14 ZNER 2014, Heft 1 Hölder: Echtzeitwälzung – Erneuerbaren Strom in den Wettbewerb um Kunden integrieren … Echtzeitwälzung – Erneuerbaren Strom in den Wettbewerb um Kunden integrieren. Vorschlag für die Weiterentwicklung des Ausgleichsmechanismus Daniel Hölder* Zusammenfassung Die derzeitige finanzielle Wälzung hat mehrere Nachteile und führt in eine Sackgasse. Durch den Ausbau der Erneuerbaren Energien entstehen Überkapazitäten im Strommarkt, wodurch die Börsenstrompreise sinken. Da die EEG-Umlage sich jedoch aus der Differenz der Vergütungen der Anlagenbetreiber und den Vermarktungserlösen des EEG-Stroms am Spotmarkt ergibt, führen sinkende Börsenstrompreise unabhängig davon, wie neue Anlagen finanziert werden, zu einer steigenden EEG-Umlage. Da die EEGUmlage als Kosten des Ausbaus der Erneuerbaren Energien wahrgenommen wird, gefährdet dieser Zusammenhang die Akzeptanz der Energiewende. Gleichzeitig wird ein immer höherer Anteil des Strompreises von Umlagen und Steuern bestimmt, so dass der beeinflussbare, dem Wettbewerb unterliegende Teil des Strompreises immer kleiner wird. Daher sollte unabhängig davon, wie neue Anlagen künftig finanziert werden sollen, der Wälzungsmechanismus (zumindest für den Anlagenbestand) geändert werden. Stromvertriebe sind die zentralen Akteure im Strommarkt. Sie können am besten nach den wirtschaftlich optimalen Möglichkeiten für den Ausgleich der unsteten Erzeugung aus Wind und Sonne suchen. Durch die kurzfristige physische Wälzung der tatsächlichen Stromerzeugung aus Erneuerbaren Energien wird der Ausgleich der Fluktuation zu einem Bestandteil des Portfoliomanagements und des Wettbewerbs zwischen den Stromvertrieben. In einem angepassten Modell der Direktvermarktung übernehmen Anlagenbetreiber und Vermarkter die Verantwortung für Fahrpläne, Vermarktung und bedarfsgerechten Betrieb. Dieses Direktvermarktungsmodell eignet sich auch unabhängig von der Echtzeitwälzung als optionale Alternative zum Marktprämienmodell. A Die finanzielle Wälzung Mit dem EEG 2009 wurde der Ausgleichsmechanismus des EEG geändert und im Jahr 2010 auf die sogenannte finanzielle Wälzung umgestellt. In der bis dahin geltenden physischen Wälzung mussten die Vertriebe den Übertragungsnetzbetreibern den nach dem EEG eingespeisten und vergüteten Strom anteilig in Form von Grundlastbändern abkaufen. Die „Veredelung“ des tatsächlichen Einspeiselastgangs zum gewälzten Grundlastband übernahmen dabei die Übertragungsnetzbetreiber, wobei die Kosten, die bei dieser „Veredelung“ entstanden, reichlich intransparent waren. Der zwangsweise Einkauf dieses Grundlaststroms führte bei den einzelnen Vertrieben zu unterschiedlichen Differenzkosten zu dem übrigen, von ihnen am Markt eingekauften Strom, die sie als EEG-Umlage gegenüber den Kunden ausgewiesen haben. Im Ergebnis wiesen alle Versorger unterschiedliche EEG-Umlagen aus, die ebenfalls intransparent waren, dem Kunden gegenüber aber als nicht beeinflussbar ausgegeben wurden. Seit der Umstellung auf die finanzielle Wälzung verkaufen die Übertragungsnetzbetreiber den nach dem EEG eingespeisten und vergüteten Strom in der Day-ahead-Aktion der EPEX Spot SE in Paris und wälzen nur noch die finanzielle Differenz zwischen ausgezahlten EEG-Vergütungen und Verkaufserlösen am Spotmarkt in Form der deutschlandweit einheitlichen EEG-Umlage1 an die Stromvertriebe, die sie wiederum an ihre Kunden weitergeben. Diese finanzielle Wälzung, deren Ziel die Schaffung von mehr Transparenz durch eine streng regulierte Vermarktung des EEG-Stroms durch die Übertragungsnetzbetreiber und eine für alle (nicht privilegierten) Stromkunden einheitliche EEG-Umlage war, hat mehrere Nachteile. I. Scheinbar transparente EEG-Umlage gefährdet die Akzeptanz der Energiewende Da die EEG-Umlage im Wesentlichen die Differenz zwischen den ausgezahlten EEG-Vergütungen und den Vermarktungserlösen für den eingespeisten Strom darstellt, ist sie nicht nur von der Menge und der Vergütungshöhe des Erneuerbaren Stroms, sondern eben auch von den Vermarktungserlösen, also der Höhe des (Spot-) Marktpreises abhängig. Dieser sinkt aber mit zunehmender Einspeisung von Strom aus EEG-Anlagen, da nicht in gleichem Maße konventionelle Erzeugungskapazitäten aus dem Markt gehen, wie neue, erneuerbare hinzugebaut werden, und damit Überkapazitäten entstehen. Marktwirtschaftlich ist das wenig überraschend. (siehe Abb. 1) Für die Stromverbraucher ist dieser Zusammenhang im Grunde unproblematisch, weil ein sinkender Börsenstrompreis zwar eine Erhöhung der EEG-Umlage bewirkt, im Ergebnis aber die Summe aus Großhandelspreis für den Strom plus EEG-Umlage in den vergangenen Jahren nahezu konstant geblieben ist. Das Problem ist jedoch, dass die EEG-Umlage scheinbar transparent die Kosten des Ausbaus der Erneuerbaren Energien widerspiegelt. Die Bekanntgabe der EEG-Umlage für das Folgejahr durch die Übertragungsnetzbetreiber im Oktober, die stets eine große mediale Aufmerksamkeit Abbildung 1: Entwicklung des Börsenstrompreises 2008–2013 Der Autor ist „Leiter Energiepolitik“ der Clean Energy Sourcing AG, Leipzig. E-Mail: [email protected] 1. In die Berechnung der EEG-Umlage gehen neben der Differenz zwischen ausgezahlter EEG-Vergütung und Vermarktungserlös noch weitere Positionen wie Prognose- und Ausgleichsenergiekosten und Erlöse für vermiedene Netzentgelte ein. * Hölder: Echtzeitwälzung – Erneuerbaren Strom in den Wettbewerb um Kunden integrieren … ZNER 2014, Heft 1 15 Abbildung 2: Zeitungsberichte zur Bekanntgabe der EEG-Umlage 2014 erfährt, ist stets ein Anlass für Preiserhöhungen der Stromversorger, die von den Kunden aufgrund der Berichterstattung über die „explodierenden Kosten“ der Erneuerbaren Energien kaum hinterfragt werden. Trotz vereinzelter Berichte über den Preisrückgang an der Strombörse wird der Anstieg der EEG-Umlage mit Mehrkosten für die Stromkunden gleichgesetzt, wie die Berichte in Abbildung 2 zeigen. Damit gefährdet die scheinbare Transparenz der EEG-Umlage die Akzeptanz der Energiewende. II. Hoher Anteil an nicht beeinflussbaren Kosten gefährde den Wettbewerb im Endkundenmarkt Die mit sinkendem Großhandelspreis steigende EEG-Umlage bewirkt jedoch auch, dass die Stromversorgung zunehmend zu einem Inkasso von Umlagen wird und für Preiswettbewerb immer weniger Spielraum bleibt. Wie in Abbildung 3 illustriert beruhen bereits 70 % des Haushaltsstrompreises auf Umlagen und Steuern, die der Stromversorger nicht beeinflussen kann. Dazu gehören auch die Netzentgelte. Nur 30 % des Preises, nämlich die Strombeschaffung sowie seine Vertriebskosten und die Marge, kann er beeinflussen. Ein Unterschied im Gesamtpreis von zehn Prozent erfordert damit eine Differenz von mehr als 35 % in den beeinflussbaren Kosten. Dadurch bleibt mit sinkendem Börsenpreis und steigender EEGUmlage immer weniger Spielraum für einen echten (Preis-)Wettbewerb. III. (Verpflichtende) Marktprämien-Direktvermarktung ändert nichts am Problem der EEG-Umlage Das Marktprämienmodell basiert ebenfalls auf der Vermarktung des in den EEG-Anlagen erzeugten Stroms in der Day-aheadAuktion des Spotmarkts der EPEX Spot SE in Paris. Durch die gleitende Marktprämie wird dem Anlagebetreiber die Differenz zwischen dem Spotmarktwert des Stroms („Marktwert“) und der EEG-Vergütung, die ihm im Einspeisevergütungsmodell zugestanden hätte, vergütet. Wenn er, bzw. sein Vermarkter, den Strom also am Spotmarkt der EPEX Spot veräußert, erzielt er in der Summe aus Verkaufserlös und Marktprämie das gleiche Ergebnis wie bei Abbildung 3: Zusammensetzung des Haushaltsstrompreises 2013 der Einspeisevergütung. Zusätzlich erhält er die Managementprämie, die einen pauschalen Ausgleich für die Kosten der Handelsanbindung, der Prognoseabweichungen (Ausgleichsenergie) sowie ggf. der Fernsteuerungsanbindung darstellt. Die Kosten für die Markt- und Managementprämie werden als Teil der EEG-Umlage ebenfalls über die Vertriebe auf die nicht privilegierten Stromkunden gewälzt (siehe Abb. 4). Aus Sicht des Strommarktes besteht damit zunächst kein Unterschied zwischen der Einspeisevergütung und der Direktvermarktung mit der gleitenden Marktprämie. In beiden Fällen wird der Strom am Spotmarkt verkauft und die Differenz zu den Einspeisevergütungen über die EEG-Umlage gewälzt. Am oben dargestellten Zusammenhang zwischen Marktpreis und EEG-Umlage ändert sich dadurch nichts. B Die Terminmärkte sind die Leitmärkte der Stromwirtschaft An den Terminmärkten sichern sich die Stromkunden bzw. Stromvertriebe und die Betreiber konventioneller Kraftwerke auf einen Horizont von ein bis drei Jahren im Voraus ab. Die Stromerzeuger kalkulieren ihre Preise auf Basis von Terminmarktprodukten und sichern den Kundenlastgang entsprechend ein bis drei Jahre im Voraus über den Kauf von Terminprodukten ab. Die Kraftwerksbetreiber ihrerseits verkaufen die geplante Stromproduktion ihrer Kraftwerke mehrere Jahre im Voraus („auf Termin“). Damit sichern beide ihre Margen (zwischen Verkauf und Einkauf bei den Vertrieben und zwischen Stromverkauf und Brennstoffkosten bei den Kraftwerken) ab. An den Spotmärkten werden von den Kraftwerksbetreibern und Vertrieben dann nur noch die Abweichungen zwischen den kurzfristigen Verbrauchs- bzw. Produktionsprognosen und den auf Termin ge- bzw. verkauften Strommengen ausgeglichen. Die nachstehende Abbildung 5 verdeutlicht diese grundlegenden Zusammenhänge. In der Konsequenz bedeutet dies, dass die Käufer der über den Spotmarkt verkauften EEG-Strommengen, unabhängig davon, ob diese von den Übertragungsnetzbetreibern oder von anderen Akteuren nach dem Marktprämienmodell vermarktet werden, in erster Linie die Kraftwerksbetreiber sind. Sobald die Preise am Spotmarkt 16 ZNER 2014, Heft 1 Hölder: Echtzeitwälzung – Erneuerbaren Strom in den Wettbewerb um Kunden integrieren … Abbildung 4: Direktvermarktung nach dem Marktprämienmodell und Vermarktung durch die Übertragungsnetzbetreiber die variablen Kosten der Stromerzeugung ihrer Kraftwerke (Grenzkosten) unterschreiten, ist es für sie vorteilhaft, ihre Kraftwerke zu drosseln oder abzuschalten und die Terminkontrakte mit am Spotmarkt billiger zugekauftem Strom zu erfüllen (siehe Abb. 6). Gleichzeitig müssen die Übertragungsnetzbetreiber und die Direktvermarkter „mit offenem Orderbuch“ und zu fast jedem Preis verkaufen. Ihr Gebotsverhalten unterliegt transparenten Rationalitäten und ist für die anderen Marktteilnehmer auf Basis von Wetterprognosen leicht abschätzbar. Nur im Falle stark negativer Preise, wenn der Preis am Spotmarkt den negativen Wert der (erwarteten) Marktprämie unterschreitet, ist es für die Vermarkter wirtschaftlich vorteilhafter, die EEG-Anlagen abzuschalten und den Anlagenbetreiber für den nicht erzeugten Strom zu entschädigen, anstatt den Strom am Spotmarkt unter Zuzahlung zu „verkaufen“. Die damit verbundene Verhinderung stark negativer Strompreise am Spotmarkt – also von Preisen unterhalb von ca. - 7 ct/kWh – und die resultierende Kosteneinsparung für das EEG-Konto sind im Übrigen die wesentlichen Argumente für das Marktprämienmodell. C Marktintegration von Strom aus Erneuerbaren Energien durch Stromvertriebe Stromvertriebe sind die zentralen Akteure der Stromwirtschaft. Sie haben ausgezeichnete Möglichkeiten, Strom aus Erneuerbaren Energien in den Markt zu integrieren. Sie kennen die Bedürfnisse und das Verbrauchsverhalten ihrer Kunden, weil sie letzteres jeden Tag für die Strombelieferung prognostizieren müssen. Als Schnittstelle zwischen Erzeugung, Verbrauch und Großhandel steht ihnen eine breite Palette von Instrumenten zur Verfügung, um die unstete Stromproduktion aus Wind und Sonne auszugleichen. Dazu gehören nicht nur die Großhandelsmärkte in ihrer gesamten Breite, sondern auch die Beeinflussung der Erzeugungsseite über die Steuerung von dezentralen EEG- und KWK-Anlagen, der Einsatz von Stromspeichern und das Lastmanagement, also die Beeinflussung des Verbrauchsverhaltens ihrer Kunden. Ganz besonders bei der Hebung der Flexibilitätspotenziale auf der Verbraucherseite, also beim Lastmanagement und der Steuerung von Eigenerzeugungsanlagen, kommt den Vertrieben eine Schlüsselrolle zu (siehe Abb. 7). Gleichzeitig haben die Vertriebe heute nichts mit der Integration des Stroms aus Erneuerbaren Energien zu tun. Weder im Falle der Vermarktung des eingespeisten Stroms durch die Übertragungsnetzbetreiber, noch im Falle der Direktvermarktung mit der Marktprämie. Durch die oben beschriebene Wirkungsweise der Marktprämie besitzt Marktprämienstrom zu jedem Zeitpunkt den Wert des Spotmarktpreises. Das bedeutet, dass eine Vermarktung des Marktprämienstroms an einem anderen Markt als dem Spotmarkt eine Spekulation zwischen dem Spotmarkt und dem anderen Markt darstellt und nichts mit der Direktvermarktung zu tun hat. Diese Spekulation könnte genauso vorgenommen werden, indem Strom am Spotmarkt gekauft und an dem anderen Markt verkauft wird. Die Direktvermarktung von EEG-Anlagen ist dafür nicht erforderlich und stellt auch keinen Vorteil dabei dar. Das ist der grundlegende Unterschied zwischen der Vermarktung von Marktprämienstrom und von Strom aus anderen Kraftwerken. Bei diesen sind die Kosten der Stromerzeugung bekannt, so dass durch eine Vermarktung am Terminmarkt die Margen gegen sinkende Preise abgesichert werden können2. Beim Marktprämienstrom sind die Erzeugungskosten zwar auch bekannt, nicht bekannt sind aber die Höhe der Marktprämie, die erst im Nachhinein ermittelt wird, und damit die Differenz aus Erzeugungskosten und Marktprämie, die über den Vermarktungserlös gedeckt werden muss. Natürlich kann nun ein Direktvermarkter dennoch den Strom, den er nach dem Marktprämienmodell vermarktet, zur Belieferung von Stromkunden verwenden. Die für ein bis drei Jahre festen Preise für die Kunden muss er aber auf Basis der Terminmärkte kalkulieren und absichern, da er nicht weiß, was ihn der Marktprämienstrom in der Zukunft kosten wird. Das bedeutet aber, dass er zum Erfüllungszeitpunkt jeweils um die Marktprämienstrommenge „überdeckt“ ist und Strom in dieser Menge am Spotmarkt verkaufen muss. Es bleibt also dabei, dass die Kundenbelieferung und die Marktprämienvermarktung wirtschaftlich getrennte Geschäfte sind, auch wenn die Strommengen dabei vermischt werden können. Würde die Absicherung des Kundenabsatzes auf Termin unterbleiben, würde noch ein drittes, wirtschaftlich wiederum unabhängiges Geschäft, nämlich die Spekulation zwischen Spot- und Terminmarkt hinzukommen. D Vorschlag für ein alternatives Wälzungsmodell Die geschildeten Zusammenhänge legen es nahe, den Wälzungsmechanismus und die Vermarktung des EEG-Stroms so weiterzuentwickeln, dass der Strom aus EEG-Anlagen in die langfristigen Portfolien der Stromvertriebe integriert werden kann. Dadurch werden die wirtschaftlichen Anreize für die Suche nach Ausgleichsmöglichkeiten durch die Stromvertriebe geschaffen. I. Echtzeitwälzung Dazu wird der Ersatz der finanziellen Wälzung durch eine möglichst kurzfristige physische Wälzung der tatsächlichen Erzeugung der EEG-Anlagen („Echtzeitwälzung“) vorgeschlagen. Bei dieser prognostizieren die Übertragungsnetzbetreiber wie bisher die Erzeugung der EEG-Anlagen, verkaufen die Erzeugung aber nicht am Spotmarkt, sondern anteilig an die Vertriebe, die nicht privilegierte Letztverbraucher versorgen. Im Unterschied zur bis 2009 praktizierten physischen Wälzung werden aber keine Grundlastbänder, sondern die tatsächlichen Einspeiselastgänge als Fahrpläne mit ei2. Das gilt für konventionelle Kraftwerke genauso wie für KWK-Anlagen, die nach dem KWKG mit einem festen KWK-Zuschlag gefördert werden, und für EEG-Anlagen, die nach dem Grünstromprivileg oder im Wege der sonstigen Direktvermarktung vermarktet werden. Hölder: Echtzeitwälzung – Erneuerbaren Strom in den Wettbewerb um Kunden integrieren … Abbildung 5: Kraftwerksbetreiber und Stromvertriebe sichern sich auf den Terminmärkten ab ner möglichst kurzen Vorlaufzeit gewälzt. Das bedeutet, dass jeder Vertrieb einen Teil der unsteten Erzeugung aus Windenergie- und Solaranlagen aufnehmen und in sein Portfolio integrieren muss. Die Prognosen für die erwartete Erzeugung werden den Vertrieben von den Übertragungsnetzbetreibern im Vorfeld fortlaufend zur Verfügung gestellt, damit diese im Portfoliomanagement berücksichtigt werden können (siehe Abb. 8). Der Preis für den gewälzten Strom wird jährlich oder besser monatlich im Voraus festgelegt und ergibt sich aus den Vergütungszahlungen an die Anlagenbetreiber und den Abwicklungskosten der Übertragungsnetzbetreiber. Zu diesen gehören auch die Ausgleichsenergiekosten für die Abweichungen zwischen den gewälzten Fahrplänen (Einspeiseprognosen) und der tatsächlichen Einspeisung, die von den Übertragungsnetzbetreibern getragen werden. Auf diese Weise wird auch die systemfremde Rolle der Übertragungsnetzbetreiber als Stromhändler beendet. Sie übernehmen nur noch die Abwicklung der Wälzung bestehend aus Prognose, Fahrplanerstellung und Tragung der Ausgleichsenergiekosten. Aber auch diese Tätigkeiten könnten ausgeschrieben und an einen Dienstleister vergeben werden, um die Übertragungsnetzbetreiber vollkommen von sachfremden Aufgaben zu entlasten. II. Direktvermarktung Die Echtzeitwälzung soll die Direktvermarktung nicht ersetzen. Diese ist unabhängig vom Wälzungsmechanismus sinnvoll und wichtig, weil durch die direkte Vertragsbeziehung zwischen Anlagenbetreiber und Vermarkter die Anlagenbetreiber an die Stromwirtschaft herangeführt werden und in der Direktvermarktung die Anlagenbetreiber zusammen mit den Vermarktern Verantwortung für Prognose, Fahrpläne und Vermarktung übernehmen. Außerdem können EEG-Anlagen in der Direktvermarktung Regelenergie anbieten und damit konventionelle Must-run-Kraftwerke ersetzen. Für die Vertriebe entstehen die Möglichkeiten, Anlagen- und Kundenportfolien aufeinander abzustimmen, indem beispielsweise bei peaklastigen Portfolien eher PV- als Windenergieanlagen genutzt werden, sowie steuerbare Anlagen bedarfsgerecht zu betreiben und damit zum Ausgleich der fluktuierenden Erzeugung aus Wind und Abbildung 7: Stromvertriebe können Flexibilitäten als Teil ihres Portfolios managen ZNER 2014, Heft 1 17 Abbildung 6: Käufer des am Spotmarkt veräußerten EEGStroms sind in erster Linie die Kraftwerksbetreiber Sonne zu nutzen. Direktvermarktung sollte daher für Bestands- wie für Neuanlagen nicht die Ausnahme, sondern die Regel sein. Ein Direktvermarktungsmodell könnte daher so gestaltet werden, dass Vertriebe sich freiwillig dafür entscheiden können, anstatt an der Echtzeitwälzung teilzunehmen, – einen Mindestanteil an Strom aus EEG-Anlagen zu beziehen, der dem Anteil des insgesamt in Deutschland eingespeisten Stroms am nicht privilegierten Letztverbraucherabsatz in Deutschland entspricht, – einen Mindestanteil an Strom aus Wind und PV zu beziehen, der dem Anteil des insgesamt in Deutschland eingespeisten Stroms aus diesen Energieträgern am nicht privilegierten Letztverbraucherabsatz in Deutschland entspricht und – zur Einhaltung dieser Anteile Strom zu verwenden, der andernfalls dem EEG-Konto Kosten in Höhe der durchschnittlichen Kosten des EEG-Stroms verursacht hätte. Dieses als Kundenmarktmodell bezeichnete Direktvermarktungsmodell könnte auch im System der finanziellen Wälzung als optionale Alternative zum Marktprämienmodell eingeführt werden. Es würde Vertrieben erlauben, Strom aus EEG-Anlagen außerhalb des EEG-Umlagesystems zu vermarkten und den Strom unter Erhaltung der Ökostromqualität an Stromkunden zu liefern. Das Modell stellt dabei sicher, dass es im EEG-Umlagesystem keine Mehrkosten verursacht und dass die Vertriebe, die es umsetzen, durch die Integration eines hohen Anteils an Wind- und Solarenergieanlagen einen besonderen Beitrag zum Ausgleich dieser unsteten Erzeuger leisten. III. Auswirkungen der Echtzeitwälzung Auch wenn im Kapitel C bereits die Möglichkeiten, die Vertrieben zur Integration von Strom aus Erneuerbaren Energien zur Verfügung stehen, erläutert wurden, sollen die energiewirtschaftlichen Auswirkungen im Folgenden noch einmal kurz diskutiert werden. Durch die Echtzeitwälzung wird die Fluktuation Bestandteil des Portfoliomanagements und damit Teil des Kerngeschäfts der Vertriebe. Sie kennen die Strommengen, die sie jährlich/monatlich aus der Echtzeitwälzung bzw. der Direktvermarktung von Winde- 18 ZNER 2014, Heft 1 Hölder: Echtzeitwälzung – Erneuerbaren Strom in den Wettbewerb um Kunden integrieren … Abb. 8: Schematische Darstellung der Echtzeitwälzung nergie- und PV-Anlagen zu erwarten haben, sowie deren Kosten, sie wissen jedoch nicht, wann genau sie diese Strommengen aufnehmen müssen. Dadurch entsteht für sie der Anreiz, nach der kostengünstigsten Möglichkeit zum Ausgleich zu suchen. Über den Stromhandel können offene Positionen sukzessive mit besser werdenden Prognosen geschlossen werden (mehrere Tage vorher bis Intraday). Die Vermarktung des EEG-Stroms wird entzerrt und nicht auf die Day-ahead-Auktion fokussiert. Gleichzeitig sind die Kosten, die durch den Ausgleich der unsteten Erzeugung aus Wind und Sonne entstehen (energiewirtschaftlich werden diese als Strukturierungskosten bezeichnet) ein Maß für den Wert von anderen Flexibilitätsoptionen, mit denen der Vertrieb den Ausgleich ebenfalls vornehmen kann: Bedarfsgerechter Betrieb von dezentralen EE- und KWK-Anlagen, Lastmanagement und Speicher. Es entsteht Wettbewerb um den kostengünstigsten Ausgleich der fluktuierenden Einspeisung aus Wind und Sonne. Und dieser Wettbewerb wird Teil des Wettbewerbs um die Stromkunden. An Stelle des Inkasso der EEG-Umlage wird im Vergleich zu heute etwa ein doppelt so großer Teil des Strompreises beeinflussbar und dem Markt unterworfen. Dadurch werden Markt und Wettbewerb in der Stromversorgung gestärkt und es entsteht eine Nachfrage nach Flexibilität, die damit einen Preis bekommt. Gleichzeitig sind mit der Echtzeitwälzung keine Mikrooptimierung und keine Schwächung der Strombörsen verbunden. Der Großhandel stellt stets eine Flexibilitätsoption dar, die mit anderen, „internen“ Optionen wie Lastmanagement oder Anlagensteuerung wirtschaftlich im Wettbewerbn steht. Im Gegenteil, der Stromhandel wird gestärkt, weil nicht nur der Spotmarkt genutzt wird. IV. Risikomanagement Durch die Echtzeitwälzung der fluktuierenden Erzeugung entstehen im Portfolio der Vertriebe neue Preis- und Mengenrisiken. Diese Risiken und die damit verbundenen, befürchteten Risikoaufschläge sind das zentrale Argument der Gegner dieses Modells. Dabei ist aber zu beachten, dass die Fluktuation und die damit zusammenhängenden Risiken integraler Bestandteil des künftigen Stromversorgungssystems sein werden und dass alle Akteure der Stromwirtschaft lernen müssen, diese Risiken zu beherrschen. Auf der anderen Seite zeigen die Marktakteure, die bisher das sogenannte Grünstromprivileg nach § 39 EEG umsetzen, dass die Risiken beherrschbar sind. Durch eine schrittweise Verkürzung der Vorlauffrist bei der Wälzung könnten in der praktischen Umsetzung außerdem die Portfoliomanager an den Umgang mit der Fluktuation und an die damit verbundenen Risiken herangeführt werden. Der Wettbewerb zwischen den Stromversorgern wird andererseits dafür sorgen, dass die Risikoaufschläge, die diese in ihre Preise einkalkulieren können, auf ein Minimum begrenzt bleiben, so dass nicht zu erwarten ist, dass die Echtzeitwälzung zu Preiserhöhungen für die Stromkunden führt. V. Transparenz Durch die Abschaffung der finanziellen Wälzung entfällt die EEGUmlage. Die (betriebswirtschaftlichen) Mehrkosten der Erneuerbaren Energien gegenüber der konventionellen Stromerzeugung werden Teil der Strombeschaffung der Vertriebe. Dies bedeutet aber nicht, dass gegenüber den Stromkunden keine Transparenz hinsichtlich der Kosten der Förderung der Erneuerbaren Energien hergestellt werden könnte. Statt der scheinbar transparenten EEGUmlage können die Versorger den Preis und den Anteil des Stroms, den sie im Rahmen der Echtzeitwälzung aufnehmen mussten, und damit die Beschaffungskosten für den EEG-Stromanteil in den Stromrechnungen ausweisen. Beide Positionen (Anteil und Preis) sind für alle Vertriebe in Bezug auf die nicht privilegierte Kunden gleich und können von den Übertragungsnetzbetreibern veröffentlicht werden. Jeder Kunde kann dann erkennen, wieviel sein Versorger für den Einkauf des EEG-Stroms ausgeben musste. Ein Ausweis der individuellen Differenzkosten als scheinbar transparente „EEG-Umlage“ wie in der früheren phyischen Wälzung sollte dagegen nicht zugelassen werden.