Vektorräume und Dimensionsbegriff

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Kapitel 5. Lineare Algebra
5.5
Abstrakter Vektorraum
Für die Vektoraddition und die Multiplikation von Vektoren mit Skalaren im zweioder dreidimensionalen euklidischen Raum gelten bestimmte Rechengesetze, die man
auch in anderen Zusammenhängen antrifft. Diese Rechengesetze sind die Grundlage
für den Begriff des abstrakten Vektorraums.
5.5.1 Definition Ein reeller Vektorraum ist eine Menge V mit einem Nullelement 0, auf der zwei Rechenoperationen erklärt sind, nämlich Addition V × V → V ,
(v, w) 7→ v + w und Skalarmultiplikation R × V → V , (λ, v) → λ · v, und zwar so,
dass für alle u, v, w ∈ V , α, β ∈ R die folgenden Rechenregeln gelten:
• (u + v) + w = u + (v + w) (Assoziativgesetz für die Addition).
• u + v = v + u (Kommutativgesetz).
• u + 0 = u (neutrales Element).
• Die Gleichung v + x = 0 besitzt zu jedem v ∈ V genau eine Lösung x ∈ V .
Wir schreiben dafür x = −v (Existenz des additiven Inversen).
• (α · β)u = α(β · u) (Assoziativgesetz für die Skalarmultiplikation).
• 1 · u = u.
• (α + β)u = αu + βu (Distributivgesetz).
• α(u + v) = αu + αv (Distributivgesetz).
Aus diesen acht Axiomen folgen alle weiteren vertrauten Regeln des Rechnens
mit Vektoren. Zum Beispiel gilt
0·v =0
für alle v ∈ V .
(Dabei ist mit der ersten 0 die Zahl Null in R gemeint und mit der zweiten 0 der
Nullvektor in V .) Denn aus dem Distributivgesetz folgt 1 · v + 0 · v = (1 + 0) · v =
1 · v = v. Addieren wir nun auf beiden Seiten −u dazu, erhalten wir die Behauptung.
Weiter gilt auch:
(−1) · v = −v
für alle v ∈ V .
Denn wiederum nach dem Distributivgesetz ist (−1) · v + v = (−1) · v + 1 · v =
(−1 + 1)v = 0 · v = 0. Also stimmt (−1)v mit dem eindeutigen Inversen −v überein.
5.5. Abstrakter Vektorraum
119
5.5.2 Beispiele
1. Der kleinstmögliche Vektorraum besteht nur aus dem Nullelement V = {0}.
2. Der Rn ist sozusagen der Prototyp des reellen Vektorraums (n ∈ N). Addition
und Skalarmultiplikation sind komponentenweise erklärt. Das heisst, für alle
vj , wj ∈ R, j = 1, . . . , n und λ ∈ R setzt man:



 
v1 + w1
w1
v1
..

 ...  +  ...  := 
.
vn + wn
wn
vn




λv1
v1
.
.
und λ ·  ..  :=  ..  .
λvn
vn

Wie es aus der elementaren Vektorrechnung geläufig ist, sind hier alle in der
Definition angegebenen Rechenregeln erfüllt. Dabei ist das Nullelement der
Nullvektor, dessen sämtliche Einträge gleich Null sind.
3. Auf der Menge F (D, R) aller reellwertigen Funktionen auf einem festgewählten
Definitionsbereich D ⊂ R erklärt man üblicherweise Addition und Skalarmultiplikation durch (f + g)(x) = f (x) + g(x) und (α · f )(x) = α · f (x) für alle
x ∈ D, α ∈ R und f, g ∈ F (D, R). Mit diesen Verknüpfungen bildet F (D, R)
einen Vektorraum. Denn die acht definierenden Rechenregeln eines Vektorraums sind alle erfüllt; sie lassen sich jeweils auf die entsprechenden Rechengesetze im Wertebereich, also in der Menge der reellen Zahlen, zurückführen.
Auf entsprechende Weise definiert man Vektorräume über den komplexen Zahlen
oder noch allgemeiner Vektorräume über beliebigen Körpern K.
5.5.3 Definition Sei K ein Körper. Ein K-Vektorraum ist eine Menge V mit einem
Nullelement 0, auf der eine Addition V × V → V, (v, w) 7→ v + w und eine Skalarmultiplikation K × V → V, (λ, v) 7→ λ · v erklärt ist, so dass für alle u, v, w ∈ V und
alle α, β ∈ K die oben genannten acht Rechenregeln gelten.
Wichtige Beispiele für komplexe Vektorräume erhält man, indem man in den eben
n
gegebenen Beispielen jeweils R durch C ersetzt. Der
 C (für fest gewähltes
 Raum
z1
 z2 

n ∈ N) besteht aus allen Spaltenvektoren der Form 
 ...  mit komplexen Einträgen
zn
zj ∈ C für j = 1, . . . , n. Addition und Skalarmultiplikation sind nun wiederum
komponentenweise erklärt.
Der Raum F (D, C) besteht aus allen Funktionen der Form f : D → C, definiert
auf einem Definitionsbereich D ⊂ C mit Werten in C. Zum Beispiel gehört dazu die
Funktion
f : C → C, f (z) = z 2 .
Analog erklärt man die Addition und Skalarmultiplikation in diesem Fall durch
(f + g)(z) = f (z) + g(z) und (α · f )(z) = α · f (z) für alle z ∈ D, α ∈ C und
f, g ∈ F (D, C). Mit diesen Verknüpfungen bildet F (D, C) einen Vektorraum.
120
Kapitel 5. Lineare Algebra
Eine besondere Rolle spielen diejenigen Teilmengen von Vektorräumen, die unter
Addition und Skalarmultiplikation abgeschlossen sind, weil sie selbst wieder Vektorräume bilden.
5.5.4 Definition Eine nichtleere Teilmenge U ⊂ V eines K-Vektorraums V ist ein
linearer Unterraum von V , falls U unter Addition und Skalarmultiplikation abgeschlossen ist, das heisst, wenn folgendes gilt:
(A) u, v ∈ U =⇒ u + v ∈ U.
(S) u ∈ U =⇒ λ · u ∈ U für alle λ ∈ K.
Ist U ein linearer Unterraum von V , so bildet U mit den von V geerbten Operationen wieder einen Vektorraum. Denn offensichtlich bleiben die Assoziativgesetze, das
Kommutativgesetz und die Distributivgesetze erhalten. Und auch das Nullelement
von V liegt in U. Denn nach Voraussetzung ist U nichtleer, es gibt also mindestens
ein Element u0 ∈ U. Wegen der Eigenschaft (S) folgt jetzt 0 · u0 = 0 ∈ U. Schliesslich liegt mit u auch stets −u in U, denn −u = (−1) · u ∈ U wiederum wegen der
Eigenschaft (S).
5.5.5 Beispiele Der Vektorraum R2 hat die folgenden Unterräume: die “trivialen”
Unterräume {0} und R2 einerseits und andererseits Unterräume der Form gv = {λv |
λ ∈ R}, wobei v ∈ R2 festgewählt ist. Diese Unterräume entsprechen den Geraden
durch den Nullpunkt. Genauer besteht die Menge gv aus den Ortsvektoren sämtlicher
Punkte auf der Geraden durch den Nullpunkt in Richtung v. Eine Gerade, die nicht
durch den Nullpunkt geht, entspricht keinem linearen Unterraum. Denn die Menge
der entsprechenden Ortsvektoren ist nicht unter Addition und Skalarmultiplikation
abgeschlossen.
Sind v, w 6= 0 zwei Vektoren in R3 , die nicht auf einer Geraden liegen, so spannen
sie eine Ebene durch den Nullpunkt auf, nämlich
E := {λv + µw | λ, µ ∈ R} .
Jede solche Ebene ist ein linearer Unterraum von R3 .
Und hier noch ein Beispiel für einen Unterraum des Funktionenraums:
5.5.6 Beispiel Jedes Polynom mit reellen Koeffizienten können wir als reellwertige
Funktion auf R auffassen. In diesem Sinn bilden die reellen Polynome eine Teilmenge
des Raum F (R, R). Diese Teilmenge ist ein linearer Unterraum, denn sowohl die
Summe von je zwei Polynomen ist wieder ein Polynom, als auch das Produkt eines
Polynoms mit einem festen Skalar.
Entsprechend bilden die Polynome mit komplexen Koeffizienten, betrachtet als
Funktionen auf C, einen linearen Unterraum des Raumes F (C, C).
Wir kommen nun wieder zurück auf lineare Gleichungssysteme, und beschreiben
jetzt deren Lösungsmengen in dem neuen begrifflichen Rahmen. Sei dazu K = R
oder K = C, und sei A eine m × n-Matrix mit Einträgen aij ∈ K. Sei weiter b ∈ Km
5.5. Abstrakter Vektorraum
121
ein Spaltenvektor mit Einträgen in K. Das dazugehörige Gleichungssystem Ax = b
aus reellen oder komplexen linearen Gleichungen nennt man homogen, falls b der
Nullvektor ist, und andernfalls inhomogen. Es gilt folgendes:
5.5.7 Bemerkung Die Lösungsmenge


 
x1






 x2 
n

A
·
x
=
0
∈
K
L := x = 
 ... 






xn
des homogenen Gleichungssystems Ax = 0 (hier steht 0 für den Nullvektor in Km )
bildet einen linearen Unterraum des Kn .
Ist b ∈ Km nicht der Nullvektor, und hat das inhomogene Gleichungssystem
Ax = b eine Lösung v ∈ Kn , so ist die Lösungsmenge des inhomogenen Systems von
der Form
v + {x ∈ Kn | Ax = 0} .
Man erhält diese Menge also, indem man den Unterraum der Lösungen des zugehörigen homogenen Systems um v parallel verschiebt. Eine solche Menge bezeichnet man
als affinen Unterraum.
Ist zum Beispiel K = R, n = 3, m = 1 und A nicht gerade die Nullmatrix, so
bildet die Lösungsmenge des homogenen Gleichungssystems Ax = 0 eine Ebene in R3
durch den Nullpunkt. Und die Lösungsmenge des inhomogenen Gleichungssystems
Ax = b (b 6= 0) ist eine dazu parallele Ebene.
Beweis. Betrachten wir zunächst das homogene Gleichungssystem Ax = 0. Offenbar
liegt der Nullvektor in der Lösungsmenge L, denn wenn man für jede der

 Variablen
x1
.
Null einsetzt, ist die Gleichung trivialerweise erfüllt. Seien jetzt u =  ..  und
xn
 
y1
.
v =  ..  Elemente von L. Dann gilt Au = 0 und Av = 0. Durch Addition der
yn
beiden Gleichungen erhalten wir Au + Av = 0. Weil die Multiplikation einer Matrix
mit Spaltenvektoren das Distributivgesetz erfüllt, folgt daraus A(u+v) = Au+Av =
0. Also ist auch u + v eine Lösung. Die Multiplikation mit einem Skalar λ liefert
ausserdem A(λu) = λAu = 0. Also liegt auch λu in der Lösungsmenge für alle
λ ∈ K. Damit ist gezeigt, dass L ein linearer Unterraum ist.
Betrachten wir jetzt das inhomogene Gleichungssystem Ax = b, wobei b ∈ Km
nicht der Nullvektor sei. Sind v, w ∈ Km zwei Lösungen des Systems Ax = b, so gilt
Av = b = Aw, und daraus folgt A(v−w) = Av−Aw = b−b = 0. Der Differenzvektor
v − w liegt also im Lösungsraum L des zugehörigen homogenen Gleichungssystems.
Das heisst w ∈ v + L. Ist umgekehrt u ∈ L, so folgt A(v + u) = Av + Au = b + 0 = b.
Also ist v + u eine Lösung des inhomogenen Gleichungssystems. Zusammen ergibt
sich die Behauptung.
q.e.d.
122
Kapitel 5. Lineare Algebra
5.6
Lineare Abhängigkeit, Basis und Dimension
Seien v1 , . . . , vn Vektoren aus einem Vektorraum V über einem Körper K. Die Menge
aller Linearkombinationen von v1 , . . . , vn , nämlich
( n
)
X
lin(v1 , . . . , vn ) :=
αk vk αk ∈ K
k=1
bildet einen linearen Unterraum von V . Und zwar ist es der kleinste Unterraum
von V , der die vorgegebenen Vektoren enthält. Man nennt ihn den von v1 , . . . , vn
erzeugten Unterraum oder auch die lineare Hülle oder den Spann dieser Vektoren.
Denn sind u, v ∈ lin(v1 , . . . , vn ) der Form u = α1 v1 + · · · + αn vn und v = β1 v1 +
· · · + βn vn , so folgt u + v = (α1 + β1 )v1 + · · · + (αn + βn )vn und λ · u = (λα1 )v1 + · · · +
(λαn )vn . Also sind auch u + v und λ · u (für alle λ ∈ K) wieder von der behaupteten
Form.
5.6.1 Beispiele (a) Die eben diskutierte Gerade gv = {λv | λ ∈ R} ⊂ R2 wird
von dem fest gewählten Vektor v ∈ R2 erzeugt.
 
 
1
0
(b) Die Vektoren e1 =  0  und e2 =  1  erzeugen die x-y-Ebene in R3 .
0
0
(c) Hier ist ein Beispiel einer weiteren Ebene in R3 erzeugt von zwei Vektoren:

  
   


0
−1
0
−1 

E = lin  1  ,  0  = α  1  + β  0  α, β ∈ R .


0
1
0
1
Also ist




 −β 

E=
α
α, β ∈ R .

β
5.6.2 Definition Eine Menge von Vektoren {v1 , . . . , vn } ⊂ V (n ∈ N) heisst linear
abhängig, falls es Zahlen α1 , . . . , αn ∈ K gibt, die nicht alle gleichzeitig Null sind, so
dass gilt:
α1 v1 + · · · + αn vn = 0 .
Andernfalls heisst die Menge von Vektoren linear unabhängig.
Eine andere Möglichkeit, den Begriff zu formulieren ist folgende:
5.6.3 Bemerkung Eine Menge, die nur aus einem Vektor v besteht, ist genau dann
linear abhängig, wenn v der Nullvektor ist. Eine Menge {v, w} aus zwei Vektoren ist
genau dann linear abhängig, wenn w = αv für ein α ∈ K oder wenn v = 0 ist. Und
für n > 2 schliesslich gilt: die Menge {v1 , . . . , vn } ist genau dann linear abhängig,
wenn sich einer der vj als Linearkombination der anderen vi (i 6= j) schreiben lässt.
5.6. Lineare Abhängigkeit, Basis und Dimension
123
5.6.4 Beispiel Zwei Vektoren in R3 sind genau dann linear abhängig, wenn sie auf
einer Gerade liegen. Drei Vektoren in R3 sind genau dann linear abhängig, wenn sie
in einer gemeinsamen Ebene liegen.
1
i
2
Im komplexen Vektorraum C sind die Vektoren v =
und w =
i
−1
linear abhängig, denn w = i · v.
5.6.5 Definition Eine (endliche oder unendliche) Teilmenge M eines Vektorraums
V wird als Erzeugendensystem von V bezeichnet, falls sich jedes Element von V als
Linearkombination einer passenden Auswahl endlich vieler Vektoren aus M schreiben lässt, das heisst
( n
)
X
V = lin(M) :=
αk vk | αk ∈ K, vk ∈ M, n ∈ N .
k=1
Unter einer Basis von V versteht man eine geordnete Menge B von Elementen von
V , die ein Erzeugendensystem von V bilden und zusätzlich linear unabhängig sind.
(Falls B aus unendlich vielen Elementen besteht, soll das heissen, dass jede endliche
Teilmenge von B linear unabhängig ist.) Eine Basis ist also ein minimal gewähltes
Erzeugendensystem.
1
0
5.6.6 Beispiele (a) Die Vektoren e1 :=
und e2 :=
bilden eine Basis
0
1
des R2 . Denn sie sind linear unabhängig und spannen den ganzen Raum auf:
x
= x · e1 + y · e2 ∈ lin(e1 , e2 ) für alle x, y ∈ R.
y
Allgemeiner bezeichnet man mit ej (für 1 ≤ j ≤ n) den Vektor in Rn , der
an der j-ten Stelle den Eintrag 1 und sonst nur Einträge Null hat. Diese
Vektoren sind die sogenannten kanonischen Basisvektoren und (e1 , . . . , en ) ist
die Standardbasis des Rn .
(b) Die eben definierten Vektoren ej können wir auch als Elemente des komplexen
Vektorraums Cn auffassen. Darin bilden sie wiederum eine Basis.
−1
2
bilden ebenfalls eine Basis des R2 .
und v2 =
(c) Die Vektoren v1 =
1
1
Da v1 und v2 nicht dieselbe Gerade aufspannen, sind sie linear unabhängig.
x
Ausserdem spannen sie den gesamten Vektorraum auf. Denn ist v =
, so
y
führt der Ansatz v = α1 v1 + α2 v2 auf das folgende lineare Gleichungssystem
für α1 und α2 :
−1
2α1 − α2
2 −1
α1
2
x
=
=
.
+ α2
= α1
1
α1 + α2
1 1
α2
1
y
Dies System hat die eindeutige Lösung α1 = x+y
, α2 = 2y−x
. Also lässt sich
3
3
2
jeder Vektor v ∈ R als Linearkombination von v1 und v2 schreiben.
124
Kapitel 5. Lineare Algebra
(d) Sei n ∈ N fest gewählt. Die Menge der reellen Polynome von Höchstgrad n,
nämlich Pn := {an xn + an−1 xn−1 + · · · + a1 x + a0 | ak ∈ R} ist ein linearer
Unterraum des Vektorraums aller reellen Polynome, und (1, x, x2 , . . . , xn ) ist
eine Basis für Pn .
(e) Wir können die Menge der komplexen Zahlen als reellen Vektorraum auffassen, indem wir bei der Skalarmultiplikation nur die Multiplikation mit reellen
Zahlen zulassen. In diesem reellen Vektorraum sind die Zahlen 1 und i linear
unabhängig und bilden eine Basis für C über R.
5.6.7 Hauptsatz Wir bezeichnen den Grundkörper der Skalare, also entweder R
oder C wieder mit K. Sei V ein endlich erzeugter K-Vektorraum, das heisst, es gebe
eine endliche Teilmenge von Vektoren, die ganz V erzeugen. Dann hat V eine Basis
und jede der Basen von V besteht aus gleichvielen Elementen. Diese Anzahl an
Elementen einer jeden Basis nennen wir die Dimension von V über K.
Man kann zeigen, dass auch Vektorräume, die nicht endlich erzeugt sind, immer
eine Basis haben. Allerdings besteht diese Basis dann aus unendlich vielen Elementen. Der Raum der Polynome hat eine abzählbare, unendliche Basis, nämlich
(xn | n ∈ N0 ). Jede Basis des Funktionenraums F ([a, b], R) besteht sogar immer
aus überabzählbar vielen Elementen. Deshalb ist es schwierig, eine Basis explizit
anzugeben. Der Begriff der Basis ist für solche überabzählbar-dimensionalen Räume
nicht besonders praktisch. Wir werden uns jetzt im folgenden stets auf endlichdimensionale Vektorräume beschränken.
5.6.8 Beispiele Für einige Vektorräume haben wir bereits Basen angegeben. Also können wir die Dimensionen ablesen, nämlich: dim({0}) = 0, dimR (Rn ) = n,
dimR (Pn ) = n + 1, (für alle n ∈ N). Der Vektorraum der reellen m × n-Matrizen hat
die Dimension m · n über R. Weiter gilt dimC (Cn ) = n. Ausserdem ist die Dimension
jeder Ebene im R3 gleich 2, wie es der Anschauung entspricht.
Die Dimension kann davon abhängen, über welchem Grundkörper wir den Vektorraum betrachten. Zum Beispiel ist die Dimension von C, aufgefasst als komplexer
Vektorraum, gleich 1. Dagegen ist Dimension von C über R gleich 2, denn wie eben
bemerkt haben, bilden die Zahlen 1 und i eine Basis über R.
Zum Beweis des Hauptsatzes: Die Existenz einer Basis ist nicht schwierig einzusehen. Ist nämlich M = (v1 , . . . , vn ) irgendein endliches Erzeugendensystem für V ,
so können wir schrittweise linear abhängige Vektoren darin streichen, bis eine Basis
übrigbleibt. Genauer gehen wir so vor: Ist die Menge M linear abhängig, so gibt es
darin einen Vektor, etwa vj , der bereits in der linearen Hülle der anderen Vektoren
aus M enthalten ist. Also ändert sich die lineare Hülle nicht, wenn wir vj aus M
streichen. Sind die verbliebenen Vektoren linear unabhängig, so sind wir fertig. Ist
das noch nicht der Fall, dann wiederholen wir das Streichen von Vektoren, bis wir
schliesslich bei einer Basis angelangt sind. Damit haben wir eigentlich gezeigt, dass
jedes Erzeugendensystem eine Basis von V enthält.
Der schwierige Teil des Hauptsatzes ist die Aussage, dass alle Basen gleich viele
Elemente haben. Wir wollen dies durch einen Widerspruchsbeweis zeigen. Nehmen
5.6. Lineare Abhängigkeit, Basis und Dimension
125
wir also an, es gebe zwei Basen A = (v1 , . . . , vn ) und B = (w1 , . . . , wm ) und es sei
n < m.
Jetzt werden wir schrittweise die Vektoren in A durch Vektoren aus B ersetzen,
ohne dass sich dabei jeweils die lineare Hülle ändert. Nach n Schritten werden nur
noch Vektoren aus B übrigbleiben, die sich dann als linear abhängig von (w1 , . . . , wn )
herausstellen, und damit ist der Widerspruch erreicht.
1. Schritt: Wir schreiben w1 als Linearkombination der vj in der Form
w1 = α1 v1 + · · · + αn vn .
Da B linear unabhängig und daher w1 6= 0, gibt es einen Index j mit αj 6= 0. Nach
eventueller Umsortierung der vj können wir annehmen, dass α1 6= 0. Dann folgt:
v1 =
1
(w1 − α2 v2 − · · · − αn vn ) ∈ lin(w1 , v2 , . . . , vn ) .
α1
Also erzeugt A′ := (w1 , v2 , . . . , vn ) den ganzen Vektorraum V .
2. Schritt: Jetzt schreiben wir w2 als Linearkombination von w1 und v2 , . . . , vn
in der Form:
w2 = β1 w1 + β2 v2 · · · + βn vn .
Da w1 und w2 linear unabhängig sind, gibt es einen Index j ≥ 2 mit βj 6= 0. Nach
eventueller Umnumerierung von v2 , . . . , vn können wir annehmen, dass β2 6= 0. Dann
folgt:
1
v2 = (w2 − β1 w1 − β3 v3 · · · − βn vn ) ∈ lin(w1 , w2 , v3 . . . , vn ) .
β2
Also erzeugt A′′ := (w1 , w2 , v3 . . . , vn ) ebenfalls den ganzen Vektorraum V .
Entsprechend fahren wir fort. Nach n Schritten sind alle vj ausgetauscht, und
es folgt, dass die Menge A(n) = (w1 , . . . , wn ) wiederum den ganzen Vektorraum
V erzeugt. Das bedeutet, dass die noch verbleibenden Vektoren wn+1 , . . . , wm aus
der Basis B als Linearkombinationen der Vektoren (w1 , . . . , wn ) geschrieben werden
können. Das ist aber ein Widerspruch zur linearen Unabhängigkeit von B.
q.e.d.
5.6.9 Folgerung (a) Jede linear unabhängige Teilmenge eines endlich erzeugten
Vektorraums kann zu einer Basis ergänzt werden.
(b) Ist dim V = n, so bildet jede Teilmenge aus n linear unabhängigen Vektoren
eine Basis.
(c) Ist W ein linearer Unterraum eines endlichdimensionalen Vektorraums V , so
ist auch W endlich erzeugt und es gilt
dim W ≤ dim V .
Gleichheit tritt nur genau dann ein, wenn W = V ist.
126
Kapitel 5. Lineare Algebra
Beweis. (a) Sei B die linear unabhängige Teilmenge und A eine Basis von V . Dann
können wir, wie im Beweis des Hauptsatzes gezeigt, in der Basis A schrittweise
Elemente durch Vektoren aus B ersetzen, ohne dabei die lineare Hülle zu ändern.
Sind alle Vektoren aus B eingefügt, erhalten wir die gewünschte Basis, die B enthält.
(b) Dies ergibt sich direkt aus (a).
(c) Ist dim V = n, so besteht in V und damit auch in W jede linear unabhängige
Teilmenge aus höchstens n Elementen. Eine maximale linear unabhängige Teilmenge
von W muss aber bereits ein Erzeugendensystem für W sein. Also hat W eine Basis,
die wir nach (a) zu einer Basis von V ergänzen können. Daraus folgt die Behauptung.
q.e.d.
Wenden wir diese Folgerungen nun auf Lösungsmengen homogener Gleichungssysteme an. Sei A eine m × n-Matrix mit Einträgen im Körper K (K = R oder
K = C) und sei L := {x ∈ Kn | Ax = 0}. Dann ist L ein linearer Unterraum von Kn
und daher gilt dim(L) ≤ n. Die Dimension von L gibt an, wieviele freie Parameter in
der allgemeinen Lösung auftreten, und ist unabhängig davon, welche Beschreibung
der Lösungsmenge man gewählt hat. Das bedeutet auch, dass der Rang der Matrix
A wohldefiniert ist. Wir können nämlich festsetzen Rang(A) = n − dim L.
Hier ist noch eine andere Art, den Rang einer Matrix zu interpretieren:
5.6.10 Bemerkung Sei A eine m × n-Matrix, und fassen wir die Zeilen von A
als Vektoren in Rn auf, die darin den Unterraum U erzeugen. Dann ist dim(U) =
Rang(A).
Beweis. Bei den elementaren Zeilenumformungen, die man macht, um die Matrix
A auf Zeilenstufenform zu bringen, bleibt die lineare Hülle der Zeilen jeweils unverändert. Ist aber A in Zeilenstufenform, dann tragen die Nullzeilen nichts zur
linearen Hülle bei, und die insgesamt r Nichtnullzeilen erzeugen offenbar einen linearen Unterraum der Dimension r.
q.e.d.


2 3 4
5.6.11 Beispiel Die Matrix A =  0 1 −2  hat den Rang 2, denn die ent4 7 6
sprechende Zeilenstufenform 
enthält
 genau
 eineNullzeile.
 Die
 Zeilen der Matrix A,
2
0
4
aufgefasst als Vektoren u =  3 , v =  1 , w =  7 , erzeugen in R3 eine
4
−2
6
Ebene, denn der Vektor w = 2u + v ist von u, v linear abhängig.
Daraus ergibt sich für quadratische Matrizen die folgende Beobachtung:
5.6.12 Folgerung Eine n × n-Matrix A hat genau dann den Rang n, wenn die
Zeilen von A, aufgefasst als Vektoren in Rn , linear unabhängig sind. Dies ist auch
äquivalent dazu, dass die Spalten von A, aufgefasst als Vektoren im Rn , linear unabhängig sind.
5.6. Lineare Abhängigkeit, Basis und Dimension
127
Beweis. Wie eben bemerkt, ist der Rang von A genau dann gleich n, wenn die
Zeilen bereits den ganzen Rn aufspannen, also eine Basis des Rn bilden. Ein Satz
aus n Vektoren in Rn ist aber genau dann eine Basis, wenn die n Vektoren linear
unabhängig sind.
Nun haben wir bereits früher gesehen, dass der Rang von A genau dann gleich
n ist, wenn die Determinante von A nicht verschwindet. Ausserdem stimmt die
Determinante von A mit der Determinante der transponierten Matrix At , bei die
Zeilen als Spalten geschrieben werden, überein. Deshalb gilt auch die entsprechende
Aussage über die Spalten von A.
q.e.d.
Man kann also mithilfe der Determinante feststellen, ob ein vorgelegter Satz aus
n Vektoren im Rn linear unabhängig ist und damit eine Basis bildet.
5.6.13 Beispiel Die Vektoren






1
3
−1
u =  2  , v =  −2  , w =  0 
−1
4
−3
bilden eine Basis des Raumes R3 , denn die Determinante der aus diesen drei Spalten
gebildeten Matrix A ist det(A) = 18.
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