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Der Tagesspiegel Nr. 17448 VOM 26.06.2001 SEITE 028
Wissen
Erst überschätzt, dann verboten. Die Freie Deutsche
Jugend gab es bis 1951 auch im Westen.
VON TILLMANN BENDIKOWSKI Die "Freie Deutsche Jugend" ist heute für die meisten
Deutschen ausschließlich ein Stück DDR-Geschichte. Sie denken an endlose Kolonnen
gleichgeschalteter Jugendlicher, die bei obligatorischen Aufmärschen durch Ost-Berlin zogen
und dabei Sozialismus und Völkerfreundschaft hochleben ließen. Längst vergessen ist
hingegen, dass tausende "Blauhemden" auch durch Bochum, Düsseldorf oder Stuttgart
marschierten und ein besseres, ein sozialistisches Deutschland forderten - bis die
Bundesregierung am 26. Juni 1951 die FDJ als verfassungsfeindliche Organisation verbot.
Vor allem in den Industriestädten an Rhein und Ruhr mit ihrer traditionellen sozialistischen
Wählerschaft hatten sich nach 1945 viele Jugendliche den Kommunisten angeschlossen, in
erster Linie der KPD. Da war es nur ein kleiner Schritt zur FDJ, deren Versprechen anfangs
viele nur zu gerne glaubten: Vom Recht auf Arbeit, Bildung und Erholung war die Rede, sogar
ein Recht auf "Freude und Frohsinn" wurde beim Gründungstreffen im Juni 1946 in
Brandenburg formuliert. Doch statt Freude und Frohsinn verbreitete der zum Vorsitzenden
gewählte Erich Honecker erst einmal falsche Versprechungen: Die FDJ werde "den
überparteilichen Charakter unserer Organisation wie unseren Augapfel hüten".
Alles Lüge: Zunehmend geriet die FDJ - zunächst im Osten - unter die Fuchtel der SED, der
Westableger forcierte ordnungsgemäß seinen Kampf gegen das verhasste "AdenauerRegime". Zu ihren spektakulären Auftritten zählte die Teilnahme an den so genannten
Helgoland-Fahrten: Damals besetzten Jugendliche die von den Briten als Bombenabwurfziel
genutzte Nordseeinsel. Solche Aktionen boten der FDJ Gelegenheit, sich als wahre Hüterin
der deutschen Einheit im Kampf gegen die Politiker der Westbindung zu stilisieren. Als
Tarnorganisation eingeschätztZu Lande verlor die West-FDJ indes zunehmend ihre
Anhängerschaft, zu der einst 13000 Jugendliche zählten. Obwohl das Bundesministerium für
gesamtdeutsche Fragen den Verband bald als "gefährlichste Tarnorganisation des
Weltkommunismus in Deutschland" bezeichnete, dürfte ihr Bedrohungspotenzial tatsächlich
eher gering gewesen sein. "Bei der FDJ handelte es sich politisch gesehen um eine recht
schwache Organisation, die mit Sicherheit nicht in der Lage war, das Regime der DDR auf die
Bundesrepublik zu übertragen", meint Hermann Weber, der als Nestor der deutschen
Kommunismus- und DDR-Forschung gilt. Der heute 72-jährige Historiker der Universität
Mannheim weiß nur zu gut, wovon er spricht, schließlich kämpfte er viele Jahre selbst als
führender Kader in den Reihen der West-FDJ. Und er kann von den Enttäuschungen
berichten, die die Jugendlichen erlebten, als sie Zeugen der zunehmenden Stalinisierung der
SED und schließlich auch ihrer FDJ wurden. Viele brachen jetzt mit dem Kommunismus,
manche - wie Hermann Weber - fanden in der SPD eine neue politische Heimat.
Auf den Straßen Westdeutschlands wurde die Auseinandersetzung der FDJ nach der
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doppelten Staatsgründung von 1949 immer gewalttätiger. Prügeleien mit der Polizei waren
bald an der Tagesordnung. Vor allem die geplante "Remilitarisierung" der Bundesrepublik
wurde schließlich zur politischen Zielscheibe der "Blauhemden".
Am 26. Juni 1951 beendete ein Beschluss der Bundesregierung das Auftreten der
westdeutschen FDJ. Das Fass zum Überlaufen brachte eine unerlaubte Demonstration am 17.
Juni (also exakt zwei Jahre vor dem Ost-Berliner Arbeiteraufstand) auf dem Bonner
Petersberg, zu der über 2000 Jungkommunisten erschienen. "Beim Einschreiten der Polizei",
so notierte die Bundesregierung in ihrem Verbotsbeschluss, "zog sich ein großer Teil der
Teilnehmer um und zeigte sich in provozierender Weise in blauen Hemden mit Abzeichen der
FDJ."Was dann geschah, schilderte später die örtliche Presse: "Als sie sich weigerten, die
Blusen abzulegen, wurden sie ihnen ausgezogen. Dabei kam es zu Ausschreitungen.
Fanatisierte Mädchen bissen Polizeibeamten in den Arm. Ein mit nacktem Oberkörper zu
einem Polizeiwagen abgeführter FDJler rief: ,Ihr werdet noch alle gehängt!'"
Tatsächlich gab es ein Jahr später einen Toten: Während einer Kundgebung gegen die
Wiederbewaffnung in Essen wurde der 21-jährige FDJ-ler Philipp Müller von einem Polizisten
erschossen - die Auseinandersetzungen hatten einen traurigen Höhepunkt erreicht. Danach
brach die Unterstützung für die "Blauhemden" endgültig weg. Im Westen verschwand die FDJ
fast vollständig, während sie im Osten zur Kaderschmiede der SED aufstieg und real
existierende Vorzeige-Persönlichkeiten wie Erich Honecker oder Egon Krenz hervorbrachte.
Wer heute im Internet unter "www.FDJ.de" nachschlägt, stößt vor allem auf viel DDRNostalgie, eine überkommene klassenkämpferische Rhetorik und das Wehklagen über 1989
und die Folgen. Für den ehemaligen Jungkommunisten und späteren Professor Hermann
Weber ist das heute nur noch "ein nostalgischer Kleinstrest, der mit der FDJ nichts mehr zu
tun hat". Für den Historiker ist die "Freie Deutsche Jugend" inzwischen längst Geschichte - im
Osten genauso wie im Westen. KONFRONTATION. Staatsmacht West gegen FDJ-Funktionär.
Am Brandenburger Tor wurde ein FDJ-ler gestellt, weil 1950 das Tragen der Blauhemden im
Westen verboten war. Foto:AP
Bendikowski, Tillmann
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Der Tagesspiegel Nr. 17448 VOM 26.06.2001 SEITE 028
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Freie Deutsche Jugend
Bundesrepublik Deutschland C4EUGE
Deutsche Demokratische Republik DDR
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