Die plastische Schilderung, Personalentwicklung sei letztlich Glaubenssache: Solange die wichtigsten Entscheider glauben, das bringe etwas, werde Personalentwicklung unterstützt und wenn sie diesen Glauben verlieren, sei nichts zu machen – diese hilflose Schilderung eines Interviewten bringt es auf den Punkt:581 Die Wirksamkeit von Personalentwicklung und deren Bedeutung im einzelnen Krankenhaus wird beeinflusst davon, ob es gelingt, mächtige Verbündete für Personalentwicklung zu interessieren. Die in den Interviews wiederholt formulierte Hoffnung, mit neuen Personen in der Führungsspitze könne die Offenheit und das Interesse gegenüber Personalentwicklung besser werden, bestätigt diese Erkenntnis. Und folgt man den Erkenntnissen zur Mikropolitik, interessieren sich mächtige Spieler in Organisationen nur dann nachhaltig für ein Thema, wenn dieses ihnen in ihrer Position und Macht zum Vorteil gereicht. Die Akteure der Personalentwicklung müssen sich in mikropolitischen Gegebenheiten nicht nur zu bewegen wissen, sie müssen sie auch adaptieren können. Darüber hinaus muss die Fähigkeit geschult werden, mikropolitische Gegebenheiten zu erkennen und mit diesen umgehen zu können, damit vor allem die wissbegierigen, jungen, aufstrebenden Mitarbeiter, die sich mit Energie und Enthusiasmus auf Personalentwicklungsangebote stürzen, nicht nach wenigen Jahren im oftmals schwer durchschaubaren Dschungel mikropolitischer Spiele frustriert auf der Strecke bleiben. Einige Interviewpartner berichten aus eigener Anschauung, zum Teil aus eigener Erfahrung über Versuche, Personalentwicklung mit Engagement zu implementieren, die dann letztlich an nicht verstandenen Machtspielen gescheitert sind. Andere berichten von Koalitionen mit einflussreichen Personen, deren Hinweis schon ausreichend war, Vorbehalte gegen Personalentwicklung zu zerstreuen und Widerstände zu brechen. Die Erkenntnisse zur Mikropolitik lassen sich im Ergebnis des Forschungsprojekts auch an einem weiteren Punkt festmachen: Es gibt keinen absolut richtigen und besten Weg der Personalentwicklung in einem Krankenhaus. Dies bestätigen die geschilderten zahlreichen unterschiedlichen Vorgehensweisen und Realitäten an den 581 siehe Teil II Abschnitt 3.3.1 Problembewältigung und Personalentwicklung, Interview H Seite 321 von 430 Universitätsklinika. Die Erkenntnis, dass die richtigen und passenden Personalentwicklungswege schon zwischen verschiedenen Abteilungen deutlich variieren können, ist durchgängig festzustellen. Und letztlich entscheidet sich die Wirkmächtigkeit der obersten Personalverantwortlichen im jeweiligen Universitätsklinikum auch an der Fähigkeit, sich im mikropolitischen Ränkespiel seines Universitätsklinikums geschickt zu bewegen. Seite 322 von 430 Teil III: ENTWICKLUNG EINES RAHMENKONZEPTS FÜR EINE INTEGRIERTE PERSONALENTWICKLUNG AM BEFORSCHTEN UNIVERSITÄTSKLINIKUM 1 Theoretische Grundlagen für die Personalentwicklung In der Personalführung setzt sich die Erkenntnis zunehmend durch, dass die Versuche von Führungspersonen, ihre Mitarbeiter motivieren zu wollen, nicht zum gewünschten Erfolg führen.582 Aufgabe von Vorgesetzten ist es stattdessen, die Rahmenbedingungen so zu gestalten, dass diese von eigenverantwortlich handelnden Mitarbeitern angenommen, interpretiert werden und in ihr Handeln einfließen können. Bedürfnisse, Motive und Motivation sind etwas sehr individuelles. Diesem Wissen folgt die Erkenntnis, dass die zentrale Zuständigkeit und Verantwortung für die Motivation beim Individuum selbst anzusiedeln ist. Aufgabe der Führungskraft und Aufgabe der Personalentwicklung bleibt es da, Motivationslagen von Mitarbeitern zu erkennen und zu akzeptieren, und gemeinsam Arbeitsinhalt und Anforderung damit unter einen Hut zu bekommen. Nicht zuletzt geht damit die Erkenntnis über die grundsätzliche Begrenztheit jedweder Form von Personalentwicklungsmaßnahmen einher. Der nachstehende Blick auf den Stand der Motivations- und Führungsforschung soll zu einer theoriefundierten realistischen Sichtweise auf Personalentwicklung und Führungsalltag verhelfen. Gender Mainstreaming und Diversität sind weitere Themen, die in die Personalentwicklung hineinwirken und Potential bergen, den Blickwinkel der Personalentwicklung deutlich zu erweitern. Gender Mainstreaming zielt darauf ab, in alle Entscheidungsprozesse die Perspektive der sozialen Geschlechterverhältnisse einzubeziehen mit dem Ziel der Gleichstellung der Geschlechter auf allen gesellschaftlichen Ebenen. Unter dem Schlagwort "Diversität" oder auch "Diversity" wird eine spezielle Ausrichtung des Managements von Unternehmen und der Unternehmenskultur an der Vielfalt der Mitarbeiter im Betrieb propagiert. Mit dem Diversity Management soll die Wahrnehmung, Anerkennung und Nutzung von Vielfalt in Organisationen und Institutionen gefördert werden. Ausgangspunkt ist die Überlegung, dass Vielfalt das Zu- 582 siehe: Sprenger, R. K.: Das Prinzip Selbstverantwortung: Wege zur Motivation, 10. Auflage Frankfurt, New York 1999 sowie Malik, F.: Führen, Leisten, Leben; Stuttgart, München, 3. Auflage 2001 Seite 323 von 430 sammenleben und die Produktivität im Unternehmen durch das bewusste Aufeinandertreffen alternativer Wahrnehmungs-, Denk- und Handlungsmuster bereichert. Eine Personalentwicklung, die den Anspruch erhebt, integriert zu sein und integrierend zu wirken, hat die Genderperspektive ebenso zu berücksichtigen, wie den Aspekt der Diversität. 1.1 Zur Theorie der Bedürfnisse und der Motivation In der Personalführung werden zwei Funktionsbereiche unterschieden: Die Lokomotionsfunktion umfasst diejenigen Vorgänge und Maßnahmen, die darauf zielen, das Verhalten eines oder mehrerer Mitarbeiter im Hinblick auf die Erfüllung der Sachziele zu steuern. In den letzten Jahren wurde diese Funktion der Menschenführung durch einen dynamischen Aspekt erweitert, wonach Menschenführung auch die Schaffung von Bedingungen, in denen sich die Kreativität der Mitarbeiter entfalten kann, umfasst. Soweit damit auf den Zusammenhalt und die Loyalität innerhalb der Mitarbeiterschaft gezielt wird, spricht man von Kohäsionsfunktion. Motivation bezeichnet Vorgänge und Faktoren, die zielgerichtetes menschliches Verhalten auslösen, sie begründet ein bestimmtes Verhalten eines Menschen durch die Aktivierung von Motiven. Der Grad der Übereinstimmung der Motivation der Mitarbeiter mit den Leistungserfordernissen zur Erreichung der Unternehmensziele entscheidet in Krankenhäusern als personalintensiven Dienstleistungsunternehmen in besonderem Maße über Erfolg oder Misserfolg. Zugleich ist Motivation zum Schlag- und Zauberwort der Management Consultants geworden. Vor allem in Unternehmen "muss Motivation zur Erklärung aller denkbaren Ereignisse herhalten."583 Spätestens seit Sprengers "Mythos-Motivation" ist das Paradigma, Führungskräfte müssten zuvorderst die Kunst beherrschen, ihre Mitarbeiter zu motivieren, auch in der Populärliteratur des Managements eigentlich entzaubert. Trotzdem hält sich die Mär hartnäckig, mit geschickter und professioneller Führung könne es gelingen, motivational Lahme zum Gehen zu bringen. Hierzu später mehr. Zuerst ein Blick auf den Stand der Motivations- und Führungsforschung. 583 siehe: Nerdinger, F. W.: Motivation und Handeln in Organisationen, Stuttgart 1995 Seite 9 Seite 324 von 430 1.1.1 Bedürfnisse, Motive, Motivation Die individuellen Bedürfnisse eines Menschen sind die Grundlage seiner Motivation. Bedürfnisse werden als das Empfinden eines Mangels definiert. Strebt der Mensch danach, den Mangelzustand abzustellen, also das Bedürfnis zu befriedigen, führt dies zu einer entsprechenden Verhaltensbereitschaft, die als Motiv bezeichnet wird. Motive als Antrieb menschlichen Verhaltens schwanken zwischen Mangelzustand und Sättigung periodisch hin und her. Motive gelten somit als "handlungsleitende Wirkgrößen".584 Sie drücken sich aus im Streben nach Leistung, Anschluss, Macht, Neugier, Aggression, Sexualität, Hunger und Angst. Motive sind "ausgedehnte, nicht vollständig bewusste, kognitiv emotionale Netzwerke, die aus autobiografischem Erfahrungswissen abstrahiert wurden, um möglichst viele dem jeweiligen Kontext angemessene Handlungsoptionen generieren zu können, sobald das Bedürfnis, das den Kern des jeweiligen Motivs ausmacht, anwächst.585 "Alles, was Situationen an Positivem oder Negativem einem Individuum verheißen oder andeuten, wird als Anreiz bezeichnet, der einen Aufforderungscharakter zu einem entsprechenden Handeln hat. Dabei können Anreize an die Handlungstätigkeit selbst, das Handlungsergebnis und verschiedene Arten von Handlungsergebnisfolgen geknüpft sein."586 Motive werden aktiviert, wenn Anreize die vorhandene Verhaltensbereitschaft aktivieren. Diese Aktivierung der Verhaltensbereitschaft mit dem Ziel der Bedürfnisbefriedigung wird Motivation genannt. Es wird deutlich, dass Motivation aufgrund der speziellen Mensch–Situation–Interaktion individuell sowohl bezüglich des Inhalts wie auch der Stärke und der Nachhaltigkeit sehr unterschiedlich ist und auch bezüglich des Individuums selbst im Zeitverlauf Schwankungen und Veränderungen unterliegt. Die individuell geprägte Verhaltensbereitschaft eines Menschen ist abhängig von seiner Motivationsstruktur. Die Motivationsstruktur wird einerseits durch angeborene 584 585 586 siehe: Kleinbeck, U.: Handlungsziele in: Heckhausen, J.; Heckhausen, H. (Hrsg.): Motivation und Handeln, 3. Auflage, Heidelberg 2006 Seite 267 siehe: Kuhl, J.: Individuelle Unterschiede in der Selbststeuerung, in: Heckhausen, J.; Heckhausen, H.: 2006 ebenda Seite 307 siehe: Heckhausen, J.; Heckhausen, H.: Motivation und Handeln: Einführung und Überblick, in: Dieselben 2006 ebenda Seite 5 Seite 325 von 430 Bedürfnisse und andererseits durch Werte587 und Einstellungen588 bestimmt. Im Rahmen der Motivationsstruktur spielt auch das individuelle Anspruchsniveau eine große Rolle. Damit ist das individuell angestrebte Maß der Zielerreichung gemeint. Das Anspruchsniveau ist u.a. abhängig von der beruflichen Qualifikation. Die Häufigkeit, die Art und die Intensität der Bedürfnisbefriedigung wirken wiederum zurück auf die Verhaltensbereitschaft und formen somit Motive und Motivationsstrukturen. Anreize Bedürfnis Motiv Aktivierung Verhalten Abbildung 49: Der einfache Motivationsprozess589 Motivation ist somit letztlich ein Ergebnis aus "individuellen Merkmalen von Menschen, ihren Motiven und den Merkmalen einer aktuell wirksamen Situation, in der Anreize auf die Motive einwirken und sie aktivieren."590 In der Betriebspsychologie werden verschiedene Klassifikationen von Motiven verwendet: 587 588 589 590 Situationsunabhängige und umfassende Auffassungen von einzelnen Menschen sowie von Gruppen von Menschen über erstrebenswerte Lebenszustände, z.B. Selbstverwirklichung, Menschenwürde, Freiheit usw. Sie dienen als allgemeine Wegweiser des individuellen Entscheidungsverhaltens. beschreibt individuelle Haltungen zu Personen, Sachen oder Objekten; es kommen persönliche Überzeugungen, oft Vorurteile zum Ausdruck, die verhaltensbestimmend wirken. nach: Staehle, W.H.: Management: eine verhaltenswissenschaftliche Perspektive, 6. Auflage, München 1991 Seite 148 siehe: Nerdinger, F. W.: Grundlagen des Verhaltens in Organisationen, Stuttgart 2003, Seite 99 Seite 326 von 430 Primäre Motive sind solche, die jeder Mensch von Geburt an instinktiv verfolgt (Hunger, Durst, Wärme). Unter sekundären Motiven werden solche verstanden, die zur Befriedigung anderer Motive dienen (Geldmotiv). Zu den physischen Motiven zählen biologische Bedürfnisse (Hunger, Durst). Selbstverwirklichung, Autonomiestreben zählen zu den psychischen Motiven und das Streben nach Anerkennung durch andere Menschen zu den sozialen Motiven. 1.1.1.1 Intrinsische und extrinsische Motive Diese Klassifikation hat für den Arbeitsprozess eine besondere Bedeutung. Die Begriffe leiten sich ab aus dem Lateinischen intrinsecus (inwendig, im Innern) und extrinsecus (von außen her, außerhalb). Wenn die Motivation ihre Befriedigung in der Arbeitstätigkeit selbst findet, wird von intrinsischen Motiven gesprochen. Gemeint sind damit z.B. Tätigkeiten, die Möglichkeiten zur Selbstverwirklichung bieten, Arbeitsergebnisse, die zur Freude an der eigenen Leistung und am Erfolg Anlass geben oder Tätigkeiten, die auf dem Hintergrund persönlicher Werthaltungen als sinnvoll erlebt werden. Es werden verschiedene Ausformungen der intrinsischen Motivation unterschieden, von denen drei genannt seien: 591 Zum einen kann die Tätigkeit selbst Vergnügen bereiten. Hier wird Bezug genommen auf Untersuchungen von Schachspielern, Musikern, Tänzern oder Computerspielern, bei denen das Entwickeln eines Zustandes beobachtet werden konnte, der in der Literatur als "Flow" beschrieben wird. Damit gemeint ist das nahezu gänzliche Aufgehen in der Handlung. Ebenfalls als Ausformung intrinsischer Motivation werden Handlungen beschrieben, die dadurch geleitet sind, dass sie der Einhaltung von Normen um ihrer selbst willen dienen, wie z. B. „ethische Normen […], denen man sich aus Einsicht in deren gute Begründung verpflichtet fühlt, wie die Norm nach Gewaltfreiheit oder professionelle Ehrencodices.592 Weiter beobachtet wurden starke Ausprägungen intrinsischer Motivation wenn es um das Erreichen selbstgesetzter Ziele geht, auch unter erschwerten Bedingungen. Als Beispiel werden Bergsteiger 591 592 nach: Frey, B.S.; Osterloh, M.: Managing Motivation - wie sie die neue Motivationsforschung für Ihr Unternehmen nutzen können, 2. Auflage, Wiesbaden 2002 Seiten 24 f siehe: Frey, B. S.; Osterloh, M.: 2002 ebenda Seite 24 Seite 327 von 430 genannt, die trotz großer Mühen und Risiken viel Geld in ihr Hobby investieren. Wenn die Befriedigung nicht aus der Tätigkeit selbst, sondern aus deren Folgen oder Begleitumständen resultiert, wird von extrinsischer Arbeitsmotivation gesprochen. Gemeint sind damit z.B. aus der Arbeit erwartete Folgen wie Lohn und soziale Anerkennung oder Arbeitsumstände, die z.B. Kontaktbedürfnisse befriedigen. Extrinsisch meint somit, "was der Tätigkeit als beabsichtigter Effekt nachfolgt."593 Als intrinsisch motivierte Handlungen bezeichnet man somit solche, die als Selbstzweck um ihrer selbst Willen ausgeübt werden, während als extrinsisch motivierte Handlungen solche bezeichnet werden, die als Mittel zum Zweck eingesetzt werden, mit dem Ziel, die aus der Handlung sich ergebenden Folgen zu erreichen wie z. B. Lohn oder Anerkennung. In der Arbeits- und Betriebspsychologie wird allgemein davon ausgegangen, dass intrinsische Motive stärker wirken als extrinsische. Auch wird der so genannte "Verdrängungseffekt" oder auch "Korrumpierungseffekt" beschrieben, wonach eine (extrinsische) Belohnung von Leistung dazu führen kann, dass eine ursprünglich gegebene intrinsische Motivation vermindert oder gar ganz zerstört wird. Die wissenschaftliche Debatte hierüber befindet sich noch in der Entwicklung. Der Verdrängungseffekt gilt zwar weitgehend als empirisch belegt, umstritten ist allerdings, wie stark und in welchen Situationen der Verdrängungseffekt zum tragen kommt.594 In der Literatur wird unter anderem das Beispiel angeführt, dass mit der Einführung des Notensystems in der Grundschule die Motivation zum selbstgesteuerten Lernen beeinträchtigt wurde. Es habe bei den Schülern ein Neubewertungsprozess stattgefunden, welcher den Spaß am Lernen ersetzt hat durch den Ehrgeiz, eine gute Note zu erzielen.595 1.1.1.2 Selbstbestimmungstheorie der Motivation 593 594 595 siehe: Rheinberg, F.: Intrinsische Motivation und Flow-Erleben, in Heckhausen, J.; Heckhausen, H.; (Hrsg.): 2006 ebenda Seite 333 siehe: Osterloh, M.; Weibel, A.: Investition Vertrauen – Prozesse der Vertrauensentwicklung in Organisationen, Wiesbaden 2006 Seiten 94 f Osterloh, M.; Weibel, A.: 2006 ebenda Seite 328 von 430 Die wissenschaftliche Diskussion um den Verdrängungs- bzw. Korrumpierungseffekt wird stark geprägt durch die self determination theory von Decy und Ryan.596 Selbstbestimmtheit wird in der Theorie definiert durch das Ausmaß, in welchem das Individuum über seine Handlungen frei entscheiden kann. Grundlage der Theorie sind drei angeborene psychologische Bedürfnisse, die die Motivation entscheidend beeinflussen: Das Bedürfnis nach Autonomie und Selbstbestimmung, das Bedürfnis nach sozialer Eingebundenheit sowie das Bedürfnis nach Kompetenz oder Wirksamkeit. Diese drei Grundbedürfnisse wolle jedes Individuum befriedigen mit dem Ziel, sich persönlich weiterzuentwickeln und sich wohlzufühlen. Jede Handlung, die der Befriedigung dieser Grundbedürfnisse diene, sei somit intrinsisch motiviert. Abhängig vom Grad der Selbstbestimmtheit einer Handlung und vom Ausmaß der wahrgenommenen äußeren Kontrolle werden vier verschiedene Formen der Motivation unterschieden: Dienen Handlungen lediglich dazu, eine Belohnung zu erhalten oder eine Bestrafung zu vermeiden, wird von externaler Verhaltensregulation gesprochen. Die Verhaltenskontrolle ist hier sehr ausgeprägt, die Autonomie des Handelnden allenfalls marginal. Mit introjizierter Verhaltensregulation wird eine Situation mit einer sehr starken externen Verhaltenskontrolle und geringer Autonomie des Handelnden beschrieben. Die Handlung ist dadurch motiviert, dass Schuld- oder Schamgefühle vermieden werden sollen. Als identifizierte Verhaltensregulation wird eine Situation beschrieben, in der die handelnde Person eigene wichtige Ziele übernehmen kann, sich dadurch mit ihrer Tätigkeit identifiziert und dabei auch auf Akzeptanz stößt. Die externe Verhaltenskontrolle ist eher schwach und die Autonomie des Individuums deutlich erkennbar. Entfällt die externe Verhaltenskontrolle nahezu komplett und ist die Autonomie sehr hoch, wird von integrierter Verhaltensregulation gesprochen. Das Selbstkonzept des Handelnden mit seinen Zielen und Werten prägt die Tätigkeit. 596 siehe u. a.: Deci, E. L.; Ryan, R. M.: Intrinsic motivation and self-determination in human behavior, New York 1985 sowie dieselben: Handbook of self-determination research, Rochester, New York: University of Rochester Press 2002 sowie dieselben: self-determination theory and the facilitation of intrinsic motivation, social development and well-being, American psychologist, 55, 2000 Seiten 68 bis 78 Seite 329 von 430 Innerhalb der Selbstbestimmungstheorie gibt die causality orientations theory wichtige Hinweise darauf, dass die Orientierung zur Selbstbestimmtheit sehr stark individuell geprägt ist. So wurde im Rahmen der Theorie der kausalen Orientierung ein Weg entwickelt, auf dem sich die Motivationsorientierung einer einzelnen Person ermitteln lässt.597 Die Bedeutung der Selbstbestimmungstheorie für die betriebliche Praxis und hier insbesondere für die Personalentwicklung liegt darin, dass die Förderung von Autonomie und Kompetenzerleben am Arbeitsplatz zu einer höheren Leistung und zugleich höheren Arbeitszufriedenheit beitragen kann.598 Unter Bezugnahme auf die Darstellung organisationalen Lernens ist ebenfalls darauf hinzuweisen, dass verschiedene Studien belegen, dass die Lernmotivation durch selbstbestimmtes Lernen positiv beeinflusst wird, was wiederum zu qualitativ besseren Lernergebnissen führt.599 Umstritten bleibt gleichwohl, ob (extrinsische) Belohnung per se den Verdrängungseffekt hervorruft und nicht doch in der Lage ist, bei zunächst uninteressanten Tätigkeiten das Interesse zu verstärken und damit den Weg zur Selbstwirksamkeit erst zu eröffnen.600 Der Verdrängungs- bzw. Korrumpierungseffekt an sich gilt zwischenzeitlich aber als wissenschaftlich belegt. Eine für Teilbereiche des Krankenhauses mit Sicherheit sehr interessante Studie wurde an der Technischen Universität Chemnitz durchgeführt. Dort wurden so genannte "Hochleistungssysteme" untersucht, dies waren neben Sondereinsatzkommandos der Polizei und einem Boxen-Team der Formel 1 auch Teams des Rettungsdienstes oder OP-Teams. Das Interesse galt der Fragestellung, was diese Kleinorganisationen zur punktgenauen Hochleistung motiviert und befähigt. Im Ergebnis wird festgestellt, dass dies in erster Linie durch eine hohe intrinsische Motivation bedingt ist, ergänzt um eine klare Zielorientierung, die Arbeit in einem als angenehm und zuverlässig erlebten Team und durch erfahrensbasierte 597 598 599 600 siehe: Deci, E. L.; Ryan, R. M.: The general causality orientations scale: self-determination in personality, Journal of Research in Personality, 19, 1985 Seiten 109 bis 134 siehe: Gagné, M.; Deci, E. L.: self determination theory and work motivation, in: Journal of organizational behavior, 26, 2005 Seiten 331 bis 362 siehe: Grolnick, W. S.; Ryan, R. M.: Autonomy in children’s learning: an experimental and individual difference investigation, in: Journal of Personality and Social Psychology, 52, 1987 Seiten 890 bis 898 sowie Grolnick, W. S.; Ryan, R. M.; Deci, E. L.: The inner resources for school performance: motivational mediators of children’s perceptions of their parents, in: Journal of Educational Psychology, 83, 1991 Seiten 508 bis 517 siehe: Ridder, H. G.: Personalwirtschaftslehre, 2. Auflage Stuttgart 2007 Seiten 301 f Seite 330 von 430 Lernprozesse.601 Weitere Klassifikationen wie z.B. die Unterscheidung zwischen bewussten und unbewussten oder starken und schwachen Motiven sollen hier nicht näher erläutert werden. 1.1.2 Modelle des arbeitenden Menschen Die Werke des amerikanischen Ingenieurs Frederick Winslow Taylor Anfang des 20. Jahrhunderts markieren den Beginn der Arbeits-, Betriebs- und Organisationspsychologie.602 Sein „Scientific Management“ (Wissenschaftliche Betriebsführung) revolutionierte die Praxis der sich entwickelnden Industriebetriebe und begegnete zuerst den Ford-Arbeitern in Form der berühmten Fließbänder. Ergebnis aufwändiger, von Taylor angestoßener und durchgeführter Untersuchungen war eine Organisation, in welcher die Arbeitsabläufe und die Werkzeuge bis auf Millimeter und Sekunden genau festgelegt sind. Sein Menschenbild war von verblüffender Schlichtheit: Der Werktätige im Betrieb wolle möglichst wenig arbeiten für möglichst viel Geld. Folglich setzte Taylor neben einer extremen Arbeitsteilung auf eine lückenlose Kontrolle der Arbeitenden, verbunden mit einem strikt leistungsabhängigen Lohnanreiz. Der "economic man" nach Frederic Winslow Taylor stellt somit den ersten umfassenden Versuch dar, wissenschaftliche Erkenntnisse über den Menschen für Arbeitsprozesse in der Industrie nutzbar zu machen. Dieses Menschenbild geht in Bezug auf die Arbeit von folgenden Grundsätzen aus: • Der Arbeiter ist im Wesentlichen nur durch Geldanreize zur Leistung zu motivieren. • Die natürlichen Interessen des Arbeiters stehen denen des Unternehmers diametral entgegen. • Der Arbeiter ist unfähig zu Selbstdisziplin und Selbstkontrolle und bedarf einer lückenlosen Fremdkontrolle. 601 602 siehe: Mistele, P.; Kirpal, S.: Mitarbeiterengagement und Zielorientierung als Erfolgsfaktoren – Ergebnisse einer empirischen Studie in Hochleistungssystemen, Arbeitspapier, Technische Universität Chemnitz 2006 sowie Pawlowsky, P.; Mistele, P.; Geithner, S.: Auf dem Weg zur Hochleistung, Arbeitspapier Technische Universität Chemnitz, Chemnitz 2005 siehe: Jung, K.: 1999 ebenda Seiten 15 ff Seite 331 von 430 • Die kleinere Zahl der Menschen, die über Selbstdisziplin verfügen, soll im Arbeitsprozess die Rolle der Meister und Kontrolleure einnehmen. "Wenn Sie gut verdienen wollen, werden Sie ab morgen genau das tun, was dieser Mann Ihnen sagt, vom Morgen bis zum Abend. Wenn er Ihnen sagt, eine Last aufzunehmen und zu gehen, nehmen Sie sie auf und gehen, und wenn er Ihnen sagt, sich zu setzen und auszuruhen, dann setzen Sie sich und ruhen sich aus. Das machen Sie den ganzen Tag hindurch und außerdem: keinerlei Widerrede! Verstehen Sie das? Wenn dieser Mann Ihnen sagt zu gehen, dann gehen Sie, wenn er Ihnen sagt, sich zu setzen, dann setzen Sie sich, und sie widersprechen ihm nicht. Sie kommen jetzt also morgen früh hier zur Arbeit und ich werde noch vor dem Abend wissen, ob Sie wirklich 1,85 $ wert sind oder nicht." 603 Durch dieses Menschenbild wurden eine starke Arbeitsteilung und eine permanente Fremdkontrolle in der Arbeit eingeführt. Ausdruck dieses Menschenbildes ist auch der Akkordlohn. Als Reaktion auf das Bild des primär materiell interessierten und wenig verantwortungsbereiten Menschen kann das Entstehen der „Human-Relations Ideen“ verstanden werden. Ihren Beginn markiert die Entdeckung des sogenannten „HawthorneEffekts“. Der amerikanische Sozialökonom und Sozialpsychologe Elton Mayo hatte mit Kollegen von der Western-Electric-Company den Auftrag bekommen, die Einwirkung verschiedener Umfeldbedingen, u.a. auch von Licht auf die Leistung der Beschäftigten zu untersuchen. Die Untersuchung führte zu einem erst einmal verblüffenden Ergebnis: ob ergonomisch günstiges oder schlechtes Licht installiert wurde, solange die Werktätigen überhaupt noch leidlich sehen konnten, erreichten alle Untersuchungsgruppen gleichermaßen eine verbesserte Leistung. Ähnliche Ergebnisse ergaben sich bei der Variation von Arbeitszeit und Arbeitspausen. Unabhängig von den Veränderungen der Umweltbedingungen verbesserte sich die Arbeitsleistung auch dann noch, wenn die Verbesserungen schrittweise wieder zurückgenommen wurden. Die Wissenschaftler kamen zu dem Ergebnis, dass die Leistungssteigerung mit dem Licht und anderen Umfeldbedingungen wenig, viel aber mit der erhöhten Aufmerksamkeit, die den Teilnehmern des Experiments entgegengebracht wurde, zu 603 nach: Taylor, F.W., zitiert nach: von Rosenstiel, L.: Organisationspsychologie, Stuttgart, Berlin, Köln, Mainz 1972, Seite 39 Seite 332 von 430 tun hat. Mayo und seine Kollegen konstatierten in Abkehr vom tayloristischen Menschenbild, dass „das Verhalten des Arbeiters nur im Zusammenhang mit seinen Gefühlen und Empfindungen verstanden werden kann.“604 Der sozio-emotionale Bereich von Arbeit und somit die emotionale und motivierende Bedeutung informeller Beziehungen in formalen Organisationen geriet in den Focus.605 Die Erkenntnis, dass Gruppenzugehörigkeit und Zuwendung die Arbeitsleistung stärker beeinflussen als Lohnanreize, lückenlose Kontrolle und minutengenaue Arbeitszeitfestlegungen, markierte den Beginn der „Human-Relations-Bewegung“. Diese sah den Schwerpunkt der notwendigen betrieblichen Veränderungen vor allem in einer Verbesserung der emotionalen und sozialen Beziehungen zwischen Führungskräften und Mitarbeitern. Die Befriedigung sozialer Bedürfnisse nach Kontakt und Anerkennung rückte in das Zentrum des Interesses. In Reaktion auf den Taylorismus wurde somit der "social man" als Menschenbild in den USA entwickelt, dem arbeitenden Menschen wurden folgende Grundeigenschaften zugeschrieben: • Der arbeitende Mensch erhält seine eigentliche Identität durch seine sozialen Bedürfnisse und durch die damit zusammenhängenden Beziehungen zu anderen. • Der infolge der extremen Arbeitsteilung sinnentleerten Arbeit muss über soziale Beziehungen wieder Sinn gegeben werden. • Der arbeitende Mensch ist von der Führung dann zu Leistungen zu motivieren, wenn diese sich ihm gegenüber sozial und freundlich verhält. „Glückliche Kühe geben mehr Milch“ - Mit dieser plakativen Formel wurden die Ideen der Human-Relations-Bewegung bald vehement kritisiert: mit einer vordergründigen Veränderung des Führungsstils in Richtung Zuwendung und Kooperation werde den Mitarbeitern lediglich das Gefühl vermittelt, die Unternehmensführung sei an ihrem Wohlergehen interessiert. Wenn dabei aber die objektiven Arbeitsverhältnisse den Bedürfnissen der Mitarbeiter nicht angepasst werden, sei alles nur nutzlose Betrügerei. Diese Art der psychologischen Menschenführung als reine Strategie zur Leistungsverbesserung werde von den Mitarbeitern bald durchschaut und verfehle so langfristig ihre Wirkung. Diese Kritik bildete die Grundlage für die Hypothesen des 604 605 siehe: Roethlisberger, F.J.: Management and Morale, 1941. Deutsche Ausgabe: „Betriebsführung und Arbeitsmoral“, Köln 1954 Seite 22. Der Betriebssoziologe Roethlisberger war als Mitarbeiter von Mayo an den Hawthorne-Untersuchungen beteiligt. siehe: Jung, H.: 2006 ebenda Seiten 378 f sowie Ridder, H. G.: 2007 ebenda Seite 54 sowie Ulich, E.: Arbeitspsychologie, 6. Auflage, Zürich 2005 Seite 40 Seite 333 von 430 Sozialpsychologen Kurt Lewin, die den Beginn wissenschaftlich fundierter Erkenntnisse über Grundlagen und Folgen der Partizipation von Beschäftigten im Betrieb markieren. Von den Nationalsozialisten 1933 in die Emigration gezwungen, führte Lewin seine Untersuchungen zwischen 1939 und 1947 in den USA durch. Ziel einer Reihe von Kleingruppenstudien war es, festzustellen, „welche Wirkung sich dadurch erzielen lässt, dass den Angestellten eine größere Kontrollmöglichkeit über ihre Leistung eingeräumt wird, und dass sie die Möglichkeit erhalten, sich an der Festsetzung ihrer eigenen Ziele zu beteiligen.“606 In den 30er und 40er Jahren untersuchte Lewin mit seinen Mitarbeitern das Verhalten jugendlicher Freizeitgruppen, die zum einen autoritär, zum anderen demokratisch geführt wurden. Kriterium war, inwieweit Gruppenaktivitäten ausschließlich durch den Gruppenleiter, also autoritär oder auf der Basis gemeinsamer Entscheidungsfindung durch die Gruppenmitglieder, also demokratisch bestimmt waren (untersucht wurde auch der sogenannte Laisser-faire-Stil, bei dem gar nicht gelenkt wurde, hier ergaben sich aber keine nennenswerten auf die Arbeitssituation übertragbaren Ergebnisse). Die wesentlichen Aussagen der Studie waren: 1. Das Interesse an den selbst gestellten Aufgaben war in den demokratisch geführten Gruppen am stärksten. Ihre Aktivitäten waren unabhängig von der Anwesenheit des Leiters intensiv. Der Zusammenhalt und die Qualität der zwischenmenschlichen Beziehungen waren hoch. 2. Die Arbeitsergebnisse in den autoritär geführten Gruppen standen den Ergebnissen der demokratisch geführten Gruppen in nichts nach. Allerdings wurden die Aktivitäten bei Abwesenheit des Leiters sofort merklich zurückgeschraubt. In den Gruppen traten häufiger Spannungen, Aggressionen und Widerstände gegen das geforderte Verhalten auf. Lewins Untersuchungen bestätigten einerseits die Ergebnisse der HawthorneExperimente, belegten darüber hinaus aber, dass der Grad der Mit- oder Selbstbestimmtheit einer Arbeitsgruppe ein weiterer wichtiger Faktor in Bezug auf Leistung und Zufriedenheit am Arbeitsplatz darstellt. Das von Lewin und seinen Mitarbeitern 606 Marrow, A. J.: „Kurt Lewin - Leben und Werk“, Erstausgabe New York 1969, Deutsche Ausgabe Stuttgart 1977, Seite 167. Marrow wurde als betriebsinterner Mitarbeiter Lewin zur Mithilfe bei den Studien zugewiesen. Seite 334 von 430 vertretene Menschenbild eines selbständigen und nach Eigenverantwortlichkeit strebenden Beschäftigten begründete die in der Folge immer wieder erhobene Forderung nach Partizipation der Mitarbeiter in den Unternehmungen. Inzwischen sind die positiven Auswirkungen von Partizipation auf die Arbeitsmotivation wissenschaftlich gesichert, während positive Auswirkungen auf die Arbeitsleistung als wissenschaftlich bisher nicht durchgängig belegt gelten. In den 50er Jahren entstand auf dem Hintergrund der Erkenntnisse von Lewin und anderen eine weitere Strömung, die ein eigenes Menschenbild entwickelte: Der "selfactualising man" wird als sich selbst entwickelnder und sich selbst verwirklichender Mensch angesehen. Dieser Mensch strebt nach Autonomie und ist insofern im Arbeitsleben dann motiviert, wenn dieses Bestreben ermöglicht wird. Dieses Menschenbild ist auch durch die Motivationstheorie von Maslow, Mc Gregor und Herzberg geprägt, die es noch zu erläutern gilt. Sie findet ihren Niederschlag auch in der humanistischen Psychologie, die davon ausgeht, dass sich eine gesunde und schöpferische Persönlichkeit mit dem Ziel der Selbstverwirklichung entfaltet. In den 70er Jahren setzte sich mehr und mehr die Erkenntnis durch, dass die bisher stark individuell ausgerichteten "Menschenbilder" die Realität nur unzureichend abbilden und durch Konzepte ergänzt werden müssen, die inter- und intra-individuelle Differenzen berücksichtigen".607 Der "complex man" wird als Mensch beschrieben, der vielschichtig ist und von verschiedensten Faktoren beeinflusst wird. "Das Menschenbild der modernen Betriebswirtschaftslehre ergibt sich aus ihrer sozialwissenschaftlichen Verankerung. Verhaltensweisen des Menschen werden aus seinen persönlichen Bedürfnissen und Wertevorstellungen und seinen sozialen Beziehungen innerhalb der Organisation erklärt. In dieses Modell des Menschen fließen individualpsychologische, sozialpsychologische, soziologische und politologische Ansätze ein. Das Verhalten des Menschen innerhalb der Organisation ist das Ergebnis von Verhandlungs-, Anpassungs-, Beeinflussungs- und Problemlösungsprozessen." 608 607 608 siehe: Ulich, E. 2005 ebenda Seite 8 nach: Ditel, B., Müller-Bader, P.: Elemente einer Theorie der Führung, in: Heinen, E. (Hrsg.): Betriebswirtschaftliche Führungslehre - ein entscheidungsorientierter Ansatz, Band II, Wiesbaden 1978 Seite 54 Seite 335 von 430 Dieses Menschenbild geht davon aus, dass Bedürfnisse und Motive des Menschen einem ständigen Wandel unterliegen und er lernfähig ist und neue Motive erwirbt, die in unterschiedlichen Systemen unterschiedlich wirksam werden.609 1.1.3 Motivationsprozess Motive schwanken zwischen Mangelzustand und Sättigung periodisch hin und her. Der klassische Ablauf motivierten Verhaltens wird wie folgt beschrieben: 1. Erfahrung eines Mangels, 2. Erwartung, dass durch ein spezifisches Verhalten der Mangel beseitigt wird, 3. Verhalten, von dem angenommen wird, dass es im Sinne der Erwartung zur Befriedigung führt, 4. Endhandlung, 5. Zustand der Befriedigung oder der Sättigung.610 Die Motivinhalte und Anreize, die einen Motivationsprozess steuern, sind nicht immer erkennbar. Offene wie verborgene Motive wirken immer dann handlungsauslösend, wenn ein bestimmtes Verhalten als geeignet für die Bedürfnisbefriedigung erachtet wird. Dabei wird vor einer Entscheidung, eine bestimmte Handlung zu tun, immer auch die Wahrscheinlichkeit beurteilt, mit der das gesteckte Ziel auch wirklich erreicht werden kann. 1.1.4 Motivationstheorien Es gibt keine einheitliche Theorie der Motivation, sondern verschiedene Erklärungsansätze. Diese werden in Inhaltstheorien und Prozesstheorien unterschieden. Die Inhaltstheorien nehmen für sich in Anspruch, Bedürfnisse und Motive zu benennen, die den Menschen zum Verhalten motivieren. Die Prozesstheorien versuchen unabhängig von den Motivinhalten zu erklären, wie der Prozess der Verhaltensaktivierung mit seinen Variablen sowie deren Zusammenwirken abläuft. Zur Verdeutlichung sollen einige Beispiele von Inhaltstheorien und Prozesstheorien erläutert werden, die in der Literatur und Wissenschaft breiteren Eingang gefunden haben. 609 610 siehe: Jung, H.: 2006 ebenda Seite 380 nach: von Rosenstiel, L.: Motivation von Mitarbeitern, in: von Rosenstiel, L.; Regnet, E.; Domsch, M. (Hrsg.): Führung von Mitarbeitern, 3. Auflage Stuttgart 1995 Seite 163 Seite 336 von 430 1.1.4.1 Bedürfnispyramide von Maslow Der amerikanische Psychologe Abraham H. Maslow unterteilt die Grundbedürfnisse des Menschen in Defizitbedürfnisse und in Wachstumsbedürfnisse. Defizitbedürfnisse zeichnen sich dadurch aus, dass sie vom Menschen zwingend befriedigt werden müssen, will er auf Dauer sich selbst gesund erhalten. Wachstumsbedürfnisse hingegen dienen der Entfaltung des Menschen und verstärken sich durch ihre Befriedigung. Selbstverwirklichung Anerkennung, Leistung Wachstumsbedürfnisse Defizitbedürfnisse Soziale Beziehungen Sicherheit Physiologische Grundbedürfnisse Abbildung 50: Die Bedürfnispyramide nach Maslow611 Maslow geht davon aus, dass die Befriedigung eines nachrangigen Bedürfnisses jeweils die Voraussetzung sei für das Entstehen des in der Pyramide weiter oben angesiedelten Bedürfnisses. 611 nach: Maslow, A.H.: Motivation und Persönlichkeit, Olten 1977 Seite 337 von 430 Kritisch wird in der Literatur angemerkt, die Anwendungsmöglichkeiten im Unternehmen seien als eher gering zu bezeichnen. Darüber hinaus wurde die Theorie dafür kritisiert, dass es eine reine Inhaltstheorie ist und dass die Abgrenzungskriterien für die einzelnen Bedürfnisse nicht ordentlich definiert sind. Ebenfalls wurde kritisiert, dass die von Maslow angenommene Rangfolge der Bedürfnisse empirisch nicht nachweisbar ist. Trotz der zahlreichen Kritik nehmen nahezu alle Inhaltstheorien aber Bezug auf Maslow. 1.1.4.2 Die ERG-Theorie von Alderfer Als Weiterentwicklung und zugleich Abgrenzung zu der Theorie von Maslow ist die 1969 von Alderfer veröffentlichte ERG-Theorie zu verstehen.612 Wenig originell ist dabei die Unterscheidung nach lediglich drei Motivgruppen, den existence needs (Existenzbedürfnissen), die die ersten beiden Ebenen von Maslow zusammenführen, den relatedness needs (Sozialen Bedürfnisse), die die dritte und vierte Ebene von Maslow zusammenführen und den growth needs (Wachstums- und Selbsterfüllungsbedürfnissen), die im Wesentlichen Maslows fünfter Ebene entsprechen. Konträr zu Maslow beschreibt Alderfer dann, dass der Zugang zu den höheren Ebenen nicht die Befriedigung der unteren Bedürfnisebenen voraussetzt, sondern, dass die Bedürfnisse simultan gegeben sind. Auch verweist er darauf, dass die Wichtigkeit der drei Bedürfniskategorien für jedes Individuum unterschiedlich sein kann und beim Individuum selbst über den Zeitverlauf schwankt. Zum Teil in Anlehnung und zum Teil im Gegensatz zu Maslow formuliert Alderfer vier Prinzipien: Übereinstimmend mit Maslow wird erklärt, ein nicht erfülltes Bedürfnis werde dominant (Frust-Aktions-Hypothese) und die Befriedigung von Bedürfnissen einer höheren Ebene werde erst dann angestrebt, wenn die Bedürfnisse auf den unteren Ebenen zumindest zu einem Mindestmaß befriedigt sind. (Befriedigungs-ProgressionsHypothese). In Abkehr von Maslow leitet Alderfer her, dass ein auf Dauer nicht befriedigtes Bedürfnis dazu führe, dass ein hierarchisch nachgeordnetes Bedürfnis an Bedeutung gewinne (Frustrations-Regressions-Hypothese) und dass ein nicht befriedigtes Bedürfnis auch dazu führen kann, dass das Individuum reift und höhere Bedürfnisse aktiviert werden (Frustrations-Progressions-Hypothese). 612 siehe: Alderfer, C. P.: An empirical test of a new theory of human needs, organizational behavior and human decision processes, 4, 1969 Seiten 142 bis 175 Seite 338 von 430 1.1.4.3 Die Zwei-Faktoren-Theorie Diese Theorie wurde von dem amerikanischen Wissenschaftler F. Herzberg613 aus den Ergebnissen der sogenannten „Pittsburgh-Studie“ entwickelt. Herzberg hatte mit seinen Mitarbeitern die Ergebnisse einer Befragung von ca. 200 Ingenieuren und Büroangestellten ausgewertet. Diese waren zuvor nach Situationen im Arbeitsleben gefragt worden, in denen sie ihre Tätigkeit besonders positiv empfinden und nach Situationen, in denen sie diese als besonders negativ empfinden. Die Auswertung zeigte, dass bei der Nennung von positiven Einstellungen andere Faktoren genannt sind, als bei der Nennung von negativen Einstellungen. Hieraus entwickelte Herzberg die Theorie, die Grundbedürfnisse des Menschen im Arbeitsalltag könnten in zwei Kategorien unterteilt werden, und zwar in • Motivationsbedürfnisse oder Motivatoren und in • Hygiene- oder Maintenance-Bedürfnisse Den Hygienebedürfnissen liegt dabei zugrunde, dass bestimmte Defizite in den Arbeitsbedingungen zu Unzufriedenheit führen. Sind diese Defizite aber nicht vorhanden, stellt sich dadurch nicht eine höhere Zufriedenheit ein, sondern es fehlt lediglich die Unzufriedenheit. Als Beispiele werden in der Studie die Bezahlung, die Sicherheit des Arbeitsplatzes, die Beziehung zu Vorgesetzten und Kollegen und die Unternehmenspolitik und Administration genannt. Auffällig ist die starke Übereinstimmung der Hygienefaktoren mit den extrinsischen Arbeitsbedürfnissen. Die Motivationsbedürfnisse oder Motivatoren umfassen Faktoren, die Zufriedenheit oder eine positive Einstellung auslösen. Genannt werden z.B. Leistung, Anerkennung, die Art der Tätigkeit, der Umfang der Verantwortung und die Übereinstimmung der Tätigkeit mit eigenen Werthaltungen. Auffällig auch hier der Bezug zu den intrinsischen Arbeitsbedürfnissen. Würden diese nicht befriedigt, entstünde nicht automatisch Unzufriedenheit. Für das Maß der Arbeitszufriedenheit und als Motivatoren wird ihnen aber eine große Bedeutung zugemessen. Da die Hygienefaktoren sich eher auf Rand- und Folgebedingungen der Arbeit beziehen, werden sie gelegentlich auch als "Kontextvariablen" bezeichnet. Aufgrund 613 siehe: Herzberg, F./Mausner, B. M./Snydermann, B. B.: The Motivation to work, New York 1959 Seite 339 von 430 ihres großen Einflusses auf die Entstehung von Unzufriedenheit und ihres geringen Einflusses auf den Aufbau von Zufriedenheit werden sie bisweilen auch "Dissatisfaktoren" genannt. Die begrifflichen Gegenpaare für die Motivatoren sind "Contentvariablen" und "Satisfaktoren". Hygienefaktoren - Motivatoren 50 40 30 20 10 0 -10 -20 -30 -40 1 2 3 4 5 1 = Sicherheit 2 = Status 3 = Beziehung zu Untergebenen 4 = Beziehung zu Kollegen 5 = Lohn 6 = Arbeitsbedingungen 7 = Beziehung zu Vorgesetzten 6 7 8 9 10 11 12 13 8 = Verwaltung, Unternehmenspolitik 9 = Beförderung 10 = Verantwortung 11 = Arbeit selbst 12 = Anerkennung 13 = Leistung Abbildung 51: Prozentuale Verteilung von Faktoren für positive und negative Einstellungen614 Der Abbildung folgend wären somit Verwaltung und Unternehmenspolitik starke Hygienefaktoren und die Leistung selbst ein starker Motivator. Eine Gegenüberstellung 614 Zusammenfassung von 12 Untersuchungen zur prozentualen Häufigkeit der Faktoren, die auf die positive und negative Einstellung von Beschäftigten zu ihrer Tätigkeit Einfluss nehmen, auszugsweise dargestellt nach: Harlander, N.: Praktisches Lehrbuch der Personalwirtschaft, 2. Auflage, Landesberg 1991 Seite 54 Seite 340 von 430 mit der Maslow-Pyramide zeigt eine deutliche Übereinstimmung der Hygienefaktoren mit den Grundbedürfnissen und der Motivatoren mit den Wachstumsbedürfnissen. An der Pittsburgh-Studie wird kritisiert, dass sie sich lediglich auf die Berufsgruppen Ingenieure und Büroangestellte bezieht. Die Methodengebundenheit der Informationserhebung ist bis zu einem gewissen Grad für das Ergebnis mitverantwortlich. Die individuellen Unterschiede in der Bedürfnisstruktur sind nur unzureichend berücksichtigt: Kritiker weisen insbesondere darauf hin, dass größere Freiräume und Selbstverantwortung nicht für alle Mitarbeiter Motivatoren sind. Ungeachtet der methodischen Mängel wird der Zwei-Faktoren-Theorie eine große anwendungsbezogene Bedeutung zugesprochen. Die weit verbreitete und immer wieder postulierte Auffassung, Mitarbeiter seien zuvorderst durch finanzielle Anreize zu motivieren, wird deutlich relativiert. Die Bedeutung der Arbeit selbst sowie des Inhalts der Arbeit tritt deutlich hervor.615 1.1.4.4 Die XY-Theorie 1960 wurde die XY-Theorie von McGregor616 entwickelt, die auf der BedürfnisPyramide von Maslow sowie auf Teilen von Herzbergs Zwei-Faktoren-Theorie aufbaut. McGregor geht davon aus, dass das Verhalten der arbeitenden Menschen am Arbeitsplatz stark durch die Einstellung der Führungskräfte zu den Mitarbeitern geprägt wird. Die beiden Pole von Einstellungen hat er in den Menschenbildern nach der Theorie X und nach der Theorie Y aufgeteilt. 615 616 siehe: Nerdinger, F. W.: 1995 ebenda Seite 45 sowie Staehle, W. H.: Management, 8. Auflage, München 1999 Seite 226 siehe: McGregor, D.: The Human Side of Enterprise, New York, 1960 Seite 341 von 430 Das Menschenbild nach der Theorie X 1. Der Durchschnittsmensch hat eine angeborene Abneigung gegen Arbeit. 2. Der Mensch muss somit in der Arbeit durch Zwang, Lenkung, Führung und Bedrohung mit Strafe dazu gebracht werden, die Leistung zu erbringen, die dem Unternehmen ermöglicht, sein Ziel zu erreichen. 3. Der Durchschnittsmensch möchte keine Verantwortung übernehmen, ist nicht ehrgeizig, sondern auf Sicherheit bedacht. Abbildung 52: Die X-Theorie von Mc Gregor617 Die Nähe dieses Menschenbildes zum economic man von Taylor ist unschwer zu erkennen. Diesem Menschenbild stellt er die Theorie Y entgegen: Das Menschenbild nach der Theorie Y 1. Wenn es in der Arbeit gelingt, den Menschen auf Ziele zu verpflichten, mit denen er sich identifizieren kann, wird er sich selbst disziplinieren und kontrollieren. 2. Die "Belohnung", die mit dem Erreichen des Zieles verbunden ist, ist maßgeblich für das Maß der Identifikation mit dem Ziel. 3. Der Durchschnittsmensch lernt, unter geeigneten Bedingungen Verantwortung zu übernehmen und zu suchen. 4. Vorstellungskraft, Urteilsvermögen und Erfindungsgabe zur Lösung organisatorischer Probleme ist sehr vielen Menschen eigen. 5. Das Vermögen an Verstandeskräften, über die der Mensch im Arbeitsleben verfügt, ist unter den Bedingungen des modernen industriellen Lebens nur zum Teil genutzt Abbildung 53: Die Y-Theorie von Mc Gregor618 McGregor empfiehlt für die Führungskräfte neben moderaten Kontrollen und materiellen Anreizen überall dort, wo dies möglich erscheint, die Wünsche der Mitarbeiter in die Unternehmensplanungen einzubeziehen und in der Führungsarbeit zu berücksichtigen. Konkrete Vorschläge sind Dezentralisation und Delegation von Verantwortung, mehr Eigenkontrolle, Aufgabenerweiterung (Job enlargement) sowie Partizipa617 618 siehe: Mc Gregor, D.: Der Mensch im Unternehmen, Düsseldorf, Wien 1970 siehe: Mc Gregor, D.: 1970 ebenda Seite 342 von 430 tion der Mitarbeiter. McGregors Theorie wird allgemein als wertvolles Denkmodell angesehen, das empirisch aber nur mangelhaft unterfüttert ist. 1.1.4.5 Motivationstheorie von Mc Clelland In seiner Theorie geht Mc Clelland davon aus, dass die menschliche Motivation von drei Bedürfnissen dominiert wird: Dem Bedürfnis nach Erfolg, dem Bedürfnis nach Macht und dem Bedürfnis nach Zugehörigkeit. Die subjektive Bedeutung dieser Bedürfnisse sei aber je nach Individuum sehr unterschiedlich und hänge auch vom kulturellen Hintergrund ab. Er befasst sich im Folgenden stark mit dem Leistungsmotiv und dem Bedürfnis, Misserfolge zu vermeiden.619 In seinen Forschungen zur Leistungsmotivation stellt er zwei konträre leistungsbezogene Motivationen fest: Die eine strebe nach Erfolg, die andere strebe danach, Misserfolge zu vermeiden. Das Motiv, Misserfolge zu vermeiden hemme das Motiv, Erfolg anzustreben.620 Mittels Befragungen von Einzelpersonen anhand vorgelegter Bilder kategorisierte Mc Clelland diese als erfolgsorientiert oder eher darauf aus, Misserfolge zu vermeiden. Die von ihm als erfolgs- und leistungsorientiert identifizierten Personen bevorzugen Arbeitssituationen, in denen sie Verantwortung und ein überschaubares Risiko tragen.621 Die Prozesstheorien befassen sich nicht mit Bedürfnissen, die für Motivation Grundlage sind. Sie befassen sich mit dem Prozess, der dazu führt, dass der Mensch bei mehreren Alternativen die eine auswählt und die andere verwirft. Die psychologische Grundannahme der Prozesstheorien ist das sogenannte Bernoulli-Prinzip, das besagt, dass dem Menschen ein Ergebnis erstrebenswert erscheint, bei dem das Produkt aus Nutzen mal Wahrscheinlichkeit sehr hoch ist. 619 620 621 siehe: Mc Clelland, D.: The Achieving Society, New York 1961 sowie Mc Clelland, D.; Atkinson, J. W.; Clark, R. A.; Lowell, E. L.: The achievement motiv, New York 1953 siehe: Brunstein, J.; Heckhausen, H.: Leistungsmotivation, in: Heckhausen, J.; Heckhausen, H.(Hrsg.): 2006 ebenda Seite 149 siehe: Weinert, A. B.: Organisations- und Personalpsychologie, 5. Auflage Weinheim 2004 Seite 195 Seite 343 von 430 1.1.4.6 Die VIE-Theorie 1964 veröffentlichte Vroom die VIE-Theorie,622 die das einfache Bernoulli-Prinzip um eine weitere Komponente erweitert. Vroom geht davon aus, dass drei Komponenten dafür verantwortlich sind, dass die Leistungsmotivation eines Beschäftigten niedrig oder hoch ist, nämlich die Valenz, die Instrumentalität und die Erwartung. Mit Valenz (V) ist der Nutzen gemeint, bzw. die subjektiv empfundene Belohnung, die mit der Zielerreichung verbunden ist. Für die Valenz maßgebend sind die Motive des Beschäftigten und der Anreiz, der von der Leistung ausgeht. Die Instrumentalität (I) gibt an, ob und inwieweit ein bestimmtes Verhalten und dessen Folge von Beschäftigten als geeignetes Instrument (Mittel) zur Zielerreichung angesehen wird. Bei der Erwartung (E) geht es um die subjektive Einschätzung des Beschäftigten über die Wahrscheinlichkeit dessen, dass er mit seiner Handlung das Ergebnis auch erreicht. Im Grundmodell geht Vroom davon aus, dass durch die Multiplikation aller drei Faktoren die Motivation entsteht. In Untermodellen, die hier nicht näher erläutert werden sollen, werden komplizierte mathematische Formeln entwickelt. In die betriebliche Praxis übersetzt würde die VIE-Theorie besagen, dass ein Mitarbeiter dann eine hohe Motivation und Leistungsbereitschaft zeigt, wenn folgende Bedingungen erfüllt sind: 1. Die im Zusammenhang mit der Arbeitstätigkeit gebotenen Anreize sprechen aktuelle Bedürfnisse des Beschäftigten an und werden somit als attraktiv und positiv empfunden (Valenz). 622 siehe: Vroom, V.H.: Work and motivation, New York, London, Sydney 1964 Seite 344 von 430 2. Der Mitarbeiter sieht es als sehr wahrscheinlich an, dass er durch die Leistungserbringung die gebotenen Anreize und die Befriedigung seiner aktuellen Bedürfnisse erreicht (Instrumentalität). 3. Der Mitarbeiter geht davon aus, dass er mit seiner Leistung mit hoher Wahrscheinlichkeit auch das gewünschte Ergebnis erzielt (Erwartung). Der VIE-Theorie wird wie den anderen Prozesstheorien auch eine starke "Kopflastigkeit" vorgehalten. Sie negiere die irrationalen Seiten menschlicher Motivation und Entscheidungen. 1.1.4.7 Die Balancetheorie Die Balancetheorie von Adams623 gehört im Rahmen der Prozesstheorien zu den sogenannten Gleichgewichtstheorien. Diese gehen davon aus, dass der Mensch im physiologischen, im kognitiven sowie im sozialen Bereich grundsätzlich Gleichgewichtszustände anstrebt. Diese Theorien sind stark von ökonomischen Überlegungen geprägt und vergleichen soziale Beziehungen mit wirtschaftlichen Tauschaktionen. Der Mitarbeiter erwartet für seinen Einsatz, bzw. sein Geben eine Gegenleistung, bzw. ein Bekommen. Was er als Einsatz empfindet und was als Bekommen ist individuell unterschiedlich. Als Beispiele für Einsatz werden genannt: Ausbildung, Erfahrung, Engagement, sozialer Status, Aussehen oder Lebensalter. Als Gegenleistung werden genannt: Geld, Sicherheit, Anerkennung, Status oder Kontaktmöglichkeiten. Adams geht davon aus, dass der Mitarbeiter sein persönliches Verhältnis von Geben und Bekommen mit dem anderer Mitarbeiter vergleicht. Das Gleichgewicht bleibt bestehen, so lange er zwischen den Leistungen und Belohnungen keine Differenzen feststellt. Empfindet er die Verhältnisse aber als ungleich, führt dies zu inneren Spannungen, die ihn dazu antreiben, ein neues Gleichgewicht zu suchen. 1.1.5 Ermittlung von Motiven Die bisher entwickelten Methoden zur Analyse von Motiven werden in der Wissen623 siehe: Adams, J.S.: Toward an understanding to inequity, in: Journal of abnormal and social psychology, 1963 Seite 345 von 430 schaft allesamt als problematisch angesehen. In der Literatur werden überwiegend drei Methoden zur Motivermittlung dargestellt: • Introspektion oder Innenschau: Es wird davon ausgegangen, dass die Motivation als Ursache des Verhaltens im Menschen selbst liegt. Damit sei der Handelnde in der Lage, diese durch Selbstbeobachtung herauszufinden. Hier wird kritisiert, dass eine Objektivität im wissenschaftlichen Sinn, die dadurch bestimmt wäre, dass mehrere unabhängige Beobachter zum gleichen Ergebnis kommen, nicht erreichbar ist. Es wird verwiesen auf durchaus menschliche Phänomene wie Selbsttäuschung oder Ich-Abwehrmechanismen wie Verdrängung oder Rationalisierung. Ebenfalls wird darauf verwiesen, dass gerade bei starken Motiven wie Wut und Trauer der Mensch im Erleben stark gefangen und kaum in der Lage ist, eine entsprechende Innenschau zu halten. • Die Fremdbeobachtung: Durch die Beobachtung eines oder mehrerer fremder Personen wird aus dem Verhalten auf die dahinterliegenden Motive geschlossen. Hier wird kritisiert, dass die Rückschlüsse der Beobachter durch deren eigene Motivlage beeinflusst werden. Um dieses methodische Problem abzumildern wird empfohlen, auch die Beobachtenden selbst zu befragen und deren Introspektion zur Kontrolle der Fremdbeobachtung heranzuziehen. • Analyse von Verhaltensergebnissen: Aus den Ergebnissen eines Verhaltens wird darauf geschlossen, wie das Verhalten motiviert war. Viele standardisierte Testverfahren z.B. auch die Schriftanalyse oder Deutung von Zeichnungen, basieren auf dieser Methode. Auch hier wird kritisch auf die jeweils individuelle Motivlage des Interpreten hingewiesen. 1.1.6 Motive im Arbeitsprozess Als langfristig wirksame Einflussgröße menschlichen Verhaltens gelten das Individuum selber, die Gruppen, denen ein Mensch angehört und die Gesamtheit dieser Gruppen, also die Gesellschaft. Dies lässt sich grundsätzlich auch auf den Betrieb übertragen. Aus den zahlreichen Untersuchungen über Motive im Arbeitsalltag sei auf eine im Seite 346 von 430 Auftrag des Instituts der deutschen Wirtschaft durchgeführte Befragung in ca. 500 Klein- und Mittelbetrieben der Industrie verwiesen.624 Erfragt wurde, welche Motivationsmittel kurz oder lang wirken und welche Motivationsmittel eher individuell und welche eher gruppenbezogen wirken. Wirkungsdauer eher lang 100 90 80 70 60 in % 50 40 30 20 10 0 1 2 3 4 5 6 eher kurz 7 1 = Persönliche Entfaltungsmöglichkeit 2 = Soziale Absicherung 3 = Aufstieg 4 = Identifikation 5 = Vorbild 6 = Arbeitsbedingungen 7 = Partizipation 8 9 10 11 12 13 8 = Delegation 9 = Weiterbildung 10 = Information 11 = Anerkennung 12 = Statussymbol 13 = Bezahlung Abbildung 54: Wirkungsdauer von Motivationsmitteln625 Bei der Betrachtung der Wirkungsdauer ist insbesondere darauf hinzuweisen, dass der Lohn als Motivationsmittel nur kurze Zeit wirkt. Das Geldmotiv ist eines der offensichtlichsten Arbeitsmotive und spielt insofern im Zusammenhang mit Fragen der Motivation im Betrieb eine größere Rolle, als es tatsächlich einzunehmen vermag. Bei jüngeren Menschen ist die Geldmotivation stärker ausgeprägt. Die intensive und kontroverse Diskussion anlässlich der Erarbeitung eines Personalentwicklungskonzepts am beforschten Universitätsklinikum belegt ebenfalls die latente monetärer An- 624 625 siehe: Harlander, N.: So motiviere ich meine Mitarbeiter, Köln 1989 Untersuchung in ca. 500 industriellen Klein- und Mittelbetrieben im Auftrag des Instituts der Deutschen Wirtschaft, nach: Harlander, N.A.: 1989 ebenda Seite 110 Seite 347 von 430 reize für die Motivation.626 Wirkungsweise individuell 100 90 80 70 60 in % 50 40 30 20 10 0 1 2 3 4 5 gruppenbezogen 6 7 1 = Persönliche Entfaltungsmöglichkeit 2 = Soziale Absicherung 3 = Aufstieg 4 = Identifikation 5 = Vorbild 6 = Arbeitsbedingungen 7 = Partizipation 8 9 10 11 12 13 8 = Delegation 9 = Weiterbildung 10 = Information 11 = Anerkennung 12 = Statussymbol 13 = Bezahlung Abbildung 55: Wirkungsweise von Motivationsmitteln627 Diejenigen Motivationsmittel, die der allgemeinen Anreizstruktur eines Betriebes zuzuordnen sind, wie z.B. Löhne, Sozialleistungen, Image der Firma usw. befriedigen weitgehend die extrinsischen Motive. Die intrinsischen Motive werden dagegen eher durch den Arbeitsinhalt, die Aufgabenstruktur und die persönlichen Entwicklungsmöglichkeiten befriedigt. Auf deren Gestaltung haben vor allem die Vorgesetzten einen großen Einfluss. Aus verschiedenen Untersuchungen über Vorgesetztenverhalten, dem positive Auswirkungen auf die Arbeitszufriedenheit der Mitarbeiter zugeschrieben wird, wurden 626 627 siehe Teil III Abschnitt 2.2 Der Verlauf der Entstehung des Konzepts siehe: Harlander, N.A.: 1989 ebenda Seite 110 Seite 348 von 430 folgende Verhaltensweisen als empirisch nachgewiesen zusammengefasst: 628 • Koordinierungsleistungen, die einen ungestörten, reibungslosen Arbeitsablauf ermöglichen, • Maßnahmen, die den objektiven Leistungserfolg der Arbeit fördern wie • Die Zuteilung interessanter Arbeit, • Hilfe beim Problemlösen, • Erleichterung bei der Erreichung von Eigenzielen wie • Gehaltserhöhung, • Möglichkeiten der Weiterbildung, • Aufstieg, • Rücksichtnahme auf die Bedürfnisse des Arbeitenden, die in der Arbeitssituation berührt werden oder auftreten, • Rücksichtnahme auf persönliche Probleme, deren Auswirkungen auf die Arbeitssituation nicht ausgeschaltet werden können, • Beteiligung der Arbeitenden an Entscheidungen, die sie selbst betreffen, • Bestätigung von Erfolg durch • allgemeines Führungsverhalten und • spezielle Maßnahmen wie Mitarbeitergespräch und Personalbeurteilung. Kritisch bleibt aber anzumerken, dass ein Überblick über die zahllosen Untersuchungen mit ihren zum Teil doch recht kontroversen Ergebnissen den Schluss aufdrängt, dass die Arbeitszufriedenheit letztlich nicht auf einige wenige Faktoren zurückgeführt werden kann. Eine Studie zur Arbeitszufriedenheit in der Wohlstandsgesellschaft kommt so schon 1977 zu dem durchaus nachvollziehbaren Schluss, so intensiv und quantitativ eindrücklich die Anstrengungen in diesem winzigen Teilgebiet verhaltenswissenschaftlicher Forschung auch seien, so erstaunlich dürftig, CommonsenseWeisheiten kaum überlegen, sei das Gesamtergebnis.629 1.1.7 Motivation durch Sinn Vom Kopf des St. Galler Managementzentrums Fredmund Malik wird Motivation 628 629 nach: Bruggemann, A.; Großkurth, P.; Ulich, E.: Arbeitszufriedenheit, Bern 1975 nach: Walter-Busch, E.: Arbeitszufriedenheit in der Wohlstandsgesellschaft, Bern, Stuttgart 1977 Seite 276 Seite 349 von 430 durch Sinn als zentraler Bestandteil eines Arbeitsverhältnisses reklamiert.630 Als Grundlage für diese Auffassung wird auf die Arbeiten des österreichischen Psychotherapeuten Viktor Frankl verwiesen.631 Dabei ist zu berücksichtigen, dass die Lehren von Frankl sich nicht speziell auf Arbeitsverhältnisse und Unternehmen beziehen. Kernaussage Frankls ist der Mensch als Wesen auf der Suche nach Sinn. Die Sinnsuche sei die bewegende Frage schlechthin und müsse von jedem selbst bewältigt werden. Sinn könne von niemand anderem gegeben werden, allerdings kann Menschen der Sinn genommen werden, sie können in ihrem Streben nach Sinn frustriert werden und somit eine wesentliche Lebensgrundlage verlieren. Den Ausführungen Frankls folgend bezeichnet Malik es als die vornehmste Aufgabe von Führungskräften, Möglichkeiten zu schaffen, Sinn zu finden. Dies sei letztlich das Einzige, was man zur Motivation von Menschen wirklich tun kann. Relativ dazu seien alle anderen Motivationsmethoden unwesentlich, weil ohne Sinn sie günstigstenfalls unwirksam und schlimmstenfalls zynisch wären.632 Sinnfindung wird von Frankl in Anlehnung an die Gestaltwahrnehmung definiert. Bei der Gestaltwahrnehmung erkennen wir ein Objekt, eine Figur vor einem Hintergrund. Bei der Sinnfindung geschehe etwas Ähnliches: Der Mensch erkenne eine Möglichkeit vor dem Hintergrund der Wirklichkeit – eine Möglichkeit, hier und jetzt etwas zu tun, die Situation zu verändern, etwas zu machen. Sinnfindung sei insofern für den Menschen eine Selbsttranszendenz als er über sich selbst hinaus langt, sich selbst zurückstellt und in den Dienst von etwas Anderem, Wichtigerem tritt. Somit sei die individuelle Selbstverantwortung des Menschen die logische Konsequenz der Sinnlehre. Als Folge dieser Erkenntnisse von Frankl reklamiert Malik Konsequenzen für die Führungstätigkeit. Es gehöre zu den Aufgaben jeder Führungskraft, für Mitarbeiter 630 631 632 siehe: Malik, F.: in: Malik on management 3/1997 Viktor E. Frankl, 1905 in Wien geboren und 1997 dort gestorben, gilt als Schüler Sigmund Freuds und ist Begründer der Logotherapie, auch „Dritte Wiener Richtung der Psychotherapie“ genannt. Als österreichischer Jude war Frankl im Konzentrationslager Auschwitz, welches er als einziges Mitglied seiner Familie überlebte. Die Kernaussagen von Frankl sind in seinem Buch „Der Mensch vor der Frage nach dem Sinn“, München 14. Auflage 2002 niedergeschrieben. siehe: Malik, F.: Malik Kolumne: Motivation abschaffen - Sinn ermöglichen, aus: http://www.malikmzsg.ch/ vom 19.12.2005 Seite 350 von 430 Möglichkeiten zu schaffen, Sinn zu finden. Er verweist ausdrücklich darauf, dass es nicht Aufgabe der Führungskräfte ist, Sinn zu geben. Im Führungsalltag bedeutet dies zuvorderst, den Mitarbeitern große Aufgaben zu geben und die Möglichkeit, eine für sie individuell sinnvolle Leistung zu erbringen. Darüber hinaus müsse man den Mitarbeitern wohl auch gelegentlich erklären, welchen Sinn eine Arbeit für das Gesamtunternehmen, für Kunden und für die Gesellschaft hat. Malik sieht in der Sinnlehre Frankls aber auch wichtige Hinweise für die Eigenmotivation von Führungskräften. Führungskräfte sollten sich die Frage stellen, ob sie in ihrer eigenen Arbeit Sinn erkennen, oder ob ihnen diese sinnlos erscheint. Die Frage, was Führungskräfte zur Arbeit motiviert, werde allzu schnell mit dem Hinweis auf das Einkommen beantwortet. Geld sei zwar nicht gerade unwichtig, aber außer ein paar pathologischen Fällen habe Malik keine Führungskräfte gefunden, die ihre innere Kraft aus ihrem Einkommen geschöpft hätten. Auch für die Arbeit von Führungskräften sei die Frage nach dem Sinn zentral. In den vorliegenden umfassenden empirischen Untersuchungen zur Motivationslage von arbeitenden Menschen wurde die Motivation durch Sinn bisher nicht speziell untersucht. Kategorien wie „persönliche Entfaltungsmöglichkeit“ oder „Identifikation“ kommen dem aber wohl nahe. Beide Motive zeigen eine hohe Wirkungsdauer im Arbeitsleben auf. Die persönliche Entfaltungsmöglichkeit wird in ihrer Wirkungsweise stark individuell eingeordnet.633 1.1.8 Kritik einer Führung des Motivierens Auffallend ist, dass es kaum empirische Untersuchungen über den Bereich Motivation und Arbeitszufriedenheit unter starker Berücksichtigung der unteren Lohnschichten gibt. Die meisten Untersuchungen beziehen sich auf den Angestelltenbereich. Soweit Untersuchungen in Industriebetrieben durchgeführt sind, sind sie stark arbeitgeberseitig orientiert. Mit dieser Feststellung korrespondiert auch, dass die entwickelten Motivationsmaßnahmen an der sozialen Mittelschicht im Arbeitsleben ausgerichtet sind. Dies gilt sowohl für die Flut der Schulungs- und Weiterbildungsmaßnahmen, die der Motivation 633 siehe: Harlander, N. A.: 1989 ebenda Seite 351 von 430 dienen sollen, wie auch für die Programme der Gesundheitsförderung, die ebenfalls nur in seltenen Fällen speziell auf die überdurchschnittlich sozial belasteten Arbeitnehmer im Niedriglohnbereich ausgerichtet sind. Auch finden sich kaum Untersuchungen, die sich mit dem Phänomen des hohen Anteils an ausländischen Arbeitnehmern im Niedriglohnbereich und mit deren Motivlage befassen. In seinem lesenswerten Buch "Mythos Motivation" kritisiert der Unternehmensberater Reinhard K. Sprenger die wie Pilze aus dem Boden schießenden Beratungsfirmen, die Motivierungsübungen aller Art für die Beschäftigten im Betrieb anbieten.634 Sprenger geht so weit, zu erklären, "dass jede Motivierung mit mechanischer Sicherheit ihr eigenes Gegenteil erschafft: Demotivation". Es sei nicht Aufgabe von Führung, die Mitarbeiter durch Schieben, Ziehen oder Anfeuern zu der Leistung zu bringen, die eigentlich in einem ordentlichen Arbeitsumfeld Standard sein sollte. Sprenger setzt auf das Offenlegen der Interessen, auf Verhandlung, auf Klarheit und Konsequenz. „Untersuchungen zur Arbeitsplatzgestaltung weisen insgesamt darauf hin, dass fehlende Ganzheitlichkeit, Unterforderung und beschädigtes Selbstwertgefühl als Nebenfolgen weitgehender Arbeitszerteilung beim Individuum Gefühle innerer Leere und Entfremdung hervorrufen. [...] Als wir den Sinn unserer Arbeit nicht mehr sahen, begannen wir über Motivation zu reden.’ Dieses Apercu bringt es auf den Punkt: die Zerteilung der Arbeit und mit ihr der schmerzliche Mangel an Sinn sollen durch Motivierung kompensiert werden. Und schon werden die Motivierungsmechaniker wieder aktiv und starten eine Sinnbewirtschaftungsmaßnahme nach der anderen. Von der ‚Verordneten Unternehmenskultur’, Corporate Identity als Briefkopfgestaltungsprojekt über die erlassenen ‚Führungsgrundsätze’ einer Expertenkommission, das ‚Wir-sind-stolz-auf-euch’-Mitreißende des umgreifenden Visionsgestammels bis hin zu dem modisch lächerlichen Top-Manager, der alle Meetings seit Neustem mit der Formel ‚Have fun’ beendet. Verordneter Spaß. In dem Maße, wie die traditionellen Sinnquellen der Arbeit verblassen, wird ‚Spaß’ als neue Kompensationsmetapher beschworen. Die Zergliederung der Arbeit, die doch zu ganz wesentlichen Teilen den Spaß ver- 634 siehe: Sprenger, R. K.: Mythos Motivation - Wege aus einer Sackgasse, Frankfurt-New York, 17. Auflage 2002 Seite 352 von 430 dirbt, bleibt unproblematisiert. ‚Spaß’ gerät dabei unversehens unter Leistungsdruck: ‚Spaß haben’ und ‚Locker sein’ wird eine ‚Leistung’ der individuellen Selbstdarstellung neuer Manager. Spaßarbeit statt Arbeitsspaß.“ 635 Sprenger fordert eine Unternehmenspolitik, die es dem einzelnen Beschäftigten erlaubt, nach seinen persönlichen Wahrheiten zu suchen. Er geht davon aus, dass Mitarbeiter schnell spüren, wenn Führungskräfte sie akzeptieren, so wie sie sind und ebenso schnell spüren, wenn diese nur darauf aus sind, dass die Mitarbeiter in einer vorausbestimmten Weise funktionieren sollen. Führungskräften, die ihre Mitarbeiter nicht aus innerer Überzeugung als Persönlichkeiten wahr-, ernst- und annehmen, spricht Sprenger das Recht ab, zu führen. Grundlage jeder Unternehmenskultur sollten Vereinbarungen zwischen mündigen Menschen sein. Im Zentrum dieser Unternehmenskultur steht das „Commitment“ zwischen Vorgesetzten und Beschäftigten.636 Grundlage hierfür ist die Selbstverantwortung des Beschäftigten, deren drei Säulen das autonome und freiwillige Handeln („ein Wählen“), das initiative und engagierte Handeln („ein Wollen“) und das kreative und schöpferische Handeln („ein Antworten“) sind. Als „Commitment“ bezeichnet Sprenger dann die quasi vertragliche gegenseitige Vereinbarung zwischen Vorgesetzten und Beschäftigten. Als selbstverantwortliche Partner gehen beide eine Selbstverpflichtung ein, an die sie sich strikt und engagiert gebunden sehen. Dem Commitment muss ein Aushandlungsprozess vorangehen, der unbedingt zu einer beidseitigen freiwilligen Selbstverpflichtung (englisch: Commitment) führen muss. Sei ein Mitarbeiter nicht bereit, eine Vereinbarung zu treffen, sollte man sich lieber darauf einigen, sich nicht zu einigen. Käme dies häufiger vor, müsse man sich die Frage stellen, ob eine weitere Zusammenarbeit noch möglich ist. Als wichtiges Instrument für die Herstellung und Sicherung eines dauerhaften Commitment gelten Mitarbeitergespräche mit Zielvereinbarung. Dieses Führungswerkzeug ist – so das Ergebnis des Forschungsprojekts – inzwischen an den Universitätsklinika sehr gut etabliert.637 635 636 637 siehe: Sprenger, R. K.: Mythos Motivation - Wege aus einer Sackgasse, Frankfurt-New York, 15. Auflage 1998 Seite 230 siehe: Sprenger, R. K.: Das Prinzip Selbstverantwortung: Wege zur Motivation, 10. Auflage Frankfurt, New York 1999 siehe Teil II Abschnitt 2.7 Mitarbeitergespräche mit Zielvereinbarung Seite 353 von 430 Die Aufgabe der Führungskraft gegenüber dem Beschäftigten ist somit zuvorderst, dessen selbständige Suchprozesse anzuregen. Es sollte unzweifelhaft sein, dass der Beschäftigte in seinem Aufgabenbereich entscheidet und handelt. Aufgabe der Führungskraft ist es, die Konsequenzen verschiedener Handlungsalternativen zu hinterfragen: „An welche Alternativen haben Sie bisher gedacht? Wo liegen aus Ihrer Sicht Vorteile und Nachteile? Welche weiteren Informationen brauchen Sie, um das Problem zu lösen? Was ist Ihr Vorschlag? Was geschieht, wenn Sie nichts tun?“ Der Vorgesetzte solle keine Ratschläge geben und Rückdelegation strikt verweigern, so Sprenger. Die Kernkompetenz der Führungskraft wäre es somit, zu wissen, wie man die Mitarbeiter einlädt, ihre eigenständigen Fähigkeiten zu aktivieren. 1.1.9 Fazit zu Motivation und Personalentwicklung In der Personalführung hat sich die Erkenntnis weitgehend durchgesetzt, dass die Anforderungen an Führungspersonen, ihre Mitarbeiter motivieren zu sollen, nicht zum gewünschten Erfolg führen. An Vorgesetzte wird vielmehr die Anforderung gestellt, die Rahmenbedingungen so zu gestalten, dass diese von eigenständigen Mitarbeitern angenommen, interpretiert und in ihren Handlungen berücksichtigt werden können. Motivation basiert auf den drei Determinanten menschlicher Arbeitsleistung - Leistungsvermögen, -bedingungen und der Motivation. In diesem Sinne gilt eine hohe Motivation der Mitarbeiter als zentraler Erfolgsfaktor im Dienstleistungsunternehmen. Als aus Unternehmenssicht positive Folgen einer hohen Arbeitsmotivation und Mitarbeiterzufriedenheit werden eine verringerte Personalfluktuation, geringere Fehlzeiten und damit zusammenhängend die Sicherung des Personalstandes benannt. Zentral bleibt aber die Erkenntnis, dass Bedürfnisse, Motive und Motivation etwas sehr individuelles sind. Diesem Wissen folgt die Erkenntnis, dass die zentrale Zuständigkeit und Verantwortung für die Motivation beim Individuum selbst anzusiedeln ist. Aufgabe der Führungskraft und Aufgabe der Personalentwicklung bleibt es da, Motivationslagen von Mitarbeitern zu erkennen und zu akzeptieren, und gemeinsam Arbeitsinhalt und Anforderung damit unter einen Hut zu bekommen. Nicht zuletzt bleibt die Erkenntnis über die grundsätzliche Begrenztheit jedweder Form von Personalentwicklungsmaßnahmen. Seite 354 von 430 1.2 Diversität und Gender Mainstreaming Es gehört zum Wesen eines Forschungsprojektes, dass nicht alle Fragestellungen eingebracht und vertieft werden können, die für das Themenfeld von Interesse und Bedeutung sind. Ohne Zweifel sind Gender Mainstreaming und Diversität wichtige und zukunftsweisende Inhalte für Personalentwicklung. Deshalb meine ich, müssen sie Eingang in meine Arbeit finden, auch wenn sie nicht originäre Themen des Forschungsprojektes sind. 1.2.1 Gender Mainstreaming 1.2.1.1 Bedeutung und Geschichte Gender Mainstreaming zielt, ganz allgemein formuliert, darauf ab, in alle Entscheidungsprozesse die Perspektive der sozialen Geschlechterverhältnisse einzubeziehen mit dem Ziel der Gleichstellung der Geschlechter auf allen gesellschaftlichen Ebenen. Der Begriff selbst setzt sich aus zwei Wörtern zusammen: Gender meint dabei den sozial und kulturell geprägten Teil der Geschlechterrollen von Frauen und Männern, der – im Gegensatz zum biologischen Geschlecht – veränderbar ist. Mainstreaming bedeutet das Unterfangen, ein Thema, welches bisher von untergeordneter Bedeutung ist, zum zentralen Bestandteil von Entscheidungen und Prozessen zu machen. Anschaulich beschreibt Stiegeler dieses Unterfangen: „Wenn man Entscheidungsprozesse in (politischen) Organisationen mit dem Flechten eines Zopfes vergleicht, so werden bisher die Zöpfe mit den Strängen ‚Sachgerechtigkeit’, ‚Machbarkeit’ und ‚Kosten’ geflochten. Wenn überhaupt, wurde zum Schluss die Frage gestellt, in welcher Weise Frauen davon betroffen sein könnten. Der fertige Zopf wurde also noch am Ende mit einer kleinen Schleife versehen. Gender Mainstreaming bedeutet dagegen – bleibt man in diesem Bild – dass die Frage der Geschlechterverhältnisse einer der wesentlichen Stränge des Zopfes selbst ist, der durchgeflochten wird und alle Entscheidungen von Anfang an prägt“.638 Gender Mainstreaming ist ein konzeptionelles Instrument zur Veränderung von Entscheidungsprozessen, das allgemeine Ziel ist dabei die Herstellung von Chancen638 nach: Stiegeler, B.: Erst kamen die Frauen, nun kommt Gender in die Universität – Gender Mainstreaming als Hochschulreform, in: Macha, H.; Fahrenwald, C. (Hrsg): Gender Mainstreaming und Weiterbildung – Organisationsentwicklung durch Potentialentwicklung, Opladen und Farmington Hills 2007 Seite 39 Seite 355 von 430 gleichheit über eine geschlechtersensible Folgenabschätzung der Entscheidungen. Diese Zielsetzung ist allerdings in vielerlei Hinsicht sehr allgemein und damit auch vage. Eine zentrale Frage des Gender Mainstreaming ist es, festzustellen, mit welchen Wirkmechanismen Geschlechterverhältnisse hergestellt und perpetuiert werden. Dies geht über die individuelle Verhaltensperspektive hinaus und fokussiert Organisationsstrukturen und deren Zuweisungsmechanismen und Regelungssystematiken, die Geschlechterrollen determinieren. Wichtige Gleichstellungsziele sind Diskriminierungsfreiheit, gleiche Teilhabe und echte Wahlfreiheit.639 Die Ursprünge der Ideen des Gender Mainstreaming sind in den internationalen Frauenbewegungen und bei den Institutionen der Entwicklungspolitik zu finden. Vor allem UN-Organisationen haben hier eine Vorreiterrolle eingenommen.640 Etwa seit Ende der 1990er Jahre wird Gender Mainstreaming auch im deutschen Kontext diskutiert. Dabei spielt die vom Europäischen Rat 1998 festgelegte Definition eine zentrale Rolle: „Gender Mainstreaming besteht in der (Re-)Organisation, Verbesserung, Entwicklung und Evaluierung der Entscheidungsprozesse mit dem Ziel, dass die an politischer Gestaltung beteiligten Akteure und Akteurinnen den Blickwinkel der Gleichstellung zwischen Frauen und Männern in allen Bereichen und auf allen Ebenen einnehmen“.641 Die aktive Gleichstellungspolitik ist sowohl im Internationalen wie auch im Nationalen Recht verankert.642 Ergänzt werden die Rechtsregelungen durch zahlreiche Rechtssprechung des Bundesverfassungsgerichts und des Europäischen Gerichtshofs, die 639 640 641 642 nach: Bundesministerium für Familie, Senioren, Frauen und Jugend: Arbeitshilfe geschlechterdifferenzierte Gesetzesfolgenabschätzung, Berlin Stand: Mai 2007 Seite 16 siehe: Callenius, C: Wenn Frauenpolitik salonfähig wird, verblasst die lila Farbe. Erfahrungen mit Gender Mainstreaming im Bereich internationaler Politik, in: Bothfeld, S.; Gronbach, S.; Riedmüller, B. (Hrsg): Gender Mainstreaming – eine Innovation in der Gleichstellungspolitik, Campus, Reihe Politik der Geschlechterverhältnisse, Band 18 Frankfurt 2002 Seite 69 f Übersetzung nach: Krell, G.; Mückenberger, U.; Tondorf, K.: Gender Mainstreaming: Chancengleichheit (nicht nur) für Politik und Verwaltung, in: Krell, G. (Hrsg): Chancengleichheit durch Personalentwicklung, Wiesbaden 3. Auflage 2001 Seiten 59 bis 75 Artikel 2 des Amsterdamer Vertrags vom 01.05.1999: „Aufgabe der Gemeinschaft ist es, durch die Errichtung eines gemeinsamen Marktes und einer Wirtschafts- und Währungsunion sowie durch die Durchführung der in den Artikeln 3 und 4 genannten gemeinsamen Politiken und Maßnahmen in der ganzen Gemeinschaft (…) die Gleichstellung von Männern und Frauen (…) zu fördern“. Artikel 3 Grundgesetz Absatz 2: „Männer und Frauen sind gleichberechtigt. Der Staat fördert die tatsächliche Durchsetzung der Gleichberechtigung von Frauen und Männern und wirkt auf die Beseitigung bestehender Nachteile hin“. Absatz 3: „Niemand darf wegen seines Geschlechtes, (…) benachteiligt oder bevorzugt werden. (…)“ Seite 356 von 430 neben der Gleichberechtigung de jure die Gleichstellung de facto einfordern. Insbesondere die Umsetzung gleichstellungspolitischer Standards und gesetzlicher Regelungen gegen die Geschlechterdiskriminierung weist europaweit aber noch deutliche Defizite auf. Am Konzept des Gender Mainstreaming gibt es zahlreiche Kritik, die an dieser Stelle ohne weitere Vertiefung erwähnt werden soll: Die Genderfrage wird allzu oft auf die Frauenfrage reduziert. Gender umfasst zwar die männliche und die weibliche Geschlechterrolle in ihrer Veränderbarkeit. Männerspezifische Benachteiligungen spielen aber in der Genderdiskussion nur eine untergeordnete Rolle.643 Kritisch gesehen wird auch, dass das Konzept des Gender Mainstreaming zu Identitätskrisen und Identitätszerstörung insbesondere bei jungen Männern führen kann. Dies könne zu pathologischen Zuständen, die als leidvolle Desorientierung erlebt werden, führen.644 Nicht zuletzt wird auch kritisiert, dass die Implementierung von Gender Mainstreaming einen zusätzlichen bürokratischen Apparat befördere, der erhebliche Kosten nach sich zieht.645 1.2.1.2 Bedeutung von Gender Mainstreaming für Unternehmen Die Vielfalt der bisherigen Umsetzungsbemühungen verdeutlicht, dass jeder Gender Mainstreaming-Prozess seine eigene Dynamik und eigene Facetten entwickelt. So wird auch für jedes Unternehmen eine eigene Herangehensweise zu entwickeln sein. Die Umsetzung von Gender Mainstreaming ist an zahlreiche Voraussetzungen geknüpft. Dabei stehen in der Gender Mainstreaming-Strategie bisher Unternehmen weniger im Fokus, sie zielt weitgehend auf Organisationen, die im weitesten Sinne 643 644 645 siehe: Köhler, B.: Gender Mainstreaming – Geschlechterpolitik für Frauen UND Männer?, in: http:// www.MANNdat.de Stand Januar 2006 sowie MANNdatstudie: Jungen und Männer in Deutschland 2007: Daten zu Jungen und Männern im Ländervergleich, Stuttgart 2007 siehe: Amendt, G.: Ein weiterer Skandal in der Sozialpädagogik?, Institut für Geschlechter- und Generationenforschung, Universität Bremen 11. Januar 2006 siehe: MANNdat: Gender Mainstreaming – was das kostet! In: http:// www.manndat.de, Stand 17.03.2009 sowie Schneider, K.: Ich Mann, Du Frau, in: Magazin Stern 12/2005 Seite 357 von 430 Politik machen.646 Das zuständige Bundesministerium für Familie, Senioren, Frauen und Jugend sieht Gender Mainstreaming aber durchaus als einen Auftrag an die Spitze einer Verwaltung, einer Organisation und auch eines Unternehmens sowie an alle Beschäftigten, die unterschiedlichen Interessen und Lebenssituationen von Frauen und Männern in der Organisationsstruktur, der Prozessgestaltung, in der Kommunikation und Steuerung sowie auch bei den Dienstleistungen und Produkten von vorneherein zu berücksichtigen.647 Mit der Auseinandersetzung um Gender Mainstreaming wird sich die Selbstwahrnehmung im Unternehmen verändern. Nach wie vor ist die Unternehmung in ihrer geschlechtlichen Substruktur geprägt durch das männliche Normalarbeitsverhältnis, durch Männergemeinschaften und nicht zuletzt durch eine geschlechtshierarchische Arbeitsteilung.648 Die bisherige Geschlechterforschung zeigt, dass öffentliche Institutionen und wohl auch wirtschaftliche Unternehmen gegen Geschlechterfragen in gewissem Umfang immun sind und auch dazu beitragen, Geschlechterhierarchien zu reproduzieren.649 Für die Organisations- und Personalentwicklung eines Unternehmens bieten sich drei Ansatzpunkte von Gender Mainstreaming an, die in engem Bezug zueinander stehen: Strukturelles, personelles und fachliches Mainstreaming. Zum einen gilt es, in die Strukturen und Prozesse einer Institution Gleichstellung als Ziel zu integrieren. Dies ist zuvorderst Aufgabe der Führungsebene und einer von dort ausgehenden Top Down Strategie. Beim personellen Mainstreaming geht es um eine ausgewogene Beteiligung von Frauen und Männern an Entscheidungsprozessen einerseits und andererseits um die Entwicklung von Kompetenz in Genderfragen bei allen Mitarbeitern. Die beiden nach innen gerichteten Sichtweisen strukturelles und personelles Mainstreaming werden ergänzt durch das fachliche Mainstreaming, welches darauf zielt, dass die Leistung und das Produkt eines Unternehmens auch bei Kunden und in der Gesellschaft die Gleichstellung fördert.650 646 siehe: Stiegeler, B.: 2007 ebenda Seite 38 siehe: Internetseite des Bundesministeriums für Familie, Senioren, Frauen und Jugend, http://www.gender-mainstreaming.net/Stand 17.03.2009 648 siehe: Rastetter, D.: Sexualität und Herrschaft in Organisationen, Opladen 1994 sowie Meuser, M.: Gender Mainstreaming: Fortschreibung oder Auflösung der Geschlechterdifferenz? Zum Verhältnis von Geschlechterforschung und Geschlechterpolitik in: Meuser, M.; Neusüß, C. (Hrsg): Gender Mainstreaming. Konzepte, Handlungsfelder, Instrumente, Bonn 2004 Seiten 322 bis 336 649 Frey, R.; Kuhl, M.: Wohin mit Gender Mainstreaming? Zum Für und Wider einer geschlechterpolitischen Strategie, 2003 nach: http://web.fu-berlin.de/gpo/frey_kuhl.htm vom 17.03.2009 650 siehe Frey, R.; Kuhl, M.: 2003 ebenda Seite 3 647 Seite 358 von 430 An zwei Beispielen will ich erläutern, warum die Thematik Gender Mainstreaming für Krankenhäuser von besonderer Bedeutung ist: Die Leistungserbringung und die Zusammenarbeit im Krankenhaus sind sehr stark geprägt durch die berufsständischen Separierungen und Hierarchien. Von besonderer Bedeutung ist dabei das Zusammenspiel der Mediziner mit der Pflege. Die damit zusammenhängenden Probleme, insbesondere die Auswirkungen auf die Qualität der Patientenversorgung, die Motivation der Mitarbeiter und nicht zuletzt auf die wirtschaftliche Leistungserbringung wurden in dieser Arbeit bereits detailliert herausgearbeitet. 651 Die Probleme in der Zusammenarbeit zwischen Medizinern und Pflege sind stark geschlechterdeterminiert, der „weiblichen Pflege“ steht die nach wie vor männerdominierte Ärzteschaft gegenüber. Für beide Berufsgruppen ist die Ausrichtung der Entscheidungsprozesse an der Perspektive des sozialen Geschlechts bis dato konzeptuell nicht erschlossen. Zur Überwindung der tradierten Gräben zwischen diesen Berufsgruppen kann Gender Mainstreaming einen bedeutenden Beitrag leisten. In der traditionell von Männern dominierten Medizinerwelt in den Krankenhäusern nimmt in den vergangenen Jahren die Zahl der weiblichen Ärztinnen deutlich zu. Diese „Feminisierung“ des Ärzteberufes stellt bisherige männerdominierte Strukturen und Denkweisen in Frage: Nach wie vor stoßen Anliegen auf Teilzeitbeschäftigung oder auf Ausrichtung der Arbeitszeit an den Erfordernissen einer Ausbalancierung von Beruf und Familie auf erhebliche Widerstände. Von Ärztinnen wird die Anpassung an die männlichen Strukturen und Organisationsgepflogenheiten erwartet. Die überkommenen Denkmuster beginnen gleichwohl zu bröckeln. Auch hier kann eine offensive Einbindung der Gender-Perspektive in die Entscheidungsprozesse mit dem Ziel der Änderung der alten Bräuche und Organisationsstrukturen einen wesentlichen Beitrag dazu leisten, die Leistungsfähigkeit des Krankenhauses zu erhalten. 651 Teil I Abschnitt 5.3 Untersuchungsobjekt Personal im Krankenhaus, dort insbesondere Abschnitt 5.3.3 Probleme der Personalstruktur im Krankenhaus sowie Teil II Abschnitt 2 Ergebnisse der schriftlichen Befragung, dort insbesondere Abschnitt 2.4 Interprofessionelle Zusammenarbeit sowie Abschnitt 3.2 Deduktive Auswertung der Experteninterviews, dort insbesondere Abschnitt 3.2.9 Zusammenarbeit der Berufsgruppen. Seite 359 von 430 1.2.1.3 Einbettung von Gender Mainstreaming in die Organisations- und Personalentwicklung Gender Mainstreaming als prozessorientierte Strategie, die auf die Veränderungsund Lernfähigkeit setzt, knüpft an die Organisationsentwicklung und das Lernen in Organisationen an. Sie ist ein Steuerungsinstrument der Gleichstellungspolitik und der Personalentwicklung.652 Aus den wenigen bisher vorliegenden Evaluationen der praktischen Erfahrungen mit Gender Mainstreaming in Unternehmen wird der Schluss gezogen, dass eine Verknüpfung mit Organisationsentwicklung notwendig ist, will man eine nachhaltige Wirkung in der Praxis erreichen. Hierfür bedarf es eines Verständnisses der Organisation als dynamisches Gebilde, das sich über das Handeln seiner Mitglieder in einem permanenten Wandlungsprozess befindet.653 Soll nun Gender Mainstreaming in Organisationen implementiert werden, müssen die in der Organisation vorhandenen Wissensspeicher nach ihrer Genderdeterminiertheit analysiert werden. Dies betrifft zum einen die sichtbar dokumentierten und explizit vertretenen Annahmen und Bilder von Männern und Frauen. Zum anderen sind auch die in den Handlungsmustern stillschweigend und zumeist unbewusst vorhandenen handlungsleitenden Muster aufzudecken, was ungleich anspruchsvoller ist. Der Abgleich beider Ebenen zeigt dann auch, wie weit die zumeist offiziell postulierte Geschlechtergleichheit tatsächlich entwickelt ist. Die Idee, Gender Mainstreaming auf Basis dieses Organisations- und Lernverständnisses in einem Unternehmen zu implementieren, fußt nicht zuletzt auf der Theorie organisationalen Lernens.654 Unter Verweis auf die von Bergmann und Pimminger655 ausgearbeitete „Gender Mainstreamspirale“ wird das Vorgehen von Paseka wie folgt 652 653 654 655 siehe: Bothfeld, S.; Kronbach, S.; Riedmüller, B. (Hrsg): 2002 ebenda sowie Macha, H.; Fahrenwald, C: Zur Einführung: Gender Mainstreaming und Weiterbildung, in: Dieselben, 2007 ebenda Seite 9 siehe: Paseka, A.: Gender Mainstreaming als Organisationsentwicklung und Lernprozess. Vom politischen Auftrag zur gemeinsamen Vision einer Organisation, in: Macha, H.; Fahrenwald, C. (Hrsg): 2007 ebenda Seiten 85 sowie 89 ff zu organisationalem Lernen siehe Teil I Abschnitt 4 Personalentwicklung im Kontext der „Lernenden Organisation“ siehe: Bergmann, N.; Pimminger, I.: Praxishandbuch Gender Mainstreaming. Konzept – Umsetzung – Erfahrung, Bundesministerium für Wirtschaft und Arbeit, Wien 2004 Seite 360 von 430 quasi in Form einer Handlungsanweisung empfohlen: 656 „Ausgangspunkt und Kern- stück einer Implementierung ist eine fundierte Genderanalyse, die die „doing Gender“ – Prozesse einer Organisation systematisch an Hand von vorgegebenen Parametern analysiert.“ Die Genderanalyse ist ein Kernstück von Gender Mainstreaming. Es geht dabei um die sozial und kulturell bestimmten Geschlechterverhältnisse, nicht um die biologische geschlechtliche Bestimmtheit. Die Gender Analyse fokussiert die spezifischen Gegebenheiten und Ursachen von geschlechtlich geprägten Lebensmustern und Arbeitsweisen. Die klassischen Mann/Frau-Statistiken helfen hier in der Regel nur wenig weiter, weisen allenfalls auf bestehende Ungleichgewichte hin, ohne etwas über die Wirkmechanismen auszusagen, die genderspezifischen Arbeitsweisen zugrunde liegen. Weiter bei Paseka: „Voraussetzung für eine solche Analyse ist eine entsprechende Gender-Expertise oder Gender-Kompetenz, denn nur, wenn eine solche vorhanden ist, ist es möglich, die Organisation in ihrer Gesamtheit, die einzelnen Hierarchieebenen, die Ressourcenvergabe, die Programme, Aktivitäten und Entscheidungsprozesse kritisch unter einer Geschlechterperspektive zu analysieren. Auf Basis dieser ersten Diagnose werden in einem zweiten Schritt Gleichstellungsziele formuliert, mit den betroffen Mitarbeitern und Mitarbeiterinnen ausgehandelt und schließlich Schritt für Schritt umgesetzt. Den Abschluss bildet eine Evaluation, die folgende Aspekte einbeziehen sollte: Die Ziele, die intendierten sowie nicht intendierten Effekte, die Überprüfung der zugrunde liegenden Einstellungen und Werte und auch die Bewertung des Lernprozesses selbst. Auf Basis einer solchen De- und Rekonstruktion können Erkenntnisse dahingehend abgeleitet werden, wie sich Lernprozesse in Organisationen nachhaltig implementieren lassen, so dass sie sich als Routinen institutionalisieren.“ Die hier beschriebene Vorgehensweise setzt auf den in den meisten Krankenhäusern inzwischen gängigen Vorgehensweisen des Qualitätsmanagements auf, erscheint in sich geschlossen und somit auf den ersten Blick durchaus realisierbar. In der Realität wird dann schnell deutlich werden, dass es sich hier um ein sehr komplexes und auch kompliziertes Veränderungsvorhaben handelt, das nur dann Erfolg versprechend angegangen werden kann, wenn an den Erfahrungen der Betroffenen angeknüpft wird. Gerade beim Thema Gender sind große Widerstände zu erwarten und zu überwinden: Die Auseinandersetzung mit Geschlechterfragen rührt an die ureigenen Werte und stellt die eigenen, stabilisierenden Denkmuster in Frage, was in 656 nach: Paseka, A.: 2007 ebenda Seite 92 Seite 361 von 430 der Regel Irritationen und nicht selten Krisen hervorruft. Und Gender Mainstreaming hinterfragt bestehende Handlungsroutinen, Machtkonstellationen und Ressourcenallokationen, was oft erst einmal als bedrohlich erlebt wird. Diese Widerstände gilt es anzunehmen als erste Voraussetzung für deren Überwindung. Ziel wäre es dann, „dass sich in mehrfachen Reflektionsschleifen individuelle und kollektive Visionen entwickeln, wie sich Gleichstellung am jeweiligen Arbeitsplatz und in der Organisation in ihrer Gesamtheit umsetzen ließe, und dass sich diese zu handlungsleitenden Modellen und Vorgaben institutionalisieren, sich somit im praktischen Bewusstsein verankern.“657 Organisations- und Personalentwicklung können und müssen hierzu einen wesentlichen Beitrag leisten und: bei der Entwicklung von Projekten und Konzepten hat die Genderperspektive stetige Begleiterin zu sein. 1.2.2 Diversität: Vom Nutzen der Vielfalt der Belegschaft Unter dem Schlagwort "Diversität" oder auch "Diversity" wird eine spezielle Ausrichtung des Managements von Unternehmen und der Unternehmenskultur an der Vielfalt der Mitarbeiter im Betrieb propagiert. Eine Personalentwicklung, die den Anspruch erhebt, integriert zu sein und integrierend zu wirken, hat diesen Aspekt mit einzubeziehen. Insofern soll an dieser Stelle in aller Kürze dargestellt werden, was Diversität meint und soll dies dann am Praxisbeispiel der Universität Wien erläutert werden. Mit dem Diversity Management soll die Wahrnehmung, Anerkennung und Nutzung von Vielfalt in Organisationen und Institutionen gefördert werden. Ausgangspunkt ist die Überlegung, dass Vielfalt das Zusammenleben und die Produktivität im Unternehmen durch das bewusste Aufeinandertreffen und Nutzen alternativer Wahrnehmungs-, Denk- und Handlungsmuster bereichert. In übertragenem Sinne könnte man sagen, es geht um die bewusste Nutzung von Komplexität. Insofern steht die Idee der Diversität auch in einem Widerspruch zu Managementansätzen, die Komplexität durch Standardisierung und Glättung der Unterschiede im Betrieb abzubauen versuchen. Die Unterschiede der Menschen hinsichtlich ihres Alters, ihrer sozialen und nationalen Herkunft, ihrer sexuellen Orientierung, ihrer physischen und psychischen Fähigkeiten, ihres Geschlechts sowie ihrer Religion und Weltanschauung wird als Potenzi657 siehe: Paseka, 2007 ebenda Seite 98 Seite 362 von 430 al von Kreativität und Innovation begriffen. Dabei geht Diversität über die rein summarische Erfassung dieser relevanten Unterschiede hinaus. Im Bezug auf die Arbeitswelt wird Diversity beispielhaft als "differences among people that likely to effect their acceptance, work performance, satisfaction, or progress in an organisation" dargestellt.658 Die zwei zentralen Ziele von Diversity Management sind zum einen die Schaffung einer produktiven und positiven Unternehmenskultur und zum zweiten die Verhinderung von Diskriminierungen und der Ausbau von Chancengleichheit. Der strategischen Ausrichtung eines Unternehmens an der Vielfalt der Beschäftigten und der Gleichstellung im Betrieb liegen nicht nur ethische, sondern auch durchaus handfeste ökonomische Interessen zugrunde. Dabei geht es in erster Linie um Mitarbeitergewinnung und -bindung aus einem größeren Kreis insbesondere hochqualifizierter Arbeitnehmer. Damit soll dem der demografischen Entwicklung geschuldeten drohenden Arbeitskräftemangel insbesondere im Bereich der Fachkräfte begegnet werden. Zum zweiten soll Diversität das Image des Unternehmens nach außen verbessern und nicht zuletzt verspricht man sich von einer vielfältigen Belegschaft mit zahlreichen unterschiedlichen Qualifikationen, Denkhintergründen und Ideen auch einen Vorteil in der Entwicklung von neuen Produkten oder neuen Lösungen, sprich: Innovationen.659 Diversity zielt hierbei darauf ab, die Unternehmenskultur und die Prozesse so zu gestalten, dass die Potenziale der Mitarbeiter erkannt und zielgerichtet eingesetzt werden.660 658 659 660 siehe: Hays-Thomas, R.: Why now? The contemporary focus on managing diversity, in: Stockdale, M.; Crosby, F. (Hrsg.): The Psychology and management of workplace diversity, Malden, Oxford, Carlton 2004 Seite 12 siehe: EU-Kommission, Generaldirektion Beschäftigung, soziale Angelegenheiten und Chancengleichheit, Referat D 3: Geschäftsnutzen von Vielfalt – bewährte Verfahren am Arbeitsplatz, Luxemburg 2005 Seite 5 siehe: Stuber, M.: Wirtschaftlichkeit und soziales Engagement im Einklang, in: Personalwirtschaft 03/2009 Seite 39 Seite 363 von 430 Welchen Nutzen kann eine durch Vielfalt gekennzeichnete Belegschaft einem Unternehmen bringen? Sonstige Größere Kundenzufriedenheit Absatzmöglichkeiten Wirtschaftlichkeit Wettbewerbsvorteile Einhaltung Rechtsvorschriften Bessere Motivation & Effizienz Innovation & Kreativität Vielfalt als Unternehmenswert Nutzen für Image des Unternehmens Zugang zu neuem Arbeitskräftereservoir 0 100 Anzahl der Antworten 200 300 400 Abbildung 56: Wahrgenommener Nutzen der Vielfalt am Arbeitsplatz661 Für ein Universitätsklinikum als Teil einer Universität mit einem Lehr- und Forschungsauftrag ist dieses Potenzial ein Schlüssel für eine erfolgreiche Weiterentwicklung. Für den Lehrbereich eröffnet sich die Möglichkeit, vielfältige Lehr- und Lernmethoden zur Verfügung zu stellen. Für den Forschungsbereich hat die Vielfalt von Ideen per se einen besonders hohen Stellenwert. An einem Universitätsklinikum forschen Wissenschaftler aus aller Welt gemeinsam, Forschergruppen ohne internationale Besetzung sind die absolute Ausnahme. Die Maßnahmen zur Umsetzung des Diversity Managements im Unternehmen können unterschieden werden unter personenbezogenen und verhaltensbezogenen Aspekten. Über Maßnahmen zur Eingliederung älterer Arbeitnehmer und zum Umgang mit Generationenvielfalt oder zur Gleichstellung der Geschlechter wird personenbezogenen Aspekten Rechnung getragen. Verhaltensbezogene Maßnahmen zielen darauf ab, den positiven Umgang mit der Vielfalt im Unternehmen zu befördern. Die Erfahrungen der Unternehmen, die Diversität als wichtiges Unternehmensziel verfolgen, zeigen, dass Maßnahmen der Personalentwicklung erforderlich sind, um das Verständnis und Bewusstsein für Vielfalt und dessen Nutzen im Unternehmen zu entwickeln.662 661 662 nach: EU-Kommission, 2005 ebenda Seite 22 siehe: EU-Kommission, 2005 ebenda Seite 6 Seite 364 von 430 Als durchaus vorbildlich in der deutschsprachigen universitären Landschaft darf das Diversity Management an der Universität Wien gelten. Die dort entwickelten Ansätze wirken auch in das Allgemeine Krankenhaus Wien, welchem die Rolle eines Universitätsklinikums zukommt. In seinem Entwicklungsplan bekennt sich die Universität Wien zur Diversität: "Universitäten leben von den Ideen, die aus der Vielfalt und Verschiedenheit ihrer Angehörigen, der Studierenden und MitarbeiterInnen, entstehen. Vielfältige Erfahrungshintergründe bringen vielfältige Ideen, die die Basis für wissenschaftliche Innovation und für die Entwicklung der gesamten Universität darstellen. Unterschiedliche Erfahrungshintergründe bringen außerdem reichhaltige Lehr- und Lernmöglichkeiten, die es in der Bildungseinrichtung Universität zu nutzen gilt."663 Grundgedanken, Hintergründe und Maßnahmen sind auf einer eigens zum Thema Diversität entwickelten Internetplattform der Universität Wien dargestellt, welche zugleich den Dialog ermöglicht und befördert.664 663 664 siehe: Universität Wien 2010 – Entwicklungsplan der Universität Wien, 2006 Seite 85 siehe: http://www.univie.ac.at/diversity/php/homepagebarrierefrei.html vom 09.11.2007 Seite 365 von 430 Seite 366 von 430 2 Der Prozess der Entwicklung des Konzepts für eine integrierte Personalentwicklung Am beforschten Universitätsklinikum wurde im Jahre 2006 folgendes Ziel beschlossen: „Richtlinien und Eckpfeiler für eine integrierte Personalentwicklung am Klinikum liegen dem Klinikumsvorstand zur Beschlussfassung vor.“ Dies war der Startschuss für einen über zwei Jahre dauernden Prozess der Entwicklung eines umfassenden Konzepts für eine integrierte Personalentwicklung. Dieses Konzept wird seit Anfang 2008 an diesem Klinikum umgesetzt. Am Universitätsklinikum entstand erstmals eine umfassende Diskussion über Personalentwicklung verbunden mit dem konkreten Ziel, Personalentwicklung zu implementieren. Diese Entwicklung, an der ich als aktiv teilnehmender Forscher, Beobachter und Akteur beteiligt war, soll hier im Folgenden beschrieben werden. Zuvor will ich die angewandte Handlungsforschung und meine Rolle sowie die im Forschungsprozess aufgetretenen Rollenprobleme beschreiben. 2.1 Handlungsforschung im Spannungsfeld von Forschung und Praxisverbesserung Den Beginn der Handlungsforschung, bisweilen auch Aktionsforschung oder Tatforschung genannt, markiert die unter dem Namen „action research“ entwickelte Forschungsmethode des Sozialwissenschaftlers Kurt Lewin, dessen aus meiner Sicht wichtigste Forschungserkenntnis die „Entdeckung“ der Bedeutung von Partizipation für die Entwicklung von Menschen in Organisationen ist. Diese Erkenntnis stand in besonderer Weise Pate bei der Entwicklung der Handlungsforschung. Die frühe Handlungsforschung zielte darauf, die Bedürfnisse sozial benachteiligter Gruppen nicht nur zu erforschen, sondern deren Lage durch die Stärkung der Teilnahme am demokratischen Prozess zu verbessern. Die Intention, neben der Prüfung theoretischer Annahmen auch direkt gesellschaftliche Veränderungen zu initiieren, sprengte den Rahmen traditioneller sozialwissenschaftlicher Forschung. Bis dahin war ein aktives Eingreifen des Forschers im Untersuchungsfeld undenkbar. Letztlich grenzt genau diese unmittelbare Beteiligung des Forschers am Forschungsprozess die Handlungsforschung von allen anderen Forschungsarten der Sozialwissenschaften ab, mit Ausnahme der teilnehmenden Beobachtung, was noch näher erläutert wird. Dabei gibt der Forscher nicht nur seine Distanz zum Forschungsgegenstand Seite 367 von 430 auf, sondern nimmt eine eigene Veränderung im Verlaufe des Prozesses bewusst in Kauf.665 In der Handlungsforschung sind jene Menschen und Menschengruppen, welche von den Wissenschaftlern untersucht werden, nicht mehr bloße Informationsquelle des Forschers, sondern Individuen, mit denen sich der Forscher gemeinsam auf den Weg der Erkenntnis zu machen versucht.666 Die Handlungsforschung wurde als Reaktion auf die zunehmende Entfernung der Sozialwissenschaften von der sozialen Realität verstanden und setzt bewusst an einem emanzipatorischen und politischen Verständnis sozialwissenschaftlicher Forschung an. Die Verbindung von Wissenschaft und sozialem Engagement ist Wesensmerkmal der Handlungsforschung, welche in Abgrenzung zur traditionellen Empirie entwickelt wurde. Der Erforschungsprozess bekommt einen emanzipatorischen Charakter. Die Handlungsforschung findet heute insbesondere bei interdisziplinären Projekten in den Sozialwissenschaften Anwendung. Sie setzt dabei an konkreten Problemen aus der Praxis an und unterstützt direktes soziales Handeln. Zumeist werden Sachverhalte und Prozesse in sozialen oder erzieherischen Feldern untersucht, zahlreiche Forschungsprojekte beziehen sich auf Lehren und Lernen in der Schule.667 2.1.1 Der Forscher und seine Beziehungen zu den Untersuchten Der Forscher ist im Rahmen eines Handlungsforschungsprojekts selbst im Untersuchungsfeld handelnder Akteur, der verändernd in die sozialen Prozesse eingreift. Er ist somit kein neutral distanzierter Beobachter. Handlungsforschung setzt dabei eine innere Haltung des Forschenden voraus, die Professionalität der Betroffenen im Forschungsprozess zu erkennen und zu nutzen. Das Verhältnis des Forschenden zu den Beforschten ist von besonderer Bedeutung. In einer direkten Arbeitsbeziehung wird im Untersuchungsfeld gemeinsam gehandelt und die Handlungen und deren Wirkung werden auch gemeinsam reflektiert, ein gleichberechtigter und kooperativer 665 666 667 siehe: Warneke, D.: Aktionsforschung und Praxisbezug in der DaF-Lehrerausbildung, Kassel 2007 Seite 67 nach: Lewin, K.: Tat-Forschung und Minderheitenprobleme, in: Lewin, K. (Hrsg): Die Lösung sozialer Konflikte, Bad Nauheim 1953 Seiten 278 bis 298 sowie Lewin, K.: Group Decision and Sozial Change, in: Newcomb, T.; Hartley, E. (Hrsg): Readings in Social psychology, New York 1952 Seiten 459 bis 473 siehe: Altrichter, H.; Posch, P.: Lehrerinnen und Lehrer erforschen ihren Unterricht: Unterrichtsentwicklung und Unterrichtsevaluation durch Aktionsforschung, Bad Heilbrunn 4. Auflage 2006 Seite 368 von 430 Handlungs- und Kommunikationszusammenhang wird hergestellt. Idealerweise sind die Betroffenen bereits bei der Planung beteiligt, so dass ihre Interessen und Ideen in das Forschungsdesign Eingang finden können. Die Interaktion im Untersuchungsfeld zwischen dem Forscher und den Beforschten ist für den Verlauf des Forschungsprozesses konstitutiv und letztlich ausschlaggebend für die Veränderungen im sozialen Kontext. 2.1.2 Methodisches Vorgehen und Gütekriterien Der Forschungsverlauf folgt einem Zyklus, der mehrfach durchlaufen werden sollte, wobei jeweils Erkenntnisgewinn und Handlungsoptimierung Hand in Hand gehen. Diese zyklische Vorgehensweise als zentrale Methode in der Handlungsforschung wird von Elliot im Rahmen der Unterrichtsforschung durch Lehrkräfte beschrieben.668 Grundlegend ist die Sammlung und Dokumentation von Erfahrungen und die Analyse und Reflektion praktischen Handelns. Die praktischen Handlungen werden dabei als Ausdruck „praktischer Theorien“ verstanden. Eine praktische Theorie ist dabei die explizit oder implizit vorhandene Vorstellung, was ein bestimmtes Handeln bewirken soll, sozusagen ein wert- und erfahrungsbasierter Hintergrund des Handelns. Die bewusste Entwicklung praktischer Theorien ist das Fundament des Lernens im Handlungsforschungsprozess. Informationserhebung, Wahrnehmung praktischer Theorien Diskurs, Hinterfragen praktischen Theorien der Handlungsorientierung Handlung zyklisch Abbildung 57: Zyklus der Handlungsforschung669 Der Identifizierung eines Problems folgt die Analyse der Situation und darauf aufbauend die Entwicklung von Handlungsstrategien. Die dann folgenden Handlungen werden beobachtet und reflektiert, mit den Perspektiven der Betroffenen im Prozess ver668 669 siehe: Warneke, D.: 2007 ebenda Seite 77 f in Anlehnung an: Stangl, W.: Handlungsforschung, Werner Stangls Arbeitsblätter, Linz 1993, aus: http://paedpsych.jk.uni-linz.ac.at/ vom 18.03.2009 Seite 369 von 430 glichen, woraus sich dann wiederum neue Handlungsorientierungen ergeben. Es entsteht ein permanenter Rückkoppelungsprozess während des Projektverlaufs. Alle Modelle der Handlungsforschung basieren somit auf einer engen Beziehung zwischen Handlung und Reflektion. Die Handlung bildet die Grundlage der kontinuierlichen Überprüfung der eigenen Vorstellungswelt. Über diese Reflektion werden neue Handlungsmöglichkeiten erarbeitet, die nun wiederum durch ihre Anwendung die Basis weiterer Reflektion bilden. Handlungsforschung bedarf somit einer gewissen Kontinuität. In der Handlungsforschung sind die klassischen Kriterien empirischer Forschung wie Intersubjektivität, Bedingungskontrolle, Reproduzierbarkeit, Unabhängigkeit und Repräsentativität in Frage gestellt bzw. außer Kraft gesetzt. Ein wissenschaftlich valider Katalog neuer Gütekriterien liegt bis dato nicht vor. Gleichwohl gibt es konsensuierte Vorstellungen über Gütekriterien der Handlungsforschung: Ziel des Forschungsprozesses ist nicht die Generalisierbarkeit der Ergebnisse, sondern ihre Realitätsnähe und ihre Praxisrelevanz. Neben der Realitätshaltigkeit sind Transparenz und Interaktion weitere Gütekriterien. Handlungsforschung ist somit emanzipatorisch, dialogisch, demokratisch und idiographisch. Sie hilft bei der Lösung von Problemen und Konflikten und wirkt verändernd.670 Die Kritik an der Handlungsforschung stellt grundsätzlich in Frage, ob es sich tatsächlich um eine wissenschaftliche Methode handelt, seien doch alle klassischen Kriterien der empirischen Forschung ausgeschlossen. Die Neutralität des Forschers werde komplett aufgegeben, was die Validität der Forschungsergebnisse grundsätzlich in Frage stelle. Es wird darauf verwiesen, dass der Forscher deutlichen Handlungszwängen unterliege und damit ein wesentliches Strukturmerkmal wissenschaftlichen Handelns nicht mehr gegeben sei, nämlich die Entlastung vom alltäglichen Handlungsdruck in der Praxis. In der Praxis müsse gehandelt werden, da hätten ausführliche Begründungen keinen Platz und würden durch das Streben nach sicherer Orientierung, nach Zweckmäßigkeit und Erfolg überlagert.671 Die angezweifelte Wissenschaftlichkeit der Handlungsforschung wird auch dafür ver670 671 in Anlehnung an: Stangl, W.: 1993 ebenda siehe: Koring, B.: Handlungsforschung in der Erziehungswissenschaft, Lerneinheit 6, TU Chemnitz, zitiert nach: Stangl, W.: Handlungsforschung, in: http://arbeitsblaetter.stangltaller.at/FORSCHUNGSMETHODEN/Handlungsforschung.shtml vom 18.03.2009 Seite 370 von 430 antwortlich gemacht, dass diese Forschungsmethode trotz vermehrter Ansätze in den Erziehungswissenschaften immer noch unzureichend anerkannt sei: „Gemessen an methodologischen Standards wie Generalisierbarkeit der Ergebnisse, ist dieses Konzept sehr problematisch. Für Forschung, die auf eine von den Betroffenen akzeptable, punktuelle Veränderung der Praxis abzielt, stellt die Handlungsforschung sicherlich eine bedenkenswerte Ergänzung der traditionellen empirischen Methodologie dar.“672 Die Handlungsforschung sollte aber nicht als grundsätzliche Alternative zur klassischen empirischen Forschung verstanden werden. Sie entwickelt ihren Nutzen überall dort, wo es um die Erforschung und die Ermöglichung von Innovationen und Veränderungen im sozialen Kontext unter aktiver Teilnahme der Betroffenen geht. Hier leistet sie ihren unbestreitbar wertvollen Beitrag zur Analyse, Reflektion und Realisierung. Die Handlungsforschung kann somit für betriebliche Veränderungsprozesse äußerst nützlich und richtungsweisend sein, muss für dieses Erkenntnis- und Veränderungsfeld aber erst noch in weit größerem Umfang entdeckt werden. 2.1.3 Handlungsforschung und teilnehmende Beobachtung Handlungsforschung und teilnehmende Beobachtung als sozialwissenschaftliche Forschungsmethoden weisen Schnittmengen auf. Zum einen ist beiden Methoden die Anwesenheit des Forschers im Untersuchungsfeld eigen, zum anderen schließt teilnehmende Beobachtung das aktive sich Einbringen des Forschers nicht aus – allerdings ist es auch in Abgrenzung zur Handlungsforschung nicht zwingende Voraussetzung. Beide Forschungsmethoden setzen sich aktiv mit den aus der Präsenz des Forschers im Untersuchungsfeld entstehenden Problemen wie Distanz und Nähe oder Selbstbetroffenheit auseinander. Die Forschungsmethode der teilnehmenden Beobachtung geht grundsätzlich erst einmal von den zwei Welten Forscher und Untersuchungsgegenstand aus, die sich berühren und gegenseitig beeinflussen, während die Handlungsforschung von einer Welt ausgeht, in der der Forscher mit den Untersuchten gemeinsam den Untersuchungsgegenstand bearbeitet und in der sie gemeinsam ihre soziale Wirklichkeit (um)gestalten. Beide Forschungsmethoden haben mehr oder weniger dieselben Kritiker. 672 siehe: Grotjahn, R.: Forschungsmethoden, in: Bausch, K.; Christ, H.; Krumm, H.-J. (Hrsg): Handbuch Fremdsprachenunterricht, Tübingen 4. Auflage 2002 Seite 496 Seite 371 von 430 Die teilnehmende Beobachtung gehört zu den qualitativen Methoden der Organisationsforschung und wurde aus der Ethnologie entwickelt. Sie findet heute Anwendung als Feldforschung in der Soziologie, der Psychologie, in den Arbeitswissenschaften und nach wie vor in der Ethnologie. Bei der teilnehmenden Beobachtung werden das Handeln und das Verhalten einer Person oder einer Gruppe von Personen sowie die Auswirkungen desselben untersucht. Der Forscher selbst nimmt an den Interaktionen der Personen, die das Forschungsobjekt darstellen, persönlich teil. Durch diese Teilnahme und die damit verbundene unmittelbare Erfahrung der Situation sollen Aspekte des Handelns und Denkens beobachtbar gemacht werden, die über reine Interviews und Dokumentenstudien zu eben diesen Interaktionen nicht zugänglich wären.673 Die Teilnahme des Forschers reicht dabei von der lediglich physischen Präsenz bis zur interaktiven Teilnahme in der Gruppe. In den wissenschaftlichen Publikationen wird einheitlich die Auffassung vertreten, dass jede Anwesenheit eines Forschers im Feld als teilnehmend zu interpretieren ist und zu wechselseitigen Effekten führt. Die Anwesenheit des Wissenschaftlers wirkt auf das untersuchte Feld,674 ebenso wirkt das Feld selbst auf die Forschungspraxis des Wissenschaftlers. Solche wechselseitigen Effekte werden aber nicht einfach nur als Störfaktoren gesehen, sondern als ein zentrales Mittel der Erkenntnis selbst.675 Die Tatsache, dass Versuchspersonen sich anders verhalten, wenn sie wissen, dass sie beobachtet werden, wird in der Literatur als „Pygmalioneffekt“ oder auch als „Rosenthaleffekt“ benannt nach dem Soziologen, der dieses Phänomen erstmals ausführlich beschrieben hat. Die Reflexivität des Forschers und die Einbindung seiner Subjektivität in die Untersuchung ist ein bei der teilnehmenden Beobachtung in besonderer Weise hervorstechendes Merkmal qualitativer Forschung.676 673 674 675 676 siehe: Lüders, C.: Teilnehmende Beobachtung, in: Bohnsack, R.; Marotzki, W.; Meuser, M. (Hrsg.): Hauptbegriffe qualitativer Sozialforschung, Opladen 2001 Seiten 151 bis 153 Dies wird erstmals in den „Hawthorne Studies“ beschrieben, die unter der Leitung von Elton Mayo an einem Standort der Western Electric Companie in Boston in den 20er und 30er Jahren des vergangenen Jahrhunderts durchgeführt wurden. In den „Hawthorne Studies“ wurden Arbeiterinnen in unterschiedlichen, teilweise künstlich hergestellten Arbeitsbedingungen untersucht. Die Frage nach der Teilnahme der Wissenschaftler wurde zunächst nicht gestellt. Der von den Autoren dann aber beschriebene „Hawthorne-Effekt“ belegte einen Zusammenhang zwischen der Steigerung der Arbeitsleistung und der Anwesenheit der Forscher. Die Teilnahmedimension der Beobachtung in der Interpretation der Daten wurde somit methodisch gesehen nachträglich berücksichtigt. siehe: Lindner, R.: Die Angst des Forschers vor dem Feld. Überlegungen zur teilnehmenden Beobachtung als Interaktionsprozess in: Zeitschrift für Volkskunde, Jahrgang 77, 1981 Seiten 51 bis 66 siehe: Müller, J. F. W.: 2004 ebenda Seite 348 Seite 372 von 430 Bedeutend für die Forschungsmethode ist auch, ob die Teilnahme bzw. Beobachtung offen oder verdeckt geschieht. Von offener Beobachtung spricht man, wenn der Person oder der Gruppe die Anwesenheit des Forschers bekannt ist, von verdeckter Untersuchung, wenn dies nicht der Fall ist. Grundsätzlich wird in der Sozialforschung die offene Beobachtung vorgezogen. Die Methode der teilnehmenden Beobachtung wird in der Literatur auch kritisch gesehen. Die Möglichkeiten und Grenzen lassen sich nicht klar bestimmen. Je stärker sich der Forscher in der teilnehmenden Beobachtung selbst einbringt, desto deutlicher treten die Probleme der qualitativen Methodik zu Tage: Der Nachweis, dass das Beobachtete und dann Beschriebene auch tatsächlich so stattgefunden hat, ist nur bis zu einem bestimmten Grad zu erbringen. Die intersubjektive Überprüfbarkeit der Daten ist nur eingeschränkt möglich. Auch werden Probleme der Repräsentativität gesehen, da in der Regel lediglich Ausschnitte des einzelnen Geschehens aufgenommen werden können. So werden Generalisierungen auf der Basis teilnehmender Beobachtung grundsätzlich als angreifbar angesehen.677 Auch wird kritisiert, die ethische Frage werde zu sehr auf die leichte Schulter genommen, Daten- und Vertrauensschutz seien bisher methodologisch ebenso wenig ausreichend dargestellt, wie die Frage des kulturellen Unterschiedes zwischen den Beobachtern und den Beobachteten.678 Die Parallelität dieser Kritik zu der Kritik an der Handlungsforschung liegt auf der Hand. 2.1.4 Zu meiner Rolle und zum Verlauf des Projekts am beforschten Universitätsklinikum Als Mitglied des Lenkungsausschusses und der Projektgruppe zur Erarbeitung eines Konzepts der integrierten Personalentwicklung am Universitätsklinikum war meine Rolle eine interaktiv teilnehmende. Im Rahmen einer Sitzung des Lenkungsausschusses hatte ich die Möglichkeit, das Forschungsvorhaben und das Forschungsdesign insgesamt vorzustellen und zu diskutieren. Dabei konnte ich den Eindruck gewinnen, dass das Interesse der Lenkungsausschussmitglieder eher auf die Ergebnisse der Befragung und der Experteninterviews gerichtet war, als auf die Tatsache, 677 678 siehe: Bachmann, G.: Qualitative Methoden der Organisationsforschung, in: http://www.qualitativeresearch.net/organizations/or-tb-d.htm vom 08.06.2007 sowie Flick, U.: Qualitative Forschung: Theorie, Methoden, Anwendung in Psychologie und Sozialwissenschaften, Hamburg 1996 Seite 159 siehe: Lüders, C.: 2001 ebenda Seite 153 Seite 373 von 430 dass die Arbeit von Lenkungsausschuss und Projektgruppe wissenschaftlich begleitet wird.679 Über den ganzen Prozess der Projektarbeit hatte ich den Eindruck, dass die Rollenerwartung der anderen Teilnehmer an meine Person allenfalls marginal durch das Forschungsvorhaben geprägt war. Es waren eher meine Funktion im Unternehmen und die damit verbundene hierarchische Stellung, die die Rollenerwartung der anderen Projektgruppenmitglieder geprägt hat. Trotzdem entwickelte sich ein stetiger Austausch über den Fortschritt des Projekts auch auf dem Hintergrund meines eingebrachten Forschungsstandes. Im Projekt war ich somit in die betriebliche Hierarchie eingebundener Akteur und Forscher zugleich. Als direkt Beteiligter veränderte ich auch die eigene Berufspraxis. Die in der traditionellen Forschung getrennten Rollen des Forschers und des Praktikers werden in der Handlungsforschung zusammen geführt. Der Prozess orientiert sich an keinem klar strukturierten Modell, er wird autonom und selbstverantwortlich gesteuert und steuert sich zum Teil auch selbst. Als reflektierender Akteur habe ich im Rahmen meines Forschungsinteresses die Art und Weise meiner Forschung in Abstimmung mit den Beforschten bestimmt. Ich entschied über die geeignet erscheinenden Werkzeuge zur Beobachtung, Analyse und Auswertung, natürlich immer im Hinblick auf das Forschungsthema. Als persönliche Instrumentarien hatte ich im Vorfeld des Forschungsprozesses festgelegt: Neben den offiziellen Protokollen der Sitzungen fertige ich eigene Aufzeichnungen, auch über Gespräche, Telefonate etc. zwischen den Sitzungen. Dabei reflektiere ich auch immer auf die eigenen Anteile: Auf meine Einflussnahme, auf die Änderung der eigenen Einstellungen und fertige Aufzeichnungen über gemachte Erfahrungen und Selbstbeobachtungen. So ist eine Art Tagebuch in Lose-Blatt-Form entstanden. Die so gesammelten Daten habe ich in Anlehnung an die Systematik der Auswertung der Experteninterviews teilkodiert, um eine systematische Auswertung zu sichern. Die Kernergebnisse habe ich dann im Meinungsaustausch mit Personen mit professionellem Hintergrund innerhalb des Projekts und auch außerhalb des Projekts kommunikativ hinterfragt. Die Interaktion mit der Gruppe im Untersuchungsfeld wurde darüber hinaus nicht nur konstitutiv für den Verlauf des Forschungs- und Veränderungsprozesses, sondern auch dafür, meine „blinden Flecken“ zu überwinden. 679 Dieser Umstand mag der Tatsache geschuldet sein, dass an einem Universitätsklinikum Forschung zur täglichen Praxis gehört. Seite 374 von 430 Insofern habe ich Selbstverantwortung und Selbstbetroffenheit wahrgenommen und in den Reflektionsprozess einbezogen. Die subjektive Selbstwahrnehmung spielte eine zentrale Rolle: Welche Gefühle löst der Prozess, eine Projektgruppensitzung, eine Meinungsäußerung aus dem Klinikum in mir aus? Welche Rolle spielen meine eigenen Zuschreibungen und Vorurteile bei der Bewertung der erfassten Daten? Welche Inhalte, Äußerungen, Personen nehme ich in besonderer Weise wahr? In diesem Prozess der Selbstwahrnehmung und Selbstbeobachtung fand ich die Distanz zur eigenen Person, aber auch zum Forschungsgegenstand. Rückblickend stelle ich fest, dass diese Selbstreflektion vorausgesetzt hat, dass ich mich selbst als Teil des Forschungsprozesses gesehen habe und mich so für den Prozess öffnen konnte. Dabei musste ich das „Risiko“ bewusst in Kauf nehmen, meine Einstellungen zu mir selbst, meiner Position und Arbeit ebenso ändern zu müssen, wie zu meinen Mitstreitern und zum Unternehmen. Die immer wieder auftretenden Diskrepanzen zwischen meiner eigenen Intention und dem realen Prozessverlauf waren durchaus nicht immer Freude spendend, sondern bisweilen mühsam und quälend. Ein hohes Maß an intrinsischer Motivation ist mir gleichwohl erhalten geblieben, was vermutlich nicht zuletzt der Tatsache geschuldet ist, dass das Kon- zept für eine integrierte Personalentwicklung am Universitätsklinikum NN nach nun über einem Jahr seine Praxistauglichkeit bewiesen und erkennbar Wirkung gezeigt hat, womit ein Kernelement der Handlungsforschung Realität geworden ist. 2.2 Der Verlauf der Entstehung des Konzepts Die zur Ausarbeitung der Richtlinien und Eckpfeiler für eine integrierte Personalentwicklung am beforschten Universitätsklinikum gebildete interprofessionell besetzte Arbeitsgruppe680 hatte sich in einem ersten Treffen darauf verständigt, Thesen zum Selbstverständnis der Personalentwicklung sowie Ziele der Personalentwicklung im Entwurf in einer Klausurtagung auszuarbeiten und dann den Mitarbeitern des Universitätsklinikums über eine Intranetplattform zur Diskussion freizugeben. Aus der Arbeit der Arbeitsgruppe und der Diskussion mit den Mitarbeitern sollten dann die Richtli680 Mitglieder der Arbeitsgruppe waren die Pflegedirektorin, die Leiterinnen der Personalabteilung und des Schulungszentrums, der Ärztliche Direktor der Augenklinik, eine Diplom-Sozialwirtin als Praktikantin, ein Mitarbeiter der Personalabteilung sowie der Leiter des Geschäftsbereiches Personal, Kooperationen und Wirtschaft Seite 375 von 430 nien und Eckfeiler formuliert werden. Die erste Version der Thesen wurde im August 2006 im Intranet allen Beschäftigten bekannt gemacht, verbunden mit der Aufforderung, sich mit Diskussionsbeiträgen zu Wort zu melden. Parallel wurden wichtige Vorgesetzte und Funktionsträger681 angeschrieben mit der Bitte, den Diskussionsprozess ihrerseits zu unterstützen. Im Laufe von zwei Monaten gingen ca. 40 Diskussionsbeiträge ein, die zum Teil in Auszügen, zum Teil auch komplett im Intranet veröffentlicht wurden. Unter den zahlreichen Anregungen zeigten sich in der Diskussion einige Schwerpunkte: • Immer wieder wurde auf die dünne Personaldecke hingewiesen, die keinen Raum für Personalentwicklung lasse. • Zahlreiche Diskussionsbeiträge befassten sich mit der Frage, ob Personalentwicklung sich zuvorderst an den Erfordernissen und Zielen des Unternehmens Universitätsklinikum zu orientieren habe oder an den Bedürfnissen der Mitarbeiter. Die Auffassungen gingen hier recht weit auseinander. Die Beiträge waren Grundlage für die Überarbeitung der Thesen in einer erneuten Klausurtagung der Arbeitsgruppe. Die Thesen wurden mit einer Präambel versehen und teilweise neu formuliert. In seiner November-Sitzung 2006 hat der Klinikumsvorstand die Richtlinien und Eckpfeiler für eine integrierte Personalentwicklung dann beschlossen und den Auftrag erteilt, auf dieser normativen Grundlage ein Personalentwicklungskonzept für das Universitätsklinikum zu erarbeiten. 681 alle Pflegedienstleitungen, Ärztlichen Direktoren, Geschäftsbereichs- und Abteilungsleiter der Verwaltung, Leiter der zentralen Einrichtungen und Institute, Personalrat, Beauftragte für Chancengleichheit Seite 376 von 430 Richtlinien und Eckpfeiler für eine integrierte Personalentwicklung Beschluss des Klinikumsvorstand vom 20.11.2006 Präambel Personalentwicklung hat an unserem Klinikum traditionell einen hohen Stellenwert. Exemplarisch seien die Aktivitäten des Schulungszentrums und der Innerbetrieblichen Fortbildung der Pflege, die ärztliche Fortund Weiterbildung, die Gesundheitsförderungsprojekte und die zahlreichen Mitarbeitergespräche mit Zielvereinbarung erwähnt. Die Felder der Personalentwicklung haben sich auf unterschiedliche Weise herausgebildet und stehen bisher noch weitgehend unverbunden nebeneinander. Personalentwicklung ist Teil der Unternehmensentwicklung des Klinikums und wird geprägt von den Rahmenbedingungen und den Strukturen des Klinikums. Hier kann Personalentwicklung nur partiell Einfluss nehmen. Die erarbeiteten Thesen bilden die Eckpfeiler und Richtlinien für eine künftige konzeptionelle Weiterentwicklung der Personalentwicklung vor dem Hintergrund unseres Leitbildes. Es wird einem Personalentwicklungskonzept vorbehalten bleiben, im Rahmen der Eckpfeiler Personalentwicklung operabel zu machen, bestehende Ansätze zu integrieren und die nachfolgenden Thesen mit Leben zu füllen. Dabei gilt die besondere Aufmerksamkeit der interprofessionellen Verzahnung und der entwicklungsfreundlichen Gestaltung von Arbeitsalltag und Kommunikationsbeziehungen. 1. Das Leitbild unseres Klinikums ist für die Personalentwicklung der wertgebende Rahmen. Die Personalentwicklung ist eng mit der Organisationsentwicklung unseres Klinikums verwoben, beides bedingt sich gegenseitig. 2 Personalentwicklung umfasst die Summe aller Maßnahmen, die die Einstellung, das Verhalten, das Wissen und das Können unserer Mitarbeiter systematisch weiterentwickelt. Eigenverantwortung und Eigeninitiative jedes Einzelnen sind hierfür wesentliche Grundlage. Personalentwicklung findet zugleich im Rahmen der Zielsetzung des Klinikums statt. 3 Unter den geänderten Rahmenbedingungen, insbesondere geprägt durch die fallbezogene Bezahlung, die Anforderungen eines Qualitätsmanagements und den Zwang, medizinische Leistungen auf hohem Niveau bei sinkenden Preisen zu erbringen, gewinnt die interdisziplinäre und interprofessionelle Zusammenarbeit stark an Bedeutung. Die Personalentwicklung ist auf diese Anforderungen auszurichten. 4 Die Personalentwicklung dient als Instrument zur Erreichung des maximalen Klinikumserfolgs. Der Erfolg ist messbar an der Qualität der Patientenversorgung, Forschung und Lehre sowie am wirtschaftlichen Ergebnis. 5 Der Personalentwicklung dient ein lernförderliches Klima am Arbeitsplatz. Hierzu sind Arbeitsumgebung, die Prozesse und die Kommunikationsstrukturen im Arbeitsalltag so gestalten, dass sie Lernen und Entwicklung ermöglichen. Ein wertschätzender Umgang ist notwendige Basis für Personalentwicklung. Über die individuelle Perspektive hinaus organisatorisches Lernen zu fördern und zu nutzen. 6 Personalentwicklung ist eine nicht delegierbare Aufgabe der Führungskraft, da diese Ergebnisverantwortung trägt. Dies entbindet die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter jedoch nicht von der ganz persönlichen Verantwortung für die eigene Entwicklung. Um einen hohen Durchdringungsgrad zu erreichen, wird die Steuerung der Personalentwicklung dort angesiedelt, wo sie wirken soll: in den Abteilungen und Geschäftsbereichen. Zuarbeit und Koordination sowie das Ermitteln und Nachhalten relevanter Kennzahlen für die Personalentwicklung sind klinikumsübergreifend zu gewährleisten. 7 Das Universitätsklinikum stellt sicher, dass Wissensstand, Fähigkeiten und Fertigkeiten der Mitarbeiter den Anforderungen der Aufgabe entsprechen. Unsere Mitarbeiter sind so einzusetzen, dass ihre individuellen Stärken zur Geltung kommen. Zur Unterstützung dient eine systematische Fort- und Weiterbildung, die sowohl an den Interessen unseres Klinikums als auch an denen der Mitarbeiter ausgerichtet ist. die zu die ist Zur Ausarbeitung des Konzepts wurde eine neue, erweiterte Projektgruppe gebil- Seite 377 von 430 det.682 Der Lenkungsausschuss wurde auf 5 Personen festgelegt, wobei eine gewisse personelle Kontinuität durch einen Teil der Mitglieder der Arbeitsgruppe, die die Richtlinien und Eckpfeiler für eine integrierte Personalentwicklung ausgearbeitet hatte, gesichert war.683 Ärztlicher Dienst Personalabteilung Verwaltung Pflegedienst Personalrat Supervisionsdienst Pflegefortbildung Schulungszentrum Beauftragte für Chancengleichheit Abbildung 58: Zusammensetzung der Projektgruppe In insgesamt 6 Projektgruppensitzungen, davon einer eintägigen Klausur, sowie zwei Lenkungsausschuss-Sitzungen wurde binnen Jahresfrist das Konzept für eine integ- rierte Personalentwicklung am Universitätsklinikum NN ausgearbeitet. Eine erste Phase des Brainstormings diente der Ideenfindung. Zahlreiche Ideen, Vorschläge, Maßnahmen und Stichpunkte wurden unsortiert aufgenommen, um dann in einer zweiten Phase sortiert und bewertet zu werden. Bereits in dieser Phase wurden zwei zentrale Problemfelder deutlich, deren Diskussion sehr viel Zeit in Anspruch 682 683 Die Projektgruppe setzte sich zusammen aus Vertreterinnen und Vertretern der innerbetrieblichen Fortbildung der Pflege, des Schulungszentrums, des Pflegedienstes, des Ärztlichen Dienstes, der Verwaltung, des Supervisionsdienstes, des Personalrates sowie der Beauftragten für Chancengleichheit Mitglieder des Lenkungsausschusses waren die Pflegedirektorin, die Leiterin des Schulungszentrums, der Ärztliche Direktor der Augenklinik, der Personalratsvorsitzende sowie der Leiter des Geschäftsbereichs Personal, Kooperationen und Wirtschaft. Seite 378 von 430 nahm und die streckenweise in der Projektgruppe so kontrovers diskutiert wurden, dass die Projektarbeit vorübergehend zu scheitern drohte. Diese zwei Problempunkte seien etwas näher erläutert: a) Spezifische Karrieremuster von Ärzten an Universitätsklinika Mediziner haben in der Regel bereits während ihres Studiums eine enge Bindung an das Universitätsklinikum als Teil der Universität, in der letzten Phase absolvieren sie im praktischen Jahr ihre Ausbildung unmittelbar in der Krankenversorgung. Bis dahin gibt es durchaus Parallelen zu den Pflegeberufen, da die Universitätsklinika in der Regel auch Ausbildungsstätten für Pflegeberufe sind. Danach beginnt der Mediziner dann aber seine berufliche Laufbahn als Assistenzarzt mit dem Ziel, den Facharzt zu erreichen. In dieser Zeit ist das Universitätsklinikum nicht nur Arbeitgeber, sondern zugleich Weiterbildungsstätte. In dieser Phase, die in der Regel fünf Jahre dauert, befindet sich ca. die Hälfte der Ärzte an Universitätsklinika. Viele Fachärzte verlassen direkt danach oder nach wenigen Jahren das Klinikum, um als niedergelassene Ärzte oder als Krankenhausärzte außerhalb von Universitätsklinika zu arbeiten. Diejenigen Fachärzte, die am Universitätsklinikum bleiben, streben danach, eine Oberarztposition zu erhalten, um dann zu einem späteren Zeitpunkt eine Chefarztposition in einem anderen Krankenhaus einzunehmen. In der Phase der Weiterbildung haben die Mediziner lediglich befristete Arbeitsverträge. Auch nach Erreichen des Facharztes prägen überwiegend befristete Arbeitsverhältnisse die soziale Situation der Ärzte. Damit wird – gesetzlich so gewollt und im Wissenschaftszeitvertragsgesetz auch normiert – ein personeller Wechsel, der der Weiterentwicklung von Wissenschaft und Forschung dienen soll, garantiert. Von den Ärzten an Universitätsklinika wird darüber hinaus erwartet, dass sie sich nicht nur in der Krankenversorgung betätigen, sondern auch wissenschaftlich arbeiten und sich aktiv in die Ausbildung des Medizinernachwuchses einbringen. Diese für Universitätsklinika spezifische Doppelstellung prägt den Arbeitsalltag der Ärzte in besonderem Maße, ein wichtiger Teil der individuellen Entwicklungschancen und Bedürfnisse liegen sozusagen jenseits des Krankenhauses im universitären Bereich. Diese Spezifika wurden in der Projektgruppe im Hinblick auf den Projektauftrag, ein Seite 379 von 430 integriertes Personalentwicklungskonzept auszuarbeiten, kontrovers bewertet und diskutiert. Berufsgruppenspezifische Belange könnten in einem integrierten Konzept keine Berücksichtigung finden, war die eine Extremposition. Den Gegenpol bildete die Auffassung, ein Personalentwicklungskonzept ohne spezielle, auf den ärztlichen Dienst abgestimmte Inhalte sei für die Mediziner wert- und nutzlos. Vor dem Hintergrund des Projektauftrages des Klinikumsvorstandes und wohl auch, weil die Mitglieder der Projektgruppe letztlich ein Scheitern ihrer Bemühungen nicht riskieren wollten, wurde ein Weg gewählt, der den integrierenden Charakter des Konzepts sicherte und zugleich die eingebrachten Anliegen des ärztlichen Dienstes angemessen berücksichtigte. Im Konzept selbst finden sich keine berufsgruppenspezifischen Inhalte oder Maßnahmen. Die ärztlichen Vertreter wurden gebeten, die speziellen Anliegen der Mediziner sozusagen außerhalb der Projektarbeit zu Papier zu bringen. Diese Ausarbeitung wurde dann mit folgender Intention von der Projektgruppe gestützt: „Im Rahmen der Arbeit der Projektgruppe Konzept integrierte Personalentwicklung wurde immer wieder deutlich, dass es im ärztlichen Bereich spezifische Probleme und Fragestellungen gibt und zugleich Strukturen und Maßnahmen der Personalentwicklung nur randständig vorzufinden sind. Deshalb kam die Projektgruppe zu dem Schluss, dass dieser Problemkreis separat betrachtet werden muss und im Rahmen der Entwicklung eines klinikumsweiten Konzepts zur integrierten Personalentwicklung nicht zielführend bearbeitet werden kann. Die ärztlichen Mitglieder der Projektgruppe haben vor diesem Hintergrund […] Gedanken zur Personalentwicklung im ärztlichen Bereich verfasst, die [...] dem Klinikumsvorstand zur Kenntnis gebracht werden sollten“. b) Verknüpfung von Personalentwicklung und monetären Anreizen Das zweite in der Projektgruppe sehr kontrovers erörterte Thema war die Fragestellung, ob Personalentwicklungsmaßnahmen zwingend mit monetären Anreizen zu verbinden sind und wie diese monetären Anreize überhaupt aussehen könnten. Die unterschiedlichen Auffassungen wurden diskutiert zwischen den Polen „Personalentwicklung ist nichts wert, wenn sie nicht zu einem höheren Verdienst führt“ und „die Bindung von Personalentwicklung an monetäre Anreize zerstört intrinsische MotivatiSeite 380 von 430 on und macht Personalentwicklung zum Vehikel für die Befriedigung rein materieller Motive“. Nach einer heftigen und kontroversen Diskussion zum Themenkomplex monetäre Anreize, Sinnhaftigkeit von Leistungsentlohnung und Einfluss materieller Komponenten auf die Motivation von Beschäftigten stellte die Projektgruppe fest, dass dieser Themenkomplex nicht Bestandteil des Projektauftrages war. Zugleich wurde festgestellt, dass diese Themen im Zusammenhang mit dem Themenkreis Personalentwicklung nicht einfach ausgeklammert werden können. Dem Klinikumsvorstand wurde empfohlen, sich dieser Thematik in geeigneter Weise anzunehmen. In beiden Konfliktfeldern wurde letztlich zu Gunsten einer konstruktiven Weiterarbeit der Projektgruppe ein Thema mit Sprengkraft sozusagen ausgeklammert und delegiert. Nach drei Projektgruppensitzungen war es dann gelungen, sich auf drei Schwerpunkte des Personalentwicklungskonzepts zu einigen. Diese Schwerpunkte wurden als Meilensteine dann sowohl vom Lenkungsausschuss, wie auch vom Klinikumsvorstand wie folgt beschlossen: „Interprofessionellen Teamentwicklung Der interprofessionellen Teamentwicklung kommt eine zentrale Bedeutung im Hinblick auf die dringend erforderliche Überwindung tradierter Hindernisse in der Zusammenarbeit der Berufsgruppen zu. Die gemeinsame Entwicklung von Ärzten und Pflege spielt dabei eine Schlüsselrolle; darüber hinaus ist aber auch der Bereich der Verwaltung einzubeziehen. Führungskräfteentwicklung Als wichtige Zielgruppe werden die Führungskräfte angesehen, deren Qualifizierung eine bedeutende Rolle einnimmt. Mitarbeitergewinnung und -bindung Die Anwerbung und Bindung guter und exzellenter Mitarbeiter sollen in den Focus Seite 381 von 430 gerückt werden. Personalentwicklung soll hier durch gezielte Maßnahmen dazu beitragen, insbesondere den (demographisch und berufsbiographisch bedingten) Mangel an Fachkräften in wichtigen Tätigkeitsfeldern des Klinikums abzufedern. Zugleich ist dem demographisch bedingten Anstieg des Durchschnittsalters der Belegschaft Rechnung zu tragen.“ Im Wege der weiteren Ausarbeitung des Konzepts wurden dann die drei Schwerpunkte jeweils mit Zielformulierungen unterlegt sowie Maßnahmen zugeordnet, die in einem Zeitraum von drei Jahren implementiert werden sollten, sofern sie am Klinikum noch nicht etabliert waren. Seite 382 von 430 Interprofessionelle Teamentwicklung Ziele: • Alle Mitarbeiterinnen kennen die besondere Bedeutung der interprofessionellen Zusammenarbeit für den Erfolg des Universitätsklinikums und setzen dieses Wissen in der täglichen Arbeit ein. • Die Berufsgruppen arbeiten effizient und effektiv zusammen. • Vorhandenes berufsgruppenspezifisches Wissen ist vernetzt und findet Anwendung. • Jede Mitarbeiterin ist sich ihrer Bedeutung und Verantwortung für die Teamentwicklung bewusst. Maßnahmen: • Interprofessionelle Ausrichtung von Projektarbeit • Konzept interprofessionelle Fort- und Weiterbildung • Interprofessionelle Teamsupervision Führungskräfteentwicklung Ziele: • Die Führungskräfte kennen die Anforderungen des Klinikums an Qualifikation und Kompetenz. • Eine leitbildkonforme Führungskultur am Universitätsklinikum ist implementiert und ein gemeinsames Unternehmensverständnis entwickelt. • Die Führungskräfte verfügen über hohe Managementkompetenz und setzen diese ein, um die Mitarbeiterzufriedenheit zu erhöhen und den Unternehmenserfolg zu sichern. • Die Führungskräfte setzen ihre Personalentwicklungskompetenz zur Förderung der Leistungsbereitschaft und Identifikation der Mitarbeiterinnen mit dem Universitätsklinikum ein. Maßnahmen: • Entwicklung und Festlegung eines Anforderungsprofils, Definition von Führungskräfte • Führungskräftecurriculum • Interprofessionelle Zusatzqualifikation Managementkompetenz • Regelmäßige Führungsfortbildungen • Coaching • Mitarbeitergespräche mit Zielvereinbarung Schlüsselqualifikationen für Mitarbeitergewinnung und –bindung Ziele: • Eine angemessene Zahl qualifizierter Fachkräfte trägt zur Sicherung des langfristigen Unternehmenserfolgs bei. • Die an die Stelleninhaberin gestellten Anforderungen sind transparent. • Die Mitarbeiterstruktur ist auch unter den Bedingungen des demographischen Wandels ausgewogen. • Angemessene, lebensphasenbezogene Unterstützungsangebote tragen zu Leistungsfähigkeit und Zufriedenheit der Mitarbeiterinnen bei. • Vereinbarkeit von Beruf und Familie ist von zentraler Bedeutung. Maßnahmen: • Strukturierte Einarbeitung • Arbeitszeitmodelle und Teilzeitarbeit • Stellen- bzw. Funktionsbeschreibungen • Kinderbetreuung • Betriebliche Gesundheitsförderung • Betriebliches Vorschlagswesen • Mitarbeiterbefragung Abbildung 59: Ziele und Maßnahmen Konzept integrierte Personalentwicklung Darüber hinaus wurden Leitlinien für eine entwicklungsförderliche Arbeitsgestaltung ausgearbeitet. Diesen liegt der Gedanke zugrunde, dass im Arbeitsalltag selbst sich Seite 383 von 430 in hohem Maße entscheidet, ob Beschäftigte sich weiterentwickeln können und Lernen auf Dauer ermöglicht wird. Die Leitlinien knüpfen an die Ideen der Personalentwicklung on the job sowie den Erkenntnissen über organisationales Lernen an. Als anspruchsvoll erweist sich die Aufgabe, diese Leitlinien in der Praxis dann auch wirksam umsetzen zu können. In Abstimmung mit dem Zentralen Qualitätsmanagement des Klinikums wurden aus der zweijährig durchzuführenden Mitarbeiterbefragung diejenigen Fragen herausgefiltert, die Rückschlüsse über den Grad der Entwicklungs- und Lernförderlichkeit von Arbeitsplätzen zulassen. Bestandteil des Konzepts ist es, die Ergebnisse der Mitarbeiterbefragungen dann zu nutzen, um Bereiche mit über- und mit unterdurchschnittlichem Grad an Entwicklungs- und Lernförderlichkeit zu identifizieren. Über die Analyse von Bereichen mit überdurchschnittlich guten Ergebnissen und deren Darstellung und Veröffentlichung innerhalb des Klinikums soll ein Anreiz zur Nachahmung gegeben werden. Den Bereichen und Abteilungen mit erkennbaren Defiziten wird beratende Unterstützung durch das Schulungszentrum, die innerbetriebliche Fortbildung der Pflege und durch den Supervisionsdienst angeboten. Die Verantwortlichkeit für die Umsetzung jeder Maßnahme wird im Konzept konkret zugeordnet. Seite 384 von 430 Leitlinien für eine entwicklungsförderliche Arbeitsgestaltung Eine qualifikationsfördernde Aufgabengestaltung und deren adäquate Begleitung ermöglicht arbeitsimmanentes Lernen und somit die gezielte Personalentwicklung der Mitarbeiterinnen. Ziel ist eine kontinuierliche Kompetenz- und Persönlichkeitsentwicklung in der konkreten Arbeitstätigkeit. Die entwicklungsförderliche Arbeitsgestaltung verbindet Arbeiten und Lernen, dies setzt geeignete soziale Beziehungen und Arbeitsstrukturen voraus. Die individuellen Lebensphasen der Mitarbeiterinnen sind dabei zu berücksichtigen. Die Initiative und die zentrale Verantwortung liegen bei den Führungskräften, insbesondere beim Topmanagement. Wichtige Eckpfeiler sind: Pflege eines konstruktiven Umgangs mit kontroversen Standpunkten und Entwicklung einer angemessenen Fehlertoleranz, Förderung von interprofessioneller Kommunikation als Bestandteil der Arbeit und Element des Lernens voneinander, Einfordern von Transparenz, Verständlichkeit und persönlicher Integrität im Kommunikationsprozess sowie Offenlegung eigener Handlungsmotive insbesondere durch die Führungskräfte, Förderung von Kreativität und Selbstorganisation durch Einräumen von Partizipationsmöglichkeiten. Beteiligung der Mitarbeiterinnen an Entscheidungsprozessen, die diese selbst betreffen, Pflege einer offenen Feedbackkultur: Die Mitarbeiterinnen erhalten Rückmeldung über die Qualität ihrer Arbeit. Erweiterung von Entscheidungs-, Handlungs- und Kontrollspielräumen. Unterstützung selbstgesteuerten Lernens, Ermöglichung des Zugangs zu Wissen im Klinikum, Fördern von vernetztem Denken über die Grenzen der Abteilungen und Bereiche hinaus, Durchführung berufsgruppenübergreifender Projekte. Abbildung 60: Leitlinien entwicklungsförderliche Arbeitsgestaltung Alle Maßnahmen wurden mit dem so genannten „PDCA-Zyklus“ hinterlegt. Hierbei handelt es sich um eine Systematik aus dem krankenhausumfassenden Qualitätsmanagement nach KTQ.684 Danach sind Maßnahmen zu planen (plan), umzusetzen (do), auf ihre Wirksamkeit zu überprüfen (check), um hieraus wiederum Maßnahmen für die Weiterentwicklung bzw. Korrekturmaßnahmen abzuleiten (act). Darüber hinaus sollen mit einem Jahresbericht Personalentwicklung die Aktivitäten des Klinikums in Sachen Personalentwicklung und auch die Planungen für die Zukunft dargestellt werden. Der Bericht soll Grundlage sein für eine selbstkritische Auseinandersetzung mit dem Erreichten und zugleich ermöglichen, dass das Klinikum sich als attraktiver Arbeitgeber nach Innen und Außen darstellen kann. Die Verantwortung für die Umsetzung des Gesamtkonzeptes liegt bei einer vom Klinikumsvorstand berufenen Begleitgruppe Personalentwicklung. Deren Aufgabe ist 684 siehe hierzu auch Teil II Abschnitt 4.2.1 Handlungsfelder und Maßnahmen Seite 385 von 430 neben der Steuerung und Kontrolle auch die strategische Weiterentwicklung des Konzepts. Das Konzept wird einer jährlichen Revision unterzogen und der Stand der Umsetzung der Personalentwicklung wird durch einen Jahresbericht über die Gesamtaktivitäten des Klinikums dargestellt. Die Begleitgruppe Personalentwicklung bestand anfangs aus sieben Mitgliedern685 und wurde auf einer Klausurtagung des Klinikumsvorstandes mit den Ärztlichen Direktoren im Herbst 2008 um zwei Mitglieder erweitert.686 Auftrag Ausarbeitung Eckpfeiler PE Start AG PE Vorstand beschließt Eckpfeiler, Auftrag für Konzept PE Ausarbeitung durch interprofessionelle Projektgruppe Diskussion mit Belegschaft 1/2006 7/2006 Vorstand beschließt Konzept PE 01/2007 Mitarbeitergespräche, Mitarbeiterbefragung, Teamcoaching, Führungskräfteschulung Einarbeitung neue Mitarbeiter, Anforderungsprofil FührungsStart Umsetzung kräfte, 1. Jahresbericht PE Konzept PE 07/2007 01/2008 07/2008 01/2009 Abbildung 61: Etappen der Konzepterarbeitung und -umsetzung Bereits während der Ausarbeitung des Konzepts sowie in der Phase der Umsetzung, die 2008 begonnen hat, waren positive Effekte im Hinblick auf die integrative Wirkung auf die Berufsgruppen erkennbar. Parallel zur Projektgruppenarbeit entwickelte sich eine stärkere Verzahnung und ein reger Austausch zwischen den großen Fortund Weiterbildungseinrichtungen Schulungszentrum und innerbetriebliche Fortbildung der Pflege. Nach der Verabschiedung des Konzepts wurde dann auch die Akademie für Medizinische Berufe in diesen Austausch mit einbezogen, so dass das Know how und die Expertise im Bereich Fort- und Weiterbildung am Universitätsklinikum gebündelt und gestärkt werden konnte. Die am beforschten Universitätsklinikum im 4. Quartal durchgeführte Mitarbeiterbefragung über alle Beschäftigten zeigt eine überdurchschnittliche Zufriedenheit, weist zugleich aber auch deutliche Defizite, im QM-Jargon „Verbesserungspotential“ genannt, auf. Ein Verbesserungspotential wird in der interprofessionellen Zusammenarbeit identifiziert, insbesondere in der Zusammenarbeit zwischen Ärzten und Pflegepersonal. Die integrierte Personalentwicklung ist hier in besonderer Weise gefordert.687 685 686 687 Es sind dies die Pflegedirektorin, eine Oberärztin, der Personalratsvorsitzende, die Leiterin des Schulungszentrums, eine Vertreterin der innerbetrieblichen Fortbildung der Pflege, die Leiterin des Supervisionsdienstes sowie der Leiter des Geschäftsbereichs Personal, Kooperationen und Wirtschaft der Dekan der medizinischen Fakultät sowie eine Ärztliche Direktorin. Die Ergebnisse der Mitarbeiterbefragung liegen dem Autor dieser Arbeit vor, siehe auch PresseSeite 386 von 430 3 Resümee und Ausblick Zum Schluss meiner Arbeit möchte ich ein Resümee in zweierlei Richtung ziehen: Zum einen sollen die Kernaussagen noch einmal fokussiert werden und zum anderen möchte ich sozusagen als Blick in die Zukunft Anregungen für weitere Forschungsarbeiten und für Gestaltungsperspektiven der Personalentwicklung in Großkrankenhäusern geben. 3.1 Die Kernerkenntnisse An dieser Stelle gilt es, die am Anfang des Forschungsprojekts genannten Hypothesen zum Untersuchungsfeld688 einer kritischen Überprüfung zu unterziehen: 1. Personalentwicklung an Krankenhäusern ist stark berufsgruppenorientiert. Dies gilt in besonderem Maße für Universitätsklinika. Die Entwicklung der Krankenhäuser im Zeitalter von Fallpauschalen und Qualitätsmanagement relativiert den Nutzen traditioneller, weitgehend berufsständisch orientierter Personalentwicklung und verkehrt ihn in das Gegenteil. Eine Neuausrichtung der Personalentwicklung stößt an die Grenzen traditionell gewachsener Kulturunterschiede und berufsständischer Hierarchien. Dies gilt in besonderem Maße für Universitätsklinika, weil dort die Ärzteschaft eine weit dominantere Rolle spielt, als in anderen Krankenhäusern. Diese Hypothese wird durch die Untersuchung weitgehend bestätigt. Zwar gibt es an einigen Universitätsklinika in Österreich und der Schweiz eine deutlich interprofessionell und integrativ ausgerichtete Personalentwicklung.689 Diese Klinika bilden aber die Ausnahme, die Klinika mit gering ausgebauter und/oder mit berufsständisch ausgerichteter Personalentwicklung prägen deutlich das Gesamtbild. Die in 688 689 veröffentlichung in der Badischen Zeitung „Mehr Mitsprache erhöht die Arbeitsmotivation“ vom 24.04.2009, auch in: http://www.badische-zeitung.de/freiburg/mehr-mitsprache-erhoeht-diearbeitsmotivation vom 25.04.2009 siehe Einführung Unterschiede im Grundverständnis von Personalentwicklung zwischen Deutschland und der Schweiz werden auch in der Literatur erwähnt. Die Ausrichtung der Personalentwicklung sei in der Schweiz grundsätzlich durch einen höheren Grad der Dezentralisierung und ein höheres Maß an strategischer Orientierung als in Deutschland gekennzeichnet. Der dortige Ansatz dürfte eher als „integrierte Personalentwicklung“ bezeichnet werden können. Dieser Ansatz findet sich neben der Schweiz auch in Schweden, Kanada und Japan. Siehe: Böhme, K.: Strategische Personalentwicklung, München und Neuwied 2003 Seite 7 Seite 387 von 430 Kontrast hierzu erkennbare Bereitschaft vieler Personalverantwortlicher, sich aktiv für den Ausbau von Personalentwicklung und für eine berufsgruppenübergreifende Perspektive einzusetzen, lässt hoffen, dass es mittelfristig gelingen kann, mit Hilfe aktiver Personalentwicklung berufsständische Grenzen zu überwinden. Die bei einer nicht geringen Zahl von Personalverantwortlichen aber deutlich erkennbare eher pessimistische, bisweilen resignative Einstellung dämpft zugleich all zu hohe Erwartungen auf schnelle Änderungen und Ergebnisse. 2. Die erforderliche Orientierung auf eine verstärkte Patientenorientierung, die Einrichtung von Behandlungspfaden und der ökonomische Druck zwingen zur Neuausrichtung der Personalentwicklung hin auf Interprofessionalität und Integration. Der besondere Status eines Universitätsklinikums als Großkrankenhaus und Teil der Universität mit den Aufgabenbereichen Krankenversorgung, Forschung und Lehre erschwert die integrierte und interprofessionelle Personalentwicklung. Zugleich birgt diese Konstellation aber gerade die Chance, die Arbeitsbedingungen lern- und entwicklungsförderlich zu gestalten und somit Personalentwicklung gewinnbringend in den Arbeitsalltag zu integrieren. Die Verifizierung dieser Hypothese stößt auf Probleme. Noch ist die Personalentwicklung an den Universitätsklinika in zu geringem Umfang auf Interprofessionalität und Integration ausgerichtet, als dass sich hier klare Rückschlüsse ziehen ließen. Durch die sowohl in der schriftlichen Befragung wie in den Experteninterviews übereinstimmend geäußerte Überzeugung, Personalentwicklung werde in Zukunft auch an den Universitätsklinika an Bedeutung gewinnen, fühle ich mich gleichwohl in der Haltung bestätigt, an der These festzuhalten. Dabei erscheint es mir besonders interessant, die Entwicklung von organisationalem Lernen und entwicklungsförderlicher Arbeitsgestaltung an den Universitätsklinika weiter zu beobachten. Auch muss die Patientenorientierung als zentrales Element der Strategie jedes Universitätsklinikums Eingang in die Personalentwicklung finden. Mit der Neuausrichtung der Krankenhauslandschaft, die auf Wirtschaftlichkeit und Wettbewerb zielt, wird auch hier ein „hervorragender Kundenservice“ zur besten Geschäftsstrategie.690 690 siehe: Spitzer, R. B.: Gegen den Strom schwimmen: Die Herausforderungen des GesundheitsweSeite 388 von 430 3. Krankenhäuser, denen es besser gelingen wird, die Personalentwicklung und in deren Folge die Unternehmenskultur und die Belegschaft interprofessionell auszurichten, verfügen über einen Wettbewerbsvorteil, der die Lebensfähigkeit in der Zeit der „Marktbereinigung“ sichern hilft. Die Untersuchung dieser Hypothese muss offen bleiben. Dies ist zum einen der Tatsache geschuldet, dass es im Untersuchungsfeld Universitätsklinika gegenwärtig noch keine empirisch signifikante Zahl an Klinika gibt, die über eine interprofessionell ausgerichtete Personalentwicklung verfügen. Zum anderen ist der Umbau des Krankenhauswesens, der auch die Universitätsklinika einschließt, in Deutschland in vollem Gange und steht z. B. in der Schweiz mit dem geplanten Umstieg auf das Fallpauschalensystem erst noch bevor. Auch geben weder die schriftliche Befragung noch die Experteninterviews valide Hinweise, die dazu beitragen können, den genannten Zusammenhang herzustellen. Gleichwohl bleibt anzumerken, dass es zahlreiche Untersuchungen gibt, die den Zusammenhang zwischen der Unternehmenskultur und der wirtschaftlichen Entwicklung eines Unternehmens belegen. Dabei ist bis heute strittig, in welche Richtung dieser Zusammenhang wirkt: Ist es eine positive, von einer gemeinsamen Leit- und Werteorientierung unterlegte Unternehmenskultur, die letztlich den wirtschaftlichen Erfolg befördert oder ist es der wirtschaftliche Erfolg, der eine solche Unternehmenskultur befördert?691 Vermutlich ist dies auch die falsche Diskussion: Letztlich dürfte es egal sein, was zuerst war, wichtig ist: Der Zusammenhang ist signifikant und dürfte insofern auch an Krankenhäusern wissenschaftlich belegbar sein. Das Ergebnis von Befragung und Experteninterviews belegt, dass Personalentwicklung in Zukunft an den Krankenhäusern an Bedeutung deutlich gewinnen wird. Dieses Ergebnis liegt durchaus im Trend der anderen Branchen, insbesondere der personenbezogenen Dienstleistung. Nicht zuletzt zwingt die demografische Entwicklung dazu, die Bemühungen um die Entwicklung des Personals erheblich zu verstärken. 691 sens, in: Drucker, P. F.; Paschek, P. (Hrsg.): Kardinaltugenden effektiver Führung, Frankfurt 2004, Seite 143 Siehe: Pflüger, N.: 2008 ebenda sowie Wikipedia: Betriebspädagogik 14.03.2009 Seite 389 von 430 3.2 Visionen und Perspektiven einer integrierten Personalentwicklung im Krankenhaus Das Bild oder die Idee einer integrierten Personalentwicklung in einem Großkrankenhaus zielt auf die drei Felder Interprofessionalität, Gesamtunternehmen und Arbeitsgestaltung und ist wie folgt definiert: 1. Die Personalentwicklung ist interprofessionell ausgerichtet und verfolgt dezidiert das Ziel, die tradierten berufsständischen Grenzen zu überwinden und die interprofessionelle Zusammenarbeit zu stärken. 2. Die Personalentwicklung ist auf das Gesamtunternehmen ausgerichtet und an alle Beschäftigten adressiert. Sie trägt damit maßgeblich zur Entwicklung einer Corporate Identity bei. 3. Die Personalentwicklung ist in den Arbeitsalltag integriert und schafft Voraussetzungen für eine lern- und entwicklungsförderliche Arbeitsgestaltung. Es geht somit beim Begriff integrierte Personalentwicklung um integrierend zwischen den Berufsgruppen, um integrierend in Bezug auf das Gesamtunternehmen Krankenhaus und um integrierend in den Arbeitsalltag. Aus der Verzahnung dieser drei Ebenen wird eine nachhaltige Wirkung erzielt, die weder durch berufsständische Grenzkonflikte noch durch lediglich partielle Wirkungskreise und arbeitsalltagferne Ausrichtung konterkariert wird. Integrierte Personalentwicklung Interprofessionelle Personalentwicklung Klinikumsumfassende Personalentwicklung Lern- und entwicklungsförderliche Arbeitsgestaltung Ist/Heute Soll/Zukunft Abbildung 62: Ebenen integrierter Personalentwicklung Seite 390 von 430 Zusammenfassend seien nun die zentralen Gründe für das Postulat einer integrierten Personalentwicklung mit den erwarteten Wirkungen in die Zukunft erläuternd zusammengefasst: Das Gesundheitssystem in Deutschland befindet sich in einer Umbruchphase, gleiches gilt für die Schweiz und für Österreich, wenn auch mit anderen Nuancen. Im Zentrum der Veränderungen stehen die Krankenhäuser und in besonderer Hinsicht die Universitätsklinika als Trendsetter und Impulsgeber der Hochleistungsmedizin. Die Rahmenbedingungen für die künftige Entwicklung der Berufsgruppen im Gesundheitswesen sind dabei geprägt durch: • Integrations- und Koordinationsdefizite, • gestiegene Patientenautonomie, • Multimorbidität der Patienten, • älter werdende Bevölkerung, • Forderung nach stärkerer Outcome-Orientierung.692 Die daraus abgeleitete Anforderung heißt Integration statt Differenzierung und hier stehen die Krankenhäuser und ihre Beschäftigten erst am Anfang. Die rechtlichen Rahmenbedingungen in der Schweiz ermöglichen es, dass sich Mediziner und Pflegende auf Augenhöhe begegnen. Damit ist dort die Basis gelegt für eine wertschätzende, konstruktive und zielführende Zusammenarbeit. In den Befragungen von deutschen Pflegekräften und Ärzten, die in der Schweiz arbeiten, wird diese Tatsache als Grund für den Wechsel in die Schweiz an oberster Stelle genannt, weit vor den guten Verdienstmöglichkeiten. In Deutschland wird dies bis dato beharrlich ignoriert. Die hier nach wie vor bestehenden berufsständischen Barrieren gilt es zu durchbrechen. Der Wert der eigenen Profession darf sich nicht weiter am Beitrag zum Erhalt eigener Standesprivilegien, Statussymbole und Machtpositionen bemessen, sondern am Beitrag zu einem integrierten, kooperativen und wertschätzenden Zusammenspiel aller Professionen. Die Ergebnisse meiner Forschungsarbeit belegen: Das Verhältnis zwischen den Berufsgruppen muss in einen neuen Zusammenhang gestellt, neu dimensioniert werden und dies ist leistbar. Eine integrierte Personalentwicklung ist geeignet, hierzu einen äußerst wert- und bedeutungsvollen Bei692 nach: Schrappe, M.: Krankenhaus-Report 2007 ebenda Seite 183 Seite 391 von 430 trag zu leisten. 3.2.1 Integration durch Behandlungspfade Die traditionellen Rollenverständnisse der Berufsgruppen im Gesundheitssystem bedürfen also einer Revision: Nicht die Abgrenzung und Selbstbehauptung ist gefragt, sondern die Ausrichtung der Zusammenarbeit am Prozess der Krankenversorgung. Im Fokus der Bemühungen stehen dabei zunehmend die sogenannten „Behandlungspfade“. Der Einsatz von Behandlungspfaden gilt als wichtige Voraussetzung für den Erfolg im Fallpauschalensystem der deutschen und österreichischen Krankenhäuser, welches auf die Klinika in der Schweiz noch zukommen wird. Gleichwohl ist auch dort das Thema Behandlungspfad aktuell. Ein Universitätsklinikum wird im regionalen Gesundheitsmarkt so erfolgreich sein, wie seine Behandlungsdienstleistungen qualitativ hochwertig und ökonomisch effizient angeboten werden können. Übergreifende Behandlungspfade, bisweilen auch „Patientenpfade“ genannt, bilden hierzu eine wichtige Grundlage. Ein klinischer Behandlungspfad ist dabei ein standardisiertes Prozessschema, das den definierten Behandlungsprozess berufsgruppen- und abteilungsübergreifend für Patienten mit spezifischen Diagnosen beschreibt. Ihre Erarbeitung erfordert eine bewusste Auseinandersetzung mit dem Behandlungsprozess, die Optimierung von Schnittstellenproblemen bis zum "reegineering" des gesamten Ineinandergreifens der Leistungskette in den Abteilungen, dem Gesamtklinikum und über dessen Grenzen hinaus. Die Implementation von Behandlungspfaden verbessert die Patientenversorgung qualitativ und ist ökonomisch sinnvoll. Wie beschrieben hat insbesondere für Krankenhäuser der Maximalversorgung der wirtschaftliche Druck deutlich zugenommen. Pauschale Entgelte erfordern geradezu die Einführung standardisierter Behandlungsformen. Nur so sind Prozesse straff zu organisieren, einzelne Behandlungsschritte besser aufeinander abzustimmen, Ressourcen besser zu planen und Schnittstellen konsequent zu beseitigen. Zudem verringert sich die Komplexität des Behandlungsprozesses und damit einhergehend die FehlerwahrscheinIichkeit. Seite 392 von 430 Behandlungspfade sind Grundlage eines kontinuierlichen Verbesserungsprozesses und stehen somit im Kontext der Organisations- und Personalentwicklung. Besonders wichtig ist ihre Rolle bei der Verbesserung der Ergebnisqualität in der Patientenversorgung, vor allem durch die Definition eindeutiger Kommunikations- und Informationsabläufe. In der Summe sind Behandlungspfade ein wichtiges ablauforganisatorisches Managementinstrument zur Qualitätssicherung, zur Erlösoptimierung und zur Kostenkontrolle. Sie erfordern eine interprofessionelle Ausrichtung der Personalentwicklung und bestimmen die Arbeitsgestaltung aller Berufsgruppen in multiprofessionellen Teams maßgeblich. Damit befördern sie zugleich die integrierte Personalentwicklung.693 3.2.2 Überwindung der berufsständischen Barrieren Letztendlich bedeuten alle für die Krankenhäuser genannten Anforderungen und Veränderungen „eine Öffnung der Berufe im Gesundheitswesen. Während bislang alle Berufe versuchen, in ihrem durch Berufsgruppe, Fach- und Sektorzugehörigkeit definierten Bereich durch vermehrte und oft übermäßige Anstrengungen mit den anstehenden Strukturveränderungen ‚fertig zu werden’, ist in Zukunft eine Orientierung am Team, am Prozess der Leistungserbringung und letztlich am Gesamtunternehmen notwendig.“694 Neben der immer wieder zentral fokussierten Verbesserung der Interprofessionalität wird hier auch die Notwendigkeit der Ausrichtung auf das Gesamtunternehmen deutlich. Die Identifikation mit dem eigenen Berufsstand und der eigenen Abteilung wird ergänzt durch den Blick über die Professions- und Bereichsgrenzen hinweg und die Entwicklung einer gemeinsamen Organisationsidentität. Damit geht – von einer integrierten und integrierenden Personalentwicklung unterstützt – ein Perspektivenwechsel von der identitätswahrenden Abgrenzung zur identitätsstiftenden Integration einher. 693 694 siehe hierzu auch den Erfahrungsbericht aus der Abteilung für Onkologie des Universitätsklinikums Graz, in dem anschaulich die Entwicklung sogenannter „Standard operating procedures“ (SOP) geschildert wird, was die interprofessionelle Zusammenarbeit erzwungen und gefördert hat, in: Grossmann, R.; Scala, K.; Heimerl, K.: 2002 ebenda Seite 128 ff siehe: Schrappe, M.: Krankenhaus-Report 2007 ebenda Seiten 184f, siehe auch: Rosenthal, T.; Wagner, E.: 2004 ebenda Seite 84 Seite 393 von 430 3.2.3 Entwicklungsförderliche Organisationskultur Exemplarisch stehen Behandlungspfade und ihre Entwicklung auch für die Notwendigkeit und den Nutzen der Schaffung lern- und entwicklungsförderlicher Bedingungen am Arbeitsplatz, im Arbeitsalltag. Hier eröffnen sich kontinuierliche Lernchancen, orientiert an der zentralen krankenhausrelevanten Problemstellung der Gestaltung optimaler Behandlungsprozesse auf qualitativ hohem Niveau. In dem mehrfach beschriebenen, dynamisch sich wandelnden, an Komplexität zunehmenden Unternehmensumfeld spielen also Anpassungs- und Innovationsfähigkeit sowie eine verstärkte Lernbereitschaft des Personals für die Universitätsklinika eine zunehmend größere Rolle. Die klassische Personalentwicklung kommt hier an ihre Grenzen und muss durch Lern- und Entwicklungsmöglichkeiten im Arbeitskontext sowie durch vielfältige Möglichkeiten des Wissensmanagements erweitert werden. Auch hier bieten sich den Universitätsklinika durch die Nähe zur wissenschaftlichen Lehre Bedingungen, über die andere Krankenhäuser nicht verfügen. Es gilt, diese nur zu nutzen. Die Personalentwicklung an einem Universitätsklinikum kann wesentlich dazu beitragen Elemente von Selbstorganisation und organisationalem Lernen zu entwickeln. Dies sichert die Personalentwicklung und spart Ressourcen. Die Vergeudung von Ressourcen durch die Transferlücke der traditionellen Fort- und Weiterbildung wird minimiert. Ansätze von organisationalem Lernen tragen auch der Erkenntnis Rechnung, dass Wissen eine zunehmend wichtige Ressource im Krankenhaus darstellt. So gilt es, an den Universitätsklinika eine das Lernen und Entwickeln fördernde Organisationskultur zu verankern. „Die Bedeutung des organisationalen Umfelds für arbeitsorientiertes Lernen kann nicht hoch genug angesetzt werden. Das Verhalten der Vorgesetzten, das Klima in einer Abteilung oder Arbeitsgruppe, der Zugang zu lernrelevanten Ressourcen, die Zuteilung zu Trainingsmaßnahmen oder auch die Honorierung von Lernleistung beeinflussen die Lernmotivation, die Transfermotivation, die Lernleistung, den Wissenstransfer oder das Ausmaß, in dem Mitarbeiter an Entwicklungsmaßnahmen teilnehmen“.695 Auch hier gilt: Günstige Grundbedingungen sind gerade an Universitätsklinika in besonderem Maße gegeben, sie zu nutzen 695 siehe: Sonntag, K.; Stegmaier, R.: 2007 ebenda Seite 244 Seite 394 von 430 ist die herausfordernde Aufgabe des Personalmanagements. Profitieren können aber auch nichtuniversitäre Krankenhäuser, die z.B. als sogenannte „Akademische Lehrkrankenhäuser“ über Kooperationsbeziehungen mit Universitätsklinika verfügen. Personalentwicklung findet nicht zuletzt im Rahmen der Entwicklung des gesamten Krankenhauses statt. Dabei ist diese Entwicklung immer eine Eigenleistung des jeweiligen Systems, ob es nun um ein Team, eine Abteilung, eine Klinik oder die gesamte Organisation geht. Die Entwicklung ist dabei in hohem Maße abhängig von den internen Strukturen und den vorhandenen Ressourcen. Eine Einflussnahme durch Personalentwicklung führt dabei keineswegs zu einem linear darstellbaren Ergebnis, sie kann nur Impulse setzen und Bedingungen gestalten, die eine interne Entwicklung in die gewünschte Richtung begünstigen.696 3.2.4 Führungskräfteentwicklung Kerngruppe einer interprofessionellen und integrierten Personalentwicklung sind die Führungskräfte und hier insbesondere der Führungsnachwuchs. Dies wird sowohl durch die Befragung wie auch insbesondere in den Experteninterviews deutlich. Die vorhandenen Ansätze einer interprofessionellen Ausrichtung der Personalentwicklung zielen an den meisten Universitätsklinika in einem ersten Schritt auf diese Zielgruppe. Ein besonderes Augenmerk sollte darüber hinaus aus meiner Sicht auf die Befähigung und Entwicklung von Frauen in Führungsaufgaben gelegt werden. Dieser Aspekt wird in den Interviews lediglich am Rande erwähnt, erscheint mir aber nicht nur auf dem Hintergrund allfälliger Genderbemühungen erforderlich, sondern insbesondere dadurch begründet, dass Krankenhäuser einen hohen Frauenanteil in der Belegschaft aufweisen. Als Unternehmen personenbezogener Dienstleistungen sind sie im Wesentlichen Teilen Berufs- und Erwerbsdomäne von Frauen.697 Für Universitätsklinika als internationale Forschungsstätten ist der Nutzen von Diversität darüber hinaus von besonderer Bedeutung. Eine aktive Auseinandersetzung mit der Vielfalt der Menschen im Unternehmen ist erforderlich und im Sinne einer integrierten Personalentwicklung zielführend. Einer Untersuchung zur „Führungsausbildung in Unispitälern der Deutschschweiz“ im 696 697 siehe: Grossmann R.; Scala, K.; Heimerl, K.: 2002 ebenda Seite 15 siehe: Karsten, M-E.; Braun, C. von: Entwicklung des Qualifikations- und Arbeitskräftebedarfs in den personenbezogenen Dienstleistungsberufen; Berlin 1999 Seite 9 Seite 395 von 430 Rahmen einer Gruppendiplomarbeit an der Fachhochschule Solothurn folgend wären als erforderliche Qualifikationen zu nennen:698 Mit erster Priorität: • Berufsgruppenübergreifendes Denken und Handeln, • vernetztes Denken und Handeln, • Interesse und Verständnis für andere Werthaltungen in der Unternehmung. Mit zweiter Priorität: • Unternehmerisches Denken und Handeln, • erworbene Qualifikationen im Change Management, • erworbene Qualifikationen im Wissensmanagement. Als Fazit wird eine über die Professionsgrenzen hinausgehende integrierte Führungsausbildung empfohlen. 3.2.5 Verzahnung von Wissenschaft und Praxis Krankenhäuser, insbesondere Universitätsklinika, sollten sich stärker für Kooperationen zwischen Praxis und Wissenschaft auf den Feldern Personalentwicklung und arbeitsbezogenes Lernen interessieren. Gerade Universitätsklinika sind hierzu prädestiniert, verfügen sie doch neben einer vielfältigen, hoch komplexen und dynamisch sich entwickelnden Personalstruktur über den direkten Zugang zu Wissenschaft und Forschung an den eng verbundenen Universitäten. Aus dieser Zusammenarbeit lassen sich zweifelsohne auch neue Forschungsfragen gewinnen. Einige davon will ich weiter unten erläutern. 3.2.6 Integration von Personalentwicklung in die Ausbildung Die interprofessionellen Anteile in der Ausbildung der Pflegekräfte, der Mediziner und der Kaufleute gilt es auszubauen. Einen wichtigen Schritt hat hier die Schweiz mit der Neufassung des Medizinalberu698 siehe: Boess, M.; Gosset, L..; Hebeisen, B.; Krayenbühl, D.; Wipf, M.: Führungsausbildung in Unispitälern der Deutsch-Schweiz: Anforderungen, Erfahrungen und Empfehlungen; Fachartikel zur Gruppendiplomarbeit im Rahmen des schweizerischen Nachdiplomstudiums Personalmanagement SNP 23, Fachhochschule Solothurn, Nordwestschweiz, März 2003 Seite 12 Seite 396 von 430 fegesetzes getan. Dieses regelt die Ausbildung der Ärzte in der Schweiz. In den Ausbildungskatalog aufgenommen wurde z.B. „Zwischenmenschliche Kommunikation“. Die Aus- und Weiterbildung soll die Ärzte zur Teamarbeit befähigen sowie dazu, die verschiedenen an einer Behandlung beteiligten Personen, Angehörige und weitere Gesundheitsfachleute, auf das gemeinsam anzustrebende Ziel zu orientieren. Darüber hinaus werden Organisations- und Managementaufgaben in den Ausbildungskatalog aufgenommen. Ärzte sollen auf die Übernahme von Organisations-, Management- und Führungsaufgaben vorbereitet werden. Besonders erwähnt wird, dass es zum Aufgabenbereich der Ärzte gehört, „Prozesssteuerung und Ressourcenallokation“ zu erlernen. Begründet wird dies damit, dass neben der Verantwortung für den einzelnen Patienten immer mehr auch Verantwortung für den kostenwirksamen Einsatz der beschränkten Mittel übernommen werden muss. Kenntnisse und Fähigkeiten in den Bereichen Management, Personalführung, Ökonomie und Organisationslehre seien erforderlich.699 Vergleichbares wird auch in Deutschland für die Ärzteausbildung gefordert. Noch wird die notwendige Managementkompetenz aber nicht innerhalb des Medizinstudiums vermittelt. Es gibt aber zahlreiche Angebote an Fachhochschulen und Universitäten für Mediziner, die diese befähigen sollen, fachlich und methodisch künftigen Managementaufgaben gewachsen zu sein.700 3.3 Anregungen für weitere Forschungsprojekte Die Themenfelder Wissensmanagement und Organisationales Lernen im Kontext des Krankenhauses und im Kontext persönlicher Dienstleistungen sind interessante, weitgehend noch unentdeckte Forschungsfelder. Die Komplexität und Dynamik der Großorganisation Krankenhaus, die starke Vielfalt der dort zu verarbeitenden Informationen und die Heterogenität der in ihr arbeitenden Menschen drängen geradezu nach Nutzung der Erkenntnisse Organisationalen Lernens. Die Erforschung der Übertragbarkeit der vorliegenden theoretischen Ergebnisse einerseits sowie die Untersuchung der Übertragbarkeit der praktischen Erfahrungen aus industriellen Großunternehmen bietet hier ein breites Forschungsfeld. Die Untersuchung der Hypothese, Krankenhäuser, denen es besser gelingen wird, 699 700 siehe: Botschaft zum Bundesgesetz über die universitären Medizinalberufe, vorgelegt vom schweizerischen Bundesrat, in: Internet: 12.03.2006: http://www.bag.admin.ch/berufe/projektmed/gesetz/d/botschaft. pdf siehe: Lieb, N.: 6/2004 ebenda Seite 514 sowie Strehlau-Schwoll, H.: 2004, ebenda Seite 518 sowie Krankenhausumschau 12/2003 Zeitgemäßes Krankenhausmanagement, ebenda Seite 1218 Seite 397 von 430 die Personalentwicklung und in deren Folge die Unternehmenskultur und die Belegschaft interprofessionell auszurichten, verfügen über einen Wettbewerbsvorteil, der die Lebensfähigkeit in der Zeit der „Marktbereinigung“ sichern hilft, bleibt offen. Eine empirische Untermauerung der These, unterlegt mit Parametern, die es erlauben, die Qualität der Personalentwicklung in den Häusern zu bewerten und eine Korrelation mit der wirtschaftlichen Entwicklung herzustellen, dürfte in der mittleren Zukunft ein spannendes Forschungsfeld sein. Die Entwicklung von Behandlungspfaden ist ein wesentliches Organisationsinstrument, mit dem sich die Krankenhäuser auf die geänderten Umfeldbedingungen, insbesondere die geänderten Finanzierungssysteme einstellen. Eine aus meiner Sicht sehr interessante Forschungsfrage wäre in diesem Zusammenhang: Inwieweit fördern die Entwicklung und Implementierung von Behandlungspfaden das Verständnis und die Qualität von Kommunikation und Zusammenarbeit zwischen den Berufgruppen nachhaltig? Seite 398 von 430 Abbildungs- und Tabellenverzeichnis Abbildung 1: Ebenen integrierter Personalentwicklung ............................................ 17 Abbildung 2: Die Gesundheitswirtschaft ................................................................... 26 Abbildung 3: Die langen Wellen und ihre wichtigsten Bedarfsfelder ......................... 27 Abbildung 4: Die klassischen Personalfunktionen .................................................... 34 Abbildung 5: Voraussetzungen menschlichen Leistungsverhaltens. ........................ 36 Abbildung 6: Psychologische Teildisziplinen und Personalentwicklung.................... 41 Abbildung 7: Unternehmens-, Organisations- und Personalentwicklung .................. 65 Abbildung 8: Kernprozesse Personalmanagement................................................... 68 Abbildung 9: Die Sektoren des Gesundheitssystems Deutschland .......................... 74 Abbildung 10: Prozess der Leistungserstellung im Krankenhaus ............................. 78 Abbildung 11: Aufgaben von Universitätsklinika im Überblick .................................. 81 Abbildung 12: Entwicklung Krankenhauspersonal (Vollkräfte in %).......................... 92 Abbildung 13: Belastungszahl nach Fällen ............................................................... 93 Abbildung 14: Relative Tätigkeiten der Pflege .......................................................... 99 Abbildung 15: Universitätsklinika, die an der Befragung teilgenommen haben ...... 127 Abbildung 16: Organisationseinheit Personalentwicklung ...................................... 128 Abbildung 17: Personalentwicklung im Leitbild ....................................................... 130 Abbildung 18: Personalentwicklung im Leitbild – Deutschland ............................... 131 Abbildung 19: Ausgewählte Auszüge aus Leitbildern von Universitätsklinika ......... 134 Abbildung 20: Klinikumsumfassendes Konzept der Personalentwicklung .............. 135 Abbildung 21: Befassung der Klinikumsvorstände mit Personalentwicklung .......... 136 Abbildung 22: Stellenwert der Personalentwicklung ............................................... 138 Abbildung 23: Vergleich Stellenwert nach Geschlecht ........................................... 139 Abbildung 24: Verfügbarkeit von Ressourcen für Personalentwicklung.................. 140 Abbildung 25: Bedeutung der Personalentwicklung in der Zukunft......................... 141 Abbildung 26: Vergleich Zukunftsbedeutung nach Geschlecht............................... 142 Abbildung 27: Interprofessionelle Ausrichtung der Personalentwicklung................ 143 Abbildung 28: Zusammenarbeit der Berufsgruppen ............................................... 144 Abbildung 29: Personalentwicklung als Führungsaufgabe ..................................... 147 Abbildung 30: Schulung für Führungskräfte in Personalentwicklung ...................... 148 Abbildung 31: Wissensmanagement und organisationales Lernen ........................ 149 Abbildung 32: Mitarbeitergespräche im Pflegebereich ........................................... 150 Abbildung 33: Mitarbeitergespräche im ärztlichen Dienst ....................................... 151 Abbildung 34: Mitarbeitergespräche in der Verwaltung .......................................... 152 Abbildung 35: Mitarbeitergespräche an deutschen Universitätsklinika ................... 153 Abbildung 36: Mitarbeitergespräche an österreichischen Universitätsklinika ......... 154 Abbildung 37: Mitarbeitergespräche an schweizerischen Universitätsklinika ......... 155 Abbildung 38: Fort- und Weiterbildungsprogramm ................................................. 156 Seite 399 von 430 Abbildung 39: Grad der Integration der Personalentwicklung ................................. 158 Abbildung 40: Ebenen integrierter Personalentwicklung ........................................ 164 Abbildung 41: Der organisationale Entscheidungs- und Lernzyklus ....................... 228 Abbildung 42: Single-loop, double-loop und deutero-learning ................................ 238 Abbildung 43: Allgemeines Lernmodell .................................................................. 242 Abbildung 44: Arbeitsgestaltung und Personalentwicklung .................................... 268 Abbildung 45: Prozess arbeitsorientierten Lernens ................................................ 269 Abbildung 46: Personal- und Organisationsentwicklung im Kontext des St. Galler Management-Modells ........................................................................................... 289 Abbildung 47: Unternehmensumwelt ...................................................................... 293 Abbildung 48: Wirkgrößen der Personalentwicklung .............................................. 305 Abbildung 49: Der einfache Motivationsprozess ..................................................... 326 Abbildung 50: Die Bedürfnispyramide nach Maslow............................................... 337 Abbildung 51: Prozentuale Verteilung von Faktoren für positive und negative Einstellungen ........................................................................................................ 340 Abbildung 52: Die X-Theorie von Mc Gregor .......................................................... 342 Abbildung 53: Die Y-Theorie von Mc Gregor .......................................................... 342 Abbildung 54: Wirkungsdauer von Motivationsmitteln ............................................ 347 Abbildung 55: Wirkungsweise von Motivationsmitteln ............................................ 348 Abbildung 56: Wahrgenommener Nutzen der Vielfalt am Arbeitsplatz ................... 364 Abbildung 57: Zyklus der Handlungsforschung ...................................................... 369 Abbildung 58: Zusammensetzung der Projektgruppe ............................................. 378 Abbildung 59: Ziele und Maßnahmen Konzept integrierte Personalentwicklung .... 383 Abbildung 60: Leitlinien entwicklungsförderliche Arbeitsgestaltung ........................ 385 Abbildung 61: Etappen der Konzepterarbeitung und -umsetzung .......................... 386 Abbildung 62: Ebenen integrierter Personalentwicklung ........................................ 390 Tabelle 1: Krankenhauspersonal nach Berufsgruppen 2007 .................................... 90 Tabelle 2: Entwicklung des Krankenhauspersonals (Vollkräfte) ............................... 91 Tabelle 3: Typen der Befragung ............................................................................. 117 Tabelle 4: Teilnehmende Universitätsklinika nach Regionen ................................. 128 Tabelle 5: Organisationseinheit Personalentwicklung - Deutschland ..................... 129 Tabelle 6: Samplestruktur im Ländervergleich........................................................ 168 Tabelle 7: Samplestruktur deutsche Universitätsklinika .......................................... 168 Tabelle 8: Schulen und Basiskonzepte organisationalen Lernens.......................... 245 Tabelle 9: Arbeitsbezogene Lerntypen ................................................................... 271 Tabelle 10: Maßnahmen und Instrumente personaler Förderung "on the job" ....... 274 Tabelle 11: Fragestellungen und Aufgaben einer strategisch ausgerichteten Personalentwicklung ................................................................................................. 284 Tabelle 12: Unternehmenspolitik im St. Galler Management-Modell ...................... 294 Seite 400 von 430 Literaturverzeichnis Abraham, M.; Büschges, G.: Einführung in die Organisationssoziologie, 3. 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