Therapiefibel Reizstrom-Ultraschalltherapie PhySys – Therapie-Fibel © Zimmer MedizinSysteme GmbH Autor: Dr. med. Konrad Boegelein Bernd Zimmer Hochwirksame Therapie ohne Nebenwirkungsproblematik Teil I Elektrotherapie 1. Allgemeiner Teil 6 1.1 Einleitung 6 1.2 Das Spektrum der Stromformen 6 1.3 Physikalische Grundlagen 7 1.4 Stromkonstant (CC) oder Spannungskonstant (CV) 7 1.5 Elektrodentechnik 8 2. Dosierung 10 3. Indikationen der Reizstrombehandlung, Übersicht 12 4. Kontraindikationen 14 5. Stromformen zur Therapie 15 5.1 Galvanische Ströme 15 5.2 Forcierter, transdermaler Transport von Medikamenten; Iontophorese und Elektroporation 15 5.2.1 Iontophorese 16 5.2.2 Elektroporation 16 5.3 Elektrostimulation zur Schmerzbehandlung 18 5.3.1 Grundlagen der Schmerztherapie 18 5.3.2 TENS Ströme zur Schmerztherapie 19 5.3.3 Hochvoltströme 22 5.3.4 Ströme mit schmerzhemmender, durchblutungsfördernder und trophisierender Wirkung 22 5.3.5 Diadynamische Ströme zur Stoffwechselsteigerung, Ödemresorption, Schmerzbehandlung, Mehrdurchblutung 22 5.3.6 Träbert‘scher Reizstrom 23 5.4 Elektrostimulation der Muskulatur 24 5.4.1 Mittelfrequenzströme – Muskelstimulation, 26 Schmerzdämpfung und klassische Mittelfrequenz 5.4.2 Interferenzströme – Schmerzbehandlung, 28 Muskelentspannung und vegetative Stimulation 5.4.3 Niederfrequente Ströme zur Muskelstimulation 5.5 Stromformen zur Rehabilitation bei gestörter Muskelfunktion und zum spezifischen Training bei der Rehabilitation von Sportverletzungen 29 29 5.5.1 Rehabilitation im Muskelbereich 29 5.5.2 „Russische Stimulation“ 29 31 5.5.3 Sequenzströme zum spezifischen Training in der Rehabilitation von Sportverletzungen PhySys– Therapie-Fibel Teil I Elektrotherapie 5.6 Ströme zur Diagnostik und Behandlung bei Lähmungen 32 5.6.1 Elektrotherapie schlaff gelähmter Muskulatur 35 5.6.2 Ströme zur neuromuskulären Diagnostik 35 5.6.3 Therapie von schlaffen Lähmungen 35 5.6.4 Intensionsübungen 36 5.6.5 Elektrotherapie spastisch gelähmter Muskulatur 5.7 Sonderstromformen – Indikationsbezogene Ströme 5.7.1 Elektrorelaxationstherapie (Elektro-Schlaftherapie) 36 36 37 5.7.2 Plazenta-Insuffizienz 38 5.7.3 Paravertebraltest 38 5.7.4 Beckenbodenstimulation bei Harninkontinenz, Stuhlinkontinenz 40 Teil II Ultraschalltherapie 1. Allgemeiner Teil 1.1 Einleitung 41 41 1.2 Anwendungsmöglichkeiten 41 1.3 Physikalische Grundlagen 41 1.4 Technische Kriterien des Ultraschalltherapiegerätes 42 2. Tiefenwirkung des therapeutischen Ultraschalls 43 3. Physiologische Wirkungsmechanismen der Ultraschalltherapie 46 4. Beschallungsmethoden 49 4.1 Direkte Beschallung 49 4.2 Indirekte Beschallung 49 4.3 Neurale Behandlungswege bei der indirekten Beschallung 49 5. Beschallungsort 50 5.1 Dauerschall 50 5.2 Impulsschall (pulsierender Ultraschall) 50 5.3 Auswahl und Einstellen der Wirkkomponenten des Impulsschalls 50 Hochwirksame Therapie ohne Nebenwirkungsproblematik 6. Applikationstechnik 51 6.1 Dynamische Beschallung 51 6.2 Semistatische Beschallung 51 6.3 Statische Beschallung 51 7. Ankoppelungsformen und Ankoppelungsmittel 52 7.1 Direkte Ankoppelung 52 7.2 Indirekte Ankoppelung 52 8. Anwendung des therapeutischen Ultraschalls 53 8.1 Therapieparameter 53 8.2 Dosierung 53 8.3 Intensität 53 8.4 Behandlungsdauer 53 9. Nebenwirkungen 54 10. Forcierter transkutaner Stofftransport mit dem Ultraschall 55 10.1 Ultraphonophorese (Sonophorese) 55 10.2 Sonoporation 55 11. Ultraschall Programme 57 12. Indikationen 58 12.1 Typische aus der Orthopädie, Chirurgie, Traumatologie, Rheumatologie 58 12.2 Weitere Indikationen 58 13. Kontraindikationen 59 Teil III Simultantherapie mit Ultraschall Nach Wirkung kombinierte Simultanprogramme Ultraschall- und Elektrostimulation 60 Teil I: Elektrotherapie 1. Allgemeiner Teil 1.1 Einleitung Die Elektrotherapie – ein bedeutendes Teilgebiet der Physikalischen Medizin – spielt heute eine wichtige Rolle bei der Behandlung und Rehabilitation vieler Erkrankungen. Die Physiologie hat die Wirkprinzipien der Elektrotherapie in den letzten Jahrzehnten weitgehend aufgedeckt, dennoch bleibt der empirische Charakter einiger Verfahrensweisen bestehen. Erkennbar wird dies besonders bei Behandlungsanweisungen zu einzelnen Krankheitsbildern. Auch in dieser Fibel gründen viele Behandlungsanweisungen auf empirischem Wissen. Sie sind als Vorschläge zu verstehen, die durch individuelle Erfahrungen der Anwender modifiziert werden können. Entscheidend für den Erfolg der Behandlung ist deshalb die individuelle Anpassung der Elektrotherapie an das Krankheitsgeschehen und an die Reaktion des Patienten. Unter Elektrotherapie verstehen wir eine Reihe von Verfahren, bei denen elektrische Energie zu Heilzwecken angewendet wird. Man pflegt diese Verfahren in die Nieder-, Mittel- und Hochfrequenztherapie einzuteilen. Dabei zählt man zur Niederfrequenztherapie die Behandlung mit konstantem Gleichstrom (stabile Galvanisation), die Iontophorese und die Reizstrombehandlung von Muskeln und Nerven mit Impulsströmen unter 1000 Hz. Zur Mittelfrequenztherapie rechnet man Wechselströme mit einer Frequenz von mehr als 1000 Hz (1 kHz), wobei bislang Frequenzen von 2000 Hz bis 8000 Hz, aber auch 11 000 Hz verwendet werden. Hochfrequenzströme von mehr als 100 000 Hz (100 kHz) finden Verwendung bei der Therapie mit Kurz-, Dezimeter- und Mikrowellen. Hochfrequenzströme werden im Gegensatz zu Nieder- und Mittelfrequenzströmen nicht über Elektroden eingebracht, sondern über elektromagnetische Felder. Diese gelangen berührungslos über Applikatoren in den Körper. 1.2 Das Spektrum der Stromformen Die allgemeinen Ziele der Elektrotherapie sind: - die Behandlung von Schmerzen - die Verbesserung gestörter Muskel- und Gelenkfunktionen - die Verbesserung der Durchblutung und Ernährungssituation des Gewebes - die Förderung der Heilung Daneben gibt es eine Reihe von speziellen Anwendungen. Diese Wirkungen werden mit unterschiedlichen Stromformen erzielt, indem entweder Nerven und Muskeln gereizt werden oder Gewebe polarisiert wird. Weiterer Differenzierungsbedarf ergibt sich, da die behandlungsbedürftigen Störungen sich vielfach hinsichtlich Ausdehnung, Gewebetiefe und Akuität unterscheiden. Ein umfassendes Spektrum an Stromformen macht die gezielte Therapie möglich. 6 Teil I: Elektrotherapie 1. Allgemeiner Teil 1.3 Physikalische Grundlagen In einem elektrischen Feld wirkt der menschliche Körper insgesamt als Leiter (Volumenleiter), in dem geladene Atome oder Moleküle („Ionen”) wandern. Auf diese Weise wird im Körper ein Ionenfluss in zwei Richtungen erzeugt. Positive Ionen wandern zum negativen Pol (Kathode) und heißen deshalb Kationen, negative Ionen wandern zum positiven Pol (Anode) und heißen deshalb Anionen. Die Wirkungen des Stromes werden wesentlich von der Stromdichte (gemessen in mA/cm2) beeinflusst, die wiederum von der Elektrodengröße, der Elektrodenpositionierung und der Strommenge abhängt. Dadurch lässt sich der Strom ebenso über größere Gebiete verteilen wie auf kleinere Flächen konzentrieren. Man spricht in diesem Zusammenhang von indifferenter (a) (mit weniger gezielt wirkender, geringerer Stromdichte) bzw. differenter Elektrodentechnik (b) (mit gezielt wirksamer Stromdichte). 1.4 Stromkonstant (CC) oder Spannungskonstant (CV) CC: Im stromkonstanten Betrieb wird die Spannung an den Elektroden durch das Gerät automatisch so geregelt, dass die eingestellte Stromintensität während der gesamten Behandlungszeit unverändert bleibt. Die Elektroden müssen dabei am Behandlungsort fixiert bleiben. Ein Abheben der Elektroden im CC-Betrieb bewirkt ein augenblickliches Abschalten des Stromes aus Sicherheitsgründen, da das Gerät ansonsten mit einer sehr hohen Spannung versuchen würde, den unterbrochenen Strom aufrechtzuerhalten, was beim Wiederaufsetzen der Elektroden zu einem elektrischen Schlag führen würde. CV: Im spannungskonstanten Betrieb wird die Spannung während der Therapiezeit auf dem voreingestellten Niveau gehalten. Ändert sich der elektrische Widerstand der Haut, besonders über Triggerpunkten, motorischen Reizpunkten und als „Maximalpunkte“ bekannten Hautarealen, so ändert sich die abgegebene Stromdosis. Die Suche nach solchen Punkten mit bewegten Elektroden ist nur im spannungskonstanten Betrieb möglich, da hier die Elektrode gefahrlos abgehoben und wieder aufgesetzt werden kann. 7 (+) (a) (–) (+) (b) (–) Teil I: Elektrotherapie 1. Allgemeiner Teil Wiederverwendbare Elektroden sind meist unterpolsterte Plattenelektroden, wobei als Unterpolsterung Schwämme dienen, aber auch textile, saugfähige Materialien. Die Platten selbst bestehen aus Zinn oder Leitgummi. 1.5 Elektrodentechnik Die Elektrodengröße soll der Größe des Behandlungsgebietes angepasst sein. Kleinflächige Behandlungen mit kleinen Elektroden setzt man beispielsweise ein, um Triggerpunkte, Nervenreizpunkte oder kleinflächige Schmerzareale zu behandeln. Großflächige Behandlungen sind z. B. bei größeren Schmerzarealen oder zur Behandlung von Muskelgruppen erforderlich. Die „einkreisige“ Behandlung erfolgt mit einem Elektrodenpaar und einem Kanal, die „zweikreisige“ Behandlung wird mit zwei Elektrodenpaaren und entsprechend zwei Kanälen durchgeführt. Für Behandlungen mit Interferenzströmen sind immer vier Elektroden in zwei getrennten Stromkreisen notwendig. Die Elektroden können lokal im Behandlungsgebiet angebracht werden oder segmental entsprechend der segmentalen Nervenversorgung. Für die lokale Behandlung von Schmerzen oder zur Reizung von Muskeln können die Elektroden auch über dem entsprechenden peripheren Nerv platziert werden. Den einzelnen Indikationen ist jeweils die empfohlene Elektrodentechnik zugeordnet. Eine weitere Möglichkeit ist die Kombination der Elektrostimulation mit der Ultraschalltherapie im Simultanverfahren, das dort ausführlich beschrieben wird. Hierbei dient der Schallkopf auch als Elektrode. Saugglockensysteme mit eingebauten Metallplatten, die dann mit Schwämmen unterpolstert werden, werden häufig als Elektroden eingesetzt. Für den Einsatz von Saugglockenelektroden kann das Therapiegerät mit dem Gerät Vaco kombiniert werden. Die Saugglocken des Vaco dienen als Elektroden, die elektrische Verbindung der Geräte ermöglicht die Einstellung der Stromform und der Behandlungsparameter am Therapiegerät. Der gewünschte Unterdruck wird am Vaco eingestellt. Auch Teilbäder (Zellenbad) werden für die Behandlung von Extremitäten eingesetzt. Dabei können Zinnplattenelektroden mit Schwämmen in Behälter gelegt werden. Die Arme oder Beine werden dann im Wasserbad behandelt. Neben herkömmlicher Elektrodentechnik eignen sich besonders die einfach zu handhabenden, hygienischen Einmalelektroden. Auswahl und Applikation der Elektroden müssen mit Sorgfalt geschehen. Im stromkonstanten Betrieb ist auf einen guten und gleichmäßigen Hautkontakt zu achten. Bei einer Verringerung der Kontaktfläche könnten sonst Missempfindungen für den Patienten auftreten. 8 Teil I: Elektrotherapie 1. Allgemeiner Teil Vor der Behandlung ist die Haut zu inspizieren und ggf. zu reinigen, z. B. wenn der Patient verschwitzt ist oder Salben aufgetragen sind. Entzündete Hautstellen, kleine Wunden oder Risse werden mit Vaseline oder Zinkpaste abgedeckt. Auch bei frischen Narben ist besondere Vorsicht geboten. Eine exakte Elektrodenlokalisation ist besonders zur Reizung kleinflächiger Areale zu beachten, z. B. für Schmerzpunkte, Nervenwurzeln, Nervenaustrittspunkte und Reizorte im Nervenverlauf, Myogelosen, myofasziale Triggerpunkte und Akupunkturpunkte. Die Elektroden können auch über Schmerzarealen appliziert werden, wenn eine segmentale Behandlung nicht angezeigt ist. Dabei wird das Schmerzareal mit mittleren bis großflächigen Elektroden überdeckt oder eingekreist. Zu diesem Zweck können ein (bipolare Reizung) oder zwei (tetrapolare Reizung) Elektrodenpaare angelegt werden. Bei der lokalen Reizung wird die Kathode über dem schmerzhaften Areal angelegt, die Anode an der gegenüberliegenden Seite oder proximal davon. Diese Elektrodentechnik eignet sich beispielsweise zur Behandlung von Muskel- und Gelenkverletzungen. Bei der segmentalen Reizung wird die Kathode über dem Schmerzgebiet angebracht, die Anode immer paravertebral im entsprechenden Segment. Auch wenn die auf- oder absteigende Polung bei der Therapie nicht den Stellenwert hat wie bei der Galvanisation, sollte auch bei Impulsströmen zur bestmöglichen Nutzung des Therapieerfolges regelmäßig die Kathode distal appliziert werden, insbesondere wenn im Verlauf von Nerven behandelt wird. Zur Reizung von Muskeln wird eine kleinflächige (differente) Kathode auf dem motorischen Reizpunkt des Muskels oder am versorgenden motorischen Nerv angebracht, eine größere (indifferente) Anode über dem Muskelansatz oder proximal über dem entsprechenden motorischen Nervenstamm. Bei der Längsdurchströmung von Muskeln bedient man sich einer indifferenten Elektrodentechnik. Die Elektroden werden in der Nähe des Ursprungs und des Ansatzes des Muskels appliziert. Diese Technik eignet sich beispielsweise zur Detonisierung und zur Verbesserung der Durchblutung der Muskulatur. 9 Teil I: Elektrotherapie 2. Dosierung Dosierung Die Dosierung richtet sich nach dem Krankheitsverlauf und der individuellen Verträglichkeit. Als Dosierungskriterien gelten die Stromstärke, die Behandlungsdauer, die Länge der Behandlungsserie und die Intervalle zwischen den einzelnen Behandlungen. Dosierung nach Krankheitsstadien Subakute Krankheitsstadien: - niedrige Stromstärke - kurze Behandlungsdauer - kurze Behandlungsserie - kurze Behandlungsintervalle Bei akuten Krankheitsstadien ist im Regelfall die Elektrostimulation kontraindiziert (siehe auch 6.2). Hier empfiehlt sich zum Beispiel die Kryotherapie. Chronische Krankheitsstadien: - höhere Stromstärke - längere Behandlungsdauer - längere Behandlungsserie - längere Behandlungsintervalle Die Dosierung liegt bei subakuten / subchronischen Krankheitsstadien dazwischen. Dosierung nach sensiblen oder motorischen Kriterien Sensibel unterschwellig: kein Stromgefühl – der Strom wird zunächst bis zum Auftreten eines leichten Stromgefühls hochgeregelt, dann aber reduziert, bis er nicht mehr wahrgenommen wird. Sensibel schwellig: leichtes Stromgefühl – „Ameisenlaufen“. Sensibel überschwellig: starke Stromempfindung – kräftige Vibrationen Motorisch unterschwellig: kein sichtbares Muskelzucken Motorisch schwellig: kaum sichtbare Zuckung der Muskulatur Motorisch überschwellig: wellenförmige Bewegungen und Kontraktion der Muskulatur Überdosierung: schmerzhafte Kontraktion 10 Teil I: Elektrotherapie 2. Dosierung Stromstärke Schwache Dosierung: sensibel unterschwellig – Die Stromstärke wird bis zu einem leichten Stromgefühl hochreguliert und dann zurückgenommen, bis der Strom nicht mehr wahrgenommen wird. Mittlere Dosierung: sensibel schwellig – Der Patient bemerkt ein Prickeln/ Ameisenlaufen, das nicht unangenehm sein darf. Starke Dosierung: kräftiges Stromgefühl das in Sonderfällen bis an die Schmerzgrenze heranreichen kann. Überdosierung: Stechen, Brennen, Hitzegefühl Hinweis: Vor allem bei galvanischen Strömen darf die effektive Stromstärke 0,2 mA/cm2 der Fläche der aktiven Elektrode nicht überschreiten. Dies gilt ebenso für niederfrequente monopolare Impulsströme. Der Effektivwert ist nicht mit dem Spitzenwert zu verwechseln, der bei einigen Stromformen angezeigt wird. Dieser Grenzwert ist insbesondere bei Patienten mit Sensibilitätsstörungen zu beachten! Überdosierungserscheinungen dürfen nicht auftreten, sonst sind auch galvanisch bedingte Hautschäden zu befürchten. Behandlungsdauer kurz: 5 min mittel: 10 min lang: 15 min sehr lang: länger als 20 min Behandlungsintervall kurz: tägliche Behandlung, evtl. mehrmals täglich mittel: 3 mal wöchentlich lang: 2 mal wöchentlich Behandlungsserie kurz: 3–5 mal mittel: 6–10 mal lang: 12–18 mal Bei subakuten Erkrankungen sollte täglich behandelt werden, bei chronischen Krankheitsstadien 2–3 mal wöchentlich. Erweist sich der Erfolg der Behandlung chronischer Erkrankungen als ungenügend, soll vor einer weiteren Serie eine Reizpause von 8–10 Wochen eingelegt werden. 11 Teil I: Elektrotherapie 3. Indikationen für die Reizstrombehandlung, Übersicht Durchblutungs-und Trophikförderung · Funktionelle Durchblutungsstörungen · Angiopathie bei Diabetes mellitus · Angioneuropathie (M. Raynaud) · Akrozyanose · venöse Gefäßerkrankungen · chronisch venöse Insuffizienz · Arterielle Verschlusskrankheit (Stadium I / IIa) · Sympathische Reflexdystrophie · Sudeck-Syndrom (Stadium II) · Lymphödem · Fazialisparese (als Vorbehandlung) · Chronisch verspannte Muskulatur · Erkrankungen peripherer Gelenke (chronisch) · Radikuläre Syndrome bei Wirbelsäulenerkrankungen (subakut und chronisch) · Bandrupturen · Tendovaginitis · Bursitis · Venöse Ulzera · Neurotrophische Ulzera · Dekubitalgeschwüre · Verzögerte Wundheilung · Osteoporose · Verzögerte Knochenheilung · Bandrupturen Analgesie · Distorsion, Kontusionen, Verstauchung von Muskeln, Sehnen, Gelenken und Knochen · Großflächige Myalgien · Polyarthralgien · Gelenkerkrankungen, entzündlich · Chronische Polyarthritis (rheumatoide Arthritis), Behandlung im entzündungsarmen Intervall · Diffuse Schmerzen bei Periarthropathien, Arthrosen, M. Bechterew · Tendinitis, Tendovaginitis · Lokale und pseudoradikuläre Wirbelsäulenerkrankungen (akut, subakut, chronisch) · Wurzelläsion · Bandscheibenoperation · Entzündliche Wirbelsäulenerkrankungen, chronisch · chron. Schmerzzustände, Schmerzkrankheit · Pelvipathie (sog. Adnexitis) · Pelvipathie (sog. Prostatitis) · Neuralgien · Neuritis · Polyneuropathie · Radikuläre Syndrome · Nerven-Kompressionssyndrome · Allodynie · Kausalgie 12 Teil I: Elektrotherapie 3. Indikationen für die Reizstrombehandlung, Übersicht Muskeltonisierung · Muskelschwäche · Willkürinnervationsschwäche · fehlendes Muskelgefühl Muskeldetonisierung · Überbelastung der Muskulatur · Schmerzhafte Muskelverspannungen · Myofasziale Schmerzsyndrome · Sehnen- und Muskelrupturen · Kontrakturen Weitere Indikationen · Periarthropathien und Insertionstendopathien (akut, subakut) · Periarthropathien und Insertionstendopathien (chronisch) · Erkrankungen peripherer Gelenke (akut, subakut) · Posttraumatische Zustandsbilder (Hämatome, Ödeme) · Übermäßiges Schwitzen an Händen und Füßen (Hyperhidrosis palmarum et plantarum) · Haltungsstörungen der Wirbelsäule, erworben: posttraumatisch, postentzündlich, degenerativ · Haltungsstörungen der Wirbelsäule im Kindes- und Jugendalter · Frakturen der Wirbelsäule, Spondylodesen · Gelenkoperationen; Arthroskopie, Arthrotomie · Angeborene Miss- und Fehlbildungen bzw. Fehlstellungen der Stütz- und Bewegungsorgane zur Behandlung im Kindesalter · Stuhlinkontinenz (nur PhySys) · Harninkontinenz (nur PhySys) · Störung der Darmmotilität (nur PhySys) · chron. Obstipation (nur PhySys) · sekundäres Lymphödem und Lymphstau · Pelvipathie · Polyneuropathie · Vorderhornerkrankungen des RM · Periphere Paresen; Plexusparesen · Nicht lokale, generalisierte Wirbelsäulenerkrankungen · Spastik (nur PhySys) · spastische Paresen (nur PhySys) · schlaffe Paresen (nur PhySys) 13 Teil I: Elektrotherapie 4. Kontraindikationen Allgemeine Kontraindikationen · Akute Entzündungen (lokal, systemisch) · Arterielle Verschlusskrankheit ab Stadium IIb nach Fontaine · Eitrige Prozesse · Fieber · Allgemeininfektionen · Tumore maligner und benigner Art · Thrombophlebitis, · Phlebothrombose bei Gefahr von Embolien · Herzschrittmacher und sonstige implantierte elektronische Vorrichtungen · transcardialer Stromfluss · Metallimplantate im Stromgebiet bei Anwendung galvanischer oder unipolarer Ströme mit Impulsbreiten von mehr als 1 ms · Psychosen zusätzlich zu beachtende Gegenanzeigen: TENS-Therapie · kausal zu behebende Schmerzen · überwiegend psychogene Schmerzen (TENS-Therapie ist unwirksam) · zentrale Schmerzsyndrome, z. B. Thalamus-Schmerzsyndrom Muskelbehandlung mit geschwellten Gruppenimpulsen (Schwellströme): · Bewusstlosigkeit, Bewusstseinstrübung · reflektorische Hemmung (z. B. bei Frakturen) · Muskelentzündung · mimische Gesichtsmuskulatur · wenn die Reizstromtherapie anhaltende Schmerzen auslöst · Fazialisparese · Säuglinge, Kleinkinder · Zunahme einer Spastik Vorsichtsmaßnahmen für bestimmte Stromformen Diadynamischer Strom, Träbert-Strom: · Um mögliche Hautschäden durch den hohen galvanischen Anteil der diadynamischen Ströme zu vermeiden, ist eine sorgfältige Elektrodentechnik notwendig, wobei eine Zwischenlage mit einem Schwamm oder Gaze von mindestens 1 cm empfohlen wird. Elektroakupunktur · Keine Nadelakupunktur bei Blutgerinnungsstörungen 14 Teil I: Elektrotherapie 5. Stromformen zur Therapie 5.1 Galvanische Ströme GA00 Galvanischer Strom, auch zur Iontophorese GA01 Großflächengalvanisation Der galvanische Strom oder Gleichstrom fließt während der gesamten Behandlung konstant durch das Gewebe und löst in therapeutischer Dosierung keine fortgeleiteten Aktionspotentiale aus (ausgenommen sind Zuckungen beim ruckartigen Ein- oder Ausschalten, deshalb soll die Einstelldosis durch „Einschleichen” oder „Ausschleichen” langsam variiert werden). Das elektrische Feld übt, abhängig von der jeweiligen Ladung der Pole, anziehende oder abstoßende Kräfte auf die Ionen in den Körperflüssigkeiten aus, so dass es zu Ionenbewegungen kommt, mit der Folge polarisierender Einflüsse auf die Zellen im Stromfeld. Es gibt spezifische anodische und kathodische Wirkungen, die unter der jeweiligen Elektrode in Erscheinung treten. Anodische Felder erhöhen die Potenzialdifferenz über Zellmembranen. Sie stabilisieren die Zellen gegen Reize, weshalb ihnen eine sedierende Wirkung zugeschrieben wird. Kathodische Felder verringern die Potentialdifferenzen über Zellmembranen und steigern damit deren Erregbarkeit. Konstanter Gleichstrom steigert die Reaktions- und Funktionsfähigkeit der motorischen Nerven. Er wirkt hyperämisierend, analgetisch, antiphlogistisch und zellwachstumsfördernd. Zur Galvanisation sind großflächige Elektroden geeignet mit einer Fläche von 100 - 200 cm2, da bei der konstanten Galvanisation die Schmerzbereiche unter den Elektroden behandelt werden. Sie müssen mit einer ca. 1–2 cm dicken Zwischenlage aus gut angefeuchteten Viskoseschwämmen, Kompressen, Gaze oder dergleichen unterlegt werden. Die Elektroden müssen auf der Haut ebenmäßig anliegen, wozu sie z. B. mit Klettbändern oder Sandsäckchen fixiert werden. 5.2 Forcierter, transdermaler Transport von Medikamenten; Iontophorese und Elektroporation Der transdermale Transport von Medikamenten ist eine elegante, nicht invasive Methode der topischen und in erster Linie der systemischen Applikation von Wirkstoffen unter Umgehung des Pfortader-Leber-Systems, also der parenteralen Verabreichung von Medikamenten. Die Haut stellt eine sehr effektive Barriere gegen eindringende chemische Stoffe dar. Die oberste Schicht, das Stratum corneum (= Hornschicht), besteht aus Hornzellen und Fetten; sie ist impermeabel für die meisten wasserlöslichen Substanzen, wie auch für Medikamente, sofern diese wasserlöslich sind. Die Hornschicht wird von den Hautanhangsgebilden, wie den Haaren und den Ausführungsgängen der Schweißdrüsen durchzogen, deren Epithelauskleidung keine Hornschicht aufweist und daher nur einen geringen elektrischen Widerstand besitzt. 15 Abb.: Histologischer Aufbau der Haut Teil I: Elektrotherapie 5. Stromformen zur Therapie 5.2.1 Iontophorese Der transdermale Transport von Wirkstoffen mit der herkömmlichen Iontophorese mit niedrig dosiertem galvanischem Strom geschieht über die Epithelauskleidung der Hautanhangsgebilde. Bei der Iontophorese werden ionisierte Medikamente mittels eines niedrig dosierten galvanischen Stromes in die Haut eingeschleust. Verwendet werden Medikamente in wässriger Lösung oder in Form von Gelen. Elektrisch schlecht leitende Fettsalben sind ungeeignet. Im Vergleich mit der üblichen Applikation von Gelen oder wässrigen Lösungen dringen bei der gleichzeitigen Anwendung von Gleichstrom deutlich größere Mengen des Medikamentes in die oberflächlichen Schichten der Haut ein. Da sie von dort nur noch langsam weiter diffundieren, entsteht unter der Hornschicht ein temporäres Medikamentendepot. Das bedeutet auch, dass nur geladene Moleküle, also Ionen im galvanischen Feld, in die Haut eingeschleust werden können, wobei der primäre Transportweg die Epithelauskleidung der Hautanhangsgebilde ist. Iontophorese-Elektrode Schwamm, Textil Negativ geladene Substanzen (Anionen) werden unter der Kathode, positiv geladene Substanzen (Kationen) unter der Anode aufgebracht. Medikamente, die sowohl anodische als auch kathodische Wirkstoff-Ionen enthalten, können mit automatisch umpolendem Strom eingebracht werden. Haut Medikamentenionen Zur Vermeidung von Verätzungen müssen die Elektroden mit ca. 2 cm dicken Mullagen oder Schwämmen unterlegt werden. Intrakutanes Depot Transport durch die Membran über die „Pore“ durch Diffusion von Molekülen entlang des Konzentrationsgradienten – – + – – + + H2O + H2O H2O Zwischen Gel und Schwamm kann auch eine spezielle stromdurchlässige Cellophan Folie gelegt werden, um eine Kontamination des Schwammes mit dem Medikament zu verhindern. Die Elektrodenfläche sollte – abhängig vom Behandlungsgebiet – möglichst groß gewählt werden. 5.2.2 Elektroporation Der Transport von Molekülen in lebende Zellen mit Hilfe der Elektroporation beruht auf der elastischen Verformbarkeit der Zellmembran, die sich nach einem Aufreißen wieder schließt. Das Aufreißen der Membran kann durch elektrische Stromimpulse bewirkt werden und ist temporär; vorübergehend bildet die Zellmembran also „Löcher“ oder „Poren“ aus. In der Abbildung ist das „Auseinanderreißen“ der Zellmembran auf der rechten Seite dargestellt, wodurch sich eine wasserdurchlässige Pore bildet, durch die in Wasser gelöste Stoffe diffundieren. Die linke Seite der Abbildung zeigt das zeitliche Verhalten der Bildung und des Schlusses der Poren. Dieses temporäre Aufreißen der Zellmembranen stellt sich bei einer Spannung über die Membran von 0,5–1,0 V ein und 16 Teil I: Elektrotherapie 5. Stromformen zur Therapie wird als Elektroporation bezeichnet. Es tritt dabei punktförmig am Ort des größten Spannungsgefälles an der Membran auf. Auch die isolierenden Schichten der elektrischen Hautbarriere, des Stratum corneum zeigen das Phänomen der temporären Bildung von Poren durch Spannungen im Bereich von 0,5 –1,0 V pro Membran mit der Folge, dass die Membranen und die Hornhautschicht auch für große Moleküle durchlässig wird. Um dieses Phänomen der kurzzeitigen Porenbildung zu erreichen, sind Impulse mit einer Spannung von ca. 30–50 V über ca. 70–100 Membranen ausreichend. Dies entspricht in etwa der Dicke der Zellschichten der Hornschicht der Haut. Die Impulsbreite beträgt für therapeutische Zwecke etwa 300 µs oder weniger. Die Poren bestehen dann mehrere Minuten. Verlauf der Porenöffnung 1 f 0 0 5 10 20 t / min Impulse mit Spannungen über 100 V sind häufig schmerzhaft und erzeugen eine länger anhaltende Permeabilität durch Elektroporation. Diese ist allerdings nur bei wenigen speziellen Anwendungen sinnvoll. Eine zu geringe Spannung (<40 V) ist zu vermeiden, da sich das Phänomen der Elektroporation des Stratum corneum mit zunehmender Spannung verstärkt und somit zu einem effektiven und wichtigen Pfad für den transkutanen Medikamententransport wird, der quantitativ der Iontophorese und der Phonophorese deutlich überlegen ist. Der Transport durch die gebildeten Poren kann mit galvanischem Strom in Form der Iontophorese oder mit Ultraschall in Form der Sonophorese zusätzlich verbessert werden. Die Kombination kurzer Impulse mit hohen Spannungen mit dem galvanischen Strom nutzt beide Prinzipien und Transportpfade: den elektroporetischen Transport über die gebildeten Poren in der Hornschicht und den iontophoretischen Transport über die Epithelzellen der Hautanhangsgebilde, wie Schweißdrüsen und Haarfollikel. In der Kombination ergibt sich eine effiziente Methode zur Einschleusung von Medikamenten in und direkt unter die Haut. Der Transportfaktor der Kombination Elektroporation und Iontophorese entspricht in etwa der Summe der Transportfaktoren der Einzelmethoden. In Abhängigkeit von der Größe der zu transportierenden Moleküle betragen die Transportfaktoren das 200fache bis mehrere Tausendfache der üblichen, passiven Diffusion von Salben, Gelen etc. Die Kombination von Elektroporation und Iontophorese vermeidet auch die bei der Iontophorese bekannte Latenzzeit von ca. 10 Minuten bis zum Einsetzen des Medikamententransportes in die Haut. Der transkutane Transport setzt unverzüglich ein. 17 Zur Elektroporation mit dem Therapiegerät sind die nachfolgend aufgeführten Rechteckimpulse vorgesehen. 1. Rechteckimpuls 0,05 – 0,1 ms 0,1 Hz 2. Rechteckimpuls 0,05 – 0,1 ms 1,0 Hz 3. Rechteckimpuls 0,05 – 0,1 ms 0,1 Hz / 1 Hz in Kombination mit galvanischem Strom Teil I: Elektrotherapie 5. Stromformen zur Therapie 5.3 Elektrostimulation zur Schmerzbehandlung 5.3.1 Grundlagen der Schmerztherapie Impuls-Ströme reizen die sensiblen Nerven in der Haut. Übertragung sensibler Reize auf höhere Zentren Zentrale Kontolle TransmissionsZelle + + – – + A-Delta Faser Afferenzen S G – A-Delta & C Faser-Afferenzen Höhrere Zentren, wie der Kortex beeinflussen: - die Perzeption und Beantwortung von Schmerzreizen - die Übertragung der Schmerzreize auf der Ebene des Hinterhorns Sie werden üblicherweise mit relativ niedrigen Intensitäten (sensibel schwellige Dosierung) und höheren Frequenzen (etwa 50 – 100 Hz) zur Schmerzbehandlung eingesetzt. Die Wirkung dieser Therapie wird durch lokale Verdeckungseffekte erklärt, bestehende Schmerzreize werden durch den nicht schmerzhaften Reiz im Sinne einer Gegenirritation unterdrückt. Ein weiterer Erklärungsansatz ist die Aktivierung schmerzhemmender Reflexe im Rückenmark durch die nicht schmerzhaften Ströme (gate control theory), wodurch die Weiterleitung der Schmerzreize ins Gehirn verhindert wird. Die Wirkung der Akupunktur und davon abgeleitet auch der Elektroakupunktur (EAP) und der akupunkturähnlichen TENS (apl-TENS) beruht auf lokalen, segmentalen, spinalen und supraspinalen Mechanismen. Die Elektrostimulation mit stark hautreizenden Stromformen und die EAP besitzen auch einen anti-inflammatorischen Effekt, da es durch die Stimulation der Aδ- und C-Fasern zu einer durch „Axonreflexe“ vermittelten Ausschüttung von vasoaktiven Neuropeptiden wie „calcitonin generelated peptid“ (CGRP) und „Substanz P“ (SP) kommt. Zu einer ebenfalls anti-inflammatorischen und zusätzlich analgetischen Wirkung kommt es durch die periphere Ausschüttung von Endorphinen. Ein zweiter, entzündungshemmender Mechanismus entsteht durch den Anstieg des Blutkortisols. Außerdem wirkt die Akupunktur auch systemisch durch die morphinähnlichen Neurotransmitter, die auch in den Liquor und das Blut abgegeben werden. Die Schmerzhemmung basiert auf mehreren Mechanismen: · Einmal werden deszendierende Nervenfasern der nozizeptiven Hinterhornneurone aktiviert und somit Schmerzen gehemmt. · Darüber hinaus ist belegt, dass zentralnervöse Strukturen wie das limbische System, der Hypothalamus und das periaquäduktale Grau (PAG) aktiviert werden. Auch die Aktivität einiger anderer zerebraler Strukturen, die an der Schmerzverarbeitung beteiligt sind, wird beeinflusst, wie die Inselregion, das Kleinhirn, der sensomotorische Kortex und der Gyrus cinguli. 18 Teil I: Elektrotherapie 5. Stromformen zur Therapie · Die Ausschüttung der Neurotransmitter Serotonin, seines Abbauprodukts 5-Hydroxyindolessigsäure und des Vorläufers Tryptophan scheint von der Stimulations-Frequenz abhängig zu sein. · Bei niedrigfrequenter Elektrostimulations(akupunktur) mit Frequenzen über 20 Hz (meist 50–150 Hz) kommt es hauptsächlich zu einer Ausschüttung von β-Endorphinen, Enkephalin und Endomorphin. Hierdurch werden die Opiatrezeptoren δ und μ besetzt. · Bei der Elektrostimulations(akupunktur) (HF) wird überwiegend Dynorphin und Orphanin Q ausgeschüttet, die an κ-Opiatrezeptoren binden. · Mit niederfrequenten TENS Strömen in niedriger Dosierung unterhalb der Schmerzschwelle wird ein weiterer Schmerzhemm-Mechanismus auf Rückenmarksebene aktiviert. Die Entladungsfrequenz der langsam leitenden Schmerzfasern wird durch diese Form des Reizes herabgesetzt, man bezeichnet dies als Depotenzierung. Dies hat eine über mehrere Stunden anhaltende Schmerzhemmung zur Folge. 5.3.2 TENS-Ströme zur Schmerztherapie NF00 Ultrareizstrom Traebert 2/5 ms 143 Hz NF01 Modifizierter Ultrareizstrom 0,5/5 ms 182 Hz NF02 TENS Analgesie 1 ms 100 Hz NF03 Analgesie TENS (biphasisch) 300µs 50 Hz NF04 Analgesie TENS (biphasisch) 250µs 50 Hz NF05 SP02 APL TENS (alternierend) 250µs 80 Hz, Burst 2 Hz NF06 Alternierender Rechteckstrom 100 Hz 0,5 ms/2Hz 1 ms NF07 Analgesie stochastisch (biphasisch) 1 ms 5-30 Hz NF08 Analgesie stochastisch (biphasisch) 300µs 40-100 Hz Transkutane elektrische Nervenstimulation (TENS) TENS-Ströme werden mit relativ niedrigen Intensitäten (sensibel schwellige Dosierung) und höheren Frequenzen (etwa 50–100 Hz) zur Schmerzbehandlung eingesetzt. Auch die stochastischen Reizströme (5–30 Hz) können zur TENS-Therapie eingesetzt werden, sie beugen dem Gewöhnungseffekt vor, der sich regelmäßig bei der Reizung mit gleichbleibenden Frequenzen einstellt. Im Angelsächsischen werden diese Formen der TENS auch als „high frequency, low intensity TENS" bezeichnet. Ihre Wirkung beruht weitgehend auf den Mechanismen der gate control theorie. 19 Monophasisch alternierend Biphasisch symmetrisch Biphasisch asymmetrisch Monophasisch Abb.: Beispiele von Impulsen, die in der TENS-Therapie Verwendung finden. Teil I: Elektrotherapie 5. Stromformen zur Therapie Stochastische Ströme Bei den stochastischen Strömen handelt es sich um analgetisch wirksame Rechteckströme mit einer Impulsbreite von 2 ms, 1 ms oder 0,5 ms. Diese Ströme zeichnen sich durch zufällige (stochastische) Impulsabstände aus. Auf diese Weise wird der häufig festzustellende Gewöhnungseffekt reduziert. Deshalb werden stochastische Ströme bevorzugt in der Langzeittherapie chronischer Schmerzen (TENS-Prinzip) eingesetzt. Die beschriebene analgetische Wirkung ist insbesondere mit Impulsfolgen von 5–30 Hz zu erzielen. Elektroakupunktur (EAP) Je kleiner die Fläche einer Reizelektrode ist, desto höher ist die Stromdichte über diese Fläche. Dabei werden etwa 0,2 bis 0,3 mA/cm² effektiv toleriert. Die EAP wird mit Nadeln durchgeführt, wobei die Nadeln gleichzeitig als Elektrode dienen. Die Fläche dieser „Nadelelektroden“ ist sehr klein, unter 0,4 mm², weshalb nur geringste Stromdosen tolerierbar sind. Mit dem Durchstechen der Haut wird zudem der elektrische Hautwiderstand ausgeschaltet. Aus diesen Gründen dürfen daher auf keinen Fall die üblichen Dosierungen im Milliampere-Bereich gewählt werden. Die Reizung erfolgt mit sogenannten Mikroreizströmen von etwa 2–8 Hz und nur wenigen Mikroampere. Die Elektroakupunktur führt der Therapeut mit den üblichen Körper-Akupunkturnadeln als Elektroden durch, indem er diese an das Reizstromgerät anklemmt. Stromformen zur EAP: MI00 Mikroreizstrom Burst 2 Hz MI01 Mikroreizstrom 500 ms alternierend 0,5 Hz (nur PhySys) MI03 Mikroreizstrom 200 ms biphasisch 5 Hz (nur PhySys) Apl-TENS Von der Elektroakupunktur ist die Apl-TENS zu unterscheiden, die transkutan angewandt wird. Die bevorzugten Reizorte sind die klassischen Akupunkturpunkte sowie spezifische Schmerz- und Triggerpunkte in den Myotomen des betroffenen Segments. Die Dosis ist derart hoch zu wählen, dass Muskelkontraktionen auftreten. Zur Stimulation eignen sich kleinflächige Elektroden, die über den jeweiligen Reizpunkten appliziert werden. Die apl-TENS (acupuncture like TENS) wird mit den üblichen Oberflächenelektroden durchgeführt. Dabei sind möglichst kleinflächige Elektroden zu empfehlen, z. B. die kleinen Einmalelektroden von Zimmer MedizinSysteme. Bei der Apl-TENS werden zur Stimulation Stromimpulse mit niedrigen Frequenzen (1–8 Hz) und hohen Intensitäten nahe der individuellen Toleranzgrenze benutzt. Man bezeichnet diese Form daher als low frequency-high intensity TENS. 20 Teil I: Elektrotherapie 5. Stromformen zur Therapie Der Wirkungsmechanismus dieser Methode scheint in einer Endorphinausschüttung im ZNS zu liegen. Die Endorphine binden an Opiat-Rezeptoren und blockieren somit die Schmerzübertragung und -empfindung. Opiat Rezeptoren sind in vielen Bereichen des Gehirns vorhanden, besonders im Schmerz-System. Stimulationsbedingte Schmerzen werden durch die Verwendung von sog. Bursts und auch durch eine nicht schmerzhafte Dosierung der niederfrequenten TENS vermieden. Bursts sind Impulsgruppen mit niedrigen Wiederholungsfrequenzen von 0,5–8 Hz. Die Basisfrequenz innerhalb einer Impulsgruppe beträgt meist 8–100 Hz, der Einzelimpuls ist etwa 0,2 ms breit. Stromform zur apl-TENS NF05 Apl TENS (alternierend) 250µs 80 Hz, Burst 2 Hz NF06 Alternierender Rechteckstrom 100 Hz 0,5 ms / 2 Hz 1 ms Schmerzbehandlung bei akuten und subakuten Schmerzzuständen mit Mikroreizströmen (MENS): MI00 Mikroreizstrom Burst 2 Hz MI01 Mikroreizstrom 500 ms alternierend 0,5 Hz (nur PhySys) MI02 Mikroreizstrom 100 Hz 10 ms MI03 Mikroreizstrom 200 ms biphasisch 5 Hz (nur PhySys) Mikroreizströme sind durch Intensitäten charakterisiert, die unterhalb der sensiblen und motorischen Schwelle im Mikroampere-Bereich liegen. Während der Behandlung hat der Patient entweder kein oder ein eben gerade spürbares Stromgefühl. Die diesen Strömen zugeschriebene analgetische Wirkung wird in einem Intensitäts-Fenster von etwa 300–700 Mikroampere beobachtet. Die Impulsfrequenzen liegen zwischen 0,3 Hz und 400 Hz. Die Wirksamkeit der Mikroreizströme wird mit der Beeinflussung sogenannter Verletzungsströme erklärt, die bei einer Schädigung von Geweben entstehen. Diese Ströme im Mikroampere-Bereich regen den Zellstoffwechsel und die Bildung von ATP an, womit der beobachtete positive Einfluss auf die Gewebeheilung und die Schmerzintensität erklärt wird. In verschiedenen Publikationen wird von einer Schmerzlinderung insbesondere bei akuten Zuständen berichtet. 21 Teil I: Elektrotherapie 5. Stromformen zur Therapie 5.3.3 Hochvoltströme HV00 Hochvolt Vibration geschwellt 10 Hz HV01 Hochvoltstrom 10-25 Hz HV02 Hochvoltstrom 50-100 Hz HV03 Hochvolt Vibration geschwellt 200 Hz Hochvolt-Ströme bestehen aus Serien von sehr kurzen, etwa 10–50 Mikrosekunden dauernden Impulsen, die motorische und sensible Nerven stimulieren. Durch die extrem kurze Impulsdauer kommt es zu keiner nennenswerten sensiblen Belästigung. Um die für eine Reizwirkung notwendige Stromdosis zu erreichen, wird eine hohe Spannung benötigt, woraus sich der Name „Hochvolt“ ableitet. Die geringe sensible Belästigung ermöglicht eine vorteilhafte Reizung motorischer Nerven, insbesondere bei muskulären Verspannungszuständen. Somit stehen bei der Therapie mit Hochvoltströmen die Muskeldetonisierung und die damit erzielbare Analgesie im Vordergrund. Niedrige Frequenzen (bis etwa 10 Hz) wirken in Form einer „Schüttelung“ lockernd auf überlastete Muskulatur. MF (monophasé fixe) DF (diphasé fixe) CF (monodulé en courtes périodes) LP (modulé en longues périodes) 5.3.4 Ströme mit schmerzhemmender, durchblutungsfördernder und trophisierender Wirkung Je höher der galvanische, d. h. gerichtete monodirektionale Anteil eines Impulsstromes ist, desto ausgeprägter stellen sich auch die Wirkungen des galvanischen Stromes ein. Impulsströme mit hohem galvanischem Anteil haben daher eine ausgeprägte durchblutungsfördernde Wirkung. Auch die Stoffwechselvorgänge in den Zellen werden stimuliert, womit eine Beschleunigung der Heilung durch eine Verbesserung der Gewebeernährung – der Trophik – erreicht wird. 5.3.5 Diadynamische Ströme zur Stoffwechselsteigerung, Ödemresorption, Schmerzbehandlung, Mehrdurchblutung DI00 Diadynamischer Strom DF 100 Hz DI01 Diadynamischer Strom MF 50 Hz DI02 Diadynamischer Strom CP 50 / 100 Hz DI03 Diadynamischer Strom LP 50 / 100 Hz DI04 Diadynamischer Strom 2 Min. DF, 4 Min. CP DI05 Diadynamischer Strom 2 Min. DF, 4 Min. LP Die Impulse mit der Form einer Sinushalbwelle haben als Grundfrequenz 50 Hz oder 100 Hz. Diese beiden Grundfrequenzen wurden bei den Stromformen CP und LP kombiniert. Auch die Kombination von DF mit CP oder LP wird in der Praxis häufig angewandt. Den diadynamischen Strömen sollte immer ein galvanischer Strom unterlegt werden, da dieser sogenannte Basisstrom die Durchblutung und Gewebetrophik zusätzlich zu fördern vermag. Die therapeutischen Wirkungen der diadynamischen Ströme beruhen auf analgetischen, durchblutungsfördernden und trophikfördernden Eigenschaften. Damit einher geht auch 22 Teil I: Elektrotherapie 5. Stromformen zur Therapie eine ausgeprägte Resorptionsförderung, beispielsweise bei posttraumatischen Zuständen. Die Verbesserung von Stoffwechselvorgängen zur Beschleunigung von Heilungsprozessen ist stets verbunden mit trophikverbessernden Eigenschaften, die vor allem bei chronisch-degenerativen Erkrankungen von Nutzen sind. Die diadynamischen Ströme werden im Allgemeinen sensibel überschwellig dosiert. Der Patient soll ein deutliches Kribbeln oder Vibrieren unter den Elektroden empfinden. Bei chronischen Prozessen ist es manchmal erforderlich, die Stromintensität bis zur Toleranzgrenze zu steigern. Es werden mittlere oder große Elektroden empfohlen. Am besten geeignet sind Schwammtaschenelektroden. Die Elektroden müssen plan und gleichmäßig aufliegen, um kleinflächige Stromspitzen zu vermeiden. 5.3.6 Träbert'scher Reizstrom Der Träbertstrom, auch Ultrareizstrom genannt, ist ein unipolarer Rechteckstrom von 2 ms Impuls- und 5 ms Pausendauer, woraus sich eine Frequenz von 143 Hz ergibt. Die gute analgetische Wirksamkeit verschaffte dieser Stromform eine breite Anwendung bei posttraumatischen Schmerzzuständen und Neuralgien sowie bei schmerzhaften degenerativen Gelenkerkrankungen. Ultrareizstrom nach Träbert Nach einem anfangs intensiven, manchmal etwas unangenehm empfundenen Reiz, soll während der gesamten Behandlungszeit ein deutliches Stromgefühl erhalten bleiben. Das auftretende Muskelwogen ist zur Detonisierung erwünscht. modifizierter Ultrareizstrom Ultrareizstrom 182 Hz Diese Modifikation des Träbert'schen Ultrareizstroms ist durch eine Impulsbreite von 0,5 ms gekennzeichnet, woraus sich bei einer Pausendauer von 5 ms eine Frequenz von 182 Hz ergibt. Dieser Strom hat gegenüber dem Träbert'schen Strom eine reduzierte trophische Wirkung. Diese Stromform reizt die Schmerzfasern der Haut nur noch geringfügig, was eine relativ hohe Dosierung ohne unangenehmes Stromempfinden erlaubt. Damit kann ein intensives Muskelwogen zur Detonisierung verspannter Muskeln bewirkt werden, z. B. zur Entstauung bei Muskelverletzungen. 23 NF 00 Ultrareizstrom nach Träbert 2 ms / 5 ms, 143 Hz NF 01 Ultrareizstrom modifiziert 182 Hz 0,5 / 5 ms, 182 Hz Teil I: Elektrotherapie 5. Stromformen zur Therapie 5.4 Elektrostimulation der Muskulatur Diese Stromformen werden zur neuromuskulären Reizung eingesetzt. Reizfrequenzen bis etwa 10 Hz erzeugen Einzelzuckungen. Die mechanische Antwort auf einen Reiz überdauert die elektrische Aktivität um ein Vielfaches, daher bauen ab einer Frequenz von etwa 10 Hz die Zuckungen aufeinander auf, die Muskulatur kontrahiert somit intensiver, als es mit Einzelzuckungen möglich ist. Erst diese tetanische Kontraktion erlaubt dem Muskel, seine Kraft zu entfalten. Mit steigender Frequenz wird auch die Kraftentfaltung in der Muskulatur intensiver und erreicht bei Reizfrequenzen von ca. 50–70 Hz ihren Höhepunkt. Die Muskeln des menschlichen Körpers sind im Gegensatz zu spezialisierten Muskeln bestimmter Tiere eher als universelle Bewegungsorgane angelegt. Sie sind daher nur bedingt spezialisiert und in der Lage, sowohl Kraft- als auch Ausdauerleistungen zu erbringen. Dazu bestehen die Muskeln aus unterschiedlichen Fasertypen, der „rot“ genannten Ausdauermuskulatur und der „weiß“ genannten Kraftmuskulatur, die ihr Reizoptimum bei unterschiedlichen Frequenzen haben. Die Ausdauermuskulatur kann mit niedrigeren Frequenzen um 20–30 Hz, die Kraftmuskulatur mit höheren Frequenzen um 50–60 Hz spezifisch gereizt und auch unterstützend trainiert werden. Interessant ist die Beobachtung, dass mit einer Langzeitstimulation mit den faserspezifischen Frequenzen eine Anpassung des Muskels bewirkt werden kann; man kann einen Muskel daher den spezifischen Anforderungen an Ausdauer und Kraft entsprechend therapeutisch optimal in seiner Faserzusammensetzung modifizieren. Über etwa 100 Hz können aufgrund der Refraktärzeit der Muskelfasern nicht mehr alle gleichmäßig erregt werden, zudem wird die Refraktärzeit auch länger. Es resultiert nun ein irreguläres Kontraktionsmuster, das keine Kraftentfaltung mehr zur Folge hat und vielmehr eine relaxierende Wirkung auf den Muskel ausübt, der zudem besser durchblutet wird und wegen der fehlenden Kraftentfaltung auch während der Stimulation gedehnt werden kann. Auf diesem Mechanismus beruht unter anderem die hervorragende muskelrelaxierende und analgesierende Wirkung der funktionellen Muskeltherapie mit dem Simultanverfahren. Gerade zur neuromuskulären Reizung steht eine Fülle von Stromformen zur Verfügung, die unterstützend entsprechend dem Therapiezweck eingesetzt werden, entweder in Verbindung mit Willkürkontraktionen zur Tonisierung und Kräftigung oder zusammen mit Dehnung zur Detonisierung und Relaxation. Auch die willkürliche Aktivierbarkeit und die neuronale Ansteuerung der Muskulatur werden durch die neuromuskuläre Elektrostimulation verbessert, sowohl peripher an der Muskulatur als auch zentral in den motorischen Gehirnzentren. Die Voraussetzungen für die (begleitende) Bewegungs- und 24 Teil I: Elektrotherapie 5. Stromformen zur Therapie Trainingstherapie werden somit verbessert. Dies zeigt auch die Notwendigkeit und Sinnhaftigkeit der Verbindung von Bewegungsübungen mit der Elektrostimulation, insbesondere, wenn Schmerzen, Immobilisation oder Verletzungen die Willkürmotorik einschränken. Wichtig ist die individuelle Planung der Therapie und somit die Anpassung der Reizstrombehandlung an den Zustand der Muskulatur. Betont sei dabei, dass bei dieser Form der neuromuskulären Reizung das neuromuskuläre System intakt sein muss. Komplexe Störungen des Bewegungsablaufes sind häufig das Resultat einer lange bestehenden Bewegungseinschränkung, in erster Linie aufgrund von Gelenkfunktionsstörungen. Lange anhaltende Bewegungsstörungen führen zu fehlerhaften zentralen Bewegungsmustern; es gilt in der Therapie, die normalen zentralen Steuerungsmechanismen der Bewegung wieder herzustellen. Diesem Zweck dienen die kombinierten Stromformen zur Muskelrehabilitation. Diese werden bei allen chronisch gestörten Bewegungsmustern zur Unterstützung der Bewegungstherapie, in erster Linie auch zur Unterstützung propriozeptiver Formen der Therapie eingesetzt. Das Prinzip der kombinierten Therapie von Störungen der Muskulatur trifft auch für sportmedizinische Indikationen zu. Hier tritt allerdings das Beüben aufgrund langfristig gestörter Bewegungsmuster in den Hintergrund und wird durch den Aspekt des Trainings ersetzt. Das zielführende Muskeltraining wird mit speziellen Stromformen unterstützt, die auf die unterschiedlichen Faserarten einwirken können. Die Behandlung erfolgt immer mit zwei Stromkreisen, den sog. Kanälen, die simultan oder alternierend geschaltet werden können. Die simultane Stimulation wird z. B. zum gleichzeitigen Beüben von Muskelketten über mehrere Gelenke hinweg eingesetzt, die alternierende Stimulation z. B. zum Beüben von Agonisten und Antagonisten. Einsatzmöglichkeiten: · allgemeinen Muskelkräftigung · Kräftigung mit Betonung der Haltemuskulatur · Kräftigung mit Betonung der Kraftmuskulatur · Detonisierung verspannter und schmerzhafter Muskulatur Muskeldurchblutung Die Kontraktionszyklen der Muskulatur sind energieverbrauchende Vorgänge, daher nimmt die Durchblutung während der Muskelarbeit zu. Die Mehrdurchblutung beruht auf der Freisetzung vasoaktiver Stoffwechselprodukte, der Aktivierung afferenter, also propriozeptiver Nervenfasern und der Förderung des venösen Rückstroms über die Muskelpumpe. 25 Vorteile der elektrischen Muskelstimulation - Aktivierung des gesamten kontraktilen Apparates - Längere Dauer der Muskelanspannung - Umgehung von Ermüdungsprozessen im Zentralnervensystem - Gezieltes Training einzelner Muskeln und Muskelgruppen möglich - Zusätzlich reflextherapeutische Effekte - Fehlende psychische Belastung - Training auch in einer Regenerations- und Immobilisationsphase möglich - Geringe kardiovaskuläre Belastung Nachteile der elektrischen Muskelstimulation - Unphysiologisches Rekrutierungsmuster - Erregung von Teilen des Muskels, statt des gesamtes Muskels - Sensibel belastend - Maximale Kontraktionskraft ist schmerzhaft und daher begrenzt - Exzentrische Muskelkontraktionen sind mit der neuromuskulären Stimulation alleine nicht durchführbar Teil I: Elektrotherapie 5. Stromformen zur Therapie MF00 Mittelfrequenz 8000 Hz (nur PhySys) MF01 Mittelfrequenz 8000 Hz, geschwellt MF02 Mittelfrequenz Sinusmodulation, (Schwellung) 8000 Hz (nur PhySys) RS00 Tonisierende Mittelfrequenz 2500 Hz, geschwellt (nur PhySys) Kräftigung der innervierten Muskulatur MF04 Mittelfrequenz 8000 Hz, geschwellt, Modulation 25 Hz Tonisierung von „roten“ Muskelfasern zur Verbesserung der Ausdauerleistung MF05 Mittelfrequenz 8000 Hz, geschwellt, Modulation 50 Hz MF10 Mittelfrequenz 8000 Hz geschwellt, Modulation 30 – 60 Hz (nur PhySys) RS01 Mittelfrequenz 2500 Hz geschwellt, Modulation 50 Hz (nur PhySys) Tonisierung von „weißen“ Muskelfasern zur Verbesserung der Schnellkraft MF03 Mittelfrequenz 8000 Hz, Modulation 10 Hz (nur PhySys) MF07 Mittelfrequenz 8000 Hz, Modulation 3 – 10 Hz Detonisierung der Muskulatur durch „Schüttelung“ MF08 Mittelfrequenz 8000 Hz, Modulation 10 – 30 Hz (nur PhySys) MF09 Mittelfrequenz 8000 Hz, geschwellt, Modulation 10 – 30 Hz Langzeitstimulation von „roten“ Muskelfasern zur Verbesserung der Ausdauerleistung MF11 Mittelfrequenz 8000 Hz, Modulation 100 – 200 Hz Detonisierung der Muskulatur und Durchblutungsförderung MF06 Mittelfrequenz 8000 Hz, Modulation 100 Hz (nur PhySys) Analgesie und Durchblutungsförderung in der Muskulatur 5.4.1 Mittelfrequenzströme – Muskelstimulation, Schmerzdämpfung und klassische Mittelfrequenz Mittelfrequente Reizströme sind definitionsgemäß Wechselströme im Frequenzband zwischen 1.000 Hz und 100.000 Hz. Mittelfrequenzströme sind ambipolar, d. h. sie haben unter allen Elektroden eine gleichsinnige Wirkung. Sie sind als ladungsbalancierte (nulllinien-symmetrische) Ströme auch für längere Anwendung und zur Anwendung über MetallImplantaten geeignet. Bei diesen Frequenzen ist nicht mehr die einzelne Schwingung als Reiz wirksam, sondern eine Serie mehrerer Hundert aufeinander folgender Schwingungen als reizwirksamer Summationsimpuls. Die Frequenz dieser Summationsimpulse entsteht durch Amplituden- oder Frequenzmodulation, um die oben erwähnten Summen- oder Summationsimpulse zu erhalten. In den Therapiegeräten sind zwei Verfahren der Amplitudenmodulation realisiert, die geräteseitige Amplitudenmodulation, das SINUS-Verfahren nach Jasnogorodskij und die Amplitudenmodulation durch Überlagerung zweier Stromkreise unterschiedlicher Frequenz im Gewebe, das Interferenzstromverfahren (nach Nemec). Die hohe Basisfrequenz der mittelfrequenten Ströme bedingt eine mit zunehmender Frequenz steigende thermische Belastung des Gewebes. Aus diesem Grund haben sich für therapeutische Zwecke nur Frequenzen bis ca. 8.000 Hz als Basisfrequenz bewährt. Darüber hinaus verhindert die thermische Belastung den Einsatz reizauslösender Stromdosen. In den Geräten sind als Basisfrequenzen der mittelfrequenten Ströme 2.500 Hz, 4.000 Hz und 8.000 Hz vorgesehen. Mit steigender Frequenz nimmt die sensible Reizung der kutanen Rezeptoren ab, so dass die höheren Frequenzen einen geringeren Hautreiz aufweisen und somit angenehmer empfunden werden. Der geringe oder fehlende Hautreiz erlaubt eine schmerzfreie Stimulation und dadurch die Anwendung hoher Dosen, die in der Lage sind, tiefer gelegene motorische Nervenfasern wirksam zu reizen. Damit sind die mittelfrequenten Ströme gut geeignet zur Muskelstimulation. Die schmerzlindernde Wirkung der mittelfrequenten Ströme ist daher vorrangig ein indirekter Effekt bedingt durch die Veränderungen des Muskeltonus, in erster Linie als MuskelDetonisierung. Klassische Mittelfrequenz (SINUS-Verfahren von ZIMMER) Das ursprünglich nach dem russischen Gerät „Amplipuls“ benannte Verfahren erzeugt die reizwirksamen Summationsimpulse im Gerät. Der Reiz wird daher unter den Elektroden wirksam, wo auch die größte Stromdichte besteht. 26 Teil I: Elektrotherapie 5. Stromformen zur Therapie Der Hautreiz ist dabei nicht sehr ausgeprägt, da durch die kapazitive Koppelung der Wirkort der Ströme in den gut leitenden Schichten unter der Haut und in der Muskulatur liegt. Der Vorteil dieser Ströme liegt in der genauen Lokalisation des Reizortes, womit es möglich wird, gezielt motorische Nerven, motorische muskuläre Reizpunkte und verhärtete Bezirke in der Muskulatur, wie myofasziale Triggerpunkte zu behandeln. Einen breiten Einsatz finden diese mittelfrequenten Ströme zur Tonisierung von Muskulatur zur Unterstützung kräftigender Übungstherapien in der Rehabilitation und beim Muskeltraining im Sport. Dabei kommt auch die oben beschriebene Eigenschaft langer mittelfrequenter Impulsserien zum Tragen, die in langsamer Schwellung appliziert den Reiz nicht am motorischen Nerv sondern an der Muskelfaser direkt auslösen. Mittelfrequenzaktivierung nach Senn Besonders in der Muskulatur tritt die schrittweise Depolarisierung der Zellmembranen bis zur Erregungsschwelle im gesamten Stromfeld auf. Dieser Mechanismus wurde von Wyss und Senn für lange mittelfrequente Impulse beschrieben, deren Dauer mindestens 300 ms betragen muss. Dabei führen die langen, oft mehrere Sekunden anhaltenden mittelfrequenten Stromschwellungen zunächst zu mehreren Einzelentladungen der Muskelfasermembran, die in eine plateauförmige Depolarisation mündet. Diese wird von der Muskelfasermembran ca. 6 Sekunden aufrecht erhalten und bildet sich dann spontan zurück. Die Aktivierung der Muskulatur mit diesen langen mittelfrequenten Schwellströmen ist sehr gut verträglich, da sie einen Eigenrhythmus der Muskulatur auslöst und dadurch eine Überbelastung vermieden werden kann. Diese physiologische Aktivierung der Muskelfasermembran in deren Eigenrhythmus stellt das eigentliche „mittelfrequente Reizprinzip“ dar, was sich durch die fehlende Ermüdung der Muskulatur während der BehandlungsSitzung therapeutisch nutzen lässt. Die Muskelaktivierung mit mittelfrequenten Impulsen ist nur bei einem intakten neuro-muskulären System möglich. Zur Diagnose der Funktionsfähigkeit des Nerv-Muskelsystems wird der Mittelfrequenztest nach Lange (PA 00) angewandt. Die physiologische Muskelaktivierung mit langen an- und abschwellenden mittelfrequenten Impulsserien wird für folgende Indikationen als adjuvantes Verfahren mit krankengymnastischen Übungsbehandlungen und aktiven Trainingsmethoden empfohlen: · Willkürinnervationsschwäche · fehlendes Muskelgefühl · Muskelschwäche · reflektorische Verspannungen · Adjuvant zum Muskeltraining 27 ~ 6 Sekunden Verlauf des Membranpotentials der Muskelzellen Reizimpuls Mittelfrequenzaktivierung nach Senn Teil I: Elektrotherapie 5. Stromformen zur Therapie IF00 Interferenz unmoduliert, sweep 6 sek IF08 Interferenz 1 – 100 Hz, sweep 6 sek; 90 % (nur PhySys) Zur Anregung des Gewebe-Stoffwechsels und Analgesie IF01 Interferenz 10 Hz, sweep 6 sek; 90 % IF02 Interferenz 50 Hz, sweep 6 sek IF04 Interferenz 3 – 10 Hz, sweep 6 sek; 90 % Muskelaktivierung bei Myalgie IF03 Interferenz 100 Hz, sweep 6 sek Analgesie und Resorptionsförderung IF05 Interferenz 10 – 30 Hz, sweep 6 sek Muskelaktivierung bei Schmerzen der Haltemuskulatur IF06 Interferenz 30 – 60 Hz, sweep 6 sek Allgemeine Muskelaktivierung bei Myalgie IF07 Interferenz 60 – 120 Hz, sweep 6 sek IF09 Interferenz 120 – 200 Hz, sweep 6 sek; 90% (nur PhySys) Großflächige Muskeldetonisierung Vollständige Interferenz Guter Reizeffekt Unvollständige Interferenz Mäßiger Reizeffekt 5.4.2 Interferenzströme – Schmerzbehandlung, Muskelentspannung und vegetative Stimulation Bei dem Interferenzstrom-Verfahren werden zwei Stromkreise gekreuzt angelegt, die sich entweder in ihrer Frequenz unterscheiden oder bei gleichen Frequenzen gegeneinander in ihren Phasen verschoben werden. Im Gewebe überlagern sich diese elektrischen Wechselstromfelder und bilden dabei typische Interferenzmuster in Form von niederfrequenten Schwebungen aus. Die Frequenz dieser Schwebungen entspricht der Differenz der Frequenzen der beiden Stromkreise. Die Amplitudenmodulation mit Hilfe unterschiedlicher Frequenzen ist als „klassische“ Interferenz bekannt. Die Technik der Interferenz durch Phasenverschiebung wird von den Herstellern auch als „planare“ Interferenz bezeichnet, wobei eine Amplitudenmodulation bei gleicher Frequenz sowohl bei gleichen als auch unterschiedlichen Amplituden der interferierenden Wellen erreicht wird. Es ist somit verständlich, dass es sich beim InterferenzstromVerfahren um eine räumlich wirkende Methode handelt, die zur Therapie gut in einem größeren Volumen, jedoch nicht punktgenau eingesetzt werden kann. Keine Interferenz Kein Reizeffekt Die Interferenzstromtherapie eignet sich daher in erster Linie zur Detonisierung mittlerer und größerer Muskeln und Muskelgruppen. Der Vorteil des Interferenzstrom-Verfahrens ist in der ausgezeichneten Verträglichkeit zu sehen, da in der Haut keinerlei modulierte Ströme und dementsprechend auch keine Reize auftreten. Diese Methode der Amplitudenmodulation erzeugt – wie dargestellt – im Gewebe Impulse unterschiedlicher Modulationsgrade. · Unter den Elektroden fehlen reizwirksame Impulse, weil dort ein unmodulierter Strom fließt. · Ein wirksamer Reiz ist aber nur mit vollständig modulierten Impulsen zu erzielen, die im Interferenzstromfeld vorzugweise entlang der Diagonalen des von den Elektroden gebildeten Rechtecks entstehen. Nur dort sind die Felder gleich stark und haben einen annähernd parallelen Verlauf, was die Voraussetzungen zur Bildung einer vollständigen Interferenz erfüllt. Diese Impulse werden häufig auch als vollständige Schwebungen bezeichnet. · Die inhomogenen elektrischen Eigenschaften der Gewebe dürften darüber hinaus zu Verzerrungen der Stromfelder im Körper führen. Diesem Umstand soll mit der Vektortechnik, dem Sweep begegnet werden. Innerhalb eines Segments der Quadranten des Elektroden-Rechtecks wird der Ort der optimalen Interferenz verschoben, indem die Amplitude Interferenzfeld in der Therapie 28 Teil I: Elektrotherapie 5. Stromformen zur Therapie eines Stromkreises zu- und abnimmt. In diesen Segmenten entstehen reiztaugliche Impulse, womit ein größerer Bereich des Therapiefeldes wirksam behandelt werden kann. Diese Verschiebung des Hauptvektors kann im Therapiegerät eingestellt werden und überstreicht je Quadrant jeweils bis zu 80°. 5.4.3 Niederfrequente Ströme zur Muskelstimulation Diese Stromformen werden zur neuromuskulären Reizung während der Rehabilitation eingesetzt. Für die Effizienz der Reizung ist es nicht von Bedeutung, ob symmetrische oder asymmetrische Rechteckimpulse genutzt werden, dies hängt vom individuellen Empfinden der Patienten ab. Zu beachten ist ferner, dass nur symmetrische Rechteckimpulse für das Simultanverfahren mit dem Ultraschall oder für die Anwendung mit beweglichen Elektroden, z. B. zur Triggerpunkt-Stimulation geeignet sind, da nur symmetrische Impulse im CV-Betrieb eingesetzt werden sollen, um ein evtl. eintretendes Brennen und galvanische Hautschäden zu vermeiden. Wichtig ist die individuelle Planung der Therapie und somit die Anpassung der Reizstrombehandlung an den Zustand der Muskulatur. Betont sei dabei, dass es sich bei dieser Form der muskulären Rehabilitation um ein intaktes neuromuskuläres System handelt. 5.5 Stromformen zur Rehabilitation bei gestörter Muskelfunktion und zum spezifischen Training bei der Rehabilitation von Sportverletzungen 5.5.1 Rehabilitation im Muskelbereich Schwellströme, angepasst an Innervationsgrad und Funktionszustand des Muskels unterstützen oder initiieren die willkürliche Auslösung von Kontraktionen. Die Entstehung einer immobilisationsbedingen Atrophie kann somit erheblich verlangsamt werden. Entsprechend den Anforderungen und den verlorengegangenen Funktionen können mit der gewählten Frequenz auch die spezifischen Eigenschaften der Muskelfasertypen berücksichtigt und spezifisch beübt werden. 5.5.2 „Russische Stimulation“ Diese Sonderform der mittelfrequenten Reizung wird erfolgreich zur Erhaltung der Muskelkraft, insbesondere bei großen Muskeln, eingesetzt. (nur PhySys) 29 Bipolarer symmetrischer Rechteckimpuls Bipolarer asymmetrischer Rechteckimpuls Teil I: Elektrotherapie 5. Stromformen zur Therapie Die folgenden Bilder geben eine Übersicht über die wichtigsten Indikationen zur komplexen Muskeltherapie bei der Rehabilitation von Sportschäden und chronischen orthopädischen Erkrankungen. Dargestellt sind die Muskeln / Muskelgruppen, die jeweils tonisierend oder detonisierend behandelt werden sollen. Ströme zur Rehabilitation bei gestörter Muskelfunktion MR00 Kräftigung der Agonisten / Detonisierung der Antagonisten MR01 Kräftigung der Agonisten MF / Detonisierung der Antagonisten MR02 Kräftigung von Muskelgruppen / Agonisten und Antagonisten MR03 Kräftigung von Muskelgruppen / Agonisten und Antagonisten MF MR04 Detonisierung und Analgesie von Agonisten und Antagonisten (nur PhySys) MR05 Detonisierung und Analgesie von Agonisten und Antagonisten 10 Hz (nur PhySys) MR06 Stoffwechselstimulation und Analgesie Mittelfrequenz Komplexe Störungen des Bewegungsablaufes sind häufig das Resultat einer lange bestehenden Bewegungseinschränkung, in erster Linie aufgrund von Gelenkfunktionsstörungen. Als Ursache dieser Gelenkfunktionsstörungen stehen die degenerativen Erkrankungen der Gelenke und der Wirbelsäule an erster Stelle. Lange anhaltende Bewegungsstörungen führen zu fehlerhaften zentralen Bewegungsmustern; es gilt in der Therapie, die normalen zentralen Steuerungsmechanismen der Bewegung wieder herzustellen. Diesem Zweck dienen die kombinierten Stromformen zur Muskelrehabilitation. Diese werden bei allen chronisch gestörten Bewegungsmustern zur Unterstützung der Bewegungstherapie, in erster Linie auch zur Unterstützung propriozeptiver Formen der Therapie eingesetzt. Schwellströme, angepasst an Innervationsgrad und Funktionszustand des Muskels, unterstützen oder initiieren die willkürliche Auslösung von Kontraktionen. Die Entstehung einer immobilisationsbedingten Atrophie kann somit erheblich verlangsamt werden. Entsprechend den Anforderungen und den verlorengegangenen Funktionen können mit der gewählten Frequenz auch die spezifischen Eigenschaften der Muskelfasertypen berücksichtigt und spezifisch beübt werden. Als Indikationsbeispiele seien Muskelfunktionsstörungen genannt wie: · chronisch degenerative Erkrankungen der peripheren Gelenke, · chronisch degenerative Erkrankungen der Wirbelsäule, · chronische Verletzungsfolgen, · angeborene und erworbene Haltungs- und statische Störungen an Gelenken und Wirbelsäule, · chronische Störungen des Muskeltonus und der Muskeltrophik 30 Teil I: Elektrotherapie 5. Stromformen zur Therapie 5.5.3 Sequenzströme zum spezifischen Training in der Rehabilitation von Sportverletzungen Das Prinzip der sequentiellen Therapie von Störungen der Muskelfunktion wird bei sportmedizinischen Indikationen angewandt. Hier tritt allerdings das Beüben aufgrund langfristig gestörter Bewegungsmuster in den Hintergrund und wird durch den Aspekt des Trainings ersetzt. Für die Rehabilitation nach Verletzungen im Sport und von Sportschäden wurden Ströme zum physiologischen Sequenztraining entwickelt, die auf den Zustand des zu behandelnden Muskels oder der Muskelkette und auf den Trainingszweck abgestimmt sind. Diese Stromformen unterstützen das zielführende Muskeltraining mit speziellen Stromformen, die auf die unterschiedlichen Faserarten einwirken können. Der Zyklus beginnt mir einer Aufwärmphase, darauf folgt die Trainingsphase, beendet wird er mit einer Entspannungsphase. Die Sequenzbehandlung erlaubt es, das Rehabilitationstraining nach speziellen Anforderungen der einzelnen Sportart und auch gemäß den muskulären Voraussetzungen des Sportlers entsprechend zu planen und gezielt einzusetzen. Die Behandlung erfolgt immer mit zwei Stromkreisen, den sog. Kanälen, die simultan oder alternierend geschaltet werden können. Sequenztherapie zur Muskelstimulation: Jedes Programm besteht aus drei Phasen: Sequenztraining Die simultane Stimulation wird z. B. zum gleichzeitigen Beüben von Muskelketten über mehrere Gelenke hinweg eingesetzt, die alternierende Stimulation z. B. zum Beüben von Agonisten und Antagonisten. 31 Aufwärmphase, 5 min 5 – 30 Hz, 500 µsec. Rechteck mit galvanischem Ausgleich Trainingsphase, 10 min bis 20 min (Wahl der Stromform entsprechend dem Befund) SR 00 Muskelkräftigung allgemein SR 01 Kräftigung Haltemuskulatur SR 02 Kräftigung Schnellkraftmuskulatur SR 04 Ausdauertraining SR 05 Schnellkrafttraining SR 06 Explosivkrafttraining Entspannungsphase, 3 min 10 Hz geschwellt, Rechteck 120 µsec. mit galvanischem Ausgleich Teil I: Elektrotherapie 5. Stromformen zur Therapie Ströme zur Lähmungsdiagnostik – Diagnostik bei Lähmungen PA00 Innervationstest nach Lange, 8000 Hz PA01 Neofaradischer Test 1 ms, 50 Hz PA02 Chronaxie / Akkomodationsquotient PA03 I/t - Kurvendiagnostik (nur PhySys) PA15 Fischgoldtest Ströme zur Lähmungsbehandlung – Muskelaktivierung bei unterschiedlichen Lähmungsformen / -graden PA04 Therapie schlaffer Lähmungen (nur PhySys) PA14 Therapie spastischer Lähmungen (nur PhySys) PA06 PA07 PA08 PA10 PA11 PA12 Lähmungsbehandlung mit alternierenden Dreieckimpulsen Lähmung, mittlere Entartung, 200 / 1400 ms Lähmung, geringe Entartung, 100 / 1000 ms Intentionsübung biphasisch 600 µs, 50 Hz Muskelrehabilitation Kraft (biphasisch) T 0,5 ms, 60 Hz Muskelrehabilitation Ausdauer (biphasisch), T 1 ms, 20 Hz 5.6 Ströme zur Diagnostik und Behandlung bei Lähmungen 5.6.1 Elektrotherapie schlaff gelähmter Muskulatur Ein innervierter Muskel reagiert auf die Reizung mit Rechteckimpulsen mit einer einmaligen blitzartigen Zuckung. Um die Funktionsfähigkeit des neuromuskulären Systems zu untersuchen, wird der Muskel über eine Minute mit einem Rechteckstrom von 1 ms Dauer und einer Frequenz von 50 Hz gereizt, dem sog. neofaradischen Strom. Kontrahiert der Muskel während dieser Reizung, ist seine Nervenversorgung intakt, der Muskel ist „faradisierbar“. Im Gegensatz zum Reaktionsmuster des intakten Skelettmuskels auf elektrische Reize verändert sich diese Reaktion bei manchen Erkrankungen des Muskels sowie bei Erkrankungen oder Verletzungen des peripheren Nervensystems in typischer Weise. Dabei kann die Reizschwelle erhöht oder erniedrigt sein. Ist die Reizschwelle erhöht, benötigt man höhere Stromdosen, um eine Reaktion auszulösen; ist sie erniedrigt, ist der Muskel leichter erregbar oder sogar übererregbar. Die Erregbarkeit des Muskels kann aber auch völlig zum Erliegen kommen. In den Fällen, in denen sich die Stromstärke ändert, die zur Auslösung einer Zuckung benötigt wird, spricht man von einer quantitativen Veränderung. Veränderungen des Kontraktionsund Zuckungsablaufs werden als qualitative Veränderungen bezeichnet. Im Falle einer Denervation tritt auf einen elektrischen Reiz hin häufig eine träge und wurmförmig verlaufende Zuckung auf, die als Entartungsreaktion (EAR) bezeichnet wird. Die EAR kann partiell oder komplett sein. Bei einer schweren Schädigung, die mit einer vollständigen Denervation einhergeht, beobachtet man: · den Verlust der faradischen Erregbarkeit nach 3–4 Tagen · den Verlust der indirekten galvanischen Erregbarkeit nach ca. zwei Wochen · eine komplette EAR bei direkter galvanischer Reizung Bei einer lang dauernden kompletten Denervation kommt es zur bindegewebigen Degeneration der Muskulatur; dann erlischt auch die direkte galvanische Erregbarkeit. Liegt eine inkomplette Denervation vor, z. B. bei einer Nervenquetschung mit Erhalt der Kontinuität des Endo- bzw. Perineuriums, so kann es zwar zum vollständigen Funktionsausfall der Muskulatur kommen, sie bleibt aber faradisch erregbar, trotz weiter bestehender schlaffer Lähmung. 32 Teil I: Elektrotherapie 5. Stromformen zur Therapie Man beobachtet eine partielle EAR, die sich aus folgenden Befunden ergibt: · die faradische Erregbarkeit ist noch erhalten · bei direkter galvanischer Reizung ist die Zuckung an fangs nicht träge und wurmförmig, sie wird es aber nach einer Reihe von Impulsen Die Reizung mit dem neofaradischen Strom reicht also aus, um sich einen schnellen Überblick über ein Lähmungsbild zu verschaffen (neofaradischer Test). Weiter entwickelte Varianten der Prüfung der neuromuskulären Innervation sind der von dem französischen Neurologen Fischgold entwickelte „Fischgoldtest“ sowie der von dem deutschen Arzt Lange entwickelte Innervationstest. Der „Fischgoldtest“ vergleicht die Reizantwort auf einen Reiz mit 1 ms Impulsbreite mit der auf einen Reiz mit 100 ms Impulsbreite. Der Quotient aus beiden Stromamplituden (in mA) dient zur Beurteilung einer partiellen Denervation. Der „Lange-Test“ bedient sich eines mittelfrequenten Impulses von 300 ms Dauer. Er wird immer im Seitenvergleich mit der gesunden Seite durchgeführt und liefert somit eine visuelle Aussage über den Innervationsgrad eines Muskels, wobei eine totale von einer partiellen Lähmung unterschieden werden kann. Zur Therapie sind diese Tests jedoch nicht geeignet. Für diesen Zweck werden Rechteck- und Dreieckströme eingesetzt, deren Impulsbreite regelbar ist. Rechteckimpulse erzeugen beim gesunden Muskel eine schnell ablaufende, blitzartige Zuckung. Dreieckströme haben einen mehr oder weniger verzögerten Anstieg. Der gesunde Muskel ist in der Lage, sich dem verzögerten Anstieg in gewissen Grenzen anzupassen und reagiert daher erst bei deutlicher Erhöhung der Schwellenstromstärke mit einer Kontraktion. Diese erfolgt umso langsamer, je flacher der Anstieg ist; sie wird mit zunehmender Steilheit des Anstiegs schneller und deutlicher wahrnehmbar. Der gesunde Muskel reagiert also auf Rechteckimpulse bei niedrigerer Stromstärke, während er auf Dreieckimpulse erst nach mehrfacher Erhöhung der Schwellenstromstärke anspricht, er passt sich dem verzögerten Anstieg an. Diese Anpassungsfähigkeit nennt man Akkomodabilität, den Vorgang selbst Akkommodation. Der gelähmte Muskel hat dagegen, je nach Entartungsgrad, diese Anpassungsfähigkeit eingebüßt. Er reagiert deshalb auf Dreieckimpulse mit weit geringerer Stromstärke als ein gesunder Muskel. 33 Teil I: Elektrotherapie 5. Stromformen zur Therapie Der Quotient der mindestens zur Auslösung einer Zuckung mit einem Rechteckimpuls resp. Dreieckimpuls benötigten Stromintensitäten wird als Akkomodationsquotient bezeichnet. Je ausgeprägter die Denervation einen Muskels ist, desto kleiner wird auch der Akkommodationsquotient, was den Verlust der Akkomodabilität messbar macht. Reizt man beispielsweise einen geschädigten Muskel, der von gesunden Muskeln umgeben ist, mit Rechteckimpulsen, so kann man häufig beobachten, dass die gesunden Antagonisten oder benachbarte Muskeln rascher und kräftiger reagieren als der geschädigte Muskel. Man spricht in diesem Fall vom Durchschlagen der Antagonisten. Reizt man jedoch den geschädigten Muskel mit Dreieckstromimpulsen, so kann er sich dem Kontraktionsreiz nicht entziehen, während die gesunden Antagonisten aufgrund ihrer Akkomodabilität nicht reagieren. Man spricht daher von der selektiven Reizung der gelähmten Muskulatur. Der jeweilige Reizbedarf für die selektive Reizung des geschädigten Muskels muss genau festgestellt werden. Hierzu dient die Reizzeit-Reizstärke-Kurve, kurz It-Kurve genannt (Erstellung einer It-Kurve: siehe Anhang). Die Behandlung des schlaff gelähmten Muskels mit dreieckoder trapezförmigen Stromimpulsen berücksichtigt, dass ein nicht irreparabel denervierter Muskel durch den Ausfall funktioneller und trophischer Einflüsse der Nervenfasern unter anderem einen Verlust an kontraktiler Substanz erleidet, mit dem Ergebnis einer zunehmenden Muskelatrophie. Bei anhaltender Lähmung und bei kompletter Denervierung kann es nach längerer Zeit, d. h. nach ein bis zwei Jahren, zum vollständigen Untergang der Muskelfasern kommen, die durch nicht kontraktiles Bindegewebe ersetzt werden. Man geht mit der Elektrotherapie davon aus, dass durch selektive Reizung hervorgerufene Muskelkontraktionen die Atrophie und Dystrophie des Muskelgewebes verzögern oder verringern können, zumindest bei partieller EAR, und zwar so lange, bis eine Reinnervation erfolgt. Darüber hinaus bleibt zumindest das zentrale Funktionsbild des Muskels durch die Auslösung propriozeptiver Reize erhalten. Ergänzend ist zu sagen, dass die selektive Reizung einen möglichst flachen Anstieg der Stromimpulse erfordert, während die optimal kräftige Kontraktion einen möglichst steilen Anstieg benötigt. Der Anstieg soll also so steil wie möglich, aber so flach wie nötig sein. Mit dem Programm „Therapie schlaffer Lähmungen“ stehen variabel regelbare trapezförmige Ströme zur Verfügung, die diese Bedingungen optimal erfüllen. (nur PhySys) 34 Teil I: Elektrotherapie 5. Stromformen zur Therapie 5.6.2 Ströme zur neuromuskulären Diagnostik Neofaradischer Test 1 ms, 50 Hz und Faradisierung, Rechteck, 1 ms Mit diesen Tests wird geprüft, ob der Muskel „faradisierbar“, d. h. mit dem faradischen Strom erregbar ist. Die Muskelkontraktion muss über eine Minute hinweg aufrechterhalten werden können. Ein faradisierbarer Muskel ist innerviert. Innervationstest nach Lange, 8000 Hz: Der Innervationstest mit mittelfrequenten Einzelimpulsen beruht auf der gestuften Reizantwort innervierter, teilinnervierter und denervierter Muskulatur auf mittelfrequente Reizung. Im Seitenvergleich kann der Behandler Unterschiede in der Intensität und Kraft der ausgelösten Zuckung erkennen und grob auf den Grad der Denervierung schließen. Chronaxie / Akkommodationsquotient Diese Methode dient zur Durchführung einer einfachen und schnellen Diagnostik. Es besteht aus 3 Programmschritten, in denen nacheinander die Rheobase, Chronaxie und Akkomodationsschwelle gemessen und daraus der Akkomodationsquotient ermittelt wird. IT – Kurve (nur PhySys) Diese Methoden dienen der Überprüfung der Funktion des neuromuskulären Systems im Verlauf einer Therapie schlaffer Lähmungen durch den Physiotherapeuten. Damit kann der Behandler bei langwierigen Reinnervationsprozessen die Reizparameter dem Zustand und der Reizfähigkeit des Nerv-Muskel-Systems anpassen. Insbesondere die therapeutisch genutzten Stromformen (siehe: Therapie von schlaffen Lähmungen) müssen den sich ändernden reizphysiologischen Bedingungen des Nerv-Muskel-Systems angepasst werden können. 5.6.3 Therapie von schlaffen Lähmungen Therapie schlaffer Lähmungen Trapezstrom: Diese Ströme können zur Reizung schlaff gelähmter Muskeln elegant genutzt werden, ohne die Notwendigkeit, eine It-Kurve aufnehmen zu müssen. Mit den Trapezströmen gelingt es, schnell und zuverlässig die geeigneten Einzel-Impulse zur selektiven Reizung der schlaff gelähmten Muskeln festzulegen. Lähmungsbehandlung mit alternierenden DreieckimpulsenLähmung, mittlere Entartung, 200 ms / 1400 ms Lähmung, geringe Entartung 100 ms / 1000 ms Diese Ströme sind dreieckförmige Einzelimpulse, die ohne orientierende Voruntersuchung zur probatorischen Reizung schlaff gelähmter, meist teilparetischer Muskulatur eingesetzt werden können. 35 Teil I: Elektrotherapie 5. Stromformen zur Therapie Lähmungsbehandlung alternierender Rechteckstrom, 5 Hz Funktionelle Muskelstimulation 25 Hz geschwellt (nur PhySys) Intentionsübung 50 Hz, geschwellt Bei fortschreitender Reinnervation ist es wirkungsvoller, die betroffene Muskulatur mit Serienimpulsen zu reizen, da jetzt nicht mehr nur die Erhaltung von Muskelgewebe zielgebend ist, sondern vielmehr die Muskulatur auch wieder zunehmend trainierbar wird. Die Behandlung mit diesen Stromformen führt dann in Kombination mit der Trainingstherapie zur Stimulation mit dem Ziel der Rehabilitation, d. h. der Wiederherstellung der verloren gegangenen Funktionen der Muskulatur (siehe Ströme zur Muskelrehabilitation). 5.6.4 Intentionsübungen Zur Behandlung teilparetischer Muskulatur, z. B. während der Reinnervationsphase. Dabei koppelt der Patient seine Absicht zu einer bestimmten Willkürbewegung (Willkürkontraktion) synchron mit dem Auslösen einer elektrischen Stimulation des Muskels. Die Elektrodenanlagen sind wie folgt: Arme Beine Kreis I Kreis II M.biceps brachii M.biceps brachii Kreis I Kreis II Handbeuger und Daumenballen Handstrecker, Fingerstrecker Kreis I Kreis II Adduktoren M.glutaeus medius, M.quadratus lumborum Kreis I Kreis II M.gastrocnemius M.tibialis ant., M.peronaeus Die Reizung erfolgt etagenweise von proximal nach distal jeweils über 15 Minuten I II III IV Einzelimpuls 0,2 - 0,5 ms Burst 30 Hz, 1959 ms, PhySys SD 16,7 ms) wie I wie II 0,5 ms I 50 ms 1950 ms II 0,5 ms III 2050 ms IV 2100 ms 50 ms 1950 ms 4000 ms 5.6.5 Elektrotherapie spastisch gelähmter Muskulatur Therapie spastischer Lähmungen 0,5 Hz nach Edel (nur PhySys) (siehe Abbbildung) Dieses Verfahren beruht einerseits auf der autogenen Hemmung, die eintritt, wenn die Golgi-(Sehnen)-Organe der spastischen Muskeln mit Einzelimpulsen oder Burst-Impulsen überschwellig gereizt werden und andererseits auf der Elektrostimulation der geschwächten Antagonisten der spastischen Muskeln, z. B. der Fingerstrecker und der Fußheber. Dabei ist es wichtig, die Antagonisten während der Ruhephase der spastischen Muskeln zu stimulieren. Der im Programm vorgegebene Ablauf soll daher nicht modifiziert werden. 5.7 Sonderstromformen - Indikationsbezogene Ströme Psoriasis Mittelfrequenz, 8000 Hz / 100 Hz SP 00 Psoriasis MF 8000Hz; Modulation 100 Hz. Die Therapie der Psoriasis mit Reizströmen ist ein Behandlungskonzept, das am Forschungszentrum Karlsruhe entwickelt und umfassend wissenschaftlich begründet wurde. Der mittelfrequente Reizstrom überbrückt die Hornschicht der Haut kapazitiv. Die antipsoriatische Wirkung des mittelfrequenten Stromes beruht auf einer Reduzierung der überschießenden Zellteilung (bei Hyperproliferation) und auch durch seine anti-entzündliche und anti-ödematöse Wirkung. Die Reizstromtherapie kann bei allen Lokalisationen der Psoriasis erfolgen, die einer Elektrodenapplikation gut zugänglich sind, sie kann auch mittels Wasserbädern erfolgen, wenn die Positionierung der Elektroden schwierig ist. 36 Teil I: Elektrotherapie 5. Stromformen zur Therapie In klinischen Studien hat sich die Behandlung der Psoriasis mit einem Mittelfrequenzstrom mit den o.a. Parametern als hoch wirksam erwiesen. Etwa 90 % der Patienten sprechen auf die Therapie im Sinne einer vollständigen Remission bzw. einer signifikanten Besserung des Krankheitsbildes an (Philipp et al., 2000). Die Anwendung kann als adjuvante Therapie besonders bei lokalen Hauteffloreszenzen empfohlen werden. Die Behandlung kann jeweils bei Schüben auch wiederholt angewandt werden, wofür sich die Strombehandlung wegen ihrer Nebenwirkungsfreiheit in besonderem Maße eignet. Hyperhidrosis palmarum et plantarum, 100 Hz SP 01 100 Hz Sichere Indikationen sind die idiopathische Hyperhidrosis der Handflächen und Fußsohlen. Dabei soll ein mittlerer bis höherer Schweregrad der Hyperhidrosis vorliegen. Die Domäne der Hyperhidrosis-Therapie ist die Behandlung von Handflächen oder Fußsohlen. Die Therapie der Hyperhidrosis ist in ihrer Wirkung bisher nur durch die Pulsstromanwendung belegt. Weitere Indikationen umfassen postoperative Hyperhidrosis, Keratoma sulcatum und Mykosen, bei denen die Hyperhidrosis einen prädisponierenden Faktor für die Infekte darstellt. Hier wird die Iontophorese als unterstützende therapeutische Maßnahme eingesetzt. Triggerpunktbehandlung SP 02; Burst 2 Hz Werden myofasziale Triggerpunkte und Akupunkturpunkte kräftig gereizt, induzieren sie eine Schmerzhemmung durch eine zentrale Freisetzung von Endorphinen und durch eine lokale Depotenzierung. Dabei haben sich kräftige, motorisch überschwellige und sensibel an die Schmerzschwelle heranreichende Reizimpulse von etwa 2 Hz als wirksam erwiesen. 5.7.1 Elektrorelaxationstherapie (Elektro-Schlaftherapie) SP 03; 10 Hz (nur PhySys) Die Elektrorelaxationstherapie wird u. a. auch bei vegetativen Störungen wie funktionellen Herz-Kreislaufbeschwerden, Darmstörungen etc. als regulative Therapie empfohlen. Große Elektroden liegen im Nacken (Kathode) und an der Stirn oder im lumbosakralen Übergang (Anode), wobei bei bipolaren Impulsen zwei und bei Anwendung der Interferenz 4 Elektroden angelegt werden. Als Stromformen eignen sich der unmodulierte Mittelfrequenzstrom oder Rechteckimpuls von 100 Hz in gerade spürbarer Dosierung. 37 Teil I: Elektrotherapie 5. Stromformen zur Therapie 5.7.2 Plazenta-Insuffizienz SP 04: 40-60 Hz (nur PhySys) Die Elektrostimulation mit TENS-Strömen verbessert die Durchblutung der Plazenta. Nachteilige Wirkungen wurden keine festgestellt. Die Plazentadurchblutung wurde mit Radioisotopen und Doppler-Ultraschall gemessen. Ohriontophorese SP 05: Immer mehr, in zunehmendem Maße auch junge Menschen leiden an Tinnitus. Seit vielen Jahren wird bei diesem häufig therapieresistenten Leiden die Ohrionttophorese-Therapie des Tinnitus eine Lidocain-Adrenalin-Lösung (0,5 %; 1:100 000) angewandt. Bei dieser Behandlungsform wurde immer wieder über gute Ergebnisse berichtet. Die Resultate beruhen auf unspezifischen Mechanismen. Die Anwendung muss mit einer speziellen Ohrelektrode erfolgen. Dabei träufelt der Therapeut die Lösung in den Gehörgang des Patienten und legt einen kleinen Mullstreifen ein. Die Ohrelektrode (Anode) wird ebenfalls im Gehörgang platziert. Dabei ist darauf zu achten, dass sie keinen Kontakt mit dem Trommelfell hat, was durch die Mulleinlage verhindert werden soll. Die Therapiedauer beträgt ca. 10–15 Minuten, die Therapie sollte zwei- bis dreimal wöchentlich angewandt werden. 5.7.3 Paravertebraltest SP 07; 50 Hz (nur PhySys) Der Test wird zur Identifizierung von Maximalpunkten entlang der Wirbelsäule eingesetzt. Der Rücken wird mit zwei beweglichen Elektroden beidseitig paravertebral von zervikal nach lumbosakral und zurück bestrichen, die Maximalpunkte können markiert werden, sofern sie nicht durch eine Rötung ohnehin kenntlich werden, um sie sodann spezifisch zu behandeln, z. B. mit einer Punktelektrode. Da bewegliche Elektroden zur Anwendung kommen, darf der Test nur im CV-Modus durchgeführt werden. Indikationen: Lymphödem: einkreisig oder zweikreisig 1350 µs 5 sec; 8 Hz 10 sec Stromformen zur Reizung der glatten Muskulatur Lymphödem, Darmatonie SP08 Darmatonie (nur PhySys) SP 09 Lymphödem Die Beschleunigung des Lymphstromes bewirkt auch eine schnellere Resorption posttraumatischer und postoperativer Ödeme und Hämatome. Reiz- und Entzündungszustände verändern die Durchlässigkeit der Kapillaren. In der Folge sickert mehr Flüssigkeit ins Gewebe ein. Das gesunde Lymphsystem ist in der Lage, eine bis zur 10-fachen der normal anfallenden Menge an Flüssigkeit aufzunehmen, bevor eine Schwellung auftritt. Eine Schwellung entsteht erst, wenn diese Menge ins Gewebe überschritten 38 Teil I: Elektrotherapie 5. Stromformen zur Therapie wird oder das Lymphgefäß-System durch Trauma, OP, Radiatio etc. geschädigt ist. Durch den Abtransport der Flüssigkeit aus dem Gewebe und die damit eintretende Druckentlastung kann auch eine verbesserte Stoffwechselsituation und somit eine Beschleunigung des Heilungsvorganges insbesondere bei chronischen Wunden, Ulzerationen und verzögerter Heilung erreicht werden. Die Stimulation erfolgt in motorischer Dosierung, bei der deutliche Kontraktionen der Beinmuskulatur ausgelöst werden müssen. Neben der Stimulation von Venen und auch Lymphgefäßen wurde als eigene Form der Stimulation vegetativer Nervenfasern eine Stromform zur Stimulation der Darmaktivität entwickelt. Diese Stromform aktiviert die glatte Muskulatur des Darmes direkt und führt zu einer starken Motilitätssteigerung des Darmes. Dies kann z. B. mit einem Stethoskop festgestellt werden. Die Patienten verspüren nach wenigen Minuten der Stimulation einen Defäkationsreiz bis hin zu einem imperativen Stuhldrang. Neben der postoperativen Darmatonie eignet sich das Verfahren bei Zuständen der chronischen Darm-Hypotonie bzw. -Atonie zur effektiven Stimulation der Defäkation ohne die Anwendung von Laxantien, die chronisch eingenommen ihrerseits zu Darmträgheit führen. Somit ist auch eine Stimulation zur Verbesserung der Darmbewegungen bei chronischem Laxantienabusus möglich. Die Dosierung des Stroms ist motorisch überschwellig, d. h. bis zum Auftreten von Muskelbewegungen der Bauchdecke. Tonisierung von Venen SP 10: Tonisierung von Venen, 1,75 Hz Der Test wird zur Identifizierung von Maximalpunkten entlang der Wirbelsäule eingesetzt. Stromform zur Tonisierung von Venen 560 ms 4 ms 4 ms 4 ms Neodynamischer Strom, 4 ms, Burst von 3 Impulsen Pause 560 ms Frequenz ca. 175 Hz Dosierung sensibel schwellig bis überschwellig 39 Teil I: Elektrotherapie 5. Stromformen zur Therapie Mit dieser Stromform werden speziell die glatten Muskelzellen der Gefäßwand über eine Stimulation der sympathischen Innervation gereizt. Mit den entsprechenden Elektrodenanlagen lassen sich daher sowohl oberflächliche als auch tiefe Venen tonisieren. Ebenso werden Lymphgefäße aktiviert, womit ein verbesserter Lymphabfluss ohne eine stimulationsbedingte Hyperämie erreicht wird. Die Stromformen zur Stimulation der sympathischen Innervation der Gefäßmuskulatur bedingen eine Elektrodenanlage über den zu stimulierenden Venen bzw. Lymphgefäßen, um eine Konstriktion von Arterien zu vermeiden. Als Indikationen gelten: - venöse Stauungsbeschwerden bei Varikosis - die Beschleunigung des venösen Rückstroms zur Prävention von Thrombosen und deren Komplikationen, insbesondere bei Immobilisation - bei anderen Zuständen, die Gefahr einer Thrombose bergen, z. B. postoperativ und - auch zur Unterstützung der antikoagulatorischen Therapie. 5.7.4 Beckenbodenstimulation bei Harninkontinenz, Stuhlinkontinenz (nur PhySys) IC 00 Inkontinenz / Beckenbodenstimulation, 8000 Hz geschwellt, Modulation 50 Hz IC 01 Stress- / Stuhlinkontinenz, 50 Hz geschwellt IC 02 gemischte Stress-/Urge-Inkontinenz, 27 Hz geschwellt IC 03 gemischte Stress-/Urge-Inkontinenz, 8000 Hz, Modulation, 27 Hz geschwellt IC 04 Urge-Inkontinenz, 10 Hz IC 05 Urge-Inkontinenz, 8000 Hz, Modulation, 10 Hz Die Elektrostimulation der Beckenbodenmuskulatur hat in klinischen Tests gute Ergebnisse bei verschiedenen Formen der Harninkontinenz gezeigt. Neben Operationen, medikamentöser und konventioneller Behandlung wird sie bei diesem Leiden seit vielen Jahren erfolgreich eingesetzt. Die Elektrostimulation ist in erster Linie bei der Stressinkontinenz erfolgreich, auch bei einem Mischbild aus Drang-(Urge) und Stressinkontinenz. Empfohlen wird die Behandlung mit einer Vaginalelektrode. Zur Therapie der Stuhlinkontinenz wird eine Analelektrode empfohlen. Behelfsweise mit 4 mittelgroßen Elektroden, zwei über der Symphyse links und rechts paramedian, zwei im Schritt an der Innenseite der Oberschenkel. Diese müssen so lange verschoben und während der Therapie manuell fixiert werden, bis eine Kontraktion des Beckenbodens bzw. des Sphinkter ani spürbar eintritt. Die Behandlung erfolgt mit einer motorisch überschwelligen Stimulation des Beckenbodens, die Patientin muss dabei mit üben. Die Behandlung soll für etwa 10 min. 2–3 mal wöchentlich durchgeführt werden. 40 Teil II: Ultraschalltherapie 1. Allgemeiner Teil 1.1 Einleitung Als Ultraschall wird der Schall-Frequenzbereich oberhalb des Hörbereichs (16 Hz–20 kHz) bezeichnet. Therapeutische Ultraschallgeräte benutzen Frequenzen von 800 kHz bis 3 MHz. Schall und somit auch Ultraschall besteht aus mechanischen Schwingungen, die von einer Schallquelle ausgesandt werden. Die Ausbreitung des Schalls ist stets an ein Medium gebunden. Im Gegensatz zu elektromagnetischen Wellen können sich Schallwellen im Vakuum nicht fortbewegen. 1.2 Anwendungsmöglichkeiten Ultraschall wird zu verschiedensten Zwecken benutzt. Bei der Verwendung von Ultraschall in der Medizin stehen diagnostische Methoden im Vordergrund (Sonographie), z. B. bei der Ultraschalldiagnostik bei Schwangerschaft oder zur Erkennung möglicher pathologischer Gewebeveränderungen. Die Ultraschalltherapie im Rahmen der physikalischen Therapie nutzt die mechanischen Schwingungen im Ultraschallbereich (z. B. mit einer Frequenz von 800 kHz) zur Erzeugung von Wärme durch die gewebespezifische Absorption des Ultraschalls. Dabei entsteht die meiste Wärme in Geweben mit starker Absorption (z. B. Knochen) und an Grenzflächen zwischen zwei Geweben, die eine stark unterschiedliche Schallimpedanz (= Widerstand) aufweisen. Am weitesten verbreitet ist die Ultraschalltherapie im Behandlungsspektrum chronisch-entzündlicher, degenerativer und posttraumatischer Erkrankungen des Stütz- und Bewegungsapparates, bei reflektorisch beeinflussbaren Funktionsstörungen innerer Organe, bei Ulcus cruris und anderen z. B. dermatologischen Erkrankungen. 1.3 Physikalische Grundlagen Die technische Grundlage der Ultraschalltherapiegeräte beruht auf der Anwendung des umgekehrten piezoelektrischen Effektes. Piezoelektrische Eigenschaften von Quarzkristallen wurden erstmals 1980 von den Gebrüdern Pierre und Paul Jacques Curie beschrieben. Die Entdeckung des reziproken (umgekehrten) piezoelektrischen Effektes gelang Paul Langevin im Jahr 1914. Bei Anlegen eines Wechselstromes an einen piezoelektrischen Kristall, z. B. Bleizirkonat, wird dieser im Rhythmus des Wechselstromes zusammengedrückt und auseinandergezogen. Diese breiten sich z. B. im Körpergewebe als Verdichtungsu. Verdünnungswellen aus. Aus diesem Grunde kann man die Ultraschalltherapie nicht als primäre Elektrotherapie bezeichnen, sondern vielmehr als Mechanotherapie. Die im Schallkopf (Schwinger) erzeugten Wellen lenken die Moleküle des Gewebes aus ihrer Ruhelage aus und regen sie zu pendelnden Bewegungen an. Die Teilchenauslenkung ist dabei sehr klein, sie liegt im Bereich von Nanometern. 41 DRUCK ZUG DRUCK ZUG DRUCK und ZUG Wirkungen auf die Molekülstrukturen des Gewebes Abb.: Gillert, Rulffs, Boegelein: Elektrotherapie, Pflaum Verlag, München 1995 Teil II: Ultraschalltherapie 1. Allgemeiner Teil Bezeichnung Flächenabtastung 3D-Ansicht Flächenabtastung Draufsicht 100% 2400k 0% 800k 80% 2400k 20% 800k Die auftretende Beschleunigung der Teilchen ist jedoch sehr hoch, sie beträgt etwa das 100 000-fache der Erdbeschleunigung. Mit fortschreitender Eindringtiefe in das Medium, also auch in das Körpergewebe, wird Ultraschallenergie absorbiert. Die Absorptionsgröße ist je nach Gewebekonsistenz unterschiedlich. So wird Ultraschall von Knochengewebe 10 mal mehr als von Muskelgewebe absorbiert. Durch die Absorption nimmt die Intensität mit zunehmender Eindringtiefe ab. Bei einer Frequenz von 800 kHz beträgt die Halbwertstiefe in Fettgewebe etwa 3,3 cm, in Muskelgewebe etwa 2,1 cm, in Knochengewebe nur etwa 3 mm. Folgende Tabelle zeigt die ungefähren Eindringtiefen des Ultraschalls bei den therapeutischen Frequenzen des Therapiegeräts: 50% 2400k 50% 800k 20% 2400k 80% 800k 0% 2400k 100% 800k Lfd. Nr. Einstellung (Anteil 2400k/ Anteil 800k) AER (mm2) BNR (1) 1 100 % / 0 % 272,2 4,48 2 80 % / 20 % 272,2 4,06 3 50 % / 50 % 268,1 3,31 4 20 % / 80 % 257,3 2,98 5 0 % / 100 s% 243,7 2,83 Frequenz 0,8 MHz 2,4 MHz Hautgewebe 4 cm 1,5 cm Fettgewebe 17 cm 6 cm Muskelgewebe 9 cm 3 cm Sehnengewebe 2,5 cm 1 cm Knorpelgewebe 2,5 cm 1 cm Knochengewebe 0,8 cm n/a Wasser 3900 cm 1300 cm 1.4 Technische Kriterien des Ultraschalltherapiegerätes Die Verteilung des effektiven Schalldruckes über die Fläche des Schallkopfes bei verschiedenen Anteilen der Schallabgabe mit den Frequenzen 2,4 MHz und 0,8 MHz stellt sich beim Therapiegerät entsprechend der folgenden Abbildung dar. Es fällt auf, dass die Schallabgabe sowohl bei den beiden Frequenzen als auch bei unterschiedlicher prozentualer Verteilung der beiden Frequenzen über die Fläche des Schallkopfes ziemlich gleichmäßig erfolgt. Somit ist eine homogene Beschallung des Gewebes in der Therapie gewährleistet. Die Kennzahlen der aktiven Fläche der Schallabgabe und des Verhältnisses von Spitzendruck zu mittlerem Druck über die Fläche des Schallkopfes bestätigen diese homogene Schallabgabe des Therapiegeräts. Die Qualität eines Schallkopfes gewährleistet eine homogene Abgabe der Ultraschall-Energie (BNR s. u.) über die Fläche des Schallkopfes (AER, s. u.) Die AER stellt dabei die aktive Fläche, d.h. die wirksam strahlende Fläche des Schallkopfes (in mm) dar, über die der Ultraschall abgegeben wird. Die BNR (beam nonuniformity ratio) beschreibt das Verhältnis der Höhe des Spitzendrucks zum Mittelwert der effektiven Schalldrücke über dem Schallkopf. Beide Kennwerte sind wichtige Qualitätsmerkmale von Ultraschallgeräten. 42 Teil II: Ultraschalltherapie 2. Tiefenwirkung des therapeutischen Ultraschalls 2. Tiefenwirkung des therapeutischen Ultraschalls Die thermische Wirkung des Ultraschalls beruht auf der Absorption von Schallleistung im Gewebe. Durch die Absorption nimmt die am Gewebeanfang eingebrachte Schallintensität mit der Tiefe in der Ausbreitungsrichtung nach einer Exponentialfunktion ab. Die Intensität wird in W/cm² gemessen, sie nimmt exponentiell mit zunehmender Tiefe ab, wobei das Maß der Abnahme in der Tiefe von der Frequenz abhängt. Die Frequenzwahl beeinflusst die Eindringtiefe des Ultraschalls. Je höher die Frequenz ist, desto geringer ist die Eindringtiefe. Die Leistungsdichte jeder Frequenz hat ein eigenes Maximum. Wie schon gezeigt, bestätigt sich, dass die Maxima der hohen Frequenzen in geringer Gewebetiefe liegen und die Maxima der niedrigeren Frequenzen in größerer Gewebetiefe. Die Maxima sind als Leistung pro Volumeneinheit (P‘max) berechnet. Für Skelettmuskeln folgen für die Frequenzen 0,8 MHz und 2,4 MHz als optimale Gewebetiefe und dort auftretende maximale Leistungsdichte: So ist die Intensität bei 0,8 MHz im Muskel in erst 2,9 cm Gewebetiefe auf den halben Wert gesunken, wogegen diese sogenannte „Halbwertstiefe“ bei 2,4 MHz schon bei 0,95 cm liegt. Der Abfall der Intensität auf 1/10, also 10 %, erfolgt bei 0,8 MHz erst bei 10 cm Tiefe und bei 2,4 MHz bei 3,2 cm. Damit werden tiefer liegende Strukturen, z. B. Nervenstämme und muskuläre Verhärtungen, bei Anwendung von 2,4 MHz fast nicht mehr behandelt, wohl aber mit 0,8 MHz. Die Intensität pro Volumeneinheit nimmt wie gesagt exponentiell mit zunehmender Tiefe ab. Sie ist, zusammen mit der Beschallungszeit, für die in dieser Tiefe erreichte Erwärmung maßgebend. Bei gleicher Anfangsintensität wird bei der Frequenz 2,4 MHz in geringer Tiefe mehr Leistung in Wärme umgewandelt, was ja gerade zum schnelleren Intensitätsabfall führt. Damit bleibt für tiefere Gewebeschichten weniger übrig. Ab etwa zwei Zentimeter Tiefe wird mit der Frequenz 0,8 MHz mehr Wärme erzeugt. Mit der Frequenz lässt sich also auch die Gewebetiefe mit der größten Wärmeerzeugung einstellen. Für jede Gewebetiefe gibt es eine optimale Frequenz, bei der genau in dieser Tiefe die größte Umwandlung von Ultraschallleistung in Wärme erfolgt. 43 Im Diagramm 1 ist der Intensitätsabfall in der Muskulatur bei 0,8 MHz und 2,4 MHz dargestellt. optimale Gewebetiefe dort auftretende max. Leistungsdichte f = 0,8 MHz zopt = 4,17 cm P‘max = 0,177 W/cm³ f = 2,4 MHz zopt = 1,39 cm P‘max = 0,530 W/cm³ Teil II: Ultraschalltherapie 2. Tiefenwirkung des therapeutischen Ultraschalls Die Erwärmung ist abhängig von der Energieabsorption pro Volumeneinheit. Da mit zunehmender Tiefe auch weniger Energie pro Volumeneinheit zur Verfügung steht, wird mit 0,8 MHz trotz des tiefer gelegenen Absorptionsmaximums nur mit einer höheren Ausgangsleistung eine dem näher an der Oberfläche liegenden Absorptionsmaximum der 2,4 MHz vergleichbare Erwärmung nur zu erzielen sein. NahfeldFernfeld Die Therapie mit Ultraschall findet im Nahfeld des Schallfeldes statt (siehe Abb.). Im Nahfeld überwiegt die Absorption des Ultraschalls, die Streuung ist dagegen vernachlässigbar, weil sich der Ultraschallstrahl praktisch parallel in die Tiefe des Gewebes ausbreitet und so nur die Absorption zur Abschwächung der Schallintensität beiträgt. Abbildung: Ultraschallfeld Die Ausdehnung des Nahfeldes in die Tiefe des Gewebes ist ebenfalls von der Frequenz abhängig. Das Nahfeld mit dem parallel verlaufenden Ultraschallstrahl und damit die therapeutisch erreichbare Gewebetiefe beträgt: 2,4 MHz 0,8 MHz Tiefe 0,5 cm 1,0 cm 1,5 cm 2,0 cm 2,5 cm 3,0 cm 3,5 cm 4,0 cm 4,5 cm 5,0 cm 5,5 cm 6,0 cm bei 0,8 MHz bei 2,4 MHz ca. 7,0 cm ca. 2,5 cm Durch die Wahl der Frequenz kann somit die Tiefe eingestellt werden, in der die meiste Wärme entsteht. Die Frequenz von 0,8 MHz hat ihre optimale Wirkung in ca. 3,5– 4,5 cm Tiefe, die Frequenz von 2,4 MHz entsprechend in 1,0–1,5 cm Tiefe. Mit diesen Frequenzen ist die Tiefe der optimalen Wärmeentstehung erfasst, da bei höheren Frequenzen ab ca. 3 MHz die optimale Tiefe bei ca. 1 cm liegt und daher tiefere Gewebeschichten nicht mehr erwärmt, und niedrigere Frequenzen als 0,5 MHz keine befriedigende Wärmewirkung mehr erwarten lassen. 6,5 cm Temperatur (°C) Aus dem Temperaturprofil lässt sich erkennen, dass lange Therapiezeiten über 8 Minuten Dauer keine wesentliche Temperaturerhöhung bedingen, weshalb der therapeutische Ultraschall darüber hinaus nicht sinnvoll angewandt wird. Zeit (min) Abb.: Mayr, J. William, G.J. Measch et al Intramuscular Temperature, Rise will Acpical Analgesics used as coupling Agents during Therapeutic Ultrasound, J. Athletic Training, 2001; 36:20-26 44 Teil II: Ultraschalltherapie 2. Tiefenwirkung des therapeutischen Ultraschalls Therapie-Tiefe und Verhältnis der Frequenzen 0,8 MHz und 2,4 MHz Die Nachbildung einer optimalen Tiefe dazwischen kann nun durch zyklisches Umschalten zwischen den beiden Frequenzen erfolgen. Weil diese Umschaltung schneller als die Wärmezeitkonstante im Gewebe erfolgt, wirken beide Wärmezonen wie eine dazwischen liegende optimale Wärmezone. Bei einem variablen Verhältnis der Dauer der 0,8 MHzSchwingung zur Dauer der 2,4 MHz-Schwingung kann die optimale Tiefe beliebig zwischen ca. 0,5 cm und 6,0 cm Tiefe eingestellt werden. Umgekehrt können für eine gewünschte optimale Tiefe die Anteile der beiden Frequenzen am Zyklus bestimmt werden. Die thermische Relaxationszeit bezeichnet die Zeit, die ein Gewebe benötigt, um 50 % der aufgenommenen (= absorbierten) Energie durch Diffusion an die Umgebung weiterzugeben. Sie liegt in lebendem biologischem Gewebe unter einer Sekunde, weshalb während der Behandlung von mehreren Minuten eine homogene Durchwärmung des behandelten Gewebe-Volumens zuverlässig erreicht wird. In den folgenden Diagrammen ist der zeitliche Verlauf der Erwärmung dargestellt, wie er experimentell an menschlichem Gewebe in vivo ermittelt wurde. Höhere Frequenzen, die oberflächennah absorbiert werden, geben pro Volumeneinheit mehr Energie an das Gewebe ab, als Frequenzen, die in tieferen Schichten absorbiert werden. Aus diesem Grund ist die Erwärmung an der Oberfläche intensiver, was eine kürzere Behandlung oder eine Therapie mit niedrigeren Intensitäten erfordert, um thermische Schäden zu vermeiden. Intramuskuläre Temperatur im M. triceps surae, in 3 cm Gewebetiefe. 1,5 cm 50 % 2,4 MHz 50 % 0,8 MHz 3,0 cm Optimale Tiefe 0,8 MHz 4,2 cm 100% 0,8 MHz 4,5 cm 6,0 cm Abb.: Biskop, D.O. Arapex et al Human Tissue - Temperatur Rise During Treatments with the Aquaflex Gel Pad, J. Athletic Training, 2004; 39: 126-131 1,60 °C/min 1,40 °C/min 1,20 °C/min 44,00 °C 1,00 °C/min 42,88 °C 42,00 °C 0,80 °C/min 41,37 °C 40,00 °C 0,60 °C/min 38,00 °C 1 MHz Ultraschall 2,5 - 5,0 cm Tiefe 0,40 °C/min 0,00 °C/min 0 min 3 MHz Ultraschall 0,8 - 1,6 cm Tiefe 0,20 °C/min 35,88 °C 34,00 °C 32,00 °C Optimale Tiefe 2,4 MHz 1,4 cm Temperaturanstieg im menschlichen Muskel in vivo Temperaturanstieg im menschlichen Muskel in 1 cm Tiefe in vivo; 3 MHz, 1,0 W/cm2 36,00 °C 100% 2,4 MHz 5 min 10 min 45 0,50 W/cm2 1,00 W/cm2 1,50 W/cm2 2,00 W/cm2 Teil II: Ultraschalltherapie 3. Physiologische Wirkungsmechanismen der Ultraschalltherapie 3. Physiologische Wirkungsmechanismen der Ultraschalltherapie Die Wirkungen des Ultraschalls sind von komplexer Natur. Aus systematischen Gründen werden dabei die thermischen und mechanischen Wirkungen unterschieden. Thermische Wirkung Die Anregung der Moleküle im Gewebe durch die Ultraschallenergie bedingt die Entstehung von Wärme, die an der Knochenoberfläche besonders ausgeprägt ist. An der Grenzschicht zum Knochen, in geringerem Maße auch an Sehnenoberflächen und in der Muskulatur, kommt es zu einer therapeutisch wirksamen, gezielten Tiefenerwärmung mit den physiologischen Wirkungen der Thermotherapie: Schallkopf Temperatur 15 % Fett 55 % Muskel 30 % Knochen Abb. Charakteristik der Gewebeerwärmung im Ultraschallfeld - Hyperämie - Stoffwechselsteigerung - verbesserte Dehnbarkeit der kollagenen Fasern - Tonusminderung der Muskulatur - Analgesie Die Ultraschalltherapie in thermisch wirksamen Dosen soll daher nur dort angewendet werden, wo eine Erwärmung auch erwünscht ist. Hauptsächlich vor Knochen liegende Gewebestrukturen, die pathologische Veränderungen aufweisen, wie Gelenkkapseln, Sehnen- und Synovialgewebe, können wirksam erwärmt werden. Im Falle des Hüftgelenks ist dies trotz der tiefen Lage möglich. Im Gegensatz zur mehr unselektionierten Erwärmung größerer Gewebeanteile mit den Methoden der Diathermie (Kurzwelle, Mikrowelle) ist die Ultraschallanwendung zur gezielten Behandlung umschriebener Areale geeignet, z. B. im Falle der häufigen, schmerzhaften Muskelverhärtungen. Sie kann dabei besonders effektiv in Form des Simultanverfahrens mit muskeldetonisierenden Reizströmen benutzt werden, um die Dehnbarkeit zu verbessern. Idealerweise werden während der Therapie gleichzeitig Dehnübungen durchgeführt. Auch die bevorzugte Erwärmung von Narben, Sehnenscheiden, Bändern und Nervenstämmen ist bekannt. Der Grad der auftretenden Temperaturerhöhungen ist dabei von der Ultraschalldosis und der angewandten Frequenz abhängig. Dabei haben höhere Frequenzen eine geringere Eindringtiefe, weil sie stärker absorbiert werden. Die Therapie mit niedrigeren Schallfrequenzen soll daher bei tiefer liegenden Prozessen, die Therapie mit höheren Schallfrequenzen eher bei oberflächlichen Behandlungsorten durchgeführt werden. 46 Teil II: Ultraschalltherapie 3. Physiologische Wirkungsmechanismen der Ultraschalltherapie Mechanische Wirkung = Regenerative Wirkung Die Druckschwankungen im Ultraschallfeld wirken im Sinne von Druck und Zug auf das Gewebe ein. Die Scherund Beschleunigungskräfte bewirken Verformungen der Zellmembranen und über Veränderungen der Membranpermeabilität eine Beeinflussung des Zellstoffwechsels. Auch der intra- und interzelluläre Stofftransport kann mittelbar durch Flüssigkeitsströmchen (microstreaming) beschleunigt werden, die durch die Ultraschallenergie ausgelöst werden. Die mechanischen Einwirkungen des Ultraschalls bewirken über diese Beschleunigung von Stoffwechselvorgängen reparative und regenerationsfördernde Vorgänge in Weichteil- und Knochengewebe. In therapeutischer Dosierung wird jedoch der mechanische Einfluss der Ultraschalltherapie auf den Stoffwechsel im Zusammenwirken mit den thermischen Effekten auf das Gewebe zu sehen sein. Vermehrte Protein-Synthese oder zelluläre Aktivität Stimulierter Zelltyp Wirkung Interleukin-1β Osteoblasten, Monozyten Entzündungsfördernd (Entzündungsmediator) Interleukin-2 T-Zellen T-Zell Wachstum erhöht Interleukin-8 Osteoblasten Migration und Proliferation von Endothelzellen erhöht Vaskulärer endothelialer Wachstumsfaktor Osteoblasten, Monozyten Migration und Proliferation von Endothelzellen erhöht Allgemeiner Fibroblastenwachstumsfaktor Osteoblasten Migration und Proliferation von Endothelzellen erhöht FibroblastenWachstumsfaktor Monozyten Fibroblastenwachstum erhöht Kollagen Osteoblasten, Fibroblasten Wundheilung beschleunigt Ebenso bestehen komplexe Einflüsse auf das Immunsystem, die im Folgenden nicht im Einzelnen beschrieben, sondern in einer Tabelle aufgelistet sind. Insgesamt resultiert aus all diesen nicht thermischen Wirkungen eine beschleunigte Heilung verletzter und chronisch entzündeter Gewebe. Chloramphenicol Azetyl Transferase HeLa, NIH/3T3, C1271 Genexpression für liposomale Transfektion erhöht Zellproliferation Fibroblasten Wundheilung beschleunigt Zellproliferation Osteoblasten Knochenheilung beschleunigt Zelluläre und molekulare Effekte des nicht-thermischen Ultraschalls auf die Heilungsvorgänge von Gewebe (nach L.D. Johns 2002). Vermehrte Adhäsion von Lymphozyten Endothel-Zellen Erhöhtes Einwandern von Lymphozyten Vasodilatation Kapillaren, Endothel-Zellen Verbesserte Mikrozirkulation Die Therapie mit niedrig dosiertem (< 0,5 W/cm²) oder gepulstem Ultraschall mit einer entsprechend geringen effektiven Dosis hat lediglich eine geringe Temperaturerhöhung von ca. 0,5 °C im Gewebe zur Folge, auch bei längerer Beschallung über 10 Minuten. Somit ist bei niedrig dosiertem und gepulstem Ultraschall eine thermische Wirkung nicht vorhanden. Trotzdem kann nicht ausgeschlossen werden, dass sich in der zellulären Mikroumgebung eine lokale Temperaturerhöhung aufgrund von Kavitationseffekten einstellt. Dabei bilden sich kleine Gasbläschen in den Zellen und in der interzellulären Flüssigkeit, die bei jeder Druckwelle implodieren und damit starke mechanische Kräfte auf die Zellmembranen und die Zellorganellen ausüben. Es wird vermutet, dass es dadurch zu Mikrotraumen an den zellulären Strukturen kommt, womit eine „Reparaturaktivität“ der Zellen ausgelöst wird, die dann zu einer rascheren Heilung im Gewebe führt. Auch die als akustische Strömung bezeichneten mechanischen Kräfte in Richtung der Ausbreitung des Ultraschalls sind in der Lage, Moleküle und Ionen zu verlagern und somit Flüssigkeitsströme in den Zellen zu induzieren. 47 Teil II: Ultraschalltherapie 3. Physiologische Wirkungsmechanismen der Ultraschalltherapie Eine weitere nicht-thermische Wirkung, die Resonanz auf molekularer Ebene, ist frequenzabhängig. Dabei werden Proteine (Enzyme) in ihrer Resonanzfrequenz angeregt und ändern ihre Konformation, womit sie von einem inaktiven in einen aktiven Zustand gebracht werden. Die erhöhte Aktivität dieser Enzyme führt zu einer allgemeinen Aktivitätssteigerung der Zellen und damit zu einer Heilungsbeschleunigung. Um ohne thermische Belastung eine effektive Anregung des Zellwachstums zu erzeugen, sind häufig höhere Dosen notwendig. Schon 1939 haben Pohlmann et al. mit Dosen von ca. 5 W/cm² bei Neuralgien und Myalgien über erfolgreiche Behandlungen berichtet. Das Prinzip der hochdosierten Ultraschalltherapie wird dann eingesetzt, wenn ohne thermische Belastung eine starke Anregung des Stoffwechsels erreicht werden soll, um den Ultraschall für die Beschleunigung von Heilungsvorgängen anzuwenden, z. B. für die Knochenheilung bei Pseudarthrosen und verzögerter Frakturheilung, aber auch zur Verbesserung der Anregung des Fibroblastenwachstums bei Sehnenverletzungen. 48 Teil II: Ultraschalltherapie 4. Beschallungsmethoden Beschallungsmethoden Drei bzw. vier unterschiedliche Methoden werden in der Ultraschalltherapie eingesetzt. Die vierte Methode ist eine Kombinationstherapie Reizstrom / Ultraschall, das sog. „Simultanverfahren“ (siehe Teil III). 4.1 Dauerschall Dauerschall wird auch als Gleichschall oder kontinuierlicher Ultraschall bezeichnet. Bei dieser am häufigsten angewandten Beschallungsart wird die Ultraschallintensität kontinuierlich über die Behandlungszeit beibehalten (kontinuierlicher Ultraschall). Hier wird besonders die thermische Wirkung des Ultraschalls genutzt. 4.2 Impulsschall (pulsierender Ultraschall) Im Falle des Impulsschalles erfolgt die Energieabgabe impulsartig, diskontinuierlich. Die thermische Wirksamkeit ist dabei deutlich reduziert, jedoch nicht die mechanische. Die oft gegebene Empfehlung, den Impulsschall bei thermosensiblen Krankheitsprozessen, wie etwa bei neuritischen Schmerzen einzusetzen, beruht auf der empirisch beobachteten Wirksamkeit. Aus diesem Grunde ist die Benennung exakter Dosierungsparameter für gepulste Formen des Ultraschalls kaum möglich. Hier gelten ebenfalls bewährte, empirisch ermittelte Werte. 4.3 Auswahl und Einstellen der Wirkkomponenten des Impulsschalls Im gepulsten Betrieb kann die Dauer der Impulse verlängert oder verkürzt werden, ebenso kann die Spitzenintensität der Impulse getrennt eingestellt werden. Auf diese Weise kann der Therapeut die Wärmewirkung und die mechanische Wirkung des Impulsschalles individuell einstellen. Darüber hinaus kann durch die Einstellung der Verteilung der beiden Frequenzen 0,8 MHz und 2,4 MHz die Wirktiefe ebenfalls individuell eingestellt werden Wirkung ImpulsIntensität Impuls-Dauer Überwiegend thermisch Hohe Intensität Lange Impulse Thermisch und mechanisch Mittlere Intensität Mittlere Impulsdauer Überwiegend mechanisch Hohe Intensität Kurze Impulse (siehe auch Seite 52) 49 Teil II: Ultraschalltherapie 5. Beschallungsort Beschallungsort Hinsichtlich des Beschallungsortes ist zu unterscheiden zwischen der lokalen (direkten) Beschallung am Krankheitsort zur Erzielung einer Lokalwirkung und der indirekten Beschallung unter Nutzung nervaler reflektorischer Verbindungen zum Krankheitsort zur Erzielung einer Fernwirkung. 5.1 Direkte Beschallung Am meisten wird die lokale, direkte Beschallung der betroffenen Gewebebereiche benutzt. Das Behandlungsfeld sollte auch Gebiete einschließen, die zum Krankheitsort in Beziehung stehen, z. B. reflektorisch verspannte Muskeln, Myogelosen, Schmerzpunkte, schmerzhafte Sehnenansätze usw. 5.2 Indirekte Beschallung Manchmal kann die Beschallung nicht direkt erfolgen, sei es, weil Verletzungen oder feste Verbände den Zugang behindern oder weil der Krankheitsprozess noch ziemlich akut ist, z. B. M. Sudeck I u. II. Die indirekte Beschallung nutzt bestehende reflektorische Verbindungen zum Krankheitsort und kann somit Fernwirkungen erzielen. Auch innere Organe sind der Ultraschalltherapie nur über diese kutiviszeralen Reflexe zugänglich. Neurale Behandlungswege bei der indirekten Beschallung Folgende Behandlungstechniken sind möglich: - die radikuläre, paravertebrale Beschallung an den Nervenwurzeln - die segmentale Beschallung hyperalgetischer Head'scher Zonen - die Beschallung vegetativer Fasern mit dem neuraltherapeutischen Aufbau - die Beschallung von Akupunkturpunkten 50 Teil II: Ultraschalltherapie 6. Applikationstechnik Applikationstechnik Hier gilt es zwischen 3 Möglichkeiten zu wählen, wobei der ersten die Hauptbedeutung zukommt. 6.1 Dynamische Beschallung Hierbei wird der Schallkopf langsam und mit geringem Druck kreisförmig, spiralförmig, sich überlappend über das Behandlungsfeld, über Muskeln dem Faserverlauf folgend, geführt. Es hat sich als günstig erwiesen, bei einer Schallkopfgröße von 5 cm² das Behandlungsfeld nicht größer als etwa handflächengroß zu wählen. Soll ein ausgedehnteres Areal behandelt werden, so wird dieses in 2 – 3 Behandlungsfelder der erwähnten Größe (diese entsprechen dem Begriff einer Region) aufgeteilt, die nacheinander in einer Sitzung beschallt werden. Die dynamische Beschallung hat den Vorteil einer homogenen Energieverteilung im Behandlungsbereich, womit das Auftreten potentiell schädlicher Intensitätsmaxima im Gewebe verhindert wird. 6.2 Semistatische Beschallung Bei der semistatischen Beschallung wird der Schallkopf mit sehr kleinen Bewegungen an Ort und Stelle bzw. besonders langsam geführt. Diese Behandlungsmethode wird eingesetzt, wenn begrenzte, lokale Bereiche, wie z. B Sehnenansätze, Myogelosen oder die paravertebralen Nervenaustrittspunkte behandelt werden sollen. Das setzt eine Reduzierung der Dosis voraus, um evtl. mechanische Schäden, zumindest aber störende Sensationen zu vermeiden. 6.3 Statische Beschallung Die statische Beschallung erfolgt mit völlig ruhendem Schallkopf. Da es infolge der stets inhomogenen Abstrahlcharakteristik bei hoher Dosierung zu thermischen oder mechanischen Schäden kommen kann, ist diese Applikationsform nicht zu empfehlen und wird heute kaum noch durchgeführt. 51 Teil II: Ultraschalltherapie 7. Ankoppelungsformen und Ankoppelungsmittel Ankoppelungsformen und Ankoppelungsmittel Um den Übertritt des Ultraschalls in das Gewebe zu ermöglichen, ist die Anwendung von sogenannten Koppelsubstanzen unbedingt erforderlich. Man unterscheidet zwischen der direkten und der indirekten Ankoppelung. 7.1 Direkte Ankoppelung Von direkter Ankoppelung spricht man, wenn eine Substanz benutzt wird, die es ermöglicht, den Schallkopf direkt auf die Haut aufzusetzen, ohne dass Luft in den Zwischenraum eindringen kann. Am besten eignen sich Gele bei denen unter der Einwirkung des Ultraschalls keine Gasbläschen entstehen und die keine für die Haut und den Schallkopf schädlichen Stoffe enthalten. Cave: Besonders bei der Simultantherapie mit Reizstrom müssen die Gele auch eine gute elektrische Leitfähigkeit haben. Es ist darauf zu achten, dass nur vom Hersteller freigegebene Koppel-Gele benutzt werden. 7.2 Indirekte Ankoppelung Von indirekter Ankoppelung spricht man bei einer subaqualen Beschallung, wobei die Behandlung im Wasserbad erfolgt. Sie wird überwiegend zur Ultraschalltherapie an Händen und Füßen eingesetzt. Zur Vermeidung von Reflexionen müssen nach dem Eintauchen die Luftbläschen auf der Haut und dem Schallkopf abgestreift werden. Die Absorption in bläschenfreiem Wasser ist über viele cm vernachlässigbar, so dass der Schallkopfabstand von der Haut relativ unkritisch ist. 52 Teil II: Ultraschalltherapie 8. Anwendung des therapeutischen Ultraschalls Anwendung des therapeutischen Ultraschalls 8.1 Therapieparameter Die wesentlichen Therapieparameter sind: - Intensität - Behandlungsdauer - Anzahl der Behandlungen pro Serie - Intervall zwischen den einzelnen Therapiesitzungen Die Wahl der Therapieparameter orientiert sich neben dem Behandlungszweck an der Interaktion von Ultraschall und dem Gewebe, wobei die Penetrationstiefe berücksichtigt werden sollte, die ja umgekehrt proportional zur Absorption ist. Die Therapie mit dem Ultraschall findet im Nahfeld statt, wie bereits erwähnt wurde. Unabhängig von den in der folgenden Tabelle angegebenen Eindringtiefen ist die therapeutisch nutzbare Tiefe auf das Nahfeld beschränkt (0,8 MHz ca. 7,0 cm; 2,4 MHz ca. 2,5 cm). 8.2 Dosierung Die Dosierung muss sich an der Erkrankung, der Lokalisation und am Reaktionsvermögen des Patienten orientieren. Ultraschallsensible Erkrankungen, wie Neuralgien, akute Stadien, oberflächliche Prozesse sind mit niedrigen Dosisstufen zu behandeln. Chronische und tiefgelegene Krankheitsprozesse können mit mittleren und hohen Dosen behandelt werden. 8.3 Intensität Es ist zweckmäßig, diese Parameter in drei Dosisstufen einzubringen. Diese Dosisstufen entsprechen unserem heutigen Kenntnisstand und können der Tabelle rechts entnommen werden. Frequenz 0,8 MHz 2,4 MHz Hautgewebe 4 cm 1,5 cm Fettgewebe 17 cm 6 cm Muskelgewebe 9 cm 3 cm Sehnengewebe 2,5 cm 1 cm Knorpelgewebe 2,5 cm 1 cm Knochengewebe 0,8 cm n/a Wasser 3900 cm 1300 vm Tabelle: Penetrationstiefe des Ultraschalls in Abhängigkeit von der Ultraschallfrequenz und dem Gewebe (≈ 30% der an der Oberfläche applizierten Dosis) Dosisstufe niedrig Dosisstufe mittel Dosisstufe hoch 8.4 Behandlungsdauer kurz: 3 Minuten mittel: 6 Minuten lang 9 Minuten Subakute Krankheitszustände erfordern kürzere Behandlungsserien von etwa sechs Einzelbehandlungen, die täglich oder jeden zweiten Tag durchgeführt werden. Chronische und nur wenig reagierende Zustände werden mit längeren Serien von etwa 12 Einzelbehandlungen therapiert und ebenfalls täglich oder jeden zweiten Tag verabreicht. Überdosierungen sind auf jeden Fall zu vermeiden. Anzeichen von Überdosierung sind auftretende Schmerzen. Auch eine Verschlechterung des objektiven Krankheitsbefundes gilt als Zeichen für Überdosierung. 53 Intensität 0,8 MHz 2,4 MHz Dauerschall 0,05–0,3 W/cm² 0,05–0,1 W/cm² Impulsschall 0,15–0,3 W/cm² 0,15–0,3 W/cm² Dauerschall 0,5–1,0 W/cm² 0,3–0,7 W/cm² Impulsschall 0,6–1,5 W/cm² 0,6–0,9 W/cm² Dauerschall 1,5–3,0 W/cm² 1,5–3,0 W/cm² Impulsschall 1,5–6,0 W/cm² 1,5–6,0 W/cm² Teil II: Ultraschalltherapie 9. Nebenwirkungen Nebenwirkungen Nebenwirkungen der Ultraschallbehandlung resultieren meist aus falscher Behandlungstechnik und Überdosierung: - Überhitzung - Kavitationen im Gewebe - Bildung von freien Radikalen, wie von H2O2 durch die Umsetzung der Ultraschallenergie in chemische Reaktionsenergie. Dadurch ist verständlich, dass die Ultraschalltherapie nicht nur wegen der Erwärmung bei akut entzündlichen Prozessen nicht eingesetzt werden darf. 54 Teil II: Ultraschalltherapie 10. Forcierter transkutaner Stofftransport mit dem Ultraschall Forcierter transkutaner Stofftransport mit dem Ultraschall 10.1 Ultraphonophorese (Sonophorese) Man versteht darunter die Möglichkeit, Medikamente, die entweder in der Ankoppelungssubstanz enthalten sind, oder die vorher auf die Haut aufgetragen wurden, mit Hilfe der Ultraschallenergie in den Körper (zumeist nahe an den Erkrankungsort) zu bringen. Bevorzugt werden bei diesem Verfahren zur lokalen Anwendung Kortikoide, Analgetika, Antiphlogistika oder Lokalanästhetika eingesetzt. Die Eindringtiefe der Medikamente ist nicht von der Intensität, sondern von der Applikationszeit des Ultraschalls abhängig. Auch die durch Ultraschall transportierte Stoffmenge ist wesentlich geringer als bei der Iontophorese. Zum Vergleich kann mit der Sonophorese etwa die doppelte Menge an Stoffen im Vergleich zur freien Diffusion in die Haut transportiert werden, mit der Iontophorese dagegen bis zum 1000fachen, abhängig von der Ladung und der Größe der Moleküle. 10.2 Sonoporation Unter Sonoporation versteht man die vorübergehende Öffnung von Zellmembranen, wenn in deren Nähe durch Ultraschallwellen angeregte Mikrobläschen oszillieren. Genutzt wird die Sonoporation zum transdermalen Transport von Medikamenten. Die Druckwellen des Ultraschalls erzeugen in einer Flüssigkeit kleinflächig hohe Temperaturänderungen bis hin zum Siedepunkt. Dadurch entstehen an der Schallquelle ständig mikroskopische Bläschen durch Kavitation, die in die Flüssigkeit hinein abgeben werden. Nach kurzer Zeit (ns) kollabieren diese Kavitationsbläschen, wobei ein Flüssigkeitsstrahl durch das Zentrum der Bläschen schießt und dabei sehr hohe Drücke erzeugt (siehe Abb.). Dieser zentrale Jet wirkt wie ein Rammbock oder eine Injektion unter hohem Druck. Bei der Sonoporation lockern die mechanischen Kräfte der kollabierenden Bläschen das Epithel und erhöhen die Permeabilität der Haut-Barriere, sodass große Moleküle penetrieren können. Sonoporation ist die vorübergehende Öffnung der Zellmembranen durch Ultraschall. Das geschieht durch in der Nähe stark oszillierende Mikrobläschen, die Mikroströmungen erzeugen. Diese Mikroströmungen versetzen die angrenzenden Zellmembranen in Oszillation, bis sie nachgeben und so für wenige Minuten eine „Pore“ in der Zellmembran entsteht, die die Zelle selbst wieder schließt. Während der Öffnungszeit der Poren können nun durch sie hindurch z. B. Medikamente in die Zellen eindringen und auch durch Zellen hindurch wandern. Auf diese Weise können Moleküle (Medikamente) bis zu einem Durchmesser von ca. 50 nm eingeschleust werden. 55 Abb.: Der zentrale Jet während des Kollapses des Kavitionsbläschens wirkt wie eine mikroskopische Injektionsnadel. Als Sonoporation wird der transdermale Transport mittels Ultraschall bezeichnet Teil II: Ultraschalltherapie 10. Forcierter transkutaner Stofftransport mit dem Ultraschall 6 : : : : 5.5 5 Die Abbildung zeigt, dass Ultraschall mit einer niedrigeren Frequenz die größte Ausdehnung der Mikrobläschen und damit die größten Kräfte erzeugt, bevor diese platzen. 1 MHz 1,5 MHz 2 MHz 3,5 MHz Die im Ultraschallfeld entstehende kleine Pore in der Zellmembran ist mit einem Pfeil gekennzeichnet. Relative Expansion 4.5 4 Die Sonoporation wird therapeutisch mit Schallleistungen von 2 W/cm² und mehr mit einem gepulsten Ultraschall (z. B. 20 Hz gepulst) durchgeführt; die Anwendungsdauer liegt meist unter einer Minute. 3.5 3 1 MHz 2.5 3,5 MHz 2 1,5 MHz 2 MHz 1.5 1 1 2 3 4 Do (µm) 5 6 7 8 Diese lokale Freisetzung der Medikamente bewirkt neben einer verbesserten lokalen Wirkung durch die zielgenaue Therapie auch eine Reduktion von systemischen Nebenwirkungen der verabreichten Medikamente. Die genauen Mechanismen der Sonoporation sind noch nicht vollständig verstanden, so dass die gezielte Medikamentengabe noch keine zuverlässige Reproduzierbarkeit zeigt. Abb.: Biskop, Deng, Ch., X; F. Seiling et al Ultrasound indured Membram Porosity Ultrsound in Mechane and Biology, 2004; 30:4: 519-526 "Pore" 56 Teil II: Ultraschalltherapie 11. Ultraschall Programme Tabelle der Ultraschall Programme: Programm Basis Frequenz Modus Puls Frequenz Wirkung US 00 0,8 MHz CW ungepulst Wärme, tief US 01 0,8 MHz PW 50 Hz Regenerativ, tief US 02 0,8 MHz PW 20 Hz Regenerativ, tief US 03 2,4 MHz CW ungepulst Wärme, oberflächlich US 04 2,4 MHz PW 50 Hz Regenerative Wirkung, oberflächlich US 05 2,4 MHz PW 20 Hz Regenerative Wirkung, oberflächlich US 06 0,8 MHz / 2,4 MHz 1:1, CW ungepulst Wärmewirkung, tief und oberflächlich US 07 0,8 MHz / 2,4 MHz 1:1, PW 50 Hz Regenerative Wirkung, tief und oberflächlich US 08 0,8 MHz / 2,4 MHz 1:1, PW 20 Hz Regenerative Wirkung, tief und oberflächlich 57 Teil II: Ultraschalltherapie 12. Indikationen Indikationen Das Indikationsspektrum des Ultraschalls ist besonders breit bei den Erkrankungen und Funktionsstörungen, die dem rheumatischen Formenkreis zugeordnet werden. Die Therapie zielt hierbei zunächst auf eine Schmerzlinderung ab. Daraus resultiert u. a. eine Tonusminderung schmerzhaft verspannter Muskulatur. Dem Patienten wird so die Möglichkeit eröffnet, durch Bewegungsübungen selbst zur Funktionsverbesserung bzw. -erhaltung aktiv beizutragen. Verbesserung der Durchblutung und der Trophik sowie Minderung von Entzündungsprozessen sind die positiven Begleiteffekte. Weiterhin werden bindegewebige Strukturen, insbesondere im Kapsel-Band-Apparat, und Sehnen unter dem Einfluss des Ultraschalls elastischer und erleichtern somit die Übungstherapie mit aktiven oder passiven Bewegungen. 12.1 Typische Indikationen aus der Orthopädie, Chirurgie, Traumatologie, Rheumatologie - Vertebragene Schmerzsyndrome, z. B. Zervikalsyndrom, Lumbalsyndrom - Spondylitis ankylosans (nur im entzündungsfreien Intervall) - Gelenkerkrankungen - Rheumatoide Arthritis (soweit eine Wärmeanwendung angezeigt ist) - Arthrose - Periarthropathien - Epicondylopathie - Tendinosen, Periostosen, Fersensporn - Achillodynie - Narben, Kontrakturen, Dupuytren-Kontraktur - Posttraumatische Beschwerden - Frakturen (insbesondere bei verzögerter Kallusbildung) 12.2 Weitere Indikationen - Asthma bronchiale - Rhinopathie - Persistierende Beschwerden der HWS nach Schleudertraumen mit repetitiven Blockierungen - Kopfschmerzen - Ohrenschmerzen - Zosterneuralgie - Funktionelle Störungen des Magens und Zwölffingerdarms - Pelvipathie - Funktionelle Beschwerden des kleinen Beckens 58 Teil II: Ultraschalltherapie 13. Kontraindikationen Kontraindikationen - Erkrankungen bei denen Wärme nicht angewendet werden darf, z. B. akut entzündliche Erkrankungen - Erkrankungen, bei denen mechanische Einflüsse kontraindiziert sind, z. B. Phlebothrombose, hämorrhagische Diathese - zervikal nicht höher als C 3 beschallen - Beschallung parenchymatöser oder wärmeempfindlicher Organe (Testes, Auge, gravider Uterus, Leber, Niere etc.) - Anästhesierte Hautgebiete - Störungen der Temperaturempfindung - nach Behandlung mit ionisierenden Strahlen - Epiphysenfugen - Tumore - Regionen über elektronischen Schrittmachersystemen Relative Kontraindikation Metallimplantate und Endoprothesen Gegen eine dynamische Beschallung in niedriger Dosierung bestehen heute keine Bedenken mehr. 59 Teil III: Simultantherapie 1. Simultantherapie mit Ultraschall Simultantherapie mit Ultraschall Die Kombination Reizstrom/Ultraschall bezeichnet man als „Simultanverfahren”. Hierbei ist der Ultraschall- und der Reizstromgenerator zu einer therapeutischen Einheit verbunden, wobei der Schallkopf die aktive Elektrode (bei unipolaren Stromformen als Anode) ist. Das Reizstromgerät muss im CV-Betrieb arbeiten, da der Schallkopf ständig bewegt werden soll und dabei auch abheben kann. Der Strom fließt vom Schallkopf über ein elektrisch leitfähiges Koppel-Gel über den Patienten zur indifferenten Elektrode. Für die Kombination des Reizstromes mit dem Ultraschall im Simultanverfahren stehen mehrere geeignete Stromformen zur Verfügung. Von großem therapeutischem Vorteil ist dabei die Funktion des Schallkopfes als bewegliche Elektrode, wodurch die therapeutischen Wirkungen von Ultraschall und Reizstrom gleichzeitig auftreten. Die zugehörige Anode als großflächige indifferente Gegenelektrode wird entfernt vom Behandlungsort paravertebral im Segment der betroffenen Körperregionen angebracht. Mittelfrequenzströme oder TENS-Ströme mit Frequenzen über 100 Hz werden in motorisch gerade schwelliger Dosierung zur gezielten Behandlung von Trigger- und Schmerzpunkten eingesetzt, die mit dem dynamisch geführten Schallkopf gut lokalisiert werden können. Liegen chronische, häufig therapierefraktäre Erkrankungen des Bewegungsapparates vor, kann die Simultantherapie mit Rechteckströmen wie dem Ultrareizstrom und ferner mit diadynamischen Strömen durchgeführt werden. Der Schallkopf ist bei monophasischen Strömen stets kathodisch gepolt. Neben einer synergistischen Wirkung der beiden als analgetisch, durchblutungsfördernd und muskeldetonisierend bekannten Energieformen hat das Simultanverfahren Vorteile gegenüber einer alleinigen Ultraschall- oder Reizstrombehandlung. Mit dem bewegten Schallkopf gelingt es relativ einfach, die Triggerpunkte bei den häufigen myofaszialen Schmerzsyndromen genau zu lokalisieren, um sie anschließend gezielt ausschalten zu können. Diese Triggerpunkte entsprechen häufig den klassischen Akupunkturpunkten. Wird der Schallkopf darüber geführt, werden sie durch eine gegenüber der Umgebung deutlich gesteigerte Empfindlichkeit, durch das Auftreten lokaler Muskelkontraktionen sowie häufig durch eine Hautrötung über den Triggerpunkten erkennbar. Bei vertebragenen Syndromen sind sie im Myotom des betroffenen Segments oft mehrfach vorhanden. 60 Teil III: Simultantherapie 1. Simultantherapie mit Ultraschall Die Simultantherapie insbesondere myofaszialer Schmerzsyndrome soll mit Dehnübungen kombiniert werden, um den Funktionszustand der meist verkürzten Muskulatur nachhaltig zu verbessern. Das Simultanverfahren bei myofaszialen Schmerzen Muskelschmerzen sind ein sehr häufiges medizinisches Symptom. Ca. 85 % der europäischen Bevölkerung leiden irgendwann im Laufe ihres Lebens an muskulär bedingten Rückenschmerzen, allein 30 % entwickeln myofasziale Schmerzsyndrome mit aktiven / passiven Triggerpunkten. Muskuloskelettale Schmerzen sind europaweit der häufigste Grund, einen Arzt aufzusuchen. Definition myofaszialer Schmerzen Der myofasziale Schmerz (MFS) stellt eine schmerzhafte Funktionsstörung mit Symptomen aus dem Muskel- und Faszienbereich dar. Es handelt sich um eine klinische Diagnose, basierend auf Anamnese und körperlichem Untersuchungsbefund, ohne quantifizierbare Zusammenhänge, bisher ohne kontrollierte Studien und darüber hinaus mit mehrdeutigen Kriterien. Kennzeichnend bei MFS ist der Triggerpunkt, ein kleiner umschriebener Punkt an empirisch gefundenen, reproduzierbaren Lokalisationen des Muskels, der schmerzhaft ist und einen ausstrahlenden, übertragenen Schmerz auslöst. Fortgeleitete Schmerzen und Triggerpunkte in Muskulatur und Faszien sind pathognomonisch für die häufigen myofaszialen Schmerzsyndrome. Myofasziale Triggerpunkte entstehen in Muskulatur und Faszien, die meist chronisch verspannt und überlastet sind. In solchen, verspannten Bereichen, insbesondere von Muskeln, bilden sich verhärtete bandförmige Bezirke, in denen sich Triggerpunkte befinden können. Es werden aktive von passiven Triggerpunkten unterschieden. Aktive Triggerpunkte lösen direkt fortgeleitete Schmerzen in typische Referenzzonen aus. Passive Triggerpunkte lösen diese fortgeleiteten Schmerzen aus, wenn sie gereizt werden, z. B. durch Druck oder Zug, ansonsten sind sie asymptomatisch. Die Diagnose erfolgt palpatorisch und aufgrund der gestörten Muskelfunktion sowie des typischen Musters des fortgeleiteten Schmerzes. Somit stellt der myofasziale Schmerz eine Funktionsstörung des myofaszialen Apparates dar; er ist keine eigenständige pathologische Entität, sondern ein Symptom. 61 Teil III: Simultantherapie 1. Simultantherapie mit Ultraschall Der myofasziale Schmerz stellt häufig eine Ko-Diagnose bei Störungen des Bewegungsapparates dar, neben der weitere Dysfunktionen z. B. von Gelenken, Sehnen oder Ligamenten aufgesucht und Strukturstörungen, wie neoplastische, degenerative, entzündliche, ischämische oder nervale, zuvor identifiziert werden müssen, Anamnese: Vorausgegangene muskuläre Überlastung, einseitige Belastungshaltungen, vorwiegend Bewegungsschmerz, Ruheschmerzen eher bei fortgeschrittenem Verlauf. Schmerzausstrahlung: Meist Angabe lediglich des umschriebenen Lokalschmerzes; Auslösung des Übertragungsmusters durch Stimulation z. B. mit Fingerdruck. Die zum Triggerpunkt gehörende Schmerz-Referenzzone wird nur teilweise über das Konvergenzmodell am Hinterhorn des Rückenmarks erklärt. 71% der muskulären Triggerpunkte stimmen mit Akupunkturpunkten überein (Melzack, 1981). Charakteristik des Triggerpunktes: Lokale Empfindlichkeit auf Druck durch spontane Schmerzäußerung des Patienten (jump sign), die mit Druckalgometern für Schmerzschwelle und Toleranz auch quantifizierbar ist. Der Triggerpunkt liegt meist innerhalb eines verhärteten Stranges im Verlauf des Muskels (taut band). Bei mechanischer Stimulation des Triggerpunktes entsteht oft eine Muskelzuckung (twitch response). Einschränkung der Muskelfunktion: Die passive Dehnbarkeit ist verringert, die Kontraktion gegen Widerstand schmerzhaft, maximale Willkürinnervation nicht möglich. Gestörte autonome Regulation: Vasomotorische und sudomotorische Störungen im „Skin rolling-Test“, Kibler-Falte, herabgesetzter elektrischer Hautwiderstand. Diese Störung entsteht erst bei chronischem Verlauf. Vorkommen: Das Auftreten von myofaszialen Schmerzen ist nicht geschlechts- und/oder altersspezifisch. Sie werden als wichtigste Haupt- oder Ko-Diagnose bei Patienten mit Störungen des Bewegungssystems festgestellt. Primäre Auslöser: Trauma, Überlastung, Fehlhaltung, Fehlbewegungs-Stereotypien. Sekundäre Auslöser: Andere Dysfunktionen des Bewegungssystems (z. B. artikulär), häufig bei Strukturstörungen des Skelettsystems und innerer Organe, sowie psychosomatische Störungen. 62 Teil III: Simultantherapie 1. Simultantherapie mit Ultraschall Ein aktiver myofaszialer Triggerpunkt führt immer zur Schwächung und Verkürzung des betroffenen Muskels. Ein latenter myofaszialer Triggerpunkt wird nur bei Reizung schmerzhaft. Triggerpunkte und die dazugehörigen Referenzzonen ergeben typische Muster, die einen genauen Rückschluss auf die betroffene Muskulatur zulassen. Die klinischen Zeichen myofaszialer Triggerpunkte überdauern die auslösenden Ereignisse meist lange Zeit und können somit chronifizieren. Bleiben diese schmerzauslösenden myofaszialen Triggerpunkte lange bestehen, wird sich eine muskuläre Dysfunktion mit der Folge einer Dysbalance und einem gestörten Bewegungsablauf entwickeln, der dann auch zu strukturellen Schädigungen führen wird. Mit dem Simultanverfahren steht eine umfassende und hoch wirksame therapeutische Möglichkeit zur Behandlung myofaszialer Schmerzsyndrome zur Verfügung. Die Basis dieser Therapie ist - die Detonisierung der Muskulatur mit elektrischen Strömen, - die Erwärmung und Verbesserung der Elastizität der verhärteten Muskelanteile durch den Ultraschall und - die Dehnung des betroffenen Muskels zur Wiederherstellung seiner physiologischen Länge und Spannung. Behandlungstechnik: Eine große oder mittlere Elektrode dient als indifferente Elektrode (Anode) und wird segmental paravertebral platziert. Das Gerät wird auf die Betriebsart „spannungskonstant“ (CV) eingestellt. Der Schallkopf ist jetzt als differente Elektrode (Kathode) wirksam. Er wird mit kleinflächigen kreisenden Bewegungen langsam im Behandlungsgebiet geführt Gleichzeitig wird die Stromintensität langsam hochgeregelt, bis der Patient den Strom deutlich spürt. An den Triggerpunkten sollen lokale Muskelzuckungen eintreten. Während der Therapie sollen die Triggerpunkte etwa 50 % der Zeit unter gleichzeitigem Dehnen behandelt werden. Die Dehnung wird statisch und jeweils bis an die Schmerzgrenze durchgeführt. So kann der Muskel Schritt für Schritt bis zu seiner normalen Länge gedehnt werden. 63 Teil III: Simultantherapie 1. Simultantherapie mit Ultraschall Empfohlene Therapieparameter: Ultraschall: Die Ultraschalldosis hängt ab von der Lage und der Masse des/der zu behandelnden Muskeln. Oberflächlich liegende Muskeln (bis ca. 2 cm Tiefe): 2,4 MHz, 0,5 W/cm² Muskeln in mittlerer Tiefe (2–6 cm Tiefe): 0,8 MHz, 1,0 W/cm² Tief gelegene Muskeln (> 6 cm Tiefe): 0,8 MHz, 2,0 W/cm² Elektrostimulation: Der Strom ist motorisch schwellig zu dosieren, so dass an den Triggerpunkten Muskelzuckungen auftreten, nicht aber in den übrigen Muskel-Anteilen. Als die am besten geeignete Stromform gilt ein mittelfrequenter Strom mit 100 bis 200 Hz, alternativ kann auch der modifizierte Ultrareizstrom mit 182 Hz verwendet werden. Nach Wirkung kombinierte Simultanprogramme Ultraschall- und Elektrostimulation Progr. Anwendung Ultraschall Stromform SI 00 Hyperämie 0,8 MHz / 2,4 MHz Ultrareizstrom, 143 Hz SI 01 Heilungsförderung, Gewebe-Regeneration 0,8 MHz / 2,4 MHz MF 8000 Hz, unmodulliert SI 02 Analgesie 0,8 MHz / 2,4 MHz Biphasischer Rechteckstrom, 3–10 Hz SI 03 Muskeldetonisierung 0,8 MHz / 2,4 MHz Biphasischer Rechteckstrom, 100–200 Hz SI 04 Triggerpunktbehandlung 0,8 MHz / 2,4 MHz MF 8000 Hz, 100–200 Hz SI 05 Freies Programm Frei wählbar Frei wählbar 64 Für Ihre Notizen 65 Für Ihre Notizen 66 Für Ihre Notizen 67 Zimmer MedizinSysteme GmbH Junkersstraße 9 D-89231 Neu-Ulm Tel.+49 7 31. 97 61-0 Fax +49 7 31. 97 61-118 [email protected] www.zimmer.de DE 10 102 027 UR 0913 | Änderungen vorbehalten Reizstrom-Ultraschall-Therapie