Diagnose Diabetes – was nun? Diese Reaktion werden viele von Ihnen kennen. Denn wer nicht vorher schon durch Familienangehörige oder Bekannte Erfahrung mit dem Diabetes sammeln konnte, steht erst einmal vor völligem Neuland. Aber es ist gar nicht so schwierig, Orientierung zu finden. Was wann notwendig ist und auch warum, kann sich zwischen den verschiedenen Diabetestypen unterscheiden, manches ist aber auch identisch. Für alle gilt auf jeden Fall und zuerst: Viele Informationen einholen, sich schulen lassen. Je nach Fragestellung müssen Sie, zusammen mit dem Arzt Ihres Vertrauens, möglicherweise weitere Ärzte oder andere Experten hinzuziehen. Manchmal sind auch spezielle Untersuchungen notwendig, an die man vielleicht erst einmal nicht denkt. Nach Diabetes-Diagnose: Diabetes? Schock! Welcher Arzt ist nun richtig für mich? In allen Diabetes-Stadien benötigen Betroffene verschiedene Experten: sofort nach Diagnose, wenn bestimmte Symptome oder Umstände auftreten. Die Diagnose eines Diabetes mellitus ist für viele Menschen nach wie vor ein Schock; dies liegt zum einen offensichtlich daran, dass teils immer noch sehr viel Halbwissen besteht in Sachen Diabetes – andererseits den Betroffenen auch klar wird, dass nun ein Wendepunkt in ihrem Leben eingetreten ist, der von ihnen verlangt, sich von nun an um sich und ihren Diabetes zu kümmern. Das trifft für Typ-1- wie für Typ-2 Diabetiker zu Wenn die Diagnose gestellt ist, geht es darum, möglichst rasch die im Zusammenhang mit dem Diabetes möglicherweise auftretenden Probleme in den Griff zu bekommen. Das Vorgehen ist bezüglich Typ-2- und Typ-1-Diabetes aber völlig unterschiedlich: Bei Typ-1-Diabetikern stehen eindeutig im Vordergrund die Akzeptanz der Erkrankung und die sofortige, möglichst dem Alltagsleben des Patienten angepasste Insulintherapie. Bei Typ-2-Diabetikern gilt es zunächst, das Wesen der Erkrankung nahe zubringen und die Möglichkeiten der Therapie aufzuzeigen. Begleiterkrankungen – meist bestehen neben dem Diabetes weitere Erkrankungen (Multimorbidität) – spielen eine besondere Rolle bei der Entwicklung eines Typ-2-Diabetes, insbesondere im Hinblick auf mögliche Folgeerkrankungen. Also müssen diese gleichzeitig angegangen und bei der Therapie des Diabetes berücksichtigt werden. Eine besondere Herausforderung sind dabei die Gewichtsentwicklung der Patienten, deren Ernährungs- und Bewegungsverhalten – sowie soziale, berufliche und ökonomische Probleme, die den Erfolg einer Therapie beeinflussen können. Diagnose Typ-1-Diabetes bei Erwachsenen: Wohin? Auch wenn die Diagnose eines Typ-1-Diabetes im Erwachsenenalter in der Regel keinen Schock mehr auslöst, herrscht oft Betroffenheit ob der Notwendigkeit, sich ab sofort lebenslänglich Insulin spritzen zu müssen. Manchen Menschen macht auch regelrecht Angst, dass nun notwendig ist, vor jeder Mahlzeit abschätzen zu müssen: Wie viele Kohlenhydrate enthält das, was ich essen will? Und: Wie viel Insulin muss ich dafür spritzen? In der Schulung die Angst spielerisch nehmen Die Angst kann meist genommen werden durch eine sofortige Schulung mit Unterweisung in der Spritztechnik und der Blutzuckerselbstmessung sowie dem Umgang mit Insulin, Nahrungsmitteln und Bewegung. Leisten kann dies in der Regel nur die diabetologische Schwerpunktpraxis mit ihren unterschiedlich ausgebildeten Mitarbeitern, in Kooperation mit den entsprechenden Fachkollegen. Im Rahmen einer Erstmanifestation mit keto azidotischer Entgleisung (sehr hohen Blutzuckerwerten und einer Übersäuerung des Körpers) erfolgt die primäre Behandlung meist im Krankenhaus – hoffentlich mit einer diabetologischen Station und entsprechendem Personal. Auch Reha ist sinnvoll ! Auch im Rahmen einer stationären Rehabilitationsmaßnahme ist die Behandlung eines Typ-1Diabetikers im Erwachsenenalter möglich und sinnvoll – am besten als Anschlussrehabilitation (AHB): Denn hier hat man in der Regel genügend Zeit für eine umfassende Schulung (meist 3 Wochen), und Üben ist quasi unter Beobachtung möglich – und damit zum Beispiel ohne Angst vor Unterzuckerungen. Die langfristige Betreuung erfolgt sinnvoller weise ebenfalls beim oder in Kooperation mit einem Diabetologen. Diagnose Typ-2-Diabetes: Welcher Arzt nun? Patienten mit neuentdecktem Typ-2-Diabetes (in Österreich: Erwachsene ca. 30 000 pro Jahr, Kinder/Jugendliche 20 bis 30 pro Jahr) werden entsprechend den Leitlinien mit Ernährung, Bewegung und Metformin behandelt, wobei nicht selten frühzeitig weitere Medikamente gegeben werden müssen – trotz einer vernünftigen Ernährungsberatung und konkreter Bewegungsempfehlungen. Die Behandlung vor allem von übergewichtigen Typ-2-Diabetikern ist eine Herausforderung, die meist primär vom Hausarzt angenommen wird. Dieser hat in der Regel auch die Diagnose gestellt. Meist zuerst beim Hausarzt Wir wissen, dass durch eine gute Blutzuckereinstellung von Anfang an und rechtzeitiger Behandlung von Begleiterkrankungen Komplikationen reduziert werden können – an den großen wie an den kleinen Blutgefäßen. Jedoch wird die Unterzuckerungsgefahr für die Betroffenen erhöht durch eine Behandlung mit Insulin, Sulfonylharnstoffen (wie Glibenclamid, Glimepirid) und Gliniden (Repaglinid, Nateglinid) – außerdem führen sie häufiger zu einer Gewichtszunahme. Genau diese beiden Nebenwirkungen (Unterzuckerungen und Gewichtzunahme) wollen wir möglichst vermeiden! Deshalb sollten zum Erreichen der individuellen Therapieziele eines Patienten eher die neuen inkretinbasierten Medikamente (DPP4Hemmer) eingesetzt werden (zumindest am Anfang). Die Ergebnisse der STENO-2Studie zeigten, dass durch eine intensivierte Therapie Diabetes-Folgeerkrankungen bei Typ2Diabetikern reduziert werden konnten wie Herzinfarkt, Schlaganfall, Erblindungen und Amputationen sowie auch die Sterblichkeitsrate. Praxis oft überfordert Diese Aufgabe, vor allem aber die fachgerechte Schulung, überfordert meist die Mitarbeiter des Hausarztes – es sei denn, er hat eine Diabetesassistentin oder Beraterin in der Praxis beschäftigt. Hat der frisch entdeckte Typ2Diabetiker keine Folgeerkrankungen, kann die anfängliche Therapie sicher beim Hausarzt stattfinden. Die Inanspruchnahme eines Diabetologen und seines Teams wird aber meist erforderlich, wenn es um Schulung geht oder um Unterrichtung in der Spritztechnik (GLP-1-Analoga, Insulin), der Blutzuckermessung sowie der Ernährung, um komplexe Therapieentscheidungen und womöglich auch um die Erstellung eines Trainingsplans – es sei denn, der Hausarzt ist selbst auch Diabetologe mit einem entsprechenden Schulungsteam. Auch bei Typ-2-Diabetikern ist nicht zu unterschätzen die anfängliche Weichenstellung bezüglich der richtigen Therapie – vor allem durch die Motivation durch das Schulungs- und Behandlungsteam! Insulin bei Entgleisung Wenn der Blutzucker entgleist (Langzeitwert (HbA1c) > 7,5 Prozent), ist jede Form der Insulintherapie möglich wie intensivierte oder konventionelle Therapie; orale Antidiabetika allein senken hier den stark erhöhten Blutzucker nur ungenügend – zumindest vorübergehend ist also eine Kombination von oralen Antidiabetika mit Insulin notwendig. Ist der HbA1c- Wert < 7,5 Prozent, kommen nach den Leitlinien viele Kombinationen oraler Antidiabetika in Frage. Bei starkem Übergewicht ist eventuell eine sofortige Kombination mit einem GLP-1-Analogon sinnvoll oder sogar notwendig – noch bevor Insulin eingesetzt wird (wegen des Gewichts!). Zusammenfassung Damit nach der Diagnose eines Diabetes mellitus die betroffenen Patienten auch optimal und fachgerecht behandelt werden, müssen Ärzte in der Regel fachübergreifend zusammenarbeiten – sowohl in der Akutphase als auch besonders in der nachfolgenden Langzeit-Betreuung. Dabei dürfen psychische und auch soziale Belange nicht außer Acht gelassen werden. Die anfangs oft auftretenden Unsicherheiten im Umgang mit dem Diabetes lassen sich meist mindern oder sogar beheben – durch regelmäßige Schulungen mit Auffrischung und Aktualisierung des Erlernten sowie praktische Übungen mit und an der Seite eines erfahrenen Diabetes-Teams. Dr. Gerhard-W. Schmeisl Internist/Angiologe/Diabetologe, Chefarzt Deegenbergklinik + Klinik Saale DRV-Bund,