Vorlesung Mathematik I.2 Prof. Dr. Zoltán Sasvári Institut für Mathematische Stochastik Technische Universität Dresden Sommersemester 2016 1 Inhaltsverzeichnis Grundbegriffe 3 Stetige Funktionen mehrerer Variablen 20 Funktionen mehrerer Variablen 25 Partielle Ableitungen 30 Kettenregel, Richtungsableitung, Gradient 42 Vollständiges Differential, Anwendungen 55 Mehrfache Integrale 68 Anwendungen dreifacher Integrale 90 Skalar- und Vektorfelder 98 Kurvenintegrale 117 Oberflächenintegrale 133 Integralsätze von Gauß und Stokes 140 Extrema der Funktionen mehrerer Variablen 146 Die mehrdimensionale Taylorsche Formel 162 Implizite Funktionen Zahlenreihen Potenzreihen Fourier-Reihen Differentialgleichungen Gewöhnliche Differentialgleichungen Differentialgleichungen erster Ordnung Physikalische Anwendungen Differentialgleichungen zweiter Ordnung Lineare Differentialgleichungen n-ter Ordnung Systeme linearer Differentialgleichungen Numerische Verfahren für Anfangswertprobleme Mathematik I.2 166 175 191 206 215 219 223 247 256 273 285 320 330 2 Grundbegriffe Der zweidimensionale Raum Definition 1 (Der zweidimensionale Raum) Unter dem zweidimensionalen Raum R2 versteht man die Menge aller geordneten Paare reeller Zahlen. Seine Elemente heißen Punkte. Kurz: R2 = {(x, y ) : x ∈ R, y ∈ R} . x und y heißen kartesische Koordinaten des Punktes P = (x, y ). Polarkoordinaten Ein Punkt P im zweidimensionalen Raum lässt sich auch durch Polarkoordinaten (r , ϕ) darstellen (interaktives Beispiel), wobei r ≥ 0 Abstand des Punktes vom Ursprung; ϕ Winkel zwischen der positiven x-Achse und der Geraden durch den Ursprung und P (0 ≤ ϕ < 2π, mathematisch positiv). 3 Grundbegriffe Der zweidimensionale Raum Umrechnungsformeln Umrechnung von Polarkoordinaten in kartesische Koordinaten: x = r · cos ϕ y = r · sin ϕ Umrechnung von kartesischen Koordinaten in Polarkoordinaten: p r = x2 + y2 y tan ϕ = , wenn x 6= 0 x π ϕ = , wenn x = 0, y > 0 2 3π ϕ= , wenn x = 0, y < 0. 2 4 Grundbegriffe Der zweidimensionale Raum Definitionen 2 I I I I p |P − Q| := (x1 − x2 )2 + (y1 − y2 )2 heißt Abstand der Punkte P = (x1 , y1 ) und Q = (x2 , y2 ). p |P| = x 2 + y 2 ist der Abstand des Punktes P = (x, y ) vom Nullpunkt (0, 0). Es sei P0 ∈ R2 und > 0. Die Menge U (P0 ) := P ∈ R2 : |P − P0 | < heißt die (offene) -Umgebung des Punktes P0 /Kreisscheibe/. Es sei D ⊂ R2 . Der Punkt P ∈ R2 heißt I I innerer Punkt von D, wenn es eine Umgebung U (P) gibt, die in D liegt; Randpunkt von D, wenn in jeder Umgebung U (P) sowohl ein Punkt von D als auch ein Punkt von R2 \ D liegt. 5 Grundbegriffe Der zweidimensionale Raum Definitionen 3 I Die Menge aller Randpunkte heißt der Rand von D. I Die Menge D heißt offen, wenn jeder Punkt P ∈ D ein innerer Punkt von D ist. I D heißt abgeschlossen, wenn R2 \ D offen ist. Beispiele 4 I D1 = {(x, y ) : 1 < x < 3 und − 1 < y < 2}, I D2 = {(x, y ) : 1 ≤ x ≤ 3 und − 1 ≤ y ≤ 2}, I D3 = {(x, y ) : 1 ≤ x < 3 und − 1 < y ≤ 2}, I P = (2, 1), Q = (1, 1). P ist innerer Punkt und Q ist Randpunkt jeder dieser drei Mengen. D1 ist offen, D2 ist abgeschlossen, D3 ist weder offen noch abgeschlossen. 6 Grundbegriffe Der zweidimensionale Raum Definition 5 Eine Menge D ⊂ R2 heißt beschränkt, wenn es eine Zahl A gibt, so dass für alle P ∈ D gilt |P| ≤ A, andernfalls heißt D unbeschränkt. 7 Grundbegriffe Der dreidimensionale Raum Definition 6 (Der dreidimensionale Raum) Unter dem dreidimensionalen Raum R3 versteht man die Menge aller geordneten Tripel reeller Zahlen: R3 = {(x, y , z) : x ∈ R, y ∈ R, z ∈ R}. Definition 7 Die Zahl q |P − Q| := (x1 − x2 )2 + (y1 − y2 )2 + (z1 − z2 )2 heißt Abstand der Punkte P = (x1 , y1 , z1 ) und Q = (x2 , y2 , z2 ). Die Definitionen aus dem vorherigen Abschnitt lassen sich einfach auf R3 übertragen (-Umgebung, innerer Punkt, ...). Randpunkt, ...). 8 Grundbegriffe Der dreidimensionale Raum Zylinderkoordinaten: (r , ϕ, z) Es sei P = (x, y , z) ∈ R3 , P 6= 0. Dann bezeichnen (siehe Bild und interaktives Beispiel): r : den p Abstand des Punktes P von der z-Achse; r = x2 + y2 ϕ: den Winkel der Verbindungsstrecke von (0, 0, 0) nach P 0 = (x, y , 0) 6= (0, 0, 0) gegen die positive Richtung der x-Achse in mathematisch positivem Sinn mit 0 ≤ ϕ < 2π (Bogenmaß); z: wie bei kartesischen Koordinaten. Bemerkung 8 r und ϕ sind die Polarkoordinaten des Punktes (x, y , 0). 9 Grundbegriffe Der dreidimensionale Raum Umrechnungsformeln x = r cos ϕ y = r sin ϕ z =z p wobei r = x 2 + y 2 . 10 Grundbegriffe Der dreidimensionale Raum Kugelkoordinaten: (r , ϕ, η) Es sei P = (x, y , z) ∈ R3 , P 6= 0. Dann bezeichnen (siehe Bild und interaktives Beispiel): r : den Abstand des Punktes P vom Ursprung (0, 0, 0); ϕ: wie bei Zylinderkoordinaten; mit der positiven Richtung der η: den Winkel, den die Strecke OP z-Achse bildet, von dieser ausgehend positiv gerechnet, wobei 0 ≤ η ≤ π (Bogenmaß). Bemerkung 9 Das sind astronomische Kugelkoordinaten; ersetzt man η durch erhält man die sog. geographischen Kugelkoordinaten. π 2 − η, so 11 Grundbegriffe Der dreidimensionale Raum Umrechnungsformeln x = r cos ϕ sin η y = r sin ϕ sin η z = r cos η p wobei r = x 2 + y 2 + z 2 . 12 Grundbegriffe Beispiele Beispiele 10 1. Die Kreisscheibe D = {(x, y ) : x 2 + y 2 < 9} wird in Polarkoordinaten durch die Ungleichungen 0 ≤ r < 3 und 0 ≤ ϕ < 2π beschrieben. 2. Die Ungleichungen 2 < r ≤ 5, 0 ≤ ϕ < π beschreiben die obere Hälfte eines Kreisringes. /Bild/ 3. Die Menge {(x, y , z) : 1 ≤ x ≤ 3, 0 ≤ y ≤ 3, 1 ≤ z ≤ 4} ist ein Quader. /Bild/ 13 Grundbegriffe Beispiele Beispiele 10 (Fortsetzung) 4. Durch das Ungleichungssystem 1 0 ≤ r ≤ R, 0 ≤ ϕ < 2π, 0 ≤ η ≤ π 4 in Kugelkoordinaten wird ein Kugelausschnitt mit dem Öffnungswinkel π/2 beschrieben. /Bild/ 5. Eine Kugel vom Radius R mit Mittelpunkt (0, 0, 0) wird in Kugelkoordinaten durch die Ungleichungen 0 ≤ r ≤ R, 0 ≤ ϕ < 2π, 0 ≤ η ≤ π beschrieben. 14 Grundbegriffe Beispiele Aufgabe Der Kreiszylinder Z /Bild/ ist durch ein System von Ungleichungen zu beschreiben. Lösung p x 2 + y 2 ≤ R, 1 ≤ z ≤ 4} = Z = {(x, y , z) : p p 2 2 {(x, y , z) : −R ≤ x ≤ R, − R − x ≤ y ≤ R 2 − x 2 , 1 ≤ z ≤ 4}. In Zylinderkoordinaten: 0 ≤ r ≤ R, 0 ≤ ϕ < 2π, 1 ≤ z ≤ 4. 15 Grundbegriffe Beispiele Aufgabe Der Kegel K /Bild/ ist in Zylinderkoordinaten zu beschreiben. Lösung 0 ≤ r ≤ R, 0 ≤ ϕ < 2π, da zr r = h R =⇒ zr = h r ≤z ≤h R h R r. 16 Grundbegriffe Der n-dimensionale Raum Definition 11 (Der n-dimensionale Raum) Unter dem n-dimensionalen Raum Rn versteht man die Menge aller geordneten n-Tupel (x1 , . . . , xn ) reeller Zahlen. Die Zahl v u n uX |P − Q| = t (xi − yi )2 i=1 heißt der Abstand der Punkte P = (x1 , . . . , xn ) und Q = (y1 , . . . , yn ) voneinander. Man übernimmt die Bezeichnungen aus dem dreidimensionalen Fall. So bezeichnet zum Beispiel U (P) die Menge aller Punkte, deren Abstand zu P kleiner ist als . Diese Menge wird als -Umgebung von P oder auch als Kugel vom Radius mit Mittelpunkt P genannt. 17 Grundbegriffe Konvergenz im n-dimensionalen Raum Definition 12 Es sei (k) (k) (k) Pk = (a1 , a2 , . . . , an ), k = 1, 2, . . . eine Folge von Punkten in Rn und P = (a1 , a2 , . . . , an ) ∈ Rn . Die Folge {Pk } heißt konvergent gegen den Punkt P, wenn lim |Pk − P| = 0. k→∞ Schreibweise: limk→∞ Pk = P. Satz 13 Die Folge {Pk } konvergiert genau dann gegen P, wenn sie koordinatenweise gegen P konvergiert: (k) lim ai = ai , i = 1, 2, . . . , n. k→∞ 18 Grundbegriffe Konvergenz im n-dimensionalen Raum Beispiele 14 1. Die durch Pk = (k/(k + 1), (2/3)k , 2/k) definierte Punktfolge in R3 ist konvergent, es gilt limk→∞ Pk = (1, 0, 0). 2. Die Punktfolge Pk = (1/k, k) ∈ R2 ist nicht konvergent. Die Punkte liegen auf der Hyperbel y = x1 . 3. Die Punktfolge Pk = (cos k, sin k) ∈ R2 ist nicht konvergent (ohne Beweis). Wegen |Pk | = 1 liegen die Punkte auf dem Einheitskreis mit Mittelpunkt (0, 0). 19 Stetige Funktionen mehrerer Variablen Beispiele, Eigenschaften Im Folgenden bezeichnet Df ⊂ Rn den Definitionsbereich einer Funktion f : Df −→ R. Beispiele 15 (Funktionen mehrerer Variablen) 1. f (x, y , z) = x + yz , y +z 2. f (x, y ) = (x − 2)2 + 2y , 3. f (x, y ) = xy , x2 + y2 Df = {(x, y , z) ∈ R3 : y + z 6= 0}. Df = R2 . Df = R2 \ {(0, 0)}. Führt man Polarkoordinaten ein, so erhält man: 1 r cos ϕ · r sin ϕ f˜(r , ϕ) = f (r cos ϕ, r sin ϕ) = = sin 2ϕ. r2 2 20 Stetige Funktionen mehrerer Variablen Beispiele, Eigenschaften Beispiele 15 (Fortsetzung) Aus der Darstellung mit Polarkoordinaten folgt: |f (x, y )| ≤ 1/2, (x, y ) ∈ Df . p Ferner hängt der Funktionswert nicht vom Abstand r = x 2 + y 2 des Punktes (x, y ) von (0, 0) ab, sondern nur vom Polarwinkel ϕ dieses Punktes. Definition 16 Eine auf Df ⊂ Rn definierte Funktion f heißt beschränkt, wenn es eine Zahl A gibt, so dass für alle P ∈ Df gilt |f (P)| ≤ A. 21 Stetige Funktionen mehrerer Variablen Beispiele, Eigenschaften Beispiele 17 (Beschränktheit) 1. Die Funktion f (x, y ) = sin(x + e xy ), Df = R2 ist beschränkt: |f (x, y )| ≤ 1 2. Die Funktion f (x, y , z) = (x 2 + y 2 + z 2 )−1/2 , Df = R3 \ {(0, 0, 0)} ist nicht beschränkt (in Kugelkoordinaten gilt: f˜(r , ϕ, η) = 1r ). 3. Die Funktion f (x, y ) = xy , x2 + y2 Df = R2 \ {(0, 0)} aus Beispiel 15 ist beschränkt, da f˜(r , ϕ) = 1 2 sin 2ϕ =⇒ |f | ≤ 12 . 22 Stetige Funktionen mehrerer Variablen Beispiele, Eigenschaften Definition 18 (Höhenlinie, Niveaulinie) Sei f eine Funktion von 2 Variablen. Die Menge aller Punkte (x, y ) ∈ Df für die f (x, y ) = c ist, heißt Höhenlinie oder Niveaulinie von f zum Niveau c. Beispiel 19 f (x, y ) = (x − 2)2 + 2y , Df = R2 . In der x, y -Ebene markieren wir alle Punkte mit gleichem Funktionswert c. (x − 2)2 + 2y = c 1 c =⇒ y = − (x − 2)2 + 2 2 Das sind Parabeln (siehe Bild). Zur Gewinnung einer räumlichen Vorstellung denkt man sich jede Parabel in entsprechender Höhe. 23 Stetige Funktionen mehrerer Variablen Beispiele, Eigenschaften Definition 20 (Niveaufläche) Sei f eine Funktion von 3 Variablen. Die Menge aller Punkte (x, y , z) ∈ Df für die f (x, y , z) = c ist, heißt Niveaufläche von f zum Niveau c. Beispiel 21 Für die Funktion f (x, y , z) = 1 [(x − 2)2 + (y + 3)2 + z 2 ]2 erfüllen die Niveauflächen f (x, y , z) = c die Gleichung (x − 2)2 + (y + 3)2 + z 2 = c −1/2 , c > 0. Das sind Kugelflächen vom Radius c −1/4 und dem Mittelpunkt (2, −3, 0). Im Falle c < 0 ist die Niveaufläche die leere Menge. 24 Funktionen mehrerer Variablen Stetigkeit Definition 22 Eine Funktion f heißt im Punkt P ∈ Df stetig, wenn für jede gegen P konvergierende Punktfolge {Pk } aus Df gilt: lim f (Pk ) = f (P). k→∞ f heißt in Df stetig, wenn f in jedem Punkt P ∈ Df stetig ist. Äquivalente Definition Zu jedem > 0 existiert ein δ > 0, so dass für alle Punkte Q ∈ Uδ (P) ∩ Df gilt: |f (P) − f (Q)| < . 25 Funktionen mehrerer Variablen Stetigkeit Beispiel 23 Die Funktion f (x, y , z) = x ist auf R3 stetig; die Funktion f (x, y ) = xy ist auf R2 stetig. Beispiel 24 Die durch ( f (x, y ) = xy x 2 +y 2 für (x, y ) 6= (0, 0) 0 für (x, y ) = (0, 0) definierte Funktion f : R2 → R ist im Punkt (0, 0) nicht stetig. Zum Beweis wählen wir die Punktfolge Pk = (1/k, 1/k) die gegen (0, 0) konvergiert. Dann ist f (Pk ) = 1/2 =⇒ lim f (Pk ) = 1/2 6= 0 = f (0, 0) =⇒ f ist nicht stetig. k→∞ 26 Funktionen mehrerer Variablen Stetigkeit Beispiel 25 Die Funktion (xy )2 x 2 +y 2 für (x, y ) 6= (0, 0) 0 für (x, y ) = (0, 0) ( f : R2 → R, (x, y ) 7→ f (x, y ) = ist stetig auf R2 . (xk yk )2 lim = lim xk →0 x 2 + y 2 xk →0 k k yk →0 1 2 y yk →0 k 1 + 1 xk2 = 0 = f (0, 0). 27 Funktionen mehrerer Variablen Stetigkeit Satz 26 Seien f und g Funktionen auf Rn die im Punkt P stetig sind und sei c ∈ R. Dann gilt: 1. Die Funktionen f + g , f · g und c · g sind in P stetig. 2. Ist g (P) 6= 0, dann ist auch f g in P stetig. 3. Ist die Funktion F : R −→ R auf R stetig, so ist auch F (f ) in P stetig. Beispiele 27 2 1. e x+y ist stetig auf R2 . 2. sin(x 2 + y 2 + e z ) ist stetig auf R3 . 28 Funktionen mehrerer Variablen Stetigkeit Satz 28 1. Der Wertebereich einer auf einer abgeschlossenen beschränkten Menge stetigen Funktion ist beschränkt. 2. Die Funktion nimmt auf der Menge sowohl ihr Maximum als auch ihr Minimum an. Beispiel 29 Die Funktion f (x, y ) = 1 x + y ist auf der beschränkten Menge Df = {(x, y ) : 0 < x ≤ 2, 0 ≤ y ≤ 1} stetig aber nicht beschränkt; D ist nicht abgeschlossen. Die Funktion f hat ein Minimum in (2, 0), sie ist nach unten beschränkt. 29 Partielle Ableitungen Definition Graphische Darstellung einer Funktion f : Rn −→ R I n = 1: Kurve mit den Punkten (x, f (x)), x ∈ Df I n = 2: Fläche mit den Punkten (x, y , f (x, y )), (x, y ) ∈ Df /siehe Bild/ 30 Partielle Ableitungen Definition Im Folgenden sei f eine auf der offenen Menge Df ⊂ R2 definierte Funktion und P0 = (x0 , y0 ) ∈ Df . Motivation: Steigung Wir betrachten die Fläche (x, y , f (x, y )), (x, y ) ∈ Df im Punkt (x0 , y0 , f (x0 , y0 )) = (P0 , f (P0 )). Bewegt man sich von diesem Punkt aus, so hängt die Steigung von der Richtung ab. Interaktives Beispiel: In Richtung der x- bzw. y -Achse. 31 Partielle Ableitungen Definition Definition 30 Die Funktion f heißt im Punkt P0 nach der Variablen x partiell differenzierbar, wenn die Funktion x 7−→ f (x, y0 ) im Punkt x0 differenzierbar ist. Deren Ableitung in x0 heißt dann die partielle Ableitung von f nach x im Punkt P0 . Schreibweisen: ∂f (P0 ). fx (P0 ), ∂x Analog definiert man die partielle Ableitung von f nach y und die Ausdrücke fy (P0 ), ∂f (P0 ). ∂y 32 Partielle Ableitungen Definition Bemerkungen 31 1. fx liest man f partiell nach x“, oder f nach x“. ” ” 2. Es gilt: f (x0 + h, y0 ) − f (x0 , y0 ) fx (x0 , y0 ) = lim h→0 h und f (x0 , y0 + h) − f (x0 , y0 ) . fy (x0 , y0 ) = lim h→0 h 33 Partielle Ableitungen Definition Die folgende Definition verallgemeinert die partielle Ableitung für Funktionen mit n Variablen. Definition 32 Es sei f eine auf der offenen Menge Df ⊂ Rn definierte Funktion und P = (a1 , a2 , . . . , an ) ∈ Df . Die Funktion f : (x1 , . . . , xn ) 7→ f (x1 , . . . , xn ) heißt im Punkt P nach xi partiell differenzierbar, wenn die Funktion x 7→ f (a1 , . . . , ai−1 , x, ai+1 , . . . , an ) an der Stelle ai differenzierbar ist. Ihre Ableitung an der Stelle ai heißt dann die partielle Ableitung von f nach xi im Punkt P. ∂f Schreibweisen: fxi (P), ∂x (P). i 34 Partielle Ableitungen Definition Beispiel 33 Es sei √ f (x, y , z) = sin2 x + ze y x + 23. Um fx zu berechnen, hat man y und z als Konstanten zu betrachten und im gewöhnlichen Sinne nach x zu differenzieren: 1 fx (x, y , z) = 2 sin x cos x + ze y √ . 2 x Entsprechend erhält man: √ fy (x, y , z) = ze y x √ und fz (x, y , z) = e y x. 35 Partielle Ableitungen Partielle Ableitungen höherer Ordnung Definition 34 f sei eine auf der offenen Menge Df ⊂ Rn definierte Funktion und dort nach xi partiell differenzierbar. Wenn fxi in P ∈ Df nach xj partiell differenzierbar ist, so heißt diese Ableitung die zweite partielle Ableitung von f nach xi , xj im Punkt P. Schreibweise: ∂2f (P). fxi xj (P), ∂xi ∂xj Analog definiert man die k-te partielle Ableitung für eine beliebige natürliche Zahl k. 36 Partielle Ableitungen Partielle Ableitungen höherer Ordnung Beispiel 35 Es sei f (x, y , z) = x 2 y + z sin(x + y 2 ). Die drei partiellen Ableitungen erster Ordnung sind: fx (x, y , z) = 2xy + z cos(x + y 2 ), fy (x, y , z) = x 2 + 2yz cos(x + y 2 ), fz (x, y , z) = sin(x + y 2 ). Partielle Ableitungen zweiter Ordnung sind z. B.: fxy (x, y , z) = 2x − 2yz sin(x + y 2 ), fyx (x, y , z) = 2x − 2yz sin(x + y 2 ), fzz (x, y , z) = 0. Man stellt fest: fxy = fyx , es kommt also auf die Reihenfolge der Differentiation hierbei nicht an. 37 Partielle Ableitungen Partielle Ableitungen höherer Ordnung Satz 36 (Schwartz) Die Funktion f sei auf der offenen Menge Df ⊂ Rn definiert und dort mögen sämtliche partiellen Ableitungen bis zur Ordnung k existieren und stetig sein. Dann hängen die partiellen Ableitungen der Ordnung m ≤ k nicht von der Reihenfolge der Differentiation ab. 38 Partielle Ableitungen Parameterintegrale Satz 37 (Leibnizsche Regel) Sei D = {(x, t) ∈ R2 : a ≤ x ≤ b, α ≤ t ≤ β} und g eine auf D definierte stetige Funktion, gx auf D stetig. Ferner seien u und v auf [a, b] stetig differenzierbare Funktionen und für alle x ∈ [a, b] sei α ≤ u(x) ≤ β und α ≤ v (x) ≤ β. Dann wird durch Z v (x) f (x) = g (x, t) dt (1) u(x) eine auf [a, b] differenzierbare Funktion definiert. Weiterhin gilt: 0 Z v (x) f (x) = gx (x, t) dt + g (x, v (x)) · v 0 (x) − g (x, u(x)) · u 0 (x), x ∈ [a, b]. u(x) Man sagt, das Integral (1) hängt vom Parameter x ab. 39 Partielle Ableitungen Parameterintegrale Spezialfälle 1. u(x) = c und v (x) = d (beide konstant): Z d Z d d g (x, t) dt = gx (x, t) dt dx c c 2. u(x) = c konstant und v (x) = x: Z x Z x d g (x, t) dt = gx (x, t) dt + g (x, x). dx c c 3. u, v wie bei (2) und g unabhängig von x : g (x, t) = f (t): Z x d f (t) dt = f (x). dx c Das ist der Hauptsatz der Differential- und Integralrechnung. 40 Partielle Ableitungen Parameterintegrale Beispiel 38 2 Es sei g (x, t) = e(x−t) , u(x) = x und v (x) = x 2 . Bemerkung: Die Funktion g ist nicht elementar integrierbar. Wir definieren die Funktion f durch Z v (x) Z x2 2 g (x, t) dt = e(x−t) dt. f (x) = x u(x) Dann gilt: x2 Z 0 2 2(x − t)e(x−t) dt + e(x−x f (x) = 2 )2 2x − 1 x = −e t=x 2 (x−t)2 + 2xe(x−x t=x (x−x 2 )2 = (2x − 1)e 2 )2 −1 . 41 Kettenregel, Richtungsableitung, Gradient Kettenregel Wir setzen stets voraus: Df ⊂ Rn ist offen, fxi existiert und ist stetig, i = 1, . . . , n. Satz 39 1. v1 , . . . , vn seien auf dem Intervall (a, b) ⊂ R definierte und differenzierbare Funktionen und für alle t ∈ (a, b) sei (v1 (t), . . . , vn (t)) ∈ Df . Dann ist die Funktion g (t) = f (v1 (t), . . . , vn (t)) auf (a, b) differenzierbar mit 0 g (t) = n X fxi (v1 (t), . . . , vn (t))vi0 (t), t ∈ (a, b) i=1 42 Kettenregel, Richtungsableitung, Gradient Kettenregel Satz 39 (Fortsetzung) 2. v1 , . . . , vn seien auf der offenen Menge M ⊂ Rk definierte und partiell stetig differenzierbare Funktionen und für alle (t1 , . . . , tk ) = P ∈ M sei (v1 (P), . . . vn (P)) ∈ Df . Dann ist die Funktion h(P) = f (v1 (P), . . . , vn (P)) nach tj , j = 1, . . . , k, auf M differenzierbar und es gilt n X ∂h ∂vi (P) = fxi (v1 (P), . . . , vn (P)) (P), ∂tj ∂tj P ∈ M. i=1 43 Kettenregel, Richtungsableitung, Gradient Kettenregel Merkregel n X ∂f dxi df = · , dt ∂xi dt t ∈ (a, b) ∂f = ∂tj j = 1, . . . , k, i=1 n X i=1 ∂f ∂xi · , ∂xi ∂tj (t1 , . . . , tn ) ∈ M ⊂ Rn 44 Kettenregel, Richtungsableitung, Gradient Kettenregel Beispiel 40 Gegeben sei f (x, y ); v1 (t) = t 2 und v2 (t) = t 3 . Wir definieren die Funktion g durch g (t) = f (t 2 , t 3 ). Dann gilt: g 0 (t) = fx (t 2 , t 3 )2t + fy (t 2 , t 3 )3t 2 . Beispiel 41 Gegeben sei f (x, y ); v1 (t1 , t2 ) = t1 + t2 und v2 (t1 , t2 ) = t1 t2 . Wir definieren die Funktion h durch h(t1 , t2 ) = f (t1 + t2 , t1 t2 ). Dann gilt: ∂h = fx (t1 + t2 , t1 t2 ) · 1 + fy (t1 + t2 , t1 t2 )t2 ∂t1 ∂h = fx (t1 + t2 , t1 t2 ) · 1 + fy (t1 + t2 , t1 t2 )t1 . ∂t2 45 Kettenregel, Richtungsableitung, Gradient Richtungsableitung Gegeben seien eine Funktion f : Rn → R, ein Punkt P0 = (x1 , . . . , xn ) ∈ Rn und ein Vektor at = (a1 , . . . , an ). Die Parameterdarstellung der Geraden mit der Richtung at, die durch den Punkt P0 geht, lautet: P0 + t at = (x1 + ta1 , . . . , xn + tan ), t ∈ R. Für t = 0 erhalten wir den Punkt P0 . (Bild) Wir betrachten f nur entlang dieser Geraden und definieren die Funktion g von einer Variablen durch g (t) := f (x1 + ta1 , . . . , xn + tan ), t ∈ R. Definition 42 Unter der Richtungsableitung von f im Punkt P0 in Richtung at mit |at| = 1 versteht man die Zahl g 0 (0). ∂f Schreibweise: (P0 ) ∂ at 46 Kettenregel, Richtungsableitung, Gradient Richtungsableitung Bemerkung Nach der Kettenregel gilt: g 0 (t) = fx1 (x1 + ta1 , . . . , xn + tan )a1 + · · · + fxn (x1 + ta1 , . . . , xn + tan )an ∂f =⇒ (P0 ) = fx1 (P0 )a1 + · · · + fxn (P0 )an , (at Einheitsvektor!). ∂ at Ist ein beliebiger Richtungsvektor at 6= 0 gegeben, so ersetzen wir at durch at/|at| und erhalten: ∂f (P0 ) = (fx1 (P0 )a1 + · · · + fxn (P0 )an )/|at|. ∂ at 47 Kettenregel, Richtungsableitung, Gradient Richtungsableitung Beispiele 43 1. Für den Einheitsvektor at = (1, 0, . . . , 0) erhält man ∂f ∂ at (P) = fx1 (P). 2. Für f (x, y ) = xy + x 2 und P0 = (1, 2) gilt: fx (x, y ) = y + 2x, fy (x, y ) = x; fx (1, 2) = 4, fy (1, 2) = 1; √1 at = (1, 1) : ∂f ∂ at (P) = 2 [4 · 1 + 1 · 1] = 3,5355...; at = (5, 1) : ∂f ∂ at (P) = √1 [4 26 · 5 + 1 · 1] = 4,1184...; 48 Kettenregel, Richtungsableitung, Gradient Gradient Definition 44 Sei f eine Funktion von n Variablen. Der Vektor (fx1 (P), . . . , fxn (P))T heißt der Gradient von f im Punkt P. Bezeichnung: grad f (P). Bemerkung Aus der Definition der Richtungsableitung folgt, dass ∂f 1 (P) = · at · grad f (P), ∂ at |at| at 6= t 0. 49 Kettenregel, Richtungsableitung, Gradient Gradient Satz 45 1. Der Vektor grad f (P) zeigt in die Richtung des stärksten Anstiegs von f im Punkt P. 2. Der Vektor − grad f (P) zeigt in die Richtung des stärksten Gefälles. 3. | grad f (P)| ist der größte Anstieg von f in P. 50 Kettenregel, Richtungsableitung, Gradient Gradient Beispiel 46 In jedem Körper, in dem kein Temperaturgleichgewicht herrscht, treten Wärmeströmungen auf. Der Wärmefluß im Punkt P des Körpers wird durch einen Vektor qt(P) beschrieben, dessen Richtung die der Wärmeströmung und dessen Länge deren Intensität angibt. Es sei T (P) die Temperatur des Körpers im Punkt P. Es zeigt sich, dass: 1. Der Wärmefluß in P hat die Richtung des stärksten Gefälles der Temperatur in P (vom Wärmeren zum Kälteren). 2. Die Stärke des Wärmeflusses ist proportional zum Temperaturgefälle. Der Vektor vt = − grad T (P) hat diese zwei Eigenschaften =⇒ Grundgesetz der Wärmeleitung : qt(P) = −λ(P) · grad T (P) wobei die Zahl λ(P) > 0 vom Zustand des Körpers in P abhängt und innere Wärmeleitfähigkeit genannt wird. 51 Kettenregel, Richtungsableitung, Gradient Gradient Einige Bezeichnungen Mit ∇ (Nabla-Operator) bezeichnen wir den formalen Ausdruck ∇= ∂ ∂ ,..., ∂x1 ∂xn T . Ist f (x1 , . . . , xn ) eine Funktion, für die alle partiellen Ableitungen existieren, so sei T ∂f ∂f ∇f (P) = (P), . . . , (P) ∂x1 ∂xn 52 Kettenregel, Richtungsableitung, Gradient Gradient Bemerkung Es gilt: grad f = ∇f (formale Multiplikation des Vektors“ ∇ mit dem Skalar f ). ” Mit ∇ rechnet man ähnlich wie mit einem Vektor, einige Formeln lassen sich mit diesem Operator übersichtlich darstellen. Sei z. B. h = (h1 , . . . , hn ) ∈ Rn . Dann ist ∂ ∂ (h · ∇)f (P) = h1 + · · · + hn f (P) = h1 fx1 (P) + · · · + hn fxn (P) ∂x1 ∂xn das sog. Differential von f im Punkt P zum Zuwachs h (wird in einem eigenen Abschnitt behandelt). 53 Kettenregel, Richtungsableitung, Gradient Gradient Bemerkung (Fortsetzung) Weitere Beispiele: 2 n X ∂ ∂ 2 f (P) = hi hj fxi xj (P) (h · ∇) f (P) = h1 + · · · + hn ∂x1 ∂xn i,j=1 oder ∂2f ∂2f ∇ · ∇f = + ··· + 2 ∂xn ∂x12 ∇ · ∇ wird auch mit ∆ bezeichnet und heißt Laplace Operator. 54 Vollständiges Differential, Anwendungen Definition und Beispiele In diesem Abschnitt setzen wir stets voraus: Df ⊂ Rn ist offen; fxi existiert und ist stetig für i = 1, . . . , n. Spezialfall n = 1 Im Abschnitt über Fehlerrechnung haben wir gesehen: f (x + h) − f (x) ≈ f 0 (x)h, wenn h hinreichend klein ist Die Größe f 0 (x)h heißt Differential der Funktion f an der Stelle x zum Zuwachs h. Beispiel: Für f (h) = sin h und x = 0 ist f 0 (0) = cos 0 = 1 und folglich sin h ≈ h. Jetzt werden wir für beliebiges n die Differenz f (x1 + h1 , . . . , xn + hn ) − f (x1 , . . . , xn ) abschätzen, wobei hi klein ist. Den Vektor (h1 , . . . , hn ) nennt man Zuwachs. 55 Vollständiges Differential, Anwendungen Definition und Beispiele Definition 47 Es sei P = (x1 , . . . , xn ) ∈ Df . Man nennt df (P) = fx1 (P)h1 + · · · + fxn (P)hn vollständiges, oder totales Differential der Funktion f an der Stelle P zum Zuwachs (h1 , . . . , hn ). Oft schreibt man dxi anstelle von hi : df (P) = fx1 (P) dx1 + · · · + fxn (P) dxn . 56 Vollständiges Differential, Anwendungen Definition und Beispiele Näherungsformel Sind die Zuwächse dxi hinreichend klein, so gilt: f (x1 + dx1 , . . . , xn + dxn ) − f (x1 , . . . , xn ) ≈ df (P) oder f (x1 + dx1 , . . . , xn + dxn ) ≈ f (x1 , . . . , xn ) + df (P). Beispiel 48 Das vollständige Differential der Funktion f (x, y ) = 2x 2 + xy 2 im Punkt P = (3, −1): fx = 4x + y 2 , fy = 2xy =⇒ df (P) = df (3, −1) = 13 dx − 6 dy . 57 Vollständiges Differential, Anwendungen Definition und Beispiele Beispiel 49 Man berechne näherungsweise 1,002 · 2,0032 · 3,0043 . Lösung: f (x, y , z) = xy 2 z 3 , x0 = 1, y0 = 2, z0 = 3, P0 := (x0 , y0 , z0 ), f (P0 ) = 1 · 22 · 33 = 108, dx = 0,002, dy = 0,003, dz = 0,004. f (x0 + dx,y0 + dy , z0 + dz) ≈ f (P0 ) + fx (P0 ) dx + fy (P0 ) dy + fz (P0 ) dz = x0 y02 z03 + y02 z03 dx + 2x0 y0 z03 dy + 3x0 y02 z02 dz = 108,972. 58 Vollständiges Differential, Anwendungen Definition und Beispiele Beispiel 50 p Analog kann man näherungsweise 1,023 + 1,973 oder 0,971,05 berechnen. Man betrachtet dazu p f (x, y ) = x 3 + y 3 , x0 = 1, y0 = 2 bzw. f (x, y ) = x y , x0 = 1 = y0 = 1 59 Vollständiges Differential, Anwendungen Tangentialebene Zur Erinnerung: Ist f eine Funktion von einer Variablen, so ist die Gleichung der Tangente im Punkt (x0 , f (x0 )) gegeben durch y = f (x0 ) + f 0 (x0 )(x − x0 ). Definition 51 Sei f : Df → R eine Funktion von zwei Variablen und P0 = (x0 , y0 ) ∈ Df . Die Ebene E mit der Gleichung z = f (P0 ) + fx (P0 )(x − x0 ) + fy (P0 )(y − y0 ) heißt die Tangentialebene an die durch z = f (x, y ) definierte Fläche im Flächenpunkt (x0 , y0 , f (x0 , y0 )). | {z } z0 60 Vollständiges Differential, Anwendungen Tangentialebene Bemerkung Die Tangentialebene geht durch den Punkt (x0 , y0 , z0 ), wobei z0 = f (x0 , y0 ), und besitzt die folgende Eigenschaft: Jede zur x, y -Ebene senkrechte Ebene S durch den Punkt (x0 , y0 , z0 ) schneidet die Tangentialebene E in einer Geraden, die Tangente an die Schnittkurve von S mit der Fläche ist. Man nehme z. B. die Ebenen x = x0 oder y = y0 . Beispiel 52 Die Gleichung der Tangentialebene an die durch z = f (x, y ) = 2x 2 + xy 2 definierte Fläche im Flächenpunkt (3, −1, 21) ist zu berechnen. Lösung: fx (x, y ) = 4x + y 2 , fy (x, y ) = 2xy =⇒ fx (3, −1) = 13, fy (3, −1) = −6 Folglich lautet die Gleichung der Tangentialebene: z = 21 + 13(x − 3) − 6(y + 1) = 13x − 6y − 24. 61 Vollständiges Differential, Anwendungen Tangentialebene Fläche in impliziter Form Oft ist eine Fläche in der impliziten Form F (x, y , z) = 0 gegeben. Zum Beispiel die Kugeloberfläche mit Radius 1 und Mittelpunkt (0, 0, 0): F (x, y , z) := x 2 + y 2 + z 2 − 1 = 0. Dann lautet die Gleichung der Tangentialebene im Punkt (x0 , y0 , z0 ): (x − x0 )Fx (x0 , y0 , z0 ) + (y − y0 )Fy (x0 , y0 , z0 ) + (z − z0 )Fz (x0 , y0 , z0 ) = 0. 62 Vollständiges Differential, Anwendungen Tangentialebene Beispiel 53 Sei F wie zuvor. Dann lautet die Gleichung der Tangentialebene: 2x0 (x − x0 ) + 2y0 (y − y0 ) + 2z0 (z − z0 ) = 0. Speziell im Punkt x0 = 1, y0 = z0 = 0 wird daraus 2(x − 1) = 0, also die Ebene x = 1. Fläche in Parameterdarstellung Sei die Fläche durch die Parameterdarstellung rt(t, s) = (x(t, s), y (t, s), z(t, s))T , (t, s) ∈ D ⊂ R2 gegeben. Dann ist nt = rtt × rts ein Normalenvektor für die Tangentialebene im gegebenen Punkt, wobei rtt (t, s) = (xt (t, s), yt (t, s), zt (t, s))T , rts (t, s) = (xs (t, s), ys (t, s), zs (t, s))T . 63 Vollständiges Differential, Anwendungen Differentialform Definition 54 Es seien Q1 , . . . , Qn auf der offenen Menge D ⊂ Rn definierte stetige Funktionen. Dann heißt der Ausdruck Q1 (x1 , . . . , xn ) dx1 + · · · + Qn (x1 , . . . , xn ) dxn eine Differentialform. Ein vollständiges Differential ist zum Beispiel eine Differentialform. Eine wichtige Frage: Unter welchen Bedingungen an Qi ist eine Differentialform vollständiges Differential einer Funktion f , das heißt, wann gilt Q1 = fx1 , . . . , Qn = fxn ? 64 Vollständiges Differential, Anwendungen Differentialform Beispiel aus der Physik: Welche Größen sind Zustandsgrößen, d. h., welche Größen hängen nur vom Zustand etwa eines Gases ab, nicht aber von der Art und Weise, wie dieser Zustand erreicht wurde? Beispiele für Zustandsgrößen: Energie, Masse, Temperatur, Druck,. . . Satz 55 Wenn die auf der offenen Menge D ⊂ Rn definierten Funktionen Q1 , . . . , Qn stetige partielle Ableitungen zweiter Ordnung besitzen, so ist Q1 (x1 , . . . , xn ) dx1 + · · · + Qn (x1 , . . . , xn ) dxn genau dann vollständiges Differential wenn ∂Qj ∂Qi = für alle i, j = 1, . . . , n erfüllt ist. ∂xj ∂xi 65 Vollständiges Differential, Anwendungen Differentialform Beispiel 56 Die Differentialform (y + cos x) dx + (x + 2y ) dy | {z } | {z } P Q R2 ist vollständiges Differential einer auf definierten Funktion f , da Py (x, y ) = Qx (x, y ) = 1 ist. Bestimmung von f : fx (x, y ) = y + cos x; fy (x, y ) = x + 2y . Erste Gleichung, Integration nach x, d. h., Bestimmung einer Stammfunktion bezüglich x: f (x, y ) = xy + sin x + g (y ) =⇒ fy (x, y ) = x + g 0 (y ), in die zweite Gleichung einsetzen: x + 2y = x + g 0 (y ) =⇒ g 0 (y ) = 2y . Also g (y ) = y 2 + c, c ∈ R =⇒ f (x, y ) = xy + sin x + y 2 + c. 66 Vollständiges Differential, Anwendungen Differentialform Beispiel 57 Die Differentialform 2xy dx + y dy ist kein vollständiges Differential, da Py (x, y ) = 2x, Qx = 0. 67 Mehrfache Integrale Doppelintegral In diesem Abschnitt wird der Begriff des bestimmtes Integrals auf Funktionen mehrerer Variablen übertragen. Volumenberechnung Es sei G ⊂ R2 eine beschränkte, abgeschlossene Menge und f eine auf G definierte beschränkte Funktion. Wir gehen von folgendem Problem aus, das dem Flächeninhaltsproblem entspricht: Es sei f (P) ≥ 0 für alle P ∈ G . Wir wollen das Volumen desjenigen Körpers bestimmen, der durch die Menge {(x, y , z) ∈ R3 : (x, y ) ∈ G , 0 ≤ z ≤ f (x, y )} beschrieben ist /Bild/. Wir werden analog zur Flächenberechnung vorgehen. Wir zerlegen G in Teilbereiche g1 , . . . , gn und berechnen als Näherung für das gesuchte Volumen die Summe der Volumina der Säulen“ /Bild/. ” 68 Mehrfache Integrale Doppelintegral Volumenberechnung: Fortsetzung Genauer: 1. Z sei eine Zerlegung von G in n Teilmengen g1 , . . . , gn mit: (a) (b) (c) (d) Jede Teilmenge gi hat einen Flächeninhalt ∆gi . Die Vereinigung aller gi ist G . Die gi sind disjunkt. Bezeichne δi = sup{|P − Q| : P, Q ∈ gi } den Durchmesser von gi und sei ∆(Z ) = max{δi : i = 1, . . . , n} das Feinheitsmaß der Zerlegung Z . 2. (a) In jeder Menge gi wird ein Zwischenpunkt“ Pi ∈ gi gewählt und das ” Produkt f (Pi )∆gi gebildet (Volumen der Säule“). ” 69 Mehrfache Integrale Doppelintegral Volumenberechnung: Fortsetzung (b) Als Näherung für das gesuchte Volumen wird die Zwischensumme S(Z ) = n X f (Pi )∆gi i=1 gebildet. Definition 58 Die Funktion f heißt über G integrierbar, wenn es eine Zahl I gibt, so daß lim S(Z ) = I . ∆(Z )→0 Die Zahl I nennt man das Integral von f über G , die Menge G heißt Integrationsbereich. 70 Mehrfache Integrale Doppelintegral Schreibweise für das Integral: Z f dP oder G ZZ f (x, y ) d(x, y ). G Sprechweise: Doppelintegral, zweifaches Integral, Bereichsintegral, Gebietsintegral. Bemerkung 59 Aus der Definition folgt, dass R G 1 dP gleich dem Flächeninhalt von G ist. Satz 60 1. Die Eigenschaften des Riemann-Integrals aus dem Abschnitt Bestimmte Integrale bleiben auch für Doppelintegrale gültig, wenn man [a, b] durch G und b − a durch den Flächeninhalt von G ersetzt. 2. Jede stetige Funktion auf G ist integrierbar. 71 Mehrfache Integrale Berechnungsformeln Um Formel zur Berechnung des Integrals über G zu erhalten, werden wir uns auf gewisse einfache Integrationsbereiche beschränken. Definition 61 g und h seien auf [a, b] definierte stetige Funktionen, für die gilt: g (x) ≤ h(x), x ∈ [a, b]. Dann heißt jede der Mengen G1 = {(x, y ) ∈ R2 : a ≤ x ≤ b, g (x) ≤ y ≤ h(x)} G2 = {(x, y ) ∈ R2 : a ≤ y ≤ b, g (y ) ≤ x ≤ h(y )} ein Normalbereich in der Ebene. 72 Mehrfache Integrale Berechnungsformeln Beispiele 62 1. h(x) = x2 4 , g (x) = − sin x, [a, b] = [0, 2]. G1 = {(x, y ) ∈ R2 : 0 ≤ x ≤ 2, − sin x ≤ y ≤ x 2 /4} G2 = {(x, y ) ∈ R2 : 0 ≤ y ≤ 2, − sin y ≤ x ≤ y 2 /4} /Bild/ 2. Der Kreis K mit dem Mittelpunkt (0, 0) und dem Radius 2 /Bild/ ist ein Normalbereich, da p p 2 2 K = {(x, y ) ∈ R : −2 ≤ x ≤ 2, − 4 − x ≤ y ≤ 4 − x 2 }. 73 Mehrfache Integrale Berechnungsformeln Satz 63 Mit den Bezeichnungen aus obiger Definition gilt: Z Z "Z b h(x) f dP = G1 f (x, y ) dy a Z Z b "Z # h(y ) f (x, y ) dx a dx g (x) f dP = G2 # dy . g (y ) Bemerkung 1. Die Klammern um das innere Integral werden meistens weggelassen. 2. Die Berechnung erfolgt folgendermaßen: Man integriert f nach y (oder nach x), d. h., man betrachtet x bezüglich dieser Integration als Konstante. Das dann entstandene Integral ist ein gewöhnliches Integral 74 für eine Funktion einer Variablen. Mehrfache Integrale Berechnungsformeln Beispiel 64 Es sei G = {(x, y ) : 0 ≤ x ≤ 1, −x ≤ y ≤ x 2 } und f (x, y ) = x. Dann erhält man Z Z 1 Z x2 Z 1 Z 1 x2 f dP = xy |y =−x dx = x 3 + x 2 dx x dy dx = G −x 0 0 0 1 x 4 x 3 1 1 7 = + = + = . 4 3 0 4 3 12 75 Mehrfache Integrale Berechnungsformeln Bemerkung Ist der Integrationsbereich G ein Rechteck, also alle vier Integrationsgrenzen konstant, so kommt es auf die Reihenfolge der Integrationen nicht an: Z d Z b Z b Z f (x, y ) dx dy = c a d f (x, y ) dy dx a c Es kann aber sein, dass man zuerst nach x integriert und dann nach y , während es umgekehrt nicht möglich ist. Zum Beispiel: Z 2π Z 1 Z 1 Z 2π 2 2 ex sin y dx dy = ex sin y dy dx 0 0 0 0 Z 1 2 =− ex (cos 2π − cos 0) dx = 0. 0 76 Mehrfache Integrale Substitution mit Polarkoordinaten Substitution Für Funktionen zweier Variablen werden Substitutionen durch ein Paar von Gleichungen beschrieben: x = x(u, v ), y = y (u, v ). Wir betrachten den wichtigen Spezialfall von Polarkoordinaten x = x(r , ϕ) = r cos ϕ, y = y (r , ϕ) = r sin ϕ, durch die zum Beispiel Kreise und Ringe einfach zu beschreiben sind. 77 Mehrfache Integrale Substitution mit Polarkoordinaten Satz 65 Die Funktion f sei auf der abgeschlossenen Menge G ⊂ R2 stetig, g und h seien auf [a, b] definierte stetige Funktionen, für alle t ∈ [a, b] sei 0 ≤ g (t) ≤ h(t) ≤ 2π. 1. Wenn G in Polarkoordinaten durch die Ungleichungen 0 ≤ a ≤ r ≤ b und g (r ) ≤ ϕ ≤ h(r ) beschrieben wird, so gilt Z Z b Z h(r ) f (x, y ) d(x, y ) = f (r cos ϕ, r sin ϕ) · r dϕ dr . G a g (r ) 2. Wenn G in Polarkoordinaten durch die Ungleichungen 0 ≤ a ≤ ϕ ≤ b ≤ 2π und 0 ≤ g (ϕ) ≤ r ≤ h(ϕ) beschrieben wird, so gilt Z Z b Z h(ϕ) f (x, y ) d(x, y ) = f (r cos ϕ, r sin ϕ) · r dr dϕ. G a g (ϕ) 78 Mehrfache Integrale Substitution mit Polarkoordinaten Bemerkung Der Ausdruck r dr dϕ ist hier für dP einzusetzen, die Grenzen sind die von G in Polarkoordinaten. Mann nennt r dr dϕ das Flächenelement in Polarkoordinaten. Beispiel 66 Wir betrachten die Menge G : 1 ≤ r ≤ 2, (r − 1)π ≤ ϕ ≤ r π und wollen den Inhalt F von G berechnen. /Bild/ Z Z 2 Z rπ 1 dP = F = G Z r dϕ dr = π (r −1)π 1 1 2 3 r dr = π. 2 79 Mehrfache Integrale Dreifache Integrale Einführung von Doppelintegralen: geometrisch anschaulich (Volumen). Bei den dreifachen Integralen geht das nicht mehr; man kann jedoch die Definition des Doppelintegrals fast wörtlich übernehmen. Definition 67 Es sei G ⊂ R3 eine beschränkte, abgeschlossene Menge und f eine auf G definierte beschränkte Funktion. Wir zerlegen G in Teilmengen g1 , . . . , gn , die die selben Eigenschaften wie bei der Definition des Doppelintegrals haben, Flächeninhalt ist dabei durch Rauminhalt zu ersetzen. Die Definition wird nun wörtlich übernommen, R2 wird dabei durch R3 ersetzt. Es ist üblich die Menge G mit K (Körper) oder V (Volumen) zu bezeichnen. Bemerkung 68 Aus der Definition folgt, dass ist. R K 1 dP gleich dem Volumen des Körpers K 80 Mehrfache Integrale Dreifache Integrale Um zu Berechnungsformeln zu gelangen, werden wir uns auf gewisse einfache Bereiche K ⊂ R3 beschränken. Definition 69 Es seien f1 und f2 in [a, b] ⊂ R und g1 und g2 in G = {(x, y ) ∈ R2 : x ∈ [a, b], f1 (x) ≤ y ≤ f2 (x)} stetige Funktionen. Dann heißt die Menge K = {(x, y , z) ∈ R3 : a ≤ x ≤ b, f1 (x) ≤ y ≤ f2 (x), g1 (x, y ) ≤ z ≤ g2 (x, y )} ein Normalbereich in R3 . /Bild/. Vertauscht man x, y , z untereinander, so entstehen weitere Mengen, die man auch Normalbereiche nennt (6 Möglichkeiten). 81 Mehrfache Integrale Dreifache Integrale Satz 70 Die Funktion f sei auf dem Normalbereich K in der vorhergehenden Definition stetig. Dann ist f über K integrierbar, und es gilt: Z Z b Z f2 (x) Z g2 (x,y ) f (P) dP = K f (x, y , z) dz dy dx. a f1 (x) g1 (x,y ) Sind alle Integrationsgrenzen konstant, so kommt es auf die Reihenfolge der Integrationen nicht an. 82 Mehrfache Integrale Dreifache Integrale Beispiel 71 Gegeben seien K = {(x, y , z) : 0 ≤ x ≤ 2, 0 ≤ y ≤ x, 0 ≤ z ≤ x + y + 1} und f (x, y , z) = 2xz + y 2 . Dann ist 2Z x Z 0 0 Z 2 x Z Z f (P) dP = K Z = 0 Z 0 2Z x = 0 x+y +1 (2xz + y 2 ) dz dy dx 0 z2 2x + y 2 z 2 z=x+y +1 dy dx z=0 x(x + y + 1)2 + y 2 (x + y + 1) dy dx 0 83 Mehrfache Integrale Dreifache Integrale Beispiel 71 (Fortsetzung) Z 2Z x = 0 Z = 0 x 3 + 2x 2 y + 2x 2 + xy 2 + 2xy + x + y 2 x + y 3 + y 2 dy dx 0 2 x4 x4 x4 x3 104 2 4 3 3 x + + x + x + 2x + x + + + dx = . 3 3 4 3 3 4 84 Mehrfache Integrale Substitution mit Zylinder- und Kugelkoordinaten Berechnung des Integrals Z ZZZ f (P) dP = f (x, y , z) d(x, y , z) K K mit Hilfe von Substitution. Zylinderkoordinaten (r , ϕ, z) Substitution: 1. x − 7 → r cos ϕ, y− 7 → r sin ϕ; 2. dx dy dz 7−→ r dr dϕ dz; 3. neue Grenzen. 85 Mehrfache Integrale Substitution mit Zylinder- und Kugelkoordinaten Beispiel 72 Das schraffierte Flächenstück rotiere um die z-Achse /Bild/, der entstehendeR Körper sei K . Man berechne K f (P) dP für f (x, y , z) = x 2 + y 2 . Lösung: In Zylinderkoordinaten wird der Körper K durch die Ungleichungen √ 0 ≤ r ≤ 1, 0 ≤ ϕ ≤ 2π, r ≤ z ≤ 1 beschrieben. Weiterhin ist f (x, y , z) = r 2 . Wir erhalten: Z Z 1 Z 2π f (P) dP = K 0 Z = 0 0 1 √ 0 1Z Z r 2 r dz dϕ dr r 2π r 3 (1 − √ r ) dϕ dr = 1 π. 18 86 Mehrfache Integrale Substitution mit Zylinder- und Kugelkoordinaten Beispiel 72 (Fortsetzung) Man kann auch ein anderes System von Ungleichungen benutzen: 0 ≤ ϕ ≤ 2π, 0 ≤ z ≤ 1, 0 ≤ r ≤ z 2 . Man erhält dann Z Z 2π Z 1 Z z2 f (P) dP = K 0 Z 0 2π Z = 0 0 r 2 r dr dz dϕ 0 1 1 8 1 z dz dϕ = π. 4 18 87 Mehrfache Integrale Substitution mit Zylinder- und Kugelkoordinaten Kugelkoordinaten: (r , ϕ, η) Substitution: 1. x − 7 → r cos ϕ sin η, y− 7 → r sin ϕ sin η, z 7−→ r cos η; 2. dP 7−→ r 2 sin η dϕ dη dr ; 3. neue Grenzen. Beispiel 73 Es sei K die obere Hälfte der Kugel vom Radius R mit dem Mittelpunkt (0, 0, 0) und f (x, y , z) = x 2 + y 2 − xz. Man berechne das Integral von f über K . 88 Mehrfache Integrale Substitution mit Zylinder- und Kugelkoordinaten Beispiel 73 (Fortsetzung) Lösung: Wir verwenden Kugelkoordinaten. Dann ist f (x, y , z) = r 2 sin2 η − r 2 cos ϕ sin η cos η dP = r 2 sin η dϕ dη dr 1 K : 0 ≤ ϕ ≤ 2π, 0 ≤ η ≤ π, 0 ≤ r ≤ R =⇒ 2 Z Z π/2 Z 2π Z R f (P) dP = (r 2 sin2 η − r 2 cos ϕ sin η cos η)r 2 sin η dr dϕ dη K 0 1 = R5 5 Z 0 0 Z π/2 2π 0 1 = R 5 2π 5 Z sin3 η − cos ϕ sin2 η cos η dϕ dη 0 π/2 sin3 η dη = /part. Int./ = 0 4 πR 5 . 15 89 Anwendungen dreifacher Integrale Volumen, Masse, Schwerpunkt, Trägheitsmoment Im folgenden sei: K ⊂ R3 ein Körper; ρ(P) die Massendichte im Punkt P ∈ K . Ist ρ konstant, so heißt der Körper homogen. Im Rahmen der Statik und Dynamik solcher Körper sind insbesondere folgende Größen vom Interesse: I Volumen, I Gesamtmasse, I Schwerpunkt, I Trägheitsmoment in Bezug auf eine gegebene Drehachse. 90 Anwendungen dreifacher Integrale Volumen, Masse, Schwerpunkt, Trägheitsmoment Satz 74 Ein Körper K mit der Massendichte ρ hat das Volumen Z Z V = 1 dP, die Masse M = ρ(P) dP K K den Schwerpunkt (xs , ys , zs ) mit ZZZ 1 xs = x · ρ(x, y , z) d(x, y , z) M Z Z ZK 1 ys = y · ρ(x, y , z) d(x, y , z), M K ZZZ 1 zs = z · ρ(x, y , z) d(x, y , z). M K 91 Anwendungen dreifacher Integrale Volumen, Masse, Schwerpunkt, Trägheitsmoment Satz 74 (Fortsetzung) Das Trägheitsmoment bezüglich der z-Achse als Drehachse ZZZ θ= (x 2 + y 2 ) · ρ(x, y , z) d(x, y , z). K Für eine beliebige Drehachse gilt: Z θ= a2 (P) · ρ(P) dP K wobei a(P) den Abstand von P von der Drehachse bezeichnet. Analoge Formeln gelten auch für R2 . 92 Anwendungen dreifacher Integrale Volumen, Masse, Schwerpunkt, Trägheitsmoment Herleitung der letzten Formel Das Trägheitsmoment eines Massenpunktes mit der Masse m im Abstand a von der Drehachse ist nach Definition die Zahl a2 m. Es seien: Z : eine Zerlegung von K in Teilmengen ki ; Pi ∈ ki beliebig; ∆ki : das Volumen von ki ; mi : die Masse von ki . 93 Anwendungen dreifacher Integrale Volumen, Masse, Schwerpunkt, Trägheitsmoment Herleitung der letzten Formel 74 (Fortsetzung) Näherung für das Trägheitsmoment des Teiles ki : a(Pi )2 mi . Näherung für mi : ρ(Pi )∆ki . Näherung für θ: S(Z ) = n X a(Pi )2 ρ(Pi )∆ki i=1 Grenzwert: Z θ = lim S(Z ) = ∆Z →0 a(P)2 ρ(P) d(P). K 94 Anwendungen dreifacher Integrale Beispiele Beispiel 75 Es ist der Schwerpunkt des Kegels K /Bild/ zu berechnen, die Massendichte ρ sei überall gleich 1. Beschreibung von K in Zylinderkoordinaten (siehe den Abschnitt zu den Zylinderkoordinaten): 0 ≤ r ≤ R, 0 ≤ ϕ ≤ 2π, h r ≤ z ≤ h. R Aus Symmetriegründen liegt der Schwerpunkt auf der Kegelachse, d. h., xs = ys = 0. 95 Anwendungen dreifacher Integrale Beispiele Beispiel 75 (Fortsetzung) Weiterhin ist Z 2π Z R Z h 1 z dP = zr dz dr dϕ M K 0 0 hr /R Z R π h2 2 π 1 2 h − 2 r r dr = h2 R 2 = M 0 R 4 M 1 zs = M Z wobei M = π3 R 2 h wegen ρ = 1 die Masse (Volumen) des Kegels ist. Daher folgt: 3 zs = h. 4 96 Anwendungen dreifacher Integrale Beispiele Beispiel 76 Das Trägheitsmoment eines homogenen Quaders bezüglich einer durch seinen Mittelpunkt gehenden kantenparallelen Achse. /Bild/ ZZZ θ= (x 2 + y 2 )ρ d(x, y , z). K a a b b c c K : − ≤ x ≤ , − ≤ y ≤ , − ≤ z ≤ =⇒ 2 2 2 2 2 2 Z a/2 Z b/2 Z c/2 1 θ= (x 2 + y 2 )ρ dz dy dx = abc(a2 + b 2 )ρ. 12 −a/2 −b/2 −c/2 97 Skalar- und Vektorfelder Definition und Beispiele Definition 77 Es sei D ⊂ R3 . Eine Abbildung vt, die jedem Punkt P = (x, y , z) ∈ D einen dreidimensionalen Vektor vt(P) = vt(x, y , z) = (v1 (x, y , z), v2 (x, y , z), v3 (x, y , z))T zuordnet, heißt ein (räumliches) Vektorfeld auf D. Eine Abbildung F , die jedem Punkt P ∈ D eine reelle Zahl F (P) zuordnet, heißt ein (räumliches) Skalarfeld auf D. Ist D ⊂ R2 und sind die Vektoren vt(P) zweidimensional, vt(P) = vt(x, y ) = (v1 (x, y ), v2 (x, y ))T so spricht man von einem ebenen Vektorfeld, bzw. von einem ebenen Skalarfeld. 98 Skalar- und Vektorfelder Definition und Beispiele Beispiele 78 (skalare Felder) I Temperaturverteilung I elektrostatisches Potential I Dichteverteilung I Betrag eines Vektorfeldes vt: F (P) = |vt(P)| Beispiele 79 (Vektorfelder) I Gravitationsfeld I elektrisches Feld I magnetisches Feld I Geschwindigkeitsfeld I Gradient eines Skalarfeldes F : vt = grad F = (Fx , Fy , Fz )T 99 Skalar- und Vektorfelder Definition und Beispiele Bemerkung Man skizziert den Pfeil des Vektors vt(P) so, dass sein Anfangspunkt in P liegt – ausgehend von der Vorstellung der in P herrschenden Kraft. Beispiel 80 Das durch vt(x, y ) = x y p , p ( x 2 + y 2 )3 ( x 2 + y 2 )3 !T definierte p ebene Vektorfeld soll skizziert werden. r = x 2 + y 2 ist der Abstand des Punktes P = (x, y ) von (0, 0) =⇒ vt(x, y ) = r −3 · (x, y ). 100 Skalar- und Vektorfelder Definition und Beispiele Beispiel 80 (Fortsetzung) Der Vektor vt(x, y ) hat daher dieselbe Richtung wie der Ortsvektor des Punktes (x, y ). p Die Länge des Pfeiles: |vt(x, y )| = r −3 x 2 + y 2 = r −2 . /Bild/ Beispiel 81 Ein Gas oder eine Flüssigkeit durchströme ein Rohr. Jedem Punkt P wird derjenige Vektor vt(P) zugeordnet, der die Geschwindigkeit des in P befindlichen Teilchens angibt: vt ist das sog. Strömungsfeld. Es sei z. B. vt(x, y ) = (0, 1 − x 2 )T , (x, y ) ∈ D = {(x, y ) ∈ R2 : −1 ≤ x ≤ 1}. v1 = 0 =⇒ alle Vektoren sind zur y -Achse parallel; vt hängt nicht von y ab =⇒ die zu Punkten mit gleichem x-Wert gehörende Vektoren sind gleich. /Bild/ 101 Skalar- und Vektorfelder Definition und Beispiele Beispiel 81 (Fortsetzung) Wegen der Reibung ist die Geschwindigkeit an der Wandung Null und nimmt zur Mitte hin zu, wo sie am größten ist. Da alle Vektoren parallel sind, spricht man von einer laminaren oder schlichten Strömung. Anmerkung: homogene, kugelsymmetrische, zylindersymmetrische Felder. Beispiele aus Mathematik-Interaktiv Geschwindigkeit eines Flußes elektrische Feldstärke/Punktladung elektrische Feldstärke/Zylinder 102 Skalar- und Vektorfelder Divergenz Sei D ⊂ R3 offen und vt = (v1 , v2 , v3 )T ein Vektorfeld auf D. Definition 82 Das Vektorfeld vt heißt stetig, wenn v1 , v2 und v3 stetig sind. Das Vektorfeld vt heißt partiell differenzierbar, wenn v1 , v2 und v3 partiell differenzierbar sind. Folgende Begriffe spielen in der Stömungs- oder Elektrizitätslehre eine große Rolle. Definition 83 Ist vt partiell differenzierbar, so heißt das Skalarfeld div vt = ∂v1 ∂v2 ∂v3 + + ∂x ∂y ∂z die Divergenz (Quelldichte, Ergiebigkeit) von vt. 103 Skalar- und Vektorfelder Divergenz Definition 83 (Fortsetzung) Man nennt diejenigen Punkte P ∈ D, für die div vt(P) > 0 bzw. div vt(P) < 0 gilt, die Quellen bzw. Senken des Feldes vt. Ist div vt = 0 in D, so heißt vt ein quellenfreies Vektorfeld. Bemerkung 84 Die Divergenz läßt sich formal als Skalarprodukt darstellen: div vt = ∇ · vt = ∂ ∂ ∂ , , ∂x ∂y ∂z T · (v1 , v2 , v3 )T 104 Skalar- und Vektorfelder Divergenz Bemerkung 84 (Fortsetzung) Für ein ebenes Vektorfeld vt(x, y ) = (v1 (x, y ), v2 (x, y ))T wird die Divergenz analog definiert: ∂v1 ∂v2 div vt = + ∂x ∂y Beispiel 85 I Für das Feld vt(x, y ) = (x, y )T ist div vt = 2. I Für vt(x, y , z) = (x, y , z)T ist div vt = 3. 105 Skalar- und Vektorfelder Divergenz Bemerkung 86 (physikalische Deutung) Es sei durch vt(x, y , z) = (0, 0, z(1 − x 2 − y 2 ))T ein Vektorfeld auf dem (unendlich langen) Zylinder D = {(x, y , z) : x 2 + y 2 ≤ 1} definiert. Wir stellen uns vor, dass der Vektor vt die Geschwindigkeit einer das Rohr (=Zylindermantel) durchströmenden Flüssigkeit ist. Wir denken uns einen Zylinder (Z ) in die Strömung gelegt (Bild). Frage: Wie groß ist der Volumengewinn“ (abgeflossene - zugeflossene ” Menge) pro Zeiteinheit? 106 Skalar- und Vektorfelder Divergenz Bemerkung 86 (Fortsetzung) Antwort (ohne Herleitung): Der Volumengewinn pro Zeiteinheit ist gleich Z ZZZ div vt(P) dP = 1 − x 2 − y 2 d(x, y , z) Z Z Die skalare Größe div vt(P) wird daher auch als Quellstärke pro Volumenelement bezeichnet. Satz 87 (Rechenregeln) I t ) = div vt + div wt div(vt + w I div(c · vt) = c · div vt, I c ∈R div(F · vt) = (grad F ) · vt + F · div vt wobei F ein differenzierbares Skalarfeld ist. 107 Skalar- und Vektorfelder Rotation Definition 88 Es sei vt = (v1 , v2 , v3 )T ein auf der offenen Menge D ⊂ R3 definiertes und dort partiell differenzierbares Vektorfeld. Dann heißt das Vektorfeld rot vt = ∂v3 ∂v2 ∂v1 ∂v3 ∂v2 ∂v1 − , − , − ∂y ∂z ∂z ∂x ∂x ∂y T die Rotation (oder der Rotor) von vt. Gilt rot vt = (0, 0, 0)T in D, so heißt vt wirbelfreies Vektorfeld. 108 Skalar- und Vektorfelder Rotation Bemerkung 89 Die Rotation läßt sich formal als Vektorprodukt darstellen: rot vt = ∇ × vt = et1 et2 ∂ ∂ = ∂x ∂y v v2 1 ∂ ∂ ∂ , , ∂x ∂y ∂z et3 ∂ ∂z v T × (v1 , v2 , v3 )T 3 109 Skalar- und Vektorfelder Rotation Bemerkung 90 (physikalische Deutung) Bild aus Mathematik-Interaktiv. Wir denken uns im Punkt P eine kleine, mit Schaufeln versehene Kugel in die Strömung gelegt. Die Kugel ist in P festgehalten aber frei drehbar und hat keinen Einfluß auf die Strömung. Frage: Wie dreht sich die Kugel? t mit (im Beschreibung einer Drehung um eine Achse durch einen Vektor ω t auch): Bild zeigt die y -Achse in die Zeichenebene, ω I t |: Betrag der Winkelgeschwindigkeit |ω I t : Drehachse + Korkenzieherregel Richtung von ω t (P) sind bis auf einen konstanten positiven rot vt(P) = −2z(y , x, 0)T und ω Faktor gleich. 110 Skalar- und Vektorfelder Rotation Satz 91 (Rechenregeln) I t ) = rot vt + rot wt rot(vt + w I rot(c · vt) = c · rot vt, I c ∈R rot(F · vt) = (grad F ) × vt + F · rot vt, wobei F ein differenzierbares Skalarfeld ist. Beispiel 92 Bezeichne Ht das magnetische Feld eines geraden, unendlich langen, von einem Gleichstrom durchflossenen Leiters. Wir legen das Koordinatensystem so, dass die z-Achse mit dem Leiter zusammenfällt und ihre Richtung gleich der Stromrichtung ist. 111 Skalar- und Vektorfelder Rotation Beispiel 92 (Fortsetzung) Aus physikalischen Gesetzen folgt: t y , z) = H(x, k T (−y , x, 0) x2 + y2 wobei k eine gewisse Konstante ist. /Bild/ Es gilt: t =p k |H| x2 + y2 und Ht ⊥ (x, y , z)T Dieses Vektorfeld ist quellenfrei, da ∂v1 2xy =k 2 , ∂x (x + y 2 )2 ∂v2 2xy = −k 2 , ∂y (x + y 2 )2 ∂v3 =0 ∂z 112 Skalar- und Vektorfelder Rotation Beispiel 92 (Fortsetzung) und wirbelfrei, da ∂v1 y2 − x2 ∂v2 =k 2 = . ∂y (x + y 2 )2 ∂x 113 Skalar- und Vektorfelder Rotation Beispiel 93 Das Vektorfeld vt(x, y , z) = (x 2 + xyz, y 2 − x 2 , x + y sin z)T ist weder quellen- noch wirbelfrei: div vt = 2x + yz + 2y + y cos z und et1 ∂ rot vt = ∂x x 2 + xyz et2 ∂ ∂y y2 − x2 et3 ∂ = (sin z, xy − 1, −2x − xz)T . ∂z x + y sin z 114 Skalar- und Vektorfelder Weitere Eigenschaften Satz 94 Ein Vektorfeld vt ist genau dann quellenfrei, wenn es sich als Rotation eines t darstellen läßt: Vektorfeldes w t. div vt = 0 ⇐⇒ vt = rot w t heißt Vektorpotential (und ist bis auf den Gradienten einer skalaren w Funktion eindeutig bestimmt). 115 Skalar- und Vektorfelder Weitere Eigenschaften Satz 94 (Fortsetzung) Ein Vektorfeld vt ist genau dann wirbelfrei, wenn es sich als Gradient eines Skalarfeldes F darstellen läßt: rot vt = 0 ⇐⇒ vt = grad F . F heißt Skalarpotential (und ist bis auf eine Konstante eindeutig bestimmt). Siehe auch den Satz über die Charakterisierung des vollständigen Differentials mit n = 3. 116 Kurvenintegrale Kurven im Raum (Wiederholung) Kurven im Raum Parameterdarstellung: rt (t) = (x(t), y (t), z(t))T , t ∈ [a, b]. Sind die Funktionen x(t), y (t) und z(t) stetig, so heißt die Kurve stetig, sind sie differenzierbar, so sei rt 0 (t) = (x 0 (t), y 0 (t), z 0 (t))T . rt 0 (t0 ) ist Tangentialvektor an die Kurve im Kurvenpunkt rt (t0 ). Parameterdarstellung der Tangente: rt (t0 ) + t rt 0 (t0 ), t ∈ R. /Bild/ 117 Kurvenintegrale Kurven im Raum (Wiederholung) Beispiele 95 1. Schraubenlinie: rt (t) = (R cos t, R sin t, ht)T , t ∈ R, R > 0, h > 0. Der Kurvenpunkt rt (t) hat von der z-Achse den Abstand q p 2 2 x(t) + y (t) = R 2 cos2 t + R 2 sin2 t = R. Der Abstand ist unabhängig von t. /Bild/ Die Kurve liegt auf einer Zylinderfläche, die sog Ganghöhe ist gleich 2πh. rt 0 (t) = (−R sin t, R cos t, h)T =⇒ Tangentialvektor zum Beispiel im Punkt rt (0) = (R, 0, 0)T ist rt 0 (0) = (0, R, h)T . Parameterdarstellung der Tangente: (R, 0, 0)T + t(0, R, h)T . 118 Kurvenintegrale Kurven im Raum (Wiederholung) Beispiele 95 (Fortsetzung) 2. Schraubenlinie auf einem Kegelmantel: rt (t) = (t cos t, t sin t, ht)T , t ≥ 0. /Bild/ 3. Gerade durch den Punkt a mit der Richtung b: rt (t) = a + tb, t ∈ R, a, b ∈ R3 . rt 0 (t) = b, d. h., Tangentialvektor = Richtungsvektor. 119 Kurvenintegrale Motivation (Berechnung der Arbeit) Wir berechnen die Arbeit, die von einem Kraftfeld Ft beim Verschieben (längs einer Kurve) eines Massenpunktes verrichtet wird. Spezialfall Verschiebung von A nach B längs einer Geraden durch eine konstante Kraft. Definitionsgemäss ist die Arbeit /Skizze/ W = F · s · cos ϕ = Ft · st wobei F = |Ft|, s = |st| und ϕ = ∠(Ft, st). Es sei nun C : rt(t) = (x1 (t), x2 (t), x3 (t))T , t ∈ [a, b] eine Kurve, auf C sei ein Vektorfeld Ft (Kraftfeld) definiert. 120 Kurvenintegrale Motivation (Berechnung der Arbeit) Arbeit bei Verschiebung entlang der Kurve I I I Sei Z : a = t0 < t1 < · · · < tn = b eine Zerlegung des Intervalls [a, b]. Die geradlinige Verbindung der Punkte rt(ti ) ergibt einen Streckenzug (Näherung für die Kurve). In jedem Teilintervall [ti−1 , ti ] wählen wir eine beliebige Zwischenstelle ηi . I Näherung für Ft auf der i-ten Teilstrecke: Ft(rt(ηi )). I Näherung für die Arbeit für die gesamte Kurve: n X Ft(rt(ηi )) · (rt(ti ) − rt(ti−1 )) i=1 121 Kurvenintegrale Definition Definition 96 Existiert der Grenzwert lim ∆Z →0 n X Ft(rt(ηi )) · (rt(ti ) − rt(ti−1 )) i=1 so nennt man ihn Kurvenintegral von Ft längs C . Bezeichnung: Z Ft · drt. C 122 Kurvenintegrale Berechnung des Kurvenintegrals Satz 97 Ist Ft = (F1 , F2 , F3 )T stetig und C eine stückweise stetig differenzierbare Kurve, so ist Ft längs C integrierbar und es gilt: Z Ft · drt = C Z b rt 0 (t) · Ft(rt(t)) dt a Z = b F1 (r (t)) · x10 (t) + F2 (r (t)) · x20 (t) + F3 (r (t)) · x30 (t) dt a wobei rt(t) = (x1 (t), x2 (t), x3 (t)), t ∈ [a, b], die Parameterdarstellung von C ist. 123 Kurvenintegrale Berechnung des Kurvenintegrals Bemerkungen 98 1. Für ein Kurvenintegral längs einer geschlossenen Kurve schreibt man auch I Ft · drt . C Dieses Integral wird auch Zirkulation von Ft längs C genannt. 124 Kurvenintegrale Berechnung des Kurvenintegrals Bemerkungen 98 (Fortsetzung) 2. Für eine Kurve C : rt(t) = (x(t), y (t), z(t))T , und ein Vektorfeld Ft = (Fx , Fy , Fz )T (keine partielle Ableitungen!), ist auch die folgende Schreibweise üblich: Z Z Ft · drt = Fx (x, y , z) dx + Fy (x, y , z) dy + Fz (x, y , z) dz C C Z b = Fx ẋ + Fy ẏ + Fz ż dt a 3. Wird der Integrationsweg in umgekehrter Richtung durchlaufen, so tritt beim Integral ein Vorzeichenwechsel ein. 125 Kurvenintegrale Berechnung des Kurvenintegrals Bemerkungen 98 (Fortsetzung) 4. Analog definiert man das Kurvenintegral für ein ebenes Vektorfeld Ft = (Fx , Fy )T längs einer ebenen Kurve C : rt(t) = (x(t), y (t))T . Es gilt: Z C Ft · drt = Z Z Fx (x, y ) dx + Fy (x, y ) dy = C b Fx ẋ + Fy ẏ dt a 126 Kurvenintegrale Berechnung des Kurvenintegrals Beispiel 99 Wir berechnen das Kurvenintegral Z Z I = (xy 2 , xy )T · drt = xy 2 dx + xy dy C C Z b = x(t)y (t)2 ẋ(t) + x(t)y (t)ẏ (t) dt a für die folgenden Wege von O(0, 0) nach P(1, 1): /Skizze/ I Integrationsweg C1 : x = t, y = t, 0 ≤ t ≤ 1; ẋ = 1, ẏ = 1, 1 Z I = 0 1 4 1 3 t 3 + t 2 dt = t + t 4 3 1 = 0 7 . 12 127 Kurvenintegrale Berechnung des Kurvenintegrals Beispiel 99 (Fortsetzung) I Integrationsweg C2 : x = t, y = t 3 , 0 ≤ t ≤ 1; ẋ = 1, ẏ = 3t 2 , Z I = 0 I 1 1 8 3 7 t + 3t dt = t + t 8 7 7 6 1 = 0 31 . 56 Integrationsweg C3 = C3∗ ∪ C3∗∗ : I Teilweg C3∗ : x = 0, y = t, 0 ≤ t ≤ 1; ẋ = 0, ẏ = 1, Z 1 I = 0 dt = 0 0 128 Kurvenintegrale Berechnung des Kurvenintegrals Beispiel 99 (Fortsetzung) I Integrationsweg C3 = C3∗ ∪ C3∗∗ : I Teilweg C3∗∗ : x = t, ẋ = 1, ẏ = 0, y = 1, 0 ≤ t ≤ 1; Z I = 0 1 1 2 t dt = t 2 1 = 0 1 . 2 129 Kurvenintegrale Konservative Felder Definition 100 Eine Teilmenge X von R2 oder R3 heißt I wegzusammenhängend, falls es für jedes Paar von Punkten x, y ∈ X einen Weg von x nach y gibt. I einfach-zusammenhängend, wenn sie wegzusammenhängend ist und sich jede im Bereich gelegene geschlossene Kurve auf einen Punkt zusammenziehen läßt. 130 Kurvenintegrale Konservative Felder Satz 101 Es sei Ft eine stetig partiell differenzierbares Vektorfeld in einem einfach-zusammenhängenden Bereich. Dann sind die folgenden Eigenschaften gleichwertig: R 1. Das Kurvenintegral C Ft · drt längs einer Kurve C , die zwei beliebige Punkte P und Q verbindet, ist unabhängig vom eingeschlagenen Verbindungsweg (der im Bereich liegt). 2. Das Kurvenintegral längs einer im Bereich liegenden geschlossenen Kurve hat stets den Wert 0. 131 Kurvenintegrale Konservative Felder Satz 101 (Fortsetzung) 3. Ft ist als Gradient einer skalaren Funktion ϕ (Potential) darstellbar: Ft = grad ϕ. Für ϕ gilt dann: Z Ft · drt = ϕ(Q) − ϕ(P) C 4. Ft ist wirbelfrei: rot Ft = t 0. Definition 102 Das Feld Ft heißt konservativ, wenn eine der obigen Bedingungen erfüllt ist. 132 Oberflächenintegrale Motivation, Definition Motivation Wir betrachten eine Flüssigkeitsströmung mit der Geschwindigkeit vt(P) (räumliches Vektorfeld). Wir interessieren uns für die Flüssigkeitsmenge, die in der Zeiteinheit durch ein bestimmtes Flächenstück A hindurchströmt, das in das Strömungsfeld der Flüssigkeit gebracht wurde. Spezialfall: vt ist konstant, A ist ein Rechteck A sei aufgespannt durch die Seitenvektoren rt und st. Wir nehmen an, dass nt = rt × st zur selben Seite zeigt wie vt (Vereinbarung, orientierte Fläche). Die gefragte Flüssigkeitsmenge ist gleich dem Volumen des Spates, das durch rt, st und vt aufgespannt wird: vt · (rt × st) = vt · nt = vt · nt1 · Flächeninhalt vom Rechteck wobei nt1 = nt/|nt| = nt/|rt × st| die Länge 1 hat. 133 Oberflächenintegrale Motivation, Definition Der allgemeine Fall Sei A eine sog. orientierte Fläche: Eine Fläche heißt orientiert, wenn eine Vereinbarung getroffen wurde, die Flächennormale nt, |nt| = 1 auf einer bestimmten Seite anzuheften. Bei einer geschlossenen Fläche, z. B. der Oberfläche einer Kugel, zeigt nt vereinbarungsgemäß nach außen. I I I Wir wählen eine Zerlegung Z der Fläche A in n Teilflächen A1 , . . . , An . ∆(Z ) := der maximale Durchmesser (Feinheit der Zerlegung) |Ak | := der Flächeninhalt von Ak Auf jeder Teilfläche Ak wählen wir einen Punkt Pk . Sei nt(Pk ) die Flächennormale im Punkt Pk (Länge 1). P Wir bilden die Zwischensumme S(Z ) = nk=1 vt(Pk ) · nt(Pk ) · |Ak | 134 Oberflächenintegrale Motivation, Definition Definition 103 Existiert der Grenzwert lim∆(Z )→0 S(Z ), so wird er Oberflächenintegral des Vektorfeldes vt über die orientierte Fläche A genannt und mit ZZ vt · nt dA A bezeichnet (Flußintegral/Fluß des Vektorfeldes vt durch die Fläche A). Bemerkungen 104 1. Das RR Oberflächenintegral über eine geschlossene Fläche wird mit t · nt dA bezeichnet (Hüllenintegral). (A) v RR 2. Setzt man speziell vt = nt, so ist vt · nt = 1; das Integral A dA ist gleich dem Flächeninhalt von A. 135 Oberflächenintegrale Berechnung Bezeichnung Sei Ft ein Vektorfeld, die Fläche A sei in Parameterdarstellung durch rt(u, v ), a ≤ u ≤ b, c ≤ v ≤ d gegeben. Dann ist rtu (u0 , v0 ) × rtv (u0 , v0 ) ein Normalenvektor für die Tangentialebene im Punkt rt(u0 , v0 ). Für die Flächennormale nt(u, v ) wählen wir den Vektor rtu × rtv nt = |rtu × rtv | (Orientierung). 136 Oberflächenintegrale Berechnung Satz 105 Existiert das Integral ZZ Ft · nt dA A so giltZ Z Z Ft · nt dA = A b Z a d Ft rt(u, v ) · [rtu (u, v ) × rtv (u, v )] dv du. c Bemerkung 106 Mit Ft = nt erhalten wir folgende Formel zur Berechnung des Flächeninhalts von A: Z a b Z d |rtu (u, v ) × rtv (u, v )| dv du. c 137 Oberflächenintegrale Berechnung Beispiel 107 Wir berechnen den Fluß des Vektorfeldes Ft(x, y , z) = (y , x, z 2 )T , durch die Mantelfläche des folgenden Zylinders mit dem Radius 5 und der Höhe 10 /Bild/ Beschreibung der Mantelfläche in Zylinderkoordinaten: rt(ϕ, z) = (5 cos ϕ, 5 sin ϕ, z)T , 0 ≤ ϕ < 2π, 0 ≤ z ≤ 10. Das Vektorfeld in Zylinderkoordinaten: Ft(x, y , z) = (y , x, z 2 )T = (5 sin ϕ, 5 cos ϕ, z 2 )T . 138 Oberflächenintegrale Berechnung Beispiel 107 (Fortsetzung) Weiterhin gilt: rtϕ × rtz = (−5 sin ϕ, 5 cos ϕ, 0)T × (0, 0, 1)T = (5 cos ϕ, 5 sin ϕ, 0)T und Ft · [rtϕ × rtz ] = 50 · sin ϕ · cos ϕ = 25 · sin 2ϕ. ZZ Z 2π Z 10 Ft · nt dA = Ft(rt(ϕ, z)) · [rtϕ (ϕ, z) × rtz (ϕ, z)] dz dϕ A 0 0 Z 2π Z 10 = 25 · sin 2ϕ dz dϕ = 0. 0 0 139 Integralsätze von Gauß und Stokes Gaußscher Integralsatz Satz 108 (Gaußscher Integralsatz im Raum) Es sei Ft ein stetig partiell differenzierbares Vektorfeld, V ein räumlicher Bereich mit der geschlossenen Oberfläche A und nt die nach außen gerichtete Flächennormale. Dann ist das Oberflächenintegral von Ft über A gleich dem Volumenintegral der Divergenz von Ft über V : ZZZ div Ft dV = V ZZ Ft · nt dA. (A) 140 Integralsätze von Gauß und Stokes Gaußscher Integralsatz Bemerkungen 109 1. Im Strömungsmodell hat das Vektorfeld Ft die Bedeutung des Geschwindigkeitsfeldes einer strömenden Flüssigkeit, und: RR t t dA: Flüssigkeitsmenge, die in der Zeiteinheit durch die (A) F · n geschlossene Hülle A fließt; RRR t V div F dV : im Gesamtvolumen V in der Zeiteinheit erzeugte bzw. vernichtete Flüssigkeitsmenge. 2. Bei einem quellfreien Feld (div Ft = 0) ist der Gesamtfluß durch die geschlossene Oberfläche gleich Null. Typische Anwendung: Bestimmung des elektrischen Feldes Et eines homogen geladenen Zylinders; Maxwell + Gaußscher Integralsatz (siehe Papula, Band 3, 9.3.1). 141 Integralsätze von Gauß und Stokes Stoke’scher Integralsatz Definition 110 Eine stetige Kurve C : (x(t), y (t)), a ≤ t ≤ b heißt einfach geschlossen, wenn (x(a), y (a)) = (x(b), y (b)) und (x(t1 ), y (t1 )) 6= (x(t2 ), y (t2 )) wenn a ≤ t1 < t2 < b. 142 Integralsätze von Gauß und Stokes Stoke’scher Integralsatz Satz 111 (Stoke’scher Integralsatz) Es sei Ft ein stetig partiell differenzierbares Vektorfeld und C eine einfach geschlossene Kurve. Dann ist das Kurvenintegral von Ft längs C gleich dem Oberflächenintegral der Rotation von Ft über eine beliebige Fläche A, die durch C berandet wird: ZZ rot Ft · nt dA = I A Ft drt. C Dabei wird die Umlaufrichtung für C wie folgt festgelegt: Ein Beobachter, der in die Richtung von nt schaut, durchläuft C so, dass die Fläche A links liegen bleibt. 143 Integralsätze von Gauß und Stokes Stoke’scher Integralsatz Bemerkungen 112 1. Das Integral ZZ rot Ft · nt dA A wird auch als Wirbelfluß bezeichnet. 2. Satz von Stokes: Der Wirbelfluß eines Vektorfeldes Ft durch eine Fläche ist gleich der Zirkulation von Ft längs der Randkurve dieser Fläche. 3. Der Wirbelfluß ist für alle Flächen, die von der gleichen Kurve berandet werden, gleich groß. 144 Integralsätze von Gauß und Stokes Stoke’scher Integralsatz Bemerkungen 112 (Fortsetzung) 4. Der Wirbelfluß durch eine geschlossene Fläche ist gleich 0. Nach dem Gaußschen Integralsatz gilt nämlich (mit rot Ft anstelle von Ft): ZZ ZZZ rot Ft · nt dA = div(rot Ft) dV = 0 (A) V da div(rot Ft) = 0. 5. Eine typische Anwendung: Bestimmung des Magnetfeldes Ht eines stromdurchflossenen linearen Leiters; Stokes + Maxwell (siehe Papula, Band 3, 9.3.2). 145 Extrema der Funktionen mehrerer Variablen Grundlagen Der Begriff des Extremums von Funktionen mehrerer Veränderlicher entspricht dem bei Funktionen einer Variablen: Definition 113 Die Funktion f sei auf der Menge Df definiert und P0 ∈ Df . Wenn f (P0 ) ≥ f (P) 1. für alle P ∈ Df gilt, so sagt man, f habe in P0 ein absolutes Maximum; 2. für alle P ∈ Df ∩ U gilt, wobei U eine geeignete Umgebung von P0 ist, so sagt man, f habe in P0 ein relatives oder lokales Maximum. Die Zahl f (P0 ) ist dann (absolutes oder relatives) Maximum der Funktion f . (Analoge Definition von absolutem/relativem Minimum.) Beispiel 114 Für die Funktion f (x, y ) = (x − 3)2 + y 4 gilt: f (x, y ) ≥ 0 für alle (x, y ) ∈ R2 =⇒ f hat im Punkt (3, 0) ein absolutes Minimum (= 0). 146 Extrema der Funktionen mehrerer Variablen Grundlagen Satz 115 Die Funktion f sei auf der offenen Menge Df ⊂ Rn definiert und besitze in P ∈ Df ein relatives Extremum. Wenn die partielle Ableitung fxi in P existiert, so ist sie Null. Beweis. f hat in P = (a1 , . . . , an ) ein relatives Extremum =⇒ g (x) = f (a1 , . . . , ai−1 , x, ai+1 , . . . , an ) besitzt in ai ein relatives Extremum =⇒ 0 = g 0 (ai ) = fxi (P). 147 Extrema der Funktionen mehrerer Variablen Grundlagen Beispiel 116 Die Funktion f (x, y ) = 2x 3 − 3x 2 + y 2 ist auf relative Extrema zu untersuchen. Wir bilden beide partiellen Ableitungen und setzen sie Null: fx (x, y ) = 6x 2 − 6x = 0 =⇒ x = 0 oder x = 1 fy (x, y ) = 2y = 0 =⇒ y = 0. Zwei Lösungen: P1 = (0, 0) und P2 = (1, 0). Besitzt f relatives Maximum oder relatives Minimum in den Punkten P1 = (0, 0) und P2 = (1, 0)? 148 Extrema der Funktionen mehrerer Variablen Grundlagen Satz 117 Die Funktion f sei auf der offenen Menge Df ⊂ R2 definiert, im Punkt P ∈ Df seien alle partiellen Ableitungen bis zur Ordnung 2 stetig, ferner sei fx (P) = fy (P) = 0 und ∆(P) = fxx (P)fyy (P) − fxy (P)2 . Dann gilt: 1. Ist ∆(P) > 0, so besitzt f in P ein relatives I I Maximum, wenn fxx (P) < 0 (bzw. fyy (P) < 0) ist; Minimum, wenn fxx (P) > 0 (bzw. fyy (P) > 0) ist. 2. Ist ∆(P) < 0, so hat f in P kein relatives Extremum. 3. Im Fall ∆(P) = 0 kann ein Extremum vorliegen oder nicht. 149 Extrema der Funktionen mehrerer Variablen Grundlagen Beispiel 118 f (x, y ) = 2x 3 − 3x 2 + y 2 wie in Beispiel 116. fxx (x, y ) = 12x − 6, fyy (x, y ) = 2, fxy (x, y ) = 0 =⇒ ∆(x, y ) = 24x − 12. ∆(0, 0) = −12 < 0 =⇒ kein relatives Extremum. ∆(1, 0) = 12 > 0, fxx (1, 0) = 6 > 0 =⇒ relatives Minimum. Beispiel 119 Für f (x, y ) = x 2 − y 2 gilt: fx = 2x = 0, fy = −2y = 0 =⇒ x = y = 0 Es ist f (0, 0) = 0 und f nimmt in jeder Umgebung von (0, 0) sowohl negative, als auch positive Werte an. Folglich ist (0, 0) keine Extremstelle. Das folgt auch aus ∆(x, y ) = −4. 150 Extrema der Funktionen mehrerer Variablen Anwendung: Ausgleichsrechnung Aufgabenstellung Gegeben seien n Punkte Pi = (xi , yi ), i = 1, . . . , n; n > 1, in der Ebene, die xi seien nicht alle einander gleich. Gesucht ist eine Gerade g , welche möglichst gut“ durch die Punkte ” hindurchgeht. Methode der kleinsten Quadrate Der Punkt Pi hat von g , beschrieben durch y = ax + b, in y -Richtung den Abstand di = |axi + b − yi |. möglichst gut“: a und b sollen so bestimmt werden, dass die Summe ” n n X X 2 di = (axi + b − yi )2 =: f (a, b) i=1 i=1 minimal wird (interaktive Grafik). 151 Extrema der Funktionen mehrerer Variablen Anwendung: Ausgleichsrechnung Lösungsmethode Notwendige Bedingung: fa (a, b) = fb (a, b) = 0. " n # n n n X X X X fa (a, b) = 2 xi (axi + b − yi ) = 2 a xi2 + b xi − xi yi fb (a, b) = 2 i=1 n X " (axi + b − yi ) =2 a i=1 i=1 n X i=1 i=1 xi + bn − =0 i=1 n X # yi = 0. i=1 Lineares Gleichungssystem mit 2 Unbekannten. Lösung: P P P Pn Pn y − a n ni=1 xi yi − ( ni=1 xi ) ( ni=1 yi ) i i=1 i=1 xi , b = a= Pn P n n i=1 xi2 − ( ni=1 xi )2 /Nenner 6= 0, wenn nicht alle xi gleich/. 152 Extrema der Funktionen mehrerer Variablen Anwendung: Ausgleichsrechnung Beispiel 120 An eine Feder hängt man ein Gewicht, sie wird gedehnt. Die Länge y der Feder in Abhängigkeit vom Gewicht x wird gemessen. Nach dem Hookschen Gesetz gilt y = ax + b mit gewissen Konstanten a und b. Aufgabe Man bestimme näherungsweise a und b mit Hilfe folgender Meßwerte. 153 Extrema der Funktionen mehrerer Variablen Anwendung: Ausgleichsrechnung Beispiel 120 (Fortsetzung) P Gewicht xi 5 10 15 20 25 30 105 Länge yi 34 52 66 79 97 110 438 xi2 25 100 225 400 625 900 2275 xi yi 170 520 990 1580 2425 3300 8985 Hieraus folgt: a ≈ 3,02, b ≈ 20,2 =⇒ y = 3,02x + 20,2. 154 Extrema der Funktionen mehrerer Variablen Extrema mit Nebenbedingungen Beispiel 121 Ein Punkt bewege sich auf der Ebene E mit der Gleichung x + y + z = 0, sein Abstand vom Nullpunkt betrage 1. Welches ist sein kleinst-, welches sein größtmöglicher Abstand von der z-Achse? (Animation) Der Punkt liegt auf der Kugel K genaupdann, wenn x 2 + y 2 + z 2 = 1; sein Abstand von der z-Achse beträgt x 2 + y 2 . Wir haben also die folgende Aufgabe: p f (x, y , z) = x 2 + y 2 7−→ Maximum, Minimum Nebenbedingungen: x +y +z =0 x 2 + y 2 + z 2 − 1 = 0. 155 Extrema der Funktionen mehrerer Variablen Extrema mit Nebenbedingungen Aufgabe (Allgemein) Extremstellen berechnen für eine Funktion f (x1 , . . . , xn ) Nebenbedingungen: g1 (x1 , . . . , xn ) = 0, . . . , gk (x1 , . . . , xn ) = 0. Lösungsmethode: Multiplikatorenregel von Lagrange 1. Man setzt F (x1 , . . . , xn , λ1 , . . . , λk ) := f (x1 , . . . , xn ) + k X λj gj (x1 , . . . , xn ) j=1 wobei λj ∈ R. Die neuen Variablen λj heißen Langrangesche Multiplikatoren. 156 Extrema der Funktionen mehrerer Variablen Extrema mit Nebenbedingungen Lösungsmethode (Fortsetzung) 2. Dann wird das Gleichungssystem ∂F = 0, ∂xi ∂F = 0, ∂λj für x1 , . . . , xn gelöst. Bemerkung: i = 1, . . . , n j = 1, . . . , k ∂F ∂λj = gj . 3. An den gefundenen Stellen (x1 , . . . , xn ) können Extrema liegen (nur notwendige Bedingung). Die Werte λj sind für das Problem i. A. nicht interessant. 157 Extrema der Funktionen mehrerer Variablen Ein Beispiel Beispiel 122 (Fortsetzung des letzten Beispiels) f (x, y , z) = p x 2 + y 2 =: r g1 (x, y , z) = x 2 + y 2 + z 2 − 1, g2 (x, y , z) = x + y + z. F (x, y , z, λ1 , λ2 ) = f (x, y , z) + λ1 (x 2 + y 2 + z 2 − 1) + λ2 (x + y + z). 1 1 x fx = (x 2 + y 2 )− 2 · 2x = 2 r 1 1 y fy = (x 2 + y 2 )− 2 · 2y = 2 r fz = 0 158 Extrema der Funktionen mehrerer Variablen Ein Beispiel Beispiel 122 (Fortsetzung) Das Gleichungssystem: x + 2xλ1 + λ2 = 0 r y Fy = + 2y λ1 + λ2 = 0 r Fz = 2zλ1 + λ2 = 0 Fx = a) b) c) x2 + y2 + z2 − 1 = 0 d) x +y +z =0 e) Wir lösen dieses Gleichungssystem: 159 Extrema der Funktionen mehrerer Variablen Ein Beispiel Beispiel 122 (Fortsetzung) a) · y − b) · x liefert: (y − x)λ2 = 0 =⇒ λ2 = 0 oder x = y . Fallunterscheidung: λ2 = 0: Aus c) folgt dann zλ1 = 0 =⇒ z = 0 oder λ1 = 0. √ z = 0: e) =⇒ x = −y ; d) =⇒ x = ± 12 2. Damit haben wir die Punkte 1√ 1√ 1√ 1√ P1 = 2, − 2, 0 , P2 = − 2, 2, 0 . 2 2 2 2 /Dann gelten auch a) und b) mit λ1 = − 12 ./ λ1 = 0: a), b) =⇒ x = y = 0, aus e) folgt weiter z = 0. Dann ist aber d) nicht erfüllt, dieser Fall tritt also nicht ein. 160 Extrema der Funktionen mehrerer Variablen Ein Beispiel Beispiel 122 (Fortsetzung) √ √ x = y : e), d) =⇒ x = y = ± 16 6, z = ∓ 13 6. Man könnte noch λ1 , λ2 aus a) und b) bestimmen, was aber nicht nötig ist. Wir haben also die zwei Punkte 1√ 1√ 1√ 1√ 1√ 1√ 6, 6, − 6 , P4 = − 6, − 6, 6 . P3 = 6 6 3 6 6 3 √ 1 Wir erhalten f (P1 ) = f (P2 ) = 1 und f (P3 ) = f (P4 ) = 3 3. Aus geometrischen Gründen ist klar: P1 und P2 haben den größten Abstand (=1);√ P3 und P4 haben den kleinsten Abstand (= 13 3). 161 Die mehrdimensionale Taylorsche Formel Taylorsche Formel für eine Funktion f mit einer Variablen: m X 1 1 f (x) = · (x − x0 )k · f (k) (x0 ) + · (x − x0 )m+1 f (m+1) (η) k! (m + 1)! k=0 wobei η zwischen x und x0 liegt. 162 Die mehrdimensionale Taylorsche Formel Zur Erinnerung: ∂ ∂ + · · · + hn h · ∇ = h1 ∂x1 ∂xn Satz 123 (Mehrdimensionale Taylorsche Formel) Die Funktion f sei auf Rn nach allen Variablen (m + 1)-mal stetig partiell differenzierbar. Es seien x, x0 ∈ Rn und h = x − x0 . Dann existiert ein t = t(x) ∈ (0, 1), so dass m X 1 1 f (x) = · (h · ∇)k f (x0 ) + · (h · ∇)m+1 f (x0 + th). k! (m + 1)! k=0 163 Die mehrdimensionale Taylorsche Formel Beispiel 124 Für f (x, y ) = ex sin y gebe man die Taylorentwicklung an der Stelle P = (0, 0) bis zu Gliedern dritter Ordnung ohne Restglied an. Wir berechnen zuerst die partiellen Ableitungen an der Stelle P: k=0 k=1 k=2 k=3 f (x, y ) = ex sin y fx (x, y ) = ex sin y fy (x, y ) = ex cos y fxx (x, y ) = ex sin y fxy (x, y ) = fyx (x, y ) = ex cos y fyy (x, y ) = −ex sin y fxxx (x, y ) = ex sin y fxxy (x, y ) = fxyx (x, y ) = fyxx (x, y ) = ex cos y fxyy (x, y ) = fyyx (x, y ) = fyxy (x, y ) = −ex sin y fyyy (x, y ) = −ex cos y f (P) = 0 fx (P) = 0 fy (P) = 1 fxx (P) = 0 fyx (P) = 1 (2) fyy (P) = 0 fxxx (P) = 0 fxxy (P) = 1 (3) fxyy (P) = 0 (3) fyyy (P) = −1 164 Die mehrdimensionale Taylorsche Formel Beispiel 124 (Fortsetzung) Mit x0 = y0 = 0, h1 = x − x0 = x und h2 = y − y0 = y erhalten wir: f (x, y ) = y + 1 1 2xy + (3x 2 y − y 3 ) + R3 . 2! 3! Bemerkung: In diesem Spezialfall hätten wir auch die Taylorentwicklungen der Funktionen ex und sin y multiplizieren können. 165 Implizite Funktionen Einführende Beispiele Zuerst betrachten wir die Auflösbarkeit einer Gleichung F (x, y ) = 0 nach einer der Variablen. Beispiele 125 1. F (x, y ) = ax + by + c = 0. Auflösung nach y ist genau dann möglich, wenn b 6= 0. In diesem Fall gilt: a c y = f (x) = − x − b b 166 Implizite Funktionen Einführende Beispiele Beispiele 125 (Fortsetzung) 2. Für die Gleichung F (x, y ) = x 2 + y 2 − 1 = 0 ist nur eine sog. lokale Auflösung in einer Umgebung einer Stelle (x0 , y0 ) möglich: /Skizze/ √ 1 − x 2 , −1 < x < 1 Wenn y0 > 0, dann y = f1 (x) = √ wenn y0 < 0, dann y = f2 (x) = − 1 − x 2 , −1 < x < 1. In den Punkten (−1, 0) und (1, 0) ist eine lokale Auflösung nach y nicht möglich. 167 Implizite Funktionen Einführende Beispiele Bemerkung Im Allgemeinen beschreibt die Gleichung F (x, y ) = 0 eine Kurve in der x, y -Ebene. Die Auflösung nach y in einer Umgebung von (x0 , y0 ) ist dann möglich, wenn in dieser Umgebung Geraden der Form x = c die Kurve nur in einem Punkt schneiden. Im vorhergehenden Beispiel ist das in den Punkten (−1, 0) und (1, 0) nicht gegeben, bedingt dadurch, dass die Tangente parallel zur y-Achse ist: Die y Koordinate des Gradienten (Fx , Fy ) = (2x, 2y ) verschwindet in diesen Punkten. 168 Implizite Funktionen Auflösbarkeit Satz 126 Sei F stetig nach x und y differenzierbar, F (x0 , y0 ) = 0 und Fy (x0 , y0 ) 6= 0. Dann existiert eine Umgebung U von x0 für die gilt: Es gibt genau eine Funktion y = f (x) auf U mit F (x, f (x)) = 0, x ∈ U. Diese Funktion f ist dann differenzierbar und f 0 (x) = − Fx (x, f (x)) . Fy (x, f (x)) Beweis der letzten Gleichung. h(x) := F (x, f (x)) = 0 =⇒ dh dx = Fx · dx dx + Fy · df dx = Fx + Fy · f 0 = 0. 169 Implizite Funktionen Auflösbarkeit Beispiel 127 Wir betrachten die Gleichung F (x, y ) = x 3 + y 3 − 3axy = 0, (Kartesisches Blatt). Parameterdarstellung: x(t) = 3at · 1 , 1 + t3 y (t) = 3at 2 · a 6= 0 1 1 + t3 (Bild). Wir bestimmen diejenigen Kurvenpunkte, für die Fy verschwindet, also die Punkte (x, y ), für die F (x, y ) = x 3 + y 3 − 3axy = 0 und y2 Fy (x, y ) = 3y − 3ax = 0 =⇒ x = a 2 170 Implizite Funktionen Auflösbarkeit Beispiel 127 (Fortsetzung) In die erste Gleichung einsetzen: y6 + y 3 − 3y 3 = 0 ⇐⇒ y 3 (y 3 − 2a3 ) = 0 3 a Zwei Lösungen: P1 = (0, 0) und P2 = a · (41/3 , 21/3 ). In P1 schneidet sich die Kurve selbst, in P2 hat sie eine senkrechte Tangente. 171 Implizite Funktionen Auflösbarkeit Verallgemeinerung Auflösbarkeit eines Gleichungssystems F1 (x1 , . . . , xn , y1 , . . . , ym ) = 0 F2 (x1 , . . . , xn , y1 , . . . , ym ) = 0 .. . Fm (x1 , . . . , xn , y1 , . . . , ym ) = 0 nach den Variablen y1 , . . . , ym . 172 Implizite Funktionen Auflösbarkeit Satz 128 Die Funktionen Fk seien stetig nach xi und yj differenzierbar, 0 ) = 0, Fk (x10 , . . . , xn0 , y10 , . . . , ym k = 1, . . . , m und die Matrix ∂F ∂F1 ∂F1 1 . . . ∂y1 ∂y2 ∂ym ∂F2 ∂F2 ∂F2 ∂y1 ∂y2 . . . ∂y1 . .. .. . . . . ∂Fm ∂y1 ∂Fm ∂y2 ... ∂Fm ∂ym 0 ). Dann existiert eine sei regulär an der Stelle (x10 , . . . , xn0 , y10 , . . . , ym Umgebung U von (x10 , . . . , xn0 ) ∈ Rn für die gilt: Es gibt eindeutig bestimmte Funktionen yk = fk (x1 , . . . , xn ), 1 ≤ k ≤ m, auf U, die das obige Gleichungssystem erfüllen. Diese Funktionen sind dann partiell nach allen Variablen differenzierbar. 173 Implizite Funktionen Auflösbarkeit Bemerkung Die partiellen Ableitungen lassen sich mit Hilfe der Inversen der obigen Matrix ausrechnen: Bezeichne ∂F ∂y die obige m × m Matrix (die sog. Jacobi - Matrix). Analog bezeichnen wir: ∂f ∂F ∂x (m × n Matrix) und ∂x (m × n Matrix). Dann gilt: −1 ∂f ∂F ∂F (x) = − (x, f (x)) · (x, f (x)) ∂x ∂y ∂x 174 Zahlenreihen Definition, Konvergenz Definition 129 Gegeben sei eine Folge {an }∞ 1 . Bezeichnen wir die Summe der ersten n Glieder dieser Folge mit sn , also s 1 = a1 , s 2 = a1 + a2 , s 3 = a1 + a2 + a3 , .. . sn = a1 + a2 + · · · + an = n X ak , k=1 so erhalten wir eine neue Folge {sn }, die Folge der Partialsummen von {an }. Diese Folge heißt die zu der Folge {an } gehörende unendliche Reihe. 175 Zahlenreihen Definition, Konvergenz Beispiel 130 Es sei a1 , q ∈ R, q 6= 1. Aus der geometrischen Folge ak = a1 q k−1 erhalten wir die geometrische Reihe mit sn = n X k=1 a1 q k−1 1 − qn = a1 . 1−q Beispiel 131 Aus der Folge ak = 1 k erhalten wir die harmonische Reihe mit n X 1 1 1 1 sn = = 1 + + + ··· + . k 2 3 n k=1 Es ist beispielsweise s1 = 1; s2 = 1,5; s3 = 1,83 . . . ; s50 = 5,18 . . . 176 Zahlenreihen Definition, Konvergenz Definition 132 Konvergiert die Folge {sn } gegen eine Zahl s, so sagen wir, die unendliche Reihe sei konvergent und besitze die Summe s. Schreibweise: s= ∞ X ak = lim n→∞ k=1 n X ak = a1 + a2 + · · · . k=1 Existiert der Grenzwert nicht, so heißt P∞ P∞ die Reihe divergent. Man schreibt k=1 ak = ∞ oder k=1 ak = −∞, wenn {sn } gegen ∞ bzw. −∞ konvergiert. 177 Zahlenreihen Definition, Konvergenz Beispiel 133 Die geometrische Reihe ist für |q| < 1 konvergent. Es gilt: ∞ X k=1 a1 q k−1 1 − qn a1 = lim a1 = . n→∞ 1−q 1−q 178 Zahlenreihen Definition, Konvergenz Beispiel 134 das n-te Glied in sn = n X 1 1 − k k +1 k=1 =1− P∞ 1 n=1 n(n+1) auf Konvergenz. 1 1 = n1 − n+1 . Es ist Partialbrüche: n(n+1) Wir untersuchen die Reihe = Dazu zerlegen wir also 1 1 1 1 1 1 1 1 − + − + − + ··· + − 1 2 2 3 3 4 n n+1 1 . n+1 Daraus folgt: ∞ X n=1 1 1 = lim 1 − = 1. n(n + 1) n→∞ n+1 179 Zahlenreihen Definition, Konvergenz Beispiel 135 P 1 Die harmonische Reihe ist divergent: ∞ n=1 n = ∞. 1 1 1 1 1 1 1 sn = 1 + + + + + + + ··· + + ··· + 2 3 4 5 8 9 16 | {z } | {z } | {z } >2· 14 = 12 >4· 81 = 12 1 >8· 16 = 12 1 1 1 ··· + + · · · + + · · · + n 2k + 1 2k+1 | {z } >2k · 1 = 12 2k+1 Daraus folgt: lim sn = ∞. 180 Zahlenreihen Eigenschaften Satz 136 P P∞ Wenn ∞ a und n=1 n n=1 bn konvergente Reihen mit den Summen a und b sind und α, β ∈ R, dann gilt ∞ ∞ ∞ X X X (αan + βbn ) = α an + β bn = αa + βb. n=1 n=1 n=1 181 Zahlenreihen Eigenschaften Beispiel 137 P 3n+1 −2n+1 Ist die Reihe ∞ konvergent? n=1 6n n+1 n+1 Es ist 3 6−2 = 3( 21 )n − 2( 13 )n =⇒ n ∞ X 3n+1 − 2n+1 n=1 6n ∞ ∞ X X 1 1 1/2 1/3 3 − 2 − 2 = =3 2n 3n 1 − 1/2 1 − 1/3 n=1 n=1 = 3 − 1 = 2. 182 Zahlenreihen Eigenschaften Beispiel 138 A,B: Fahrradfahrer, F: Fliege, Geschwindigkeiten: 10,10,20 km/h, Strecke 20 km. (Skizze) A, B, F starten zusammen, F fliegt bis sie B trifft, dann wendet sie, und fliegt bis sie A trifft, usw. Man berechne die Länge der Strecke, die F bis zum treffen von A und B zurückgelegt hat. 1: 23 · 20 2: 3: 2 3 2 3 · 20 · · 20 · 1 3 1 32 .. . s = 23 · 20 1 + 13 + Einfachere Lösung? 1 32 + ··· = 2 3 · 20 · 1 1−1/3 = 20. 183 Zahlenreihen Eigenschaften Satz 139 Wenn die Reihe P∞ n=1 an konvergent ist, so ist limn→∞ an = 0. Bemerkung 140 Die Bedingung lim an = 0 ist nur notwendig aber nicht hinreichend für die Konvergenz; siehe die harmonische Reihe. 184 Zahlenreihen Konvergenzkriterien Satz 141 (Majoranten- und Minorantenkriterium) Gegeben sei die Reihe P∞ n=1 an . P∞ 1. Majorantenkriterium: Gibt es eine konvergente Reihe n=1 cn , so dass P∞ |an | ≤ cn für alle n ∈ N, dann ist die Reihe n=1 an konvergent. P∞ 2. Minorantenkriterium: Gibt es eine Reihe P∞ P∞ n=1 dn mit an ≥ dn für alle n ∈ N und n=1 dn = ∞, dann ist n=1 an = ∞. Beispiel 142 Die Reihe 1 (n+1)2 ≤ P∞ 1 P∞ 1 n=1 (n+1)2 ist konvergent. Für alle n ∈ N mit n ≥ 1 gilt nämlich 1 n(n+1) . Nach dem Beispiel im letzten Abschnitt ist die Reihe konvergent, ihre Summe ist gleich 1. Damit haben wir eine konvergente Majorante gefunden, und nach dem Majorantenkriterium ist P∞ 1 n=1 (n+1)2 konvergent. Ihre Summe ist kleiner als 1. n=1 n(n+1) 185 Zahlenreihen Konvergenzkriterien Beispiel 143 Wir untersuchen die Reihe P∞ 1 n=1 n = ∞ ist, gilt: P∞ 1 n=1 n1/3 . Für alle n ≥ 1 gilt: 1 n1/3 ≥ n1 . Da ∞ X 1 = ∞. 1/3 n n=1 Satz 144 (Leibniz) Ist {an } eine Nullfolge mit a1 > a2 > a3 > · · · > 0, so ist die Reihe ∞ X a1 − a2 + a3 − a4 + · · · = (−1)n+1 an n=1 konvergent. 186 Zahlenreihen Konvergenzkriterien Definition 145 P P∞ Eine Reihe ∞ a heißt absolut konvergent, wenn die Reihe n=1 n n=1 |an | konvergent ist. Bemerkungen 146 1. Die Reihe 1 − 21 + 13 − 14 + · · · ist konvergent nach dem Leibniz-Kriterium, sie ist aber nicht absolut konvergent, da die harmonische Reihe divergiert. 2. Konvergente Reihen, die nur nichtnegative Glieder besitzen, sind absolut konvergent. 3. Jede absolut konvergente Reihe ist konvergent. Das folgt aus dem Majorantenkriterium. 187 Zahlenreihen Konvergenzkriterien Satz 147 (Wurzelkriterium) Gegeben sei die Reihe Grenzwert a, so gilt: P∞ 1 np o an . Ist die Folge n |an | konvergent gegen den 1. Ist a < 1, so ist die Reihe absolut konvergent. 2. Ist a > 1, so ist die Reihe divergent. Beispiele 148 P∞ √ 1. Die Reihe 1 ( n 2 − 1)n ist konvergent, da q √ p √ n n n lim n |an | = lim ( 2 − 1)n = lim ( 2 − 1) = 0. n→∞ n→∞ n→∞ P 1 P∞ 1 2. Für die Reihen ∞ und 1 n 1 n2 ist a = 1; die erste Reihe ist divergent, die zweite konvergent. 188 Zahlenreihen Konvergenzkriterien Satz 149 (Quotientenkriterium) o n an+1 Gegeben sei die Reihe 1 an mit an = 6 0. Ist die Folge an konvergent gegen den Grenzwert a, so gilt: P∞ 1. Ist a < 1, so ist die Reihe absolut konvergent. 2. Ist a > 1, so ist die Reihe divergent. Beispiel 150 Die Reihe P∞ 1 n=0 n! =1+1+ lim n 1 2! + 1 3! + · · · ist konvergent, da an+1 n! 1 = lim = lim = 0. n (n + 1)! n n+1 an Man kann zeigen, dass die Summe dieser Reihe die Euler’sche Zahl e ist. 189 Zahlenreihen Konvergenzkriterien Bemerkung 151 (Einige wichtige Reihen) 1 2 1 3 + 1 4 + ··· = ∞ + 21 + · · · + n1 − + I 1+ I limn→∞ 1 (Euler’sche Konstante); Rn Anmerkung: 1 x1 dx = ln n I 1− 1 12 I 1 p1 I 1 2 + + 1 3 − 1 4 + 1 32 1 p3 + ··· = + 1 22 1 p2 + (harmonische Reihe) ln n = 0,5772156 . . . + · · · = ln 2 ≈ 0,693 π2 6 (Euler, 1736) + ··· = ∞ Hier bezeichnet pn die n-te Primzahl. I 1+ x 1! + x2 2! + x3 3! + · · · = ex , x ∈ R. 190 Potenzreihen Definition Definition 152 Unter einer (reellen) Potenzreihe versteht man eine unendliche Reihe der Form P(x) = ∞ X an · (x − x0 )n = a0 + a1 · (x − x0 )1 + a2 · (x − x0 )2 + · · · n=0 wobei alle Zahlen reell sind. Die Menge aller reellen Zahlen x, für welche die Reihe konvergiert, heißt Konvergenzbereich der Potenzreihe. an : Koeffizienten der Potenzreihe. x0 : Entwicklungspunkt 191 Potenzreihen Definition Beispiel 153 (geometrische Reihe) Bei der geometrischen Reihe ist x0 = 0 und an = 1 für alle n: P(x) = ∞ X xn = 1 + x + x2 + · · · n=0 Wir haben bereits gesehen: Diese Reihe konvergiert genau dann, wenn |x| < 1. Der Konvergenzbereich ist also ein Intervall. In diesem Intervall gilt: P(x) = 1 . 1−x 192 Potenzreihen Konvergenzradius Satz 154 Zu jeder Potenzreihe ∞ X an · (x − x0 )n n=0 gibt es ein r ∈ [0, ∞], Konvergenzradius genannt, mit den folgenden Eigenschaften: 1. Die Potenzreihe konvergiert im Intervall |x − x0 | < r . 2. Die Potenzreihe divergiert, wenn r < ∞ und |x − x0 | > r . 3. Wenn r < ∞, dann kann die Reihe in den Randpunkten x0 − r und x0 + r des Konvergenzbereiches im Allgemeinen konvergieren oder auch divergieren. 193 Potenzreihen Konvergenzradius Satz 154 (Fortsetzung) 4. Existiert der Grenzwert an lim n→∞ an+1 so ist er gleich r . 5. Existiert der Grenzwert lim n→∞ p n |an | so ist er gleich 1r . 194 Potenzreihen Konvergenzradius Beispiele 155 1. Für die geometrische Reihe P(x) = 1 + x + x 2 + · · · ist an = lim 1 = 1. r = lim n→∞ 1 n→∞ an+1 Im Randpunkt 1 konvergiert die Folge der Partialsummen gegen ∞, im Randpunkt −1 ist sie divergent. 2. Der Konvergenzradius der Potenzreihe ∞ X xn / = ex / n! n=0 a (n + 1)! n beträgt r = lim = lim =∞ n→∞ an+1 n→∞ n! 195 Potenzreihen Konvergenzradius Beispiele 155 (Fortsetzung) 3. Der Konvergenzradius der Potenzreihe ∞ X n! · x n n=0 ist an n! = lim r = lim =0 n→∞ an+1 n→∞ (n + 1)! 196 Potenzreihen Konvergenzradius Beispiele 155 (Fortsetzung) 4. Für die Reihe xn n=1 n P∞ gilt: an = lim n + 1 = 1 r = lim n→∞ an+1 n→∞ n Die Randpunkte: Für x = 1 erhalten wir die divergente harmonische Reihe 1+ 1 1 + + ··· 2 3 Für x = −1 erhalten wir die konvergente alternierende Reihe −1 + 1 1 − + ··· 2 3 197 Potenzreihen Weitere Eigenschaften Satz 156 I Eine Potenzreihe ist im Innern ihres Konvergenzbereiches absolut konvergent. I Eine Potenzreihe darf im Innern ihres Konvergenzbereiches gliedweise differenziert und integriert werden. Die neuen Potenzreihen besitzen dabei denselben Konvergenzradius wie die ursprüngliche Reihe. I Zwei Potenzreihen dürfen im gemeinsamen Konvergenzbereich der Reihen gliedweise addiert und subtrahiert werden. Die neuen Potenzreihen konvergieren dann mindestens im gemeinsamen Konvergenzbereich der beiden Ausgangsreihen. 198 Potenzreihen Weitere Eigenschaften Beispiel 157 ∞ ∞ X d X xn d xn d x = e = dx n! dx n! dx = ∞ X n=1 n=0 nx n−1 n! = n=0 ∞ X n=1 ∞ X x n−1 xn = = ex (n − 1)! n! n=0 199 Potenzreihen Die Taylor-Reihe Definition 158 f sei eine auf (a, b) beliebig oft differenzierbare Funktion und x0 ∈ (a, b). Dann heißt die Potenzreihe ∞ X f (k) (x0 ) k=0 k! · (x − x0 )k die Taylor-Reihe von f im Punkt x0 . 200 Potenzreihen Die Taylor-Reihe Bemerkungen 159 Da eine Taylor-Reihe auch eine Potenzreihe ist, gibt es drei Möglichkeiten: I die Reihe konvergiert für alle x ∈ R, I die Reihe besitzt einen positiven Konvergenzradius, I die Reihe konvergiert nur für x = x0 . Nach dem Satz von Taylor gilt für jedes n: f (x) = n X f (k) (x0 ) k=0 k! f (n+1) (s) · (x − x0 ) + · (x − x0 )n+1 , (n + 1)! k wobei s zwischen x und x0 liegt. Deshalb gilt: Die Taylor-Reihe konvergiert in x genau dann gegen f (x), wenn dort das Restglied gegen 0 konvergiert. 201 Potenzreihen Die Taylor-Reihe Beispiel 160 Seien f (x) = ex und x0 = 0. Dann ist f (k) (x) = ex , f (k) (0) = 1 und folglich esn · x n+1 f (n+1) (sn ) n+1 · (x − x0 ) = , (n + 1)! (n + 1)! x ∈R Wegen |sn | ≤ |x| konvergiert die rechte Seite gegen 0 für n → ∞. Wir erhalten: ex = ∞ X xk k=0 k! =1+x + 1 2 1 3 · x + · x + ··· , 2 6 x ∈ R. 202 Potenzreihen Die Taylor-Reihe Beispiele 161 Für alle x ∈ R gilt: 1 1 1 · x3 + · x5 − · x7 + · · · 3! 5! 7! 1 1 1 sinh x = x + · x 3 + · x 5 + · x 7 + · · · 3! 5! 7! 1 1 1 cos x = 1 − · x 2 + · x 4 − · x 6 + · · · 2! 4! 6! 1 1 1 cosh x = 1 + · x 2 + · x 4 + · x 6 + · · · 2! 4! 6! sin x = x − 203 Potenzreihen Die Taylor-Reihe Beispiel 162 Es sei f (x) = ln(1 + x), x ∈ (−1, ∞), und x0 = 0. Dann gilt: f (n) (x) = (−1)n−1 · (n − 1)! · 1 =⇒ f (n) (0) = (−1)n−1 · (n − 1)! n (1 + x) Also lautet die Taylor-Reihe: ∞ X (−1)n−1 n=1 n · xn Der Konvergenzradius ist 1. 204 Potenzreihen Die Taylor-Reihe Beispiel 163 Wir definieren die Funktion f : R −→ R durch ( 1 6 0, e− x 2 für x = f (x) = 0 für x = 0. Man kann zeigen, dass f beliebig oft differenzierbar ist und f (k) (0) = 0 für alle k gilt. Folglich ist die Taylor-Reihe dieser Funktion die Nullfunktion und stellt somit nicht f dar. 205 Fourier-Reihen Definitionen Problemstellung In einfachen Fällen läßt sich ein zeitlich periodischer Vorgang (z. B. Wechselspannung) durch eine sog. harmonische Schwingung y (t) = A · sin(ωt + ϕ) oder y (t) = A · cos(ωt + ϕ) beschreiben. Sinusschwingung oder Kosinusschwingung mit der Kreisfrequenz ω, der Amplitude |A| und der Schwingungsdauer T = 2π ω . /Bild/ Nicht sinusförmige aber periodische Vorgänge: I Kippschwingung (auch Sägezahnimpuls genannt) I Sinusimpuls (Sinushalbwellen) Frage: Läßt sich eine nichtsinusförmige Schwingung aus harmonischen Schwingungen zusammensetzen? 206 Fourier-Reihen Definitionen Definition 164 Man nennt eine Reihe der Form ∞ a0 X + [an · cos(nωx) + bn · sin(nωx)], f (x) = 2 x ∈R n=1 eine trigonometrische Reihe. Sind alle an gleich 0, so spricht man von einer Sinusreihe. Sind alle bn gleich 0, so spricht man von einer Kosinusreihe. Bemerkung 165 Die Menge aller x, für welche die obige Reihe konvergiert, läßt sich nicht so einfach beschreiben wie bei Potenzreihen. 207 Fourier-Reihen Definitionen Satz 166 P P∞ Wenn ∞ |a | < ∞ und n 1 1 |bn | < ∞, dann konvergiert die trigonometrische Reihe ∞ a0 X + [an · cos(nωx) + bn · sin(nωx)] f (x) = 2 n=1 für jedes x ∈ R. Die Funktion f ist stetig und periodisch mit der Periode 2π ω . Bemerkung 167 Die Bedingungen des Satzes sind nur hinreichend P∞ sin(nx)aber nicht notwendig. So konvergiert zum Beispiel die Reihe n=1 n für jedes x ∈ R obwohl P ∞ 1 1 n = ∞. 208 Fourier-Reihen Definitionen Definition 168 Sei T > 0, ω = 2π T und f über [0, T ] integrierbar. Dann heißen die Zahlen Z T 2 · f (x) · cos(nωx) dx, n ∈ N0 an = T 0 Z T 2 bn = · f (x) · sin(nωx) dx, n ∈ N T 0 die Fourier-Koeffizienten der Funktion f . Die mit diesen Zahlen gebildete Reihe ∞ a0 X s(x) = + [an · cos(nωx) + bn · sin(nωx)] 2 n=1 heißt die Fourier-Reihe von f . 209 Fourier-Reihen Definitionen Bemerkungen 169 1. Die Funktionen sin(nωx) und cos(nωx) sind periodisch mit Periode T = 2π/ω. RT R T /2 2. Wegen der Periodizität kann man 0 durch −T /2 ersetzen. 3. Ist f eine gerade Funktion, so ist 4 an = T T /2 Z f (x) cos(nωx) dx, bn = 0 für alle n ∈ N. 0 4. Ist f eine ungerade Funktion, so ist 4 bn = T Z T /2 f (x) sin(nωx) dx, an = 0 für alle n ∈ N0 . 0 210 Fourier-Reihen Konvergenz und Beispiele Definition 170 Eine Funktion f heißt stückweise glatt auf [a, b], wenn f 0 bis auf endlich viele Punkte in [a, b] existiert und f 0 stückweise stetig ist. Satz 171 Es sei T > 0 und f eine T -periodische Funktion auf R, die auf [0, T ] stückweise glatt ist. Dann konvergiert die zu f gehörende Fourier-Reihe s(x) für alle x ∈ R und es gilt 1 s(x) = (f (x + 0) + f (x − 0)). 2 Ist x eine Stetigkeitsstelle von f , so ist s(x) = f (x). 211 Fourier-Reihen Konvergenz und Beispiele Beispiel 172 Wir entwickeln die 2π-periodische Rechteckskurve f mit f (x) = 1 wenn 0 ≤ x ≤ π, und f (x) = −1 wenn π < x < 2π, in eine Fourier-Reihe ∞ X f (x) = bn · sin(nx). n=1 Die Funktion f ist ungerade, deshalb sind an = 0. Z 2π 1 f (x) · sin nx dx bn = · π 0 Z π Z 2π 1 1 1 · sin nx dx + · (−1) · sin nx dx = · π 0 π π π 2π 1 1 1 1 2 = − · cos(nx) − − · cos(nx) = (1 − cos(nπ)) π n π n nπ 0 π 212 Fourier-Reihen Konvergenz und Beispiele Beispiel 172 (Fortsetzung) Folglich gilt für k = 1, 2, . . . : bn = 0, falls n = 2k gerade und 1 , falls n = 2k − 1 ungerade. bn = b2k−1 = π4 · 2k−1 Wir erhalten: ∞ 4 X sin(2k − 1)x 4 1 1 f (x) = · = · sin x + · sin 3x + · sin 5x + · · · π 2k − 1 π 3 5 k=1 wenn x keine Sprungstelle ist: x 6= kπ. Gibbsches Phänomen: Die Teilsummen überschwingen“ in einer immer ” kleiner werdenden Umgebung der Sprungstellen. Dieses Überschwingen wird mit wachsendem n nicht kleiner, beträgt ca. 9% der Sprunghöhe. /Bild/ 213 Fourier-Reihen Konvergenz und Beispiele Beispiel 173 (Sägezahn-Funktion) A f (t) = 2π t − A2 für 0 < t < 2π, f (0) = 0, Periode 2π f ist ungerade =⇒ an = 0. Mit Hilfe von partieller Integration erhalten wir: Z 1 2π A A A bn = t− sin nt dt = − π 0 2π 2 nπ Die Fourier-Reihe lautet daher : ∞ A X1 A 1 1 f (x) = − · · sin(nt) = − · sin t + sin 2t + sin 3t + . . . . π n π 2 3 k=1 214 Differentialgleichungen Definition, Beispiele Bei der mathematischen Beschreibung physikalischer Probleme ergeben sich oft Gleichungen, in denen Funktionen mit ihren Ableitungen verknüpft sind. Beispiel 174 (Beschreibung einer Bewegung) Eine Kugel der Masse m hänge an einer Feder mit der Federkonstanten k. Zur Zeit t = 0 werde die Feder um x0 gedehnt und dann losgelassen. Wir wählen ein Koordinatensystem: Der Nullpunkt ist der Mittelpunkt der Kugel in der Ruhelage, die nach unten zeigende Richtung ist positiv. x(t) : Lage des Mittelpunktes zur Zeit t. /Skizze/ 215 Differentialgleichungen Definition, Beispiele Fortsetzung von Beispiel 174 Nach dem Grundgesetz der Mechanik: Masse · Beschleunigung = Summe aller Kräfte Wir vernachlässigen die Reibung: nur Federkraft = −kx(t), k > 0. Folglich gilt: m · x 00 (t) = −k · x(t). Durch die Wahl vom Nullpunkt erscheint die Schwerkraft nicht explizit. 216 Differentialgleichungen Definition, Beispiele Definition 175 Eine Gleichung zur Bestimmung einer Funktion heißt Differentialgleichung, wenn sie mindestens eine Ableitung der gesuchten Funktion enthält. Die Ordnung der in der Differentialgleichung vorkommenden höchsten Ableitung der gesuchten Funktion heißt Ordnung der Differentialgleichung. Hängt die gesuchte Funktion nur von einer Veränderlichen ab, so nennt man die Differentialgleichung gewöhnlich. Enthält die Differentialgleichung partielle Ableitungen, so heißt sie partiell. 217 Differentialgleichungen Definition, Beispiele Beispiele 176 1. Die Gleichung im vorigen Beispiel ist eine gewöhnliche Differentialgleichung der Ordnung 2 für die Funktion x. 2. y 000 (x) + 2y 0 (x) + 3y (x) = sin x ist eine gewöhnliche Differentialgleichung der Ordnung 3 für die Funktion y . 3. ∂u(x,y ) ∂x ) = ∂u(x,y ist eine partielle Differentialgleichung der Ordnung 1 ∂y für die Funktion u. 218 Gewöhnliche Differentialgleichungen Grundbegriffe Definition 177 Eine gewöhnliche Differentialgleichung der Ordnung n hat die implizite Form F (x, y , y 0 , . . . , y (n) ) = 0 oder, falls die Auflösung nach der höchsten Ableitung möglich ist, die explizite Form y (n) = f (x, y , y 0 , . . . , y (n−1) ). Hierbei ist y die gesuchte Funktion und x ist die Variable. Die Menge aller Lösungen einer Differentialgleichung heißt deren allgemeine Lösung oder allgemeines Integral. 219 Gewöhnliche Differentialgleichungen Grundbegriffe Beispiel 178 Die allgemeine Lösung der Differentialgleichung x 00 (t) = −x(t) ist x(t) = c1 cos t + c2 sin t, c1 , c2 ∈ R. (Beweis folgt später) Bemerkung 179 Die allgemeine Lösung enthält Konstanten: Integrationskonstanten. Für eine spezielle Wahl aller Konstanten in der allgemeinen Lösung erhalten wir eine spezielle, oder partikuläre Lösung. 220 Gewöhnliche Differentialgleichungen Grundbegriffe Definition 180 (Anfangswertproblem) Gegeben sei eine Differentialgleichung y (n) = f (x, y , y 0 , . . . , y (n−1) ), sowie x0 , y1 , . . . , yn−1 ∈ R. Unter einem Anfangswertproblem versteht man die Aufgabe, eine Funktion y zu finden, die der Differentialgleichung genügt und die Bedingungen y (x0 ) = y0 , y 0 (x0 ) = y1 , y 00 (x0 ) = y2 , . . . , y (n−1) (x0 ) = yn−1 (∗) erfüllt. Dabei heißen y0 , y1 . . . , yn−1 Anfangswerte, x0 Anfangspunkt und (∗) Anfangsbedingungen. 221 Gewöhnliche Differentialgleichungen Grundbegriffe Beispiel 181 Gesucht ist die Lösung des Anfangswertproblems x 00 (t) = −x(t), x(0) = x0 , x 0 (0) = 0 zum Anfangswert x0 , x1 = 0 am Anfangspunkt t = 0. Die allgemeine Lösung der Differentialgleichung ist x(t) = c1 cos t + c2 sin t. Für t = 0 erhalten wir x0 = x(0) = c1 cos 0 + c2 sin 0 = c1 0 = x 0 (0) = −c1 sin 0 + c2 cos 0 = c2 Damit ist die Lösung des Anfangswertproblems: x(t) = x0 cos t. 222 Differentialgleichungen erster Ordnung Spezielle Lösungsmethoden Definition 182 Eine Differentialgleichung der Form y 0 = g (x) · h(y ) heißt separabel. Lösungsmethode: Trennung der Veränderlichen 1. 2. 3. dy dx = g (x) · h(y ) dy h(y ) = g (x) dx R dy H(y ) = h(y ) = R g (x) dx = G (x) 4. Nun die Gleichung H(y ) = G (x) nach y auflösen 5. Nullstellen c von h liefern konstante Lösungen y = c. 223 Differentialgleichungen erster Ordnung Spezielle Lösungsmethoden Beispiel 183 Man bestimme alle Lösungen von y 0 = y cos x. 1. 2. 3. dy dx = y cos x 1 y dy = cos x dx R 1 R dy = cos x y dx 4. ln |y | = sin x + c, c ∈R =⇒ |y | = esin x ec = c1 esin x , c1 = ec > 0 Da y stetig und esin x 6= 0, =⇒ y = c1 esin x oder y = −c1 esin x für alle x; 5. h(y ) = y hat Nullstelle c = 0 =⇒ y = 0 ist auch Lösung Allgemeine Lösung: y = C esin x , C ∈ R. 224 Differentialgleichungen erster Ordnung Spezielle Lösungsmethoden Substitution eines linearen Terms Die Differentialgleichung y 0 = f (ax + by + c), a, b, c ∈ R kann durch die Substitution z = ax + by + c in eine separable Differentialgleichung überführt werden: z 0 = a + by 0 = a + bf (z); z 0 = a + bf (z) ist separabel. Beispiel 184 (y 0 = (x + y )2 ) Mit der Substitution z = x + y erhalten wir 1 z 0 = 1 + y 0 = 1 + z 2 =⇒ 1+z 2 dz = dx =⇒ arctan z = x + c π π mit − 2 < x + c < 2 , also z = tan (x + c). Rücksubstitution: x + y = tan (x + c) =⇒ y = −x + tan (x + c) für x ∈ (− π2 − c, π2 − c). 225 Differentialgleichungen erster Ordnung Spezielle Lösungsmethoden Definition 185 (Gleichgradige Differentialgleichung) Eine Differentialgleichung der Form 0 y =f y x heißt gleichgradige Differentialgleichung oder Ähnlichkeitsdifferentialgleichung. Lösungsmethode für gleichgradige Differentialgleichungen Substitution: z = y x =⇒ y = xz =⇒ y 0 = xz 0 + z = f (z) =⇒ z 0 = 1 (f (z) − z). x Diese Differentialgleichung für die Funktion z ist separabel. 226 Differentialgleichungen erster Ordnung Spezielle Lösungsmethoden Beispiel 186 Man löse die Differentialgleichung (x 2 + y 2 )y 0 = xy . y x 0 y = 1+ y 2 x . Mit z = y /x, y 0 = xz 0 + z ergibt sich (x, y 6= 0) 1 1 z 1 −z 3 1 1 0 0 z = − z =⇒ z = · =⇒ + dz = − dx x 1 + z2 x 1 + z2 z3 z x Integration ergibt − 1 + ln |z| = − ln |x| + c. 2z 2 227 Differentialgleichungen erster Ordnung Spezielle Lösungsmethoden Beispiel 186 (Fortsetzung) Setzt man in − 1 + ln |z| = − ln |x| + c 2z 2 wieder z = y /x, so folgt y x2 x2 − 2 +ln = − ln |x|+c =⇒ − 2 +ln |y | = c =⇒ x 2 = 2y 2 (ln |y |−c). 2y x 2y Die Lösung erscheint in impliziter Form x 2 = 2y 2 (ln |y | − c). Bisher wurde y = 0 ausgeschlossen. Diese Funktion ist aber Lösung, sie wird noch hinzugenommen. (Plot c = 3). 228 Differentialgleichungen erster Ordnung Definition und Eigenschaften Definition 187 Die Differentialgleichung y 0 + f (x)y = g (x) heißt lineare Differentialgleichung erster Ordnung. Mann nennt sie homogen, wenn g = 0 ist, sonst inhomogen. Die Funktion g heißt Störglied. Bemerkung: Die homogene Gleichung ist separabel. 229 Differentialgleichungen erster Ordnung Definition und Eigenschaften Satz 188 Es sei Yh die Menge aller Lösungen der homogenen Differentialgleichung y 0 + f (x)y = 0 und yp eine spezielle Lösung der inhomogenen Differentialgleichung y 0 + f (x)y = g (x). Dann ist Y = {y : y = yh + yp , yh ∈ Yh } die allgemeine Lösung der inhomogenen Differentialgleichung. 230 Differentialgleichungen erster Ordnung Definition und Eigenschaften Beispiel 189 (Lösungsmethode) Erläuterung an dem Beispiel: y 0 + 2xy = x. 1. Lösung der homogenen Gleichung y 0 + 2xy = 0. 1 dy + 2xy = 0 =⇒ dy = −2x dx =⇒ ln |y | = −x 2 + c dx y 2 2 =⇒ |y | = k1 e−x =⇒ y = ke−x , k ∈ R. 2. Bestimmung einer speziellen Lösung der inhomogenen Gleichung. Methode: Variation der Konstanten: Wir ersetzen in der allgemeinen Lösung der homogenen Gleichung die Kostante k durch k(x): 2 2 2 yp = k(x)e−x =⇒ yp0 = k 0 (x)e−x − 2xk(x)e−x . 231 Differentialgleichungen erster Ordnung Definition und Eigenschaften Beispiel 189 (Fortsetzung) 2. Einsetzen: 2 2 x = yp0 (x) + 2xyp (x) = k 0 (x)e−x − 2xk(x)e−x + 2xk(x)e−x x = k 0 (x)e−x =⇒ =⇒ x2 xe 2 2 = k 0 (x) =⇒ k(x) = Z 2 ex xe dx = + c. 2 x2 2 2 Für c = 0 (nur eine Lösung gesucht) erhalten wir yp (x) = 12 ex e−x = 1 2 3. allgemeine Lösung 1 2 y (x) = ke−x + , 2 k ∈ R. 232 Differentialgleichungen erster Ordnung Definition und Eigenschaften Die obige Lösungsmethode läßt sich auch allgemein durchführen: Satz 190 Die allgemeine Lösung der Differentialgleichung y 0 + f (x)y = g (x) ist Z R R y = e− f (x) dx k + g (x)e f (x) dx dx , k ∈ R. 233 Differentialgleichungen erster Ordnung Geometrische Deutung Richtungselemente Wir betrachten die Differentialgleichung y 0 = f (x, y ). Voraussetzung: Das zu y (x0 ) = y0 gehörige Anfangswertproblem besitzt eine eindeutige Lösung, d. h., durch P = (x0 , y0 ) geht genau eine Lösungskurve. In P ist ein Funktionswert f (x0 , y0 ) gegeben. Wegen y 0 = f (x0 , y0 ) ist dieser Wert gleich dem Anstieg der durch (x0 , y0 ) gehenden Lösungskurve an dieser Stelle. Eine Annäherung der Lösungskurve in einer Umgebung von P ist durch ein kleines Tangentenstück, ein Richtungselement, möglich. 234 Differentialgleichungen erster Ordnung Geometrische Deutung Richtungselemente: Fortsetzung I Wir wählen eine Länge des Richtungselementes mit dem Mittelpunkt (x0 , y0 ). I Sei (x1 , y1 ) der rechte Endpunkt; y1 ist dann eine Näherung für die gesuchte Lösung and der Stelle x1 . I Wir konstruieren ein weiteres Richtungselement mit dem Mittelpunkt (x1 , y1 ); usw. (wir können auch nach links fortsetzen). /Bild/ Definition 191 Gegeben sei die Differentialgleichung y 0 = f (x, y ). Jede durch die Gleichung f (x, y ) = c bestimmte Kurve heißt Isokline der Differentialgleichung zum Wert c. 235 Differentialgleichungen erster Ordnung Geometrische Deutung Isoklinenverfahren Mit Hilfe der Isoklinen wollen wir Näherungslösungen der Differentialgleichung skizzieren. 1. Wir zeichnen einige Isoklinen und 2. tragen auf ihnen einige Richtungselemente ein (wir brauchen auf jeder Isokline nur eines zu konstruieren, dann Paralellverschiebung). 3. Die Näherungen für die Lösungskurven sind dann so zu zeichnen, dass sie in den Schnittpunkten mit den Isoklinen parallel zu den zugehörigen Richtungselementen verlaufen. Beispiel 192 y 0 = x 2 + y 2. Isoklinen: konzentrische Kreise um den Nullpunkt mit dem Radius √ r = c, c > 0. /Bild/ 236 Differentialgleichungen erster Ordnung Exakte Differentialgleichungen Schreibweise Mit P(x, y )dx + Q(x, y )dy = 0 meint man die Aufgabe, bei bekannten Funktionen P und Q, entweder Funktionen y (in Abhängigkeit von x) zu bestimmen, die der Differentialgleichung P(x, y ) + Q(x, y )y 0 (x) = 0 genügen (Division durch dx), oder die Aufgabe, Funktionen x (in Abhängigkeit von y ) zu ermitteln, die der Differentialgleichung P(x, y )x 0 (y ) + Q(x, y ) = 0 genügen (Division durch dy ). 237 Differentialgleichungen erster Ordnung Exakte Differentialgleichungen Definition 193 Die Differentialgleichung P(x, y )dx + Q(x, y )dy = 0 heißt exakt, falls eine Funktion U(x, y ) existiert mit ∂U(x, y ) = P(x, y ) ∂x und ∂U(x, y ) = Q(x, y ). ∂y Bemerkung 194 Die Differentialgleichung ist genau dann exakt, wenn der Ausdruck P(x, y )dx + Q(x, y )dy ein vollständiges Differential ist. Das ist äquivalent zu ∂P(x, y ) ∂Q(x, y ) = . ∂y ∂x 238 Differentialgleichungen erster Ordnung Exakte Differentialgleichungen Beispiel 195 Die Differentialgleichung e−y + 1 − xe−y y 0 = 0 e −y dx + (1 − xe −y )dy = 0 ist exakt: ∂e −y = −e −y ∂y und ∂ (1 − xe −y ) = −e −y . ∂x 239 Differentialgleichungen erster Ordnung Exakte Differentialgleichungen Satz 196 Ist die Differentialgleichung P(x, y )dx + Q(x, y )dy = 0 exakt, so werden die Lösungen y = y (x) bzw. x = x(y ) durch U(x, y ) = c, implizit dargestellt. 240 Differentialgleichungen erster Ordnung Exakte Differentialgleichungen Beispiel 197 Die Differentialgleichung e −y dx + (1 − xe −y )dy = 0 ist exakt, deshalb existiert eine Funktion U(x, y ) mit ∂U = e −y ∂x und ∂U = 1 − xe −y . ∂y 241 Differentialgleichungen erster Ordnung Exakte Differentialgleichungen Fortsetzung von Beispiel 197, Lösungsweg Die erste Gleichung nach x integrieren (y hierbei als Konstante behandeln): U(x, y ) = xe −y + C (y ). Zur Bestimmung von C (y ) in die zweite Gleichung einsetzen: −xe −y + C 0 (y ) = 1 − xe −y =⇒ C 0 (y ) = 1 =⇒ C (y ) = y (Verzicht auf Integrationskonstante, da nur ein U benötigt wird)=⇒ U(x, y ) = xe −y + y . Implizite Angabe der Lösungen: U(x, y ) = xe −y + y = c. Auflösung nach x: x = x(y ) = e y (c − y ). 242 Differentialgleichungen erster Ordnung Integrierender Faktor Ansatz Ist die Differentialgleichung P(x, y )dx + Q(x, y )dy = 0 nicht exakt, so versucht man, mit einem integrierenden Faktor (oder Multiplikator) v = v (x, y ) eine äquivalente Differentialgleichung (d. h., mit den selben Lösungen) zu erhalten, die exakt ist. Ansatz: v (x, y )P(x, y ) dx + v (x, y )Q(x, y ) dy = 0. {z } {z } | | P̂(x,y ) Q̂(x,y ) Dabei ist v (x, y ) 6= 0 so zu bestimmen, dass P̂y = Q̂x gilt. Das führt auf eine lineare partielle Differentialgleichung erster Ordnung. 243 Differentialgleichungen erster Ordnung Integrierender Faktor Bemerkung 198 Mitunter existieren Multiplikatoren, die nur von x oder von y allein abhängen. P −Q 1. Nehmen wir an, dass y Q x = h(x), also die linke Seite unabhängig von y ist. Dann existiert ein Multiplikator v = v (x), der aus der homogenen linearen Differentialgleichung v 0 (x) − h(x)v (x) = 0 bestimmt werden kann. P −Q 2. Ist y P x = h(y ), also die linke Seite unabhängig von x, so existiert ein Multiplikator v = v (y ), der aus der Gleichung v 0 (y ) + h(y )v (y ) = 0 bestimmt wird. 244 Differentialgleichungen erster Ordnung Integrierender Faktor Beispiel 199 Für die Gleichung y (2y − 3x)dx + x(2y − x)dy = 0 ist Py − Qx (4y − 3x) − (2y − 2x) 1 = = Q x(2y − x) x also bestimmt sich ein von y unabhängiger Multiplikator v = v (x) aus 1 v 0 (x) − v (x) = 0. x =⇒ dv v = dx x =⇒ ln |v | = ln |x| + c. Somit ist v = x ein Multiplikator, also xy (2y − 3x)dx + x 2 (2y − x)dy = 0 eine exakte Differentialgleichung. 245 Differentialgleichungen erster Ordnung Integrierender Faktor Beispiel 199 (Fortsetzung) Bestimmung von U: Z Ux = xy (2y − 3x) =⇒ U(x, y ) = xy (2y − 3x) dx = x 2 y 2 − x 3 y + c(y ) Uy = 2x 2 y − x 3 + c 0 (y ) = 2x 2 y − x 3 =⇒ c 0 (y ) = 0 =⇒ c(y ) = k. k := 0 (da nur ein U benötigt): U = x 2y 2 − x 3y . Die allgemeine Lösung ist daher aus U(x, y ) = x 2 y 2 − x 3 y = c, c ∈R zu bestimmen. /Plot c = 2/ 246 Physikalische Anwendungen Radioaktiver Zerfall und freier Fall Beispiel 200 (Radioaktiver Zerfall) Beim radioaktiven Zerfall ist die Geschwindigkeit des Zerfalls proportional zu der vorhandenen Menge des radioaktiven Stoffes. n(t) := die Menge zur Zeit t, n0 (t) = −λn(t), λ > 0. Das negative Vorzeichen ist zu nehmen, da die Menge des Stoffes abnimmt, n0 (t) ist also negativ. Lösung der Differentialgleichung: n(t) = ke −λt , Für t = 0 : n(0) = k =⇒ n(t) = n(0)e −λt . k ∈ R. 247 Physikalische Anwendungen Radioaktiver Zerfall und freier Fall Beispiel 201 (Freier Fall aus großer Höhe, ohne Reibung) I K : Körper I m : Masse von K I s(t) : Entfernung von K vom Erdmittelpunkt zur Zeit t I v (t) : Fallgeschwindigkeit von K zur Zeit t I R : Erdradius (≈ 6370 km) I g : Erdbeschleunigung (≈ 9,81 sm2 ) 2 Gravitationskraft: F = −gm Rs 2 (das Minuszeichen ist zu nehmen, da die Gravitationskraft zum Erdmittelpunkt hin weist). 248 Physikalische Anwendungen Radioaktiver Zerfall und freier Fall Beispiel 201 (Fortsetzung) Nach einem Grundgesetz der Mechanik ist F = m dv dt =⇒ dv R2 m = −gm 2 . dt s Nach der Kettenregel ist dv dt = dv ds · ds dt = dv ds · v und wir erhalten dv R2 v· = −g · 2 ds s wobei wir v in Abhängigkeit von s betrachten. Diese Differentialgleichung und besitzt die Lösung 2gR 2 v = + 2k, s 2 k ∈ R. (2) 249 Physikalische Anwendungen Radioaktiver Zerfall und freier Fall Beispiel 201 (Fortsetzung) Ein Körper falle aus einer Höhe von 10 km auf die Erde. Man berechne die Geschwindigkeit, mit der er an der Erdoberfläche ankommt. Die Reibung ist zu vernachlässigen. v0 = v (6370 + 10) = 0 =⇒ /s = 6380 in (2)/ 2gR 2 2k = − . 6380 Aus (2) folgt mit s = R = 6370: 6370 v 2 = 2 · 9,81 · 1000 · 6370 · 1 − 6380 =⇒ v = 1593 km . h 250 Physikalische Anwendungen Radioaktiver Zerfall und freier Fall Beispiel 201 (Fortsetzung) Fordern wir lims→∞ v (s) = 0, so ist k = 0 und v 2 = √ Für s = R ist dann v = 2gR = 11,8 km s . 2gR 2 s . Mit dieser Geschwindigkeit würde ein Körper beliebiger Masse aus dem Unendlichen kommend auf der Erdoberfläche auftreffen. Umgekehrt müßte ein Körper beliebiger Masse diese Geschwindigkeit (senkrecht zur Oberfläche) mindestens haben, wenn er den Anziehungsbereich der Erde verlassen soll (Fluchtgeschwindigkeit). 251 Physikalische Anwendungen Newtonsches Abkühlungsgesetz und Bewegung mit Reibung Beispiel 202 (Newtonsches Abkühlungsgesetz) Die Abkühlungsgeschwindigkeit eines Körpers in bewegter Luft ist proportional zu der Temperaturdifferenz zwischen der Temperatur des Körpers und der Temperatur der Luft. I T (t) : Temperatur des Körpers zur Zeit t I TL : Temperatur der Luft. T 0 (t) = −α(T (t) − TL ), α > 0. Diese Differentialgleichung ist separabel, ihre Lösung ist: T (t) = TL + ke−αt , k ∈ R. 252 Physikalische Anwendungen Newtonsches Abkühlungsgesetz und Bewegung mit Reibung Beispiel 202 (Fortsetzung) Ein Körper kühle sich in 10 Minuten von 300◦ C auf 200◦ C ab, wobei die Temperatur der Luft 30◦ C ist. Wann hat sich dieser Körper auf 100◦ C abgekühlt? Aus T (t) = 30 + ke−αt ergibt sich 300 = T ( 0) = 30 + ke−α·0 =⇒ k = 270 200 = T (10) = 30 + 270 · e−α·10 =⇒ α ≈ 0,0463. Daher folgt T (t) ≈ 30 + 270e−0,0463t . Mit T (t) = 100 folgt 100 = 30 + 270e−0,0463t und t ≈ 29,16. Der Körper hat sich nach 29,16 Minuten von 300◦ C auf 100◦ C abgekühlt. 253 Physikalische Anwendungen Newtonsches Abkühlungsgesetz und Bewegung mit Reibung Beispiel 203 (Bewegung mit Reibung) An einem Massenpunkt der Masse m greife die äußere Kraft F an, der Bewegung wirke die zur Geschwindigkeit proportionale Reibungskraft Fr = −rv (t), r >0 entgegen. r : Reibungskoeffizient, v (t) : Geschwindigkeit. Nach einem Grundgesetz der Mechanik ist dann: m· dv m dv F = F − rv =⇒ v + = . dt r dt r Das ist eine lineare Differentialgleichung erster Ordnung, ihre allgemeine Lösung ist: 254 Physikalische Anwendungen Newtonsches Abkühlungsgesetz und Bewegung mit Reibung Beispiel 203 (Fortsetzung) r v (t) = ke− m t + F , r k ∈ R. Ist v (0) = 0, so folgt k = − Fr =⇒ v (t) = r F (1 − e− m t ). r =⇒ limt→∞ v (t) = Fr =⇒ Bei Reibung kann die Geschwindigkeit nicht beliebig groß werden, sie kann den Grenzwert Fr nicht überschreiten. /Bild/ 255 Differentialgleichungen zweiter Ordnung Lineare Differentialgleichungen zweiter Ordnung mit konstanten Koeffizienten Definition 204 Eine Differentialgleichung der Form y 00 + a1 y 0 + a0 y = f (x), a0 , a1 ∈ R bezeichnet man als lineare Differentialgleichung zweiter Ordnung mit konstanten Koeffizienten. Ist f = 0, so heißt die Differentialgleichung homogen, sonst inhomogen. Die Funktion f heißt Störfunktion oder Störglied. Die Lösungen dieser Gleichung lassen sich ähnlich wie die Lösungen der linearen Differentialgleichung erster Ordnung finden. 256 Differentialgleichungen zweiter Ordnung Lineare Differentialgleichungen zweiter Ordnung mit konstanten Koeffizienten Satz 205 Ist Yh die Menge aller Lösungen der homogenen Differentialgleichung y 00 + a1 y 0 + a0 y = 0 und yp eine spezielle Lösung der inhomogenen Gleichung y 00 + a1 y 0 + a0 y = f (x) so ist Y = {y : y = yh + yp mit yh ∈ Yh } die allgemeine Lösung der inhomogenen Gleichung. Lösungsweg Man bestimmt: 1. alle Lösungen der zugehörigen homogenen Differentialgleichung, 2. eine Lösung der inhomogenen Differentialgleichung. 257 Differentialgleichungen zweiter Ordnung Die homogene Differentialgleichung Definition 206 Das Polynom p(λ) = λ2 + a1 λ + a0 heißt charakteristisches Polynom der Differentialgleichung y 00 + a1 y 0 + a0 y = 0 die Gleichung p(λ) = 0 ihre charakteristische Gleichung. 2 Bezeichnet w eine Quadratwurzel aus a21 − a0 , so sind λ1/2 = − a1 ±w 2 die (einzigen) Lösungen der charakteristischen Gleichung p(λ) = 0. 258 Differentialgleichungen zweiter Ordnung Die homogene Differentialgleichung Satz 207 Es seien λ1 , λ2 die Lösungen der charakteristischen Gleichung der Differentialgleichung y 00 + a1 y 0 + a0 y = 0. Dann ist die allgemeine Lösung dieser Differentialgleichung 1. y (x) = A1 eλ1 x + A2 eλ2 x falls λ1 , λ2 ∈ R und λ1 6= λ2 ; 2. y (x) = eλ1 x (A1 + A2 x), falls λ1 = λ2 ∈ R; 3. y (x) = eαx (A1 cos βx + A2 sin βx) falls λ1,2 = α ± iβ mit β 6= 0; wobei A1 , A2 ∈ R beliebige Konstanten sind. Beispiel 208 (y 00 + 4y 0 − 5y = 0) Die charakteristische Gleichung λ2 + 4λ − 5 = 0 hat die Lösungen λ1 = 1, λ2 = −5. Die allgemeine Lösung lautet yH (x) = A1 ex + A2 e−5x . 259 Differentialgleichungen zweiter Ordnung Die homogene Differentialgleichung Beispiel 209 (y 00 + 4y 0 + 4y = 0) Die charakteristische Gleichung hat die Lösungen λ1 = λ2 = −2. Damit ist yH (x) = A1 e−2x + A2 xe−2x . Beispiel 210 (y 00 + 4y 0 + 13y = 0) Die Lösungen der charakteristischen Gleichung sind λ1 = −2 + 3i und λ2 = −2 − 3i. Daher ist yH (x) = e−2x (A1 cos 3x + A2 sin 3x). 260 Differentialgleichungen zweiter Ordnung Die inhomogene Differentialgleichung Mit der folgenden Methode ist es möglich, eine partikuläre Lösung zu bestimmen, wenn die rechte Seite eine spezielle Form hat. Satz 211 Gegeben sei die Differentialgleichung y 00 + a1 y 0 + a0 y = pn (x)ebx wobei pn ein Polynom vom Grade n ist. Für ein k = 0, 1, 2 ist b eine k-fache Nullstelle des charakteristischen Polynoms. Dann gibt es ein Polynom qn vom Grade n, so dass die Funktion yp (x) = x k · qn (x)ebx eine Lösung der Differentialgleichung ist. 261 Differentialgleichungen zweiter Ordnung Die inhomogene Differentialgleichung Bemerkung 212 Im Falle k = 1 spricht man von einfacher Resonanz, im Falle k = 2 von zweifacher Resonanz. Beispiel 213 Man bestimme eine partikuläre Lösung der Gleichung y 00 + y 0 − 2y = x 2 . Es gilt b = 0, p(λ) = λ2 + λ − 2, p(0) = −2 6= 0, p2 (x) = x 2 . Folglich ist k = 0 und der Ansatz lautet: yp (x) = q2 (x) = Ax 2 + Bx + C , yp0 (x) = 2Ax + B, yp00 (x) = 2A. Einsetzen: −2Ax 2 + (2A − 2B)x + (2A + B − 2C ) = x 2 . 262 Differentialgleichungen zweiter Ordnung Die inhomogene Differentialgleichung Beispiel 213 (Fortsetzung) Koeffizientenvergleich: −2A = 1, 2A − 2B = 0, 2A + B − 2C = 0. Wir erhalten: A = − 21 , B = − 12 , C = − 34 und folglich 3 x2 x yp (x) = − − − . 2 2 4 Beispiel 214 Für die Gleichung y 00 + y 0 = x 2 ist b = 0, p(λ) = λ2 + λ = λ · (λ + 1) =⇒ 0 ist eine einfache Nullstelle, d. h. einfache Resonanz =⇒ Ansatz: yp (x) = x(Ax 2 + Bx + C ) = Ax 3 + Bx 2 + Cx. Einsetzen: (6Ax + 2B) + (3Ax 2 + 2Bx + C ) = x 2 . 263 Differentialgleichungen zweiter Ordnung Die inhomogene Differentialgleichung Beispiel 214 (Fortsetzung) Koeffizientenvergleich: 3A = 1, 6A + 2B = 0, 2B + C = 0 =⇒ A = 13 , B = −1, C = 2 =⇒ x3 yp (x) = − x 2 + 2x. 3 Beispiel 215 y 00 + y 0 − 2y = xe3x Die char. Gleichung hat die Lösungen λ1 = 1, λ2 = −2; b = 3, keine Resonanz =⇒ Ansatz: yp (x) = (Ax + B)e3x , yp0 (x) = (3Ax + 3B + A)e3x , yp00 (x) = (9Ax + 9B + 6A)e3x . 264 Differentialgleichungen zweiter Ordnung Die inhomogene Differentialgleichung Beispiel 215 (Fortsetzung) Einsetzen: (10Ax + 7A + 10B)e3x = xe3x =⇒ 7 B = − 100 =⇒ x 7 yp (x) = e3x − . 10 100 10A = 1, 7A + 10B = 0 =⇒ A = 1 10 , Beispiel 216 y 00 + y 0 − 2y = xex Die char. Gleichung λ2 + λ − 2 = 0 hat die Lösungen λ1 = 1, λ2 = −2, b = 1 =⇒ einfache Resonanz=⇒ 2 x x x x Ansatz: yp (x) = x(Ax + B)e . Weiter wie in Bsp. 215: yp (x) = e 6 − 9 . 265 Differentialgleichungen zweiter Ordnung Die inhomogene Differentialgleichung Beispiel 217 y 00 − 2y 0 + y = xex Lösungen der char. Gleichung: λ1 = λ2 = 1; zweifache Resonanz =⇒ Ansatz: yp (x) = x 2 (Ax + B)ex . Weiter wie in Beispiel 215: x3 x yp (x) = ·e . 6 266 Differentialgleichungen zweiter Ordnung Die inhomogene Differentialgleichung Satz 218 Gegeben sei die Differentialgleichung y 00 + a1 y 0 + a0 y = (pn (x) · cos cx + qn (x) · sin cx) · ebx wobei pn und qn Polynome vom Grade ≤ n sind und c 6= 0. Dann gibt es Polynome rn , sn vom Grade ≤ n, so dass 1. falls b + ci nicht Nullstelle des char. Polynoms ist, die Funktion yp (x) = (rn (x) · cos cx + sn (x) · sin cx) · ebx 2. falls b + ci einfache Nullstelle des char. Polynoms ist, die Funktion yp (x) = x · (rn (x) · cos cx + sn (x) · sin cx) · ebx eine Lösung der Differentialgleichung ist. 267 Differentialgleichungen zweiter Ordnung Die inhomogene Differentialgleichung Bemerkung 219 Im Falle (2) spricht man von einfacher Resonanz, zweifache Resonanz kann hier nicht auftreten, da c 6= 0. 268 Differentialgleichungen zweiter Ordnung Das Superpositionsprinzip Satz 220 (Superpositionsprinzip) Ist y1 eine Lösung der Differentialgleichung y 00 + a1 y 0 + a0 y = f1 (x) und y2 eine Lösung der Differentialgleichung y 00 + a1 y 0 + a0 y = f2 (x) so ist yp = y1 + y2 Lösung der Differentialgleichung y 00 + a1 y 0 + a0 y = f1 (x) + f2 (x). 269 Differentialgleichungen zweiter Ordnung Das Superpositionsprinzip Beispiel 221 y 00 + 2y 0 − 3y = ex + x 2 + 4x − 5 1. Spezielle Lösung von y 00 + 2y 0 − 3y = ex : y1 (x) = x4 ex 2. Spezielle Lösung von y 0 + 2y 0 − 3y = x 2 + 4x − 5: 2 7 y2 (x) = − x3 − 16x 9 + 27 3. Spezielle Lösung der Differentialgleichung: 2 yp (x) = y1 (x) + y2 (x) = x4 ex − x3 − 16x 9 + 7 27 . 270 Differentialgleichungen zweiter Ordnung Die Energiemethode Die Differentialgleichung y 00 = f (y ): Energiemethode Jede Lösung dieser Gleichung erfüllt die Differentialgleichung Z 1 0 2 (y ) = f (y ) dy 2 die separabel und von erster Ordnung ist. 271 Differentialgleichungen zweiter Ordnung Die Energiemethode Beispiel 222 y 00 = 2y 3 , y (−2) = 1, y 0 (−2) = −1. 1 0 2 (y ) = 2 Z y4 f (y ) dy = + C. 2 Mit x = −2 erhalten wir /Anfangsbedingungen/: C = 0 =⇒ y 0 = ±y 2 . Wegen y 0 (−2) = −1 ist y 0 = −y 2 . Trennung der Veränderlichen: Z Z 1 1 y 0 = −y 2 =⇒ dy = − 1 dx =⇒ − = −x + C1 . y2 y Wegen y (−2) = 1 ist C1 = −3 =⇒ Lösung: y (x) = 1 . x +3 272 Lineare Differentialgleichungen n-ter Ordnung Definition Definition 223 Eine Differentialgleichung der Form y (n) + an−1 (x)y (n−1) + · · · + a1 (x)y 0 + a0 (x)y = f (x) (3) bezeichnet man als lineare Differentialgleichung n-ter Ordnung. Ist f = 0, so heißt die Differentialgleichung homogen, sonst inhomogen. Die Funktion f heißt Störfunktion oder Störglied. Sind die Funktionen a0 , a1 , . . . , an konstant, so spricht man von einer linearen Differentialgleichung n-ter Ordnung mit konstanten Koeffizienten. 273 Lineare Differentialgleichungen n-ter Ordnung Definition Satz 224 Ist Yh die Menge aller Lösungen der homogenen Differentialgleichung y (n) + an−1 (x)y (n−1) + · · · + a1 (x)y 0 + a0 (x)y = 0 und yp eine spezielle Lösung der inhomogenen Gleichung (3), so ist Y = {y : y = yh + yp mit yh ∈ Yh } die allgemeine Lösung der inhomogenen Gleichung. 274 Lineare Differentialgleichungen n-ter Ordnung Struktur der Lösung im homogenen Fall Definition 225 Funktionen y1 , . . . , yn , die auf einem Interval (a, b) definiert sind, heißen linear unabhängig, wenn aus c1 y1 (x) + · · · + cn yn (x) = 0, x ∈ (a, b) c1 = · · · = cn = 0 folgt. Die Prüfung, ob lineare Unabhängigkeit vorliegt, ist mit Hilfe dieser Definition im allgemeinen recht aufwendig. Sie wird erleichtert durch den folgenden Satz. 275 Lineare Differentialgleichungen n-ter Ordnung Struktur der Lösung im homogenen Fall Satz 226 Sind die Funktionen y1 , . . . , yn (n − 1)-mal differenzierbar und ist die sogenannte Wronskische Determinante y1 (x) y (x) . . . y (x) 2 n 0 0 0 y1 (x) y (x) . . . y (x) n 2 .. .. .. W (x) = . . . (n−1) (n−1) (n−1) y (x) y (x) . . . y (x) 1 2 n für ein x ∈ (a, b) ungleich Null, so sind die Funktionen y1 , . . . , yn linear unabhängig. Sind diese Funktionen Lösungen einer homogenen linearen Differentialgleichung n-ter Ordnung, so ist W entweder überall gleich Null oder überall ungleich Null. 276 Lineare Differentialgleichungen n-ter Ordnung Struktur der Lösung im homogenen Fall Beispiel 227 Die Funktionen f1 (x) = 1, f2 (x) = x, f3 (x) = x 2 , f4 (x) = x 3 sind linear unabhängig auf R. In der Tat 1 x x2 x3 0 1 2x 3x 2 = 12 6= 0. W = 0 0 2 6x 0 0 0 6 277 Lineare Differentialgleichungen n-ter Ordnung Struktur der Lösung im homogenen Fall Beispiel 228 Die Funktionen f1 (x) = 1, f2 (x) = x, f3 (x) = 2x + 3 sind linear abhängig, da 3f1 + 2f2 − f3 = 0. Die Wronskische Determinante W = ist: 1 x 2x + 3 0 1 2 0 0 0 = 0. 278 Lineare Differentialgleichungen n-ter Ordnung Struktur der Lösung im homogenen Fall Satz 229 Die allgemeine Lösung der homogenen linearen Differentialgleichung n-ter Ordnung kann in der Gestalt yh (x) = C1 y1 (x) + · · · + Cn yn (x) angegeben werden, wobei y1 , . . . , yn linear unabhängige Lösungen und C1 , . . . , Cn beliebige Konstanten sind. 279 Lineare Differentialgleichungen n-ter Ordnung Lineare homogene Differentialgleichnung mit konstanten Koeffizienten Definition 230 Eine Gleichung der Form y (n) + an−1 y (n−1) + · · · + a1 y 0 + a0 y = 0 heißt eine lineare homogene Differentialgleichnung mit konstanten Koeffizienten, die Gleichung P(λ) = λn + an−1 λn−1 + · · · + a1 λ + a0 = 0 ist ihre charakteristische Gleichung und P ihr charakteristisches Polynom. 280 Lineare Differentialgleichungen n-ter Ordnung Lineare homogene Differentialgleichnung mit konstanten Koeffizienten Die allgemeine Lösung. Eine r -fache reelle Nullstelle λ des charakteristischen Polynoms führt zu dem folgenden Beitrag in der allgemeinen Lösung: (C0 + C1 · x + C2 · x 2 + · · · + Cr −1 · x r −1 ) · eλx 281 Lineare Differentialgleichungen n-ter Ordnung Lineare homogene Differentialgleichnung mit konstanten Koeffizienten Die allgemeine Lösung. (Fortsetzung) Eine r -fache komplexe Nullstelle α ± iω, ω 6= 0, führt zu dem folgenden Beitrag in der allgemeinen Lösung: (P(x) · cos(ωx) + Q(x) · sin(ωx)) · eαx wobei P(x) = C0 + C1 · x + C2 · x 2 + · · · + Cr −1 · x r −1 und Q(x) = D0 + D1 · x + D2 · x 2 + · · · + Dr −1 · x r −1 . Um die allgemeine Lösung zu erhalten werden alle Beiträge addiert. 282 Lineare Differentialgleichungen n-ter Ordnung Lineare homogene Differentialgleichnung mit konstanten Koeffizienten Beispiel 231 1. y 000 − 4y 00 − y 0 + 4y = 0 Charakteristische Gleichung mit Lösungen: λ3 − 4λ2 − λ + 4 = 0 =⇒ λ1 = −1, λ2 = 1, λ3 = 4 Allgemeine Lösung: y (x) = Ae−x + Bex + C e4x 2. y (4) − 6y 000 + 12y 00 − 10y 0 + 3y = 0 Charakteristische Gleichung mit Lösungen: λ4 − 6λ3 + 12λ2 − 10λ + 3 = 0 =⇒ λ1,2,3 = 1, λ4 = 3 Allgemeine Lösung: y (x) = (C0 + C1 x + C2 x 2 )ex + Be3x 283 Lineare Differentialgleichungen n-ter Ordnung Lineare homogene Differentialgleichnung mit konstanten Koeffizienten Beispiele 231 (Fortsetzung) 3. y (4) + 3y 00 − 4y = 0 Charakteristische Gleichung mit Lösungen: λ4 + 3λ2 − 4 = 0 =⇒ λ1 = −1, λ2 = 1, λ3,4 = ±2i Allgemeine Lösung: y (x) = Ae−x + Bex + C cos(2x) + D sin(2x) Lineare inhomogene Differentialgleichnung mit konstanten Koeffizienten Allgemeine Form: y (n) + an−1 y (n−1) + · · · + a1 y 0 + a0 y = f (x) Lösungsansatz für eine partikuläre Lösung in Abhängigkeit von f , ähnlich wie in den Sätzen zu inhomogenen Differentialgleichungen aus dem Unterkapitel Differentialgleichungen zweiter Ordnung (vgl. Formelsammlungen). 284 Systeme linearer Differentialgleichungen Die allgemeine Lösung Beispiel 232 zwei gleiche Wiederstände R zwei gleiche Induktivitäten L Spannung u = u(t), bekannt /Bild/ Maschenregel: In jeder Masche ist die Summe der Spannungen gleich 0: L· L· oder di1 + R(i1 − i2 ) − u = 0 dt di2 − R(i1 − i2 ) + Ri2 = 0 dt di1 R R u = − i1 + i2 + dt L L L di2 R 2R = i1 − i2 dt L L 285 Systeme linearer Differentialgleichungen Die allgemeine Lösung Beispiel 232 (Fortsetzung) Beide Stromgrößen treten in jeder der beiden Gleichungen auf. Man spricht daher von miteinander gekoppelten Differentialgleichungen. Sind die Werte der beiden Ströme z. B. zur Zeit t = 0 vorgegeben (d. h. i1 (0) und i2 (0)), so handelt es sich um ein Anfangswertproblem. 286 Systeme linearer Differentialgleichungen Die allgemeine Lösung Definition 233 Ein (explizites) System von linearen Differenzialgleichungen erster Ordnung für die Funktionen y1 , . . . , yn hat die Form y10 (x) = a11 (x)y1 (x) + a12 (x)y2 (x) + · · · + a1n (x)yn (x) + f1 (x) y20 (x) = a21 (x)y1 (x) + a22 (x)y2 (x) + · · · + a2n (x)yn (x) + f2 (x) .. . yk0 (x) = ak1 (x)y1 (x) + ak2 (x)y2 (x) + · · · + akn (x)yn (x) + fk (x) Sind die Funktionen aij konstant, so spricht man von einem System mit konstanten Koeffizienten, sind die Funktionen fi alle gleich Null, so heißt das System homogen. 287 Systeme linearer Differentialgleichungen Die allgemeine Lösung Bemerkung 234 Im Weiteren werden wir immer k = n voraussetzen. Ein solches System läßt sich auch in Matrix-Vektor-Form schreiben als y 0 (x) = A(x)y (x) + f (x) wobei y (x) = (y1 (x), . . . , yn (x))T y 0 (x) = (y10 (x), . . . , yn0 (x))T f (x) = (f1 (x), . . . , fn (x))T 288 Systeme linearer Differentialgleichungen Die allgemeine Lösung Bemerkung 234 (Fortsetzung) und A= a11 (x) a12 (x) . . . a1n (x) a21 (x) a22 (x) . . . a2n (x) .. .. .. . . . an1 (x) an2 (x) . . . ann (x) 289 Systeme linearer Differentialgleichungen Die allgemeine Lösung Beispiel 235 Für das System aus Beispiel 232 sind: y (t) = (i1 (t), i2 (t))T y 0 (t) = (i10 (t), i20 (t))T f (t) = (u(t)/L, 0)T und R A= L −1 1 1 −2 290 Systeme linearer Differentialgleichungen Die allgemeine Lösung Satz 236 Die allgemeine Lösung des Systems y 0 (x) = A(x)y (x) + f (x) setzt sich zusammen aus der allgemeinen Lösung yh des homogenen Systems y 0 (x) = A(x)y (x) und einer beliebigen speziellen Lösung yp des inhomogenen Systems: y = yh + yp 291 Systeme linearer Differentialgleichungen Die allgemeine Lösung Bemerkung 237 Ist A(x) eine Diagonalmatrix, so hat das zu der Gleichung y 0 (x) = A(x)y (x) + f (x) gehörige Gleichungssystem die Form y10 (x) = a11 (x)y1 (x) + f1 (x) y20 (x) = a22 (x)y2 (x) + f2 (x) .. . yn0 (x) = ann (x)yn (x) + fn (x) Das ist ein sog. entkoppeltes System. In diesem Fall können die Gleichungen unabhängig voneinander gelöst werden. 292 Systeme linearer Differentialgleichungen Die allgemeine Lösung Einige Gleichungssysteme lassen sich entkoppeln“. ” Satz 238 Besitzt eine n × n-Matrix A n linear unabhängige Eigenvektoren r1 , . . . , rn , dann ist die Matrix T = [r1 , . . . , rn ] invertierbar und T −1 AT ist eine Diagonalmatrix mit den Eigenwerten von A in der Hauptdiagonalen. Bemerkung 239 Bereits bekannt: Die Eigenwerte von A sind die Lösungen der Gleichung det(A − λE ) = 0 Diese Gleichung heißt auch charakteristische Gleichung des Systems. Die zugehörigen Eigenvektoren bestimmt man aus der Gleichung (A − λE )r = 0. 293 Systeme linearer Differentialgleichungen Die allgemeine Lösung Beispiel 240 A= 2 1 4 −1 Eigenwerte: det(A − λE ) = (2 − λ)(−1 − λ) − 4 · 1 = 0 =⇒ λ1 = 3, λ2 = −2. Die zugehörigen Eigenvektoren sind r1 = (1, 1)T und r2 = (1, −4)T . 1 1 1 −4 −1 , T −1 = − T = 1 −4 1 5 −1 und T −1 AT = 3 0 0 −2 294 Systeme linearer Differentialgleichungen Lösungsverfahren durch Diagonalisierung Satz 241 Gegeben sei das homogene System von linearen Differentialgleichungen mit konstanten Koeffizienten y 0 (x) = Ay (x). Nehmen wir an, dass die Matrix A n linear unabhängige Eigenvektoren r1 , . . . , rn ∈ Rn mit den zugehörigen Eigenwerten λ1 , . . . , λn ∈ R besitzt und sei T = [r1 , . . . , rn ] und u = T −1 y , wobei y eine Lösung des Systems ist. Dann erfüllt u die (entkoppelte) Gleichung u 0 = T −1 ATu = diag (λ1 , . . . , λn )u welches uh =C1 · eλ1 x · (1, 0, . . . , 0)T + C2 · eλ2 x · (0, 1, . . . , 0)T + · · · + Cn · eλn x · (0, 0, . . . , 1)T als allgemeine Lösung besitzt. 295 Systeme linearer Differentialgleichungen Lösungsverfahren durch Diagonalisierung Satz 241 (Fortsetzung) Die allgemeine Lösung des ursprünglichen Systems lautet: yh = Tuh = C1 · eλ1 x · r1 + C2 · eλ2 x · r2 + · · · + Cn · eλn x · rn Beweis. y 0 = Ay u = T −1 y =⇒ y = Tu und y 0 = Tu 0 =⇒ Tu 0 = ATu | von links mit T −1 multiplizieren −1 u0 = T | {zAT} u diagonal 296 Systeme linearer Differentialgleichungen Lösungsverfahren durch Diagonalisierung Beispiel 242 Zu Lösen: y10 = −y1 + y2 y20 = y1 − y2 d. h. y 0 = Ay = −1 1 1 −1 ·y Eigenwerte und Eigenvektoren: λ1 = −2, λ2 = 0, r1 = (1, −1)T , r2 = (1, 1)T (unabhängig) =⇒ 297 Systeme linearer Differentialgleichungen Lösungsverfahren durch Diagonalisierung Beispiele 242 (Fortsetzung) Lösung des entkoppeltes Systems: uh = C1 · (1, 0)T · e−2x + C2 · (0, 1)T = (C1 e−2x , C2 )T , C1 , C2 ∈ R Lösung des ursprünglichen Systems: 1 1 C1 · e−2x C1 · e−2x + C2 yh = Tuh = [r1 , r2 ] · uh = · = −1 1 C2 −C1 · e−2x + C2 298 Systeme linearer Differentialgleichungen Lösungsverfahren mit Exponentialansatz Satz 243 Gegeben sei das homogene System von linearen Differentialgleichungen mit konstanten Koeffizienten y 0 (x) = Ay (x). Dann gilt: Die allgemeine Lösung yh ergibt sich als Linearkombination der Exponentialansätze c1,0 + c1,1 x + · · · + c1,kj −1 x kj −1 c2,0 + c2,1 x + · · · + c2,k −1 x kj −1 j λj x ·e .. . cn,0 + cn,1 x + · · · + cn,kj −1 x kj −1 wobei λj die Eigenwerte von A mit der Vielfachheit kj bedeuten. 299 Systeme linearer Differentialgleichungen Lösungsverfahren mit Exponentialansatz Bemerkungen 244 1. Die Konstanten in dem Ansatz werden durch Einsetzen in die Gleichung y 0 (x) = Ay (x) bestimmt. 2. Falls Eigenwerte komplex sind, so erhält man auch komplexe Lösungsfunktionen yj . Durch Aufspaltung in Real- und Imaginärteil ergeben sich dann die zugehörigen Lösungsfunktionen. Der Fall n = 2 y10 = a11 y1 + a12 y2 y20 = a21 y1 + a22 y2 , a12 6= 0 300 Systeme linearer Differentialgleichungen Lösungsverfahren mit Exponentialansatz Der Fall n = 2: Fortsetzung Man macht zuerst den Exponentialansatz für die Funktion y1 . Dieser Ansatz wird dann in die erste Gleichung eingesetzt und diese Gleichung nach y2 aufgelöst: 1 · (y10 − a11 y1 ) y2 = a12 I λ1 6= λ2 , reell. Ansatz für y1 : y1 = C1 · eλ1 x + C2 · eλ2 x I λ1 = λ2 = α, reell. Ansatz für y1 : y1 = (C1 + C2 x) · eαx I λ1/2 = α ± iω (konjugiert komplex). Ansatz: y1 = (C1 · sin(ωx) + C2 · cos(ωx)) · eαx (4) 301 Systeme linearer Differentialgleichungen Lösungsverfahren mit Exponentialansatz Beispiel 245 y10 = y1 + y2 y20 = −y1 + y2 d. h. 0 y = (y10 , y20 )T = Charakteristische Gleichung: 1−λ 1 −1 1 − λ 1 1 −1 1 y1 · y2 = (1 − λ)2 + 1 = 0 =⇒ λ1,2 = 1 ± i (α = 1, ω = 1). 302 Systeme linearer Differentialgleichungen Lösungsverfahren mit Exponentialansatz Beispiele 245 (Fortsetzung) Ansatz: y1 = ex · (C1 sin x + C2 cos x). In (1) einsetzen: y2 = ex · (C1 cos x − C2 sin x) =⇒ Allgemeine Lösung: y1 = ex · (C1 sin x + C2 cos x) y2 = ex · (C1 cos x − C2 sin x) wobei C1 , C2 beliebige reelle Zahlen sind. 303 Systeme linearer Differentialgleichungen Lösungsverfahren mit Exponentialansatz Beispiel 246 y10 = 4y1 − 3y2 y20 = 3y1 − 2y2 Anfangswerte: y1 (0) = 1, y2 (0) = 0. Charakteristische Gleichung: 4−λ −3 3 −2 − λ = (λ − 1)2 = 0 =⇒ λ1/2 = 1. 304 Systeme linearer Differentialgleichungen Lösungsverfahren mit Exponentialansatz Beispiele 246 (Fortsetzung) Ansatz: y1 = (C1 + C2 x)ex . In (1) einsetzen: 1 y2 = (C1 − C2 + C2 x) · ex 3 Lösung des Anfangswertproblems: y1 (0) = 1 =⇒ C1 = 1 y2 (0) = 0 =⇒ C1 − 13 C2 = 0 =⇒ C2 = 3 =⇒ y1 = (1 + 3x) · ex , y2 = 3x · ex 305 Systeme linearer Differentialgleichungen Weitere Lösungsansätze Problemstellung 247 Bestimmung einer speziellen Lösung der Gleichung y 0 (x) = A · y (x) + f (x). Wir wissen bereits: Die allgemeine Lösung setzt sich zusammen aus der allgemeinen Lösung yh des homogenen Systems y 0 (x) = A · y (x) und einer beliebigen speziellen Lösung yp des inhomogenen Systems. 306 Systeme linearer Differentialgleichungen Weitere Lösungsansätze Lösungsansatz in Abhängigkeit des Störgliedes Ähnlich wie im Unterkapitel Lineare Differentialgleichungen zweiter Ordnung (siehe auch: Formelsammlungen) Beachte: Beim Lösungsansatz sind in allen Komponenten jeweils alle Komponenten des Störgliedes f zu berücksichtigen. Beispiel 248 Das inhomogene System y10 = −y1 + 3y2 + x y20 = 2y1 − 2y2 + e−x ist zu lösen. 307 Systeme linearer Differentialgleichungen Weitere Lösungsansätze Beispiel 248 (Fortsetzung) Zunächst lösen wir das zugehörige homogene System y10 = −y1 + 3y2 y20 = 2y1 − 2y2 Lösung: y1 = C1 e−4x + C2 ex 2 y2 = −C1 e−4x + C2 ex 3 308 Systeme linearer Differentialgleichungen Weitere Lösungsansätze Beispiel 248 (Fortsetzung) Ansatz für eine partikuläre Lösung des inhomogenen Systems: y1,p = ax + b + c · e−x y2,p = Ax + B + C · e−x Einsetzen in das inhomogene System: a − ce−x = (−b + 3B) + (−a + 3A + 1)x + (−c + 3C )e−x A − C e−x = (2b − 2B) + (2a − 2A)x + (2c − 2C + 1)e−x 309 Systeme linearer Differentialgleichungen Weitere Lösungsansätze Beispiel 248 (Fortsetzung) Koeffizientenvergleich (6 Gleichungen, 6 Unbekannten), partikuläre Lösung: 5 y1,p = − − 8 3 y2,p = − − 8 1 1 x − · e−x 2 2 1 x 2 310 Systeme linearer Differentialgleichungen Weitere Lösungsansätze Satz 249 (Variation der Konstanten) Gegeben sei das inhomogene System von linearen Differentialgleichungen mit konstanten Koeffizienten y 0 (x) = A · y (x) + f (x) und sei C1 y1 (x) + · · · + Cn yn (x) die allgemeine Lösung des homogenen Systems y 0 (x) = A · y (x). Y (x) bezeichne diejenige Matrix, deren Spalten die n Lösungsvektoren y1 (x), . . . , yn (x) sind. 311 Systeme linearer Differentialgleichungen Weitere Lösungsansätze Satz 249 (Fortsetzung) Der Ansatz yp (x) = Y (x) · u(x) mit u(x) = (u1 (x), . . . , un (x))T führt auf die Gleichung u 0 (x) = Y −1 (x)f (x) aus der man eine spezielle Lösung des inhomogenen Systems erhalten kann. 312 Systeme linearer Differentialgleichungen Weitere Lösungsansätze Beispiel 250 y10 = −y1 + y2 + ex y20 = y1 − y2 + ex In Matrixform: y 0 = Ay + f = −1 1 1 −1 ·y + ex ex . Eigenwerte und zugehörige Eigenvektoren: λ1 = −2, λ2 = 0, r1 = (1, −1)T , r2 = (1, 1)T (linear unbahängig) =⇒ −2x 1 1 e 1 yh = C1 · e−2x + C2 · = C1 · + C2 · −2x −1 1 −e 1 313 Systeme linearer Differentialgleichungen Weitere Lösungsansätze Beispiele 250 (Fortsetzung) Lösungsvektoren in die Matrix Y zusammenfassen: 2x e e−2x 1 1 −1 · Y (x) = , Y −1 (x) = −2x −e 1 e−2x e−2x 2 x 2x e 1 −1 e 0 u 0 (x) = Y −1 (x)f (x) = · · = e−2x e−2x ex ex 2 x 0 e =⇒ u(x) = =⇒ yp = Y (x)u(x) = x e ex 314 Systeme linearer Differentialgleichungen Weitere Lösungsansätze Beispiele 250 (Fortsetzung) Die allgemeine Lösung ist also: y = yh + yp = C1 e−2x + C2 + ex −C1 e−2x + C2 + ex . 315 Systeme linearer Differentialgleichungen Systeme höherer Ordnung Ein System von expliziten linearen Differentialgleichungen höherer Ordnung mit konstanten Koeffizienten lässt sich durch Einführung neuer unbekannter Funktionen in ein System erster Ordnung überführen. Erläuterung an einem Beispiel: Beispiel 251 y100 (x) + y10 (x) + y1 (x) − y2 (x) = x y200 (x) − y20 (x) − y1 (x) + 2y2 (x) = x 2 316 Systeme linearer Differentialgleichungen Systeme höherer Ordnung Beispiel 251 (Fortsetzung) Wir führen die folgenden Funktionen ein: u1 = y 1 , u2 = y10 u3 = y 2 , u4 = y20 Damit kann das System zweiter Ordnung als System erster Ordnung mit 4 Gleichungen geschrieben werden: u10 (x) = u2 (x) u20 (x) = −u1 (x) − u2 (x) + u3 (x) + x u30 (x) = u4 (x) u40 (x) = u1 (x) − 2u3 (x) + u4 (x) + x 2 317 Systeme linearer Differentialgleichungen Systeme höherer Ordnung Oftmals ist es auch möglich, ein System höherer Ordnung durch Elimination der unbekannten Funktionen in eine einzige Differentialgleichung höherer Ordnung zu überführen, in der nur noch eine der gesuchten Funktionen vorkommt. Bei diesem Verfahren werden die Umformungen des Gauß’schen Eliminationsverfahrens angewandt mit Differenzieren einer Gleichung als zusätzlicher Umformung. Erläuterung an einem Beispiel: Beispiel 252 (1) y100 (x) + y10 (x) + y1 (x) − y2 (x) = x (2) y200 (x) − y20 (x) − y1 (x) + 2y2 (x) = x 2 (2) nach y1 auflösen: (2.1) y1 (x) = y200 (x) − y20 (x) + 2y2 (x) − x 2 318 Systeme linearer Differentialgleichungen Systeme höherer Ordnung Beispiel 252 (Fortsetzung) Zweimal ableiten: (2.2) y10 (x) = y2000 (x) − y200 (x) + 2y20 (x) − 2x (4) (2.3) y100 (x) = y2 (x) − y2000 (x) + 2y200 (x) − 2 (2.1), (2.2) und (2.3) in (1) einsetzen: (4) y2 (x) + 2y200 (x) + y20 (x) + y2 (x) = x 2 + 3x + 2. Lineare Differentialgleichung vierter Ordnung für y2 . 319 Numerische Verfahren für Anfangswertprobleme Die Eulersche Polygonzugmethode Viele in den Anwendungen auftretenden Differentialgleichungen sind nicht analytisch lösbar. So ist zum Beispiel die Lösung der Gleichung y 0 (x) = x 2 + y 2 (x) nicht durch elementare Funktionen und Integrationen angebbar. In solchen Fällen ist man auf numerische Verfahren angewiesen: An gewissen sog. Gitterpunkten xi werden Näherungswerte yi für die exakten Werte y (xi ) bestimmt. 320 Numerische Verfahren für Anfangswertprobleme Die Eulersche Polygonzugmethode In diesem Abschnitt betrachten wir zuerst Anfangswertprobleme der Form y 0 (x) = f (x, y ), x ∈ [a, b] y (x0 ) = y0 wobei x0 ∈ [a, b] und y : [a, b] −→ R. Als Gitterpunkte wählen wir eine äquidistante Einteilung des Intervalls [a, b]: xi = a + ih, wobei h = b−a n i = 0, . . . , n die sog. Schrittweite ist. 321 Numerische Verfahren für Anfangswertprobleme Die Eulersche Polygonzugmethode Die Eulersche Polygonzugmethode Dieses einfache Verfahren lässt sich wie folgt beschreiben: I Gehe vom Anfangspunkt (x0 , y0 ) aus geradlinig mit der dort gegebenen Steigung f (x0 , y0 ) um die Schrittweite h nach rechts. I Von dem so erhaltenen Punkt (x1 , y1 ) gehe mit der dort vorliegenden Steigung f (x1 , y1 ) einen weiteren Schritt nach rechts. I Verfahrensvorschrift im i-ten Schritt: Gehe vom Punkt (xi , yi ) aus mit der dort gegebenen Steigung f (xi , yi ) um die Schrittweite h nach rechts. Rekursionsvorschrift (n gegeben, h = b−a n ) x0 = a; y0 = y (x0 ) xi+1 = xi + h; yi+1 = yi + hf (xi , yi ), i = 0, . . . , n − 1. 322 Numerische Verfahren für Anfangswertprobleme Die Eulersche Polygonzugmethode Beispiel 253 Man löse näherungsweise das Anfangswertproblem y 0 (x) = y (x) − 2x , y (x) x ∈ [0, 1], y (0) = 1 mit h = 0.1. Man rechne mit 4 Dezimalstellen und √ vergleiche die Nährungswerte mit den Werten der exakten Lösung y (x) = 2x + 1. Man erhält die Rekursionsvorschrift: n = 10, x0 = 0, y0 = 1 xi+1 = xi + 0.1, yi+1 2xi = yi + 0.1 · yi − , yi i = 0, . . . , 9. 323 Numerische Verfahren für Anfangswertprobleme Die Eulersche Polygonzugmethode Beispiel 253 (Fortsetzung) i 0 1 2 3 4 5 6 7 8 9 10 xi 0.0 0.1 0.2 0.3 0.4 0.5 0.6 0.7 0.8 0.9 1.0 yi 1.0000 1.1000 1.1918 1.2774 1.3582 1.4351 1.5089 1.5803 1.6497 1.7177 1.7847 y (xi ) 1.0000 1.0954 1.1832 1.2649 1.3416 1.4142 1.4832 1.5492 1.6124 1.6733 1.7320 324 Numerische Verfahren für Anfangswertprobleme Das Halbschrittverfahren Halbschrittverfahren Gehe vom Punkt (xi , yi ) aus mit der dort gegebenen Steigung f (xi , yi ) eine halbe Schrittweite h2 nach rechts. Bestimme dort die Steigung f xi + h2 , yi + h2 f (xi , yi ) und gehe mit dieser Steigung von (xi , yi ) aus einen Schritt mit voller Schrittweite h nach rechts. Rekursionsvorschrift (n gegeben, h = b−a n ) x0 = a; y0 = y (x0 ) xi+1 = xi + h; yi+1 = yi + hf h h xi + , yi + f (xi , yi ) , 2 2 i = 0, . . . , n − 1. Ein ähnliches aber noch schnelleres Verfahren ist das Runge-Kutta-Verfahren, das wir nicht behandeln (siehe Formelsammlung). 325 Numerische Verfahren für Anfangswertprobleme Das Euler-Verfahren für Differentialgleichungssysteme Wir betrachten das Anfangswertproblem y 0 (x) = f (x, y ), x ∈ [a, b] y (x0 ) = y (0) wobei x0 ∈ [a, b], y = (y1 , . . . , yn )T y 0 = (y10 , . . . , yn0 )T (0) (0) y (0) = y (x0 ) = (y1 , . . . , yn )T und Wf ⊂ Rn . 326 Numerische Verfahren für Anfangswertprobleme Das Euler-Verfahren für Differentialgleichungssysteme Euler-Verfahren für Differentialgleichungssysteme Das Verfahren ist wie die Eulersche Polygonzugmethode, wir schreiben jedoch die Nummer des Iterationsschrittes bei y als oberer Index. Sei n > 0 und h = b−a n . Rekursionsvorschrift: x0 = a; y (0) = y (x0 ) xi+1 = xi + h; y (i+1) = y (i) + hf (xi , y (i) ), i = 0, . . . , n − 1. 327 Numerische Verfahren für Anfangswertprobleme Das Euler-Verfahren für Differentialgleichungssysteme Beispiel 254 Man löse näherungsweise das Anfangswertproblem u 0 (x) = v (x) v 0 (x) = − sin(u(x)), u(0) = 0, 0≤x ≤π v (0) = 1 mit h = π4 (d. h. n = 4). Die Funktion f ist hier: f (x, u, v ) = (v , − sin(u))T . Bezeichnung: y (i) = (ui , vi )T Man erhält die Rekursionsvorschrift: xi+1 x0 = 0; y (0) = (0, 1)T = (u0 , v0 )T π π = xi + ; y (i+1) = y (i) + · (vi , − sin(ui ))T , 4 4 i = 0, 1, 2, 3. 328 Numerische Verfahren für Anfangswertprobleme Das Euler-Verfahren für Differentialgleichungssysteme Beispiel 254 (Fortsetzung) i 0 1 2 3 4 xi 0.00π 0.25π 0.50π 0.75π 1.00π u(xi ) 0.0000 1.7854 1.5708 1.9200 1.6524 v (xi ) 1.0000 1.0000 0.4446 -0.3407 -1.0788 329 Mathematik I.2 Literatur L. Papula, Mathematik für Ingenieure und Naturwissenschaftler, Band 1, Band 2 Vieweg, Braunschweig/Wiesbaden, 2001. Hoffmann, A., Marx, B., Vogt, W., Mathematik für Ingenieure, Band 1, Band 2 Pearson Studium, München, 2005. A. Fretzel, H. Fränkel, Mathematik, Lehrbuch für Fachhochschulen, Band 1, Band 2 VDI Verlag, Düsseldorf, 1995. Engeln, Müllges, G., Schäfer, W., Trippler G., Kompaktkurs Ingenieurmathematik Hanser, München/Wien 1999. 330 Mathematik I.2 Formelsammlung Merziger G., Mühlbach, G. Wille, D., Wirth, T., Formel + Hilfen, Höhere Mathematik Binomi Verlag, Barsinghausen, 2010 331 Mathematik I.2 Verschiedenes I Kursassistentin: Frau Dr. Kuhlisch www.math.tu-dresden.de/∼kuhlisch/ I Die Übungsaufgaben stehen auf der Internetseite von Frau Dr. Kuhlisch. I Zugelassene Hilfsmittel bei der Prüfung: Literatur, handschriftliche Unterlagen, elektronische Geräte sind nicht zugelassen I Handout zu der Vorlesung zum Herunterladen unter: www.math.tu-dresden.de/∼sasvari/ I Die in der Vorlesung vorgerechneten Aufgaben sind in der Regel nicht im Handout enthalten. 332