Von der DNA zum Täter Teil 1: Phantombilder aus Genen

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Leonardo - Wissenschaft und mehr
Sendedatum: 26. Januar 2015
Von der DNA zum Täter
Teil 1: Phantombilder aus Genen
von Michael Lange
Atmo: Gefängnis, Schlüssel, Gittertüren
Sprecher:
Endlich, Freddy, eine Woche noch… dann biste raus! Wird ja auch langsam Zeit…
Aber, pass auf: die Welt da draußen, die wirst Du kaum noch wiedererkennen. Und
Du glaubst gar nicht, was die Bullen heute alles rauskriegen können… beim
nächsten Bruch musst Du höllisch aufpassen – einen Kaugummi ausgespuckt oder
eine Kippe vergessen und Zack - haben die Dich…
Sprecherin:
Wenn die Experten der Spurensicherung den Tatort absichern, suchen sie längst
nicht mehr nur nach Augenzeugen und Fingerabdrücken - sie suchen vor allem nach
Erbmolekülen: DNA von Tätern, Opfern oder Zeugen – von so genannten
Spurenlegern. Das heißt aber nicht unbedingt, dass sich die Person, die von der das
Erbmaterial und die Spur stammt, damit einfach so identifizieren ließe. Die
Spezialisten ermitteln aus der gefundenen DNA einen Zahlencode mit acht Ziffern.
Dieser Code muss bereits in den Datenbanken der Polizei gespeichert sein. Sprich vom möglichen Täter existiert bereits eine andere DNA-Probe zum Vergleich. Ohne
diesen genetischen Fingerabdruck läuft nichts – erklärt Manfred Kayser. Der aus
Deutschland stammende Wissenschaftler forscht als Professor für Molekulare
Forensik an der Erasmus-Universität in den Niederlanden.
O-Ton:
„Wenn ich nicht vergleichen kann, weil ich die Person nicht kenne, weil ich
noch kein DNA-Profil von dieser Person gespeichert habe, dann nützt mir das
nichts, dann kann ich das schönste DNA-Profil haben, das es gibt. Ich kann
den Spurenleger nicht identifizieren.“
© Westdeutscher Rundfunk Köln 2015
Dieses Manuskript einschließlich aller seiner Teile ist urheberrechtlich geschützt. Jede Verwertung außerhalb der engen
Grenzen des Urheberrechtsgesetzes ist ohne Zustimmung des WDR unzulässig. Insbesondere darf das Manuskript weder
vervielfältigt, verbreitet noch öffentlich wiedergegeben (z.B. gesendet oder öffentlich zugänglich gemacht) werden.
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Sprecherin:
Damit will sich der Molekulargenetiker nicht abfinden. Er sucht in biologischen
Spuren nach konkreten Informationen über die Person, von der sie stammen. Bisher
erfahren Spezialisten in Deutschland aus der DNA lediglich das Geschlecht des
Spurenlegers: Weiblich oder männlich. Ihre niederländischen Kollegen können und
dürfen außerdem die Augenfarbe bestimmen.
O-Ton:
„Was unser bisheriges genetisches Wissen und auch die Tests, die wir
entwickelt haben, sagen können, ist mit sehr hoher Wahrscheinlichkeit, ob
eine Augenfarbe blau oder braun ist. Und da geht es um
Wahrscheinlichkeiten, die im Schnitt über neunzig Prozent liegen, also sehr
hohe Wahrscheinlichkeiten.“
Sprecherin:
Um bei der Augenfarbe neben blau und braun auch grau, grün und Mischfarben aus
der DNA herauszulesen, will Manfred Kayser den Test noch genauer machen. Er soll
dann eine Farbkarte liefern, die den wahrscheinlichsten Farbton der Augen darstellt.
Gleichzeitig arbeiten die Forscher an der Identifizierung anderer Merkmale. So
konnten sie 20 genetische Marker für die Haarfarbe im Erbgut aufspüren. Am
einfachsten ist der Test für rote Haare. Die Trefferquote liegt hier bei über 90
Prozent. Bei schwarzen Haaren sind es 80, und bei Blond oder Braun immerhin 75
Prozent.
O-Ton:
„Das nächste, das wahrscheinlich kommen wird, wo wir und andere daran
arbeiten, wo wir hoffentlich bald einen Test haben, ist Hautfarbe. Und man
kann heute schon mit relativ wenig DNA-Markern helle Haut von dunkler Haut
unterscheiden, wobei man da meistens europäische Herkunft und
afrikanische Herkunft mehr oder weniger vorhersagt.“
Sprecherin:
Ein Test zur Abstammung, wie ihn Firmen im Internet für jeden Kunden anbieten,
liefert immer auch Informationen über das Aussehen. Die DNA verrät, aus welcher
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Region der Erde die Vorfahren eines Menschen stammen. Daraus aber gleich
Schlussfolgerungen über das Aussehen zu ziehen, ist eher fraglich. Schließlich gibt
es gar nicht so wenige blonde Italiener oder braunäugige Schweden.
Sprecher:
Kein Witz… an einem Haar sehen die, dass Du ein Kerl bist. Deine Augenfarbe und
deine Hautfarbe – da bleibt nix verborgen. Und, die können sogar aus deiner Spucke
dein Gesicht am Computer nachbauen… irgendwie. Glaubst du nicht? Wirklich! Die
stecken die Spucke in so eine Maschine - und auf dem Computer erscheint deine
Fratze. Der reine Horror… (flüstert) leise, der Schließer kommt!
O-Ton:
„Indem ich aus DNA ein Gesichtsporträt erstelle, und dieses Gesichtsporträt
ähnelt dann Ihrem Foto und nicht meinem. Das wäre natürlich der heilige
Gral, das ist die ferne Zukunft.“
Sprecherin:
Die ersten Schritte in diese Richtung haben Manfred Kayser und sein Team an der
Erasmus-Universität in Rotterdam bereits getan. Sie haben die Gesichter zahlreicher
Freiwilliger vermessen und wollten wissen: Wie breit ist das Gesicht? Wie weit sind
die Augen voneinander entfernt? Wie stark ist das Kinn, wie dick die Oberlippe?
Anschließend haben sie im Erbgut der Probanden nach Positionen gesucht, die mit
den Gesichtsdaten in Zusammenhang stehen.
O-Ton:
„Bis vor ein, zwei Jahren wusste man gar nichts. Wir haben dann angefangen
in einem relativ großen und wachsenden internationalen Konsortium, wo wir
also Gesichts-Gene und andere Merkmals-Gene suchen und auch finden.
Und wir haben vor kurzem fünf Gene gefunden, die statistisch nachweisbar
mit Gesichtsmerkmalen – und das sind dann Distanzen, Gesichtsabstände,
Messwerte im Gesicht – korrelieren, also statistisch einhergehen.“
Sprecherin:
Wie groß der Einfluss der Gene auf die Form eines Gesichts ist, beweist das
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Aussehen eineiiger Zwillinge. Sie haben exakt die gleichen Gene und deshalb auch
die gleichen Gesichter. Es müssen also die Gene sein, die das Aussehen von
Gesichtern bestimmen. Aber es sind weit mehr Gene beteiligt als die fünf, die
Manfred Kayser bisher entdeckt hat. Das perfekte Phantombild einer unbekannten
Person lässt sich allein aus einer biologischen Spur noch nicht erstellen. Der Bildund Computerexperte Peter Claes von der Universität Leuven hat es dennoch
versucht und zunächst mit einer Spezialkamera 3D-Bilder von zahlreichen
Freiwilligen aufgenommen.
O-Ton:
“We take ten thousand measurements […] at once and not one by one.”
Übersetzung:
„Wir haben zehntausend Messpunkte im Gesicht der Freiwilligen bestimmt,
indem wir im Computer ein Gitter über das Gesicht gelegt haben. Zusammen
ergaben sie ein Bild, das mehr aussagte als die Einzeldaten.“
Sprecherin:
Ein Wort benutzt Peter Claes in diesem Zusammenhang besonders gern.
O-Ton:
“Facial Gestalt, the whole Gestalt [...] not just looking at a feature.”
Übersetzung:
„Die Gestalt eines Gesichts ist sehr komplex. Das ist nicht nur eine Kategorie
wie die Augenfarbe oder die Haarfarbe. Das ist der Eindruck, den wir von
einem Menschen haben, wenn wir sein Gesicht wahrnehmen. Die
Spezialisten auf der ganzen Welt benutzen das deutsche Wort „Gestalt“,
wenn sie den Gesamteindruck eines Gesichts meinen und nicht nur auf
einzelne Merkmale schauen.“
Sprecherin:
Das bisherige Wissen reicht eigentlich noch nicht aus, um das Gesicht einer
unbekannten Person nur mit Hilfe genetischer Informationen zu bestimmen. Und
dennoch hat Peter Claes es versucht - als ihn die britische Wissenschaftszeitschrift
“New Scientist“ darum bat.
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O-Ton:
„They have taken a sample of saliva […] wjat the code is telling me.”
Übersetzung:
„Sie haben die Speichelprobe einer Reporterin entnommen und an das
Unternehmen 23andme in Kalifornien geschickt. Und unter den Millionen
Positionen auf der DNA, die dort untersucht wurden, befanden sich 20, bei
denen wir zuvor einen Zusammenhang mit dem Aussehen von Gesichtern
festgestellt hatten. Genetiker in den USA werteten die Daten aus und
schickten mir eine Excel-Datei. Und ich habe aus diesen wenigen Daten eine
Fotomontage erstellt, die das umsetzt, was der genetische Code verrät.“
Sprecherin:
Der „New Scientist“ veröffentlichte das so entstandene Phantombild und ein echtes
Foto der Reporterin nebeneinander. Die Nase stimmt überein. Bei Kinn und Lippen
gibt es noch ein paar Unterschiede. Peter Claes ist zufrieden. Der Versuch zeigt, was
bereits mit wenigen Daten möglich ist. Nun will er sein Verfahren verbessern und
statistisch absichern. Dazu braucht Peter Claes nun jede Menge neue Freiwillige.
Dann - so hofft er - wird es in einigen Jahren möglich sein, nur aus einer Blutspur das
Gesicht im Computer zu rekonstruieren – auch wenn der Spurenleger der Polizei
noch nicht bekannt ist. Das wären dann richtige Phantombilder, wie sie heute nur
ausgebildete Zeichner mit der Hilfe von Augenzeugen herstellen können. Das wirft
ethische Fragen auf.
O-Ton:
“From the moment you can identify […] if you don’t like the result.”
Übersetzung:
„Sobald Sie Personen auf diese Art erkennen können, können Sie sie auch
diskriminieren. Ich habe zum Beispiel nach der Veröffentlichung meiner
Ergebnisse die Anfrage einer Fruchtbarkeitsklinik erhalten. Die wollten
wissen, ob ich das Aussehen von in vitro-Babys anhand der Gene
vorhersagen kann. Ich frage mich: Wozu möchte man das wissen? Und was
machen Sie, wenn Ihnen das Ergebnis nicht gefällt?“
Sprecherin:
An einem Tatort findet die Spurensicherung heute keineswegs nur Spuren des
Täters. Jeder Passant, der irgendwann am Tatort gewesen ist, kann dort DNA
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hinterlassen haben. Deshalb ist es wichtig für die Ermittler, den Tathergang genau zu
rekonstruieren. Auch dabei können biologische Spuren helfen. Zum Beispiel die RNA
– ein Biomolekül, das mit der DNA verwandt ist. RNA ist das Forschungsthema von
Cornelius Courts vom Institut für Rechtsmedizin der Universität Bonn.
O-Ton:
„Man kann es grob vereinfacht sagen: Mit DNA findet man heraus, wer etwas
war. Mit RNA findet man heraus, was geschehen ist.“
Sprecherin:
Cornelius Courts und seine Arbeitsgruppe für forensische Genetik konzentrieren sich
auf eine besondere Form der RNA, die Mikro-RNA. Sie steuert die Aktivität der
Gene. Mikro-RNA ist sehr klein und stabiler als andere RNA-Moleküle. Sie lässt sich
deshalb am Tatort leichter finden und länger nachweisen. Ein bestimmtes RNAMuster ist typisch für Blut, ein anderes für Speichel oder Vaginalsekret oder Sperma
- oder auch für Nervenzellen im Gehirn oder für Lebergewebe.
O-Ton:
„Die Gesamtheit der RNA in einer Leberzelle ist völlig anders als die
Gesamtheit der RNA in einer Hirnzelle. Man kann also aufgrund der
Zusammensetzung von RNA die Zelle, aus der die RNA stammt, erkennen.
Wenn also eine Spur auf dem Boden liegt, kann ich anhand der
Zusammensetzung der RNA erkennen, dass in dieser Spur Blut enthalten ist.
Wenn da zusätzlich noch Speichel darin ist, finde ich eine weitere RNA, die
auf Speichel hindeutet.“
Sprecherin:
In bestimmten Fällen können die Forscher sogar ermitteln, woher genau eine
Blutspur stammt. Ist das Blut aus einer Wunde ausgetreten oder handelt es sich um
Menstruationsblut? Das kann wichtig sein, um eine Vergewaltigung nachzuweisen.
Nicht selten widersprechen sich die Aussagen von Opfer und Täter. Die RNA kann
Informationen zum Hergang der Tat liefern und eventuell Beteiligte der
Falschaussage überführen.
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O-Ton:
„Für die normale routinemäßige Fallarbeit wird RNA in Deutschland noch
nicht eingesetzt. Es gibt allerdings bereits in Holland Labore, die das machen.
Wir haben aber jetzt gerade eine Studie publiziert und konnten zeigen, dass
man Schüsse gegen den Kopf von Schüssen gegen andere Körperteile
unterscheiden kann.“
Sprecher:
Freddy, hör doch zu. Das ist der reine Wahnsinn, was die Bullen alles können. Der
Atze hat es mir erzählt. Und zwar: Die hätten seine Wumme auseinander
genommen, und so irgendwie rausgekriegt, dass der seine Alte abgeknallt hat. Du
weißt schon. Kopfschuss. Paff.
Sprecherin:
Ein wahrer Fall: Rechtsmediziner Cornelius Courts konnte nachweisen, dass nach
einem Schuss aus wenigen Metern Entfernung kleinste Gewebespuren des Opfers
an der Tatwaffe zurückbleiben – zum Beispiel im Lauf der Schusswaffe. Dort findet er
sowohl das Erbmolekül DNA als auch Mikro-RNA.
O-Ton:
„Also man kann aus dem Inneren der Schusswaffe erkennen, welche Opfer
mit der Schusswaffe getroffen worden sind, also DNA, und – wie wir jetzt
gerade gezeigt haben – wohin das Opfer getroffen worden ist – zum Beispiel
wenn Hirngewebereste ins Innere der Waffe gespritzt sind, aus denen man
dann RNA herausholt, und dann sehen kann, dass diese RNA aus dem
Gehirn stammt.“
Sprecher:
Ich weiß nicht wie, aber die haben tatsächlich das Hirn der Alten in der Wumme
gefunden. Glaubste nicht? Doch, so isses aber! Der Atze braucht jetzt Sitzfleisch.
Aber hallo. Der kommt hier nicht…
Sprechanlage:
Zelle 118, Ruhe jetzt! Schluss mit dem Geschnatter, ihr Tratschweiber! Sonst gibt‘s
Latrinendienst.
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