Sonderdruck aus BWK 6(2012) DAS ENERGIE-FACHMAGAZIN Strombegrenzer der zweiten Generation für noch mehr Netzsicherheit Kurzschlussströme mit Supraleitern beherrschen NETZSICHERHEIT | Oft sind Supraleiter aufgrund ihrer hohen Stromtragfähigkeit im Gespräch, denn im Vergleich zu Kupfer können sie ein Vielfaches der Strommenge transportieren. Dass sie auch Ströme begrenzen können, ist weniger bekannt. Doch genau dies lässt sich in bestehenden und neuen Netzen vortrefflich ausnutzen – als Absicherung gegen Kurzschlussschäden. Supraleitende Strombegrenzer sind ultraschnell, eigensicher und selbst erholend. Aufgebaut aus Supraleitern der zweiten Generation begrenzen sie noch effektiver als ihre Vorgänger und verursachen im Normalbetrieb geringere Verluste. ie zunehmende Einspeisung dezentral erzeugter Energie und höhere Lastflüsse machen in den nächsten Jahren verstärkt Anpassungen der Stromnetze erforderlich. Unter anderem gilt es, die Mittelspannungsnetze im Hinblick auf eine deutlich höhere Kurzschlussleistung zu ertüchtigen, damit Fehlerströme durch technische Defekte oder Blitzschlag keine Schäden am Netz verursachen. Für diese Aufgabe gibt es diverse Lösungen, die jedoch mit Nachteilen behaftet sind: Drosseln reduzieren die Spannungsstabilität, und auch Transformatoren hoher Kurzschlussspannung bedeuten relativ hohe permanente Verluste im Netz. Der andere Lösungsansatz, die wegen hoher Kurzschlussströme gängige Überdimensionierung von Leistungsschaltern, Sammelschienen, Kabeln und Leitungen, ist mit hohen Kosten verbunden. Der Umweg über eine höhere Spannungsebene treibt die Investitionen in die Höhe und hat zwangsläufig Trafoverluste zur Folge. Bleibt die pyrotechnische Sicherung, die das Netz sofort „dunkel macht“ und nach jeder Auslösung aufwändig ausgetauscht werden muss. Ein Betriebsmittel, das im Normalfall quasi verlustfrei arbeitet, eigensicher sowie wartungsarm ist und das Beherrschen praktisch beliebig hoher Fehlerströme erlaubt, ist daher hoch willkommen. Es kann nicht nur die Netzsicherheit steigern und Verluste reduzieren, sondern es erlaubt auch, Anlagen kostengünstiger auszulegen. D Physik sorgt für die Sicherheit Resistive supraleitende Strombegrenzer sind solche Betriebsmittel. Im Gegensatz zu einer Sicherung trennen sie den Stromkreis bei einem Kurzschluss aber nicht auf, sondern limitieren die hohen Ströme auf genau definierte Werte. Was nach einem Paradoxon klingt, ist Noch machen die Supraleiter, aus denen der „wirksame“ Teil des Strombegrenzers gebaut wird, die Hälfte der Systemkosten aus. Aber die Preise sollen in den kommenden Jahren sinken. in der Physik der Supraleiter begründet. Die für typische Energieanwendungen relevanten Hochtemperatur-Supraleiter leiten bei einer Temperatur von etwa – 200 °C (die mit flüssigem Stickstoff einfach und kostengünstig zu erreichen ist) Strom quasi verlustfrei. Jedoch kann ein Supraleiter in diesem Zustand nur bis zu einer maximalen Stromstärke verharren. Bei Überschreiten des „kritischen Stroms“ verliert das Material spontan seine supraleitende Eigenschaft und verhält sich wie ein hoher Widerstand. Dieser beschränkt den Strom auf einen geringen Wert, der sich durch das Parallelschalten anderer Materialien (Kupfer, Stahl) beeinflussen lässt. Diese Eigenschaften machen Supraleiter zu idealen, selbstauslösenden strombegrenzenden Elementen. Das Limitieren von Fehlerströmen, die ein Mehrfaches des Nennstroms betragen, geschieht bei einem resistiven supraleitenden Begrenzer in Millisekunden, so dass in der ersten Halbwelle bereits eine wirksame Reduktion des Fehlerstroms erfolgt. Die Höhe des Peakstroms (er tritt in der ersten Halbwelle auf) und des symmetrisch begrenzten Stroms (auch als Folgestrom bezeichnet) lassen sich durch das Komponentendesign unabhängig voneinander festlegen. Die Energie des Kurzschlusses wird größtenteils als Verlustwärme in das Begrenzersystem eingetragen, das sich in einem Bad aus flüssigem Stickstoff befindet. Dieser Zustand kann kurze Zeit beibehalten werden und ermöglicht das Auslösen von Schutzeinrichtungen und somit eine erleichterte Fehlersuche. Wartungsfreier Betrieb auch nach Kurzschlüssen Supraleitende Bänder statt Massivteilen Herzstück des neuen Begrenzertyps sind keine massiven Supraleiter. Statt- Bilder (2): Nexans dessen fließt der Strom nun durch supraleitende Bänder, wie sie auch in Kabeln Verwendung finden. Diese Bänder werden aus Yttrium-Barium-Kupferoxid (YBCO) hergestellt und wegen des Beschichtungsprozesses auch als Coated Conductors bezeichnet. Bei ihrer Produktion wächst das supraleitende keramische Material als wenige tausendstel Millimeter dicke Kristallschicht auf einem Träger aus Edelstahl. Weil dieser Fertigungsprozess einen neuen und wichtigen Schritt in der Supraleiterproduktion darstellt – unter anderem wegen des Verzichts auf teures Silber und der Option auf eine deutlich günstigere Fertigung – titulierte die Branche das Material als „zweite Generation“. Resistive Begrenzer mit 2G-Supraleitern bieten gegenüber Systemen mit Massivteilen den Vorzug, effektiver Kurzschlüsse zu begrenzen und geringere Verluste im Normalbetrieb zu verursachen. Im Supraleiter selbst sollen die Verluste bei gleichen Auslegungswerten sogar nur noch ein Zehntel so hoch sein wie bei Massivteilen. Das reduziert den Kühlbedarf und damit auch die Betriebskosten. Zugleich verleiht die 2G-Basis Freiheiten beim Layout des Begrenzers. So soll neben dem beschriebenen Gerät für die Kraftwerkseigenversorgung schon bald ein Begrenzer für das Verteilnetz in Betrieb gehen. Er wird von Projektkoordinator Nexans und über einem Dutzend europäischer Partner im Rahmen des EU-finanzierten Projekts Eccoflow gebaut. Seine Besonderheit ist unter anderem, dass sich ein und dasselbe Gerät in einer Sammelschienenkupplung des Betreibers Endesa in Palma de Mallorca (Spanien) und später im Transformatorabgang im Netz der Vychodoslovenska Energetika a.s. in Košice (Slowakei) bewähren soll. Strombegrenzer als Investitionsschutz Außerdem konnte Nexans SuperConductors bereits den ersten Auftrag für einen Strombegrenzer verbuchen, der in der Innenstadt von Essen zwischen einen Transformatorabgang und ein Supraleiterkabel geschaltet werden soll, um das wertvolle Kabel vor Fehlerströmen zu schützen. Supraleitende Strombegrenzer werden heute vor allem da eingesetzt, wo der Kundennutzen besonders groß ist, da die Preise für die Supraleiter der zweiten Generation anfangs noch vergleichsweise hoch waren. In den letzten Jahren wurde vor allem die Performance des Leitermaterials gesteigert und dadurch der spezifische Preis gesenkt. Jetzt ist absehbar, dass mehrere neue Hersteller auf dem Plan erscheinen und für einen echten Anbietermarkt sorgen werden. Die Preise für Supraleiter sollen laut Branchenkennern in wenigen Jahren so weit sinken, dass sie in Hochstromanwendungen dem Leitermaterial Kupfer Konkurrenz machen können. Damit ist nach Einschätzung der Experten auch für einen breiten Einsatz von Strombegrenzern auf Basis der 2G-Supraleiter das baldige Erreichen der Wirtschaftlichkeit wahrscheinlich. Hier wirken sich zusätzlich Einsparungen an anderer Stelle positiv aus, etwa wenn Transformatoren und die mit ihnen verbundenen Kosten und Verluste wegfallen. Ralf Dunker i www.nexans.de © Springer-VDI-Verlag GmbH & Co. KG, Düsseldorf 2012 Nach einem Kurzschluss muss der Begrenzer nur kurzzeitig stromlos geschaltet werden, damit er durch die Kühlung selbsttätig wieder in die Betriebsbereitschaft zurückkehrt. Je nach Auslegung kann er nach einigen Sekunden oder Minuten wieder den Nennstrom aufnehmen und ist für den nächsten Kurzschluss bereit. Vorteile bietet der supraleitende Strombegrenzer zum Beispiel bei diesen Anwendungen: > Sammelschienenkupplung unter Beibehaltung der Schaltanlagen, > Schutz im Transformatorabgang, > Schutz von lokalen Netzen in Industrie- oder Chemieparks, > Schutz von Anlagen der Kraftwerkseigenversorgung, > Einbindung zusätzlicher Erzeuger wie zum Beispiel regenerative Quellen oder Blockheizkraftwerke, > Kopplung von Netzen zur Reduktion von Oberwellen. Bisherige resistive supraleitende Strombegrenzer wurden aus Massivteilen aufgebaut und haben ihre Funktion in diversen Feldtests unter Beweis gestellt. Vergangenes Jahr hat die Firma Nexans SuperConductors GmbH, Hürth, ihren ersten Strombegrenzer mit Supraleitern der zweiten Generation (kurz 2G) gefertigt und ins Feld geschickt. Das Gerät wurde im Rahmen des BMWi-Projekts Ensystrob zusammen mit den Projektpartnern Karlsruher Institut für Technologie, den Technischen Universitäten Cottbus und Dortmund sowie Vattenfall erarbeitet und vom Bundesministerium für Wirtschaft und Technologie gefördert. Es arbeitet seit dem Herbst 2011 im Braunkohlenkraftwerk der Vattenfall Europe Generation AG im sächsischen Boxberg in der Kraftwerkseigenversorgung. Der Strombegrenzer ist in die Versorgung der Kohlebrechermühlen eingebunden und wird mit 280 A Nennstrom eingesetzt. Er kann ohne weitere Modifikationen mit bis zu 800 A dauerhaft betrieben werden bzw. die relativ hohen Motoranlaufströme passieren lassen, ohne zu begrenzen. Vattenfall verspricht sich von solchen supraleitenden Strombegrenzern eine Verbesserung der Personen- und Anlagensicherheit bei gleichzeitig reduzierten Kosten. Durch Variation der Verschaltung und der Anzahl der Supraleiterelemente lassen sich Strombegrenzer für verschiedene elektrische Anforderungen herstellen.