FACHZEITSCHRIFT FÜR WIRTSCHAFTSRECHT FEBRUAR 2004 02 81–152 Unbundling von Netzbetreibern / Richtlinien und Umsetzung Energiewirtschaft Handelsrechtsänderungsgesetz Verbraucherkritik Neues Eigenkapitalersatzgesetz Neues Arbeitsverhältnis, doch Abfertigung ,,Alt‘‘ Private Durchsetzung von Kartellrecht im Wege des UWG VwGH: Entscheidung zur Getränkesteuerrückerstattung Staatliche Ausgleichsmaßnahmen im öffentlichen Interesse Verbotene Beihilfe? Energiewirtschaft – Umsetzung des Unbundling nach den ElektrizittsbinnenmarktRL BeschleunigungsRL Die 2003/54/EG und die ErdgasbinnenmarktRL 2003/55/EG erweitern die Verpflichtungen des rechtlichen wie funktionellen Unbundlings fr integrierte Unternehmen. Fragen hinsichtlich der rechtlichen Ausstattung des Netzbetreibers waren schon bisher umstritten und sollen nachfolgend im Lichte der neuen Richtlinienbestimmungen errtert werden. RAOUL HOFFER / CHRISTIAN MARTH A. EINLEITUNG Bekanntlich wurde mit den RL 2003/54/EG betreffend die Liberalisierung des Elektrizitätsmarktes1) und 2003/55/EG betreffend die Liberalisierung des Erdgasmarktes2) auch die Frage des Legal Unbundling, dh der gesellschaftsrechtlichen Trennung zwischen integrierten Elektrizitäts- bzw Erdgasunternehmen3) (,,integrierten Unternehmen ) und Netzbetreibern, neu geregelt. Sowohl im Elektrizitäts- als auch im Erdgasbereich müssen die neuen Unbundling-Regelungen der RL großteils bis zum 1. 7. 2004 umgesetzt werden.4) Die folgenden schon bisher umstrittenen Fragen betreffend die Zurverfügungstellung von Ressourcen durch das integrierte Unternehmen an den Netzbetreiber sollen im Lichte der neuen RL-Bestimmungen kurz erläutert werden. & Inwiefern muss das Netz in der Verfügungsmacht des Netzbetreibers stehen? & Inwiefern kann ein Netzbetreiber Personal des integrierten Unternehmens heranziehen? & Inwiefern kann der Netzbetreiber Dienstleistungen von Seiten des integrierten Unternehmens in Anspruch nehmen (,,shared services )? Andere Fragen (zB die Gesellschaftsform des Netzbetreibers, Übereinstimmungsprogramm) werden an dieser Stelle nicht behandelt. Die folgende Beurteilung stützt sich auf den RL-Text. Es bleibt derzeit noch offen, wie der Gesetzgeber die RL umsetzen und ob er in dem einen oder anderen Bereich strengere Voraussetzungen festlegen wird.5) ,, ,, B. VERFÜGUNGSBEFUGNIS DES NETZBETREIBERS ÜBER DAS NETZ Sowohl im Elektrizitäts- als auch im Erdgasbereich wird von den RL wortgleich festgehalten, dass die Entflechtung von Übertragungsnetzbetreibern bzw Fernleitungsnetzbetreibern und die Entflechtung von Verteilernetzbetreibern keine Verpflichtung begründet, eine Trennung in Bezug auf das Eigentum des integrierten Unternehmens an Vermögenswerten des Netzes vorzunehmen.6) Es sei an dieser Stelle festgehalten, dass zwar § 22 Abs 1 ElWOG bereits die Verpflichtung normiert, das Übertragungsnetz an einen unabhängigen Netz- betreiber, den Regelzonenführer,7) zu übertragen, doch sieht das ElWOG derzeit keine gesellschaftsrechtliche Entflechtung des Verteilernetzes vor. Das GWG behandelt in § 7 Abs 2 das Legal Unbundling, doch wird auch in dieser Bestimmung nicht ausgeführt, ob das Eigentum bzw die Verfügungsbefugnis über das Netz im Rahmen des Unbundling zu übertragen ist. Nach der derzeitigen Gesetzeslage ist daher eine Übertragung des Eigentums an den Netzen auf die Netzbetreiber nicht erforderlich. Aufgrund der RL-Bestimmungen wird eine Übertragung des Eigentums am Netz für die Durchführung des Legal Unbundling auch nicht erforderlich sein.8) Dr. Raoul Hoffer ist Partner, Dr. Christian Marth RAA der Rechtsanwaltskanzlei Binder Grsswang Rechtsanwälte in Wien. 1) RL 2003/54/EG des Europäischen Parlamentes und des Rates vom 26. 6. 2003 über gemeinsame Vorschriften für den Elektrizitätsbinnenmarkt und zur Aufhebung der RL 96/92/EG. 2) RL 2003/55/EG des Europäischen Parlamentes und des Rates vom 26. 6. 2003 über gemeinsame Vorschriften über einen Erdgasbinnenmarkt und zur Aufhebung der RL 98/30/EG. 3) Integrierte Elektrizitäts- bzw Erdgasunternehmen sind nach den Begriffsbestimmungen der RL vertikal oder horizontal integrierte Unternehmen. Zur Definition dieser Unternehmensbegriffe siehe Art 2 Z 21 und Z 23 RL 2003/54/EG bzw Art 2 Z 20 und Z 21 RL 2003/55/EG. 4) Im Elektrizitätsbereich kann das Legal Unbundling von Verteilernetzbetreibern gem Art 15 Abs 1 RL 2003/54/EG und im Erdgasbereich das Unbundling der Verteilernetzbetreiber gem Art 13 Abs 1 RL 2003/55/EG jeweils bis 1. 7. 2007 von den Mitgliedstaaten zurückgestellt werden. 5) Es gibt erst einen vorläufigen Entwurf einer Novelle zum ElWOG, der zum Ziel hat, die RL 2003/54/EG umzusetzen. 6) Siehe Art 10 Abs 1 und Art 15 Abs 1 RL 2003/54/EG und Art 9 Abs 1 und Art 13 Abs 1 RL 2003/55/EG. So auch die Interpreting Note of Commission Services on the Electricity and Natural Gas Internal Market Directives 2003/54 and 2003/55, The unbundling regime of the new electricity and gas directives, November 2003, Punkt 3.1. (non binding document der Europäischen Kommission). 7) Das sind Verbund Austrian Power Grid AG, Tiroler Regelzonen AG und VKW-Übertragungsnetz AG. 8) In den Materialien zum vorläufigen Entwurf der Novelle des ElWOG wird ausdrücklich darauf hingewiesen, dass die Trennung des Netzbetriebes und eine Entflechtung in Bezug auf die Eigentumsverhältnisse zu unterscheiden sind. In den Erläuterungen zum Entwurf wird ebenfalls erwähnt, dass aus den Erwägungsgründen der RL die Intention gefolgert werden kann, dass der mit der Entflechtung verbundene Aufwand in einem angemessenen Verhältnis zu dem damit verbundenen Nutzen stehe. In diesem Zusammenhang wird der Erwägungsgrund 8 der RL 2003/54/EG zitiert. Tatsächlich scheint eher Erwä- SCHWERPUNKT EUROPA ecolex 2004 89 In den RL finden sich zwar entsprechende Bestimmungen zur Absicherung der Unabhängigkeit der leitenden Personen der Netzbetreiber, insb dass die für die Leitung des Netzbetriebes zuständigen Personen nicht den betrieblichen Einrichtungen des integrierten Unternehmens angehören dürfen, die direkt oder indirekt für den laufenden Betrieb in den Bereichen Erzeugung, Verteilung und Versorgung zuständig sind.11) Die RL treffen jedoch keine ausdrückliche Festlegung bezüglich der Frage, ob die Mitarbeiter des Netzbetreibers bei diesem angestellt sein müssen oder auch Mitarbeiter des integrierten Unternehmens sein können. Tatsächlich wird dennoch impliziert, dass tendenziell an Mitarbeiter des integrierten Unternehmens gedacht wurde, ansonsten wären die in den betreffenden Unbundlingbestimmungen der RL vorgesehenen Maßnahmen zur Absicherung der Unabhängigkeit der betreffenden Mitarbeiter nicht erforderlich.12) Nach derzeitiger Rechtslage ist im ElWOG bezüglich der Verteilernetze keine Festlegung über die Unabhängigkeit der Mitarbeiter enthalten. In § 7 Abs 3 GWG finden sich eine Reihe von Maßnahmen, die die Unabhän- 9) 10) 11) 12) 13) 14) 15) gungsgrund 11 aussagekräftig, der kleine Verteilerunternehmen erwähnt und festhält, dass diese nicht unverhältnismäßig stark finanziell und administrativ belastet werden sollen, sodass eine Ausnahme von den Unbundlingbestimmungen für diese gerechtfertigt sei. Art 10 Abs 2 lit c und Art 15 Abs 2 lit c RL 2003/54/EG und Art 9 Abs 2 lit c und Art 13 Abs 2 lit c RL 2003/55/EG. Art 10 Abs 2 lit c und Art 15 Abs 2 lit c RL 2003/54 EG und Art 9 Abs 2 lit c und Art 13 Abs 2 lit c RL 2003/55/EG. Siehe auch § 26 Abs 4 des Entwurfs zur Novelle des ElWOG. Art 10 Abs 2 lit a und Art 15 Abs 2 lit a RL 2003/54/EG und Art 9 Abs 2 lit a und Art 13 Abs 2 lit a RL 2003/55/EG. Vgl Art 10 Abs 2 lit a und b sowie Art 15 Abs 2 lit a und b RL 2003/54/EG und Art 9 Abs 2 lit a und b sowie Art 13 Abs 2 lit a und b der RL 2003/55/EG. Hier könnte zB die übliche Bestellungsdauer für Vorstände einer Aktiengesellschaft, die ebenfalls unabhängig sein müssen, vergleichsweise herangezogen werden. Vgl § 26 Abs 3 Z 2 des Entwurfs zur Novelle des ElWOG. Die Komm unterscheidet in ihrer Interpreting Note (Fn 6) zwar begrifflich zwischen ,,top management (board) und ,,operational management , hält aber fest, dass die genannten Prinzipien auf beide Management-Ebenen Anwendung finden (Punkt 4.2.1.). Es sei jedoch darauf hingewiesen, dass nach dem Entwurf zur Novelle des ElWOG in § 26 Abs 3 Z 2 Beschränkungen für einen Wechsel von Führungskräften und Mitarbeitern (hier sind wohl generell Mitarbeiter, dh nicht nur wie in den RL vorgesehen leitende Mitarbeiter, erfasst) aus dem Netzbereich zu anderen Tätigkeitsbereichen des integrierten Unternehmens vorzusehen sind. Welche Beschränkungen damit genau gemeint sind, wird nicht weiter erläutert und dürfte, sofern die Bestimmung in dieser Form Gesetz werden sollte, entsprechend Grund zur Diskussion geben. Ein ähnlicher Ansatzpunkt findet sich aber auch im Entwurf einer Interpreting Note der Komm (Fn 6) in Punkt 4.2.1. Vgl dazu die Interpreting Note der Komm (Fn 6), Punkt 4.3.1. ,, C. ZURVERFÜGUNGSTELLUNG VON PERSONAL AN DEN NETZBETREIBER gigkeit der für die Tätigkeit eines Netzbetreibers verantwortlichen Personen absichern sollen. Sohin ergeben sich aus den Bestimmungen der RL zwei wesentliche Elemente. Zum einen sind sie nach ihrem Wortlaut nur für die Personen anwendbar, die für die Leitung des Netzbetriebs verantwortlich sind. Zum anderen wird selbst für diese nicht generell untersagt, dass sie gleichzeitig für das integrierte Unternehmen tätig sind, sondern es wird nur ausgeschlossen, dass sie (weiterhin) den angeführten ,,sensiblen Bereichen angehören. Die Zurverfügungstellung der Mitarbeiter könnte daher auch in Form von Abstellungsverträgen (mit Übertragung des Weisungsrechtes) zwischen dem integrierten Unternehmen und dem Netzbetreiber erfolgen. Nach den RL ist jedoch darauf zu achten, dass die Unabhängigkeit der im Netzbereich beschäftigten verantwortlichen Personen abgesichert ist. Das könnte zB über eine langfristige Bestellung derselben13) und der vertraglichen Zusage, dass deren Abberufung nur unter gewissen, vorab klar umschriebenen und sachlich gerechtfertigten Umständen möglich ist, erreicht werden.14) Das müsste auch für die Geschäftsführer bzw die technischen Betriebsleiter (siehe § 15 GWG) gelten, da die RL hier keine Unterscheidung zwischen den verschiedenen Führungsebenen machen.15) Da die Dispositionen betreffend Betrieb, Wartung und Ausbau des Netzes nach dem Zweck der RL durch die Netzbetreiber selbst und unabhängig von dem integrierten Unternehmen getroffen werden müssen,16) ist davon auszugehen, dass zudem die Personalausstattung des Netzbetreibers (sei es durch vom integrierten Unternehmen abgestelltes oder ,, 90 ecolex 2004 Dennoch ist nach den RL darauf zu achten, dass der Netzbetreiber in Bezug auf Vermögenswerte, die für den Betrieb, die Wartung oder den Ausbau des Netzes erforderlich sind, tatsächliche Entscheidungsbefugnisse hat und diese unabhängig von dem integrierten Unternehmen ausübt.9) Es geht dabei zum einen um die rechtlichen Entscheidungsbefugnisse des Netzbetreibers bezüglich des Netzes. Die Einräumung dieser Rechte könnte (abgesehen von der Übertragung des Eigentums am Netz) zB durch einen Betriebsführungsvertrag betreffend den Netzbetrieb des integrierten Unternehmens mit dem Netzbetreiber oder durch Verpachtung des Netzes an den Netzbetreiber erfolgen. Zum anderen geht es hier um die finanzielle Ausstattung des Netzbetreibers, um die Entscheidungen auch tatsächlich umsetzen zu können. Ansonsten wäre die rechtliche Unabhängigkeit durch eine finanzielle bzw faktische Abhängigkeit konterkariert. Es stellt sich allerdings die Frage, wie diese Finanzausstattung des Tochterunternehmens zu gestalten ist. Diese Frage wird von den RL offengelassen. Es sind hier ua unbedingte Finanzierungszusagen des integrierten Unternehmens wie auch die Finanzierung über die Erträge aus dem Netzbetrieb oder auch die Aufnahme von Fremdkapital durch den Netzbetreiber denkbar. Andererseits kann die finanzielle Disposition des Netzbetreibers wiederum durch das integrierte Unternehmen insofern begrenzt werden, als dieses nach wie vor die Möglichkeit haben soll, die Rentabilität seines Tochterunternehmens zu schützen, insbesondere über die Genehmigung eines jährlichen Finanzplanes oder eines gleichwertigen Instruments bzw durch die Festsetzung genereller Grenzen für die Verschuldung des Netzbetreibers, nicht jedoch darüber hinaus.10) ,, SCHWERPUNKT EUROPA 16) D. LEISTUNGSERBRINGUNG DURCH DRITTE Die RL beinhalten keine spezifische Regelung bezüglich der Beauftragung Dritter mit Dienstleistungen für den Netzbetreiber. Hierbei handelt es sich jedoch um eine wichtige Frage, zumal die vom Netzbetreiber für seine Aufgaben benötigten Dienste bisher zur Gänze im Rahmen des integrierten Unternehmens erbracht wurden. Es wird daher in vielen Fällen wirtschaftlich sinnvoll sein, dass diese Dienste weiterhin vom integrierten Unternehmen bezogen werden. Das ist zumindest nach den RL auch nicht unzulässig. Allerdings wären die Dienstleistungsverträge so auszugestalten, dass die Unabhängigkeit des Netzbetreibers vollkommen erhalten bleibt, dh dessen Entscheidungsbefugnis hinsichtlich des Betriebs, der Wartung und des Ausbaues des Netzes bestehen bleibt. Die Dienstleistungsverträge sind daher so zu gestalten, dass eine einseitige Druckausübung von Seiten des integrierten Unternehmens, die die Ausübung der Entscheidungsbefugnis des Netzbetreibers behindern könnte, nicht möglich ist. Die durch den Netzbetreiber bezogenen Dienste könnten unter Beachtung des Obigen daher über ,, durch beim Netzbetreiber angestelltes Personal) entsprechend gestaltet sein muss, sodass diese Agenden selbständig bearbeitet werden können. die typischen ,,shared services , wie zB die Buchhaltung und die Lohnverrechnung, hinausgehen. Es wäre hier auch an technische Wartungsdienste sowie zB Bauleistungen bzw technische Dienste im Rahmen des Ausbaues des Netzes, sowie EDV-Leistungen von Seiten des integrierten Unternehmens zu denken, wobei jeweils auch auf eine entsprechende Datensicherheit und Datentrennung zwischen dem integrierten Unternehmen und dem Netzbetreiber zu achten wäre. Es wird dabei zudem immer abzusichern sein, dass es sich tatsächlich nur um ausführende Tätigkeiten handelt und die leitenden Funktionen bei dem Netzbetreiber verbleiben. Für die Feststellung, welche Leistungen konkret vom integrierten Unternehmen bezogen werden können, ist daher wohl immer eine einzelfallorientierte Betrachtung erforderlich. SCHLUSSSTRICH Die Bestimmungen betreffend das Legal Unbundling in den RL 2003/54/EG und 2003/55/EG bieten grundstzlich einen relativ weiten Spielraum zur wirtschaftlich sinnvollen Nutzung der Ressourcen des integrierten Unternehmens fr den Netzbetreiber. Dennoch gibt es hier noch einigen Interpretationsspielraum. SCHWERPUNKT EUROPA ecolex 2004 91