Wenn die Reise zum Abenteuer wird – Ferien in Krisengebieten (HR

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HR-Praxis Arbeit und Recht
Wenn die Reise zum Abenteuer wird –
Ferien in Krisengebieten
Darf ein Arbeitnehmer während seiner Ferien gefährliche Regionen oder Krisengebiete besuchen und das Risiko
einer verspäteten Rückkehr oder gar von Verletzungen oder Entführungen eingehen? Hat der Arbeitgeber solche Risiken
in Form der Lohnfortzahlungspflicht sogar mitzutragen, wenn der Ernstfall eintritt?
Der «arabische Frühling» und die damit verbundenen Umbrüche sind in aller Munde.
Wer sich jetzt Damaskus oder Sanaa als Feriendestinationen aussucht, muss damit rechnen, in Teufels Küche zu kommen. An anderen Destinationen der arabischen Welt, wie
beispielsweise Ägypten oder Tunesien, locken
jedoch günstige Angebote, das Geschäft mit
dem Tourismus soll hier so rasch als möglich
wieder in Gang gebracht werden. Dennoch
wird auch in diesen weit weniger gefährlichen Gebieten die Lage vom Eidgenössischen
Departement für auswärtige Angelegenheiten (EDA) noch nicht überall als stabil bezeichnet. Wenn der Arbeitnehmer aus einem
solchen Urlaub verspätet oder gar verletzt zurückkehrt, tangiert dies auch sein Arbeitsverhältnis. Welche arbeitsrechtlichen Konsequenzen dies für Arbeitgeber wie Arbeitnehmer hat, wird nachfolgend dargestellt.
Wer bestimmt, wann es wohin
in die Ferien geht?
Der Arbeitgeber bestimmt – nach Rücksichtnahme auf die Wünsche des Arbeitnehmers
– den Ferienzeitpunkt. Er hat aber keinen Einfluss darauf, wohin die Reise gehen soll oder
was der Arbeitnehmer in den Ferien tut. Die
Feriengestaltung ist grundsätzlich allein Sa-
che des Arbeitnehmers. Untersagt sind ihm
während der Ferien allerdings konkurrenzierende Tätigkeiten oder Arbeit gegen Entgelt,
bei der er sich derart verausgabt und überanstrengt, dass der angestrebte Erholungszweck
nicht erreicht wird. In diesen Fällen würde
der Arbeitnehmer seine Treuepflicht gegenüber dem Arbeitgeber verletzen.
Kehrt ein Arbeitnehmer nicht wie geplant aus den Ferien zurück, weil der Flughafen besetzt oder der rechtzeitige Abflug wegen unerwarteter Strassensperren verpasst
wurde, ist er aufgrund von äusseren Gegebenheiten – für die er letztlich keine Schuld trägt
– an der Arbeit verhindert. Das Risiko für die-
Arbeit und Recht aktuell
Lohn war nicht angemessen: Handelsreisender muss
Provisionslohn-Akontobeiträge nicht zurückzahlen
Urteil des Obergerichts des Kantons Zürich
vom 13. Januar 2010 (ZR 110 [2011], Seite 15 ff.)
Das Urteil
Die Klägerin richtete einem ihrer Handelsreisenden mit dem Vermerk «Abzug Vorschuss»
monatliche Akontozahlungen von 4000 Franken, insgesamt 45 000 Franken, aus. Gemäss
Vertrag hatte er Anspruch auf einen Provisionslohn in der Höhe von 23 Prozent des Verkaufsumsatzes. Ein zusätzlicher Fixlohn oder
monatliche Akontozahlungen waren nicht
vereinbart. Tatsächlich hätten dem Beklagten
inklusive 13. Monatslohn und Ferienentschädigung insgesamt nur 18 227 Franken beziehungsweise monatlich 929 Franken zugestanden. Nach Abrechnung des tatsächlichen
Provisionsanspruchs verlangte die Klägerin
deshalb vom Beklagten die Rückzahlung von
Die Autorin
Yvonne Dharshing-Elser ist
Anwältin bei Lustenberger Glaus &
Partner in Zürich. Sie ist Mitglied der
kanzleiinternen Fachgruppe Private
Equity & Real Estate und berät KMU
in Fragen des Arbeits-, Vertragsund Gesellschaftsrechts.
[email protected]
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26 773 Franken. Die Klägerin stellte sich auf
den Standpunkt, dem Beklagten habe bewusst sein müssen, dass er die Akontozahlungen zurückzahlen müsse, wenn sein Provisionslohn geringer ausfallen würde, und dass
es durchaus möglich gewesen wäre, einen angemessenen Provisionslohn von weit über
3000 Franken zu erzielen, wäre der Beklagte
tüchtiger gewesen.
Das Obergericht ging davon aus, dass die
Leistung der Akontozahlungen ohne vertragliche Grundlage erfolgt war. Da der Beklagte
das Geld für seinen Lebensunterhalt aufgebraucht hat und entsprechend nicht mehr
bereichert ist, entfällt eine Rückerstattungspflicht nach den Regeln über die ungerechtfertigte Bereicherung.
Aber auch unter Annahme einer vertraglichen Grundlage für die Akontozahlungen
wäre der Beklagte nicht rückerstattungspflichtig. Denn grundsätzlich ist es zwar erlaubt, einen Arbeitnehmer ausschliesslich
durch Provisionen zu entlöhnen, allerdings
muss ein Provisionslohn gemäss Art. 349a OR
immer ein angemessenes Einkommen garantieren. Ein durchschnittlicher Provisionslohn
von 929 Franken monatlich ist für eine Vollzeitanstellung – vorausgesetzt, der Arbeitnehmer verfügt über durchschnittliche Fähig-
keiten – sicherlich nicht angemessen. Entsprechend wäre ein Verstoss gegen Art. 349a
OR anzunehmen, und eine Rückerstattungspflicht würde entfallen.
Konsequenz für die Praxis
Bei der Leistung von Akontozahlungen für
Provisionsansprüche ist sicherzustellen, dass
eine vertragliche Grundlage besteht. Es ist davon abzuraten, aus Kulanz Akontozahlungen
vorzunehmen, weil ansonsten bei einer
allfälligen späteren Rückforderung die ungünstigeren Vorschriften über die ungerechtfertigte Bereicherung zum Zuge kommen.
Ausserdem ist die Arbeitgeberin dafür
verantwortlich, dass der Arbeitnehmer ein
angemessenes Entgelt erwirtschaften kann.
Sobald ein Provisionslohn offensichtlich
nicht angemessen ist, sollte die Arbeitgeberin
von sich aus darauf aufmerksam machen; insbesondere müsste sie auch regelmässig darauf hinweisen, dass allenfalls zu viel ausbezahlte Akontozahlungen zurückerstattet
werden müssen. Wenn der Provisionslohn
mittel- bis langfristig nicht zu einem angemessenen Entgelt führt, sollte das Arbeitsverhältnis aufgelöst werden.
Yvonne Darshing-Elser
Arbeit und Recht HR-Praxis
se mit höherer Gewalt vergleichbaren Umstände trägt jedoch nicht der Arbeitgeber,
sondern der Arbeitnehmer. Das Gesetz sieht
für ihn nur dann einen Lohnanspruch vor,
wenn die Arbeitsverhinderung des Arbeitnehmers aus Gründen erfolgt, die – in den Worten des Gesetzgebers – «in seiner Person liegen». Solange die Arbeitsverhinderung also
auf objektive Gründe zurückzuführen ist, die
in der Regel mehrere Personen treffen, hat
der Arbeitnehmer keinen Lohnanspruch.
Lohnanspruch besteht, wenn eine
Lawine das eigene Haus verwüstet
Die Unterscheidung, was «in der Person des
Arbeitnehmers» liegt und was nicht, ist nicht
immer offensichtlich. Bekannte subjektive
Verhinderungsgründe sind in der Regel
Krankheit und Unfall. Gemeint sind aber
auch solche, die einen objektiven, allgemeinen Hintergrund haben, jedoch nur den einen Arbeitnehmer speziell treffen. So wird
beispielsweise als subjektiver Verhinderungsgrund gewertet, wenn ein Mitarbeiter seine
von einer Unwetterkatastrophe getroffene Familie aufsucht, weil er tagelang keine Verbindung zu ihr herstellen konnte. Ebenso wird
als subjektiver Verhinderungsgrund gewertet, wenn eine Lawine just das Haus des Mitar-
Die Autorin
Gudrun Österreicher Spaniol ist
Fachanwältin SAV Arbeitsrecht und
Partnerin bei Fankhauser Rechtsanwälte in Zürich. Sie berät vorwiegend Arbeitgeber sowie Arbeitnehmer in Fragen des Arbeits- und
Sozialversicherungsrechts.
[email protected]
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beiters verwüstet. Kein Lohnanspruch besteht
jedoch, wenn der Mitarbeiter zu spät erscheint, weil sein Auto wegen Eisregens nicht
ansprang.
Wird von einer Reise klar abgeraten,
so ist Missachtung grob fahrlässig
Bei riskanten Auslandsreisen kann es zu
schwierigen Abgrenzungen kommen. Wie
verhält es sich, wenn der Arbeitnehmer verletzt/entführt wird und deshalb nicht an seiner Arbeitsstelle erscheint, obwohl das EDA
vor Reisen in das fragliche Gebiet abgeraten
hatte? Zweifellos würde es sich hier um subjektive Verhinderungsgründe handeln, weil
die Verletzung oder Entführung nur den einzelnen Mitarbeitenden trifft. Das Gesetz sieht
die Lohnfortzahlung aber nur dann vor, wenn
die Arbeitsverhinderung nicht nur subjektiv
begründet, sondern auch unverschuldet ist.
Von Verschulden wird auch gesprochen, wenn
das Risiko, das sich schliesslich realisierte, be-
wusst in Kauf genommen wurde. Bei der Missachtung einer Reiseempfehlung des EDA jedoch generell anzunehmen, der Mitarbeitende habe das Risiko einer Verletzung oder
Entführung bewusst in Kauf genommen,
ginge wohl zu weit.
Wo von Reisen mit dem Hinweis auf die
damit verbundenen Risiken aber klar abgeraten wird, kann die Missachtung einer solchen
Empfehlung zumindest als grob fahrlässiges
Verhalten bezeichnet werden. Sie ist vergleichbar mit anderen gefährlichen Unterfangen, bei denen die gebotenen Vorsichtsmassnahmen ausser Acht gelassen wurden: zum
Beispiel eine Bergtour ohne angemessene
Ausrüstung. Der Lohnanspruch des Arbeitnehmers entfällt damit jedoch nicht ganz.
Er kann vom Arbeitgeber aber immerhin
gekürzt werden – eine Massnahme, die auf
den abenteuerlustigen Mitarbeitenden vielleicht ebenso abschreckend wirken wird wie
das unangenehme Erlebnis selber.
Gudrun Österreicher Spaniol
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