Widerstand gegen Vollstreckungsbeamte, § 113 StGB

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Prof. Dr. C.-F. Stuckenberg, LL.M. (Harvard)
Strafrecht III
WS 2016/17
Widerstand gegen Vollstreckungsbeamte, § 113 StGB
Schutzgut : Schutz inländischer staatlicher Vollstreckungshandlungen und der zur Vollstreckung berufenen inländischen Organe
Deliktstyp : str., ob Privilegierung oder bloß lex specialis (vgl. BGHSt 48, 233, 238 f.) zu § 240
I.Tatbestandsmäßigkeit
1. Objektiver Tatbestand
a)Täterqualifikation: jeder, nicht nur der Adressat der Vollstreckungshandlung, sondern auch Personen, die ihm
zu Hilfe eilen
b) Tatobjekt = vom Widerstand betroffener Organwalter :
aa) Amtsträger, § 11 I Nr. 2 a StGB
bb) Soldat, § 1 SoldatenG
cc) Hilfsperson mit polizeiähnlichem Status gem. § 114 StGB
dd)„der zur Vollstreckung von Gesetzen, Rechtsverordnungen, Urteilen, Gerichtsbeschlüssen oder (Allgemein-)Verfügungen berufen ist“
c) „bei der Vornahme einer solchen Diensthandlung“ = Amtshandlung in Vollstreckung hoheitlichen Willens,
die notfalls zwangsweise durchgesetzt werden kann
Die Diensthandlung muß :
 unmittelbar bevorstehen oder
 noch andauern, darf jedenfalls noch nicht beendet sein.
 keine Diensthandlung ist der sog. schlichte Gesetzesvollzug, zB präventiv-polizeiliches Handeln (Streifenfahrt, polizeiliche Beobachtung bei Demonstrationen usw., auch allgemeine Ermittlungstätigkeit)
d) Tathandlung : Widerstand leisten
Widerstand = jedes Handeln, das sich aktiv gegen einen Organwalter richtet, der hoheitlich tätig werden will
oder wird, und das aus der Sicht des Akteurs geeignet ist, den Vollzug der Diensthandlung zu unterbinden oder
zu behindern
Modalitäten:
aa) Gewalt : nach hM enger als bei § 240 : durch tätiges Handeln bewirkte Kraftäußerung, die geeignet ist, die
Durchführung der Vollstreckungshandlung zu erschweren (RGSt 4, 375, 376)
— nicht ausreichend : Gewalt gegen Sachen, die nicht mittelbar körperlich wirkt (BGHSt 18, 133, 134)
—auch vorweggenommenes tätiges Handeln, das spätere Vollstreckungshandlung erschweren oder vereiteln soll (BGHSt 18, 133, 135)
bb) Drohen mit Gewalt
— nicht ausreichend : Drohen mit empfindlichem Übel
 str., ob § 240 anwendbar (ggf. mit Strafrahmen und Irrtumsregeln des § 113) oder von § 113 als privilegierender lex specialis gesperrt wird
cc) tätlicher Angriff = jede unmittelbar auf den Körper des Organwalters gerichtete feindselige Einwirkung,
dh Handlungen mit körperverletzender oder gar tödlicher Tendenz ;
 str., ob auch bloße Freiheitsbeschränkungen genügen
 bloße Passivität (Sitzblockaden) reicht nach hM nicht aus
2. Subjektiver Tatbestand
Vorsatz hinsichtlich aller objektiven Tatbestandsmerkmale, § 15
nicht erforderlich: Vorsatz bzgl. Rechtmäßigkeit der Diensthandlung.
II. Rechtswidrigkeit III. Schuld IV. Objektive Strafbarkeitsbedingung*, § 113 III 1
Rechtswidrigkeit der Vollstreckungshandlung, ungeachtet der Tätervorstellung (§ 113 III 2)
 *str. : systematische Einordnung :
• hM : objektive Bedingung der Strafbarkeit (RGSt 55, 161, 166; BGHSt 4, 161, 163)
•aA1 : unrechtskonstituierendes Tatbestandsmerkmal
• aA2 : Vorsatz-Fahrlässigkeits-Kombination;
•aA3 : Rechtfertigungsgrund (wohl schon hL)
 str. : Inhalt des Rechtswidrigkeitsbegriffes :
• strafrechtlicher = formaler Rechtswidrigkeitsbegriff (noch hM):
— Einhaltung wesentlicher Förmlichkeiten
— örtliche und sachliche Zuständigkeit
— ggf. pflichtgemäße Ermessensausgeübung
 nur schwerwiegende formale Mängel führen zur Rechtswidrigkeit
 BVerfGK 11, 102 § 26 : verf.rechtl. nicht zu beanstanden, sofern Grundrechte beachtet werden
Wirksamkeitslehre : verwaltungsrechtliche Wirksamkeit erforderlich und genügend
 Rechtmäßigkeit entfällt idR nur bei Nichtigkeit gem. § 44 I VwVfG
• vollstreckungsrechtlicher Rechtswidrigkeitsbegriff (wohl schon hL) :
soweit nicht Gefahren- oder sonstige Prognoseentscheidungen zugrunde gelegt werden dürfen (zB bei
§§ 81, 81 a, 81 b, 100 a StPO ; § 808 ZPO) ist allein maßgeblich, ob der Vollstreckungsakt durchsetzbar ist,
ggf. im Wege der vorläufigen Vollstreckbarkeit (§§ 708 ff. ZPO; § 80 II Nr. 3 VwGO)
• materiell-rechtlicher Rechtmäßigkeitsbegriff : in Anlehnung an BVerfGE 87, 399, 408 ff.; 92, 191,
199 ff. sei vollständige Rechtmäßigkeit der Vollstreckungshandlung zu fordern, d.h. bloße verwaltungsrechtliche Wirksamkeit und Vollstreckbarkeit genügen nicht ; auch der Grundverwaltungsakt müsse
rechtmäßig sein, es sei denn, der Gesetzgeber knüpfe die Strafbarkeit ausdrücklich nur an die Vollstreckbarkeit an (krit. NK-StGB4/Paeffgen, § 113 Rn. 45 ff.)
V. Strafzumessungsregel : besonders schwere Fälle, § 113 II 1
Regelbeispiele :
1. § 113 II 2 Nr. 1 : jeweils in Verwendungsabsicht :
— Beisichführen einer Waffe : nach früher hM (BGHSt 26, 176, 179 f.) keine Waffe im technischen Sinne erforderlich, waffenähnliche Objekte sollen genügen (vgl. § 224 I Nr. 2 StGB), etwa auch Kfz
 aber : diese Auslegung überschreitet den Wortlaut und ist wegen Verstoßes gegen Art. 103 II GG verfassungswidrig (BVerfG NJW 2008, 3627)
— oder eines anderen gefährlichen Werkzeugs (seit 44. StÄG vom 1.11.2011), um auch Pkws zu erfassen
2. § 113 II 2 Nr. 2 : Herbeiführen der Gefahr des Todes oder einer schweren Gesundheitsschädigung
(→ wie bei § 250 I Nr. 1 c).
•
Irrtumsfälle bei § 113 StGB
A. Irrtum des Amtsträgers über die Rechtmäßigkeit seiner Vollstreckungshandlung
I. über die tatsächlichen Voraussetzungen der Vollstreckungsmaßnahme
 führt nach hM nur zur (strafrechtlichen) Rechtswidrigkeit, wenn Organwalter keine diesbezügliche pflichtgemäße Prüfung vorgenommen hat
 irrt er trotz pflichtgemäßer Prüfung, soll sein Tun rechtmäßig iSd § 113 III 1 sein (str.)
teils wird weiter differenziert :
– nur grob fahrlässiger Irrtum schadet oder
– jeder vorwerfbare Irrtum schadet
II. über die rechtlichen Voraussetzungen der Vollstreckungsmaßnahme : unbeachtlich
B. Irrtum des Widerständlers über die Rechtmäßigkeit der Vollstreckungshandlung
I. Vollstreckungshandlung ist rechtswidrig, Täter hält sie aber für rechtmäßig : § 113 III 2
II. Vollstreckungshandlung ist rechtmäßig, Täter hält sie aber für rechtswidrig :
1. bei vermeidbarem Irrtum : § 113 IV 1
2. bei unvermeidbarem Irrtum : § 113 IV 2, 1. Alt.
3. bei unvermeidbarem Irrtum, aber der zumutbaren Möglichkeit, Rechtsbehelfe zu ergreifen, statt sich zu
wehren : § 113 IV 2, 2. Alt.
subjektiv
nein
ja
nein
ja
objektiv
nein
nein
ja
ja
Rechtmäßigkeit
der
Vollstreckungshandlung
strafbar
straflos,
wenn unvermeidbar
und unzumutbar,
§ 113 IV 2 1. Alt.
Strafmilderung/Absehen von Strafe,
wenn unvermeidbar,
aber zumutbar,
§ 113 IV 2 2. Alt.
Strafmilderung/Absehen von Strafe,
wenn vermeidbar :
§ 113 IV 1
straflos, § 113 III 2
straflos, § 113 III 1
Rechtsfolgen
gem. § 113
strafbar
strafbar, subj. egal !
straflos, subj. egal !
straflos
objektive Strafbarkeitsbedingung
(Rspr. + früher hL)
strafbar
Tatbestandsirrtum,
§ 16
Versuch, § 22
tatbestandslos
Tatbestandsmerkmal
strafbar
Fahrlässigkeit ??
Fahrlässigkeit
Versuch, § 22
tatbestandslos
Vorsatz-Fahrlässigkeits-Kombination
strafbar
Erlaubnistatbestandsirrtum, § 16/§ 17
umgekehrter
Erlaubnistatbestandsirrtum, § 22
gerechtfertigt
* vgl. Jakobs, Strafrecht Allgemeiner Teil,
2. Aufl. 1991, Tz. 6/65, 25/42a
strafbar
abstraktes
Gefährdungsdelikt
Fahrlässigkeit
Wahndelikt
tatbestandslos
Tatbestandsmerkmal/
Rechtfertigungsgrund
mehrere Tatbestände
(wohl jetzt hM)
(Jakobs*)
Kein Versuch, das Merkmal der „Rechtsmäßigkeit der Vollstreckungshandlung“ in den Deliktsaufbau zu integrieren, gelingt vollständig, kann also die Irrtumsregelung
der Abs. 3 und 4 des § 113 erklären :
Irrtumsregelung bei § 113 StGB
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