298_374_BIOsp_0310.qxd 306 21.04.2010 14:21 Uhr Seite 306 MET H ODE N & AN WE N DU NGEN Protein-Engineering Maßgeschneiderte Biokatalysatoren für eine süßere Chemie statikum) und Ivermectin (antiparasitärer Wirkstoff) [1]. kosylierungsmusters kann sowohl die pharmakologischen als auch die pharmakokinetischen Eigenschaften eines Wirkstoffs drastisch verändern. Naturstoffforscher machen sich diese Tatsache zunutze und entfernen Zucker von Glykosiden, bauen sie ein oder tauschen sie aus. Die „klassische Chemie“ findet in diesem Bereich aufgrund der Komplexität der Naturstoffe nur begrenzte Anwendung. Die chemische Synthese ist in den meisten Fällen nur mit aufwendigen Reaktionen, gekoppelt mit dem Einsatz von Schutzgruppen, möglich. Enzyme dagegen, die Glykosyltransferasen (GTs), katalysieren den Zuckertransfer unter physiologischen und hochspezifischen Bedingungen. Glykosyltransferasen als Werkzeug zur Herstellung neuer Wirkstoffe Glykosyltransferasen mit breiter Substratspezifität Die Bedeutung von Zuckern als Komponenten von Naturstoffen wurde lange Zeit unterschätzt. Doch heute ist bekannt, dass die Zuckerkomponenten oft direkt mit dem Target interagieren. Eine Modifizierung des Gly- Eine Reihe von GTs eignet sich aufgrund ihrer wenig stringenten Substratspezifität zur Verknüpfung strukturell unterschiedlicher Substrate. Einen Überblick der meisten bisher untersuchten flexiblen GTs stellten Härle und Bechthold 2009 vor [2]. Im Rahmen unterschiedlicher Glyko-Technologien, sowohl in vitro als auch in vivo, wurden GTs zur Glykodiversifizierung eingesetzt. Das Zusammenstellen von künstlichen Biosynthesewegen wird als Kombinatorische Biosynthese bezeichnet. Hierbei trugen GTs wesentlich zur Herstellung neuer interessanter modifizierter Naturstoffe bei (Abb. 1, [3]). Allerdings sind die Möglichkeiten dieser Technik begrenzt; die Substratspezifität der meisten GTs verhindert einen breiten Ein- JOHANNES HÄRLE, BENJAMIN LAUINGER, KATJA DIETMANN, ANDREAS BECHTHOLD INSTITUT FÜR PHARMAZEUTISCHE WISSENSCHAFTEN, LEHRSTUHL FÜR PHARMAZEUTISCHE BIOLOGIE UND BIOTECHNOLOGIE, UNIVERSITÄT FREIBURG Der Einsatz von bakteriellen Naturstoff-Glykosyltransferasen zur Diversifizierung von physiologisch aktiven Naturstoffen stößt an seine Grenzen. Protein-Engineering ist vielversprechend und eröffnet nahezu unendliche Möglichkeiten, die natürlichen Schranken zu überwinden. The application of bacterial natural product glycosyltranferases for diversifying bioactive compounds is limited. Protein Engineering is a promising tool to overcome this natural boundary. ó Bakterielle Sekundärmetabolite stellen eine äußerst heterogene Stoffgruppe dar. Für den Produzenten selbst dienen sie als Botenstoffe zur Steuerung wichtiger zellulärer und interzellulärer Prozesse. Glykosylierte Naturstoffe werden zur Behandlung zahlreicher Krankheiten eingesetzt. Bekannte Beispiele sind Erythromycin (Antibiotikum), Cyclosporin (Immunsuppressivum), Amphotericin B (Antimykotikum), Doxorubicin (Zyto- ¯ Abb. 1: Beispiel aus der Kombinatorischen Biosynthese: Gene aus drei unterschiedlichen Biosynthesewegen dienten zur Herstellung der neuen Substanz 9-C-(Olivo1-4-olivosyl)premithramycinon. Die Olivosyltransferasen UrdGT2 (aus Streptomyces fradiae) und LanGT1 (aus S. cyanogenus S136) wurden in S.argillaceus M3G4 heterolog exprimiert [10]. BIOspektrum | 03.10 | 16. Jahrgang 298_374_BIOsp_0310.qxd 21.04.2010 14:21 Uhr Seite 307 307 satz der Glykodiversifizierung von Wirkstoffen. Modifizierung von Glykosyltransferasen über Protein-Engineering Moderne Techniken, wie das Synthetisieren von Genen, das Errechnen von Proteinstrukturen mittels Röntgenkristallografie und die Möglichkeit, Proteine Rechner-gestützt zu modellieren, eröffnen neue Wege zur Konstruktion maßgeschneiderter Biokatalysatoren. Die Forschungsdisziplin des Protein-Engineerings birgt nahezu unendliche Möglichkeiten, Enzyme in ganz unterschiedlicher Art und Weise für ein bestimmtes Ziel zu optimieren. So existieren bereits zahlreiche Beispiele, in welchen die Substratspezifität, Regio- und Stereoselektivität, Funktion sowie Thermo- und Lösungsmittelstabilität von Enzymen erfolgreich verändert wurden [4]. Aufgrund der Relevanz von GTs als Schnittstelle zur Bioaktivität von vielen Naturstoffen wird weltweit intensiv daran gearbeitet, auch diesen Enzymen über Protein-Engineering neue Eigenschaften zu verleihen. Aus unserer Arbeitsgruppe können hierfür anschauliche Beispiele vorgestellt werden. ˚ Abb. 2: Generierung einer Glykosyltransferase mit neuer Substratspezifität. Über saturierte Mutagenese eines bestimmten Bereichs (18 Aminosäuren) erlangte das UrdGT1b-Derivat die Fähigkeit, ein bisher unbekanntes verzweigtes Glykosylierungsmuster zu katalysieren. Sequenzbasierte Modifizierung von Glykosyltransferasen Über ein einfaches alignment der Primärsequenzen von GTs können unter Umständen die Bereiche, die die Substratspezifität bestimmen, identifiziert werden. So gelang es Dirk Hoffmeister, einem der Pioniere des ProteinEngineering, an bakteriellen Naturstoff-GTs, die Funktion der L-Rhodinosyltransferase UrdGT1c und der D-Olivosyltransferase UrdGT1b über die Substitution von 15 Aminosäuren auszutauschen. Darüber hinaus konnte er mittels der saturierten Mutagenese (Austausch einer Aminosäure durch alle restlichen) UrdGT1b-Derivate mit einer völlig neuen Substratspezifität generieren (Abb. 2, [5]). ˚ Abb. 3: LndGT1 ist eine monofunktionale Glykosyltransferase (GT), die die Verknüpfung von nur einem Zucker während der Biosynthese von Landomycin E in Streptomyces globisporus katalysiert. LanGT1 ist eine bifunktionale GT, die die Verknüpfung von zwei Zuckern während der Biosynthese von Landomycin A in Streptomyces cyanogenus S136 katalysiert. Über Substitution von Aminosäuren in LndGT1 mit Aminosäuren aus LanGT1 konnte eine Bifunktionalität in LndGT1 eingeführt werden. BIOspektrum | 03.10 | 16. Jahrgang 298_374_BIOsp_0310.qxd 308 21.04.2010 14:21 Uhr Seite 308 MET H ODE N & AN WE N DU NGEN ¯ Abb. 4: Zusammenführen von gewünschten Donorund Akzeptor-bestimmenden Substratspezifitäten. In das GlykosyltransferasenChimär GtfAH1 wurde über domain switching die Akzeptorspezifität aus GtfA mit der Donorspezifität aus Orf1 kombiniert. Nicht nur bezüglich der Interaktion mit dem Angriffsziel sind manche Zuckerbausteine an Naturstoffen von großer Bedeutung, vielmehr können sie auch unmittelbar die Bioverfügbarkeit eines Wirkstoffs beeinflussen. So kann beispielsweise durch die Elongation der Zuckerkette die Zellwandpermeabilität eines Antibiotikums erhöht werden. Christine Krauth verfolgte diesen Ansatz und modifizierte über Protein-Engineering eine nicht iterativ arbeitende GT in ein bifunktionelles Enzym (Abb. 3, [6]). Strukturbasierte Modifizierung von Glykosyltransferasen Mittels Röntgenkristallografie konnten bereits Proteinstrukturen vieler GTs aufgeklärt werden. Aufgrund der vorkommenden unterschiedlichen Topologie werden bisweilen Enzyme dieser Gruppe in vier verschiedene Superfamilien (GT-A bis GT-D) eingeteilt [7], wobei die Mehrzahl aller Naturstoff-GTs der GT-B-Familie zugeordnet werden kann. Alle bisher kristallisierten GT-B-Modelle zeigen trotz ihrer variierenden Primärsequenzen einen hochkonservierten Strukturaufbau, bestehend aus zwei Domänen mit jeweils einem β/α/β-Rossmann-Faltungs-ähnlichen Motiv. Bakterielle Naturstoff-GTs der GT-BSuperfamilie binden ihren Zuckerakzeptor im N-terminalen Bereich, während der aktivierte Zucker über den C-Terminus gebunden wird. Dieser modulare Aufbau der Zweido- weitaus breitere Substratspezifität sowie eine bis zu 150fache Aktivitätssteigerung aufweisen [9]. ó Literatur [1] Khosla C (1997) Harnessing the biosynthetic potential of modular polyketide synthases. Chem Rev 97:2577–2590 [2] Härle J, Bechthold B (2009) The power of glycosyltransferases to generate bioactive natural compounds. Methods Enzymol 458:309–333 [3] Luzhetskyy A, Mendez C, Salas JA et al. (2008) Glycosyltransferases, important tools for drug design. Curr Top Med Chem 8:680–709 [4] Petrounia IP, Arnold FH (2000) Designed evolution of enzymatic properties. Curr Opin Biotechnol 11:325–330 [5] Hoffmeister D, Wilkinson B, Foster G et al. (2002) Engineered urdamycin glycosyltransferases are broadened and altered in substrate specificity. Chem Biol 9:287–295 [6] Krauth C, Fedoryshyn M, Schleberger C et al. (2009) Engineering a function into a glycosyltransferase. Chem Biol 16:28–35 [7] Unligil UM, Rini JM (2000) Glycosyltransferase structure and mechanism. Curr Opin Struct Biol 10: 510?517 [8] Truman AW, Dias MV, Wu S et al. (2009) Chimeric glycosyltransferases for the generation of hybrid glycopeptides. Chem Biol 16:676–685 [9] Williams GJ, Goff RD, Zhang C et al. (2008) Optimizing glycosyltransferase specificity via »hot spot« saturation mutagenesis presents a catalyst for novobiocin glycorandomization. Chem Biol 15:393–401 [10] Trefzer A, Blanco G, Remsing L et al. (2002) Rationally designed glycosylated premithramycins: hybrid aromatic polyketides using genes from three different biosynthetic pathways. J Am Chem Soc 124:6056–6062 mänenstruktur veranlasste die Arbeitsgruppe von Jonathan B. Spencer über eine Art Baukastenprinzip N- und C-Termini von unterschiedlichen GTs miteinander zu kreuzen (domain switching). Dabei konnten erfolgreich GT-Chimäre hergestellt werden, in welchen die Substratspezifität der einzelnen Domänen erhalten blieb (Abb. 4, [8]). Gerichtete Evolution von Glykosyltransferasen Liegt die Möglichkeit eines HochdurchsatzScreenings von vielen hergestellten Proteinderivaten vor, so kann eine Enzymoptimierung nach dem Prinzip der gerichteten Evolution durchgeführt werden. Dabei können Tausende unterschiedliche Enzymderivate, die zuvor über PCR-basierte Mutagenese konstruiert wurden, über ein schnelles Verfahren auf ihre Aktivität hin getestet werden. Der Arbeitsgruppe von John Thorson gelang es mittels einer fluoreszenzbasierten Selektion die glykosylierende Aktivität von GT-Derivaten zu identifizieren, welche zuvor über eine Fehler einbauende PCR (error-prone-PCR) generiert wurden. Über die Sequenzierung der aktivsten Derivate wurden die entscheidenden Aminosäuren (hot spots) identifiziert und im Anschluss miteinander kombiniert. In einer weiteren Optimierungsrunde wurden die hot spots über saturierte Mutagenese variiert, bis schließlich Enzymderivate vorlagen, welche gegenüber der nativen GT eine Benjamin Lauinger, Andreas Bechthold, Katja Dietmann und Johannes Härle (v. l. n. r.) Korrespondenzadresse: Prof. Dr. Andreas Bechthold Institut für Pharmazeutische Wissenschaften Lehrstuhl für Pharmazeutische Biologie und Biotechnologie Albert-Ludwigs-Universität Freiburg Stefan-Meier-Straße 19 D-79104 Freiburg Tel.: 0761-203-8371 Fax: 0761-2038383 [email protected] BIOspektrum | 03.10 | 16. Jahrgang