Vorwort In meiner inzwischen über zehn Jahre währenden Seminarund Unterrichtstätigkeit habe ich immer wieder festgestellt, dass es nicht nur Anfängern, sondern oftmals auch fortgeschrittenen Astrologie-Studierenden schwer fällt, die tragenden Themen eines Geburtshoroskops herauszuarbeiten. Dies ist nicht weiter verwunderlich: Jedes Geburtsbild enthält eine Fülle an Informationen, die sich zum Teil ergänzen, zum Teil aber auch widersprechen. Zudem sind für jedes astrologische Prinzip vielfältige Entsprechungen möglich, so dass sich die symbolischen Bedeutungen nicht auf starre Aussagen festlegen lassen. Dieses Buch wendet sich an Astrologie-Interessierte, die bereits ihre ersten astrologischen Erfahrungen gesammelt haben und nun eine Art Wegweiser durch das Labyrinth des Horoskops suchen. Mein Anliegen war es, aus den unterschiedlichen Deutungskonzepten diejenigen herauszugreifen, die für eine Beurteilung des Geburtsbildes von grundlegender Bedeutung sind. Dabei ist ein in sich geschlossenes und einfach zu handhabendes System entstanden, das den Leser in die Lage versetzt, den Blick für das Wesentliche zu entwickeln und vertrauensvoll an die Deutung eines Horoskops heranzugehen. Elementare Kenntnisse über Planeten, Tierkreis, Aspekte und Häuser werden allerdings vorausgesetzt. Der Stoff wird an Hand zahlreicher Beispielhoroskope veranschaulicht, so dass sich der Leser selbst ein Bild von der Aussagekraft der vermittelten Konzepte machen kann. Am 7 Ende stehen acht Horoskop-Interpretationen bekannter Persönlichkeiten, in denen die zuvor entwickelten Ansätze, ergänzt durch kurze biografische Notizen, jeweils zu einem Gesamtbild zusammengefasst werden. Abgerundet wird das Buch durch einen Nachschlageteil mit kurzen, prägnanten Deutungstexten für alle Aspekte. Nun ist die Sprache der Planeten derart reich und vielschichtig, dass es niemals nur eine einzige Herangehensweise geben kann. Jeder, der sich auf praktische Weise mit der Astrologie beschäftigt, sollte mit zunehmender Erfahrung einen Deutungsstil entwickeln, der ihm persönlich entspricht. Daher möchte ich betonen, dass die hier vorgestellten Richtlinien keine unabänderlichen Regeln sein sollen. Betrachten Sie die Konzepte als Anregung und Möglichkeit zur Erweiterung Ihres eigenen astrologischen Repertoires. Zuletzt bitte ich um Verständnis dafür, dass bei geschlechterübergreifenden Formulierungen in der Regel nur die männliche Form gewählt wurde. Die Texte in beiden Formen „männlich“ und „weiblich“ zu verfassen, hätte die Lesbarkeit erschwert ohne den Informationsgehalt zu erhöhen. Eine sexistische Einstellung liegt nicht zu Grunde. Nun wünsche ich Ihnen viel Freude und positive Erkenntnisse beim Lesen. Olaf Staudt 8 Hintergrunddeutung Die Raumhälften Bei der Interpretation eines Horoskops ist, wie auch sonst im Leben, der erste Eindruck von großer Bedeutung. Wie sind die Planeten verteilt? Ist ein Abschnitt besonders betont, weil sich in ihm die deutliche Mehrzahl der Gestirne befindet? Falls ja, kann dies ein guter Einstieg in die Analyse sein. Ausgehend von den beiden Hauptachsen lässt sich das Geburtsbild horizontal und vertikal in je zwei Raumhälften unterteilen. Dabei schneidet die AC/DC-Achse den Horoskopkreis in eine oben liegende Tag-Hälfte und eine unten liegende Nacht-Hälfte. Die Tag-Hälfte hat das Medium Coeli als Zentrum. Sie symbolisiert den Bereich der gesellschaftlichen Verwirklichung und der Öffentlichkeit. Hier finden wir die bewussten, eher intellektgesteuerten Anteile der Persönlichkeit. Die Nachthälfte hat das Immum Coeli als Mittelpunkt. Sie spiegelt den persönlichen, privaten Bereich wider und die eher unbewussten Anteile der Gesamtpersönlichkeit. Weist ein Geburtsbild eine deutliche Planetenkonzentration in der oberen Hälfte auf, so können wir demzufolge auf einen eher kopfbetonten, theoretisch-orientierten Menschen schließen. In aller Regel wird der Horoskopeigner nach Aktivität im öffentlichen Leben streben und sich vornehmlich zu Aufgaben berufen fühlen, die einen unpersönlicheren Inhalt haben. Da sich der Betreffende so stark mit der Außenwelt 9 identifiziert, ist er in erhöhtem Maße der Gefahr einer Konfrontation mit äußeren Umständen bzw. Erfahrungen, dem „Außenschicksal“, ausgesetzt. Ein Beispiel für eine Konzentration der Planeten in der oberen Raumhälfte ist das Horoskop von Marilyn Monroe. 10 9 11 ' - . ) % , 7 1 T ( 12 8 $& *R 2 5 3 4 Abbildung 1: Marylin Monroe, 1.6.1926, 9.30 PST, Los Angeles 10 6 Im Gegensatz dazu lässt eine markante Betonung der unteren Raumhälfte einen instinktiveren, mehr bauchgesteuerten Menschen erkennen, für den der persönlich-private Rahmen das Fundament zur Selbstverwirklichung darstellt. Aufgrund der Hervorhebung des IC als Symbol für Wurzeln, Heim und Familie kann außerdem eine starke (und oftmals schwierige) Prägung durch Erfahrungen in der Kindheit erwartet werden. 10 11 % 8 12 9 ( * 7 '& R 3 -$ 2 , ) . 6 T 1 5 4 Abbildung 2: Michael Jackson, 29.8.1958, 23.53 CDT, Gary/Indiana 11 Das Horoskop von Michael Jackson (Abbildung 2) ist ein gutes Beispiel für eine Konzentration der Planeten in der unteren Raumhälfte. Neben der Horizontal-Achse wird das Horoskop durch die vertikal verlaufende MC/IC-Achse in eine linke Ost-Hälfte und eine rechte West-Hälfte geteilt. Die Ost-Hälfte hat den Aszendenten als Zentrum und spiegelt die ich-betonten Anteile der Persönlichkeit wider. Die West-Hälfte mit dem Deszendenten als Mittelpunkt beschreibt die du- und Umweltbezogenen Qualitäten. (Beachten Sie bitte in diesem Zusammenhang, dass sich die Osthälfte des Horoskops im Gegensatz zu den Landkarten links befindet.) Weist das Geburtsbild eine deutliche Betonung der OstHälfte auf – insbesondere dann, wenn die Planeten um den Aszendenten herum gruppiert sind –, so wird der Geborene das Leben in erster Linie aus der eigenen Warte heraus betrachten und überwiegend auf sich selbst zurückgezogen sein. Eine solche egozentrierte Grundhaltung darf jedoch nicht zwangsläufig mit Egoismus verwechselt werden. Der Horoskopeigner spürt einfach, dass es für ihn am besten ist, sich ganz auf sich selbst zu verlassen. Damit ist er für gewöhnlich in der Lage, von sich aus die Initiative zu ergreifen und sein Leben aktiv und unabhängig von anderen zu gestalten. Ein Beispiel für eine östliche Betonung mit extremer Ausprägung ist das Horoskop des früheren amerikanischen Präsidenten George W. Bush. 12 10 11 ,% 3 ) 2 $ * & ' ( 8 1 T . 7 6 12 9 5 4 Abbildung 3: George W. Bush, 6.7.1946, 7.26 EDT, New Haven/Connecticut Ist dagegen die West-Hälfte betont, wird der Horoskopeigner das Bedürfnis haben, sich vornehmlich in der Begegnung, im Kontakt mit den Mitmenschen zu erfahren. Mit seiner Anpassungsfähigkeit und Kompromissbereitschaft kann er sich produktiv in Gemeinschaften einbringen. Dabei besteht jedoch die Möglichkeit, das eigene Ich zu sehr zurückzustellen für die Belange der anderen. 13 Ein Beispiel für eine West-Betonung ist das Horoskop des österreichischen Esoterikers und Philosophen Rudolf Steiner. 9 10 % 8 *R )R 11 T ( , 2 ' $ . & 6 1 7 12 5 4 3 Abbildung 4: Rudolf Steiner, 25.2.1861, 23.15 LMT, Kraljevica 14 Linke Raumhälfte Ich-Bezogenheit, aktive Gestaltung der Persönlichkeit, Selbstbestimmung, Initiative. Rechte Raumhälfte Du-Bezogenheit, Widerspiegelung im Mitmenschen. Obere Raumhälfte Streben nach Verwirklichung in der Außenwelt. Theoretische Lebenssätze und bewusste Persönlichkeitsanteile überwiegen. Untere Raumhälfte Bindung an den persönlich-privaten Bereich. Unbewusste und innerseelische Anteile überwiegen. Natürlich existieren auch Mischformen, bei denen zwei Raumhälften gleichzeitig betont sind. Diese treten in der Regel dann auf, wenn sich die Mehrzahl der Planeten innerhalb eines Quadranten befindet oder wenn ein Quadrant überhaupt nicht besetzt ist. In diesem Fall lassen sich die Aussagen der beiden hervorgehobenen Raumhälften kombinieren. Im Horoskop des Geigers und Dirigenten Yehudi Menuhin (Abbildung 5) sind sowohl die untere als auch die rechte Raumhälfte mit je sieben Planeten besetzt. Hier wird eine Persönlichkeit mit Ausprägung der innerseelischen und unbewussten Anteile beschrieben, die gleichzeitig das starke Bedürfnis hat, sich im Kontakt mit der Umwelt zu erfahren. 15 9 2 T & $ ) . % , * ' ( 7 1 12 11 8 10 6 5 4 3 Abbildung 5: Yehudi Menuhin, 22.4.1916, 23.30 EST, New York 16