|FOKUS| 3 Biomarkt: Kommt mit dem Boom auch der Betrug? In der EU floriert das Biogeschäft – und immer mehr auch der Bio-Betrug. Auch in der Schweiz boomt Bio. Die Bioexperten trafen sich in Frick zu einer Tagung über Betrugsbekämpfung. Von Roland Wyss-Aerni Betrug im Biomarkt – Das passt wie die Faust aufs Auge. Würde man doch annehmen, dass Bauern und Händler, die hohe ethische Ansprüche an ihre Produkte stellen, auch selber etwas anständiger sind als andere. Jedenfalls: Betrug im Biomarkt gibts. „Der Spiegel” widmete diesem Thema letzt- Biorüebli: Die Biobranche lebt von der Glaubwürdigkeit. (lid) tisch der Biobetrug”, sagt Jochen Neuen- Beate Huber, Expertin für internationale dorff, Mitarbeiter bei der deutschen Gesell- Zertifizierung und Ökogesetzgebung beim schaft für Ressourcenschutz (GfRS), einer Forschungsinstitut für biologischen Land- Kontrollorganisation für ökologische Land- bau (FIBL) in Frick AG, hält die Zustände in wirtschaft. Biobetrug sei ein wichtiges The- Deutschland für weit weniger dramatisch ma, dass man europaweit angehen müsse. als in der Presse dargestellt. „Der ,Spiegel‘ Den „Spiegel”-Artikel hält er zwar für „po- hat seit Frühling mit mehreren Reportern lemisch, er greift eindeutig zu kurz”, in der recherchiert und offenbar nicht ganz ge- Fachpresse sei bisher bloss über fünf Be- funden, was er wollte. Angesichts dessen, trugsfälle berichtet worden. Dennoch dürfe wie viel Bioware in Deutschland produziert man das Thema nicht unter den Tisch wi- wird, ist die Effizienz der Kontrollen er- schen. staunlich hoch.” Der Betrug kommt mit dem Boom. Und mit Problemfall Italien der Angebotsknappheit: Seit die deutschen Bedenklicher als in Deutschland sind die DiscounterAldi und Lidl im grossen Stil Bio- Verhältnisse in anderen Ländern. „Tenden- produkte einkaufen, werden grosse Men- ziell gibt es Probleme in Italien und, für gen Bioprodukte nachgefragt, die die bis- Produkte aus Übersee, in China”, sagt Neu- her kleinstrukturierte Branche nur mit endorff. Untersuchungen in Baden-Württ- Mühe oder gar nicht liefern kann. Da ist die emberg zeigten in diesem Sommer tatsäch- Verlockung gross, konventionelle Produkte lich, dass bei vier von zehn untersuchten „Mit der starken Marktausweitung und der kurzerhand umzudeklarieren und damit Karotten aus Italien zu Unrecht Bio drauf Knappheit im Biomarkt kommt automa- gutes Geld zu verdienen. stand. Im Schnitt waren 12,7 Prozent der hin eine 13-seitige Titelgeschichte mit den gesammelten Missetaten aus der Biowelt: Konventionelle Mastschweine, die auf dem Weg zum Schlachthof zu Bioschweinen mutieren, konventionelle Eier, die zu Bioeiern wurden, Biogummibärchen mit konventioneller Gelatine, gefälschte Zertifikate für Biobananen oder Biokaffee von Produzenten in Osttimor, die selber nicht einmal wissen, dass sie angeblich biologisch produzieren. „Bio-Hafer” und „Bio-Kräuter” Auch in der Schweiz gab es in den letzten Jahren zwei Betrugsfälle, die bekannt wurden: Die Mühle Dambach in Villmergen mischte ihrem Bio-Hafer konventionellen Hafer bei. Und der Genfer Händler Pitschfruit verkaufte konventionelle Küchenkräuter als Bio-Kräuter an Coop weiter. Beide Fälle wurden durch den „Kassensturz” aufgedeckt. Nr. 2843 vom 5. November 2007 Sämtliche Artikel sind unter lid.ch zu finden. Der Abdruck ist unter Angabe der Quelle frei. |FOKUS| 4 Biowaren mit verbotenen Rückständen belastet. Die gefundenen Pestizid-Rück- Neue Biobauern gesucht standsmengen waren teilweise so gross, lid. Der Bio-Markt boomt, die Umsätze Konsumenten wieder vermehrt auf Quali- dass vermutet werden musste, konventio- sind im ersten Halbjahr 2007 um 4,7 Pro- tät setzen. nelle Früchte und Gemüse seien vom Han- zent angestiegen, mehr als doppelt so del umdeklariert worden. stark als der konventionelle Lebensmittel- Die Biobranche nimmt den Betrug ernst. markt mit 2,1 Prozent. Noch deutlicher ist Das zeigt die Tatsache, dass Anfang Okto- der Unterschied laut den Zahlen des ber in Frick eine Tagung zum Thema statt- Marktforschungsinstituts IHA-gfk bei den fand. 60 Experten aus zehn EU-Ländern, Frischprodukten: Bei Milchprodukten, Ei- aus den USA und China diskutierten darü- ern, Früchten, Gemüsen und Fleisch wuchs ber, wie Betrug künftig frühzeitig erkannt der Bio-Markt um sechs Prozent, der kon- und verhindert werden kann. Denn: „Bio ventionelle um 1,7 Prozent. Die Bio Suisse lebt stark von der Glaubwürdigkeit und ist führt den Boom darauf zurück, dass die dadurch verletzlich“, sagt Bio Suisse-Spre- Vereinzelt kommt es gar zu Lieferengpässen: Bio-Eier etwa sind laut Bio Suisse Mangelware geworden. Ferner gibt es nach wie vor zu wenig Bio-Getreide. Aber auch bei Früchten, Gemüsen, Beeren, Kräutern, Öl und Kartoffeln liesse sich mehr verkaufen. Bio Suisse sucht deshalb einige hundert neue Produzenten. Heute gibt es in der Schweiz rund 6‘000 Biobauern. „Das Bio-Wachstum in der Schweiz ist Beschwerdestelle gefordert nicht so stark wie in Deutschland”, sagt Auf europäischer Ebene hingegen muss Jacqueline Forster. Entsprechend gebe es gehandelt werden, darüber sind sich die auch keinen Umstellungsboom bei den Fachleute einig. Das habe auch die Tagung Vorteile des kleinen Marktes Bauern. Und schliesslich: Der Schweizer Bi- in Frick gezeigt, meint Bio-Betrugsexpertin Auch in der Schweiz boomt der Biomarkt, omarkt ist überschaubar. Auch wenn der- Huber: Der Informationsfluss zwischen den mit Wachstumsraten doppelt so hoch wie zeit Bioeier derzeit knapp sind – es sei verschiedenen Ländern und zwischen Be- im konventionellen Lebensmittelmarkt (sie- „kaum denkbar, dass die Eier eines kon- hörden, Händlern und Kontrollstellen müs- he Kasten). Heisst das, dass auch in der ventionellen Produzenten plötzlich zu Bi- se besser werden. „Im Bio-Markt muss je- Schweiz die Gefahr von Betrügereien an- oeiern werden” – so wie es in Deutschland der seinen Beitrag leisten, damit Betrug steigt? „Dafür gibt es keine Anzeichen”, passierte. Der Bioeiermarkt sei sehr gut or- verhindert werden kann”, sagt sie. Die sagt Beate Huber, „Das Risiko ist in der ganisiert, mit nur wenigen Händlern. Händler müssten beispielsweise konse- Schweiz geringer, es gibt ein gutes Kon- Der kleine Schweizer Markt: Für viele Verar- trollsystem und weniger anonyme Handels- beiter ist er wegen fehlender Absatzmög- strukturen als in Deutschland.” Wichtig sei, lichkeiten ein Problem. Für die Rückverfolg- dass sich die Grossverteiler selber ein gutes barkeit und Sicherheit der Lebensmittel ist Qualitätssystem aufgebaut hätten und sich er ein Segen. Nicht nur bei Biolebensmit- bei den Kontrollen engagierten. teln, sondern auch bei konventionellen. cherin Jacqueline Forster. „Das Label insgesamt und jeder einzelne Produzent hat einen Ruf zu verlieren.” Nr. 2843 vom 5. November 2007 quent Unregelmässigkeiten und Rückstände bei Bioprodukten melden, die Behörden müssten Verdachtsmomente zügig verfolgen und die Ergebnisse auch den Branchen mitteilen, damit gegenseitiges Vertrauen herrsche. Und: „Es muss eine EU-Beschwerdestelle geben.” Sämtliche Artikel sind unter lid.ch zu finden. Der Abdruck ist unter Angabe der Quelle frei.