IKB-Kapitalmarkt-News – Homogene globale Geldpolitik: kein Indiz für langfristige Prognosesicherheit 19. Februar 2016 Dr. Klaus Bauknecht [email protected] Noch nie verfolgte die Notenbankpolitik wichtiger Länder einen so übereinstimmenden Ansatz wie in den letzten Jahren. Dies gilt für das Zinsniveau ebenso wie grundsätzliche geldpolitische Ansätze. Die Leitzinsen aller wichtiger Notenbanken (Fed, EZB, BoJ und BoE) verharren bei oder nahe an 0 %, die Bilanzen haben sich ausgeweitet und die Geldpolitik bleibt weiterhin äußerst vorsichtig. Alle betroffenen Länder haben ähnliche wirtschaftliche Probleme: hohe Schuldenquoten, niedrige Inflation und sinkendes Potenzialwachstum. In solch einem Umfeld will keine Notenbank eine „normale“ Zinspolitik einleiten, welche im Alleingang zu einer aufwertenden Währung führen würde. Abb. 1: Leitzinsen ausgewählter Notenbanken in % 20.0 18.0 16.0 14.0 12.0 10.0 8.0 6.0 4.0 2.0 0.0 -2.0 1980 1982 1984 1986 1988 1990 1992 1994 1996 1998 2000 2002 2004 2006 2008 2010 2012 2014 Fed Bank of Japan Bank of England EZB Quellen: Bloomberg; IKB Eine nachhaltige Wende in der Geldpolitik wäre nur durch koordinierte Aktionen der Notenbanken sicherzustellen, insbesondere aufgrund der globalen ökonomischen Vernetzung. Hierfür müsste sich allerdings die globale Konjunktur deutlich aufhellen, eine Entwicklung die angesichts anhaltender Volatilitäten und geopolitischer Krisen aktuell eher unwahrscheinlich erscheint. Denn welches Land zeigt eine Wachstumsdynamik, die ausreichend unabhängig ist, um eine eigenständige Geldpolitik trotz weltweit anhaltenden Krisenmodus anderer Notenbanken und globaler Konjunktursorgen umzusetzen? Wenn ein globaler Gleichlauf der Konjunkturerholung für einen erhöhten Handlungsbedarf einzelner Notenbanken notwendig ist, wie wahrscheinlich ist dann selbst auf Sicht eine nachhaltig veränderte Geldpolitik? Deuten die anhaltend niedrigen Renditenniveaus am langen Ende der Zinskurven doch eher auf eine neue Normalität als auf eine Übertreibung hin. Während die Euro-Zone sich aktuell aufgrund der Entwicklung in den Schwellenländern und insbesondere in China Sorgen über ihren Konjunkturausblick macht, ist die Konjunkturerwartung für die USA relativ robust. Die US-Wirtschaft (70 % des BIP macht der private Konsum aus) ist deutlich geschlossener als die Euro-Zone und gemäß IKB-Schätzungen ist der Einfluss einer Abkühlung der chinesischen Konjunktur überschaubar. Aufgrund der effektiveren Krisenpolitik ist es somit nicht überraschend, dass die USA als erstes Land den Ausstieg aus der Krisenpolitik versucht haben. Doch auch der bedeutendsten Notenbank der Welt scheint dies nur eingeschränkt zu gelingen. Denn selbst die moderate Zinsanhebung der Fed hat nicht nur den US-Dollar deutlich aufwerten lassen und die Rohstoffpreise weiter unter Druck gesetzt, sondern auch die Krisen in vielen Schwellenländern forciert. Dies gab es allerdings schon einmal: Anfang der 80er Jahre waren es die US-Zinsanhebungen die nach Jahren des billigen Geldes viele südamerikanische Länder in Folge eines aufwertenden US-Dollars in eine Schuldenkrise stürzten. Bereits damals hatte sich eine Wende in der Geldpolitik als folgenreich erwiesen und die Fed musste ihre Politik in den Folgejahren erneut deutlich expansiver gestalten – auch durch eine Abwertung des US-Dollar. Kapitalmarkt News Abb. 2: US-Realzinsen in % 10 8 6 4 2 0 -2 1980 1982 1984 1986 1988 1990 1992 1994 1996 1998 2000 2002 2004 2006 2008 2010 2012 2014 Quellen: Bloomberg; IKB Die US-Notenbank tut sich deshalb seit den 80er Jahren grundsätzlich schwer, eine symmetrische Geldpolitik aufrecht zu erhalten und ihr Zinsniveau auf vorige Niveaus ansteigen zu lassen. Im aktuellen Umfeld ist dies nicht viel anders. Denn neben dem globalen Gleichlauf der Geldpolitik liegt ein weiterer Grund für die beschränkte Handlungsfreiheit der Fed darin, dass sie an der Zinspolitik von um die 0 % nun schon seit mehreren Jahre festhält und dies an sich schon die Gefahr von Instabilität verursacht – insbesondere wenn die Fed plötzlich deutlich von dieser Zinspolitik Abstand nimmt. Dies mag realwirtschaftliche Verzerrungen verursachen, die oftmals als Folge der Notenbankpolitik vermutet werden und die bei unerwartet schnell steigenden Zinsen offensichtlicher zum Tragen kämen. Es mag aber auch daran liegen, dass ein Zinsniveau von 0 % bzw. ein negatives preisbereinigtes Zinsniveau mehr und mehr als Normalzustand angesehen wird. Der Volkswirt Minsky vertrat hier die These, dass eine lange Phase scheinbarer finanzwirtschaftlicher Stabilität (im aktuellen Fall bei extrem niedrigen Zinsen) Instabilität oder Krisen verursacht, da mit anhaltender Dauer die Nachhaltigkeit dieser Stabilität falsch eingeschätzt wird. Zinsen von 0 % in den letzten Jahren haben Zinsniveaus der Vorkrisenphase als Referenzwert für Prognosen historisch werden lassen und Krisenpolitik als Normalität etabliert – selbst langfristig, wie die Zinskurve in den USA und in der Euro-Zone zeigt. Eine falsche Risikoeinschätzung zur zukünftigen US-Zinsentwicklung würde gemäß Minsky erneut zu Instabilität und Krise führen. Deshalb muss die Fed sehr behutsam vorgehen, um nach Jahren von Zinsen nahe 0 % die Erwartungen zu steuern. Dies ist auch der Grund, warum die Fed kontinuierlich moderate Anstiege der Zinsen in Aussicht stellt. Allerdings festigt sie damit auch die Erwartung von anhaltend niedrigen Zinsen und erreicht keinen effektiven Anstieg ihres Handlungsspielraums – ein schwieriger Spagat. Die Geschichte ist voll von Beispielen, bei denen ein stabiles Umfeld durch eine falsche Risikoeinschätzung der Nachhaltigkeit zu Instabilität bzw. Krisen führt. Ein paar Beispiele aus jüngster Zeit: Die Konvergenz der Zinsen in der Euro-Zone und die anfängliche Stabilität sowie die folgende wirtschaftliche Hausse haben nicht zu nachhaltigem Wachstum geführt, sondern den Grundsteine für die Krise des Euro gelegt. Niemand hatte die Möglichkeit einer baldigen Divergenz erwartet. Der Boom von US-Wirtschaft und US-Häusermarkt hat nicht zu einem nachhaltigen neuen Gleichgewicht geführt, sondern die Grundlage der Finanzkrise gebildet (In 2004 hatte kein US-Volkswirt einen Einbruch im US-Häusermarkt erwartet – schließlich waren die Preise bis dahin immer gestiegen!). Ein stabiler Ölpreis von rund 100 US-Dollar über mehrere Jahre hat bei Schwellenländern zu der Annahme geführt, dieser Zustand sei stabil und lasse auch zukünftig die US-Dollar-Einnahmen unbegrenzt weiter sprudeln. Das hat nun zu Krisen in vieler dieser Länder geführt, denen die Einnahmen aus dem Ölexport wegbrechen. Anhaltende Niedrigzinspolitik, Bilanzausweitungen der Notenbanken und damit erleichterte Staatsschuldentragfähigkeit schaffen eine Erwartung von anhaltend niedrigen Zinsen. Kurzfristig ist die Fed durch ihre jahrelange Politik sowie dem globalen Gleichlauf der Notenbankpolitik in ihrem Handeln eingeschränkt, was die Erwartungen von weiterhin extrem niedrigen Zinsen sicherlich rechtfertigt – das gilt für alle bedeutenden Notenbanken. Doch welche Entwicklungen werden sich mittelfristig aus den Jahren der Zinspolitik von ca. 0 % ergeben? Eine erfolgreiche Stabilisierung bei anziehender Inflation oder Umstände Kapitalmarkt News wie in Japan, also eher eine Deflation? Oder sind vielleicht aufgrund eskalierender Schulden finanzielle Meltdowns und Staatsausfälle zu erwarten? Werden die Zinsen nachhaltig steigen oder selbst mittelfristig weiter ins Negative fallen? Die meisten Volkswirte dürften auf Basis von Gleichgewichtmodellen steigende Zinsen prognostizieren, während die Märkte aktuell wieder einmal in die andere Richtung tendieren. Eine Situation der extremen Instabilität in Form von finanziellen Meltdowns bleibt selbst auf Sicht eher unwahrscheinlich. Denn wichtige volkswirtschaftliche Akteure (Geld- und Fiskalpolitik) haben noch genügend Handlungsspielraum. So wird zwar zum Beispiel die EZB oftmals als eine Notenbank bezeichnet, die an ihre Grenzen stößt, dies ist allerdings nur im aktuellen selbst gesetzten Rahmen ihrer Notenbankpolitik der Fall. Dieser muss wie zu Zeiten der Finanzkrise weiter ausgeweitet werden, um den Handlungsspielraum zu erhöhen. Hier stehen die Formulierung eines Wachstumsziels durch die Notenbank und damit explizit die Finanzierung der Fiskalpolitik bzw. die direkte Ausweitung der Geldmenge in der Realwirtschaft (Helikopter Geld) als mögliche Ansätze zur Verfügung. Wie vor der Finanzkrise die aktuelle Politik undenkbar war, so mag dies aktuell auch für diese Ansätze (noch) gelten. Holt die Realität Notenbanken und Märkte ein, wird sich dies allerdings ändern. Japan wird oftmals als mahnendes Beispiel genannt, warum Notenbanken selbst mittel- bis langfristig nicht aus ihrem Krisenmodus ausbrechen können. Aktuell läuft die Fed Gefahr, ebenfalls solch ein Beispiel zu werden. Bisher bleibt sie den Beweis schuldig, dass sie mittelfristig fähig und bereit ist, mit einer nachhaltigen geldpolitischen Wende für einen nachhaltigen Anstieg der Renditen zu sorgen. Sie wird noch auf Sicht im Krisenmodus verharren, wo Zinsen erneut auf 0 % fallen und weitere Maßnahmen durchaus notwendig sein könnten. Ob diese Sicherheit allerdings auch für langfristige Prognosen gilt, ist zumindest gemäß Hyman Minsky anzuzweifeln. Fazit: Die Marktakteure gehen davon aus, dass die Zinsen selbst langfristig nicht auf das Vorkrisenniveau ansteigen werden. Das zeigen aktuelle Zinskurven. Und sicherlich gibt es für diese Erwartungshaltung gute Gründe. Zum einen ist die Geldpolitik der wichtigsten Notenbanken homogen, was das Ausscheren einzelner Notenbanken aus der Phalanx der Niedrigzinspolitik erschwert. Zum anderen haben die letzten Jahre eine vermeintliche Normalität geschaffen, in die Erwartungen von steigenden Zinsen nur schwer hineinpassen, selbst auf langfristige Sicht. Dies wiederum reduziert den Handlungsspielraum der Fed – da ihr Alleingang das Risiko von Finanzkrisen erhöhen würde, wie historische Vergleiche zeigen. Die Fed und die anderen großen Notenbanken sind deshalb noch den Beweis schuldig, dass sie sich von ihrer Krisenpolitik nachhaltig verabschieden können, ohne dass die wahrgenommene Stabilität der Geldpolitik zerbricht. Daran hat auch die Zinsanhebung der Fed im Dezember nichts geändert. Je länger die Zinspolitik von effektiv 0 % fortgesetzt wird, desto größer ist die Wahrscheinlichkeit, dass ihr Ende zu Volatilität auf den Zins- und Devisenmärkten führt. Und je ambitionierter die Fed die Zinswende weiterhin gestalten wird, desto höher dürfte diese Volatilität ausfallen. Dies deutet auf ein höheres langfristiges Prognoserisiko für die Zinshöhe hin. Die IKB geht für 2016/17 von nur moderaten Zinsanhebungen der Fed aus. Kapitalmarkt News Disclaimer: Diese Unterlage und die darin enthaltenen Informationen begründen weder einen Vertrag noch irgendeine Verpflichtung und sind von der IKB Deutsche Industriebank AG ausschließlich für (potenzielle) Kunden mit Sitz und Aufenthaltsort in Deutschland bestimmt, die auf Grund ihres Berufes/ Aufgabenstellung mit Finanzinstrumenten vertraut sind und über gewisse Erfahrungen, Kenntnisse und Sachverstand verfügen, um unter Berücksichtigung der Informationen der IKB Deutsche Industriebank AG ihre Anlage- und Wertpapier(neben)dienstleistungsentscheidungen zu treffen und die damit verbundenen Risiken unter Berücksichtigung der Hinweise der IKB Deutsche Industriebank AG angemessen beurteilen zu können. Außerhalb Deutschlands ist eine Verbreitung untersagt und kann gesetzlich eingeschränkt oder verboten sein. 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