Lebensrettende Massnahmen

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THEMA
Lebensrettende Massnahmen
KLIMAPOLITIK Die Auswirkungen des Klimawandels auf die Schweiz könnten drastisch aussehen – für Menschen am persischen Golf gar lebensbedrohlich werden.
Der ETH-Klimaforscher Christoph Schär plädiert vor der Klimakonferenz in Paris
für einen raschen Umbau der Wirtschaft.
INTERVIEW Y V O N N E V O N H U N N I U S
E
xtremereignisse häufen sich in
Zukunft, betreffen aber nicht alle
Weltregionen gleichermassen.
Verhindern lassen sie sich nicht
mehr; das Zwei-Grad-Ziel reduziert den Klimawandel aber auf ein erträgliches Mass.
Wir haben einen heissen Sommer hinter uns –
auf welche Hitze müssen wir uns in Zukunft ein­
stellen?
CHRISTOPH SCHÄR Wenn weiter auf die fossilen Energieträger gesetzt wird, erwartet man
für die Schweiz bis zum Ende des Jahrhunderts eine mittlere Erwärmung von drei bis
fünf Grad. Starke Hitzewellen, wie wir sie
jetzt etwa alle zehn Jahre haben, dürften bis
zum Ende des Jahrhunderts ein bis zwei Mal
pro Jahr stattfinden, also zehn Mal häufiger.
Und die stärksten Hitzewellen werden dann
zumal deutlich heisser sein als alles, was wir
aus der Vergangenheit kennen. Auch werden
Extremereignisse wie heftige Niederschläge
zunehmen und die mittleren Niederschläge
abnehmen, was eine potenzielle Trockenheitsgefahr auf der Alpensüdseite bedeutet.
Leidet darunter schon die Gesundheit?
Die Gesundheitsgefährdung entsteht durch
den kombinierten Effekt von Hitze und
Feuchte. Schon die Hitzewelle 2003 hat deutliche Spuren in der Mortalitätsstatistik verursacht, auch in der Schweiz. Aber unsere
Hitzewellen sind vergleichsweise mild. In
Europa erwarten wir die schlimm­sten Auswirkungen für Südeuropa, besonders in
küstennahen Regionen und tiefgelegenen
Flusstälern. Bis jetzt gibt es dort ein bis zwei
Hitzetage mit hohem Gefährdungspotential pro Jahr. Gegen Ende des Jahrhunderts
könnte jeder dritte Sommertag ein solcher
sein. Damit wird auch das mediterrane Bild
im Sommer verschwinden – niemand wird
dann gern im Freien auf einer Piazza sitzen.
Noch schlimmere Folgen erwartet man für
Teile der Tropen. Eine aktuelle Studie zeigt
besonders dramatische Auswirkungen für
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UnternehmerZeitung | Nr. 12 2015
diesem Jahrhundert an ihre Grenzen stossen, zumindest im Freien. Wenn Temperatur und Feuchtigkeit ein bestimmtes Mass
überschreiten, gibt es keine Möglichkeit
mehr, die vom Körper produzierte Energie
abzuführen – das führt zu Fieber, schwerwiegenden gesundheitlichen Störungen und
im schlimmsten Fall zum Tod. Solche Klimaverhältnisse könnten bis zum Ende des
Jahrhunderts im persischen Golf Realität
werden – nicht jedes Jahr, aber in beträchtlicher Häufigkeit.
ZUR PERSON
Christoph Schär ist Professor am Institut
für Atmosphäre und Klima, wo er eine Forschungsgruppe zum Thema Klima und Wasserkreislauf leitet. Zuvor hat der Physiker an
den Universitäten in Yale und Washington
gearbeitet. Zusammen mit seiner ETH-Forschungsgruppe untersucht er Wetter, Klima
und Wasserkreislauf in Europa und im Alpenraum. Er war unter anderem Koautor des
dritten und vierten Wissenstandsberichts zur
Klimaänderung der UNEP/WMO (IPCC).
den Persischen Golf auf. Schon 2015 hat dort
eine Hitzewelle unglaublichen Ausmasses
stattgefunden: Die gefühlten Temperaturen
waren um fast 15 Grad höher als in diesem
Schweizer Sommer.
Es wird heiss – aber worin und für wen besteht
die konkrete Gefahr?
Bei uns sind primär ältere und schwache
Personen gefährdet. In Teilen der Tropen
entsteht aber eine Gefährdung selbst für
gesunde und fitte Personen. Dort könnte die
Anpassungsfähigkeit des Menschen noch in
Da dürfte auch die Infrastruktur schlapp machen ...
Ja, und gerade wenn es so heiss wird wie im
Persischen Golf, braucht man eine äusserst
zuverlässige technische Infrastruktur, weil
ohne sie ein Überleben kaum möglich ist.
Auch bei uns in der Schweiz und in Europa
hatten wir im Hitzesommer 2003 Probleme
– beispielsweise mit der Energieproduktion
und dem öffentlichen Verkehr, weil Kühlwasser gefehlt hat und sich Schienenstränge
verbogen haben. Die Infrastruktur ist nicht
für diese Verhältnisse gebaut. Man war auf
die Hitzewelle 2003 noch nicht vorbereitet,
doch seitdem ist viel passiert. Wir haben in
allen europäischen Ländern Hitzewarnsysteme, die Öffentlichkeit weiss um die Gefahr
und wird informiert. Kritische Stellen im
Gesundheitswesen und in der öffentlichen
Verwaltung können sich auf die Hitze einstellen.
Betrachtet man die Gesamtheit der KlimawandelAuswirkungen – wie betroffen ist die Schweiz?
Die Schweiz wird insbesondere betroffen
sein durch Extremereignisse, insgesamt ist
das Land aber besser positioniert als manch
anderes. Wir haben keine Küsten, an denen
der Meeresspiegel ansteigt, wir haben ein
relativ mildes und niederschlagsreiches
Sommerklima. Für die Schweiz liegen die
schwerwiegendsten Effekte wohl nicht im
Inland: Hier gibt es lokale Auswirkungen,
doch man wird lernen, damit umzugehen.
In Nepal sollen vier Nexus Centers installiert werden. Ausgestattet mit umweltfreundlichen Wasseraufbereitungs- und Energieversorgungsanlagen, können diese dezentral
betrieben werden. Foto: zVg
Sauberes Wasser für alle
WECONNEX
Die saubere Wasserversorgung scheitert in
vielen Teilen der Welt an einer mangelnden
Infrastruktur. Wo kein Strom fliesst, gibt es
auch kein sauberes Wasser. WECONNEX
hat eine Antwort darauf. Die Ausgründung
des St.Galler Traditionsunternehmens Trunz
Water Systems bietet mit den NEXUS Cen-
Indirekt wird die Schweiz vom Klimawandel
aber auf internationaler Ebene stark betroffen sein.
Worauf sollte sich die Klimakonferenz von Paris
fokussieren?
Dort geht es um einen Konsens zur Reduktion der globalen Treibhausgas-Emissionen
und natürlich auch um die Frage, wie die
Last international aufgeteilt werden soll. Es
geht auch um die Kosten für die Umstrukturierung des Energiesystems und damit
der Wirtschaft – die Dekarbonisierung des
gesamten Energiesystems. Die Zukunft darf
sich nicht mehr so stark auf fossile Energieträger wie Kohle und Erdgas stützen. Dieses
Denken ist in vielen Teilen der Wirtschaft
und Gesellschaft angekommen. In den letz-
ters eine integrierte Lösung, bei welcher der
Strom aus Solar- oder Windenergie erzeugt
werden kann. Zudem können diese Zentren auch andere Dienstleistungen wie etwa
Internetzugang anbieten. Damit können die
Betreiber ein für sie massgeschneidertes
Geschäftsmodell entwickeln, mit dem sie
die lokale Wasserversorgung und andere
grundlegende Dienstleistungen sicherstel-
ten 20 Jahren sind beträchtliche Fortschritte
erzielt worden, doch diese sind zu klein,
wenn wir die Berechnungen des künftigen
Klimas betrachten.
Welche Verbesserung der Situation wäre durch
den Umbau denn zu erreichen?
Das erklärte Ziel ist es, den globalen Klimawandel auf zwei Grad bis Ende des Jahrhunderts zu beschränken. Damit wäre der Klimawandel auf ein ertragbares Mass zu bringen.
Auch bei zwei Grad sind schwerwiegende
Auswirkungen zu befürchten, wie etwa ein
langfristiger Anstieg des Meeresspiegels,
aber insgesamt könnte man damit noch gut
leben. Mit vier Grad rechnen wir bis Ende
des Jahrhunderts, wenn die Wirtschaft weiter
macht wie bisher und die billigsten Energie-
len können. Die NEXUS Centers des im
Juli gegründeten Unternehmens mit Sitz in
Teufen AR produzieren täglich rund 9000
Liter und versorgen damit bis zu 3000 Menschen pro Center mit sauberem Trinkwasser, Strom, Zugang zu Kommunikation und
sanitären Einrichtungen. Dadurch werden
Arbeitsplätze in oft bitterarmen Siedlungen
geschaffen.
www.weconnex.org
quellen wie Kohle und Erdöl weiter fördert.
Das ist auch das Szenario, das für die Studie
zum persischen Golf verwendet wurde.
Doch die Verpflichtungen der Staaten im Vorfeld
der Klimakonferenz reichen nicht aus, um das
Zwei-Grad-Ziel zu erreichen.
Es sind die grössten Verpflichtungen, die in
der bereits langen Geschichte der Klimaverhandlungen je eingegangen wurden. Man
kann zuversichtlich sein, dass zumindest in
Teilbereichen Fortschritte erreicht werden.
Aber es ist auch klar, dass die Schwellenländer noch zuwarten, bis die Industrieländer
den ersten Schritt machen – Europa, Nordamerika, Australien und Japan. Sie haben
einen viel grösseren Pro-Kopf-CO2-Ausstoss
als die Schwellenländer.
Nr. 12 2015 | UnternehmerZeitung
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