Erreichbarkeit psychotherapeutischer Praxen im Rhein-Main-Gebiet Fragestellung Die hier vorgestellte Studie untersucht die telefonische Erreichbarkeit von 100 Psychotherapeuten (50 ärztliche und 50 psychologische) und die Zugänglichkeit des psychotherapeutischen Versorgungssystems im Raum Frankfurt am Main aus Patientensicht. Ziel der Studie war es, die telefonische Erreichbarkeit und die Vergabe möglicher Gesprächstermine zu überprüfen. Methode Von Mai bis Juni 2009 kontaktierten drei geschulte studentische Hilfskräfte telefonisch insgesamt 100 Psychotherapeuten im Raum Frankfurt am Main, mit jeweils 50 ärztlichen und 50 psychologischen Psychotherapeuten. Jede Hilfskraft rief ein Drittel der Praxen an (also 33 bzw. 34). Anfangs wurde nach dem nächstmöglichen Gesprächstermin gefragt. Im Falle eines verfügbaren Termins wurde um eine Erklärung zum weiteren Ablauf gebeten. Jede psychotherapeutische Praxis wurde für nur eine Terminanfrage kontaktiert. Falls nach fünf Versuchen der Psychotherapeut telefonisch nicht zu erreichen war, wurde dieser als „nicht erreichbar“ deklariert. Falls vom PT erfragt, wurde in 25% der Anrufe eine private Krankenversicherung und in den restlichen Fällen (75%) eine gesetzliche Krankenversicherung angegeben, um etwaige Unterschiede in der Terminvergabe zu überprüfen. Die Art der Versicherung wurde a priori randomisiert zugeteilt. Der Versicherungsstatus wurde nur auf Nachfrage des PT angegeben und nicht zwangsläufig erwähnt. Wahl der Psychotherapeuten Psychotherapeutische Praxen wurden über die Suchfunktion der Internetseite der Kassenärztlichen Vereinigung Hessen ausgewählt (http://arztsuchehessen.de/arztsuche.php). Hierbei wählten wir mit der Suchkategorie „Psychologischer Psychotherapeut“ und „Psychotherapeutisch tätiger Arzt“ mittels einer Umkreissuche (PLZ 60) jeweils 50 PT aus. Ergebnisse Insgesamt 13 von 100 Psychotherapeuten waren mit fünf Anrufen nicht zu erreichen. Für die Kontaktaufnahme der übrigen 87 Psychotherapeuten waren durchschnittlich 2,3 Anrufe nötig. Ganze 30 Psychotherapeuten waren erst mit drei bis fünf Anrufen zu erreichen, 28 Psychotherapeuten nach zwei Anrufen und 29 Psychotherapeuten nach einem Anruf (siehe Abbildung 1). Hierbei ist es wichtig zu bedenken, dass die Anrufe von motivierten, bezahlten Hilfskräften durchgeführt wurden. © INSITE-Interventions GmbH 2009 1 Von den 87 erreichbaren Psychotherapeuten hatten 55 einen freien Termin. Die zeitliche Differenz zwischen Erstkontakt und möglichem Termin betrug durchschnittlich 31 Tage. Abbildung 2 zeigt die Verteilung der zeitlichen Differenzen. Ein Gesprächstermin ist durch einen roten Punkt symbolisiert und auf der Skala ist die zeitliche Differenz in Tagen abgetragen. Hierbei ist bemerkenswert, dass die meisten Termine unterhalb des Studienmittelwertes liegen (schwarz gestrichelte Linie). Termine waren also relativ zeitnah verfügbar, allerdings war es schwer, diese zu bekommen, da man erst mal die Hürde der Kontaktaufnahme nehmen musste. Abbildung 1: Verteilung der Häufigkeit der Anrufe, die zur Erreichung der Psychotherapeuten nötig waren. Abbildung 2: Zeitliche Differenz in Tagen zwischen Erstkontakt und möglichem Gesprächstermin © INSITE-Interventions GmbH 2009 2 Weiterhin war die Versorgungsqualität auffällig schlecht: 35% der erreichten PT meldeten sich weder mit Namen noch Praxisnamen („Hallo“) und 64% der telefonischen Erstkontakte wurden von den Hilfskräften als „eher nicht“ oder „gar nicht freundlich“ eingestuft. Bei einer hinterlassenen Nachricht auf dem Anrufbeantworter dauerte es durchschnittlich 7 Tage bis unsere Hilfskräfte einen Rückruf erhielten – viel zu lange für den Ernstfall. Diskussion Um einen PT ans Telefon zu bekommen, bedurfte es seitens der, wohlgemerkt gesunden motivierten Hilfskräfte, einer gewissen Beharrlichkeit. Von den insgesamt 100 PT konnte mit der Hälfte ein Termin vereinbart werden. Ungeachtet des Aufwandes, diese PT zu erreichen, entspricht dies einer Erfolgschance von 50%. Wenn schon zu Beginn der Therapiesuche mehr als zwei Anrufe notwendig sind, um Kontakt mit einem PT herzustellen, kann man sich gut vorstellen, dass viele kranke Menschen, die depressiv, ängstlich oder entmutigt sind, die Suche nach einem Therapeuten bald enttäuscht aufgeben werden. Gerade bei Patienten, die all ihren Mut zusammennehmen und sich stark überwinden müssen, geht nur für kurze Zeit eine Türe auf, in der sie offen für das Angebot einer Psychotherapie sind. Einige der PT aus unserer Stichprobe waren trotz mehrfacher Anrufe in sogenannten Telefonzeiten und hinterlassener Nachrichten nicht erreichbar. Wieder andere riefen zwar zurück, aber wehe man verpasste den Rückruf, denn dann stand man wieder vor demselben Problem. Auch ist ein Rückruf nach durchschnittlich sieben Tagen zu lang für Menschen, die unter emotionalem Druck stehen und schnell eine Kontaktaufnahme brauchen. Fazit Termine beim Psychotherapeuten sind vorhanden, allerdings ist das System der psychotherapeutischen Versorgung nur schwer zugänglich. Ein aktiver Case Manager kann Termine innerhalb weniger Tage mit der Hälfte der hier ermittelten durchschnittlichen Wartezeit organisieren. Der Lotsendienst des EAP kann eine wichtige Vermittlerfunktion übernehmen, die den Flaschenhals des Versorgungssystems überbrückt. © INSITE-Interventions GmbH 2009 3