Text im Original in der NZZ am Sonntag

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Computer&Technik
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Linuxsetztsichdurch
Vor 25 Jahren entwickelte der Finne Linus Torvalds das freie Betriebssystem Linux. Aus dem Zeitvertreib
des Studenten ist heute ein Milliardengeschäft geworden. Von Claude Settele
A
m Anfang waren es die Lust
am Programmieren und
der Frust über bekannte
Betriebssysteme, die den
jungen Finnen Linus Torvalds zu seiner Grosstat
verleiteten. «Just for Fun»
heisst der Titel des Buches, in dem der Programmierer mit Co-Autor David Diamond
die Entstehung des freien Betriebssystems
Linux nachzeichnet. Es ist die Geschichte
einer zufälligen Revolution, wie der Untertitel der Originalausgabe sagt.
Viele Zeitgenossen können mit dem
Begriff Linux nichts anfangen. Bestenfalls
kennen sie das Maskottchen: ein Pinguin
mit gelbem Schnabel. Doch im Alltag kommt
jeder mit Linux in Berührung, ohne es zu
wissen. Das Operating System (OS) läuft auf
Millionen von Web-Servern, Smartphones
und Maschinen im Internet der Dinge.
Obschon es sich um kostenlose Software
handelt, hat sich ein Ökosystem aus Services
und Produkten entwickelt, in dem jedes Jahr
Milliarden Dollars umgesetzt werden.
grammiersprache C umfasst. Trotz dem
bescheidenen Erfolg auf dem Personalcomputer ist die Linux-Szene auch in diesem
Feld noch immer aktiv mit Updates und der
Lancierung neuer Distributionen. Darunter
sind der auf Ubuntu basierende Ableger
Linux Mint, Solus oder Elementary OS,
dessen Benutzeroberfläche sich optisch an
OS X von Apple orientiert.
Erfolg von Chrome OS
Populär ist auch Chrome OS von Google,
das auf den Chromebooks läuft. Experten
streiten sich darüber, ob man Chrome OS als
Linux-Distribution bezeichnen kann. Es
basiert auf Linux, hat aber nur wenige lokal
installierte Programme und setzt eher auf
Web-Apps und die Cloud als Datenspeicher.
Doch Chrome OS hat Aufwind, zurzeit listet
Google über 60 damit betriebene Netbooks
von über einem Dutzend Herstellern, darunter HP, Dell und Samsung. Der Internetriese hat im Mai an der Entwicklerkonferenz
I/O eine interessante Ankündigung gemacht,
welche den Erfolg von Chrome OS weiter
beflügeln könnte: Demnächst will Google
seinen Play-Store für Android-Apps auf
Chromebooks bringen. Damit stehen 2,2 Millionen Apps zum Herunterladen auf das
Netbook bereit. Das könnte den Absatz der
Geräte massgeblich ankurbeln, der jetzt
schon anzieht: Laut Google wurden im
ersten Quartal des Jahres in den USA
mehr Chromebooks verkauft als Macs.
So kommt der Jubilar zumindest in
Form des Kernels vielleicht doch noch
zu einer respektablen Verbreitung auf
PC-verwandten Geräten.
Damit geht die Entwicklung in
die Richtung, die Torvalds als Voraussetzung für den Erfolg auf dem PC
genannt hat: Die Leute wollen kein OS
installieren, es braucht Computer mit
vorinstalliertem Linux. Die Hoffnung
hat der Programmierer nicht aufgegeben, er spekuliert, dass Chrome
OS vielleicht in der vierten, fünften
Generation den Durchbruch
schaffe. Auch Android 1.0 sei
noch kein grosser Erfolg
gewesen, sagte er im
Februar an einer TEDKonferenz in Vancouver.
Sein einstiges Ziel, ein
alternatives Desktop-Betriebssystem zu schaffen, hat
Torvalds nicht abgeschrieben. Vielleicht braucht es weitere 25 Jahre, bis
das Szenario Realität wird, auf das er hofft:
«Wenn Microsoft je Anwendungen für Linux
schreiben sollte, habe ich gewonnen.»
Seit 1996 das
offizielle Logo des
Linux-Betriebssystems: Der
Pinguin Tux.
Portion Naivität
Dabei hat alles sehr klein angefangen. Im
April 1991 macht sich der Student der Computerwissenschaften an der Universität Helsinki daran, ein eigenes Betriebssystem zu
schreiben. Das habe nur dank einer gehörigen Portion Naivität funktioniert, wie Torvalds kürzlich in einem Interview mit dem
Magazin «IEEE Spectrum» sagte. An eine
Kooperation mit anderen Entwicklern dachte
Torvalds ebenso wenig wie an das Konzept
von Open Source, das damals unter dem
Namen Free Software bekannt war. Torvalds’ Ziel war eine Alternative zum
Betriebssystem Unix, dessen Rechte beim
Unternehmen AT&T lagen. Daneben gab es
noch proprietäre Unix-Ableger von Firmen
wie IBM, HP und Sun.
Torvalds beginnt im April
1991 mit der Arbeit. Zu
diesem Zeitpunkt ist ein
anderes Projekt namens
GNU in den USA schon
länger an der Arbeit. Einige
GNU-Module sind fertig,
doch die Arbeiten am
Kernel, dem Herzstück für
die Kernaufgaben eines
Betriebssystems, kommen nicht richtig voran.
Torvalds seinerseits
legt ein anderes Tempo
vor. Am 25.August 1991 kündigt er in einer E-Mail die fortgeschrittene Entwicklung seines Kernels an. Das
Datum gilt daher als Geburtsstunde von
Linux. Der Jungprogrammierer veröffentlicht erstmals den Code und wird damit
überrascht, dass er konkrete Verbesserungsvorschläge anderer Entwickler bekommt.
Die Community ist geboren, schnell kommen
weitere Entwickler dazu.
Noch heute überwacht und koordiniert
Torvalds die Entwicklung des Kernels, an
dem nun über tausend vernetzte Programmierer mitarbeiten. Doch der mittlerweile in
den USA lebende Finne arbeitet immer noch
allein an einem Stehpult, allzu viel Nähe zu
anderen Menschen scheint ihm nicht gut zu
bekommen, wie er in mehreren Interviews
durchblicken liess.
Im zweiten Jahr der Entwicklung
erscheint der Kernel des OS erstmals als frei
verfügbare Software unter der sogenannten
GNU General Public License. Dieses vom
Programmierer Richard Stallman entwickelte
Lizenzmodell, das auch für die Texte von
Wikipedia verwendet wird, erlaubt die freie,
auch kommerzielle Nutzung eines Werkes,
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neu
<wm>10CAsNsjY0MDAx1TUyNjA3sQQAjTeECQ8AAAA=</wm>
WINDOWS · OS-X · LINUX · ANDROID
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Das mit 1,4 Milliarden
Anwendern wichtigste
Handy-Betriebssystem
Android beruht
letztlich ebenfalls auf
dem Linux-Kernel.
ebenso dessen Verbreitung und Änderung.
Die Bedingung ist, dass das geänderte Werk
ebenfalls unter der GNU-Lizenz angeboten
wird.
Als Verwandter von Unix ist auch Linux
modular aufgebaut, als vollwertiges
Betriebssystem braucht es neben dem Kernel
weitere Module wie Dienstprogramme, Treiber und eine Benutzeroberfläche, die zu
einem Paket geschnürt werden. Viele dieser
sogenannten Linux-Distributionen enthalten
auch Module von GNU. Zu den bekannteren
Distributionen gehören Debian, Open Suse,
Red Hat, Fedora und Ubuntu. Letztgenannte
hat dank ihrer benutzerfreundlichen Oberfläche einigen Erfolg auch auf dem PC verzeichnet, doch Windows konnte bisher keine
Linux-Version ernsthaft bedrängen.
Der grosse Erfolg kam dafür in der Unternehmens-IT. In Rechenzentren und auf
Internet-Servern spielt Linux schon länger
eine dominante Rolle. 1999 gab IBM offiziell
die Unterstützung für Linux bekannt, was
die Akzeptanz des OS förderte. Selbst Micro-
soft setzt inzwischen im Rechenzentrum für
seine Cloud-Plattform Azure bei fast jedem
dritten Server Linux ein. Der eindrücklichste
Beweis für die Zuverlässigkeit und Leistungsfähigkeit von Torvalds’ Software liefert
allerdings die eben veröffentlichte Liste der
Top-500-Supercomputer der Welt: Davon
laufen 497 mit Linux, 3 davon mit Unix.
Dominant ist Linux nicht nur bei Supercomputern, sondern auch beim «Taschencomputer»: Das mit 1,4 Milliarden Anwendern wichtigste Handy-Betriebssystem
Android beruht letztlich ebenfalls auf dem
Linux-Kernel. Doch das Wirkungsfeld des
Betriebssystems geht weit über Server und
Smartphones hinaus. Die Typenvielfalt
von Maschinen, die den Pinguin als Motor
nutzen, reicht vom Router und von der
Alarmanlage über den Smart TV und die Heizungssteuerung bis zum Kleinstcomputer
Raspberry Pi.
Dass sein Desktop-System einmal auf Servern zum Einsatz kommt, hat Torvalds nicht
verwundert, richtig überrascht von der Entwicklung seines Sprosses war er aber, als er
erstmals die Benzinpumpe einer Tanksäule
sah, die unter Linux lief. Obschon sein OS
auch im Internet der Dinge häufig im Einsatz
ist, sieht der Finne in diesem Gebiet auch die
Grenzen seiner Software. Für kleine Anwendungen sei Linux nicht die passende Plattform, nur schon, weil der Kernel in all den
Jahren immer grösser geworden ist und mittlerweile 18 Millionen Zeilen Code in der Pro-
Linux ausprobieren
Wie man ein neues OS
installiert
Auf Desktop- und Laptop-Computern
konnte sich Linux bis heute nicht gegen
Windows und Mac OS durchsetzen, obwohl
es unter den vielen Software-Varianten
auch benutzerfreundliche Versionen gibt,
die sich genauso einfach bedienen lassen
wie die kommerzielle Konkurrenz von Apple
und Microsoft. Wer dem freien und kostenlosen Betriebssystem (OS) zum 25-Jahr-Jubiläum doch noch einmal eine Chance geben
will, sollte sich die Websites von Ubuntu
und Elementary OS anschauen.
Ubuntu ist vermutlich die von privaten
Nutzern am häufigsten eingesetzte LinuxDistribution der Welt. Eine Zeitlang gab es
dieses OS auch vorinstalliert auf einigen
Laptops. Im Web findet man detaillierte
Anleitungen, wie man den Wechsel von
Windows oder Mac zu Ubuntu bewerkstelligt. Auf die bekannten Office-Programme
muss man dann verzichten. Ein Mangel an
nahezu gleichwertigen Open-Source-Programmen gibt es aber nicht.
Das gilt auch für Elementary OS, das
vielen als schönste Linux-Ausgabe gilt. Die
Oberfläche lehnt sich stark an Mac OS von
Apple an. (hir.)
Der Weg zu
Linux
1977
Die Universität Kalifornien entwickelt
eine Version des Betriebssystems Unix.
Anfang der 1990er
Jahre wird sie deswegen von AT&T wegen
Patentverletzung
verklagt.
1987
Der Informatiker
Andrew Tanenbaum
veröffentlicht das Betriebssystem Minix.
Der Quellcode war
offen, die Weitergabe
an andere Nutzer
jedoch beschränkt.
Unix-ähnliche Betriebssysteme blieben teuer.
1991
Linus Torvalds beginnt im August die
Entwicklung seines
Betriebssystems. Den
Namen Linux erhält
die Software im September 1991.
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