23.15 Glykogenspeicherkrankheiten D. Karall, G. Grissenauer, B. Meisinger und S. Scholl-Bürgi 1. Einleitung 2. Leberglykogenosen Glykogenspeicherkrankheiten oder Glykogenosen (GSD = glycogen storage disorders) werden durch Defekte im Glykogenabbau, der Glykolyse und der Glykogensynthese verursacht (siehe Abb. 1). Ihnen ist gemeinsam, dass sie zu einer vermehrten Ablagerung von normal oder abnorm strukturiertem Glykogen in Organen führen. Sie lassen sich klinisch in hepatische und muskuläre Glykogenspeicherkrankheiten einteilen, je nachdem, welches Organsystem betroffen ist (siehe Tabelle 1). Die Leberglykogenosen sind gekennzeichnet durch Hypoglykämien, Hepatomegalie und Minderwuchs, die Muskelglykogenosen durch Belastungsintoleranz mit belastungsinduzierten Muskelschmerzen und -krämpfen, die oft von einer Myoglobinurie und Rhabdomyolyse begleitet werden. Manche Formen manifestieren sich auch als subakute oder chronische Myopathie. Bei einzelnen Typen können sowohl hepatische wie auch myopathische Symptome im Vordergrund stehen (siehe Tabelle 1). Die einzige generalisierte Glykogenspeicherkrankheit ist die GSD II, der Morbus Pompe, bei dem es sich allerdings um eine lysosomale Speichererkrankung handelt, deren Pathophysiologie noch ungeklärt ist. Die Nomenklatur der Glykogenspeicherkrankheiten erfolgte historisch mit römischen Ziffern nach ihrer chronologischen Beschreibung, ursprünglich wurden sie zusätzlich auch nach ihren Erstbeschreibern benannt (siehe Tabelle 1). Die Inzidenz der Glykogenspeicherkrankheiten wird mit 1 : 25.000 für die gesamte Gruppe angegeben. Sie folgen alle einem autosomal rezessiven Vererbungsmodus – bis auf die GSD VI und VIII/IX (Defekt der Leber-Phosphorylase und der Leberphosphorylase-B-Kinase), die Xchromosomal vererbt werden. Die Gruppe der Leberglykogenosen umfasst die Glykogenose Typ I, III, IV, VI, IX und 0. Die gemeinsamen Symptome der Typen I, III, VI und IX im Kindesalter sind Hypoglykämieneigung, Hepatomegalie und Minderwuchs. Davon ist die GSD I die schwerste Form, weil sie sowohl den Glykogenabbau als auch die Glukoneogenese betrifft. Patienten mit GSD III haben eine kombinierte Hepato-, Myo- und Kardiomyopathie. Bei GSD IV steht das progrediente Leberversagen mit Zirrhose im Vordergrund. Die hepatischen Formen der GSD VI und IX (früher auch als VIa oder VIII bezeichnet) sind die mildesten Abb. 1. Glykogen-Stoffwechsel und Glykolyse. Die römischen Ziffern bezeichnen die Enzyme, die Leber- (kursiv), bzw. Muskelglykogenspeicherkrankheiten (nicht kursiv) verursachen (aus Smit et al., 2006). 889 Buch 5.indb 889 15.10.2009 11:36:41 Kap. 23.15 D. Karall, G. Grissenauer, B. Meisinger und S. Scholl-Bürgi Tabelle 1. Einteilung der Glykogenspeicherkrankheiten Typ Name/ Erstbeschr. Enzymdefekt Betr. Gewebe Klinische Symptome Ia Van Gierke (1929) Glukose-6-Phosphatase Leber, Niere Hepatonephromegalie, Hypoglykämie, Laktatazidose, Hyperlipidämie und -urikämie Glukose-6-Translokasen Leber, Niere wie Ia, zusätzlich Neutropenie, Infekte Ib-d III Cori/Forbes (1953) Debranching Enzym Leber, Muskel Hepatomegalie, (Hypoglykämie), Myopathie IV Andersen (1956) Branching Enzym Leber Hepatosplenomegalie, Leberzirrhose VI Hers (1959) Phosphorylase Leber Hepatomegalie, Minderwuchs Phosphorylase-B-Kinase Leber und/ oder Muskel Hepatomegalie, (Hypoglykämie), Myopathie, Minderwuchs VIII/IX 0 Lewis (1963) Glykogen-Synthase Leber Hypoglykämie V McArdle (1951) Phosphorylase Muskel Belastungsintoleranz, Muskelkrämpfe VII Tarui (1965) Phosphofruktokinase Muskel (Kardio-)Myopathie, hämolytische Anämie, Anfälle X Phosphoglycerat-Mutase Muskel Belastungsintoleranz, Muskelkrämpfe LDH, GLUT 2 Muskel Belastungsintoleranz, Muskelkrämpfe, Fanconi-Syndrom XII Aldolase A Muskel Belastungsintoleranz, Muskelkrämpfe XIII E-Enolase Muskel Belastungsintoleranz, Muskelkrämpfe D-1,4-Glukosidase generalisiert Hypotonie, Kardiomyopathie XI II Fanconi-Bickel (1949) Pompe (1932) Formen, meist ist die Hypoglykämieneigung gering, die Hepatomegalie mit zunehmendem Lebensalter regredient, die Betroffenen erreichen eine normale Körpergröße. Bei GSD 0 steht eine im Säuglingsalter und der frühen Kindheit ausgeprägte Hypoglykämieneigung mit Ketose bei unerwarteter postprandialer Hyperglykämie und -laktatämie im Vordergrund. 2.1. Glykogenspeicherkrankheit Typ I (Morbus van Gierke) Die erstmals von van Gierke beschriebene Glykogenose Typ I umfasst inzwischen die Glykogenose Typ Ia (Mangel der katalytischen Untereinheit der Glukose-6-Phosphatase) und die Glykogenose Typ I non a (= GSD Ib-Id). Glykogenose Typ Ib wird durch Mangel an der im endoplasmatischen Retikulum (ER) gelegenen Glukose-6-Phosphat-Translokase verursacht, über die Existenz bzw. Bedeutung der GSD Ic (Mangel an ER Phosphat-Translokase) und GSD Id (Mangel an ER Glukose-Transporter) als eigene Identitäten wird noch kontroversiell diskutiert (Veigha-da-Cunha et al., 2000; Chen et al., 2008). Für eine GSD I verdächtige Symptome sind das gemeinsame Vorliegen von vorgewölbtem Abdomen mit Hepatomegalie, Stammfettsucht, Puppengesicht, hypotropher Muskulatur und 890 Buch 5.indb 890 15.10.2009 11:36:42 Glykogenspeicherkrankheiten a c Abb. 2 a, b, c. Klinisches Vollbild der häufigsten Glykogenose (GSD I, Morbus van Gierke) mit Hepatomegalie, Stammfettsucht, Puppengesicht, Wachstumsverzögerung, myopathischem Habitus. Abb. 2 a. Bub im Alter von 6 Monaten im Jahr 1977, Abb. 2 b. Mädchen im Alter von 7 Jahren im Jahr 1971. Bei den rezenteren Patienten sind mit Verbesserung der Ernährungstherapie die klinisch auffälligen Merkmale kaum sichtbar: siehe Abb. 2 c. Bub im Alter von 5 Jahren im Jahr 2008. Minderwuchs (siehe Abb. 2). Neben der Leber ist bei der GSD I als einzige auch die Niere mitbeteiligt. Klinisch auffällig werden betroffene Kinder typischerweise im Alter zwischen 3 und 6 Monaten, bzw. wenn die Frequenz der (nächtlichen) Mahlzeiten abnimmt. Hypoglykämien, Hyperlaktatämie, Hyperlipidämie, Hyperurikämie und Transaminasen-Erhöhung sind die typische Konstellation, und zwar in Zusammen- b hang mit einer für das jeweilige Alter verkürzten Nüchterntoleranz. Die geistige Entwicklung ist bei Glykogenosen unauffällig, kann in Einzelfällen aber durch profunde, nicht rechtzeitig behandelte Hypoglykämien negativ beeinflusst werden. Als Spät- bzw. zusätzliche Komplikationen können – trotz adäquater Stoffwechselkontrolle – ausgeprägte Blutungsneigung, Anämie, Leberadenome (mit möglicher, wenn auch seltener Entartung), Hyperurikämie, Wachstumsretardierung, Osteoporose und Nierenfunktionsbeeinträchtigung bis hin zur Niereninsuffizienz auftreten (Rake et al., 2003; Chen, 2001). Bei Kindern mit GSD Ib kommen zusätzlich durch die Beeinträchtigung der Funktion der neutrophilen Granulozyten rezidivierende bakterielle Infekte, rezidivierende Diarrhöen mit einer M. Crohn ähnlichen Pathologie und Abszessneigung hinzu (Visser et al., 2002). 891 Buch 5.indb 891 15.10.2009 11:36:45 Kap. 23.15 D. Karall, G. Grissenauer, B. Meisinger und S. Scholl-Bürgi Das Vorliegen einer chronischen Erkrankung mit einer Progredienz unterstreicht bei GSD I die Notwendigkeit von regelmäßigen Kontrollen auch im Erwachsenenalter (Leberadenome, Nierenfunktion). 2.2. Glykogenspeicherkrankheit Typ III und Typ VI bzw. IX Die Glykogenosen Typ III und Typ VI/IX sind durch eine ausgeprägte Hepatomegalie mit intermittierender Transaminasen- und Kreatinkinase-Erhöhung gekennzeichnet. Die Harnsäure- und Laktat-Konzentrationen im Plasma sind normal. Die Neigung zu Hypoglykämien ist meist geringer als bei GSD I. Die Einlagerung von Glykogen kann nicht nur die Leber, sondern auch das Herz (Kardiomyopathie) und den Muskel (Myopathie) betreffen. Die Prognose ist abgesehen von auftretenden kardialen Komplikationen gut. Da die Glukoneogenese intakt ist, kann eine proteinreiche Ernährung zur Vermeidung von Hypoglykämien versucht werden (Chen, 2001). Die Phosphorylase-B-Kinase besteht aus vier verschiedenen Untereinheiten, die Gewebespezifisch exprimiert sind, und so zu verschiedenen Vererbungsmodi und klinischen Bildern führen: 1) X-chromosomal vererbte Leberphosphorylase-Kinase-Defizienz, 2) autosomal rezessiv vererbte Defizienz, die Leber und Muskel betrifft, 3) autosomal rezessiv vererbte myopathische Form, die GSD V ähnelt und 4) autosomal rezessiv vererbte kardiomyopathische Phosphorylase-B-Kinase-Defizienz (Chen, 2001). 2.3. Glykogenspeicherkrankheit Typ IV (Morbus Andersen) Diese Glykogenose ist durch das Fehlen des Branching Enzyms gekennzeichnet, Patienten können also kein verzweigtes Glykogen synthetisieren, sondern nur Amylopektin, das in den Organen abgelagert wird. Sie ist die seltenste Form einer Glykogenose, der klinische Verlauf ist durch eine mehr oder weniger progrediente Lebererkrankung gekennzeichnet, die zur Leberzirrhose führen kann (Bao et al., 1996). Eine symptomatische Therapie ist nicht effektiv, die Lebertransplantation bleibt bei fortgeschrittener Erkrankung die einzige Option. Neben der Lebererkrankung kann das Leitsymptom auch eine multisystemische Erkrankung (mit Hydrops, Kardiomyopathie, Neuropathie) oder eine rein neuromukuläre Manifestation sein, die sich in verschiedenen Lebensaltern manifestiert (Moses et al., 2002). 3. Muskelglykogenosen Im Ruhezustand verwertet das Muskelgewebe hauptsächlich Fettsäuren. Bei mäßiger Belastung greift es zusätzlich auf Energie aus Blutglukose, die aus Leberglykogen mobilisiert wird, zurück. Bei Maximalbelastung ist die Hauptenergiequelle für das Muskelgewebe die anaerobe Glykolyse gefolgt vom Muskelglykogenabbau. Erschöpfung bzw. Leistungsintoleranz tritt ein, wenn die Reserven aufgebraucht sind, so dass Enzymdefekte, die den Muskelglykogenabbau betreffen die muskuläre Funktion beeinträchtigen. Die Glykogenose Typ V ist gekennzeichnet durch Belastungsintoleranz mit Myalgien, Steifheit oder Schwäche und schmerzhaften Krämpfen der belasteten Muskulatur. Die Symptome sistieren bei Ruhe. Eine mäßige Belastung wird von diesen Patienten meist gut toleriert, kurze intensive isometrische oder Dauerbelastung nicht. Etwa die Hälfte der Betroffenen berichten von Episoden mit Myoglobinurie. Beim Erwachsenen ist damit die GSD V nach dem Mangel an Carnitin-Palmitoyl-Transferase II die häufigste Ursache einer Myoglobinurie. Die Elektromyographie kann unauffällig oder unspezifisch myopathisch sein, in kontrahierten Muskeln zeigt sich jedoch ein fehlendes Signal. Die Kreatinkinase ist auch in Ruhe erhöht. Die Therapie beschränkt sich auf das Vermeiden anaerober Belastung, orale Sucrose (= Saccharose = Kris- 892 Buch 5.indb 892 15.10.2009 11:36:46 Glykogenspeicherkrankheiten Abb. 3 a. Charakteristisches EKG (50 mm/s und 10 mm/ mV; verkürzte PQ-Zeit, augeprägte linksventrikuläre Hypertrophiezeichen) im Alter von 5 Monaten tallzucker) kann als Substrat für die Glykolyse vor Belastung gegeben werden – Sucrose wird rasch in Fruktose und Glukose gespalten und umgeht so den Stoffwechselblock bei GSD V. Die GSD VII kann von der GSD V durch eine zusätzlich vorliegende kompensierte Hämolyse (erhöhtes Bilirubin, erhöhte Retikulozytenzahl) unterschieden werden. 4. Glykogenose Typ II (Morbus Pompe) Der Morbus Pompe wird historisch unter die Glykogenosen eingereiht, obwohl es sich eigentlich um eine lysosomale Speichererkrankung handelt, die durch einen Mangel des lysosomalen Enzymes D-Glukosidase verursacht wird. Unterschieden werden zwei Verlaufsformen: r r die infantile, bei der seit dem frühen Säuglingsalter eine muskuläre Hypotonie, Gedeihstörung aufgrund einer sich rasch entwickelnden Kardiomyopathie und schließlich eine Ateminsuffizienz vorliegen; die Erkrankung verläuft meist im 1. Lebensjahr letal die juvenile/adulte, bei der eine langsam fortschreitende Muskelschwäche im Vordergrund steht, die im frühen Erwachsenenalter zu einer Ateminsuffizienz führen kann. Abb. 3 b. Thorax-Röntgenbild (ausgeprägte Kardiomegalie und -pathie) im Alter von 7 Monaten bei einem Patienten mit Glykogenose Typ II (Morbus Pompe) Die Diagnose wird neben der Klinik durch ein typisches EKG/ECHO (siehe Abb. 3) gestellt. Sie kann laborchemisch durch ein pathologisches Muster der Ausscheidung von Oligosacchariden im Harn und dem Vorliegen von Lymphozytenvakuolen im peripheren Blutaustrich weiter eingegrenzt und letztendlich durch eine Enzymbestimmung in Leukozyten, Muskelzellen oder Fibroblasten und eine molekulargenetische Untersuchung gesichert werden. Die baldestmögliche Stellung der Diagnose ist entscheidend, weil seit 2006 eine Enzymersatztherapie als kausale Therapie zur Verfügung steht (Van den Hout et al., 2004; Kishnani et al., 2006). 5. Diagnose der Glykogenspeicherkrankheiten Bei entsprechendem klinischem Verdacht und laborchemischen Befunden (siehe Tabelle 2) sollte eine Bestimmung der Enzymaktivität und zur Vervollständigung eine molekulargenetische Bestätigung erfolgen. Die fehlenden Enzyme können bei Leber- und bei Muskelglykogenosen fast alle in Blutzellen (Erythrozyten 893 Buch 5.indb 893 15.10.2009 11:36:46 Kap. 23.15 D. Karall, G. Grissenauer, B. Meisinger und S. Scholl-Bürgi Tabelle 2. Biochemische Befunde bei Leber-Glykogenosen Typ Glukose Laktat Triglyzeride Harnsäure Transaminasen Besonderheiten Ia ppp n n n (n) bei Glukosegabe o Laktatabfall, D-Ketoglutarat im Harn Ib ppp n n n (n) Neutropenie < 1500/ul III p (n) n (n) n IV p n n n n VI p n n n IX p n n n 0 pp p n bei Glukosegabe (Laktatanstieg) Ketose; postprandial: Hyperglykämie und Laktatanstieg Typ Enzymdefekt Gewebe für Bestimmung Ia Glukose-6-Phosphatase Leber Ib – d Glukose-6-Translokasen Leber III Debranching Enzym Leukozyten, (Fibroblasten, Leber, Muskel) IV Branching Enzym Leukozyten, (Fibroblasten, Leber, Muskel) VI Phosphorylase Leukozyten, Erythrozyten, (Leber, Muskel) VIII/IX Phosphorylase-B-Kinase Leukozyten, Erythrozyten, (Leber, Muskel) 0 Glykogen-Synthase Leber V Phosphorylase Muskel, Erythrozyten, Leukozyten VII Phosphofruktokinase Muskel X Phosphoglycerat Mutase Muskel, Erythrozyten XI GLUT 2 – LDH Muskel XII Aldolase A Muskel XIII E-Enolase Muskel II D-1,4-Glukosidase Leukozyten und Leukozyten) (siehe Tabelle 3) gemessen werden (Shin, 2006). Bei GSD I und GSD 0 muss die Bestimmung im Lebergewebe erfolgen. Histologisch und histochemisch fällt in der Leber eine Anreicherung von Glykogen und Fett mit meist nur geringer Fibrose auf. Belastungstests (z. B. mit Fruktose, Galaktose, Glukose, Glukagon) sind nicht notwendig (Zschocke et al., 2004). Kreatinkinase n Tabelle 3. Enzymatische Bestätigung bei Glykogenosen 6. Therapie der Glykogenspeicherkrankheiten Die Glykogenosen sind eine heterogene Gruppe von Erkrankungen, bei denen Glykogen nicht adäquat verstoffwechselt werden kann. Die Ernährungstherapien sind darauf ausgelegt, verfügbare alternative Stoffwechselwege zu nutzen und die metabolischen Komplikationen (z. B. 894 Buch 5.indb 894 15.10.2009 11:36:47 Glykogenspeicherkrankheiten Hypoglykämie, Hypertriglyzeridämie) zu vermeiden (Goldberg et al., 1993). 6.1 Therapie der Glykogenose Typ I Die Lebenserwartung bei GSD I hat deutlich zugenommen, allerdings bedingt die relative Seltenheit, dass nur wenige Zentren sich umfassend mit großen Patientengruppen beschäftigen. Da es eine große Variation in Ernährungs- und pharmakologischer Therapie gibt und die Empfehlungen zum Teil sehr weit auseinandergehen, hat 1996 eine internationale Expertengruppe die Therapieoptionen evaluiert und Empfehlungen – besonders für die Langzeittherapie der Glykogenose Typ I, die die aufwändigste in der Stoffwechselkontrolle ist – abgegeben (Rake et al., 2003). Das Ziel der Ernährungstherapie bei Glykogenose Typ I ist, das physiologische Gleichgewicht zwischen Glykogenolyse und Glukoneogenese so gut wie möglich dem einer gesunden Person anzugleichen (Smit et al., 2006; Fernandes et al., 1988). Die Kalorienzufuhr sollte zu 60 – 65 % von Kohlenhydraten, zu 10 –15 % von Protein und der Rest durch Fett gedeckt sein. Der Fettanteil wird bevorzugt aus pflanzlichen Ölen mit hohem Anteil an ungesättigten Fettsäuren gegeben. Unter anderem ist damit auch der Neigung zur Hypertriglyzeridämie und Hypercholesterinämie Rechnung getragen. Die aktuell empfohlene Therapie zur Vermeidung von Hypoglykämien besteht in der Zufuhr komplexer (schwer resorbierbarer) Kohlenhydrate, z. B. aus Vollkornprodukten, untertags und einer nächtlichen Sondierung mit altersentsprechender Glukosezufuhr (z. B. 2 – 4 mg/ kg/min beim Jugendlichen). Häufige Mahlzeiten (z. B. im Säuglingsalter alle 2 bis 3 Stunden) mit oder ohne Zugabe von 1– 2 g/kg KG ungekochter Stärke werden nach dem ersten Lebensjahr eingesetzt (vorher ist die pankreatische Amylase noch nicht vollständig ausgereift; Hayde et al., 1990). Die Hyperlaktatämie wird durch Galaktose und Fruktose aus der Nahrung sowie durch Hypoglykämien induziert. Eine mäßige Hyperlaktatämie (bis 2 – 3 faches der oberen Norm) ist durchaus zulässig, weil Laktat als alternatives Energiesubstrat für das Gehirn fungieren kann, und so das Gehirn vor den Auswirkungen einer ausgeprägten Hypoglykämie geschützt werden kann. Der Beitrag von Galaktose und Fruktose zur exzessiven Bildung von Laktat wird sehr stark diskutiert: Glukose-6-Phosphat kann auf biochemischen Wege aus beiden Zuckern entstehen, so dass in der Therapie eine gewisse Einschränkung der Zufuhr logisch scheint. Allerdings sind die Langzeitergebnisse sowohl in Zentren, die eine strenge Restriktion (unter 5 –10 g/d), wie in solchen, die (fast) keine Restriktion empfehlen, sehr ähnlich (Smit et al., 2006), so dass kein Konsens über die Zufuhr von Galaktose, Fruktose und Saccharose zur Vermeidung exzessiver Laktatproduktion existiert. Das Einführen einer Sojabasierten Milch beim Säugling anstatt Muttermilch ist nicht erforderlich (Rake et al., 2003). Neben der Ernährungstherapie kann bei Glykogenose Typ I eine medikamentöse Therapie erforderlich sein: mit Allopurinol bei Hyperurikämie, mit Bikarbonat und Zitrat bei chronischer Azidose bzw. Laktatämie und/oder Urolithiasis und Nephrokalzinose, mit Angiotensin Converting Enzyme-Hemmer bei Mikroalbuminurie bzw. Nephropathie sowie mit Vitaminen und Spurenelementen, Eisen, u. a. Bei Glykogenose Typ Ib kann die Neutropenie mit GCSF (granulocyte colony stimulating factor) therapiert werden. 6.2 Therapie der Glykogenosen Typ III, VI bzw. IX Diese Formen haben, da keine Störung der Glukose-Bereitstellung aus Glukose-6-Phosphat vorliegt, wesentlich mildere Verläufe als die GSD I. Eine Therapie von Hypoglykämien kann in manchen Fällen erforderlich sein, die Patienten werden aber mit zunehmenden Alter stabi895 Buch 5.indb 895 15.10.2009 11:36:47 Kap. 23.15 D. Karall, G. Grissenauer, B. Meisinger und S. Scholl-Bürgi ler. Eine Nierenbeteiligung fehlt, auch Langzeitkomplikationen sind wesentlich seltener und weniger schwerwiegend. 6.3 Therapie der Muskelglykogenosen Bei den Muskelglykogenosen beschränkt sich die Therapie auf das Vermeiden anaerober Belastung, orale Sucrose (= Saccharose) kann als Substrat für die Glykolyse vor Belastung gegeben werden – Saccharose wird rasch in Fruktose und Glukose gespalten und umgeht so den Stoffwechselblock bei GSD V. 6.4 Therapie der Glykogenose Typ II Bei der Glykogenose Typ II ist seit 2001 eine Enzymersatztherapie zugelassen (Van den Hout et al., 2004; Kishnani et al., 2006). Das Enzym wird in 2-wöchentlichen Abständen intravenös verabreicht. Inaktivierende Antikörper werden nur sehr selten nachgewiesen. Internationale Expertengruppen erarbeiten aktuell TherapieIndikationen und auch Abbruchkriterien, da die Therapiekosten sehr hoch sind. Abkürzungen GSD GSD 0 GSD Ia GSD Ib GSD II GSD III GSD IV GSD V GSD VI GSD VII GSD VIII/IX GSD X GSD XI GSD XII GSD XIII Glycogen storage disorder Glycogen-Synthase Mangel Glucose-6-Phosphatase Mangel Glucose-6-Phosphat-Translokase Mangel D-Glucosidase (= saure Maltase) Mangel Debranching Enzym Mangel Branching Enzym Mangel Myophosphorylase Mangel Leber Phosphorylase Mangel Phosphofruktokinase Mangel Phosphorylase-B-Kinase Mangel Phosphoglycerat-Mutase Mangel Laktatdehydrogenase Mangel Fruktose-1,6-Biphosphat-Aldolase Mangel E-Enolase Mangel PGK P PLD UDPG Phosphoglycerat-Kinase Phosphat Phosphorylase Limit Dextrin Uridin Diphosphat Glukose Literaturverzeichnis Bao Y, Kishnani P, Wu JY, Chen YT (1996) Hepatic and neuromuscular forms of glycogen storage disease type IV caused by mutations in the same glycogen-branching enzyme gene. J Clin Invest 97: 941– 948 Chen SY (2001) Glycogen Storage Diseases. 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