Genetik- Umwelt Welche Verhaltensanteile sind das

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WERNER RAPIEN
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Genetik- Umwelt
Welche Verhaltensanteile sind das Ergebnis der genetischen Verankerung und
welche Produkt von Umwelt und Entwicklung?
Ein Experiment zu entwickeln, bei dem man zwei Rassen miteinander
vergleichen kann, ist schwer, weil sich dabei eine der beiden immer in der
falschen Umwelt befindet.
Entscheidend ist die Frühentwicklung eines Welpen für seine Fähigkeit, eine
bestimmte Aufgabe zu erlernen und als Erwachsener auszuführen.
Es wurden Methoden zur Hundeausbildung oder zur Behebung von
Verhalternsproblemen entwickelt, damit der Hund und seine Menschen ihr
Zusammensein genießen können.
Hundeausbildung funktioniert üblicherweise nach der Methode der
Konditionierung. Dabei wird mit positiver und negativer Verstärkung
gearbeitet.
Eine falsche Reaktion des Tieres wird negativ verstärkt, eine richtige positiv.
Hundetrainer, die Vorstehhunde für die Entenjagd ausbilden, wissen, dass sie
einen jungen Hund erst in die Ausbildung nehmen können, wenn er vorsteht.
Vorstehen ist angeboren, es ist im Gehirn des Hundes verankert.
Dasselbe gilt für den Border Collie, der das Fixieren und Anpirschen fest im
Erbgut verankert hat. Es ist unmöglich, mit einem Junghund das Schafehüten
auch nur zu versuchen, solange er dieses Verhalten nicht zeigt.
Hunde sind biologische Organismen, die sich innerhalb biologischer Grenzen
entfalten und verhalten.
Besitzer von Haushunden klagen über Verhaltensprobleme ihrer Hunde: sie
zerbeißen Möbel, bellen die ganze Nacht oder haben Angstattacken.
Wäre es nicht möglich, dass viele dieser Probleme vermieden werden könnten,
wenn man auf die Frühentwicklung der Welpen achtet und sie früh genug und
durchgängig jener Umgebung und jenen Umwelteinflüssen aussetzt, mit denen
sie als erwachsener Hund zu tun haben werden.
Wölfe und ihre Verwandten haben sich in den letzten 5 Millionen Jahren,
wenn überhaupt, kaum verändert.
Hunde zeigen Körperformen und Verhaltensweisen, die von Wölfen
vollkommen unbekannt sind. Verglichen mit Wölfen können Schlittenhunde
länger laufen, Windhunde schneller laufen, Bluthunde haben eine bessere
Nase und Barsois ein größeres Gesichtsfeld und bessere Sehschärfe.
Man kann dagegen halten, dass der Wolf in Bezug auf die kognitiven
Fähigkeiten der Schlauere ist. Mag sein, aber wenn er so schlau ist, warum
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kann man ihm dann nicht beibringen, Schafe zu hüten, einen Ball zu bringen,
einen Vogel zu apportieren oder einen blinden Menschen durch die überfüllten
Straßen einer Stadt zu führen?
Unser Hund ist kein weiterentwickelter Wolf in seiner künstlichen Höhle. Er
ist vielmehr ein weiterentwickeltes und höchst spezialisiertes Tier mit einem
Verhaltensrepertoire, das ihm die Anpassung an seine ökologische Nische
ermöglicht. Jede Hundesrasse hat ein viel komplexeres Verhalten als alle
Wölfe.
Das Modell der natürlichen Selektion vom Wolf zum Hund macht deutlich,
dass Wolfsqualitäten sich entscheidend verändert haben. Hunde denken nicht
wie Wölfe und verhalten sich auch nicht wie sie. Bücher über
Hundeausbildung wollen uns glauben machen, dass Hunde ihr Verhalten
direkt von den Wölfen übernommen haben. Es wird uns geraten, uns wie
Rudelführer, wie Alpharüden zu benehmen und unsere Hunde wie rangniedere
Tiere zu behandeln. Da der Hund vom Wolf abstammt, müssen sich Hunde
wie Wölfe benehmen, wie Wölfe denken und auf wolfsähnliche Signale
entsprechend reagieren.
Hunde können aber nicht wie Wölfe denken, weil sie nicht das Gehirn von
Wölfen haben. Wir stammen vom Affen ab, aber wir benehmen uns nicht wie
sie. Dasselbe gilt auch für Hunde und ihre Vorfahren.
Es ist eine biologische Realität, dass der Wolf der entfernte Cousin des
Hundes ist. Der Stammbaum der Kaniden teilte sich in zwei Äste auf, und
Wölfe und Hunde gingen jeweils ihren eigenen Weg. Wölfe zeigen einen an
die Wildnis angepassten Lebensstil und Hunde zeigen einen an das
domestizierte Leben angepassten Lebensstil. Die beiden Kaniden-Cousins sind
Anpassungen an verschiedene ökologische Nischen und aus diesem Grund
sehr unterschiedliche Tiere.
Der Hund ist einfach eine Abwandlung des Vorläufers Wolf, ein neues Tier,
das sich an eine neue Futterquelle anpasste. Größe und Körperbau des Hundes
sind eine Reaktion auf diese neue Futterquelle. Das Verhalten des Hundes,
seine Orientierung und seine auf den Menschen abgestimmten Bewegungen
sind ebenfalls eine Anpassung an die neue Futterquelle.
Zoologen, Psychologen und Anthropologen vertreten alle die Meinung, dass
Verhalten eine Anpassung im Sinne von Evolution und Entwicklung ist.
Verhalten stellt das Zusammenwirken zwischen der genetischen Ausstattung
des Tieres und der Umwelt her, in der es sich wiederfindet.
Dieses Zusammenwirken besteht aus Veranlagung mal Lernen, nicht wie
dies bis in die 50er Jahre behauptet wurde, Veranlagung plus Lernen.
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Sozialisation
Wölfe, Kojoten, Schakale und Hunde beginnen mit dem Aufbau sozialer
Bindungen, sobald sie um den 13. Tag die Augen öffnen. Mit Erlangen der
Sinnesfunktionen stellt sich auch die Fähigkeit zum Aufbau von sozialen
Beziehungen ein. Wenn Hunde erst einmal 16 Wochen alt sind, sind die
Chancen für die Sozialentwicklung deutlich geringer oder vorbei. Wenn sie in
dieser Zeit keine Menschen oder Hunde zu Gesicht bekommen, werden sie
ihnen ihr Leben lang mit Scheu begegnen. Die Sozialentwicklung bei Wölfen
beginnt zwar auch mit 13 Tagen, sie unterscheidet sich aber von der der
Hunde dadurch, dass die Entwicklung sozialer Beziehungen sehr viel rascher
geschieht und mit 19 Tagen bereits wieder abgeschlossen ist. Dass Hunde ein
viel größeres Ausmaß an Zahmheit entwickeln können als Wölfe liegt auch
daran, dass die Phase, in der sie neue Bindungen eingehen können, viel länger
dauert.
Der als kritische Phase der Sozialentwicklung beschriebene Zeitraum
zwischen der 2. und 16. Woche wurde bei Hunden erstmals 1950 in einer
Studie von John Paul Scott und Mary Vesta Marston beschrieben. Die
kritische Phase bedeutet einfach, dass der Welpe in diesem Zeitraum über die
größte Bereitschaft und Fähigkeit verfügt, soziale Fertigkeiten zu erlernen.
Rangordnungen werden in dieser Phase ausgebildet, und die Hunde lernen und
üben Unterordnungsverhalten. Sie lernen das Futterbetteln, bei wem es
einzusetzen ist und wie aus Futterbetteln das Sozialverhalten Begrüßen wird.
Und sie lernen, zu welcher Spezies sie gehören.
Mit 16 Wochen geht die Phase des sozialen Lernens ihrem Ende zu. Der Hund
hat danach nur mehr in sehr geringem Ausmaß die Fähigkeit, soziale
Fertigkeiten auszuprägen oder zu verändern.
Im Wesentlichen ist das Sozialprofil des Hundes mit 16 Wochen für sein
ganzes Leben fertig ausgebildet.
Wenn ein Hund mit 16 Wochen menschenscheu ist, wird er das ein Leben
lang sein. Kann er mit intensivem Training lernen, seine Scheu abzulegen? Er
könnte sicherlich gewisse Fortschritte machen, wird aber sein Leben lang
immer eine gewisse „Färbung“ seines Sozialverhaltens aufweisen.
Gibt es individuelle Unterschiede, wann die Phase sozialen Lernens ein Ende
hat? Es gibt Unterschiede zwischen verschiedenen Tieren derselben Rasse
genauso, wie die durchschnittliche Dauer von Rasse zu Rasse unterschiedlich
sein kann
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Die mit der kritischen Phase verbundenen praktischen Aspekte leisten einen
großen Beitrag zu unserer Beziehung mit Hunden. Der erste und wichtigste
Schritt in Richtung einer wechselseitigen, nützlichen Beziehung mit Hunden
ist nämlich gar keine Frage der Genetik, sondern besteht darin, dass sich die
Welpen in eben jener Umgebung entwickeln, in der sie als erwachsene Tiere
ihre Aufgaben erfüllen sollen. Wenn ein zukünftiger Herdengebrauchshund
die ersten 16 Lebenswochen mit Schafen aufwächst, wird er Schafe sein
Leben lang als primäre Sozialpartner betrachten – er ist auf Schafe geprägt,
ähnlich wie die Graugänse auf Lorenz.
Es ist eine weit verbreiterte Annahme, dass das Sozialverhalten in einem
Wolfsrudel genetisch vorbestimmt ist und vererbt wird. Daher argumentieren
Hundetrainer in etwa folgendermaßen: Hunde stammen von Wölfen ab, Wölfe
bilden Rudel, daher müssen Hunde das Rudelverhalten der Wölfe verstehen
und sollten den Trainer als „Alphatier“ und Rudelführer akzeptieren.
Aber ist das Rudelverhalten tatsächlich genetisch bedingt? Nicht wirklich.
Rudelverhalten besteht aus Verhaltensweisen, die während der kritischen
Phase erlernt werden, und ist nur eine von mehreren Optionen, die den Wölfen
offen stehen. Wenn Hunde während der kritischen Phase kein Rudelverhalten
erlernen, ist es völlig sinnlos, wenn man nach Ende dieser Phase des sozialen
Lernens den Rudelführer mimen will. Beim Rudelverhalten geht es außerdem
nicht nur um Rangordnung und Hierarchie, sondern um wesentlich
komplexere Zusammenhänge. Es handelt sich um ein Bündel vielschichtiger
Verhaltensweisen, die durch Spiel- und Pflegehandlungen erlernt werden.
Ein Trainer, der das Alphatier eines Wolfsrudels nachahmt und beispielsweise
einen Hund auf den Rücken wirft, ihm an die Kehle geht und ihn anknurrt,
jagt dem Hund ohne Zweifel Angst ein. Die Botschaft für den Hund ist aber
eine ganz andere. Lehren und Lernen durch Einschüchterung funktioniert
selten.
Eine kritische Phase für die Entwicklung von Sozialverhalten, das klingt nach
Zauberei. Im Gehirn des Hundes geschieht dabei etwas, was von Dauer ist und
nach Abschluss dieser Phase praktisch nicht mehr verändert werden kann.
Aus irgendeinem Grunde bleiben Inhalte und Zeitpunkt des Lernens auf die
kritische Phase beschränkt. Ein Verhalten, das einmal gelernt wurde, kann
nicht mehr – zumindest nicht leicht und nicht vollständig – verlernt werden.
Während der kritischen Phase muss es offenbar zu bleibenden Veränderungen
kommen. Die kritische Phase der Sozialentwicklung fällt mit der Phase des
raschesten Gehirnwachstums zusammen. Der Welpe hat bei der Geburt im
Wesentlichen alle Gehirnzellen, die er in seinem ganzen Leben haben wird.
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Im Wesentlichen ist dabei die Formulierung, auf die es ankommt. Jüngste
Forschungsergebnisse zeigen, dass auch beim erwachsenen Tier noch neue
Nervenzellen und neue Nervenverbindungen gebildet werden können. Manche
Zellen sterben ab und können ersetzt werden, welche Auswirkungen diese
Veränderungen haben, wird erst erforscht.
Die Erkenntnisse über das Wachstum des Gehirns sollten dazu beitragen, den
Disput über erlerntes vs. vererbtes Verhalten zum Verstummen zu bringen. Es
handelt sich nie um entweder nur Erlernen oder nur Vererbung, sondern
immer um beides gleichzeitig.
Verhalten ist immer das Ergebnis eines Wechselspieles zwischen Genen und
der Entwicklungsumwelt.
Aus dem Zusammenwirken von Klima und Gen-Satz entsteht ein einzigartiger
Organismus. Keine zwei davon sind in Aussehen und Verhalten identisch.
Die Entwicklung des Gehirns während des Wachstums besteht aus einer
Kettenreaktion von Milliarden von Einzelereignissen, die entweder durch
innere Reize (Vererbung) oder äußere Reize (Erlernen) ausgelöst werden.
Einsetzen des Bewegungsmusters Angstreaktion (Gefahrenvermeidung) beim
Wolf und beim Hund:
Beim Wolf setzt die Angstreaktion um den 19. Tag ein. Wenn Wölfe bis dahin
nicht an Menschen gewöhnt wurden, ist es mehr als fraglich, ob sie noch
gezähmt werden können.
Hunde entgegen entwickeln die Angstreaktion erst zwischen der sechsten und
achten Lebenswoche. Es ist daher viel leichter, aus dem Hund ein Haustier zu
machen.
Vor dem Einsetzen der Angstreaktion zeigen Tiere gegenüber neuen Dingen
oder Geräuschen keine Angst. Für einen neugeborenen Welpen ist alles neu.
Nach dem Einsetzen der Angstreaktion rufen neue Dinge oder Geräusche
Meideverhalten hervor – man nennt das auch Gefahrenvermeidung.
Die Angstreaktion setzt bei verschiedenen Hunderassen und sogar innerhalb
einer Rasse aufgrund individueller Entwicklungsunterschiede zu
verschiedenen Zeitpunkten ein. Bei einer Rasse setzt die Angstreaktion im
Durchschnitt erst zwischen der sechsten und achten Woche ein, während eine
andere sie nicht vor der achten bis zehnten Woche zeigt.
Jedes Verhaltensmuster – Angst, Unterwerfung, Erkundungsverhalten, Spielen
– hat einen anderen Entwicklungsverlauf, der von Rasse zu Rasse verschieden
ist.
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Jedes hängt sowohl mit der Entwicklung der Drüsen und
Hormonausschüttungen als auch mit der Entwicklung der Motorik und
Sinneswahrnehmung zusammen.
Die Knochen aktiver Welpen haben eine andere Form als die von wenig
aktiven Welpen. Die Wachstumsrate von Drüsen lässt sich durch häufige
Verwendung der Drüsen verändern, was wiederum das Einsetzen der
Reizschwelle für bestimmte Verhaltensweisen beeinflusst.
Wissenschaftler wissen heute, warum Vererbung und erlerntes oder
erworbenes Verhalten nicht voneinander zu trennen sind. Wenn wir die
kritische Phase der Sozialentwicklung betrachten, sehen wir, dass die
Ausprägung der genetischen Anlagen des Hundes von der Umwelt, in der er
aufwächst, abhängt. Wenn die Stimulation durch die Umwelt fehlt, unterbleibt
die wechselseitige Reaktion.
Den wahren Wert des Hundes macht sein Wesen, sein Verhalten aus.
Der richtige Hund kann nicht die falsche Farbe haben.
Gute Hunde entstehen nach ihrer Geburt, nicht vorher.
Und wenn Sie die Zeit mit Ihrem Hund verbringen und Spaß mit ihm
haben, wenn Sie ihn sozialisieren und ausbilden, behandeln Sie ihn nicht,
als ob er ein Wolf wäre. Vom Wolf abstammen heißt nicht , ein Wolf
sein.
Und denken Sie daran: Es sind schließlich nur Hunde.
Werner Rapien
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Source: http://www.svcpa.org/
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