Der Diabetiker mit Neuropathie

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Script DDG-Kurs 2013 – Autonome und periphere Neuropathie
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Diabetes mellitus führt zu verschiedenen Formern der Neuropathie (Klassifikation siehe
Tabelle 1). Am häufigsten – bei ca. 30% der Diabetiker (T2D > T1D) - finden sich die distalsymmetrischen Formen, dann folgen die oft asymptomatischen autonomen Neuropathien
(ANP). Bei 30-50% der Patienten mit peripherer Neuropathie liegt begleitend eine
asymptomatische, kardiale Neuropathie vor. Distal-symmetrischen Polyneuropathien
imponieren vor allen durch sensible Störungen, motorische Defizite sind diskret.
Diagnostik: Entsprechend der Klinik ist nach Anamnese und Inspektion eine entsprechende
Basis- bzw. Spezialdiagnostik notwendig. Differentialdiagnose: Die Symptome bei
diabetischer Neuropathie sind nicht diabetes-spezifisch, d.h. gegebenenfalls müssen andere
Ursachen von Neuropathien ausgeschlossen werden. Bei symmetrischer, vorwiegend
sensibler PNP sind unter anderen folgende Differentialdiagnosen zu bedenken: pAVK,
Alkoholabusus, Hypothyreose, Niereninsuffizienz, Medikamente, Vitamin B12 Mangel, HIV,
Neoplasie, Toxine, Restless legs Syndrom.
Therapie: Die entscheidende und auch kausal wirkende Maßnahme bei diabetischer
Neuropathie ist die Optimierung der Stoffwechsellage; dies gilt um so mehr je kürzer der
Diabetes bzw. die Neuropathie besteht. Die Behandlung aller weiteren Risikofaktoren ist
sinnvoll. Hypertonie, Fettstoffwechselstörungen, Alkoholabusus und Nikotinabusus sollten in
des multimodale Therapiekonzept des Diabetes mellitus grundsätzlich eingebunden sein.
Gründliche Fußpflege. Zusätzliche Noxen sind zu vermeiden. Spontane Besserung
neuropathischer Symptome kommen vor. Die symptomatische Therapie ist neben der
Stoffwechseloptimierung und Behandlung aller begleitenden Risikofaktoren die zweite Säule
der Behandlung. Therapiemöglichkeiten sind unter anderem trizyklische Antidepressiva und
SS(N)RI, Antikonvulsiva, Antioxidantien, Opiate und physikalische Therapie. Insbesondere
die Antidepressiva (oft sinnvoll bei chronisch-schmerzhafter Neuropathie) und
Antikonvulsiva verfügen über einen guten Wirkungs-/Nebenwirkungs-/Kosten-Quotienten.
Bei chronisch schmerzhafter Neuropathie ist eventuell der Einsatz von alpha-Liponsäure zunächst zwei Wochen intravenös und dann bei Erfolg Weiterführung der Therapie oral gerechtfertigt (ALADIN-Studien). Dies ist unter Experten aber weiterhin umstritten. Die
Neuropathie-Therapie sollte durch einen erfahrenen Diabetologen bzw. Neurologen erfolgen.
Dies gilt insbesondere auch für die autonomen Neuropathien. Bei Orthostasesyndrom kann
neben allgemeinen Maßnahmen (NaCl, körperliches Training ect.) Fludrocortison verabreicht
werden. Bei Gastroparese Therapieversuch zunächst mit Metoclopramid oder Domperidon.
Als neuere Therapiemöglichkeit steht hier für ausgewählte Fälle der Einsatz eines
Magenschrittmachers bzw. die Botulinusinjektion in den Pylorus zur Verfügung (siehe unten).
Bei autonomer Diarrhö ist ein Therapieversuch mit synthetischen Opioiden (Loperamid),
Clonidin und Antibiotika (z.B. Gyrasehemmer, Doxicyclin) sinnvoll. Bei diabetischer
Zystopathie
werden
physikalische
Maßnahmen,
Parasympathomimetika
und
Selbstkatheterisierung eingesetzt. Bei erektiler Dysfunktion stehen verschiedene
Therapieoptionen zur Verfügung, wobei durch die Phosphodiesteraseinhibitoren Erfolgsraten
bis zu 65% erreicht werden (strikte Beachtung der Kontraindikationen!).
Prognose: Neuropathien führen zu deutlichen Einschränkung der Lebensqualität. Bei
pathologischen kardiovaskulären Funktionstests bei autonomer Neuropathie ist die Mortalität
dreifach höher als bei Patienten ohne ANP. Wesentliche Langzeitkomplikation der PNP sind
das diabetische Fußsyndrom und der Charcot Fuß.
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Tabelle 1 : Klassifikation der diabetischen Neuropathien
1. Distal-symmetrische Polyneuropathien (vorwiegend sensibel)
• Sensible PNP
• Schmerzhafte PNP
• Sensomotorische PNP
• Motorische PNP
2. Proximal-asymmetrische Polyneuropathien
• Diabetische Amyotrophie
3. Fokale und multifokale Nneuropathien (vorwiegend motorisch)
• Hirnnerven
• Periphere Nerven
• Engpasssyndrome
• Rumpfnerven
4. Trophische Neuropathien
• Vaso- und Sudomotorenstörung
• Neuroathropathie, Neuroosteopathie
5. Autonome Neuropathien
• Kardiovaskulär (CAN)
• Respiratorisch
• Gastrointestinal
• Urogenital
6. Pathogenetische Sonderformen
• Therapie-induziert
• Hypoglykämie-bedingt
Gastroparese
5 bis 12% aller Diabetiker weisen Symptome auf, die mit einer Gastroparese vereinbar sind.
Bei 30-65% der Menschen mit Langzeit-Diabetes kann eine verzögerte Magenentleerung
szintigraphisch nachgewiesen werden. Zwar sind die meisten der Patienten mit
symptomatischer diabetischer Gastroparese mit oraler Medikamentengabe zufriedenstellend
zu therapieren, die konservativ therapieresistenten Fälle stellen aber oft eine therapeutische
Herausforderung dar.
Häufigste Ursache einer Gastroparese ist der Diabetes mellitus, gefolgt von idiopathischen
Fällen. Bei Langzeitdiabetes zeigen cirka die Hälfte der Patienten Hinweise auf eine gestörte
Magenentleerung. Klinische Hinweise für das Vorliegen einer Gastroparese sind eine lange
Diabetesdauer, das Vorhandensein einer sensomotorischen peripheren Neuropathie, einer
kardialen autonomen Neuropathie oder anderer autonomer Störungen ebenso wie
Hypoglykämien und Stoffwechselschwankungen. Allerdings ist die Gastroparese oft klinisch
stumm
und
die
Korrelation
der
Symptome
mit
der
messbaren
Magenentleerungsgeschwindigkeit ist relativ gering. Als diagnostischer Goldstandard gilt die
Magenfunktionsszintigraphie. Die antroduodenale Manometrie und die Elektrogastrographie
(EGG) finden außerhalb von Studien keine Anwendung, können aber potentiell wichtige
Einblicke in die individuellen pathologischen Mechanismen geben. Es gibt allerdings noch
keine ausreichenden Studiendaten um diese Techniken für eine Entscheidung für oder wider
einer bestimmten Therapiemodalität heranzuziehen. Pathophysiologisch sind nicht alle
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Aspekte dieser Komplikation aufgeklärt, wichtige funktionelle Komponenten sind eine
Verminderung der postprandialen Antrummotilität, eine gestörte antroduodenale
Koordination und eine Dysfunktion des Pylorus. Ursächlich für diese neurophysiologisch und
nuklearmedizinisch nachweisbaren Störungen sind eine vagale autonome Neuropathie und
eventuell Veränderungen der Schrittmacherzellen, der Cajal-Zellen.
Entsprechend den Leitlinien der American Motility Society und der American
Gastroenterological Association wird die Gastroparese nach einem Stufenschema behandelt.
Grundlage der Therapie bilden Allgemeinmaßnahmen wie das Verteilen mehrerer kleiner,
fett- und ballaststoffarmer Mahlzeiten über den Tag, das gründliche Kauen der Nahrung, die
Zufuhr von flüssiger Nahrung und das Einhalten einer aufrechten Körperhaltung in zumindest
den ersten 30 Minuten nach Mahlzeiteneinnahme. Zu den Basismaßnahmen gehört die
Optimierung der Blutzuckerstoffwechsellage, da diese einen Einfluss auf die
Magenentleerung hat. Für die Verbesserung der Blutzuckereinstellung ist oftmals eine
Insulinpumpentherapie notwendig. Mittel der ersten Wahl ist bei milder Symptomatik zum
einem Metoclopramid, welches in einer Dosis von 10mg zu jeder Hauptmahlzeit verabreicht
wird. Die antiemetische Wirkung wird über einen Dopamin (D2)- und Serotonin (5-HT3)Rezeptor Antagonismus vermittelt, die prokinetische Wirkung über 5-HT4 Rezeptoren und
verschiedene andere Mechanismen. Allerdings ist die Wirksamkeit dieser Substanz nur für
einige Wochen belegt und verschiedene unerwünschte Wirkungen wie Hyperprolakinämie
und zentralnervöse Störungen (extrapyramidale Symptome, Dyskinesien, Sedierung)
limitieren den Einsatz. Alternativ kann Domperidon, ebenfalls ein Dopamin (D2)-RezeptorAntagonist gegeben werden, welcher ein günstigeres Nebenwirkungsprofil als Metoclopramid
aufweist, von der Wirkungsstärke aber mit diesem vergleichbar ist. Die Dosierung liegt bei
zwei- bis viermal täglich 10-20mg. Bei moderater Symptomatik ist intravenöses
Erythromycin (250-750mg/d) durch die Stimulation von Motilinrezeptoren effektiv in der
Behandlung der akuten Gastroparese, weißt aber eine rasche Toleranzentwicklung auf. Der
prokinetische 5-HT4-Rezeptorantagonist Cisaprid ist in Deutschland wegen teils letaler
kardialer Rhythmusstörungen nicht mehr zugelassen. Bei schwerer klinischer Symptomatik
wird neben Nahrungsersatz und flüssiger Nahrung die Kombination der erstgenannten
Medikamente mit den im folgenden diskutierten Antiemetika vorgeschlagen. Nicht
nachgewiesen ist, ob die antiemetische Wirkung der Serotonin 5-HT3-Rezeptorantagonisten
den oben genannten Dopamin D2-Rezeptorantagonisten bei diabetischer Gastroparese
überlegen ist, sie können aber intravenös verabreicht werden. Benzodiazepine werden gerne
bei agitierten Patienten mit Gastroparese auch antiemetisch eingesetzt, die Effizienz bei
diabetischer Gastroparese ist aber nicht klar. Zusätzlich ist in diesem Stadium an die Anlage
einer PEJ zur ausreichenden Ernährung zu denken. Neuere medikamentöse Therapieansätze
wie zum Beispiel partielle 5-HT4-Rezeptorantagonisten, synthetische Erythromycinanaloga
(Motilide) und intravenöse Ghrelingabe sind noch nicht abschließend zu bewerten.
Als nicht-pharamkologische Therapieoptionen stehen bei den Fällen von schwerer
symptomatischer diabetischer Gastroparese folgende Optionen zur Wahl: chirurgische
Intervention, Magenschrittmacher und intrapylorische Injektion von Botulinustoxin. Die
chirurgische Intervention (Gastrektomie, Gastrojejunostomie) stellt eine allerletzte
Therapieoption dar, ist aber hinsichtlich ihrer Effizienz schlecht belegt und mit
schwerwiegenden Komplikationen verbunden. Einen vergleichsweise kleineren Eingriff stellt
die Anlage eines hochfrequent stimulierenden Magenschrittmachers dar. Das derzeit
verfügbare System (EnterraTM, Medtronic) wird in einer Hauttasche deponiert, die Elektroden
im Abstand von 1cm in der Serosa an der großen Kurvatur des Magencorpus plaziert. Der
Wirkmechanismus dieses Therapieansatzes ist nicht abschließend geklärt. In einer doppelblinden cross-over Studie konnten durch die Intervention Übelkeit, Erbrechen, Lebensqualität
und Hospialisierungstage signifikant verbessert werden, insbesondere bei Patienten mit
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diabetischer Gastroparese. Offene Langzeitbeobachtungen bestätigen den Erfolg dieser
Therapieform, größere randomisierte Studien fehlen allerdings.
Eine neuere Alternative bei schwerer symptomatischer diabetischer Gastroparese stellt die
Injektion von Botulinustoxin in den Pylorus dar. Manometrische Messungen bei Patienten mit
diabetischer Gastroparese konnten einen erhöhten Pylorustonus bzw. einen Pyloruspasmus
nachweisen. Botulinustoxin ist ein potenter Hemmer der neuromuskulären Übertragung und
wird bei spastischen Erkrankungen der Skelettmuskulatur erfolgreich eingesetzt. In
Tierexperimenten konnte gezeigt werden, dass Botulinustoxin die Kontraktilität des glatten
Pylorusmuskel reduziert: in niedriger Konzentration wird die Freisetzung von Acetylcholin
aus den cholinergen Nervenfasern gehemmt, in hoher Konzentration wird die
Muskelkontraktion direkt gehemmt. In einer offenen, kontrolliertern Studie zeigte die
antropylorische Manometrie bei allen 8 untersuchten Patienten mit diabetischer Gastroparese
einen Pyloruspasmus; durch die Botulinustoxininjektion konnte der Pyloruspasmus
signifikant reduziert werden, der tonische Pylorusdruck verbesserte sich tendenziell (p=0,06).
In der Regel werden 100 bis 200 Einheiten der Substanz fraktioniert in den glatten Muskel des
Pylorus injiziert (Kosten für 100 Einheiten BOTOX®: 349,67€). Die Wirksamkeit setzt bereits
innerhalb der ersten Woche nach der Intervention ein und hält für 4 bis 6 Monate an, dann
muss die Injektion wiederholt werden. Nebenwirkungen und Komplikationen sind bei
korrekter Injektion nicht zu erwarten. 2002 beschrieben Ezzeddine et al. in einer Pilotstudie
bei 6 Patienten einen erfolgreichen Einsatz der neuen Methode: der Symptomenscore und die
Magenentleerungszeit konnten 2 und 6 Wochen nach Injektion jeweils mehr als halbiert
werden. Einige offene Beobachtungsstudien zeigen wiederholt den teils ausgeprägten Erfolg
dieser Maßnahme. Zwei randomisierte, doppel-blinde Studien mit 16 bzw. 23 behandelten
Patienten konnten keine Überlegenheit gegenüber Placebo erbringen. Allerdings wurden
hierbei vor allem Patienten mit idiopathischer Gastroparese eingeschlossen.
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