Perlen mit Ecken und Kanten

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Stadtanzeiger
reisefieber
Dienstag, 16. Juni 2009
Perlen mit Ecken und Kanten
Kalabrien ist eine Region mit
reicher Kultur und Landschaft.
Der Bevölkerung fällt es aber
schwer, diesen Reichtum zu
nutzen. Wer die Region besucht,
findet einen urchigen Teil
Italiens, die im Tourismus ihre
grosse Chance wittert.
Tropea (Kalabrien, Italien): Es ist morgen um neun Uhr in der Altstadt von
Tropea, einer Küstenstadt in Kalabrien. Alle 30 Sekunden ertönt irgendwo
eine Autohupe. Ein Piaggio Ape, eine
Mischung zwischen einem Roller und
einem Lastwagen mit drei Rädern, biegt
um die Ecke und hält vor einem Laden mit Sonnenhüten, Schwimmflossen und Esswaren. Zwei Männer mit
Zigarren zwischen den Lippen steigen
aus und laden Kisten mit roten Zwiebeln von ihrem Fahrzeug in den Laden. Kleine Fenster mit Bildern der
heiligen Maria sind in die Hauswände eingelassen. «Prodotti Tippici», ruft
ein kleiner Kalabrese mit lederbrauner
Haut, Schnauz und Zahnlücke aus seinem Spezialitäten-Laden. Er preist den
Touristen seine Gewürzmischungen
und Chillischoten an. Die Atmosphäre macht Tropeas Ruf als «Perle des
Tyrrhenischen Meers» alle Ehre.
Das «ursprüngliche Italien»
Kalabrien wird in den Reisekatalogen
als das «ursprüngliche Italien» angepriesen. Wer mit dem Auto unterwegs
Der dreirädrige Kleinlaster mit TöffLenkstange prägt das Strassenbild.
13
kostprobe
Caponata
Caponata wird in Süditalien und Sizilien als Vorspeise gegessen. Jeder
Koch hat den eigenen Trick für seine
Caponata. Beim Kalabresen Francesco De Luca ist es die Zutat Kakao.
▪ Zutaten und Zubereitung:
3 Auberginen
3 Peperoni
(in Würfel schneiden, mit Olivenöl
anbraten und beiseitestellen)
wenig Stangensellerie
2–3 Schalotten
50 Gramm geschälte Tomaten
Basilikum
(20 Minuten unter ständigem Rühren in etwas Olivenöl kochen)
Auberginen und Peperoni wieder
hinzufügen.
(5 bis 10 Minuten auf kleinem
Feuer kochen)
1 EL Zucker
1 EL Weissweinessig
1 EL Pinienkerne
1 EL Rosinen
1 TL gemahlene Mandeln
½ TL Kakao
(hinzufügen)
Die Vorspeise bei Zimmertemperatur geniessen!
Die Kirche Santa Maria dell’Isola auf einem Felsen vor der Stadt Tropea ist ein beliebter Ort für Hochzeiten. Bilder: les.
ist und die Schlaglöcher in der Strasse
mitzählt, versteht diesen Spruch nochmals ganz neu. Viele Häuser entlang
der Strassen sind nicht ganz fertig gebaut, sei es, weil den Eigentümern das
Geld ausgegangen ist oder weil sie davon profitieren möchten, dass unfertige
Häuser weniger Steuern kosten. Die
Autobahn ist eine einzige Baustelle, was
noch mindestens zwei Jahre so bleibt.
Kalabrien ist eine der ärmsten Regionen
Italiens. Die Arbeitslosenquote ist hoch
und viele junge Kalabresen wandern
nach Norditalien oder ins Ausland aus.
Giovanni Gallisto, ein Kellner, der mit
seiner Familie in der Altstadt von Tropea lebt, erklärt: «Die meisten meiner
Jugendfreunde sind irgendwann weggezogen. Früher war das normal.»
Heute ändere sich dies langsam, erklärt er, denn der Tourismus nehme
stetig zu. Es wurden hier Sprachschulen für Touristen gegründet und diverse
Hotels sind entstanden. Gallisto glaubt,
dass dies für die Region nicht nur ökonomisch, sondern auch kulturell wichtig ist. «Die Kalabresen kommen dadurch nun auch in den Kontakt mit anderen Kulturen», sagt er. Dies rege sie
an, auch über sich selbst nachzudenken, worin seiner Einschätzung nach
auch die Chance für Kalabrien liege:
«Die Wurzeln sind zwar dieselben, aber
die junge Generation baut auf diesen
Wurzeln etwas auf».
Industrie und Glauben
In der Saison zwischen Mai und Oktober arbeiten viele Kalabresen in den
Hotels und Restaurants oder verkaufen Spezialitäten und Postkarten. In den
Wintermonaten ist es ruhig in Kalab-
rien. Manche gehen einer handwerklichen Arbeit nach, andere leben einige
Monate von dem, was sie in der Saison
gespart haben oder von der Arbeitslosenkasse. Neben dem Tourismus arbeiten die Kalabresen in der Landwirtschaft oder in der Fischerei. Versuche, in
dieser Region eine Industrie aufzubauen, sind gescheitert. Ein Grund dafür
ist die kalabresische Mafia «Ndragheta», die über viel Einfluss verfügt und
in deren Händen viele Investitionen für
den wirtschaftlichen Aufbau der Region
verschwunden sind. Die Touristen sind
in Kalabrien aber gerade deshalb sicher,
weil die Organisation ein Interesse daran
hat, dass die zahlenden Gäste aus dem
Ausland wiederkommen. Lena Sorg
Diese ausführliche Reisereportage wurde mit
Unterstützung der FTI Touristik AG realisiert.
www.fti.ch
Hotel-Restaurant Ruralia:
Francesco De Luca führt der in der Nähe von
Tropea das Hotel-Restaurant Ruralia. Dies ist
ein «Agritourismo», eine kleine Unterkunft
auf den Land, die sich für Individualreisen
bestens eignet.
apropos
Skifahren in Kalabrien
Kalabrien lässt sich sowohl in Küsten- als auch in Bergregionen unterteilen. Obwohl kein Punkt in Kalabrien weiter als 40 Kilometer Luftlinie vom Meer entfernt ist, hat die
Region mit den Gebirgsmassiven
Sila, Pollino und Aspromonte Berge
von bis über 2000 Metern Höhe. Im
Winter ist es deshalb möglich, in Kalabrien Ski zu laufen. Die Berge eignen sich zudem auch für Aktivferien
im Sommer, denn die Temperaturen
sind jeweils rund zehn Grad kühler
als an der Küste. les.
Kalabresisches in Winterthur Der Schwertfischfang mit grosser Tradition
Winterthur: In der Steiggasse in Winterthur stehen einige Kisten frische
Früchte und Gemüse. Auf beiden Seiten davon ist ein Eingang. Der eine
führt in einen kleinen Friseursalon, in
dem ein alter Radio läuft und einige
Italienerinnen die Frisuren der Kundschaft in Form schneiden. Der zweite
Eingang führt in den Spezialitäten-Laden «Italianità». Wer hier eintritt, findet sich zunächst alleine zwischen den
verschiedensten Sugo-Gläsern, eingelegtem Gemüse, Olivenöl und Wein. Sofort kommt eine der Coiffeusen aus dem
Nebenraum, berät und tippt schliesslich
den Preis der Waren in die Kasse. Auch
Bruno Ernesto, der Inhaber des Ladens,
frisiert und verkauft, wenn er nicht ge-
rade in Kalabrien zu seinen Olivenbäumen schaut.
Der gelernte Friseur ist in den 60er
Jahren zusammen mit seiner Frau
und deren Familie von einem kleinen
Dorf an der Thyrrenischen Küste nach
Winterthur ausgewandert. Mit seiner
Schwägerin Maria Theresa Ippolito hat
er vor 30 Jahren den Friseursalon aufgemacht. 2006 kam der Spezialitäten-Laden hinzu. Einen Teil der Produkte stellt
die Familie selbst her, wie beispielsweise das Olivenöl. Anderes kauft sie von
Produzenten in Kalabrien ein. «Wir haben zum Beispiel Schokolade mit Feigen
und Pepperoncini, die ein ehemaliger
Schulkollege von Bruno in seiner Konditorei herstellt», sagt Ippolito. les.
Scilla: Wer Kalabrien im Mai/Juni
besucht, kann in einigen Fischerdörfern den Schwertfischfang beobachten.
In diesen Monaten tummeln sich die Fische nahe an der Küste, um sich zu paaren. Seit über 2000 Jahren fischen die
Kalabresen den Schwertfisch mit besonderen Booten: Auf einem bis zu 20 Meter
hohen Masten steht ein Fischer, der die
Wasser­ober­fläche absucht. Dieser lenkt
sein Boot dann in die entsprechende
Richtung. Mit einer Harpune versuchen
die Fischer, die Schwertfische zu erlegen.
Auf diese Art kann ein Schiff etwa zehn
Fische am Tag aus dem Meer ziehen. Die
Tradition wird von den Vätern an die
Söhne weitergegeben und wird von der
EU finanziell unterstützt. les.
Ein Boot mit Schwertfischern wendet vor der Küste des Dorfs Scilla. Bild: les.
typisch kalabresische produkte
weitere informationen
Cipolla di Tropea
Pecorino
Nduja
Tartuffo Gelato
An jeder Ecke in Kalabrien sieht man
Zöpfe aus roten Zwiebeln, Cipolle
di Tropea. Diese Zwiebeln sind süsslich und mild. Die Kalabresen erzählen
stolz, dass der Anbau dieses Gemüses
in der Region schon 4000 Jahre Tradition habe. Die Zwiebel wird auch zu
allerlei Produkten weiterverarbeitet.
Sehr bekannt ist die Zwiebelmarmelade, die zu Fleisch, Brot oder Käse gegessen wird.
Auf dem Monte Poro, einem 700 Meter hohen Berg in der Nähe der Küste, weiden die Schafe, aus deren Milch
Pecorino, ein italienischer Hartkäse,
hergestellt wird. Die Kalabresen sagen, ihr Pecorino sei der beste in Italien – wegen der besonderen Kräuter
auf dem Monte Poro. Der Käse wird
nach 60 Tagen Reifezeit gegessen. Zum
Pecorino passt ein Brötchen mit Zwiebelmarmelade.
Aus Pepperonccini und Schweinefleisch bereiten die Kalabresen eine
weiche Wurst zu. Sie heisst Nduja. Die
Nduja hat ihren Ursprung ganz im
Süden der Region, im Dörfchen
Spilinga. Die Wurst sieht aus wie Salami und streicht sich wie Konfitüre. Sie
wird oft auf Brötchen serviert oder
dient als Zutat in Spaghettisaucen. Sie
schmeckt, je nach Sorte, ziemlich bis
extrem scharf.
Als der Prinz von Savoyen in den
40er-Jahren zu Besuch ins Küstendorf
Pizzo kam, wollten ihn die lokalen
Confiseure mit einem Dessert überraschen. Sie haben deshalb das Tartuffo-Eis kreiert, das wie ein Trüffel
aussieht. Dabei wird eine Kugel aus
Haselnuss- und Schokoladeneis mit
flüssiger Schokolade gefüllt. Die Kugel wird von Hand verschlossen und
in Kakao und Zucker gedreht. les
Kalabrien ist die südlichste Region des italienischen Festlands und
eine der sonnigsten Europas. In den
fünf Provinzen Kalabriens leben
zwei Mio. Menschen. Die Hauptstadt ist Catanzaro. Kalabrien
ist umgeben von 800 Kilometern
Küste. Während im Westen steile
Klippen ins Tyrrhenische Meer fallen, ist das Ufer des Ionischen Meers
im Osten flach. Sandstrände findet man an beiden Küsten. les
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