SEITE D4 NR. 276 FITNESS F R E I T A G , 2 7. N O V E M B E R 2 0 1 5 Auf wackeligen Beinen Ältere Menschen bewegen sich in der Regel nicht genug. Dadurch verlieren sie bis zum 70. Lebensjahr bis zu 40 Prozent ihrer Muskelmasse. Der Gang wird unsicher, das Sturzrisiko steigt deutlich. Doch auch Senioren können von einem Krafttraining noch profitieren. Krafttraining wirkt auch im Alter Wunder Nur mit einer leistungsfähigen Muskulatur können Senioren ihre Mobilität erhalten schwund. Gespannte Muskeln üben auf die Knochen, an denen sie über Sehnen verankert sind, xperten verweisen im- starke Zugkräfte aus. Diese memer wieder darauf, dass chanischen Reize fördern das regelmäßiges Krafttrai- Knochenwachstum. Der Minening schon in früheren ralgehalt der Knochen und die Jahren die beste Vorbeugung ge- Knochendichte werden erhöht. gen schleichenden Muskel- Doch das gilt vor allem in jungen schwund und Mobilitätsverlust Jahren. Im Alter wird zumindest im Laufe des Lebens ist. Doch ein weiterer Abbau der Knochenselbst wenn man über viele Jahre substanz verhindert. Die Forhinweg körperlich träge war und schung der Erlanger Wissenals völlig untrainiert gilt, kann schaftler zeigt, dass auch im Alter man im Alter noch von einem re- ein Krafttraining anstrengen gelmäßigen Muskeltraining pro- muss, um den gewünschten Erfitieren. Schon vor einigen Jah- folg zu erzielen. Bei schwacher Muskulatur reichen ren hatte eine Studie dafür anfangs aber des Zentrums für Reschon geringe Gehabilitation und Alwichte aus. Die Extersforschung in Rosperten sprechen klalindale, USA, gezeigt, re Empfehlungen dass 85- bis 95-jähriaus. „Ein Krafttraige Frauen, die an eining muss regelmänem Krafttraining ßig erfolgen und anteilgenommen hatstrengend sein, daten, einen Kraftzumit Muskelmasse wachs von 175 bis 200 und KnochensubProzent erreichten. „Für ein stanz erhalten bleiViele von ihnen konnben und aufgebaut ten wieder längere gesundes werden. Radfahren, Strecken laufen, einiAltern ist Schwimmen, leichte ge sogar ohne Hilfsgegymnastische räte gehen. auch eine Übungen oder SpaAuch eine italienizierengehen stärken sche Studie hat begesunde zwar Herz und legt, dass selbst MenErnährung Kreislauf, ein wirkschen, die über 90 sames Krafttraining Jahre alt sind und wichtig.“ sind sie jedoch lange Zeit körperlich nicht.“ nicht aktiv waren, Professor Dr. Welche Krafttraidurch regelmäßiges Wolfgang Kemmler, Training die Kraft Osteoporose-Forscher ningsmethode für Untrainierte am und Ausdauer ihrer besten geeignet ist Muskulatur deutlich verbessern können. Im Alter und ob zusätzliches Eiweiß in der schwindet nicht nur die Muskel- Ernährung einen Nutzen hat, hamasse, sondern auch die Kno- ben die Wissenschaftler der Uni chendichte. Ein geschwächtes Erlangen-Nürnberg in einer fünf Skelett kann den Körper aber Monate dauernden Studie mit nicht mehr optimal stützen. Wis- 120 untrainierten Männern zwisenschaftler am Osteoporose- schen 30 und 50 Jahren ermitForschungszentrum der Univer- telt. Die Teilnehmer wurden auf sität Erlangen-Nürnberg haben vier Gruppen verteilt. Die erste in einer Studie, die über ein Jahr- absolvierte ein sogenanntes Einzehnt gelaufen ist, herausgefun- satztraining, also lediglich einen den, dass bei Frauen, die nach den Durchgang je Übung. Jede TraiWechseljahren körperlich träge ningseinheit umfasste zehn bis sind, die Knochendichte schnell zwölf Übungen. Diese Gruppe erund deutlich abnimmt. Ein Kraft- hielt zusätzlich hochwertiges Eitraining stoppte den Knochen- weiß, ein in Milch oder Wasser Von SZ-Redakteur Martin Lindemann FOTO: PRIVAT E Die meisten Senioren unterschätzen Nutzen eines Fitnesstrainings Erlangen. (ml) Die Alternsforscherin Professor Dr. Susanne Wurm und ihre Arbeitsgruppe von der Universität ErlangenNürnberg hatten mehr als 300 Frauen und Männer ab 64 Jahren eingeladen, um deren Ansichten über das Älterwerden zu erfragen. Es zeigte sich, dass ein Teil der Teilnehmer veraltete Vorstellungen vom Älterwerden hat. „Es gibt ältere Menschen, die denken, dass sie zu alt sind, um noch körperlich aktiv werden zu können“, sagt Susanne Wurm. „Andere meinen, dass sie wegen ihres Alters die ,Früchte’ der körperlichen Aktivität, also bessere Gesundheit und besseres Wohlbefinden, nicht mehr ernten könnten. Teilweise herrscht auch der Glaube, es sei zu spät, nachdem man viele Jahre nichts für den Körper getan hat. Und andere denken, Sport war noch nie etwas für mich.“ Die Forschung zeige jedoch, dass alle diese Ansichten falsch sind. Bereits gemäßigte körperliche Aktivitäten tragen auch noch im Alter zur Gesundheit bei. Damit die Muskulatur erhalten bleibt, ist vor allem ab den mittleren Jahren ein regelmäßiges Krafttraining erforderlich. Schwache Muskeln sind der häufigste Grund für Mobilitätseinbußen und Stürze im Alter. Ein Training lohnt sich auch noch im hohen Alter. FOTO: KNESCHKE/FOTOLIA aufgelöstes Pulver, das zweimal täglich als Zwischenmahlzeit verzehrt wurde. 0,5 Gramm Eiweißpulver pro Kilogramm Körpergewicht konsumierten die Teilnehmer jeden Tag. Die zweite Gruppe trainierte auf die gleiche Weise, jedoch ohne zusätzliches Eiweiß. Gruppe drei führte ein Mehrsatztraining mit zwei bis drei Serien pro Übung durch und bekam ebenfalls kein zusätzliches Eiweiß. Gruppe vier trainierte gar nicht und bekam auch kein Eiweiß. Die Gruppen trainierten nach einer vierwöchigen Eingewöhnungsphase an zwei, maximal drei Tagen je Woche über weitere 18 Wochen in einem hochintensiven Bereich. Die Gewichte waren so schwer, dass pro Übung weniger als zehn Wiederholungen möglich waren. Die Muskulatur wurde komplett ermüdet. Zum Abschluss der Studie prüften die Wissenschaftler die Körperzusammensetzung der Testpersonen – also Muskelmasse und -dichte sowie den Anteil an Körperfett – sowie die Muskelkraft und das Herz-Kreislauf-Risiko. „Die Ergebnisse bestätigen einmal mehr, dass der Gesundheitseffekt von sportlichem Training gar nicht hoch genug bewertet werden kann“, sagt Professor Dr. Klaus Engelke, einer der Leiter der Studie. „Alle Trainingsarten führten zu günstigen Veränderungen der Muskelkraft, der Muskelmasse und -dichte, des Körperfettanteils und, das ist besonders positiv, des Herz-Kreislauf-Risikos.“ In der Gruppe, die das Mehrsatztraining absolviert hatte, und in der Gruppe mit Einsatztraining und zusätzlicher Eiweißzufuhr stellten die Wissenschaftler deutlich bessere Ergebnisse für die Körperzusammensetzung – mehr Muskeln, weniger Fett– fest als in der Gruppe, die nur ein Einsatztraining gemacht hatte. Im Hinblick auf das Herz-KreislaufRisiko und die Herzgröße zeigten sich dagegen keine relevanten Unterschiede zwischen den drei Trainingsmethoden. Für Untrainierte reicht ein Einsatztraining mit nur 30 Minuten Zeitaufwand pro Trainingseinheit an zwei bis drei Tagen pro Woche aus, das mit der Zufuhr von hochwertigem Eiweiß kombiniert wird, um die Körperzusammensetzung deutlich zu beeinflussen und das Risiko für Herz-Kreislauf- und Stoffwechselerkrankungen deutlich zu reduzieren. „Ein Krafttraining kann also auch Herz-KreislaufErkrankungen und Erkrankungen des Knochensystems wie Osteoporose vorbeugen“, betont Klaus Engelke. Die Studie weise HIN T E RG RUN D ............................................................................. Spätestens ab dem 50. Lebensjahr verliert der Mensch jährlich bis zu zwei Prozent seiner Muskelmasse. Bei völliger körperlicher Untätigkeit kann der Kraftverlust bis zum 70. Lebensjahr 40 Prozent betragen. Ohne Training fallen daher mit der Zeit schon alltägliche Bewegungsabläufe immer schwerer und die Körperbeherrschung schwindet. Doch auch schon viele Kinder leiden unter einer schwachen Muskulatur. Bewegungsmangel schwächt aber nicht nur die Muskeln, sondern auch die Knochen. Bei der Untersuchung von fast 4000 Kindern haben Wissenschaftler der Universität Potsdam festgestellt, dass Mädchen und Jungen, die sich kaum bewegen, weniger robuste Knochen als Gleichaltrige haben, die regelmäßig körperlich aktiv sind. darauf hin, dass für ein gesundes Altern auch eine gesunde Ernährung wichtig sei, sagt Professor Dr. Wolfgang Kemmler vom Osteoporoseforschungszentrum der Uni Erlangen. „Muskeln benötigen genügend Eiweiß, vor allem wenn durch das Training neue Muskelmasse aufgebaut werden soll.“ Einen wesentlichen Einfluss auf die Muskelfunktion hat auch Vitamin D. „Studien haben gezeigt, dass eine ausreichende Vitamin-D-Zufuhr die Sturzrate von älteren Erwachsenen um bis zu 50 Prozent senken kann“, erläutert Professor Dr. Reto Kressig von der Uni Basel. „Die meisten Senioren haben jedoch einen Vitamin-D-Mangel, da vor allem in den Wintermonaten zu wenig von diesem Hormon in der Haut gebildet wird. Denn dazu ist Sonnenlicht erforderlich.“ Experten empfehlen älteren Menschen auch ein Gleichgewichtstraining. Dabei werden sicheres Aufstehen und Setzen, Stehen und Gehen, das Drehen des Körpers und das Halten des Gleichgewichts in „wackeligen“ Situationen geübt. Die Übungen können mit einfachen Kleingeräten durchgeführt werden, wie zum Beispiel Seilen, Luftballons und kleinen Bällen. Schwache Muskeln sind ein stark unterschätztes Gesundheitsrisiko Für alte Menschen sind die körperlichen und psychischen Folgen eines Sturzes oft dramatisch – Selbstbestimmtes Leben ist in Gefahr In Deutschland stürzt jeder dritte Bürger über 65 Jahre mindestens einmal im Jahr. Bei den über 80Jährigen ist es jeder Zweite. Etwa 135 000 Menschen über 65 erleiden dabei einen Oberschenkelhalsbruch. Rund 60 Prozent der Betroffenen sind Frauen. Frankfurt. (ml) Nach einem Oberschenkelhalsbruch erlangt nur die Hälfte der Patienten die alte Beweglichkeit zurück, besagen Daten der Universität Düsseldorf. Bis zu 20 Prozent werden dauerhaft pflegebedürftig. Und bis zu 24 Prozent versterben sogar im ersten Jahr nach dem Ereignis, meldet die Universitätsklinik Heidelberg. Dabei spielen oft Komplikationen wie Thrombosen und Lungenentzündungen eine Rolle. Somit sind ältere Menschen, die zu Hause leben, durch Stürze und sturzbedingte Verletzungen häufig in ihrer Selbstständigkeit bedroht. Nicht nur die körperlichen, auch die psychischen Folgen eines Sturzes sind für einen alten Menschen oft dramatisch und Alte Menschen glauben meist, bei körperlichen Beschwerden sei es besser, sich zu schonen anstatt sich zu bewegen. Doch die Forschung zeigt, dass nur regelmäßige Bewegung die Mobilität erhält. FOTO: MAURITIUS führen zu einschneidenden Veränderungen. Viele Betroffene haben große Angst, erneut zu stürzen. Sie ziehen sich zurück und bewegen sich kaum noch. Wenn sie dann mal unterwegs sind, ist das Risiko zu stürzen umso höher. Die Ursachen solcher Stürze sind in zahlreichen großen Studien wissenschaftlich untersucht worden. Dabei wurden übereinstimmend zwei wesentliche Risikofaktoren entdeckt: die zu geringe Muskelkraft und die nachlassende Gleichgewichtsfähigkeit. Das bedeutet nun aber auch, dass ältere Menschen, die regelmäßig ein körperliches Trainingsprogramm absolvieren, das Gleichgewichts- und Kraftübungen umfasst, ihr Sturzrisiko deutlich reduzieren können. Dass der Körper altert, wird zuerst an der Haut sichtbar und meist in den Gelenken spürbar. Hingegen bleibt oft unbemerkt, dass die Muskelmasse abnimmt. Auch gesunde Menschen verlieren im Laufe der Jahre an Muskelmasse. „Bis zum 80. Lebensjahr gehen etwa 30 Prozent verloren“, erläutert Professor Dr. Jürgen Schölmerich von der Universitätsklinik Frankfurt. „Wir spüren dies nicht, da sich die meisten Tätigkeiten im Alltag heute mit geringer Muskelmasse bewältigen lassen.“ Der fortschreitende Muskelschwund, medizinisch Sarkopenie genannt, wird daher oft erst festgestellt, wenn es zu einem schweren Sturz gekommen ist. „Die Muskelschwäche ist die häufigste Ursache für Stürze im Alter“, sagt Schölmerich. „Und auch an den Sturzrisiken Nummer zwei und drei, den Störungen von Gang und Gleichgewicht, ist häufig eine Muskelschwäche beteiligt.“ Aus Sicht der Alternsforschung gehört der Muskelschwund eindeutig zu den stark unterschätzten Gesundheitsrisiken im Alter. Bei übergewichtigen Menschen ist die Sarkopenie oft nur schwer zu erkennen. Ein Hinweis kann ein Wadenumfang von weniger als 31 Zentimetern sein. Die gestörte Beweglichkeit stellt der Arzt fest, indem er die Zeit misst, die sein Patient benötigt, um von einem Stuhl mit Lehne aufzustehen, drei Meter nach vorne und zurück zu gehen und sich wieder zu setzen. „Dauert das 14 Sekunden oder länger, ist die Gangsicherheit eingeschränkt. Ab 20 Sekunden ist die Mobilität eingeschränkt“, sagt Schölmerich. Muskelschwund ist jedoch kein unvermeidbares Schicksal. „Muskelkraft und Beweglichkeit lassen sich auch im Alter durch Sport steigern“, erläutert Professor Dr. Reto Kressig von der Universität Basel.